Aus der Menschenheimath/Erster Brief

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Textdaten
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Autor: Emil Adolf Roßmäßler
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Titel: Aus der Menschenheimath. Erster Brief
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 7–8
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Teil 1 der Artikelreihe Aus der Menschenheimath.
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Aus der Menschenheimath.

Briefe[1]
Des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Erster Brief.

Da ist sie nun wieder, die Zeit der Weihnacht und des Jahreswechsels. Da freut sich Alles, Alt und Jung – Groß und Klein, und alle Hände regen sich, alle Sinne mühen sich, wie wohl den lieben Angehörigen eine Freude zu machen wäre. Es mag herkommen, wo es will, zu einem Lichterbäumchen und ein Paar Aepfeln und Nüssen wird Rath geschafft; und die kleinen Kinderchen lernen ein Verschen auswendig, um den Alten eine Freude zu machen; die Größeren schreiben es auch wohl, und die Mädchen stricken dem alten Vater ein Paar warme Socken. Du lieber Himmel, wenn ich so an all’ das denke, so wird mir ganz weich um’s Herz, denn ich habe ja Niemand, Niemand, dem ich eine Vaterfreude machen könnte, Niemand, den ich als guten Sohn oder als herzliebes Töchterlein an’s Herz drücken könnte. Alles ist mir gestorben. Meine Frau hat mich verlassen, und mein Robert liegt bei den Düppeler Schanzen verscharrt. Du weißt ja, wo er liegt, denn er fiel an Deiner Seite.

Wenn ich Abends so ganz allein im Stübchen sitze – die alte treue Magd sitzt theilnahmlos am Spinnrocken, denn sie ist halb taub – und ich so vor mich hin sinne, und Alles um mich her bis auf das ewige Ticktack der alten Wanduhr mäuschenstill ist; so kann ich manchmal recht traurigen Herzens werden. Dann kommt mein alter Karo hinter dem Ofen hervor und legt seinen Kopf auf meinen Schoos und schaut mich mit seinen Augen so treuherzig an, als wollte er mich fragen um mein Herzeleid.

So war’s auch neulich Abend einmal. Ein Decembersturm rüttelte an den alten, morschen Fensterladen und den ganzen Tag hatte ich keine Seele gesehen; denn vor meinem abgelegenen Häuschen kommt bei schönem Wetter selten Jemand vorüber, geschweige denn bei argem Gestöber, wie es den ganzen Tag gehaust hatte. Ich war aber nicht eigentlich traurig, sondern vielmehr weich, sehnsuchtsvoll gestimmt, denn ich dachte an Dich und die frohen Tage, die ich vorigen Herbst bei Dir und Deiner braven Frau verlebt hatte. Ich erinnerte mich alles dessen, was wir gesprochen hatten. „Was mag er denn machen!“ dachte ich, „könntest Du doch die Weihnachts- und Neujahrszeit bei ihm und seinen muntern Buben zubringen!“ So gab ein Gedanke den andern. Zuletzt war ich bis zu dem Gedanken gekommen, den Du jetzt schwarz auf weiß in Händen hast. Ich dachte, wenn auch die alten Beine und der leichte Geldbeutel den weiten Weg bis in Dein Haus unmöglich machten, so konnte ich ja doch brieflich bei Dir sein. Da bin ich nun. Siehst Du mich nicht zwischen den Zeilen stehen, wie ich Dir lächelnd die Hand zum Gruße reiche?

Wie das Alles so in meinen grauen Kopf gekommen ist – fragst Du? Du weißt ja, daß ich leider weiter nichts zu thun habe, als was ich mir auf eigne Hand zu schaffen mache. Du weißt auch, daß ich selbst immer etwas Neues aus guten Büchern lerne und daher auch Andern davon mittheilen kann. Meine Liebhaberei zu den Büchern habe ich immer noch und mancher hochgelehrte Herr Professor würde sich wundern, in dem armseligen Stübchen eines Schulmeister emer. einen vollen Bücherschrank zu finden. Wird auch nebst meinem alten Lehnstuhl und meinen Bienenkörben meine einzige Verlassenschaft sein! Du lieber Himmel, für wen? Doch [8] daß ich nicht Eins in’s Andere rede. Ich meinte nur so. Ich schreibe Dir alle Wochen einen recht langen, langen Brief, da habe ich kaum etwas Nützliches zu thun, und erzähle Dir darin bald von Dem, bald von Jenem, allerlei. Aber immer soll’s was Nützliches sein. Dein Haus wird ja groß, dem kannst Du’s ja wieder erzählen, oder guten Freunden, wenn Du welche hast. Von was ich Dir erzählen werden? Das wird sich schon finden. Ich kenne dich ja. Sieh einmal z. B., jetzt schneit’s, daß man die Hand nicht vor den Augen sehen kann. Habe ich Dir schon einmal erzählt, wie sich die Schneeflocken in der Luft bilden, und wie sie so wunderschöne Figuren bilden? Neulich fragtest Du mich nach dem Wesen des Wetterglases und warum beim Bierbrauen die Gerste erst keimen müßte, um das süße Malz zu geben. Damals kamen wir wieder davon durch andere Dinge ab. Sieh, solche Dinge will ich Dir erzählen und – denn ich habe ja Zeit – auch immer durch kleine Bilderchen veranschaulichen, wo es zum Verstehen nothwendig ist.

Wie viele Millionen Samenkörner hast Du schon der Mutter Erde in den Schooß gestreut, und sie sind Dir bis auf die tauben und die die Vögel fraßen, alle aufgegangen. Das langweilige Geschäft des Säens wird Dir gewiß nicht mehr langweilig sein, wenn Du wissen wirst, wie fein das Samenkorn inwendig gebaut ist und wie, wodurch und an welcher Stelle in demselben der kleine Keim geweckt wird. Bald hoffst Du auf Regen, bald auf Sonnenschein für Deine Saatfelder. Weißt Du aber auch, was Wärme und Wasser thun, wenn sie Deine Pflanzen zum Wachsthum treiben – diese beiden großen Triebfedern in der nimmer ruhenden Werkstatt des Erdenlebens? – Wenn Du ein Bäumchen aus Deiner Pflanzschule hinaus auf einen Ackerrain setzest, so eilest Du, damit inzwischen die feinen Saugwürzelchen nicht vertrocknen und absterben. Soll ich Dir einmal den wunderbar zarten Bau eines solchen Würzelchens abzeichnen? Gewiß, Du wirst dann mit noch einmal so viel Sorgfalt beim Verpflanzen verfahren.

Als ich neulich bei Dir war, fragtest Du mich, was ich immer so allein halbe Tage lang in den Bergen herum kletterte. Jetzt will ich Dir’s sagen. Ich hatte damals just kurz vorher eine sogenannte geologische Karte bekommen, – was das heißt, will ich Dir auch einmal brieflich deutlich machen – auf welcher auch die Gegend, wo Dein Dorf liegt, mit enthalten war. Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir einmal brieflich das mittheile, was ich damals auf meinen Spaziergängen gelernt und beobachtet habe. Du wirst dann hören, nicht nur aus was für Steinarten Eure Berge gebildet sind, sondern auch wie sie entstanden sind, daß der eine um Jahrtausende älter oder jünger als der andere ist, daß in alter, alter Zeit, noch lange vorher, ehe es Menschen gab, in Eurer Gegend Elephanten und Rhinozorosse und andere gänzlich ausgestorbene Thierarten lebten, von denen sich jetzt dort noch versteinerte Ueberreste finden.

Also – soll ich? – doch, dumme Frage! ich kenne Dich ja. Man kann Dir ja keine größere Freude machen, als mit nützlichen und lehrreichen Neuigkeiten.

Drum für heute genug. Heute über acht Tage kommt der erste Brief. Damit Du indeß vorläufige Idee von dessen Inhalt bekommst, so lege ich Dir das dazu gehörige Bildchen hier bei. Ich werde Dir darin von dem Bau und dem Keimen des Pflanzensamens Einiges erzählen. Du brauchst nicht zu antworten, außer wenn ich mich Dir nicht deutlich genug gemacht habe. Du hast in Deiner Wirthschaft zu thun.

Lebe wohl.

Dein 

über seinen eignen Einfall hocherfreuter 

Lehrer und Freund Fr. 


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Schnellpressendruck von Giesecke & Devrient in Leipzig.

  1. Wie Mancher schreibt Briefe an einen seiner Freunde und ahnet nicht, daß später sein Freund oder dessen Hinterlassene die gesammelten Briefe zu aller Welt Nutz und Frommen drucken lassen. Nicht Alles, was für den Druck geschrieben wird, ist werth, daß man es druckt; aber Vieles, was blos für eines einzelnen Freundes Kopf und Herz bestimmt war, verdient durch den Druck Vielen zugänglich gemacht zu werden. Die Red. hat gemeint, daß auch diejenigen Briefe dies verdienen, welche ein alter hochverdienter Schulmann an seinen ehemaligen Schüler geschrieben hat. Die Bilderchen, die den Briefen beiliegen, sollen immer in sauberen Holzschnitten ausgeführt und den gedruckten Briefen beigefügt werden.