Aus dem Reiche San Marco’s

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Textdaten
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Autor: Karl Konrad
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Titel: Aus dem Reiche San Marco’s
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 340–343
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Rezension der Roman „Der Bravo“ von James Fenimore Cooper
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Aus dem Reiche San Marco’s.

Poesie und Sage haben über manche Epoche des Mittelalters einen bestrickenden Zauber ergossen, der uns wie ein duftiger Schleier das wahre Bild jener Zeiten verbirgt. Aber nehmt den Schleier hinweg – und was Ihr seht, kann nicht anders als abscheulich genannt werden.

Solch ein duftiger Schleier liegt auch über Venedig ausgebreitet. Von früher Kindheit an wird unsere Phantasie durch glänzende Bilder von der märchenhaften Lagunenstadt genährt, unser Sehnen und Verlangen vor anderen Städten auf diese gelenkt.

„Ja, schon als Knabe liebt’ ich sie – sie lebte
Wie eine Feeenstadt in meiner Brust –“

singt Childe Harold, der Vielgewanderte.

Und wirklich! wenn wir die grandiosen Marmorpaläste der wunderbaren Stadt, ihre schimmernden Kirchen durchwandern, wenn wir vom Marcus-Thurm auf das fluthenumrauschte Gewirr von Häusern und Kuppeln niederschauen und dabei ihrer Vergangenheit gedenken, so fühlen wir uns zur höchsten Bewunderung hingerissen für diesen Staat, der seine Herrschaft nach allen Küsten der Adria

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Der Bravo von Venedig.
Nach der Aquarelle von Professor Karl Werner.

[342] trug, für dieses „Volk von Königen“, dessen Thaten, „auf Dogengräbern in den Stein gehauen“, noch lange für die Nachwelt leben werden. Wir begreifen dann, daß schon so mancher Jüngling den romantischen Wunsch gehegt, zur Zeit des Tizian in Venedig gelebt zu haben; es scheint uns erklärlich, daß schon so manche Jungfrau das Loos der schönen Catarina Cornaro oder der Bianca Capello beneidet hat.

Und doch – nehmt den Schleier hinweg von diesem Venedig! Die Ereignisse, die sich einst in seinen Mauern abspielten, werfen ihre düstern Schatten bis in unsere Tage. Noch heute liegt es auf der königlichen Stadt wie ein schwerer, dumpfer Bann – eine Stimmung, welcher Platen in seinen herrlichen venetianischen Sonetten den treffendsten Ausdruck gegeben hat:

„Es scheint ein langes, ew’ges Ach zu wohnen
In diesen Lüften, die sich leise regen.“

Und wir vernehmen diesen Wehlaut im Geiste, wenn wir auf der Seufzerbrücke stehen, über welche die Verurtheilten einst zum letzten Gange schritten, wenn wir im Dogenpalast hinabsteigen zu den berüchtigten feuchtkalten „Pozzi“ oder hinauf zu den glühendheißen Bleikammern, deren Bau die raffinirteste Grausamkeit ersonnen hat. Diese Stätten der Qual und der Verzweiflung bilden eine entsetzliche Folie für die benachbarten goldstrotzenden Säle, in welchen Tintoretto die Heldentaten der edlen venetianischen Geschlechter verherrlicht, Paolo Beronese den heiteren, üppigen Lebensgenuß gefeiert hat. Diese erzählen von Glanz und Siegen, jene aber flüstern von Hinterlist, Verrath und Mord – auch vom Morde durch die Hand der Staatsjustiz.

Nach den spanischen Ketzergerichten kennt die Weltgeschichte vielleicht keine einzige so furchtbare Institution wie den Rath der Drei in Venedig. Er war der Schlußstein des immer höher strebenden und sich eng und enger centralisirenden venetianischen Aristokratenregiments, hervorgegangen aus dem Schooße des Rathes der Zehn, jenes gefürchteten Polizeigerichtes, das sich hinwiederum aus dem im zwölften Jahrhundert entstandenen Großen Rathe entwickelt hatte, und zwar nach einer Volksempörung wider den Dogen Vitale Michiel den Zweiten, welche die bestehende Verfassung stürzte und die Dogenwürde zur bloßen Titulatur herabsinken ließ. Jede Beschwörung, jede Auflehnung gegen das bestehende Regiment aufzuspüren und im Keime zu ersticken – das war seine vornehmste Aufgabe. Zur Erreichung dieses Zweckes war ihm die weittragendste Macht, eine Gewalt ohne Schranken und ohne Verantwortlichkeit verliehen. Unter Anwendung jedes Mittels durfte er die Verdächtigen vor sein Tribunal laden, durfte er ihr Geständniß durch die entsetzlichsten Torturen erzwingen; denn nur zum Schein hatte sich der neben ihm fortbestehende Große Rath, dessen engeren Ausschuß er bildete, die Prüfung der Sentenz vorbehalten.

Die drei Staatsinquisitoren wurden alljährlich durch das Loos gewählt, und zwar zwei von ihnen aus dem ebenfalls noch fungirenden Rathe der Zehn, der dritte aus dem des Dogen. Letzterer ward nach seiner Kleidung – einem weiten Talar von carmoisinrother Seide – vom Volke der „Rothe“ genannt, während die beiden Anderen aus demselben Grunde die „Schwarzen“ hießen. Die Wahl, welche Keiner ausschlagen durfte, blieb strenges Geheimniß und ward nur wenigen vertrauten Staatsdienern bekannt. Den Angeklagten gegenüber wahrten die Drei ihr Incognito durch schwarzseidene Masken. Sie versammelten sich in einem nur mäßig großen, im zweiten Stockwerke des Dogenpalastes befindlichen Gemache, das heutigen Tages seine alte Einrichtung leider nicht mehr zeigt. Es muß einen düsteren Anblick gewährt haben; denn seine Wände waren mit dunklem Leder bekleidet, Schränke und Tische aus Nußbaum- und Lärchenholz gefertigt. Eine von der Decke herabhängende Bronzelampe war so eingerichtet, daß sie ihren Schein voll auf den Platz warf, den der Angeklagte einnehmen mußte, den übrigen Theil des Gemaches aber in einem geheimnißvollen Dunkel ließ. Die Zimmerdecke zierten kostbare Gemälde von Tintoretto, welche die vier theologischen Tugenden darstellten – eine beißende Ironie auf die herrschsüchtigen, üppigen und habgierigen Oligarchen, die dort im Dunkel zu Gericht saßen!

Mit der seit dem fünfzehnten Jahrhundert in Italien eingetretenen Verderbniß der Sitten und den Intriguen, welche eifersüchtige fremde Fürsten gegen die vielgehaßte Republik anzettelten, vergrößerte sich die Wirksamkeit des schreckliche Inquisitionsgerichtes mehr und mehr. Mit ihr wuchsen der Argwohn und die Spionage im Solde der Drei, die darauf ausgingen, sich zu Mitwissern aller Familiengeheimnisse, ja eines jeden in der Stadt gesprochenen Wortes zu machen, und da man die Denuncianten meist reich belohnte, so fanden sich Spione in allen Classen der Bevölkerung, selbst unter den Geistlichen, die nicht einmal mehr das Beichtgeheimnis ehrten. Keiner durfte seinem Nächsten trauen; denn nur zu oft bedienten sich Gemeinheit und persönliche Rache der falschen Anklage für ihre schändlichen Zwecke. Den Angeber erfuhr man nie. Er brauchte nur den Zettel, der seine Klage enthielt, in die im Dogenpalast befindlichen marmornen Löwenmäuler – vom Volksmund bezeichnend bocce parlante (redende Mäuler) genannt – zu werfen, um seines Erfolges sicher zu sein.

War das Opfer des Angebers, dessen Proceß der Oeffentlichkeit völlig entrückt war, erst in den Staatsgefängnissen verschwunden, so brauchte er es in der Regel nicht weiter zu fürchten; denn frei kam so leicht Niemand vor einem Gerichte, dessen Schreiber der einzige Vertheidiger des Angeklagten war. Venedigs Kerker waren fest und verschwiegen. Dennoch hielten es die Drei in vielen Fällen für gerathen, die ihnen Mißfälligen ganz bei Seite zu schaffen. Wollte man ein Exempel statuiren, so hängte man den Verbrecher, das Gesicht verhüllt und auf der Brust eine Tafel, welche seine Schuld, nicht aber seinen Namen nannte, nächtlicher Weile zwischen den beiden Säulen der Piazetta auf – ein Verfahren, welches an das der Vehme erinnert. War hingegen Heimlichkeit am Platze, so ward der Verurtheilte in seinem Kerker erwürgt und sein Leichnam in den verrufenen vom Volke mit Schauder betrachteten Canal Orfano geworfen.

Mit der Einsetzung des Rathes der Drei hatte sich der venetianische Staat bis zur letzten Consequenz entwickelt. Und in dieser letzten Entwickelung sehen wir ihn als eine egoistische, herzlose Adelsherrschaft die beständig für ihr Dasein zittern und dieses durch starre Härte und gesteigerte Wachsamkeit zu erhalten suchen mußte. Ein ursprünglich weise berechnetes, weit verzweigtes System von Collegien, welches, gegenseitiger Controlle unterworfen, nirgends selbstständige Glieder auswies, diente jetzt nicht mehr dem allgemeinen Wohle, sondern nur noch der eifersüchtigen Aufrechthaltung engherziger Interesse einzelner Gewalthaber. Ein Organismus, dem niemals frisches Leben zuströmen kann, auf welchem zudem der Fluch des Geheimnisses lastet, wird schließlich zum traurigsten aller Zustände, zu Stillstand und Fäulniß gelangen. Und dies war auch das Schicksal Venedigs, dessen Jahrhunderte lang andauerndem Todeskampf zuletzt das Machtwort des corsischen Eroberers ein Ende machte.

Ein treues Bild des bereits an seinen inneren Schäden schwer erkrankten venetianischen Staatslebens, zu einer Zeit, da auch die äußere Macht Venedigs durch die Osmanen und sein Reichthum durch englische und holländische Kauffahrer empfindliche Einbuße erlitten hatten, ein Bild, das geeignet ist alle poetischen Illusionen über die geschilderten Zustände zu zerstören, liefert der Cooper’sche Roman „Der Bravo“. Der amerikanische Schriftsteller schildert das damalige Venedig und sein Leben mit düsteren Farben mit zu düsteren vielleicht; denn er scheint manchmal zu vergessen, daß dieselben Einrichtungen und Gesetze, deren Immoralität und Unmenschlichkeit er uns an traurigen Beispielen nachweist, vor ihrer späteren Ausartung Venedig groß gemacht haben. Doch läßt sich so ziemlich alles, was er aufstellt, mittelst gleichartiger Fälle beweisen. Noch existirt ein langes Verzeichniß der Grundsätze, welche das geheime Tribunal zur Richtschnur seiner Handlungen nahm, sowie eine Reihe von Regierungsmaximen, von den Franzosen in Venedigs Archiven aufgefunden, welche uns das tyrannische und eigennützige Verfahren des Staates und namentlich das erbarmungslose Wirken der Drei in erschreckend klarem Lichte zeigen.

Unter einem „Bravo“ verstand man in Venedig einen Menschen, der aus dem Meuchelmord ein Geschäft macht und sein Stilet im Dienste eines Jeden gegen einen Jeden arbeiten läßt. Die venetianischen Edelleute machten häufig von diesem Mittel, sich unbequemer Gegner zu entledigen, Gebrauch, und auch die Regierung soll es zu Zeiten nicht verschmäht haben. Cooper’s Held ist aber nur dem Scheine nach ein Bravo, in Wirklichkeit ein edeldenkender, armer Mensch, der durch schändliche Intriguen gezwungen wird, der von ihm tödtlich gehaßte Inquisition als Agent und Spion zu dienen. Geflissentlich in den Ruf eines Meuchelmörders gebracht, wird er als solcher auch verurtheilt, als die herzlose Politik seiner Quäler dieselbe nöthigt, ihr bisheriges Werkzeug fallen zu lassen. Die spannende Erzählung, deren tragisches Ende erschütternd wirkt, dürfte auch in Deutschland hinreichend bekannt sein, um diese kurzen Andeutungen genügend erscheinen zu lassen.

[343] Cooper's Tendenz wendet sich vorzugsweise an das nordamerikanische Leserpublicum, das er ausdrücklich warnt, „in dem Namen Republik eine Aehnlichkeit mit den gerechten und daher populären Institutionen seines eigenen Landes zu finden“. Er will darlegen, „wie die Menge in den Netzen einer Geheimpolitik sich verfängt“, und „was die Nichtverantwortlichkeit einer aristokratischen Regierungsform heißen will“. Seine Anschauung gipfelt in dem Satze: „Die Lüge ist die Mutter aller Verbrechen, und nie hat sie einen zahlreicheren Nachwuchs, als wenn sie ihren Ursprung vom Staate selbst ableitet.“

Der beifolgende Holzschnitt, nach einem größeren Aguarell Karl Werner’s gefertigt, behandelt eine der Hauptscenen des eben besprochenen Romans. Er zeigt uns den vorgeblichen Bravo vor dem Rathe der Drei. Mit edlem Freimuthe steht der Unglückliche, der das ganze Truggewebe, in das er verstrickt ist, klar durchschaut und wohl weiß, daß sein Untergang bereits beschlossen ward, unter der ihn hell bestrahlenden Lampe. Er kennt ja längst den Dank, den San Marco für seine Diener hat, und verschmäht es, durch Bitten oder Lügen sein Leben von solchen Richtern zu erkaufen.

Karl Konrad.