Am See von Maracaibo

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Textdaten
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Autor: Christian Anton Goering
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Titel: Am See von Maracaibo
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 404–407
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Am See von Maracaibo.
Skizze von A. Goering.


Im grellen Gegensatze zu dem malerischen, reich mit Wald geschmückten Küstengebirge von Puerto Caballo, Carácas und Paria im äußersten Osten, bietet die nordwestliche Küste Venezuelas einen öden Anblick dar. Wenn man, von Wind und Strömung begünstigt, in den fast immer wogenden Golf von Maracaibo hineinsteuert, erblickt das Auge zu beiden Seiten nur flaches Land, aus dessen sandigem Boden sich hier und da einzelne niedrige Bergzüge und Hügel erheben.

Der Golf von Maracaibo wird durch zwei nach Norden gerichtete Halbinseln, im Westen die Heimath der wilden und bis heute noch unabhängigen Goajiro-Indianer, und im Osten durch Paraguaná und einen Theil der Küste von Coro gebildet. Riesige Sandbänke, welche die von den Seeleuten gefürchtete Barra bilden, machen die Einfahrt am südlichen Ende des Golfes in den See ohne Lootsen zu einer nicht ungefährlichen. Noch weit gefährlicher ist das Auslaufen der Schiffe, weil sie zugleich gegen den Wind segeln müssen; Fahrzeuge, welche nicht über zehn Fuß Tiefgang hatten, haben hier auf den Sandbänken oft ihr Ende gefunden, und ich selbst habe ein solches Unglück auf der Barra erlebt. Wir mußten das festgelaufene Schiff verlassen, und nach wenigen Tagen war es durch die zerstörende Kraft der Wogen verschwunden. Nur kleine Dampfer, besonders die der „Hamburg-Amerikanischen Packet-Actiengesellschaft“, welche zwischen Maracaibo und Curaçao fahren, gewähren eine vollkommen sichere Ausfahrt.

Auf der ruhigen Fläche des Sees gelangt man in südöstlicher Richtung, an der kleinen, spärlich mit Mangroven bewachsenen Insel Bajo seco vorüber, nach der von den Spaniern gebauten Festung San Carlos, welche an der westlichen Seite auf einer langgestreckten, nur durch einen kleinen Fluß vom Lande getrennten Insel liegt. Südwestlich von San Carlos bildet die mit hohen Mangroven bedeckte Insel Toas einen malerischen Punkt im See. Etwas südöstlich von hier schiebt sich eine Landzunge weit in den See hinein, deren Spitze von einem prächtigen, eine lange Strecke das Ufer schmückenden Cocospalmenhaine Punta de Palmas heißt. Die Strecke von San Carlos bis Punta de Palmas bezeichnet man mit dem Namen Tablazo (von Schlag, Stoß), weil hier wegen der Seichtigkeit des Sees der Kiel der Schiffe oft den schlammigen Grund berührt, sodaß ein langer schmutziggelber Streifen auf dem Wasser den Weg des Fahrzeugs bezeichnet.

Nach etwas mehr als halbtägiger Fahrt erreicht man Maracaibo, das vom Wasser aus einen recht freundlichen Anblick gewährt, obgleich der Stadt jeder landschaftliche Hintergrund fehlt, denn die niedrige wellenförmige Umgebung ist auch hier nur spärlich bewachsen. Der sandige, trockene Boden vermag blos Mimosen- und anderes knorriges Gebüsch, neben Cactusarten und Agaven zu erzeugen; kein höherer, vor der brennenden Tropensonne schützender Baumwuchs bringt Abwechselung in das einförmige Einerlei des Hintergrundes.

Die Anlage der Stadt und die Bau-Art der Häuser, welche einander im Ganzen wunderlich gleich sehen, nur daß sie nach den Außenstädten zu ärmlicher und kleiner werden, ist dieselbe wie überall in Venezuela und bietet in architektonischer Beziehung wenig Fesselndes. Die sandigen Straßen sind nur theilweise mit Trottoirs versehen. Einiges Interesse gewährt der neuerdings schön hergerichtete, mit einem prächtigen Eisengitter umgebene Hauptplatz. Hier steht das Regierungsgebäude, und an einer Ecke die Hauptkirche der Stadt; Blumenbeete, von breiten Wegen durchschnitten, zieren ihn, und in der Mitte, wo früher eine in ihren Verhältnissen verfehlte Bolivarstatue stand (sie hatte nur ungefähr vier bis fünf Kopflängen), breitet sich ein freier Platz aus, auf welchem an den in Maracaibo fast immer schönen Abenden eine farbige Musikbande spielt und zuweilen auch die „Wacht am Rhein“ zum Besten giebt. Am Hafen entlang befinden sich die hervorragendsten Privatgebäude, welche sich durch flache mit Gallerien umgebene Dächer, Stockwerke, Balcone und Miradores, Ausguckthürme, auszeichnen. Hier haben sich zum großen Theil unsere deutschen Landsleute niedergelassen, welche in Maracaibo die ersten Handelshäuser inne haben. Das durch seine hohen Einnahmen für das Land höchst bedeutungsvolle Zollhaus liegt ebenfalls am Hafen. Ihm gegenüber ist eine breite Landungsbrücke wehrdammartig in den Lago hineingebaut, an welcher indeß nur kleinere Schiffe, Küstenfahrer und diejenigen Fahrzeuge, welche sich zwischen den verschiedenen Häfen des Sees hin- und herbewegen, anlegen können, während die größeren Seeschiffe weiter ab von der Stadt, auf der Rhede, vor Anker liegen.

Auf der nur zum kleinen Theil überdachten Landungsbrücke (el Muelle) lernt der deutsche Ankömmling zuerst etwas von dem regen, eigenartigen Treiben einer tropischen Handelsstadt kennen. Eine Menge fast nackter farbiger Arbeiter ist beschäftigt Waaren auszuladen und die Erzeugnisse des Landes zu verschiffen; ganze Mauern von Säcken, mit dem herrlichsten Kaffee gefüllt, sind auf der Brücke aufgebaut; schwerbelastete Boote legen an und gehen ab; hier und da stehen und wandeln, die Verladung beaufsichtigend oder eifrig mit den Zollwächtern verhandelnd, Vertreter der städtischen Handelsfirmen in völlig weißer Kleidung, darunter mancher deutsche Landsmann, den man mit herzlicher Freude unter dem großen Sonnenschirm entdeckt.

Am lebhaftesten geht es hier in den Morgenstunden zu, weil in der Nähe des Muelle, auf dem großen freien Platze zwischen dem Hafen und dem Zollhause, der Markt eine große Menge Menschen zusammenführt. Noch lange aber, bevor das Treiben auf dem Markte beginnt, bei vollständiger Dunkelheit noch, hört man hier schnell auf einander folgende, weithin schallende Schläge, welche nicht daran gewöhnte Menschen, die in den nächsten Häusern noch ihren süßen Morgenschlaf genießen, unbarmherzig wecken: eine ganze Reihe farbiger Waschweiber, welche bis an die Kniee im Wasser stehen, bearbeiten da unten mit Holzstücken und Steinen die ihnen zum Reinigen anvertraute Wäsche. Sobald dann die ersten Strahlen der Morgensonne auf den Marktplatz fallen, beginnt das bunteste Treiben. Boot an Boot, mit den Erzeugnissen des Landes gefüllt, legt sich an den Hafen und wird links von der Landungsbrücke auf den flachen Strand gezogen. Die verschiedenartigsten Menschentypen bewegen sich schreiend und sich unterhaltend durch einander. Neger, Mulatten, Indianer, Zambos, Mestizen etc. sind emsig beschäftigt, ihre Producte auf dem Markte auszubreiten, und in denkbar kürzester Zeit bietet die weite, sandige Marktfläche einen [405] unglaublichen Reichthum tropischer Früchte dar. Kleine Fahrzeuge, eines nach dem andern, schieben sich zwischen die schon gelandeten; ein wahrer Wirrwarr scheint auf dem Wasser zu entstehen, der sich erst löst, wenn endlich alle Verkäufer ihre Erzeugnisse ausgelegt haben. Mit wahrem Entzücken blickt man dann auf die aufgethürmten Massen von goldig-roth schimmernden Orangen, welche neben Gruppen von Ananas und Bananen liegen; unter den letzteren befinden sich so große Trauben, daß sie nur ein kräftiger Mann zu tragen vermag. Auch große Knollengewächse verschiedener Arten fehlen nicht.

Vor der deutschen Apotheke in Maracaibo.
Nach der Natur aufgenommen von A. Goering.

Weiterhin, hinter den von Tausenden von Insecten umschwärmten Fleischerständen, hat die Jagd ihren Beitrag geliefert; kleine Hirsche, Hasen, Tauben, Gürtelthiere, Schildkröten und sogar große Eidechsen werden feilgeboten, und eine Menge Fische aus dem See vervollständigen den Küchenbedarf der Maracaiberos. Vortrefflich zubereitete Süßigkeiten von Früchten erregen die Naschlust, wenn sie auch von nicht eben allzu reinlichen Neger- oder Mulattenweibern feilgeboten werden. Hierzu kommen Buden, welche mit den Erzeugnissen einheimischer Industriezweige ausgelegt sind, wie Sandalen oder Alpargátas-Strohhüte, Hängematten u. s. w. Die Früchte werden zum größten Theil vom Zulia, südlich vom See, und vom jenseitigen Ufer nach Maracaibo gebracht, denn die nächste Umgebung der Stadt ist, wie schon bemerkt, im höchsten Grade unfruchtbar.

Pfahlhütten der Goajiro-Indianer im See von Maracaibo.
Nach der Natur aufgenommen von A. Goering.

Die hier zusammenströmenden Menschen, welche mit südländischer Lebhaftigkeit laute Unterhaltungen führen, wobei die beliebten spanischen Kraftausdrücke zuweilen Alles übertönen, würden dem Anthropologen reiches Material liefern. Das größte Interesse aber erregen die aus ihrer Wildniß herbeikommenden [406] Goajiro-Indianer, welche Pferde nach Maracaibo bringen. Diese robusten, breitschulterigen Gestalten, welche meist bis auf die Hüften nackt gehen und auf deren Kopfe ein zwei bis drei Zoll breiter, kunstvoll geflochtener Ring als Stirnband das starke schwarze Haar zusammenhält, bewegen sich schweigsam über den Platz und durch die Straßen, oft von Weibern und Kindern begleitet. Sie ähneln im Gesichtstypus den Indianern des Nordostens von Venezuela, sind aber von Farbe etwas dunkler als beispielsweise die Chaimas von Caripe. Die Frauen tragen in der Stadt ein langes, faltenreich um den Körper fallendes Hemd, welches meist aus buntgestreiftem Kattun besteht; sie bringen ihrerseits recht kunstvoll gearbeitete Hängematten und Strickarbeiten zum Verkauf.

An einer Ecke der Calle de Comercio (Handelsstraße), welche, als die breiteste und bedeutendste Verkehrsstraße der Stadt, auf den Marktplatz mündet und in welcher sich auch die auf dem Bilde (Seite 405) dargestellte deutsche Apotheke befindet, gelang es mir, einen recht charakteristischen Goajiro-Indianer zu portraitiren. Da er kein Spanisch verstand, hatten wir einige Mühe, ihn zum Stillstehen zu bewegen, und erst als wir ihm einen blanken Thaler vorhielten, entschloß er sich zu einer Sitzung. Die ihn begleitenden Frauen und Kinder schienen indeß sehr ungehalten darüber und fingen an zu heulen, weil sie, wie vielfach andere Indianer, glaubten, daß ihnen dadurch Böses geschehen könne. Ich sollte bald bemerken, welche Verantwortung ich durch mein Vorhaben auf mich gezogen hatte, denn bald rückten Zuschauer zu Pferde, zu Esel und zu Fuß heran, und ich wurde von allen Seiten umdrängt, ja es kam so weit, daß der Polizeichef einige Soldaten herbei zog, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Ich nahm mir nach gethaner Arbeit vor, keine künstlerischen Studien mehr in den Straßen zu machen.

Von welcher Bedeutung Maracaibo, obgleich nur Stapelplatz, für den Handel ist, lehrt ein Blick auf das Treiben im Hafen. Deutlicher noch sprechen die Ziffern der Statistik. Im Jahre 1877 betrug der Export Maracaibos, nach Angabe eines Freundes, welcher dort eines der ersten Handelshäuser besitzt, 742 Sacos (zu je 120 Pfund) Cacao, 18,195 Kilogramm Balsam Copaive, 231,820 Sacos Kaffee (zu 130 Pfund), Gelbholz 3,693,827 Kilogramm, Dividivi, Schoten von Lebidibia Coriaria, welche viel Gallussäure und Gerbsäure enthalten, 3,458,371 Kilogramm und Quina 4533 Sacos. Natürlich ist der Handel mancherlei Schwankungen unterworfen, namentlich durch die für das Land zum chronischen Leiden gewordenen Revolutionen.

Ein großer Theil des Handels von Maracaibo befindet sich, wie in allen größeren Städten Venezuelas, in den Händen deutscher Kaufleute; einige dreißig, welche dort ansässig sind, vertheilen sich auf die verschiedenen deutschen Handelshäuser. Ihre Comptoire und Waarenlager liegen in der Calle de Comercio und in zwei Seitenstraßen nahe am Hafen. Während der Geschäftsstunden, von früh sieben Uhr bis Nachmittag fünf Uhr, widmet sich hier Alles mit Eifer und Ernst der Arbeit und besteht dasselbe Verhältniß zwischen Chef und Untergebenen wie hier in Deutschland, außerhalb der Arbeitszeit aber gestaltet sich der Kreis der Deutschen von Maracaibo zu einem echt deutsch-gemüthvollen und macht den Eindruck einer eng zusammenhaltenden Familie. Für die Entbehrung geistiger Genüsse, wie Theater, Musik etc., was alles Maracaibo kaum bietet, schaffen sie sich aus eigener Kraft anerkennenswerthen Ersatz. Seit Jahren schon besteht dort mit trefflichem Erfolge der bei Deutschen im Auslande fast nie fehlende Gesangverein, und oft in später Abendstunde, wenn Maracaibo schon längst in tiefem Schlafe liegt, tönen die herrlichsten deutschen Lieder in die stillen Straßen. Auch die Fahrten in einem großen eleganten Ruderboote, welche die Deutschen an den fast tageshellen Mondscheinabenden ausführen, würzt deutscher Sang, während die kühlende Brise, welche die glitzernde Wasserfläche des Lago leicht bewegt, den Körper stärkt und erfrischt. Uebrigens ist Maracaibo, obschon es zu den am heißesten gelegenen Städten der Erde gehört, doch im Ganzen gesund. Selbst in weitem Umkreise fehlen hier jene Sümpfe und Lachen, welche in verschiedenen Gegenden Venezuelas das Klima so ungesund machen. Den Mangel an Fluß- und Brunnenwasser ersetzen in allen besseren Häusern Cisternen, in denen das Regenwasser für den häuslichen Bedarf angesammelt wird; die weniger bemittelten Bewohner bedienen sich des Wassers aus dem See, welches nur nahe der Barra salzig ist. Vorkommende Fieberfälle, welche den anlangende Ausländer und besonders die nach Maracaibo in Geschäften reisenden Cordillerenbewohner treffen, sind wenig zu fürchten.

Der besuchteste Erholungspunkt ist der Club del Lago, rechts vom Zollhause; hart am See gelegen und von einem durch Cocospalmen beschatteten Garten umgeben, bietet er eine willkommene Badestelle und auch den Hafenplatz für das deutsche Ruderboot. Hier vereinigen sich während der Abende die Deutschen mit ihren venezolanischen Freunden zu heiterer Gesellschaft. Denn von den Eingeborenen werden die Deutschen hochgeschätzt und sind durch manche glückliche Ehe eng mit den eine liebenswürdige Gastfreundschaft übenden Venezolanern verbunden. Der Stadt schräg gegenüber liegen unter einem Cocoshaine die „Haticos“, Sommerfrischen der Maracaiberos, und hier haben auch die deutschen Kaufherren ihre luftigen Landhäuser, welche sie gern mit Blumengärten umgeben möchten, wenn der sandige Boden es gestattete. Eine große Zahl Badehäuser sind in den Lago gebaut und durch lange Brücken mit dem Lande verbunden. Besonders Sonntags herrscht hier ein heiteres Treiben. Schon vor Sonnenaufgang ertönt oft ein deutsches Lied als Morgengruß; die lieben heimathlichen Klänge wecken die noch schlummernden Familien, und bald öffnen sich Fenster und Thüren und füllen sich mit freudig überraschten Gesichtern. Eine heitere Morgenwanderung durch den Ort beginnt; die Familienmitglieder schließen sich den früh von der Stadt herübergekommenen jungen Deutschen an, und von Nachbar zu Nachbar ertönen von Neuem heitere Lieder. Sobald dann die Morgensonne die stolzen Kronen der Cocospalmen beleuchtet, erhöht sich der Verkehr im Orte. Auf leichtbeweglichen Goajiro-Pferden springen elegante Reiter herein, als Begleiter dunkeläugiger und graziöser Creolinnen, welche mit großer Geschicklichkeit ihre Pferde führen, spanisch und deutsch tönt es grüßend durcheinander; ein Plauderstündchen folgt, bis die Tropensonne schon ziemlich hoch gestiegen ist; dann wird es ruhiger unter den Palmen, aber lebhafter in den freundlichen, ganz dem Klima entsprechenden Räumen der Häuser; man versammelt sich zu heiterer Frühstücksrunde, nach welcher eine Siesta in der Hängematte folgt, und am späten Nachmittag belebt sich wiederum die Scene wie am Morgen. Zwischen der Stadt und den Haticos findet ein lebhafter Verkehr zu Wasser statt, welchen die zur Ueberfahrt etwa zehn bis fünfzehn Minuten gebrauchenden Boote vermitteln.

Interessant ist auch eine Tour in der entgegengesetzten Richtung, einige Stunden nördlich von der Stadt nach Santa Rosa und Capitan Chico, wo sich eine Reihe von Pfahlbauten der halbcivilisirten Goajiros befinden. Sobald deren Bewohner Leute zu Pferde am Ufer bemerken, kommen sie mit ihre langen, aus Baumstämmen gehauenen Booten von ihren über dem See gleichsam schwebenden Hütten herüber und führen die Besucher ihren Familien gegen ein Trinkgeld zu. Das Wasser ist hier seicht, sodaß die Goajiros die schwer beladenen Boote, indem sie hinter denselben hergehen, vorwärts schieben müssen. Die meisten Hütten sind mit Stegen verbunden. Sobald die Gäste mühsam an den mit stufenartigen Einschnitten versehenen Baumstämmen emporgeklettert sind, eilen die Nachbarn, Männer, Weiber und Kinder herbei, und der sehr saubere innere Raum der Hütte bietet bald ein höchst interessantes Bild. Wir nehmen auf den Matten kauernd Platz, und nun beginnt eine lebhafte Unterhaltung mit den jungen Indianerinnen, wobei es sich hauptsächlich um kleine Geschenke handelt. Diese spanischsprechenden Indianerfamilien kennen den Werth des Geldes schon mehr als genügend; auch haben sie sich nicht ganz ungemischt erhalten, wie manches Gesicht unter ihnen deutlich verräth. Pfahlbauten, ähnlich denjenigen auf unserem Bilde (Seite 405), giebt es viele an den Ufern des Sees; sie bilden oft ganze Ortschaften, die besonders bei dunkler Nacht einen höchst eigenthümlichen Anblick gewähren, wenn sich die erleuchteten Hütten in den Fluthen des Sees spiegeln.

Da Maracaibo, wie schon angedeutet, nur Stapelplatz für Aus- und Einfuhrartikel ist, so fühlen sich die Geschäftsleute oft veranlaßt, Reisen nach dem fruchtbaren Innern des Landes zu unternehmen. Die Provinzen Mérida, Trujillo und Tachira, wie auch die Gegend um Cucutá in Columbia, sind die Hauptlieferungs- und Absatzfelder für den Markt in Maracaibo. Der unter den Namen Maracaibo bekannte vorzügliche Kaffee stammt aus jenen Gebirgsregionen südlich und südöstlich vom See. Unsere junge Landsleute werden daher öfter von ihren Chefs nach [407] dem Innern gesandt, um ihre Handelsverbindungen aufzusuchen, neue anzuknüpfen und ausbleibende Zahlungen einzuziehen.

Vom südlichen Ufer des Sees aus führen drei Hauptwege durch die Zulia-Ebene nach dem innern Hochlande. Der Rio Catatumbo, als längster Wasserweg, verbindet die Gegenden um Cucutá mit dem See; einen zweiten, Landweg, betritt man in San Carlos am Rio Escalante, und für den dritten Weg, welcher nach den Provinzen Trujillo und Mérida führt, sind die beiden Hafenplätze Moporo und La Ceiba die Ausgangspunkte.

Kleine Segelschiffe vermitteln die Verbindung zwischen diesen Punkten und Maracaibo; sie erreichen gewöhnlich in vierundzwanzig Stunden ihren Bestimmungsort. Die Schiffe werden von farbigen Eingeborenen geführt, welche mit dem Fahrwasser und auch mit den Launen des Sees sehr vertraut sind. Die oft über den See plötzlich dahinsausenden Chubáscos (schwere mit Regen begleitete Winde) arten zuweilen in gefahrdrohende Stürme aus; sobald dies der Patron des Schiffes erkennt, sucht er schnell eine schützende Bucht zu erreichen und läßt dann unbesorgt das Unwetter über sich dahinbrausen. Uebrigens sind dort auch Wasserhosen keine Seltenheit. Ungeheuere Massen von Mosquitos schweben zuweilen wolkenartig über den See dahin; diese sammeln sich in den ausgedehnten Sümpfen und Wäldern des Zulia und werden dann durch Westwinde hinaus auf den See getrieben.

Nach kurzer Fahrt bis Punta Icotea, bis wohin die beiden Ufer noch eng zusammentreten, gelangen wir plötzlich hinaus auf die weite, meerähnliche Fläche des Sees. Inzwischen hat sich der Tag mit einem prachtvollen Sonnenuntergang verabschiedet und dunkle Nacht umgiebt uns. Da fesselt ein wunderbares Naturschauspiel unsere Blicke: im Süden, über der mit unermeßlichem Urwald bedeckten Zulia-Ebene spielt ein unaufhörliches, furchtbar schönes Wetterleuchten; riesige Feuergarben schießen nach allen Richtungen; ein sich immer wiederholendes Aufzucken leuchtender Strahlen wechselt ab mit momentan vollkommener Dunkelheit, und schreckenerregender Donner dröhnt, Unwetter verkündend, zu uns herüber. Diese sich jede Nacht wiederholenden elektrischen Naturspiele über der sumpf- und wasserreichen Waldregion des Rio Catatumbo erblickt man schon vom Golf von Maracaibo aus, und die Schiffer nennen sie bezeichnend los fuegos del Catatumbo, die Feuer des Catatumbo.

Je mehr wir uns beim Anbruche des Tages dem eine Menge Buchten bildenden südlichen Ufer nähern, desto malerischer tritt uns dasselbe entgegen; an den meisten Stellen bildet mauerartig dichter Urwald einen Pflanzensaum, dessen Artenreichthum und Pracht aller Beschreibung spottet. In den Fluthen des Sees spiegeln sich die majestätischen Urwaldriesen und Palmenkronen. Wir haben während der Fahrt nur wenige Arten von Wasservögeln, Möven, Pelekane, Seeschwalben, und hoch in den Lüften schwebend zuweilen einen Fregattvogel gesehen, und bei Bajo seco hat ein riesiger Kaiman unser Interesse erregt, hier aber tritt uns ein reiches Thierleben entgegen. Schaaren von Papageien, unter denen sich die großen rothen Aras durch ihr Schreien auszeichnen, fliegen über den Wald; aus der Ferne tönt das dumpfe Geheul der Brüllaffen, und die sumpfigen Uferstellen sind belebt von unzähligen Wasser- und Sumpfvögeln. Kaimans treiben in den Buchten ihr Wesen, und auch der Manati ist ein Bewohner dieser Gegend. Aber welch einen Reichthum an Thieren birgt erst das Innere des Waldes, obschon er in den heißen Mittagsstunden wie ausgestorben erscheint! Ueber diesem Waldmeer, in duftiger Ferne, erhebt sich die Cordillera, mit ihren rauhen Paramos (Hochgebirgseinöden) und den schneebedeckten Gipfeln von Mérida einen großartig schönen Hintergrund bildend. Leider gehört diese Waldregion des Zuliatieflandes zu den ungesundesten Venezuelas.

Die schon angedeuteten, vom Ufer durch den Wald nach dem Innern führenden Wege sind keine Kunststraßen. Man hat zunächst Pfade gehauen, welche nach und nach durch den vielen Verkehr der Last- und Reitthiere das Ansehen von Straßen erhielten. Nach und nach ließen sich an diesen Straßenzügen Menschen nieder; Lichtungen entstanden, und so findet man auf seinem mühsamen Ritte cultivirte Strecken, auf denen Mais, Zuckerrohr, Manioc, Bananen etc. in üppigster Fülle gebaut werden. Unser Bild (Seite 397) stellt eine solche Lichtung dar, durch welche der Weg führt. An den Seiten stehen Hütten, welche zugleich Schenken (Pulperias) sind, in denen der Reisende als Erfrischung das einheimische Getränk Guarapo, Zuckerrohrsaft, zu sich nimmt. Wir reiten nun wieder meilenweit durch den engen, von Baumriesen und Palmenkronen beschatteten Pfad, aber wehe, wenn dies während der Regenzeit geschehen muß! Dann sinken die Lastthiere bis an den Hals in den Schlamm, und nur mit größter Anstrengung vermögen sie sich durch die mit Blätter und herabgestürzten Aesten gefüllten Lachen zu arbeiten. Einen trockenen Durchgang suchend, klemmen sie sich oft mit ihren Ladungen zwischen Baumstämmen und Lianengeflechte. Umgestürzte Bäume hemmen zuweilen das Vorwärtsschreiten, sodaß man genöthigt ist, sich einen Seitenpfad zu bahnen. Zahlreiche Maulthiertrupps, mit Kaffee und anderen Waaren beladen, arbeiten sich mühsam durch Schlamm und Gestrüpp, und die halbnackten, mit Schmutz bedeckten Treiber vollführen ein weit in den Wald hinein schallendes Geschrei, um ihre Thiere vorwärts zu bringen. Da entdecken wir auf den Gepäckstücken deutsche Namen, und weiterhin begegnen wir auch einigen jungen Landsleuten, welche von ihrer Rundtour aus dem Innern nach Maracaibo zurückkehren. Sie sehen aus wie wir: ihre Kleidung ist vom emporgespritzten Schlamm überzogen. Von ihren Kunden in der Cordillera werden sie Kometen genannt, weil sie plötzlich erscheinen und dann wieder verschwinden, um gelegentlich ihren Besuch zu wiederholen.

Ich kann es mir nicht versagen, am Schlusse dieser Erinnerungen des reizenden Abschiedes zu gedenken, den ich von Maracaibo nehmen durfte und der am besten die Menschen charakterisirt, welche mir, dem deutschen Reisenden, eine so überaus gastfreundliche Herzlichkeit entgegengebracht hatten. Ich hatte mich mit zwei ebenfalls durchreisenden Landsleuten schon am Lande verabschiedet, und wir standen nun wehmüthig und schweigsam am Bord des kleinen noch an der Landungsbrücke liegenden Schiffes. Durch einen unvorhergesehenen Zwischenfall verzögerte sich das für den Nachmittag festgesetzte Auslaufen des Fahrzeugs bis zur vollständigen Dunkelheit. Gedankenvoll blickten wir nach den hellerleuchteten Häusern hinüber und achteten nicht auf die nahenden Ruderschläge, bis endlich eine dunkle Masse, welche sich unserm Schiffe bereits bis auf kurze Entfernung genähert hatte, als großes Boot erkennbar wurde. Da mit einem Male ertönte ein herrliches deutsches Abschiedslied zu uns herüber, und bald lag das Boot der deutschen Sänger, auch mit den wenigen in Maracaibo lebenden deutschen Frauen am Bord, an der Langseite unseres Schiffes. Während wir uns nochmals die Hände drückten, stiegen von einem auf der Rhede liegenden deutschen Schiffe Leuchtkugeln wie buntfarbige Sterne empor. Jetzt trennte sich das Boot von uns und wieder erklangen die kräftigen Männerstimmen. Ein leichter Wind schwellte die inzwischen gehobenen Segel unseres Schiffes; weiter und weiter wurde die Entfernung von unseren Landsleuten, bis bald der heimathliche Sang verhallte und die letzten Lichter da drüben am Lande nur matt den liebgewonnene Ort bezeichneten. Endlich war alles dunkel; und noch einmal riefen wir den Zurückbleibenden mit kräftigen Stimmen über die Wellen ein herzliches Lebewohl zu.