Am schwäbischen Meere und im Schlosse des Exkaisers

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Autor: Otto von Corvin
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Titel: Am schwäbischen Meere und im Schlosse des Exkaisers
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 601–603
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Am schwäbischen Meere und im Schlosse des Exkaisers.

Sobald ich den ersten Sperling mit einem Strohhalm im Schnabel erblicke, packe ich meine sieben Sachen zusammen und fahre schnurstracks nach dem Bodensee. Es ist reizend, acht oder vierzehn Tage an den Ufern des Vierwaldstädter Sees zuzubringen; allein es wäre mir unmöglich, dort einige Monate mit Vergnügen zu leben. Die düstern Bergriesen sind zu nahe; man fühlt sich beengt, unfrei, wie in Gropius’ Diorama eingesperrt, und vollends bei Regenwetter ist es zum Todtschießen. Ich lobe mir für einen Sommeraufenthalt in der Schweiz den Bodensee. Mein Geschmack ist kein vereinzelter; ja, sehr reiche und unabhängige Leute, die unter den schönsten Flecken der Erde wählen können, haben sich meinen speciellen Lieblingsort am See zu ihrer Sommer-Residenz ausersehen.

Nicht sehr weit von dem östlichen Ende des Ortes Rorschach hat der verflossene Herzog von Parma eine schloßartige Villa, Schloß Wartegg. Am westlichen Ende befindet sich das stattliche Schweizerhaus der verwittweten Königin von Würtemberg in einem geschmackvoll angelegten Garten, und da, wo sich das Rheinthal öffnet, hat der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen die Weinburg, welche er alljährlich zur Weinlese mit seiner Familie besucht. Kaiser, Könige und Fürsten sind hier keine Seltenheit; im Gegentheil, sie kommen recht häufig hierher zum Besuch und sind wahrscheinlich herzlich froh, einmal für einige Stunden von dem Kaiser- und Königsapparat befreit und freie Menschen unter freien Menschen zu sein. Sie wandeln hier umher wie andre Leute, und die Bürger der Schweiz finden das so natürlich, daß sie zum Entsetzen wedelnder Kammerseelen nicht einmal ihre Mützen schwenken und Hurrah schreien.

In Wartegg huschen aus und ein die Schatten der Bourbonen und bilden eine Welt für sich. Sie hoffen und harren – der Himmel weiß worauf, und die schwarzen Gestalten, die geheimnißvoll aus- und einschleichen, wissen es vielleicht auch. Es ist da ein ewiges Hin- und Herreisen, und alle Wochen ein paar Mal sieht man am Bahnhof zwischen den andern Leuten den jungen Herzog, den man für einen noch nicht flüggen Candidaten der Theologie halten könnte, oder die Herzogin mit ihrer Schwester stehen, welche letztere einen permanenten Rococo-Pudel unter dem Arm hält. Auch der Schatten des Königs von Neapel spukt hier zuweilen. Die bourbonische Familie, welche hier die Sünden ihrer Väter abbüßt, lebt einfach und verständig bürgerlich und thut manches Gute, was man von ihren Vorfahren nicht eben rühmen konnte, und da sie streng katholisch ist, so wird sie von den vielen Katholiken der Gegend sehr gern gesehen und von den Protestanten auch, denen sie in nichts im Wege ist.

Vor Kurzem erschien auf dem See, von Friedrichshafen kommend, ein auffallend bewimpeltes und bekränztes Dampfschiff und die am Landungsplatz haltenden Hofequipagen mit der würtembergischen Livree ließen vermuthen, daß irgend welche hohen Gäste in der Villa der Königin erwartet würden: Es mußte ein außerordentlich hoher Besuch sein, denn einige Stunden vorher war ein leichter, mit zwei wunderschönen Schimmeln bespannter Wagen über den See geschickt worden und Kutscher und Jockey waren in vollem Staatswichs.

So war es denn auch. Der Kaiser und die Kaiserin von Rußland machten der Königin von Würtemberg eine Visite. Das festlich geschmückte Schiff und die schönen Pferde hatten etwa hundert Leute in Hemdsärmeln und zufällige Spaziergänger angelockt. Das Schiff landete im Hafen und die Brücke wurde wie gewöhnlich gelegt. Auf dem mit Kränzen gezierten Verdeck, auf welchem schöne Fauteuils standen, sah man eine Anzahl Herren und Damen. Sie waren gekleidet wie andere Leute und ihre Gesichter waren auch wie die anderer Menschen, wenn auch mitunter etwas diplomatisch verkniffen. Von dem Stempel der Hoheit, welcher nach der Hoftradition dem Antlitz der Majestäten aufgedrückt sein soll, erblickten die hemdärmligen Republikaner nichts. Man kann’s den Leuten eben nicht an der Nase, ansehen, was sie sind; den Kaisern und Königen ebenso wenig wie den Leuten von Talent. Hielt ich doch selbst, der ich mir auf meine physiognomischen Kenntnisse etwas zu gut thue, einen sehr unschuldig aussehenden Hofmarschall sogar für den Fürsten Gortschakoff!

Nicht einmal ein Teppich war über die Brücke und auf den Weg bis zu dem Wagen gelegt, und eine Hoheit stolperte. Dem heftig katzenbuckelnden Hofmarschall mit der Diplomaten-Physiognomie folgten die allerhöchsten Herrschaften, deren Gesichter ich von früher her oder nach den überall ausgestellten Portraits nun erkannte, denn Alle gingen dicht an mir vorüber. Da war der Kaiser und die Kaiserin von Rußland, der König und die Königin von Würtemberg, der Großherzog und die Großherzogin von Weimar, noch eine russische Großfürstin und verschiedene Kleinfürsten, die ich nicht kannte.

Die Hemdärmler starrten sie an und zogen nicht einmal die Kappen. Warum sollten sie auch? Wenn sie nach Petersburg kamen, zog auch vor ihnen Niemand den Hut. Was gingen sie die Fürstlichkeiten an? Warum sollten sie eine besondere Ehrfurcht heucheln, die sie nicht fühlten? Für sie waren die hohen Herrschaften Fremde wie Andere. Eine Unhöflichkeit war nicht beabsichtigt, also auch nicht begangen. Republikaner fühlen eben anders, als kaiserliche oder königliche oder sonstige Unterthanen. Der Schweizer Bauer fühlt sich ein Stück König in seinem schönen Lande. Während die Fürstlichkeiten zur Königin fuhren, gingen, die Herren und Damen des Hofes in einen Wirthsgarten am See, aber Fürst Gortschakoff und ein anderer Herr, die heftigen Durst hatten, in die nächste Bierkneipe, wo sie ihr Seidel tranken, wie Rorschacher. Ein naiver Schweizer Kellner hielt die Herren für Lakaien, weil er den einen den andern Excellenz tituliren hörte. O sancta simplicitas!

Dieser republikanische Unabhängigkeitssinn gefällt mir und schon deshalb ziehe ich das Schweizer Ufer des Bodensees dem andern vor; es ist aber wahrlich nicht der einzige Grund, weshalb ich mir Rorschach zu meinem Lieblings-Sommer-Aufenthalt erkoren habe.

Rorschach ist eins der Hauptthore, durch welche deutsche Sommerpilger in die Schweiz treten. Die Fahrt von dem würtembergischen Friedrichshafen über den See nach Rorschach ist entzückend schön, wenn man nämlich schönes Wetter hat, denn bei Regen oder Sturm wird die starke Stunde, welche man zur Fahrt braucht, etwas lang. Der herrliche See, der bei schönem Wetter einem großen Spiegel gleicht, sieht dann dunkelgrün, ja fast schwarz aus und die Wellen gehen so hoch, daß viele Personen seekrank [602] werden. Manche Schiffe sind schon darauf zu Grunde gegangen, und erst vor Kurzem versank ein Steinschiff dicht am Hafen, wie es ja auch einst dem Dampfer Ludwig begegnete, der durch Herrn Bauer wieder gehoben wurde. Auch das Steinschiff sammt seiner Ladung wurde gehoben und das ging – Dank den damals gemachten Erfahrungen – sehr schnell und mit geringen Kosten von Statten.

Bei hellem Himmel ist die Aussicht vom Schiffe entzückend. Links über das österreichische Bregenz hinaus, sich in einem Bogen nach rechts hinziehend, sieht man die schneebedeckten Gipfel der Alpen von Vorarlberg und Tirol. Gerade vor uns erhebt sich über einem breiten smaragdgrünen Uferstreifen der wundervoll gestaltete, gegen achttausend Fuß hohe Säntis mit seinen Rebenbergen, deren schneebedeckte Gipfel und Seitenflächen besonders schön gegen den blauen Himmel und das frische Grün unterhalb abstechen.

Je mehr man sich dem Schweizer Ufer nähert, desto breiter wird der Ufergürtel, der die Gestalt eines sich eine kleine Meile hinziehenden, mäßig steil und terrassenartig aufsteigenden Berges annimmt, hinter dem allmählich die eisgrauen Bergriesen verschwinden. Es ist dies der Rorschacher Berg. Von Weitem sieht er unbedeutend aus, trotzdem daß er sich mehr als zweitausend Fuß über den Spiegel des Sees erhebt; allein je näher man dem Ufer und dem sich daran hinziehenden Rorschach kommt, desto herrlicher entfalten sich seine mannigfaltigen Schönheiten, von denen man jedoch von der Ferne nur einen sehr unvollkommenen Begriff erhält. Ich durchstreife den breiten Abhang nun schon im vierten Jahre; allein täglich bietet mir derselbe noch neue Ueberraschungen.

Der Berg ist bis auf den äußersten Kamm hinauf bebaut. Er ist ein großer natürlicher Park, so schön, wie ihn die Hand keines Landschaftsgärtners anzulegen vermöchte. Herrliche Wiesen, im untern Theil mit riesigen Obstbäumen besetzt, wechseln dort mit Weinbergen und höher hinauf mit prächtigen frischen Wäldern. Ueberall trifft man, oft gänzlich im Grün versteckt, Sennhütten, Gehöfte, Dörfer und Schlösser. Felsenbäche, die von der Höhe herab dem See zufließen, bilden häufig tiefe, schauerliche Schluchten, hier Tobel genannt, deren Ränder bewaldet sind und reizende Thäler bilden. Ueberall, wo man nur geht, murmeln zwischen Felsen oder im Grün versteckt krystallhelle Quellen, oder sprudeln aus eisernen Röhren. Eine Menge Wege laufen übereinander, parallel, den ungeheuren Abhang entlang, und von jedem dieser Wege hat man eine herrliche Aussicht über den See links nach Arbon, Romanshorn und Constanz und rechts über Lindau, Bregenz und das Rheinthal mit seinen Bergen.

Ersteigt man den höchsten Kamm des Berges, so hat man von Roßbühl eine überaus herrliche Aussicht auf die zum Theil zu Appenzell gehörigen schönen Hügel, die mit grünen Sammetteppichen belegt scheinen, auf denen nette Schweizergehöfte stehen und über dieselben hinaus und so nahe, daß man alle Details erkennen kann, ragen links die Tirolerberge und gerade vor uns die Säntis-Gruppe. Wohin man immer gehen mag, findet man sich reichlich für seine Mühe belohnt. Der See selbst bietet in jedem Augenblick ein wechselndes, herrliches Schauspiel. Ich habe keine Wasserfläche gesehen, welche so häufig ihre Farben veränderte. Manchmal ist er ultramarinblau, zu anderen Zeiten ganz grün, oder violet mit Streifen von allerglänzendsten Smaragdgrün, wie sie kein Maler zu malen wagen würde.

Nicht besonders hoch über dem Orte Rorschach liegt das uralte Schloß Rorschach (Roschach schreiben übrigens alle Chroniken), jetzt St. Annaschloß genannt, welches man in einer kleinen halben Stunde erreicht. Hier hausten einst die Herren von Roschach, die ein angesehenes Geschlecht waren und die in der Geschichte ihres Landes eine bedeutende Rolle spielten. Jetzt ist das Schloß Eigenthum eines vielgereisten Steinmetzen, eines tüchtigen Landwirthes, der eben im Begriff ist, allerlei Bauten vorzunehmen, um es zu einem noch beliebteren Vergnügungsorte zu machen, als es jetzt bereits ist. Sitzt man bei trefflichem Wein an einem der Burgfenster, so kann man wohl viele Meilen in der Runde keinen herrlicheren Platz finden.

Es ließe sich viel von all den merkwürdigen und schönen Orten in nächster Nachbarschaft von Rorschach sagen, doch ich will nicht zu weitläufig werden und nur bemerken, daß der gute Fußgänger und der schlechte überall die herrlichsten Spaziergänge ganz nach seinem Geschmack finden wird.

So führt uns nach Ragaz die Eisenbahn in etwa zwei Stunden. Eine herrlichere Partie kann es gar nicht geben und vollends der Weg von Ragaz nach der Quelle von Pfäffers ist das Schönste, was ich im Leben gesehen habe. – Von Bregenz, Lindau und Friedrichshafen will ich ebenfalls nicht reden, sondern nur länger bei einem Ausfluge verweilen, den ich erst kürzlich nach Arenenberg machte, in welchem augenblicklich der Kaiser Napoleon der Dritte erwartet wird.

Arenenberg, das Landhaus des Kaisers Napoleon des Dritten, in welchem er viele Jahre seiner Jugend verlebte, liegt am Untersee, im schweizerischen Canton Thurgau, nicht weit von dem großen Marktflecken Ermatingen.

Da ich am Abend wieder in Rorschach sein wollte, so fuhr ich nicht mit dem Dampfschiffe, sondern mit der Eisenbahn nach Constanz, welche erst seit einigen Wochen eröffnet ist. Die angenehme Fahrt entlang den See dauert – wegen der vielen Stationen – gut anderthalb Stunden. Wir kamen vor zehn Uhr in Constanz an und hatten noch Zeit, das Concilhaus anzusehen, in welchem uns manche Alterthümer sehr interessirten, besonders eine Nachbildung des Gefängnisses von Johann Huß mit der Originalthür und eine Menge anderer merkwürdiger Dinge.

Das um elf Uhr nach Schaffhausen gehende Dampfschiff war ziemlich besetzt, und unter den Passagieren waren eine Anzahl, die ebenfalls Arenenberg besuchen wollten und zu diesem Ende in Ermatingen ausstiegen, welches kaum zehn Minuten davon entfernt ist. Ein liebenswürdiger Schweizer Major, der in Ermatingen wohnt und den wir auf dem Dampfschiffe trafen, sagte uns, daß wegen der in Arenenberg zum Empfang des Exkaisers getroffenen Vorbereitungen die Zimmer des Schlosses nicht gezeigt würden, daß man aber doch zu unsern Gunsten eine Ausnahme machen werde, wenn wir uns nur auf ihn, den Major, beziehen wollten. Nach etwa zehn Minuten erreichten wir den Park von Arenenberg. Dieser Park ist nicht von großer Ausdehnung, aber sehr geschmackvoll auf einem Hügel und dessen Abhang angelegt. Die Wege sind sehr gut unterhalten und dasselbe ist der Fall mit großen Blumenbeeten, die mit schönen blühenden Pflanzen, namentlich mit vielen Hortensien besetzt sind. Links von der auf dem Ende des Hügels erbauten Villa ist ein Rasenplatz mit einem von Blumen umgebenen Bassin in der Mitte. Diese Villa ist ein ganz einfaches, dreistöckiges Haus, umgeben von schattigen Bäumen. Dicht bei dem Hause ist eine hübsche Capelle erbaut, zu deren Eingang einige Stufen hinaufführen. Das Ganze hat keineswegs ein kaiserliches Gepräge; die ganze Besitzung könnte ebenso gut einem mäßig reichen Privatmanne gehören, und dicht bei Ermatingen liegen andere Villen – zum Beispiel Schloß Hardt, welche bei Weitem stattlicher aussehen. Nirgends in Arenenberg sieht man Embleme, welche auf eine fürstliche Besitzung schließen lassen; man entdeckt weder Wappen noch gekrönte Namenszüge und dergleichen.

Leider hatte sich eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft eingefunden und ich vermuthete gleich, daß diese Menge der Besucher es erschweren würde, alle Zimmer der Villa zu sehen. Eine alte Frau, welche auf dem Rasen drei Gänse hütete, sagte uns, daß die mit der Aufsicht betraute Person bei Tische sei. Sie wolle derselben unsern Wunsch, das Haus zu sehen, mittheilen und, wenn wir ein wenig warten wollten, uns Nachricht geben. Während wir warteten, kamen noch einige Wagen mit Besuchern von St. Gallen, welche in dem links vom Eingange befindlichen Oekonomiehofe hielten. Rings um diesen mäßig großen Hof liegen sehr gut gebaute Ställe und Remisen und dahinter einige kleine Wirthschaftsgebäude.

Ein kleiner Franzose und ein Schweizer Gehülfe, der ein N an seiner schmutzigen Mütze trug, führten uns in den Stall, in welchem sich sechs Pferde des Exkaisers befanden. Der kleine Franzose, der ungewöhnlich vernünftig und bescheiden war, hatte dem Kaiser im letzten Kriege als Kutscher gedient und war mit ihm bei Saarbrücken und Sedan und später in Wilhelmshöhe gewesen. Er hatte die Pferde und sechs Wagen von Sedan nach Bouillon und von dort nach Wilhelmshöhe und endlich nach Arenenberg gebracht. Der kleine Kutscher machte uns auf einen schönen Vollblutfuchs, Heros, aufmerksam, welcher auf dem rechten Flügel stand. Dies war das Lieblingspferd des Kaisers, der bei Pferden die Fuchsfarbe vorzieht, und hat fünfzehntausend Franken gekostet. Es ist ein starkes schönes Pferd, und ich bedauerte, es nur im [603] Stand zu sehen. Der Kaiser ist häufig auf demselben abgebildet. Es verursachte ein allgemeines Lächeln, als der Kutscher uns mit wichtiger Miene sagte, daß Napoleon dies Pferd bei – Saarbrücken geritten habe. Der daneben stehende kleinere Vollblutbraune, Phébus, war von ihm bei Sedan geritten worden. Es ist dies ein wunderschönes Thier mit prächtigem, feinem Kopf und großen, klugen Augen, wenn auch nicht so kräftig und werthvoll wie Heros. Wagenpferde waren noch nicht angekommen.

Wir wurden auch in die Remise geführt, wo sechs Wagen des Kaisers standen, und auch hier machte uns der Kutscher auf den einen leichten Wagen aufmerksam, mit welchem Napoleon mit Prinz Ney gefahren war, um den deutschen Kaiser – so nannte ihn der Kutscher – zu treffen. Einige nicht eben delicate Fragen anwesender Schweizer beantwortete der Kutscher bescheiden und mit vielsagendem Achselzucken.

Unterdessen war auch die Frau erschienen, welche uns das Haus zeigen sollte. Es ist dies, wie gesagt, ein ganz einfaches, dreistöckiges Haus ohne irgendwelchen architektonischen Schmuck. Gleich von ebener Erde tritt man aus dem Garten in den Vorplatz, an dessen hinterer Wand eine Wendeltreppe in den obern Stock führt. In diesem Vorplatz stehen rechts und links sehr einfache magere Waffentrophäen, gebildet aus mittelalterlichen Waffen. Rechts steht ein Tisch an der Wand und auf diesem ein polirtes Kästchen zur Aufnahme von Briefen. An den Wänden hängen die Portraits von sechs Paschas, welche Napoleon der Erste in Aegypten unterwarf.

Wir traten zuerst in das links gelegene Zimmer, welches zeltartig eingerichtet ist, womit auch die weiß und blau gestreifte Tapete harmonirt. Die Einrichtung ist ganz einfach. Die Ueberzüge der Möbel sind gewöhnlicher Wollendamast, wie auch die Vorhänge. Das Interessanteste in allen Zimmern sind die Gemälde, theils Familienportraits. Ueber dem Sopha hängt ein Portrait des schon 1807 gestorbenen älteren Bruder des Exkaisers, Napoleon Charles als Kind mit einem großen türkischen Säbel umgehängt. Ein sehr schönes Bild. An einer Seitenwand sehen wir Napoleon den Dritten als jungen Mann, in Civilkleidung, in einer wilden Schneelandschaft, sein Pferd am Zügel führend. Ferner ein Portrait der Königin Hortense, seiner Mutter, und eines von Napoleon dem Ersten als General, mit der Fahne in der Hand bei Arcole.

Das elegante Zimmer im untern Stock ist ein kleiner Salon oder Bibliothekzimmer; wenigstens steht darin ein mäßig großer Bücherschrank, dessen Inhalt ich nicht Zeit hatte zu untersuchen. An einem Ende dieses Zimmers waren zwei größere Spiegel angebracht und vor dem Sopha ein Tisch mit Schreibmaterial. Auf einem Seitentisch standen ein Erd- und ein Himmelsglobus, auf einem Nebentische allerlei ägyptische Kleinigkeiten. Die Tapete des Bibliothekzimmers ist roth, die Vorhänge und Möbel von höchst einfachem gelben Wollenstoff. Ueber dem Sopha hängt ein sehr schönes, lebensgroßes Portrait der Kaiserin Josephine im Krönungsschmuck, und an den Wänden sind andere Familienportraits, wie der König von Holland, Joseph Bonaparte, Murat, Beauharnais, die beiden Söhne der Königin Hortense als Kinder, die schöne Fürstin Borghese, allein nirgends sieht man weder ein Portrait von Jérôme, noch von Plon-Plon, seinem Sohne.

An die Bibliothek stößt ein Billardzimmer, dessen Wände mit großen Aquarellen geschmückt sind, meist Ansichten von verschiedenen Städten. Das Speisezimmer, welches wieder ein blau und weißes Zelt darstellt, ist ganz einfach. Buffets stehen in den Ecken und ein runder Tisch in der Mitte. An den Wänden hängen bekannte Kupferstiche aus der Geschichte Napoleon’s des Ersten, wie der Abschied in Fontainebleau etc.

Im untern Stock befindet sich auch noch eine Art von Gartenzimmer, fast ohne Möbel, vermuthlich ein Rauchzimmer. Die ganze Einrichtung ist auffallend einfach bürgerlich und nirgends sieht man kostbare Vasen oder dergleichen und nicht einmal eine Pendule. In einem der Zimmer steht ein Piano.

Ich bedauerte sehr, daß wir die Zimmer im obern Stock nicht sehen durften, allein es war dies ausdrücklich untersagt worden. Was mich wundert, ist, daß der Zugang zu denselben nur eine einzige schmale Wendeltreppe ist. In diesem obern Stock soll sich ein ganz hübscher Salon befinden. Das kleine Theater, welches sonst dort war, ist beseitigt und die Zimmer sind anders eingerichtet, obwohl meist mit den alten einfachen Möbeln, die sich noch aus den Zeiten der Königin Hortense vorfanden. Nur das Zimmer, in welchem die Königin gestorben, ist ganz unverändert geblieben. Es enthält übrigens nichts Merkwürdiges, als die Harfe der Königin, zwei Commoden, welche Marie Antoinette gehörten, einige Portraits und einen Lorbeerkranz, den die Königin für ihren Sarg eben vollendet hatte, als sie starb. Als der Kaiser, ich glaube 1865, Arenenberg besuchte, schloß er sich eine halbe Stunde lang in diesem Zimmer ein und man sah, daß er geweint hatte.

Vor dem Hause, am Rande des Berges, steht ein Kastanienbaum, von einer Bank umgeben. Unter diesem Baume saß Prinz Napoleon häufig mit Persigny und anderen Vertrauten, und hier wurden die Schritte beraten, welche den Kaisertraum des Prinzen verwirklichen sollten. Von diesem Punkte aus hat man eine sehr schöne Aussicht auf den Untersee und links auf den nahen Landungsplatz der Dampfschiffe. In der Ferne sieht man die Gebirge Schwabens.

Die Capelle ist sehr einfach. Der durch eine offene Flügelthür abschließende, in einer Art von Nische befindliche Altar ist ziemlich schmucklos, Rechts und links hängen zwei Gemälde, ein Christus und eine Maria mit dem Kinde, gemalt 1857 von Türcher in Zug. Nahe der Thür stehen Schränke, wahrscheinlich zum Aufbewahren der Meßgewänder, auf deren Thüren man ein lateinisches H mit der Krone darüber steht. In der Capelle stehen etwa zwanzig Betstühle. Der interessanteste Gegenstand in dieser kleinen Capelle ist das an der rechten Seite stehende sehr schöne Denkmal den Königin Hortense, auf dessen Sockel steht. „A la reine Hortense son fils Napoléon III. Das Denkmal, vom Florentiner Bartolini in dem feinsten Marmor ausgeführt, ist wunderschön und von ergreifender Wirkung. Es stellt die Königin Hortense in einfachem Büßergewande knieend dar und versunken im Gebet. Der Ausdruck des Gesichts wie die ganze Haltung der Figur sind unübertrefflich schön. Damit man erkennt, daß die büßende Sünderin eine Königin ist, sieht man auf ihrer Stirn ein goldenes Diadem. Auf der Rückseite des Piedestals ist folgende eigenthümliche Inschrift eingegraben: „Fortuna. Infortuna. Fortuna.“

An die Kaiserperiode Napoleon’s des Dritten und an die Kaiserin Eugénie erinnert gar nichts in Arenenberg. Nur in der Wagenremise bemerkte ich, daß die gefühlvollen Stallleute unter jedem Wagen aus weißem und gelbem Sand abwechselnd ein gekröntes N und E gestreut hatten.

Will der Exkaiser hier sein Leben beenden, so wird ihn Niemand in diesem löblichen Vorsatze stören, und ein anderer Bartolini kann ihn seiner Mutter gegenüber als Büßer darstellen. Er mag dem Himmel danken, daß er einem großmüthigeren Feinde in die Hände gefallen ist, als es das harte Loos seines großen Oheims war. Möge er vor der Versuchung bewahrt werden, diesem nochmals nachahmen zu wollen! Arenenberg ist weit hübscher als Longwood!
Corvin.