Australien in London

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Titel: Australien in London
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 514-517
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[514]

Lebens- und Verkehrsbilder aus London.

V.
Australien in London.


Im Osten von der Paulskirche oder der Londonbrücke durch die Labyrinthe der Straßen zu wandern, und in die Läden zu blicken und zu errathen suchen, was Alles darin steckt, ist vielleicht eine größere Aufgabe, als von Petersburg nach Paris zu reisen und auf diesem Wege zu sehen, was zu sehen ist. In jenen Theilen Londons schlummern australische Städte, mit Allem, was dazu gehört und noch viel mehr, nämlich gleich aller mögliche Luxus europäischer Civilisation. Aber diese schlummernden Häuser, Küchen, Betten, Kleider und tausenderlei fabelhafte Instrumente, die für australischen Goldboden gemacht sind, gehören schon zu dem Innern Australiens in London. Sehen wir uns erst das Aeußere an. In allen Theilen der Handelsweltstadt bemerkt man seit einiger Zeit große Gemälde, seltsame Ritter darstellend. Pferd und Reiter sehen Dich zunächst sehr fremdartig an. Erst in der Nähe erkennst Du das seltsame Springpferd Australiens, das Känguruh und den wilden bärtigen Mann, der darauf reitet, mit einem 100pfundigen Goldklumpen vor sich, als den glücklichen Goldgräber, der wie besessen dahin sprengt, um die neuesten Nachrichten an- und sein Geld durchzubringen. Diese Ritter zeigen an, daß in den betreffenden Läden die neuesten Zeitungen von Australien zu haben sind.

Dort schleppt sich ein ungeheurer Wagen durch das Verkehrsgewühl der Straße, und ein Goldklumpen, wie ein zweistöckiges Haus groß (in welchem der Fuhrmann sitzt), ladet Dich ein, Dich zu beeilen, da eben dieses und jenes eiserne, gekupferte Segel- oder Dampfschiff erster Klasse im Begriff steht, nach Melbourne oder Sidney abzugehen und nur noch wenige Plätze zu haben sind.

Um eine Ecke herum begegnest Du vielleicht einer Armee wandernden goldener Buchstaben, jeder beinahe so groß, wie ein Mann, wenigstens in dem Haupttitel, der allemal lautet: „Gold-fields of Australia“. Zwischen den großen Pappscheiben wandern die Träger dieser kolossalen Intelligenzblätter, 40–50–100, um sich erst durch ihre Masse bemerkbar zu machen und dann in die einzelnen Stadttheile zu vertheilen. In der Regel werden auf diese Weise neue Unternehmungen für oder in Australien angekündigt, Actiengesellschaften, die Goldfelder und goldene Berge gekauft haben und Dich an ihrem Gewinne Theil nehmen lassen wollen, Unternehmungen, die Dir die Sammlung des Reisegeldes erleichtern und dergleichen. Ueberall seit Jahr und Tag hast Du die Goldfelder Australiens an den Straßenecken kleben oder gar in goldenen Buchstaben vor Dir wandern sehen. Und da ist keine Straße mehr, worin nicht verschiedene Läden alle mögliche Verkaufsartikel mit großen Buchstaben für Australien empfehlen, vom Riesenwasserstiefel bis zu homöopathischen Apotheken, Pillen und Hemdenknöpfchen. Kein Buchladen ohne Karten Australiens von der Größe einer Hand bis zu der eines Scheunthorflügels, keine Zeitung, ja kein Lieferungsroman ohne Reisegelegenheit nach Australien. Vor kurzer Zeit spielten noch schöne blondlockige Kinder öfter vor jenem Hause, das so nett und freundlich aussah. Jetzt steht es blind und todt und verschlossen, nur ein Zettel redet noch und bietet es aus. Die ganze Familie ist spurlos verschwunden [515] und nach Australien ge- oder auch auf dem Wege untergegangen. Solche verlassene öde Häuser (wahre „bleak-houses“) findest Du fast in jeder Straße, und bei einiger Aufmerksamkeit wirst Du auch gewahr, daß sie sich stärker vermehren, als neue Miethen.

Ein junger Mann hat Hoffnung, eine interessante Bekanntschaft und Partie zu machen und spart und bürstet den Backenbart und kleidet sich nach der neuesten Mode, um das Herz seiner Auserkorenen zu erobern. Endlich ist er so weit und klopft und klingelt: „Eben abgereist, nach Australien.“ Da ist ein guter Freund, der uns auf vierzehn Tage einige Pfunde abborgt und sie blos dazu verwandte, um sein Reisegeld für Australien zu vervollständigen. Ja in der City wartet mancher große Kaufmann am Verfalltage auf Hunderte und Tausende von Pfunden, die vorher nach Australien ausgewandert sind. Einer, der einmal auf diese Weise mit 20,000 Pfund verschwunden war, wurde von einem Londoner Policeman glücklich aus den Antipoden Australiens herausgefunden und mit dem größten Theile des Geldes zurückgebracht.

Die Ausstellungs-Industrie für australische Auswanderung gehört jedenfalls zu den großartigsten und ausgebildetsten modernen Gewerbszweigen Englands. Treten wir in einen solchen Ausstellungs-Laden ein, in welchem Hunderte von Häusern liegen. Da ist erstens das „patentirte, tragbare Haus“, in je zwei Kisten eins, deren Bretter auseinander genommen und sofort als Wände des Hauses wieder zusammengesetzt werden können. Inwendig sind Schrauben, Säulen, Thüren, Fenster, Tische, Stühle, Küchengeräthe u. s. w. – Alles numerirt, so daß alle Theile nach einer gedruckten Anweisung binnen wenig Stunden zu einem vollständigen Hause mit vollständiger Wirthschaft zusammengefügt werden können. Das Geniale besteht hier besonders darin, daß die je kleinern Theile immer so geformt sind, daß sich einer immer genau an den andern anschließt, so daß nicht der geringste leere, unbenutzte Raum in den Kisten bleibt. Das ist sehr erklärlich, da der Auswanderer sein Gepäck nach der Menge der Quadratfuße, die es im Schiffe einnimmt, bezahlen muß.

Aus einem Geschäfte in Birmingham gehen folgende Häuser mit Zubehör hervor: Jedes Haus ist in eine hölzerne Kiste gepackt, deren Bretter hernach vollständig als Dielen passen. Die eine Kiste enthält das vollständige Haus, Dach, Balken, Wände, Tapeten - Alles, Alles, was zu einem anständigen Hause gehört, darunter einzelne patentirte Säulen- und Schraubenarten und ein patentirtes Dach, das aus Zinkplatten besteht, die so zusammengesetzt werden, daß ihnen vollständige Freiheit bleibt, sich in der Hitze auszudehnen und in der Kälte zusammenzuziehen. Für die metallenen Wände sind besondere Decken da, die die Temperatur leiten und das Haus im Winter warm, im Sommer kühl halten, außerdem vollständige, abgepaßte Tapeten für alle Wände innen. Wie groß ist ein solches Haus in der Kiste? Blos 13 Fuß lang, 3 Fuß 41/2 Zoll breit und 81/2 Zoll tief und wiegt nicht mehr als 3/4 einer Schiffstonne.

Einige beschränken sich auf Zelte. Man wird gehört haben, daß es bei Melbourne eine Stadt mit mehr als 40,000 Einwohnern giebt, die alle in Zelten wohnen. Die Zelten-Händler rufen dem Auswanderer wohlwollend in Zeitungen und Ankündigungen zu, daß sie sich im Interesse der leidenden Auswanderer entschlossen hätten, ihnen eine tragbare Heimath mit hinüber zu geben, die sie schütze vor den Schrecken des Häuser- und Wohnungsmangels in der neuen Welt, und die zusammengepackt nicht größer sei, als ein „gewöhnlicher Mantelsack.“ Ein Anderer bietet „Wagen und Zelt in einem Stück.“ An Ort und Stelle können die Wagentheile für Schlaf- und Küchenzwecke abgenommen werden. Die größern, auf Spekulation für Kapitalisten gemachten Häuser kommen von Birmingham, Bristol, Liverpool und werden zuweilen dutzendweise gekauft, in Melbourne aufgeschlagen und für den ruhig in London lebenden Eigenthümer dort vermiethet. Ein Haus, das er für 50 oder 60 Pfund kaufte, bringt ihm in Melbourne einen jährlichen Miethzins von 3-400 Pfund. –

Doch nicht alle haben die Schneckengesinnung, mit ihrem Hause auf dem Rücken in die bessere Welt abzufahren. Deshalb ist auch jedes Bedürfniß in unzähliger Mannichfaltigkeit einzeln und in beliebiger Gesellschaft zu haben. Die „Auswanderungs-Kochöfen“ sind ein wahrer Triumph in sich selbst, insofern wirklich mehr in ihnen ist, als scheinbar in der unerschöpflichen Branntweinflasche des Taschenspielers. Er sieht ganz einfach wie eine eiserne Kiste von zwei Quadratfuß aus. Nimmt man ihn auseinander, bekommt er Füße und Hände, drei Sorten von Pfannen, mehrere Arten von Kochtöpfen, Schürer, Plätteisen, Plätteisenhalter u. s. w., und zuletzt einen Schornstein, in welchem noch eine Menge Utensilien stecken, die nur der englische Kamin-Verständige zu nennen und zu handhaben weiß. Neben einem solchen Ofen hing ein Zettel, der uns verkündigte, daß in einem derselben einmal in Port Natal ein Mittagbrod für 20 Personen, darunter der Gouverneur, zu allgemeiner Zufriedenheit gekocht, gebraten, geröstet, geschmort, gesotten, gefryt (unübersetzbar, da die Sache in Deutschland gar nicht bekannt ist) und gebacken worden sei.

Von dem „Junggesellen-Kessel“ der 3 Schillinge kostet und für ein halbes Leben jeden Morgen das Wasser kocht (für 1/4 Penny Brennmaterial), bis zu den geheimnißvollen Kochapparat-Labyrinthen jede Kasse, jeden Geschmack findet, was er wünscht und bezahlen kann und bei Lichte besehen allemal mehr, als er glaubte, da inwendig immer ganz unerwartete Dinge entdeckt werden. Eins der größten culinarischen Wunder ist die „tragbare Küche“, die uns aus den Läden um Tower-Hill wie geheimnisvolle Zauberapparate anstarren, zunächst freilich nicht viel anders, als große Blechbüchsen je 14 Zoll lang, 10 weit und 10 tief. Und was ist darin? Man höre! Ein Ofen für Holzfeuerung, Fischkessel, Brat- und Schmorpfanne, Bratrost, Thee- und Kaffeebüchse, Schmortopf und „Dampfer“, zwei Bratpfannen, Theekessel, Kaffeekanne, Zuckerschale, Milchtopf, 3 Paar Tassen, 2 Schüsseln, 6 Teller, 3 Paar Messer und Gabeln, 2 Eßlöffel, 3 Theelöffel – fast Alles silber- und goldglänzend - Alles von Metall – die Tassen auch, nur daß sie glasirt sind – [516] Alles zusammen für 2 Pfund – eine vollständige Wirthschaft für vielleicht das ganze Leben, wenn man für nachwachsende Kleinigkeiten zu seiner Zeit für einige Pence hinzukauft. Tausenderlei andere einzelne Utensilien und Luxussachen – die sich ein Deutscher kaum in der Phantasie von Gußeisen vorstellen könnte, stehen alle da in eiserner Standhaftigkeit, in ihren glänzenden Kleidern dem allverzehrenden und allbelebenden Sauerstoff trotzend.

Für die verschiedenen Arten englischer Zimmer ist auf die mannichfaltigste Weise, beinahe Raum vernichtend, gesorgt. Was in Dein Schlafzimmer Alles gehören mag, Du kannst es in der Tasche und unterm Arme fortbringen. Eiserne Bettstellen verwandeln sich auf der Reise in ein Schlummerkissen, am Tage in ein Sopha oder einen Großvaterstuhl und auf den Druck einiger Federn des Abends in eine lange Bettstelle mit Bett. Wir haben Waschtische gesehen, die sich unter der Hand des Zauberers in eine Blechbüchse von 5 Zoll Tiefe verwandeln. Mit einem Ruck geöffnet zeigen sie Dir das Waschbecken, die Wasserkanne, das Seifennäpfchen, Bürstenkästchen und stehen fest, wenn Du Dich dieser Civilisations-Instrumente bedienst. Nicht zu vergessen ein Stück wunderbarer Marineseife im Näpfchen, die ganz besonders dazu gemacht ist, daß man mit Meerwasser eben so weiß waschen kann, wie mit Regenwasser.

Zum Kleider-Departement für Auswanderer, das die deutschen Juden in der Straße Houndsditsch beherrschen (Moses und Sohn sind beinahe so groß wie ganz Leipzig), gehörte ein Homer und eine Ilias, es zu besingen. Hier ist nicht nur tausendfacher Vorrath für alle Auswanderer, sondern auch für alle Soldaten, Matrosen, Arbeiter, Schiffer, Fischer und Irländer und jedes Ding funkelnagelneu dreifach billiger, als im Westend alte, abgetragene Sachen, freilich tausendmal theurer, wenn man die Thränen und Schwindsuchten, die hungrigen Tage und schlaflosen Nächte der dünnen Hände, die diese groben Arbeiten näheten, mit auf die Rechnung setzen würde.

Für Auswanderer ist auch hier am zärtlichsten gesorgt. Die beste Mutter kann ihre einzige Tochter zur Hochzeit nicht sorgsamer ausstatten, als hier der Jude den anglo-sächsischen Auswanderer. Da giebt’s immer vollständige Ausstattungen von 2 Pfund an bis 50 Pfund. Und in denen für 2 Pfund ist eben so viel, wie in denen für 50, in letzteren nur Alles 25 Mal besser. Nichts fehlt, selbst die Nachtmütze nicht. Und wenn der Auswanderer die Nachtmützen nicht mit haben will, wird der Jude eine zärtliche Mutter und bittet und beschwört den geliebten Kunden, der nie in seinem Leben an eine Nachtmütze dachte, sie ja in Australien zu tragen, da er ohne diese nicht 14 Tage leben könne. Die Ausstattungen sind außerdem auf das Genialste geordnet und eingerichtet nach den verschiedensten Berufsarten und Klimaten. Manche haben hier Ausstattungen nach einer aufsteigenden Linie von Pfunden und Schillingen rangirt. Wir schreiben eine solche Ausstattungsstufe ab. Für 3 Pfund 15 ß oder etwa 25 Thlr. erhält man: „Zwei Jacken, 2 Westen, 2 Paar Hosen, 1 Oberrock, 12 Hemden, 12 Paar Strümpfe, 6 Handtücher, 6 Taschentücher, 2 Paar Tragbinden, 1 Bett, 4 Decken und Betttuch, 1 Mütze, 1 Wetterhut, 2 Paar Schuhe, 1 Haarbürste, 1 Kamm, 1 Rasirmesser mit Streichriemen, 1 Seifennapf, 1 Spiegel, Messer und Gabel, 1 Teller, 1 Krug, 1 Eß- und Theelöffel, 6 Pfund Seife, Nadeln und Zwirn und eine Kiste, Alles hineinzuthun.“ Und dabei sind diese Juden auch Menschen und wollen nicht nur leben, sondern auch ihre Procente haben, wie ein rechtschaffener Christ. Natürlich ist auch jeder Artikel einzeln zu haben. und welch’ eine unendliche Elasticität hat jeder! Nachtmützen von 2 Pence bis 3 Schillinge. Mützen von 4 Pence bis 8 Schillinge. Jeder Artikel schließt also den Vorübergehenden in einen großen Raum ein und umgiebt ihn ringsum mit Artikeln, von denen er nothwendiger Weise diesen und jenen kaufen muß, um aus der Sirenenumarmung wieder herauszukommen. Ich müßte ja auch mein eigener größter Feind sein, denkt er, wenn ich mir wenigstens nicht das schöne Dings da für 6 Pence, wo für 1 Schilling Unterfutter darin ist, kaufen sollte!

Es thut mir leid, daß ich vor der Kiste der Kleider und Luxussachen, die je für 11 Pfund 11 Schillinge (nebst einer polirten Kiste) zu haben sind, zurückschrecke. Man denkt, es sei eine Ausstattung für die ganze türkische Armee. Der Umstand, daß 24 Paar Unterhosen dabei sind, läßt allein schon auf das Ganze schließen.

Aber der Auswanderer ist noch nicht vollständig versorgt mit Haus und Herd und Küche und Töpfen und Tiegeln und Haarbürsten, er will auch essen und trinken. Und da bis jetzt auf dem atlantischen Meere und dem stillen Ocean keine Semmeln wachsen und keine Fleischer wohnen und mit dem Meere, als einem großen Herrn, (zumal zwischen England und Australien) nicht gut Kirschenessen ist, mußte für Fleisch und Früchte u. s. w. für diesen Weg um die Halbkugel herum gleich vom Anfang an gesorgt werden. Und wie ist gesorgt! Alles, was Dir der höchste Pariser Restaurant bieten kann, steht Dir Tausende von Meilen von jedem Punkte festen Landes alle Morgen frisch auf dem Weltmeere zu Diensten. Sieh Dir diese verschiedenen runden Blechbüchsen an, die dort um Tower-hill herum in Läden aufgethürmt sind. Das ist nicht nur frisches Fleisch, das immer frisch bleibt, das sind auch alle mögliche Arten von frischem Obst und frischen Kartoffeln und frischen Gemüsen und – frischer Milch. Mit Chemie und Witz hat man’s wirklich so weit gebracht, daß alle diese Lebens- und Erquickungsmittel bei luftdichter Verschließung so bleiben, daß sie mit etwas Wasser behandelt sofort wieder alle Eigenschaften vollständiger Frische annehmen. Einige Fleischsorten, z. B. Stockfisch, amerikanische Ochsenzungen u. s. w. findet man wie Fuder Knüppelholz aufgeschichtet. Sie sind so hart getrocknet und überräuchert, daß ihnen keine Macht der Erde etwas anhaben kann, als kochendes Wasser. Am Genialsten klingt es, die frische Milch zu trocknen, luftdicht zu verschließen und dann alle Morgen ein Stückchen im warmen Wasser aufzuweichen, um stets eine Milch zu haben, die nicht besser unmittelbar von [517] der Kuh kommen kann. Diese Milch hat sich auf den Tausenden von Reisen zwischen Australien und England, jedesmal von 16,000 engl. Meilen, immer sehr gut bewährt. Es ist kein geringer Triumph des menschlichen Witzes, daß er gelernt hat, das salzige Weltmeer zu melken.

Noch mehr! Man findet hier am Themsehafen solch „präservirtes Fleisch,“ das just zu diesem Zweck zu Newcastle in Australien zurecht gemacht und die 16,000 Meilen bis in die Minorie's von London gebracht, hier für australische Reisen wieder mit großem Gewinn verkauft wird. Das heißt dann das englische Spottwort: „Kohlen nach Newcastle tragen,“ in großartigen Ernst verwandeln.

Der zärtliche Ausstatter verläßt den Auswanderer noch lange nicht, wenn er ihn auf's Schiff gebracht; er folgt ihm in die Goldgefilde und giebt ihm Alles in die Hände, was er braucht und noch viel mehr. Diese Goldgrabungs-Instrumente sind allein eine ganze neue Schöpfung, die in den Straßen um Tower-hill aufgebaut ist. Hier erfreut Dich der Anblick einer „Patent-Gold-Karre“ und eine „patentirte Goldwäschmaschine,“ dort regt Dich eine „Goldentdeckungsmaschine“ auf mit Quark-Zermalmungs-Mühlen für die Hand, für Wasser und für Dampf und eine Menge räthselhafte Instrumente, die in ihren barocken Gestaltungen die Phantasie und den bedürftigen Geldbeutel in die weiteste Ferne tragen. Die Gold-Siebe, die Schalen, galvanisirten Eimer, Hacken, Spaten, Schaufeln und Schippen, die Hämmer und Spitz-Aexte, die Brechstangen und Karren mit Zelten oben über – in wie viel Gestalten und Größen umgaukeln sie Dich wie eine eiserne, golddurstige Welt von Dämonen! Dort sieh, was es wieder Alles für 20 Schillinge giebt! „Schaufel und Hacke, Spitzaxt und Erdbohrer (drei Sorten), Brechstange, Hammer, Felsenmeißel und Schmelzlöffel, dazu eine große Kiste mit Schloß und Schlüssel“ – das Alles für ein Stückchen Gold, nicht größer als ein Viergroschenstück, und hinreichend in die Haupt-Bank der Erde einzubrechen und ihr in 24 Stunden vielleicht so viel zu rauben, daß Du Dir für’s ganze Leben eine Equipage und einen Mohren hinten darauf halten kannst und vorn einen Kutscher, der schwerer wiegt, als die berühmtesten Pferdebändiger englischer Hocharistokratie, die wie fette Ochsen nach ihrem Fleischgehalte taxirt werden. Es hat schon zuweilen Einer mit dem Wasserstiefel auf ein Goldstück getreten, welches mit 20,000, ja sogar einmal mit 42,000 Pfund Sterling bezahlt ward. Die freilich, welche so lange in dem Schmutze herumwaten und fischen, bis sie selbst vor Hunger hineinfallen und d’rin liegen bleiben (vielleicht gerade auf einem Goldklumpen), zählt man nicht.

Das sind einige Skizzen von den Lebensbildern, die Australien in London hervorrief. Wie mancher Leser mag unbewußt ebenfalls zu den Gruppen in diesen Bildern gehören. Viele Arbeiter und Fabrikanten in ganz Europa arbeiten für Australien und werden mit dem ausgewaschenen Schmutze Australiens bezahlt. Wurden doch unlängst 60,000 Paar Schuhe von London aus in Berlin für Australien auf einmal bestellt. –

So hat sich Australien, das bisher unbeachtete, plötzlich vor uns hingestellt, seinen Rang unter den Continenten unseres Weltballs fordernd. Es ist in den Kreis der Civilisation eingetreten, ohne vorhergegangene Arbeit, ohne Mühe, ohne Kampf, wie die übrigen Continente, ja voller Hohn lacht es sogar der Geburt, dem Range, der Intelligenz und Wissenschaft in’s Gesicht! Fort, ich kann euch nicht brauchen. Ich mache den Schafhirten, den grobknochigen, stupiden Proletarier über Nacht zum Crösus und etablire ihn in Sidney und Melbourne als größeren Lord, wie den, der seinen Stammbaum bis auf ein Thier in der Arche Noah zurückführt. Gesellschaftliche, officielle und Staatengrenzen sind in Australien ein Mährchen. Seine rohesten Anfänge gründen sich auf die höchsten Spitzen der Cultur und Civilisation in der alten Welt. Alle Völker und Racen der Erde kneten sich hier in dem Goldschmutze zu Einer Masse zusammen und denken nicht mehr an die confessionellen, staatlichen und gesellschaftlichen Unterschiede und Gegensätze, in denen sich die alte Welt ruh- und rastlos abquält. Welch eine Welt, wenn einst der Dampfpflug, die vom Blitze gezogene Eisenbahn, die neue, aus der Vermischung aller Völker der Erde entsprossene Civilisation über die jetzigen groben Wasserstiefeln dahinfliegt und die ungeheuern Entfernungen dieses riesigen Continents verbindet. Es ist besonders deutscher Geist, der jener Zukunft die Stätte bereitet. Nachdem Dr. Leichardt seinem Forschertriebe als Opfer gefallen, war es hauptsächlich Otto Schomburgk, der bei Adelaide durch 18,000 meteorologische Beobachtungen die innern Paradiese Australiens entdeckte. A. Petermann in London sammelte alle Beobachtungen und fand daraus die geographischen Grenzen dieser innern fruchtbaren Welt, welche jetzt der ehemalige General Haugh mit englischem Gelde und Männern der Wissenschaft persönlich aufsuchen will.

Nachdem wir uns Australien in London flüchtig angesehen, denken wir ihm zu Hause in seinen eigenen vier Pfählen einen Besuch abzustatten.