Aus der Gesellschaft

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Autor: Theodor Fontane
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Titel: Aus der Gesellschaft
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aus: Gedichte, Seite 39–45
Herausgeber:
Auflage: 10. Auflage
Entstehungsdatum: 1895
Erscheinungsdatum: 1905
Verlag: J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger
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Erscheinungsort: Stuttgart und Berlin
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Quelle: Scans auf Commons
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[39]
Aus der Gesellschaft.


1. Hoffest.

     Erst kommt der Zar, der Herr aller Reußen,
Dann kommt das offizielle Preußen.

     Im Weißen Saal, unter der Gittervergildung,
Eben beginnt die Gruppenbildung:

5
Geheimeräthe, nach Regel und Normen,

In Fracks, in Orden, in Staatsuniformen.

     Deinem besten Freunde, so rath’ ich Dir gern,
An solchem Tage bleib’ ihm fern,
Er kennt Dich, ach, und kennt Dich nicht,

10
Ein eignes Lächeln umschwebt sein Gesicht,

Serên und ernst und verlegen zugleich,
Heut ist er Preußen, heut ist er das Reich.

     Deinem besten Freunde, so rath’ ich Dir gern,
An solchem Tage bleib’ ihm fern,

15
Er stellt Dich vor, doch Du wirst’s nicht froh,

Alles spöttisch und nur so so:
„Sie kennen ja unsren berühmten Sänger,“
Alle Gesichter werden länger.

     So geht es weiter, Dir wenig nach Wunsch,

20
Bis er endlich kommt – der Fastnachtspunsch,

Pfannkuchen und Punsch, und sieh, im Gemüthe,
Blüht wieder auf die Menschenblüthe,
Gemeinschaftlich und fidel und munter
Geht’s schließlich die Wendeltreppe hinunter,

25
Und unten heißt’s wie vor dreißig Jahren:

„Willst Du nicht mit mir nach Hause fahren?“


[40]
2. Der Subalterne.


     „Immer Achselzucken (es ist zum Lachen)
Und doch sind wir es, die es machen.

     „Das Bischen Deutschland zusammenzuschweißen,
Das lag in der Zeit, das will nicht viel heißen –

5
Und Sedan? Nach links und rechts zu schwenken,

Ist auch nichts Gefährlichs auszudenken.

     „Ich bin nicht für Ruhm, ich bin nicht für Ehr’,
Es ist mit alledem nicht weit her,
Und es wär’ mir ein Leichtes mich drin zu finden,

10
Wär’ nicht die Frau, – die kann’s nicht verwinden.“


     So hieß es um Weihnacht. Am Ordensfest
Sprang um der Wind von Ost nach West,
Der Glauben an Gottes Gnad und Güte
Schlug wieder Wurzel in seinem Gemüthe.

15
Wie’s blinkt, wie’s schillert. Er strahlt, er bebt.

„Ich habe nicht umsonst gelebt.“


3. Der Sommer- und Winter-Geheimrath.

     Um die Sommerzeit sind sie wie andre Menschen
Aus Schwiebus, Reppen oder Bentschen.

     Zumal in Bädern, in Ostseefrischen
Sitzt man mit ihnen an selben Tischen,

5
Und sind auch verschieden der Menschheit Loose,

Gleichmacherisch wirkt die Badehose,
Der alte Adam mit seinen Gebrechen
Läßt manches schweigen und manches sprechen.

[41]
Am Spill wurde gestern ein Seehund geschossen,
10
Zudrängen sich alle Strandgenossen;

Man will ein Kinderhospiz errichten,
„Sie können einen Prolog uns dichten.“
Allgemeines heitres sich Anbequemen,
Ein Unterschied ist nicht wahrzunehmen.

15
     So der Sommer; er hat sein Bestes gethan,

Aber nun bricht der Winter an.

     Beim Botschafter S. ist Gala-Fête,
Dein Spill-Freund ist mit an der Tête,
Noch schützt Dich die bergende Fensternische,

20
Jetzt aber gilt es, jetzt geht es zu Tische,

Du sitzt vis-à-vis ihm, es trifft Dich sein Gruß,
Davor Dein Herz ersteinen muß.
Es wundert sein Chef sich, sein Kollege,
Die Badebekanntschaft ist plötzlich im Wege,

25
Von dem, mit dem Du den Seehund umstanden,

Von dem „sommerlichen“ ist nichts mehr vorhanden,
Statt seiner der „winterliche“ … Du frierst.
Suche, dass Du Dich rasch verlierst.


4. Auf dem Matthäikirchhof.

     Alltags mit den Offiziellen
Weiß ich mich immer gut zu stellen,
Aber Feiertags ’was Fremdes sie haben,
Besonders wenn sie wen begraben,

5
Dann treten sie (drüber ist kaum zu streiten)

Mit einem Mal in die Feierlichkeiten.

[42]
Man ist nicht Null, nicht geradezu Luft,

Aber es gähnt doch eine Kluft,
Und das ist die Kunst, die Meisterschaft eben,

10
Dieser Kluft das rechte Maß zu geben.

Nicht zu breit und nicht zu schmal,
Sich flüchtig begegnen, ein-, zwei-, dreimal,
Und verbietet sich solch Vorüberschieben,
Dann ist der Gesprächsgang vorgeschrieben:
„Anheimelnder Kirchhof … beinah ein Garten …

15
Der Prediger läßt heute lange warten,“

Oder: „Der Todte, hat er Erben?
Es ist erstaunlich, wie viele jetzt sterben.“


5. Kirchenumbau.
(Bei modernem Gutswechsel.)

     Spricht der Polier: „Nu blos noch das Eine:
Herr Schultze, wohin mit die Leichensteine?
Die Meisten, wenn recht ich gelesen habe,
Waren alte Nonnen aus „Heiligen Grabe.“

5
     „‚Und Ritter?‘“


     „Nu Ritter, ein Stücker sieben,
Ich hab’ ihre Namens aufgeschrieben,
Blos, wo sie gestanden, da sind ja nu Löcher:
1 Bredow, 1 Ribbeck, 2 Rohr, 3 Kröcher,

10
Wo soll’n wir mit hin? wo soll ich sie stell’n?“


     „‚Stellen? Nu gar nich. Das giebt gute Schwell’n,
Schwellen für Stall und Stuterei,
Da freun sich die Junkers noch dabei.‘“

[43]
     „Und denn, Herr Schultze, dicht überm Altar
15
Noch so ’was vergoldigt Kattolsches war,

Maria mit Christkind … Es war doch ein Jammer.“

     „‚Versteht sich. In die Rumpelkammer!‘“


6. Wie man’s machen muß.

     Zwei- oder dreimal mußt’ er vor’s Messer,
Dann war er durch und ein Durchschnittsassesser.

     Im Uebrigen war er ein Pfiffikus:
„Eine Spezialität man wählen muß.“

5
     Und endlich hat er sich entschieden:

‚Das Durchfahrtsrecht in Krieg und Frieden‘.

     Er las dreiunddreißig fremde Werke,
Broschüren wurden seine Stärke.

     Traten dann Conferenzen zusammen,

10
Und stand der Streit in hellen Flammen,


     Und kam’s, daß man keinen Ausweg sah,
So hieß es: „Ist kein Dalberg da?

     Warum uns zanken, quälen, schlagen,
Assessor Null wird uns alles sagen.“

15
     Und wirklich, Null wird zugezogen,

Es legen sofort sich des Streites Wogen.

     Ein Titel schreitet jetzt vor ihm her,
Null ist schon lange Null nicht mehr.

     Jüngstens empfing er den siebenten Orden,

20
Ist aber drum nicht schöner geworden.



[44]
7. Erfolganbeter.


Nie hab’ ich ein dummeres Stück gelesen.
     „Das Haus ist ausverkauft gewesen.“

Farbe, Linien, alles verschwommen,
     „Die Jury hat es angenommen.“

5
Ein Skandal ist seine Art zu leben.

     „Der Botschafter hat ihm ein Fest gegeben.“

Glauben Sie mir: er ist ein Kujon.
     „Hat aber eine Thaler-Million.“


8. Such’ nicht, wie’s eigentlich gewesen.

     Such’ nicht, wie’s eigentlich gewesen,
Wolle nicht in den Herzen lesen.

     Sieht’s freundlich aus, nimm’s freundlich an,
Nimm den Biederthuer als Biedermann.

5
     Alle Flügelmänner auf Sammellisten,

Nimm sie hin als Musterchristen.

     Wenn sie nur geben beim Liebeverkünden,
Forsche nicht nach den letzten Gründen.


[45]
9. Nur nicht loben.


     Schreibt wer in Deutschland historische Stücke,
So steht er auf der Schiller-Brücke.

     Macht er den Helden zugleich zum Damöte,
So heißt es: Egmont, siehe Goethe.

5
      Schildert er Juden, ernst oder witzig,

Ist es Schmock oder Veitel Itzig.

     Schildert er einige hübsche Damen,
Heißt es: Dumas … Ehebruchsdramen.

     Jeder Einfall, statt ihn zu loben,

10
Wird einem andern zugeschoben.


     Ein Glück, so hab’ ich oft gedacht,
Daß Zola keine Balladen gemacht.