Amalie

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Textdaten
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Autor: Hermann Löns
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Titel: Amalie
Untertitel:
aus: Der zweckmäßige Meyer. Ein schnurriges Buch, S. 145–144
Herausgeber:
Auflage: 1.–4. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Sponholtz
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Erscheinungsort: Hannover
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Quelle: Google-USA* = Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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[145] Amalie.

Den Sommer über kümmern wir uns nicht um sie; es sind dann so viele ihresgleichen da, so viele, daß wir froh wären, wenn sie nicht da wären.

Zieht aber der Spätherbst über das Land, brennt die Lampe schon früh am Abend, bullert der Ofen und pfeift draußen der Wind, so heißt es auf einmal bei uns: „Sieh da, da ist ja Amalie wieder!“

Alles freut sich dann. Jeder beobachtete sie, jeder findet bekannte oder neue Züge bei ihr. Im vorigen Winter war sie viel scheuer und wurde erst nach und nach zutraulich; in diesem Jahr ist sie beinahe zudringlich.

Kaum daß wir uns zum Essen hinsetzen, so ist sie auch schon da. Das heißt, zum ersten Frühstück erscheint sie fast niemals, höchstens Sonntags, weil wir dann nicht eher aufstehen, als bis das Eßzimmer hübsch warm ist. Sonntags frühstückt Amalie immer mit uns.

Alltags niemals. Es ist ihr dann noch zu kalt im Zimmer und so schläft sie bis zum zweiten Frühstück, manchmal sogar bis zum Mittagbrot. Dann aber ist sie stets da. Sie kommt ungebeten. Wenn von der Küche her die Stimme aus dem Sprachrohr schallt: „Zum Essen heran, zum Essen!“ sofort ist Amalie da. Und ebenso pünktlich stellt sie sich zum Kaffee und zum Abendbrot ein.

Sie gehört förmlich zur Familie, unsere Amalie. Wir haben uns so sehr an sie gewöhnt, daß wir nicht früher mit dem Essen beginnen, bis daß sie da ist. Es kommt ab und [146] zu vor, daß sie sich bei der Toilette verspätet, aber sobald die Suppe gegen die Stubendecke dampft, ist Amalie auch da und dann heißt es um den Tisch herum: „Wohl bekomm’s, Amalie!“

Obgleich man nicht sagen kann, daß Amalie sehr wählerisch ist, gibt es doch manche Speisen, die sie nicht mag. Gegen Gewürze ist sie sehr empfindlich; sie nimmt weder Pfeffer noch Salz, und Essig sowie Senf sind ihr greulich. Zucker dagegen liebt sie sehr und in jeder Form. Alkoholika verschmäht sie ebenfalls nicht, besonders dann nicht, wenn sie recht süß sind, wie Glühwein, Punsch und Sekt. Aber auch am Biere nippt sie, doch sehr vorsichtig, und noch niemals holte sie sich einen Schwips. Ein bißchen aufgekratzt wird sie allerdings immer hinterher.

Mittags, wenn die Sonne recht warm scheint, sitzt sie mit Vorliebe am Fenster und sieht hinaus, sehr zum Verdrusse unseres Zeisigs, der sie nicht ausstehen kann, und mörderlich schimpft, so lange sie in seiner Nähe ist. Sie aber macht sich gar nichts daraus und ärgert ihn dadurch, daß sie ihm immer näher rückt, bis er vor Wut hin- und herhüpft und so mit den Flügeln schlägt, daß er ein bis zwei Federn verliert. Wenn sie ihn soweit gebracht hat, verläßt sie das Fenster und begibt sich wieder in die Mitte der Stube.

Es gibt nichts, was sie nicht interessiert. Eine Viertelstunde lang vertieft sie sich in die Betrachtung einer alten bunten Schnapsflasche, auf der ein roter Fuchs gemalt ist, der an einem gelben Stocke auf der Schulter himmelblaue Würste trägt; auf der Rückseite steht: „Ich will zum Marchte laufen und meine Würste verkaufen.“ Wahrscheinlich gehörte die Flasche einem Schlachter namens Voß, meint Amalie.

Dann zieht sie ein malabarischer Kochtopf an, der mit seinem hellen Bronzeton ihre Aufmerksamkeit erregte; sorgfältig betrachtet sie die schon verwischten Schmucklinien unter seinem Halse. Aber gleich darauf besieht sie sich das eine [147] Rehgehörn, um sofort sich dem Aquarium zu widmen oder die Blumen zu besehen oder aber auch eingehend die Nürnberger Madonna zu beschauen, die auf dem Börd steht.

Bald ist sie hier, bald ist sie da. „Sieh, da steht ja Apfelkuchen!“ Sofort macht sie sich darüber her. Er scheint ihr zu herbe ausgefallen zu sein, darum nimmt sie schnell ein wenig Streuzucker hinterher. Aber jetzt prallt sie zurück: denn Zigarrenrauch zog ihr entgegen. Tabakrauch schätzt sie durchaus nicht und so entfernt sie sich in das Nebenzimmer und vertieft sich in das Studium einer Haidlandschaft, die an der Wand hängt, besieht sich darauf den kleinen aus Palmenwurzel geschnitzten Elefanten und die Altonaer Vase, beschäftigt sich mit einer römischen Tonlampe, riecht an dem Veilchenstrauße, der auf dem Schreibtische steht und verschwindet in dem Besuchszimmer, da sie gemerkt hat, daß der Kamin brennt.

Im Salon gibt es viel Neues für sie, denn sie kommt nur selten hinein, weil es ihr dort meist zu kalt ist. Erst sieht sie die Besuchskarten durch und macht ihre Bemerkungen dabei. Dann wundert sie sich, daß die Palme nicht mehr am Fenster steht und findet es sonderbar, daß das Plaudersofa ebenfalls einen anderen Platz bekommen hat. Daß an der Tür eine Mandoline hängt, ist ihr etwas Neues, und die Notenhefte dazu hat sie auch noch nicht gesehen, ebenso wenig wie die rosaroten Strohblumen in der alten Rubinglasvase. So stöbert sie überall umher, bis sie müde wird, sich eine Ecke sucht und einschläft.

Abgesehen von ihrer Naschhaftigkeit, die aber nicht weiter unangenehm ist, da sie sehr manierlich ist und immer nur ganz wenig nimmt, und außer ihrer Neugierde, die aber auch keinen Schaden bringt, da sie nichts umwirft, benimmt sie sich im allgemeinen trotz ihrer Unrast, die aber auch nicht viel stört, da sie sehr leise ist, recht nett und wird uns so selten lästig. Sie hat allerdings ihre Zeiten und dann geht es hierin und dahin [148] und sie macht mehr Lärm, als sich für einen ungebetenen Gast schickt. Und sie läßt sich auch nichts sagen; sie achtet weder auf Winke noch auf Worte; höchstens macht sie sich über uns lustig, summt ein keckes Liedchen, tanzt uns auf der Nase und reibt sich lachend die Hände.

Neulich waren wir in großer Angst um sie. Sie war unvorsichtig gewesen und wurde halb ertrunken von uns gefunden. Wir brachten sie aber schließlich mit Löschpapier und Zigarrenasche doch noch zum Leben und nach wie vor erfreut uns wieder durch ihr munteres Wesen Amalie, unsere Winterfliege.