Bürgerlied

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Textdaten
Autor: Friedrich Schiller
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Titel: Bürgerlied
Untertitel:
aus: Friedrich Schiller:
Musen-Almanach für das Jahr 1799, S. 189–199
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1798
Erscheinungsdatum: 1799
Verlag: J. G. Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: HAAB Weimar, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
Der Text wurde auch unter dem Titel Das Eleusische Fest veröffentlicht.
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[189]

Bürgerlied.


     Windet zum Kranze die goldenen Aehren
Flechtet auch blaue Cyanen hinein,
Freude soll jedes Auge verklären,
Denn die Königin ziehet ein,

5
Die Bezähmerin wilder Sitten,

Die den Menschen zum Menschen gesellt,
Und in friedliche feste Hütten
Wandelte das bewegliche Zelt.

     Scheu in des Gebürges Klüften

10
Barg der Troglodyte sich,

Der Nomade ließ die Triften
Wüste liegen wo er strich,
Mit dem Wurfspieß, mit dem Bogen
Schritt der Jäger durch das Land.

15
Weh dem Fremdling den die Wogen

Warfen an den Unglücksstrand!

[190]

     Und auf ihrem Pfad begrüßte
Irrend nach des Kindes Spur,
Ceres die verlaßne Küste,

20
Ach, da grünte keine Flur!

Daß sie hier vertraulich weile,
Ist kein Obdach ihr gewährt,
Keines Tempels heitre Säule
Zeuget, daß man Götter ehrt.

25
     Keine Frucht der süßen Aehren

Lädt zum reinen Mahl sie ein,
Nur auf gräßlichen Altären
Dorret menschliches Gebein.
Ja, so weit sie wandernd kreiste,

30
Fand sie Elend überall,

Und in ihrem großen Geiste
Jammert sie des Menschen Fall.

     Find ich so den Menschen wieder,
Dem wir unser Bild geliehn,

35
Dessen schöngestalte Glieder

Droben im Olympus blühn?

[191]

Gaben wir ihm zum Besitze
Nicht der Erde Götterschoos,
Und auf seinem Königsitze

40
Schweift er elend, heimatlos?


     Fühlt kein Gott mit ihm Erbarmen,
Keiner aus der Selgen Chor
Hebet ihn mit Wunderarmen
Aus der tiefen Schmach empor?

45
In des Himmels selgen Höhen

Rühret sie nicht fremder Schmerz,
Doch der Menschheit Angst und Wehen
Fühlet mein gequältes Herz.

     Daß der Mensch zum Menschen werde,

50
Stift er einen ewgen Bund

Glaubig mit der frommen Erde,
Seinem mütterlichen Grund,
Ehre das Gesetz der Zeiten
Und der Monde heilgen Gang,

55
Welche still gemessen schreiten

Im melodischen Gesang.

[192]

     Und den Nebel theilt sie leise
Der den Blicken sie verhüllt,
Plötzlich in der Wilden Kreise

60
Steht sie da, ein Götterbild.

Schwelgend bei dem Siegesmahle
Findet sie die rohe Schaar,
Und die Blutgefüllte Schaale
Bringt man ihr zum Opfer dar.

65
     Aber schaudernd, mit Entsetzen,

Wendet sie sich weg und spricht:
Blutge Tigermahle netzen
Eines Gottes Lippen nicht.
Reine Opfer will er haben,

70
Früchte, die der Herbst bescheert,

Mit des Feldes frommen Gaben
Wird der Heilige verehrt.

     Und sie nimmt die Wucht des Speeres
Aus des Jägers rauher Hand,

75
Mit dem Schaft des Mordgewehres

Furchet sie den leichten Sand,

[193]

Nimmt von ihres Kranzes Spitze
Einen Kern, mit Kraft gefüllt,
Senkt ihn in die zarte Ritze,

80
Und der Trieb des Keimes schwillt –


     Und mit grünen Halmen schmücket
Sich der Boden alsobald,
Und so weit das Auge blicket
Wogt es wie ein goldner Wald.

85
Lächelnd segnet sie die Erde,

Flicht der ersten Garbe Bund,
Wählt den Feldstein sich zum Heerde,
Und so spricht der Göttinn Mund:

     Vater Zeus, der über alle

90
Götter herrscht in Aethers Höhn!

Daß dieß Opfer dir gefalle,
Laß ein Zeichen jetzt geschehn!
Und dem unglückselgen Volke,
Das dich Hoher! noch nicht nennt,

95
Nimm hinweg des Auges Wolke,

Daß es seinen Gott erkennt!

[194]

     Und es hört der Schwester Flehen
Zeus auf seinem hohen Sitz,
Donnernd aus den blauen Höhen

100
Wirft er den gezackten Blitz.

Prasselnd fängt es an zu lohen,
Hebt sich wirbelnd vom Altar,
Und darüber schwebt in hohen
Kreisen sein geschwinder Aar.

105
     Und gerührt zu der Herrscherin Füßen

Stürzt sich der Menge freudig Gewühl,
Und die rohen Seelen zerfließen
In der Menschlichkeit erstem Gefühl,
Werfen von sich die blutige Wehre,

110
Oeffnen den düstergebundenen Sinn,

Und empfangen die göttliche Lehre
Aus dem Munde der Königin.

     Und von ihren Thronen steigen
Alle Himmlischen herab,

115
Themis selber führt den Reigen,

Und mit dem gerechten Stab

[195]

Mißt sie jedem seine Rechte,
Setzet selbst der Grenze Stein,
Und des Styx verborgne Mächte

120
Ladet sie zu Zeugen ein.


     Und es kommt der Gott der Esse,
Zeus erfindungsreicher Sohn,
Bildner künstlicher Gefäße,
Hochgelehrt in Erzt und Thon.

125
Und er lehrt die Kunst der Zange

Und der Blasebälge Zug,
Unter seines Hammers Zwange
Bildet sich zuerst der Pflug.

     Und Minerva, hoch vor allen

130
Ragend mit gewichtgem Speer,

Läßt die Stimme mächtig schallen
Und gebeut dem Götterheer.
Feste Mauren will sie gründen,
Jedem Schutz und Schirm zu seyn,

135
Die zerstreute Welt zu binden

In vertraulichem Verein.

[196]

     Und sie lenkt die Herrscherschritte
Durch des Feldes weiten Plan,
Und an ihres Fußes Tritte

140
Heftet sich der Grenzgott an,

Messend führet sie die Kette
Um des Hügels grünen Saum,
Auch des wilden Stromes Bette
Schließt sie in den heilgen Raum.

145
     Alle Nymphen, Oreaden,

Die der schnellen Artemis
Folgen auf des Berges Pfaden,
Schwingend ihren Jägerspieß,
Alle kommen, alle legen

150
Hände an, der Jubel schallt,

Und von ihrer Aexte Schlägen
Krachend stürzt der Fichtenwald.

     Auch aus seiner grünen Welle
Steigt der Schilfbekränzte Gott,

155
Wälzt den schweren Floß zur Stelle

Auf der Göttinn Machtgebot,

[197]

Und die leichtgeschürzten Stunden
Fliegen ans Geschäft, gewandt,
Und die rauhen Stämme runden

160
Zierlich sich in ihrer Hand.


     Auch den Meergott sieht man eilen,
Rasch mit des Tridentes Stoß,
Bricht er die granitnen Säulen
Aus dem Erdgerippe los,

165
Schwingt sie in gewaltgen Händen

Hoch wie einen leichten Ball,
Und mit Hermes dem behenden
Thürmet er der Mauren Wall.

     Aber aus den goldnen Saiten

170
Lockt Apoll die Harmonie,

Und das holde Maaß der Zeiten
Und die Macht der Melodie.
Mit neunstimmigem Gesange
Fallen die Kamönen ein,

175
Leise nach des Liedes Klange

Füget sich der Stein zum Stein.

[198]

     Und der Thore weite Flügel
Setzet mit erfahrner Hand
Cybele und fügt die Riegel

180
Und der Schlösser festes Band,

Schnell durch rasche Götterhände
Ist der Wunderbau vollbracht,
Und der Tempel heitre Wände
Glänzen schon in Festes Pracht.

185
     Und mit einem Kranz von Myrten

Naht die Götterkönigin,
Und sie führt den schönsten Hirten
Zu der schönsten Hirtin hin.
Venus mit dem holden Knaben

190
Schmücket selbst das erste Paar,

Alle Götter bringen Gaben,
Reiche, den Vermählten dar.

     Und die neuen Bürger ziehen,
Von der Götter selgem Chor

195
Eingeführt, mit Harmonieen

In das gastlich ofne Thor,

[199]

Und das Priesteramt verwaltet
Ceres am Altar des Zeus,
Segnend ihre Hand gefaltet

200
Spricht sie zu des Volkes Kreis.


     Freiheit liebt das Thier der Wüste,
Frei im Aether herrscht der Gott,
Ihrer Brust gewaltge Lüste
Zähmet das Naturgebot,

205
Doch der Mensch, in ihrer Mitte,

Soll sich an den Menschen reihn,
Und allein durch seine Sitte
Kann er frei und mächtig seyn.

     Windet zum Kranze die goldenen Aehren,

210
Flechtet auch blaue Cyanen hinein,

Freude soll jedes Auge verklären,
Denn die Königin ziehet ein,
Die uns die süße Heimat gegeben,
Die den Menschen zum Menschen gesellt,

215
Unser Gesang soll sie festlich erheben,

Die beglückende Mutter der Welt.

SCHILLER.