Auf den Friedhöfen einer frühern freien Reichsstadt

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Titel: Auf den Friedhöfen einer frühern freien Reichsstadt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 406–408
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Auf den Friedhöfen einer frühern freien Reichsstadt.


Frau Rath Goethe. – Thomas von Sömmerring. – Anselm von Feuerbach. – Arthur Schopenhauer. – Elise Bürger. – Bethmann-Hollweg. – Lichnowsky und Auerswald. – Kurfürstlich hessisches Mausoleum. – Für die Gefallenen aus dem Volke.


Die Frankfurter Friedhöfe bilden in ihrer Anlage und Ausschmückung eine wahrhafte landschaftliche Zierde, wie sie wenige Städte aufzuweisen haben dürften. Es sind Gärten, belebt vom Gesange der Vögel und durchhaucht vom Dufte der Blumen und Sträucher, die das memento mori der Grabdenkmäler sinnig umranken. Während ehedem, wie auch anderwärts, so in der alten Reichsstadt die Todten in und um den Kirchen herum bestattet wurden, erkannte bereits vor mehr als drei Jahrhunderten der Rath der Stadt das Gesundheitsschädliche dieser Sitte oder vielmehr Unsitte und gebot, trotz den Einwänden der Geistlichkeit, die Benutzung des damals noch außerhalb der Stadt gelegenen, neuangelegten Sanct Peterskirchhofs und des Friedhofs bei dem deutschen Hause in Sachsenhausen. Bis in die ersten Decennien dieses Jahrhunderts reichten diese für das Bedürfniß der Stadt aus, bis auch für sie die Zeit kam, wo sie den letzten Todten aufnehmen sollten. Der Friedhof in Sachsenhausen wurde 1812 in einen dem deutschen Orden gehörenden Weinberg verlegt, um im Jahre 1869 bereits zu Gunsten eines weiter gelegenen wieder geschlossen zu werden. Der Sanct Peterskirchhof in Frankfurt wurde 1828 am 30. Juni geschlossen und der neue Friedhof am 1. Juli gleichzeitig mit dem neben ihm errichteten neuen israelitischen Friedhofe seiner Bestimmung übergeben.

Der alte Peterskirchhof ist heute ein mitten in der Stadt liegender schöner Garten, in welchem sich die Jugend, uneingedenk Derer, die unter der Erde ruhen, fröhlich und guter Dinge tummelt. Von den dortigen Gräbern zieht eines am nordöstlichen Eingange die Blicke des Besuchers auf sich und gemahnt nicht allein an Frankfurts größten Sohn, sondern auch an die bedeutendste Epoche der deutschen Literaturgeschichte. Hier unter lauschigen Büschen, an fast unbeachteter Stelle des Kirchhofs ruht unter von Eisendraht gehaltenem Epheu „Frau Aja“, die Mutter Goethe’s, die sinnige Frau, die in ihrem sechsundsiebenzigsten Lebensjahre mit berechtigtem Stolze sagen durfte: „Ich bin nicht allein um meines Sohnes willen da, sondern auch der Sohn um meinetwillen, und ich kann mich wohl eines Antheils an seinem Wirken und an seinem Ruhme versichert halten, indem sich ja auch kein vollendeteres und erhabeneres Glück denken läßt, als um des Sohnes willen allgemein so geehrt zu werden,“ und welche am Morgen ihres Todestages, als man sie zu einer Gesellschaft laden wollte, wohlgemuth antworten ließ: „Die Frau Rath könne nicht kommen, denn sie müsse alleweile sterben.“ In der Nacht des 13. September 1808 schlummerte sie sanft hinüber in die andere Welt.

Während wir hier nur dieser einen Grabstätte näher treten, fesseln uns auf dem neuen Friedhofe gar viele, die durch ihren künstlerischen Schmuck oder durch die Erinnerung, die sich an die darin Schlummernden knüpft, unser Interesse erregen. Wenn wir hier durch das große griechische Portal in den friedlichen Todtenhain eintreten, lenkt rechts nicht weit vom Eingange ein einfacher, aus Felsengestein aufragender Obelisk unsere Aufmerksamkeit auf sich. Es ist die Begräbnißstätte des Arztes und Professors Dr. Samuel Thomas von Sömmerring. Auf dem Grabsteine meldet eine lateinische Schrift Namen, Ort und Tag der Geburt und des Todes; die Embleme der ärztlichen Wissenschaft und Kunst sind darunter eingehauen, darüber ein Immortellenkranz. Wenn von dem Forschen und Wirken des bedeutenden Mannes die Annalen der ärztlichen Wissenschaft einst vielleicht nur Denen, die eine gleiche Berufsbahn betreten, Kunde geben werden, so wird ein anderes Ergebniß seines Geistes eine weitere Würdigung finden. Sömmering’s Verdienst ist es nämlich, den ersten elektrischen Telegraphenapparat angegeben zu haben. Derselbe befindet sich in den Denkschriften der Münchener Akademie für 1809 und 1810 abgebildet und beschrieben. Dieser Urapparat war durch Vermittelung der kaiserlich deutschen Generaldirection der Telegraphen auch auf der Wiener Weltausstellung producirt und eine Copie desselben wird einem in Berlin zu gründenden historischen Museum einverleibt und an die Spitze aller Telegraphenapparate gestellt werden.

Nicht weit von dieser Stätte befinden sich die Gräber zweier Männer, von denen der Eine, ein wackerer Sohn seiner Vaterstadt Frankfurt, deren Geschichte in vorzüglicher Darstellung bearbeitet und kommenden Geschlechtern bewahrt hat; es ist der lutherische Stadtpfarrer Anton Kirchner. Der andere, der dort unter weißer Marmorsäule schlummert, ist der Schweizer Liedercomponist Xaver Schnyder von Wartensee. Noch über andere bekannte Meister im Reiche der Töne hat der Friedhof seine schweigsame Decke gebreitet. Franz Messer, Dr. phil. Aloys Schmitt, Karl Gollmick und Ferdinand Keßler, Letzterer vielleicht der bedeutendste Harmonielehrer Deutschlands, fanden hier ihre letzte Heimstätte.

An der südlichen Einfassungsmauer des Friedhofs treffen wir auf ein Grab, das den Frankfurter schmerzlich an die neueste Geschichte seiner Vaterstadt erinnert, das Grab des letzten regierenden ältern Bürgermeisters der „freien Stadt“ Frankfurt, das Grab Carl Constanz Victor Fellner’s. Als der deutsche Krieg des Jahres 1866 auch den Einzug preußischer Truppen in die wehrlose Stadt zur Folge hatte und der hartheimgesuchten Bürgerschaft auch noch von den commandirenden Generalen Vogel von Falckenstein erst sechs Millionen und von Manteuffel dann fünfundzwanzig Millionen Gulden als Contribution abgefordert wurden, da mochten es wohl ernste Gedanken sein, die das Gemüth Fellner’s so tief erschütterten, daß er an seinem neunundfünfzigsten Geburtstage, am 24. Juli, Hand an sich selbst legte und freiwillig aus dem Leben und der Würde trat, mit welcher ihn seine Mitbürger betraut hatten. Am 25. Juli früh Morgens fünf Uhr – eine spätere Bestattung wurde von der preußischen Behörde untersagt – wurde seine sterbliche Hülle von Tausenden in stummer Trauer zum Grabe geleitet. Das Denkmal, das seine letzte Schlummerstätte zieren soll, ist noch nicht vollendet.

In nicht weiter Entfernung von hier sehen wir die Grabschrift des geistvollen Criminalrechtslehrers und Verfassers des baierischen Strafgesetzbuches, Dr. Paul Johann Anselm von Feuerbach, des Vaters des berühmten Philosophen Ludwig Feuerbach und Onkels des genialen Malers Anselm Feuerbach.

Wie diese Ueberreste des Vaters eines Philosophen der Neuzeit, so umschließt der Frankfurter Friedhof auch die Hülle eines Philosophen selbst, dessen Lehre, lange Zeit fast ungekannt, plötzlich in ungeahnter Weise beachtet und namentlich in Folge der geistvollen Erklärungen Dr. Julius Frauenstädt’s in Berlin und Dr. C. G. Bähr’s in Leipzig Anhänger und Schüler fand. Es ist Arthur Schopenhauer, der Sohn der Romanschriftstellerin Johanna Schopenhauer.

Unfern des Denkers ruht das „Schwabenmädchen“, welches dem Dichter Gottfried August Bürger, nachdem dessen geliebte „Molly“ gestorben war, in einem Gedichte seine Hand antrug, dadurch aber sich und den Dichter unglücklich machte. Arm und verlassen fand die Schwäbin endlich hier Ruhe. Die Grabschrift bezeichnet sie als „Elise Bürger, geborene Hahn, separata des gewesenen Professors an der Universität zu Göttingen und Dichters Gottfried August Bürger.“

In der Mitte des ersten Theils des Friedhofs erhebt sich ein Denkmal von rothem Sandstein, welches an die für Frankfurt bewegte Zeit des Jahres 1832 erinnert. Die damals [407]

DIE FRIEDHÖFE IN FRANKFURT. A/M.
DAS DENKMAL D. 1848 1. MARZ GEFALLNEN.  HOFRATH Dr D. W. SOEMMERING.
SCHOPENHAUERS GRAB. FRAU RATH GÖTHE.
FÜRST v. LICHNOWSKY u. v. AUERSWALD. KURFÜRSTL. HESS. MAUSOLEUM.
DAS DENKMAL DER GEFALLNEN FRANKFURTER.
AUS DEM KRIEGE v. 1870–71 NACH SEINER VOLLENDUNG[WS 1]
MODELLIRT v. RUDOLPH ECKHARD.

[408] durch Deutschland flüchtenden Polen fanden in Frankfurt enthusiastische Aufnahme, und manche Scene spielte sich in dessen Mauern ab. Der hier Ruhende war der polnische Artillerie-Lieutenant Ludwig Lang, welcher am 27. Januar im Gasthofe zum weißen Schwan dem Todesschlafe in die Arme sank und in höchst sympathischer Weise zu Grabe getragen wurde.

Der künstlerisch hervorragendste Schmuck des Frankfurter Friedhofs ist das an der Bethmann’schen Familiengruft angebrachte, in carrarischem Marmor ausgeführte Basrelief von Thorwaldsen, welches dem Andenken des in Florenz verstorbenen jüngeren Bruders des preußischen Cultusministers von Bethmann-Hollweg gewidmet ist. Ein scheidender Jüngling, abgerufen von dem Genius des Todes mit verlöschender Fackel, dem sterbend der herzueilende Bruder noch einen Eichenkranz, das Sinnbild männlicher Tugend, reicht, die trauernde Mutter, die schmerzlich sehnsüchtig aus der Ferne nach dem Scheidenden die Arme ausbreitet, ungetröstet durch die ihr zur Seite stehende und die im tiefsten Leide ihr zu Füßen liegende Tochter, der Flußgott des Arno, an dessen Ufern der Jüngling endete, eine Adrastea, welche die Thaten des Geschiedenen aufzeichnet und gerechten Lohn verheißt, der Löwe endlich, das Sinnbild des Muthes – der Jüngling hatte sich bei einem ausgebrochenen Brande eine tödtliche Krankheit zugezogen –, bilden die Motive des leider durch Frevlerhand verstümmelten Kunstwerkes.

Die Kunst, welche hier in so edler Weise dem Geschiedenen ihren Tribut gezollt, ist selbst in diesem Reiche des Todes durch manchen würdigen Namen vertreten. So ruhen hier in ewigem Schlafe der Architekt und weiland Professor am Städel’schen Kunstinstitute Friedrich Maximilian Hessemer, der Architekt Oscar Pichler, Erbauer der Irrenhäuser in Frankfurt am Main und bei Hildburghausen, der Kupferstecher Eugen Schäffer, der Bildhauer Eduard von der Launitz, die Maler Ernst Schalck, Karl Ballenberger, Professor Jacob Becker, Philipp Winterwerb, Franz Winterhalter u. A. – gewiß leuchtende Namen am deutschen Kunsthimmel.

Nach dem Entwurfe des ersten der eben Genannten erhebt sich in der zweiten Abtheilung des Friedhofes auf mäßigem Hügel ein umfangreiches, im byzantinischen Stile erbautes Mausoleum aus rothem Sandsteine. Es wurde von dem ehemaligen Kurfürsten Wilhelm dem Zweiten von Hessen errichtet und birgt jetzt nur die Hülle des am 21. December 1861 im dreiundvierzigsten Jahre in Prag verstorbenen und am 2. Januar 1862 hier beigesetzten Grafen Gustav Karl von Reichenbach-Lessonitz.

Wir gedenken hier zum Schlusse noch dreier Gräberreihen von geschichtlicher Bedeutung. Der 18. September 1848 brachte für Frankfurt einen blutigen Tag. Der Kampf, der sich zwischen dem Militär und den die aufgeworfenen Barricaden Vertheidigenden entspann, kostete schwere Opfer, die jetzt auf einem und demselben Fleckchen Erde friedlich schlummern, die Einen wenige hundert Schritte von den Anderen entfernt. Beider Gräber zieren schöne Denkmale. Das Denkmal der Gefallenen aus dem Heere ist eine durch den damaligen Prinzregenten von Preußen, jetzigen König und deutschen Kaiser, errichtete, in gothischem Stile aus hellgrauem Marmor ausgeführte, mit Spitze und Eckenausläufern versehene Pyramide, die auf der Nordseite das Medaillonbildniß des Grafen Hans von Auerswald und auf der Südseite das Medaillonbildniß des Fürsten Felix von Lichnowski (derselbe ist indeß zu Krzizanowitz in Schlesien beerdigt) trägt. Auf der Pyramide sind sodann eingeschrieben die Namen der beiden eben Genannten so wie die Namen des Hauptmanns Julius Hübner, des Secondelieutenants Wilhelm von Hillesheim, des hessischen Oberlieutenants Hermann Zimmermann und von neun Soldaten. Die Gedenksäule der Gefallenen aus dem Volke bildet einen circa fünfundzwanzig Fuß hohen, auf Untersatz stehenden Obelisken aus rothem Sandsteine, der das Motto trägt:

„Und setzet Ihr nicht das Leben ein,
Nie wird Euch das Leben gewonnen sein.“

Die Nordseite trägt zwölf Namen, die Südseite deren ebenfalls zwölf, darunter den eines Dienstmädchens, alle Nicht-Frankfurter, die Westseite trägt acht Namen von Frankfurtern und die Ostseite zwei Namen von Sachsenhäusern.

Die dritte Reihe von Gräbern deckt einen Theil der im französisch-deutschen Kriege von 1870 bis 1871 gebliebenen Frankfurter. Von den dreiundvierzig vor dem Feinde gebliebenen oder an Wunden und Krankheiten verstorbenen Söhnen dieser Stadt birgt der Frankfurter Friedhof nur dreizehn, deren Namen wir hier aufzählen wollen: Ferdinand Karl Friedrich Collischonn, Karl Christiani, Franz Peter Nunz, Johann Friedrich Wiessen, Karl Wiederhold, Karl Robert Enders, Wilhelm Karl Klaus, Louis Heinrich Gottfried Engelke, Cos. Theodor Schlösser, Karl Gmaner, Joh. Thomas Mack, Alfred Müller, Fritz Marschall. Es ist kein gemeinsames Grab, das sie beherbergt; sie ruhen in den Stätten ihrer Familie oder in den Reihen, wie die Gräberordnung sie anwies. Aber ihre Namen und die ihrer in ferner Erde schlummernden Cameraden wird in wenigen Jahren ein von dem jungen Bildhauer Rudolf Eckhard erfundenes, bei der Concurrenz mit dem Preise gekröntes gemeinsames Denkmal, von dem wir andererseits eine Abbildung (wie es in seiner Vollendung erscheinen wird) geben, bewahren.

–n.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: VOLLENDUN