Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege

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Textdaten
Autor: Heinrich von Kleist
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Titel: Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege
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aus: Berliner Abendblätter. 1. Jg. 6. Blatt
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 6. Oktober 1810
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons; Reprint VMA-Verlag, Wiesbaden 1980
Kurzbeschreibung:
1995 gleichnamig verfilmt von Zoltan Spirandelli
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Bearbeitungsstand
fertig
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Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege

In einem bei Jena liegenden Dorf, erzählte mir, auf einer Reise nach Frankfurt, der Gastwirth, daß sich mehrere Stunden nach der Schlacht, um die Zeit, da das Dorf schon ganz von der Armee des Prinzen von Hohenlohe verlassen und von Franzosen, die es für besetzt gehalten, umringt gewesen wäre, ein einzelner preußischer Reiter darin gezeigt hätte; und versicherte mir, daß wenn alle Soldaten, die an diesem Tage mitgefochten, so tapfer gewesen wären, wie dieser, die Franzosen hätten geschlagen werden müssen, wären sie auch noch dreimal stärker gewesen, als sie in der That waren. Dieser Kerl, sprach der Wirth, sprengte, ganz von Staub bedeckt, vor meinen Gasthof, und rief: „Herr Wirth!“ und da ich frage: was giebt’s? „ein Glas Branntewein!“ antwortet er, indem er sein Schwerdt in die Scheide wirft: „mich dürstet.“ Gott im Himmel! sag’ ich: will er machen, Freund, daß er wegkömmt? Die Franzosen sind ja dicht vor dem Dorf! „Ei, was!“ spricht er, indem er dem Pferde den Zügel über den Hals legt. „Ich habe den ganzen Tag nichts genossen!“ Nun er ist, glaub’ ich, vom Satan besessen –! He! Liese! rief ich, und schaff’ ihm eine Flasche Danziger herbei, und sage: da! und will ihm die ganze Flasche in die Hand drücken, damit er nur reite. „Ach, was!“ spricht er, indem er die Flasche wegstößt, und sich den Hut abnimmt: „wo soll ich mit dem Quark hin?“ Und: „schenk’ er ein!“ spricht er, indem [25] er sich den Schweiß von der Stirn abtrocknet: „denn ich habe keine Zeit!“ Nun er ist ein Kind des Todes, sag’ ich. Da! sag’ ich, und schenk’ ihm ein; da! trink’ er und reit’ er! Wohl mag’s ihm bekommen: „Noch Eins!“ spricht der Kerl; während die Schüsse schon von allen Seiten ins Dorf prasseln. Ich sage: noch Eins? Plagt ihn –! „Noch Eins!“ spricht er, und streckt mir das Glas hin – „Und gut gemessen“ spricht er, indem er sich den Bart wischt, und sich vom Pferde herab schneuzt: denn es wird baar bezahlt!“ Ei, mein Seel, so wollt ich doch, daß ihn –! Da! sag’ ich, und schenk’ ihm noch, wie er verlangt, ein Zweites, und schenk’ ihm, da er getrunken, noch ein Drittes ein, und frage: ist er nun zufrieden? „Ach!“ – schüttelt sich der Kerl. „Der Schnaps ist gut! – Na!“ spricht er, und setzt sich den Hut auf: „was bin ich schuldig?“ Nichts! nichts! versetz’ ich. Pack’ er sich, ins Teufelsnamen; die Franzosen ziehen augenblicklich ins Dorf! „Na!“ sagt er, indem er in seinen Stiefel greift: „so solls ihm Gott lohnen,“ und holt, aus dem Stiefel, einen Pfeifenstummel hervor, und spricht, nachdem er den Kopf ausgeblasen: „schaff’ er mir Feuer!“ Feuer? sag’ ich: plagt ihn –? „Feuer, ja!“ spricht er: „denn ich will mir eine Pfeife Taback anmachen.“ Ei, den Kerl reiten Legionen –! He, Liese, ruf ich das Mädchen! und während der Kerl sich die Pfeife stopft, schafft das Mensch ihm Feuer. „Na!“ sagt der Kerl, die Pfeife, die er sich angeschmaucht, im Maul: „nun sollen doch die Franzosen die Schwerenoth kriegen!“ Und damit, indem er sich den Hut in die Augen drückt, und zum Zügel greift, wendet er das Pferd und zieht von Leder. Ein Mordkerl! sag’ ich; ein verfluchter, verwetterter Galgenstrick! Will er sich ins Henkers Namen scheeren, wo er hingehört? Drei Chasseurs – sieht er nicht? halten ja schon vor dem Thor? „Ei was!“ spricht er, indem er ausspuckt; und faßt die drei Kerls blitzend ins Auge. „Wenn ihrer zehen wären, ich fürcht mich nicht.“ Und in dem Augenblick reiten auch die drei Franzosen schon ins Dorf. „Bassa Manelka!“ ruft der Kerl, und giebt seinem Pferde die Sporen und sprengt auf sie ein; sprengt, so wahr Gott lebt, auf sie ein, und greift sie, als ob er das ganze Hohenlohische Corps hinter sich hätte, an; dergestalt, daß, da die Chasseurs, ungewiß, ob nicht noch mehr Deutsche im Dorf sein mögen, einen Augenblick, wider ihre Gewohnheit, stutzen, er, mein Seel’, ehe man noch eine Hand umkehrt, alle drei vom Sattel haut, die Pferde, die auf dem Platz herumlaufen, aufgreift, damit bei mir vorbeisprengt, und: „Bassa Teremtetem!“ ruft, und: „Sieht er wohl, Herr Wirth?“ und „Adies!“ und „auf Wiedersehn!“ und: „hoho! hoho! hoho!“ – – So einen Kerl, sprach der Wirth, habe ich Zeit meines Lebens nicht gesehen.


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