Aus den Geheimnissen der Puppentoilette

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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Aus den Geheimnissen der Puppentoilette
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 32, 34
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus den Geheimnissen der Puppentoilette.

Jetzt, da das Christkind überall die neuen Puppen gebracht hat, ist es gewiß zeitgemäß, von diesem uralten Spielzeug zu sprechen. Und dieses Thema ist interessanter, als Viele meinen möchten; denn die Puppe hat wie die Menschen eine Geschichte; sie ist in allen Erdzonen verbreitet wie unser Geschlecht und in alten Gräbern, unter den Trümmern längst verlassener Burgen hat man Puppen gefunden. In unseren Museen sehen wir Puppen, mit welchen im Alterthum griechische und römische Mädchen gespielt, und es fehlen sogar nicht selten überseeische Exemplare, die einst die Augen der Indianerkinder erfreuten und nach Jahrhunderten von deutschen Forschern in den Incagräbern in Peru gefunden wurden. Ja, man könnte sogar von einer Ethnographie der Puppe sprechen; ich denke dabei an das rauhhaarige Spielzeug der Tschuktschenkinder, welches der Nordpolfahrer Nordenskiöld abgebildet und beschrieben hat.

Ich will jedoch nicht von den alten Docken, sondern von den eleganten modernen Puppen erzählen und einige nicht uninteressante Geheimnisse ihrer Toilettenkünste verrathen. Unsere Frauen geben so viel auf den Teint ihrer Haut; von dem trefflichen frischen Quellwasser bis zur Schminke, zum Puder und zu allerlei fraglichen Schönheitswässern greifen viele der Reihe nach. Eben so ist der Fabrikant um den frischen Teint der Gesichtchen seiner Puppen besorgt und wendet seinen ganzen Scharfsinn an, um ihn im Aussehen der menschlichen Haut möglichst ähnlich zu gestalten.

Seit alten Zeiten hat man für feine Puppenköpfe in dem Wachs einen trefflichen Rohstoff erkannt, und unzweifelhaft zählen die „Wachspuppen“ zu dem schönsten Spielzeug unserer Kleinen. Ein Korallenmündchen, rosig angehauchte Wangen, die zierlichsten Augenbrauen – alle diese Schönheitsmerkmale kann der „Künstler“ mit gut gewählten Farben der Wachspuppe auftragen. Täuschend ähnlich einem menschlichen Wesen steht dann das kleine Kunsterzeugniß; wer jemals ein Panoptikum besucht hat, der weiß, wie gefügig sich das Wachs unter geschickten Händen erweist.

Aber das zarte Material ist auch mit Mängeln aller Art behaftet. Die Wachspuppen gelangen ja in die Hände von Kindern, und wie zartfühlend und sorgsam auch die kleinen Mütter sein mögen, geschickt sind sie gewiß nicht; sie lassen ihre Pfleglinge fallen, stoßen mit ihnen gegen harte Gegenstände an, streicheln ihnen die Wangen mit dem eigenen, nicht immer reinlichen Händchen. So sieht die Wachspuppe nach wenigen Tagen wie ein kleiner Struwwelpeter aus: zerschunden und beschmutzt ist ihr Gesicht, welches leider nicht gewaschen werden kann.

Aber noch andere bedenkliche Schwächen sind der Wachspuppe angeboren. Sie ist eigentlich ein Kind der gemäßigten Zone und kann weite Reisen nach dem Süden und Norden nicht vertragen. Ja selbst in unserer Heimath darf sie nicht, wie die kleinen Kinder, auf Reisen geschickt werden, wenn ein starker Frost herrscht. Sinkt die Temperatur unter –5°R., so erhält die Wachspuppe Risse und Sprünge. Man hat zwar durch verschiedene Beimengungen das Wachs gegen die Einflüsse der Kälte widerstandsfähiger zu machen gewußt, aber die Natur hat auch hier der menschlichen Erfindungskraft eine Grenze gezogen; bei einer Kälte von –10°R. ist jede Wachspuppe rettungslos verloren. Und gerade um Weihnachten, wo so viel Puppen von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt geschickt werden, greift so oft der Winter mit voller Strenge ein, dann versucht man die verdorbenen Puppen wieder herzustellen, und es gelingt dies auch in vielen Fällen, wenn man die Puppe vorsichtig an einen warmen Ofen hält, die Sprünge gehen dann in „leichten Fällen“ von selbst zusammen. „Narben“, welche das Gesicht entstellen, sind aber leider unausbleibliche Folgen auch bei vielen dieser „Puppenwunden“. Tiefere Risse sind vollends unheilbar.

Gleich empfindlich ist die Wachspuppe gegen die Wärme. In die Tropenländer darf sie sich gar nicht wagen; niemals wird sie eine Afrikareisende werden! Wir wissen ja, daß Briefe, welche den Aequator passiren sollen, mit Siegellack nicht geschlossen werden dürfen, weil dieses in jenen südlichen Ländern schmilzt. Der Wachspuppe, die aus einem noch schmelzbareren Stoff geformt ist, würde es auf einer solchen Fahrt recht schlimm ergehen. Das ist ein betrübender Umstand; denn die Kinder der südlichen Länder freuen sich eben so über schöne Puppen wie die unsrigen, und der deutsche Spielwaarenfabrikant ist darauf angewiesen, seinen Erzeugnissen die weitesten Absatzgebiete zu erschließen.

Die Noth ist die Mutter der Erfindungen, auch in der Puppenfabrikation behält das alte Sprichwort Recht.

Gegen Kälte und Wärme ist eine Wachspuppe nicht zu schützen, wohl aber kann man sie widerstandsfähiger gegen die thätlichen Angriffe der Pflegemutter machen, indem man sie mit einem Ueberzug von Kollodium versieht; dann ist die Puppe auch waschbar, aber immerhin noch ein sehr zartes Geschöpf. Es scheint aber, daß es unsrer Zeit vorbehalten ist, ein unverwüstliches Puppengeschlecht zu zeitigen, und wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird Thüringen dessen Wiege sein.

Schon seit Jahren gelangen von dort Biscuitporcellanköpfe in Handel, die sehr beliebt sind. Das Biscuitporcellan besitzt keine Glasur; seine Oberfläche ist matt und kann durch Bemalen mit geeigneten Schmelzfarben der menschlichen Haut außerordentlich ähnlich gemacht werden. Aber diese Köpfe sind noch keineswegs das Ideal der Fabrikation; sie sind leicht zerbrechlich und schwer.

Dem Wachs ist ein anderer und viel gefährlicherer Rival erstanden: das Papiermaché. Wir machen alles Mögliche aus Papier: „Ziegelsteine“ zum Hausbau und Eisenbahnräder, und es taugt auch für Puppenköpfe.

In der That sind die Papiermachépuppen weniger zerbrechlich, leichter und vor Allem billiger als die Biscuitporcellanköpfe. Sie lassen sich bemalen und lackiren, mit einem Ueberzug versehen, und gerade die Ueberzüge für Puppenköpfe bilden jetzt eine der brennendsten Fragen in den eigenartigen Toilettengeheimnissen der Puppenwelt.

Vor etwa zehn Jahren nahm ein Sonneberger das Patent auf eine Lösung, die er „Kautschukmasse“ nannte. In diese Masse tauchte er die Puppenköpfe ein, und als der Farbüberzug getrocknet war, bildete derselbe eine feste elastische Haut, die selbst dann noch ganz blieb, wenn der Papiermachékopf unter ihr längst in Brüche gegangen war. Wie verlockend auch die Aussicht auf „unzerreißbare Puppenköpfe“ als Pendant zu den „unzerreißbaren“ Bilderbüchern sein mochte, man setzte an der Kautschukmasse doch Einiges aus; ihre Farben verblichen zu rasch und die Haut zerfloß in feuchter Wärme. Die „Unzerreißbare“ war nicht exportfähig nach Kamerun oder Brasilien.

Da erfand ein Sonneberger Chemiker um dieselbe Zeit einen Lack, der nach dem Eintrocknen nicht glänzte, sondern matt erschien wie der menschliche Teint. Anfangs wurde er mit seiner Erfindung von den Fabrikanten abgewiesen, als aber einer von ihnen dennoch das Patent von ihm erwarb und mit seinen Puppenköpfen Aufsehen erregte, da wurde der „tunkbare Mattlack“ sehr begehrt, und heute giebt es eine ganze Anzahl von ähnlichen Lacken, die im Grunde genommen doch Nachahmungen des ursprünglichen sind. Die mit diesem Ueberzug versehenen Papiermachépuppen nennt man „waschbare matte“, und sie bilden in der That einen der gangbarsten Handelsartikel. Durch die Konkurrenz sind sie außerdem äußerst billig geworden „Ein Dutzend Puppenköpfe von 10 Centimetern Höhe, mit Glasaugen [34] versehen und mit langhaariger Frisur, schön gemalt und matt lackirt, muß der Fabrikant für 2 Mark 30 Pfennig liefern können, sonst bekommt er Nichts zu thun,“ schreibt unser Gewährsmann. (Vgl. „Archiv für Spielwaaren-Industrie“. Koburg, Th. Herm. Wechsung, 1887.)

Aber die Tage, wo die „Waschbare Matte“ die Herrscherinnenrolle spielte, scheinen schon gezählt zu sein. Der Erfindersinn ruht nicht im Thüringerlande. Vor einiger Zeit hat wiederum ein Sonneberger einen Ueberzug hergestellt, der den Mattlack weit übertrifft. Das neue „Matt“ besitzt das Aussehen einer frischen jugendlichen Haut oder einer hauchartig angelaufenen Obstfrucht. Außergewöhnlich schön sind die jüngsten Kinder der betreffenden Fabrik, und dabei unverwüstlich; der neue Teint läßt sich kaum noch durch Waschen und Reiben, selbst bei der größten Anstrengung, beseitigen; Seifenwasser, Spiritus, Schwefeläther und Terpentinöl können ihn nicht auflösen. Chemiker und Lackfabrikanten möchten gern das neue Geheimniß der Puppentoilette ergründen; aber gewitzigt durch die Erfahrungen Anderer, hat der Fabrikant es treu zu hüten gewußt. Seine wunderbare Mischung hat bis jetzt nur noch ein zweiter Sonneberger „nacherfunden“; aber auch dieser schweigt über seinen Schatz.

„Puppenteint!“ Wie komisch und geringfügig klingt das Wort, und welche Rolle spielt es doch in dem volkswirthschaftlichen Leben! Es beschäftigt viele Köpfe; es setzt chemische Wagen und Retorten in Bewegung; es bedeutet Gewinn und Verlust. Sie sind auch Toilettenkünstler, unsere deutschen Puppenfabrikanten, und sogar größere als die berühmte Emailleuse Rachel, von welcher Hans Wachenhusen vor Kurzem unseren Lesern erzählt hat. Die armen gefallsüchtigen Damen, welche mit dem Rachel’schen Email glänzen wollten, mußten auf die Wohlthaten des Waschens verzichten – die „Matten Waschbaren“ aber können getrost alltäglich von Gretchen und Kätchen nach Belieben mit Schwamm und Seifenwasser beglückt werden.

Unsere Zeit schreitet auf allen Gebieten vorwärts; aber nicht Jedem bringt sie damit Freuden. Ich kannte eine Frau, die viel mit Puppen zu thun hatte und der gerade die neuen Erfindungen viel Kopfzerbrechen bereiteten. Es war die berühmte Leipziger Puppendoktorin, deren Bild einst eine Nummer der „Gartenlaube“ schmückte. (Vergl. Jahrg. 1874, S. 787.) Sie hatte im Laufe der Jahre viele Tausende von Puppen kurirt und die verzweifeltsten Fälle wie Schädelbrüche, Verluste der Glieder etc. mit sicherer Hand wieder gut gemacht. Sie war eine Langenbeck auf diesem eigenartigen Gebiete und auch eine Toilettenkünstlerin sonder Gleichen. Bleichsüchtig gewordene Püppchen erhielten bei ihr in wenigen Tagen die blühendsten Rosenwangen. Während ich diese Zeilen niederschreibe, liegt das „Leipziger Tageblatt“ vom 2. December vor mir. Es enthält die Anzeige von dem Tode der Puppendoktorin Frau Emma Friederike Schneider.

Ich muß gestehen, daß die Gedanken an unsere „alten Beziehungen“ mir Veranlassung gaben, diesen Artikel über einige Fortschritte und Erfindungen in der Puppenfabrikation zu schreiben.

C. Falkenhorst.