Aus Heinrich Heine’s letzten Tagen

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Autor: Eduard Engel
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Titel: Aus Heinrich Heine’s letzten Tagen. Die Mouche – Frau Caroline Jaubert
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 312, 314–315
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[312]

Aus Heinrich Heine’s letzten Tagen.

Die Mouche. – Frau Caroline Jaubert.
Von Eduard Engel.

Heine’s lange Krankheit (von 1847 bis 1856) hatte über ihn zu allen sonstigen Leiden und Entbehrungen die schmerzlichste Prüfung gebracht: die Vereinsamung. Einst der Mittelpunkt eines geistig-geselligen Kreises, gern gesehen und gern gesucht, mit den bedeutendsten Dichtern, Journalisten, Staatsmännern auf persönlich freundschaftlichem Fuße, – und jetzt tagelang, wochenlang allein in der trostlosen Krankenstube der Avenue Matignon, seiner letzten Wohnung, in der Nähe der Champs Elysees, – so vereinsamt, daß er Berlioz, der ihn zufällig einmal aufsuchte, entgegenrief: „Was? Jemand besucht mich? Berlioz bleibt doch immer originell!“

Nur einige freundliche Frauenerscheinungen brachten zuweilen einen Sonnenstrahl in das dunkelverhangene Krankenzimmer: die Prinzessin Christina Belgiojoso erschien gelegentlich bei dem sterbenden Dichter; Frau Caroline Jaubert, der Prinzessin vertraute Freundin, blieb ihm treu bis an sein Ende, – und zu ihnen gesellte sich gegen das Ende des Jahres 1854 (oder im Anfange von 1855?) die unter dem Namen „die Mouche“ in allen Heine-Biographien genannte holde Mädchengestalt, über die wir zwar schon aus sehr guten Quellen seit Langem Näheres wissen, die aber selber erst achtundzwanzig Jahre nach des Dichters Tode mit ihren eigenen Erinnerungen an Heine’s letzte Tage hervorgetreten ist.

Ich habe zu wiederholen, daß, abgesehen von dem wahren Namen der Dame und ihrer persönlichen Geschichte, so ziemlich das Wichtigste und das Beste aus ihren Beziehungen zu Heine längst bekannt war. Sie war ihm eine erquickende Gesellschaft; ihre liebevolle, seit der Mädchenzeit gehegte Bewunderung für den Dichter des „Buches der Lieder“ that Heine wohl; dazu war sie von Geburt und erster Erziehung eine Deutsche, die bei ihrem ersten Besuche in Heine’s Wohnung aus Deutschland kam und ihm wie ein Gruß der sehnsüchtig geliebten Heimath selber erschien. Als Vorleserin, Secretärin, dienstwillige Helferin in kleinen Unentbehrlichkeiten des Schriftstellerlebens, ja selbst als Beistand bei der französischen Uebersetzung seiner letzten Schriften war sie Heine ein stets willkommener, mit einer begreiflichen Zärtlichkeit empfangener Besuch. Das reinste Verhältniß, welches zwischen Mann und Weib denkbar, – auch ganz abgesehen von der Schranke, aufgerichtet durch die Marterkrankheit des seit acht Jahren Sterbenden. So hat man von Heine und seiner „Mouche“ zu sprechen – so schildern uns die an sie gerichteten Briefe und Billete sowie die wenigen Gedichte „An die Mouche“ diese schaurig-reizende Idylle am Lager eines Sterbenden.

„Eines Tages,“ so erzählt Frau Camilla Selden, oder die „Mouche“, „eines Tages streckte er seinen Arm nach dem meinen aus und drückte ihn mit Macht. ,Verzeihung‘, sagte er, ‚aber es wird ja bald enden. Siehst Du, das ist die Schuld des Todes, der herannaht. Er naht mit langen Schritten, und wenn ich ihn so ganz nahe bei mir fühle, wie jetzt, so fühle ich das Bedürfniß, mich an das Leben zu klammern!‘“

Und in einem seiner letzten Billete[1] an die liebe Freundin heißt es – einen Monat vor seinem Tode, nach einem Jahre der Bekanntschaft –:

„Liebes Kind! Ich habe einen Anfall von Migräne, der, wie ich fürchte, noch morgen anhalten oder gar schlimmer werden wird. Ich beeile mich, Dir dies mitzutheilen, damit Du wissest, ‚morgen ist keine Schule‘, und somit über Deinen Nachmittag nach Belieben verfügen kannst. Dagegen rechne ich auf Dich für übermorgen, Sonntag. Solltest Du nicht kommen können, benachrichtige mich, liebes holdes Kind.

Prügeln werde ich Dich nie, selbst wenn Du solche Strafe durch allzu große Dummheit verdienen solltest. Um die Ruthe führen zu können, muß man mehr Kraft besitzen, als ich. Ich bin elend, leidend und betrübt. Küsse die ‚pattes de mouche‘.
Dein Freund 
H. H.“ 

Das war der Ton des Verkehrs zwischen dem damals sechsundfünfzigjährigen Dichter[2] und der etwa achtundzwanzigjährigen Mouche. Ich glaube, es bedarf einiger Romantik, um bei solcher Bewandtniß von einer „letzten Liebe“ Heine’s zu reden, wie das in manchen Schriften über Heine leider geschehen.

Die Mouche war aus Schwaben gebürtig; Heine hat sie oft genug mit ihrem „Schwabengesicht“, das an die „schwäbischen Gelbveiglein“ erinnere, geneckt. Strodtmann erzählt, zum Theil nach Meißner’s „Erinnerungen“ und „Kleinen Memoiren“, von ihr Folgendes: „Als Kind war sie nach Paris gekommen, später nach England verschlagen worden und dann wieder nach Paris zurückgekehrt. – Hellbraunes Haar umrahmte lockig ihr feines Gesicht, aus welchem die blauen Augen süß und schelmisch über dem kecken Stumpfnäschen hervorblickten. Französischer Esprit und deutsche Innigkeit verbanden sich auf’s reizvollste in ihrem holdseligen Wesen, an welchem Heine ein unsägliches Wohlgefallen fand.“

Frau Camilla Selden berichtet von der Veranlassung ihres ersten Besuches bei Heine: sie habe ihm einige Compositionen seiner Lieder von einem Wiener Verehrer (wahrscheinlich einem Herrn Vesque von Püttlingen) zu überbringen gehabt. Im Begriffe, nach Erledigung ihres Auftrages sich zu entfernen, habe Heine sie durch die Dienstmagd zurückrufen lassen; ein Gespräch entspann sich, und als sich die Dame nach einiger Zeit entfernte, [314] wurde sie um Wiederholung ihres Besuches gebeten. Um ihm nicht lästig zu fallen, habe sie gezögert wiederzukommen, – da habe der Dichter sie durch ein dringliches Billet (in ihrem Büchlein abgedruckt) eingeladen.

Und nun lasse ich Meißner, welcher die „Mouche“ besser gekannt, als selbst Heine, über das Verhältniß Zeugniß ablegen:

„Sie kam wieder und der Kranke konnte endlich ohne sie kaum einen Tag bestehen. Wohl an hundert Blätter[3] liegen von Heine’s Hand mit Bleistift geschrieben vor mir, die er aus der Einsamkeit seines Krankenzimmers an das Mädchen sandte, um die beinahe Unentbehrliche herbeizurufen. So wie der Gefangene das Vögelchen liebt, das am Simse seines Fensters zu sitzen pflegt, und es zärtlich füttert, um es bald wieder herbeizulocken und ihm die Stelle angenehm zu machen, damit es den grünen luftigen Wald von Zeit zu Zeit vergesse, so überhäuft auch Heine seine Freundin und Gesellschafterin mit kleinen Geschenken, welche sinnvoll sein Wohlwollen in hundert Gestalten ausdrücken und strengt beinahe täglich seine des Schreibens kaum fähige Hand an, kleine Briefchen hinzuwerfen, die unaufhörlich mit flehenden Schmeichelstimmen zu neuen Besuchen auffordern. Sieht man die großen, zierlichen, edeln Schriftzüge, so kann man es kaum glauben, daß sie von der welken Hand eines gebrochenen Organismus herrühren, und liest man den Sinn, den sie verdolmetschen, so kann man sich über die tiefe, unausrottbare Lebensenergie nicht genug wundern.“ –

Meißner fährt weiterhin fort: „Diese Briefe werden nie die Oeffentlichkeit sehen, der Name des Mädchens ist ein Geheimniß. Ein bizarrer Zufall führte mich erst nach Heine’s Tode mit deren Besitzerin zusammen, wenn man es einen Zufall nennen kann, eine Bekanntschaft, die seit neun Jahren in den Wogen des Lebens untergegangen zu sein schien, zu erneuern.“

Die Briefe haben inzwischen die Oeffentlichkeit gesehen, und auch der Name des Mädchens ist kein Geheimniß mehr. Frau Camilla Selden[WS 1] lebt gegenwärtig als Lehrerin der deutschen Sprache an einer staatlichen Schule in Rouen.

Der Name „die Mouche“ wurde ihr von Heine in einer scherzenden Laune beigelegt, weil sie ihre Briefe mit einem Siegelring siegelte, welcher eine zierliche kleine Fliege im Wappen führte.

Heine war um die Zeit seiner Bekanntschaft mit der Mouche ohne ständigen Secretär. So bat er sie – oder sie erbot sich dazu –, ihm einstweilen bei der mühseligen Erledigung seiner Correspondenz behülflich zu sein. Ihre Handschrift gefiel ihm zwar nicht sehr, wie die Mouche selbst erzählt; manchmal ließ er sich dazu herbei, ihr die großen Buchstaben, die sie besonders nachlässig schrieb, in seiner erstaunlich schönen, geradezu kalligraphischen Schreibmanier vorzumalen. Die Mouche hat die Adressen auf die Briefe an Heine’s Mutter zu schreiben gehabt, an welche der liebende Sohn meist eigenhändig schrieb, um ihr seine Krankheit zu verheimlichen. Diese rührende Täuschung hat er bis zuletzt durchgeführt, ohne falsche Sentimentalität; wozu der alten Frau von seiner Krankheit und seinen Schmerzen Kunde geben? – „eine Mutter glaubt ohnehin nicht, daß ihr Kind so leiden könne“. Ließ er doch in den für seine Mutter bestimmten Exemplaren seiner letzten Gedichte und anderer Schriften die Stellen entfernen, welche ihr seinen körperlichen Zustand hätten enthüllen müssen!

Ferner half ihm die Mouche bei der Durchsicht der französischen Ausgabe der „Reisebilder“, wobei ihre vollkommene Beherrschung des Französischen dem zeitlebens in der fremden Sprache niemals ganz heimischen Dichter sehr gut zu Statten kam. Auch die von andrer Hand (St. René-Taillandier) herrührende französische Uebersetzung – natürlich in Prosa – der Gedichte des „Neuen Frühlings“ hat die Mouche mit Heine zusammen durchgesehen, und mit ihren Verbesserungen ist die Uebersetzung in der „Revue des Deux-Mondes“ zuerst erschienen.

An die Vorlesungen aus deutschen und französischen Dichtern, welche die Mouche Heine machte, knüpfen sich oft sehr interessante Bemerkungen des Dichters. Leider ist das Gedächtniß der Mouche für diese werthvollsten Dinge jetzt nach achtundzwanzig Jahren recht schwach; was sie uns in ihrem Buche davon erzählt, ist herzlich wenig, zumal wenn man es mit den „Erinnerungen“ vergleicht, welche Alfred Meißner unter dem frischen Eindruck des Gehörten schon 1856 erscheinen ließ.

Von Heine’s Memoiren hatte die Mouche nichts gelesen. Wohl aber hatte sie ihn zuweilen bei der Arbeit an den Memoiren getroffen. Wie sehr Heine die Vollendung derselben am Herzen gelegen, dafür legt auch folgende Stelle des Buches der Mouche Zeugniß ab: „Es geht schlecht mit ihm; nur die Energie seines Willens und der leidenschaftliche Wunsch, die Abfassung der Memoiren zu beendigen, halten ihn noch aufrecht. – Wie oft fand ich Heine, wie er die großen Bogen weißen Papiers, die vor ihm ausgebreitet lagen, mit den kraftvollen Schriftzügen bedeckte, deren äußere Erscheinung schon die Kühnheit und Klarheit seines Gedankens offenbarte. Der Bleistift, der mit fieberhafter Eile über die weißen Blätter eilte, nahm zwischen den abgezehrten Fingern des Kranken die Starrheit einer tödtlichen Waffe an.“ Von dem Inhalt aber dieser Memoiren hat sie so wenig wie irgend Jemand um jene Zeit etwas erfahren.

Auch einige Gedichte hat Heine seiner „freundlich sumsenden Mouche“ gewidmet. Bei aller Gluth der Sprache kann man ihnen sicherlich nicht den Titel von „Liebesgedichten“ beilegen. Da ist zunächst das Gedicht: „Dich fesselt mein Gedankenbann“ mit seinem zwischen tiefem Ernst und ausgelassener Tollheit abwechselnden Inhalt. Dann das ergreifende Gedicht: „Die Wahlverlobten“ mit seinem hoffnungslosen Schluß:

„Der Willkomm ist zu gleicher Zeit
Ein Lebewohl! Wir scheiden heut
Auf immerdar. Kein Wiedersehn
Giebt es für uns in Himmelshöh’n.
Die Schönheit ist dem Staub verfallen.[WS 2]
Viel anders ist es mit Poeten,
Die kann der Tod nicht gänzlich tödten.
Uns trifft nicht weltliche Vernichtung,
Wir leben fort im Land der Dichtung,
In Avalun, dem Feenreiche –
Leb’ wohl auf ewig, schöne Leiche!“

Eines der letzten Gedichte Heine’s – nach Meißner’s Ansicht wenige Wochen vor seinem Tode geschrieben – ist ausdrücklich mit der Ueberschrift: „Für die Mouche“ versehen (Band XVIII, S. 319). Einige Strophen dieses Gedichtes sind außerordentlich stimmungsvoll, wie Töne von jenseits des Grabes –:

„Zu Häupten aber meiner Ruhestätt’
Stand eine Blume, räthselhaft gestaltet,
Die Blätter schwefelgelb und violett,
Doch milder[WS 3] Liebreiz in der Blume waltet.

Das Volk nennt sie die Blum’ der Passion –

Solch eine Blum’ an meinem Grabe stand,
Und über meinen Leichnam niederbeugend,
Wie Frauentrauer, küßt sie mir die Hand,
Küßt Stirne mir und Augen, trostlos schweigend.
000000000

Geschlossen war mein Aug’, doch angeblickt
Hat meine Seel’ beständig dein Gesichte,
Du sahst mich an, beseligt und verzückt
Und geisterhaft beglänzt vom Mondenlichte.

Wir sprachen nicht, jedoch mein Herz vernahm,
Was du verschwiegen dachtest im Gemüthe –
Das ausgesproch’ne Wort ist ohne Scham,
Das Schweigen ist der Liebe keusche Blüthe.“

Denen endlich, welche den holden Glauben an eine „letzte Liebe“ Heine’s für die Mouche trotz alledem hegen sollten, empfehle ich die Lectüre des Gedichtes:

„Worte! Worte!0 Keine Thaten!“

worin Heine nach wohlbekannter Manier sich und ihr jede Illusion benimmt, falls überhaupt eine solche bestanden.

Ich brauche wohl kaum noch hinzuzufügen, daß Frau Camilla Selden selbst zu viel Tact besitzt, um sich jetzt in ihren Gedenkblättern an Heine irgendwelche falsche Aureole um’s Haupt zu dichten. Sie ist nicht Heine’s „letzte Liebe“ gewesen, – aber alle Heine-Forscher und Heine-Verehrer werden ihr Andenken in Ehren halten als das einer anmuthigen Erscheinung, die auf Heine’s letzte Lebenstage einen tröstlichen Schimmer ergossen, des Wesens, an welches Heine vielleicht das letzte Wort in deutscher Sprache gerichtet hat, das seine Lippen gesprochen.

*  *  *

[315] Mit Madame Caroline Jaubert war Heine in den ersten Jahren seines Pariser Aufenthaltes bekannt geworden: auf einem Ball im Vorfrühling 1835. Sie war die Gattin des nachmaligen Rathes am französischen Cassationshof Maxime Jaubert, des Testamentsvollstreckers Heine’s. Kurz nach ihrem im Jahre 1880 erfolgten Tode erschienen die „Souvenirs de Mme. Caroline Jaubert“ bei Hetzel in Paris, enthaltend Erinnerungen an den berühmten bourbonistischen Advocaten Berryer, an Alfred de Musset, Pierre Lanfrey (den Biographen Napoleon’s I.) und – Henri Heine. Kaum 40 Seiten dieses höchst interessanten Buches umfaßt der Heinrich Heine gewidmete Abschnitt, aber ich trage kein Bedenken, ihn als das Beste zu bezeichnen, was außer Meißner irgendein persönlicher Freund über des Dichters Individualität im vertrauten Verkehr geschrieben. Die Mouche spottet an einer Stelle ihrer „Derniers jours de Henri Heine“ über „die kleine Madame Jaubert mit ihrem Sonnenschirm“, aber diese kleine Dame hatte ein scharfes Auge und Ohr und ein gutes Herzensgedächtniß für das wahre Wesen Heine’s, und es ist ungemein zu bedauern, daß sie uns nicht mehr über ihn erzählt hat.

Nach jener ersten Begegnung mit Heine auf dem Balle erhielt sie von ihm die französische Ausgabe seines Buches „Ueber Deutschland“ mit einem allerliebsten Begleitschreiben. Es entspann sich ein gemüthvoller, wenn auch nicht zu häufiger Verkehr, namentlich in dem Salon der mehrfach erwähnten Prinzessin Belgiojoso. In diesem Salon hat Heine oft genug sein glänzendes Unterhaltungstalent bewiesen, und die Geschichtchen, welche Madame Jaubert von Heine’s geistvoller Neckerei und Bosheit erzählt, sind so echtheinisch, daß man irgendeine schlimme Stelle der „Reisebilder“ zu lesen vermeint. Was sie aber an Zügen heroischen Muthes aus den Tagen seiner Krankheit berichtet, ist tief ergreifend. Auch über Frau Mathilde Heine hat sie wahrheitsgetreu und – da frei von Liebe, auch frei von Eifersucht – überwiegend wohlwollend manches Liebenswürdige erzählt; jedenfalls geht aus ihren Mittheilungen hervor, daß Heine’s Liebe zu seiner Mathilde das Echteste war, was er überhaupt an Empfindung besessen. Mathildens Stimme sei es gewesen, die Heine entzückt und immer wieder an diese Frau gefesselt habe, mit der er beiläufig über 20 Jahre zusammen gelebt. „Der Ton ihrer Stimme war für Heine ein ununterbrochener Zauber, er spielte fortwährend darauf an; oftmals hat er mir versichert, daß in seinen Todeskämpfen diese Stimme seine Seele festgehalten, die schon zum Fluge in’s Unbekannte sich anschickte.“ – „Und ließ der Zufall einmal ihre Stimme vom Vorzimmer bis in des Kranken Gemach dringen, dann mußte man sehen, wie er mitten im Gespräch plötzlich aufhörte und den verhallenden Ton mit seinem Lächeln begleitete.“

Und an einer andern Stelle erzählt die liebenswürdige Plaudrerin: „So oft von Goethe – oder von seiner (Heine’s) Frau die Rede war, erhob sich der Kranke auf dem Ellenbogen und senkte die Stimme, als fürchtete er, man möchte an der Thür horchen.“

Madame Jaubert suchte Heine zu zerstreuen. Leider war sie durch ihre zahlreichen gesellschaftlichen Beziehungen und ihre literarischen Freundschaften (namentlich mit Alfred de Musset) zu sehr in Anspruch genommen, um sich dem unglücklichen, einsamen Dichter widmen zu können, – dann schickte sie ihm wenigstens Besuche zu, welche sie für amüsant hielt. So sandte sie ihm einst die Gräfin Kalergis, eine geborne Nesselrode, zu, welche für Heine zu schwärmen vorgab. Sie war eine so imposante Gestalt mit einem blendendweißen Teint, daß Théophile Gautier sie eine „Symphonie in Weiß-Dur“ nannte.

Heine äußerte sich zu Madame Jaubert über die Dame: „Liebe Freundin, das ist ja gar keine Frau, die Sie da bei mir eingeführt haben, – das ist ein Monument: die Kathedrale des Gottes der Liebe.“ Und in seinem tollen Gedicht „Der weiße Elephant“ (Romanzero) läßt er den heiligen Elephanten des Königs von Siam an einer unstillbaren Sehnsucht nach dieser kolossalen Schönheit vergehen.

Madame Jaubert hat Heine zuletzt vier Tage vor seinem Tode gesehen. Kurz vorher hatte er einen heftigen Krampfanfall gehabt, und man glaubte, seine letzte Stunde hätte geschlagen. Heine erzählte die schauerliche Scene seiner Besucherin, welche alles wörtlich wiedergiebt: „Seine Frau eilte schreckerfüllt an sein Bett; sie ergriff seine Hand, drückte sie, erwärmte sie, liebkoste sie. Sie weinte heiße Thränen und jammerte mit schluchzender Stimme: ‚Nein, Henri, nein, Du darfst das nicht thun, Du darfst nicht sterben. Du wirst Mitleid haben! heute Morgen ist mir schon mein Papagei gestorben, – wenn Du stürbest, ich wäre zu unglücklich.‘

‚Das war ein Befehl,‘ fügte Heine hinzu, ‚ich habe gehorcht und fortgefahren zu leben; Sie begreifen, liebe Freundin, wenn man mir triftige Gründe vorführt –‘“

Nach wenigen Tagen reichte der Wille, der jammernden Gattin zu „gehorchen“, nicht mehr hin. Am 17. Februar 1856 ist Heinrich Heine gestorben; am 20. Februar geleitete ein Gefolge von wenigen Dutzenden von Bekannten – darunter Dumas, Gautier, Mignet – Heine’s Leiche nach seiner letzten Ruhestätte auf dem Friedhof von Montmartre. „Ich will nicht in Passy begraben werden, der dortige Kirchhof muß recht langweilig sein,“ schrieb er an Madame Jaubert acht Jahre vor seinem Tode. Und in seinem Testament verordnete er im Jahre 1851: „Ich wünsche auf dem Kirchhofe Montmartre beerdigt zu werden, da ich eine Vorliebe für dies Quartier hege, wo ich lange Jahre hindurch gewohnt habe. – Ich verlange, daß mein Leichenbegängniß so einfach wie möglich sei, und daß die Kosten meiner Beerdigung nicht den gewöhnlichen Betrag derjenigen des geringsten Bürgers übersteigen.“



  1. Entnommen dem Buche „Les derniers jours de Henri Heine“ par Camille Selden (Paris 1884, C. Lévy), von welchem übrigens soeben eine deutsche Uebersetzung (bei Costenoble in Jena) erscheint.
  2. Oder neunundfünfzigiährig, denn mehr und mehr findet die Annahme Bestätigung, daß Heine am 13. December 1797, nicht 1799 geboren worden. Der Scherz, er sei am 1. Januar 1800 geboren, also der erste Mann des Jahrhunderts, ist eben – ein Scherz; übrigens würde Heine selbst dann noch ein Mann des 18. Jahrhunderts seiner Geburt nach sein, auch wenn er wirklich am 1. Januar 1800 geboren wäre, was vollkommen unbegründet ist.
  3. Die von Camilla Selden neu veröffentlichten Briefe sind zwanzig an der Zahl; dazu kommen fünf schon gedruckte; außerdem gehören zu diesen „wohl an hundert Blättern“ noch die Manuscripte der fünf bis sechs Gedichte an die „Mouche“ unter denen einige ziemlich lange, – bis auf eines übrigens längst gedruckt; dieses eine erscheint soeben in einem von mir herausgegebenen Nachtragsband zu Heine’s Werken.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ein Pseudonym von Elise Krinitz (1825–1896), deutsche Schriftstellerin und Pianistin. Der erste Besuch bei Heine fand am 19. Juni 1855, der letzte fünf Tage vor seinem Tod 1856 statt.
  2. Im Original folgt der Vers: „Du wirst zerstieben, wirst verhallen.“
  3. im Original: wilder