Bei Robert Koch

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Textdaten
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Autor: Paul Lindenberg
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Titel: Bei Robert Koch
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 11 und 14–15
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bei Robert Koch.

Von Paul Lindenberg.0 Mit Zeichnungen von H. Lüders und Curt Stoeving.


Koch – kein anderer Name hat jemals in so kurzer Zeit eine solche Volksthümlichkeit erlangt, kein anderer ist mit solcher Schnelligkeit bis in die fernsten Gegenden des Erdballs gedrungen und an keinen anderen haben sich so unzählige Hoffnungen und Erwartungen, so zahllose Wünsche und flehentliche Bitten geklammert, wie an diesen! Seit jenem denkwürdigen 13. November 1890, da in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ die epochemachende Abhandlung Kochs, seine „weiteren Mittheilungen über ein Heilmittel gegen die Tuberkulose“ erschienen, da ist Koch der Mittelpunkt alles Denkens und Redens in der Welt nicht bloß der Kranken, sondern auch der Gesunden.

Die allgemeine Erregung der Gemüther, die blitzschnelle Verbreitung der Heilsbotschaft nach allen Weltheilen läßt sich nur dadurch erklären, wenn man bedenkt, daß der siebente Theil der Menschen der Lungenschwindsucht erliegt, daß, um Zahlen in ihrer brutalen Nüchternheit sprechen zu lassen, in Preußen jährlich durchschnittlich 90 000, in ganz Deutschland 160 000 Menschen dieser bisher ungezügelten Krankheit zum Opfer fallen, und daß diese sich größtentheils in einem sonst in der Vollkraft der Entwickelung stehenden Lebensalter befinden!

Zum Zentralpunkt dieser gewaltigen, von keiner anderen friedlichen Errungenschaft auch nur annähernd erreichten Bewegung wurde nun Berlin. Binnen wenigen Tagen waren mehr wie zweitausend fremde Aerzte herbeigeeilt, die sich in nervöser Aufregung, in immerwährender Hast und Geschäftigkeit bemühten, während der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes möglichst viel von der epochenmachenden Entdeckung zu lernen.

Mit größter Liebenswürdigkeit kam man in den betheiligten Kreisen den fremden Gästen entgegen und suchte ihren Wissensdurst zu befriedigen. Tag für Tag spielten sich in den Lazarethen die fesselndsten Scenen ab [14] und verloren auch durch ihre steten Wiederholungen nichts von ihrem eigenartigen Reiz. Wenn sich am frühen Morgen die Thore der Charité öffneten, stellten sich bereits die ersten auswärtigen Aerzte ein, und die letzten verließen erst am späten Abend das schmucklos düstere Gebäude, in welchem sich das gesammte Interesse nur auf die mit Schwindsüchtigen belegten Säle zu richten schien. Unvergeßlich für jeden, der, wie der Schreiber dieser Zeiten, Gelegenheit hatte, einer solchen Anwendung des Kochschen Verfahrens in der Charité beizuwohnen, sind die langen, schmalen, durch Gasflammen matt beleuchteten Säle, an den Wänden die Betten mit den Kranken, und dann dort, sich scharf von ihrer hellen Umgebung abhebend und noch besonders beleuchtet durch eine von einem Wärter hoch emporgehaltene Lampe, die schwarze Gruppe der Aerzte: zunächst am Bette des Kranken, welcher mit entblößtem Oberkörper aufrecht dasitzt, der von seinem Assistenten begleitete Oberarzt, die kleine mit Gummiball versehene Glasspritze, in welcher sich die durchsichtige, gelblich schimmernde Flüssigkeit befindet, in der rechten Hand, bald in deutscher, bald in französischer oder englischer Sprache Erläuterungen gebend und Fragen beantwortend sowie die über jedem Bette hängenden, sorgsam geführten Tabellen der Fiebertemperaturen des Patienten erklärend; und nun ein Wink, und ein zweiter Wärter preßt die Rückenhaut des Kranken zwischen den Schulterblättern zusammen, das scharfe Ende der Spritze senkt sich unter die Haut ein, ein leichter Druck auf den Gummiball und die Lymphe hat sich dem Organismus mitgetheilt, nach wenigen Stunden schon ihre Wirkung zeigend.

Eine Kochsche Impfung in der Charité zu Berlin in Gegenwart von fremden Aerzten.

In der ganzen Welt hallte Kochs Name wider und Millionen Menschen sprachen ihn segnend aus, er aber, der Träger desselben, lebte still und zurückgezogen sein Gelehrtenleben weiter und suchte ängstlich jeder Ehrenerweisung, jeder Huldigung aus dem Wege zu gehen, wie er auch jeden Vortheil zurückwies, der ihm in so vielfältiger und oft eigenthümlicher Art angeboten wurde. Wie bisher, so blieb, mit seltenen Abweichungen, auch in dieser erregendsten Zeit, sein Lebensgang derselbe, wie er ihn seit Jahren geführt, der Lebensgang eines deutschen Forschers, getheilt zwischen den frei übernommenen Pflichten seiner Wissenschaft und der Liebe zu seiner Familie. Zwei Stätten aber bilden die Merksteine dieses Gelehrtendaseins, zwei Stätten, ebenso von einander verschieden wie das Wesen Kochs an jeder von ihnen: hier der prächtige, einfache, gütige, heiter plaudernde Mensch, aus dessen sinnenden blauen Augen so viel Liebe und Freundlichkeit strahlt und um dessen von einem Vollbart umrahmten Mund ein schalkhaft anmuthender Zug spielt – dort der ernste, eifrige, den höchsten Zielen seiner Wissenschaft zustrebende Forscher, der an seine eigene Leistungskraft die größten Anforderungen stellt und über seinen Aufgaben, denen er sich zugewandt hat, alles Uebrige vergißt, einzig und allein bedacht, der Heilwissenschaft zu nützen und damit der leidenden Menschheit zu helfen. Und die Umgebung der beiden Stätten wie diese selbst passen ganz zu dem Menschen wie zu dem Gelehrten – hier eine behagliche Häuslichkeit in einem hochmodernen Hause einer neu angelegten Straße am Thiergarten mit dem Blick aus den Fenstern auf die dichten Baumgruppen des Parks von Bellevue – und dort in einer der ältesten Straßen des alten Berlin, in welche jedoch nur leise verhallend der lärmende Weltstadttrubel hineintönt, die stille Forscherklause, aus welcher auch die neue Entdeckung hervorgegangen ist.

„Hygieinisches Institut“ – so steht über dem Eingange des grauen, verwitterten, aus dem vorvergangenen Jahrhundert stammenden zweistöckigen Gebäudes in der Klosterstraße, welches so recht zu dem ganzen Charakter dieses alterthümlichen Stadttheils paßt und auf geschichtlichem Boden steht, denn hier, an dieser Stelle, hatten die ersten brandenburgischen Markgrafen ihren Wohnsitz aufgeschlagen, hier hatte sich ihr alter „Hof“ erhoben, in welchem sie lange residirt. Etwas ehrwürdig Anheimelndes geht noch immer von diesem schwerfällig soliden Bau aus, in dessen weiten, fliesenbedeckten Fluren die Tritte ein lautes Echo erwecken, dessen breite, mit architektonisch durchbrochenem Holzgeländer versehene ausgetretene Treppen deutlich die Spuren langer Benutzung zeigen und dessen großer Hof eine Raumverschwendung aufweist, wie man sie im neuen Berlin nicht mehr kennt. Im Erdgeschoß hat das noch in seiner ersten Entwicklung befindliche Museum für deutsche Volkstrachten ein vorübergehendes Asyl erhalten, im ersten Stockwerk befinden sich die Hörsäle und die Arbeitsräume der chemischen Abtheilung, das ganze zweite Stockwerk aber ist den bakteriologisch-mikroskopischen Untersuchungen eingeräumt. Hier ist denn auch das eigentliche wissenschaftliche Heim Professor Kochs, aus seinem Arbeits- und Sprechzimmer und aus seinem Laboratorium bestehend, und hier bringt er einen bedeutenden Theil des Tages zu, oft schon in früher Morgenstunde erscheinend und wieder erst, wenn die Dämmerung niedersinkt, das schmucklose Gemach verlassend. Schmucklos durch und durch, und doch seltsam anziehend mit seinem großen, grünüberzogenen Tisch in der Mitte, der zu Demonstrationen dient, dem kleinen Schreibtisch am Fenster mit einigen Photographien tuberkulöser äußerer Krankheitserscheinungen vor und nach der Einspritzung mit Kochscher Lymphe und den zahllosen Retorten.

Unsere Anfangsvignette zeigt uns auf dem Regal rechts oben Gläser mit weißen Mäusen, auf dem Tische einen Kasten für ein Kaninchen; daneben Glasröhren mit Watteverschluß, Lymphe enthaltend. Noch zahlloser aber finden wir die vielgestaltigen Geräthe der Wissenschaft im benachbarten Laboratorium und den sich an dieses anschließenden schmalen Sälen, in welchen die Schüler Kochs, zumeist freilich Schüler in vorgerückterem Alter, ihre Untersuchungen anstellen, um ihrem Meister über dieselben Bericht zu erstatten. Erst allmählich umspannt der Blick dieses wirre Durcheinander von Gläsern, Flaschen, Mikroskopen und Kochgeschirren, um endlich doch am längsten an den vielen gläsernen Behältern mit weißen Mäusen und den Holzgattern mit Meerschweinchen haften zu bleiben, welchen Thieren die verschiedensten Bazillen eingeimpft sind, um deren Fortschreiten bei der späteren Secirung zu beobachten. An den auf den Hof gehenden Fenstern stehen kleinere Tische, und hier werden die mikroskopischen Untersuchungen vorgenommen.

Der Zudrang zu diesem hygieinischen Institut ist ein ganz außerordentlicher, und man trifft unter den in demselben beschäftigten Medizinern auf die verschiedensten Nationen, Oesterreich und Italien, Frankreich und England, Amerika und sogar Japan. Im Jahre 1885 erst wurde es auf die persönliche Anregung Kochs hin ins Leben gerufen, und er, der geniale „Kreisphysikus von Wollstein“, der die Leitung übernahm, verschaffte alsbald dem neuen Institut einen Weltruf. Der „Kreisphysikus von Wollstein“ – kaum fünf Jahre waren damals vergangen, daß er diesen Titel abgelegt und dafür den eines Professors an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin erhalten hatte, aber diese fünf Jahre hatten genügt, Robert Kochs Namen zu einem der gefeiertsten in der Medizin zu erheben! Von der Pike auf, um bildlich zu reden, hat Koch seinen Weg zurückgelegt, denn, am 11. Dezember 1843 in Clausthal im Harz geboren [15] und auf den dortigen Schulen vorgebildet, nahm er 1866 nach Beendigung seiner medizinischen Studien, im Verlaufe derer der Anatom Jacob Henle in Göttingen einen großen Einfluß auf ihn gewann, eine Stelle als Hilfsarzt im Allgemeinen Krankenhause zu Hamburg an, bekleidete dieselbe jedoch nur kurze Zeit, um sich in Langenhagen in der Provinz Hannover der ärztlichen Praxis zu widmen. Dieselbe schien ihn jedoch wenig zu befriedigen, hauptsächlich wohl des kärglichen Verdienstes wegen, und er wandte sich nach der kleinen polnischen Stadt Rakwitz, von der er auch als freiwilliger Arzt auf den deutsch-französischen Kriegsschauplatz eilte, um im 11. Feldlazarett des X. Armeecorps vor Metz seine rastlose Thätigkeit zu entfalten. 1872 ließ er sich als Kreisphysikus in Wollstein im Posenschen Kreise Bomst nieder, und in diesem fernabgelegenen Städtchen, wo ihn eine anstrengende Landpraxis in Anspruch nahm und ihn oft bei Nacht und Nebel auf grundlosen Wegen viele Meilen weit fortführte, widmete er sich mit hingebendstem Fleiße seinen wissenschaftlichen Forschungen, die hauptsächlich den Milzbrand, dessen Entstehung, Gang und Verbreitung betrafen.

Käfige mit Versuchsthieren. Robert Koch im Laboratorium. Brutschrank, darauf mit Wattestöpseln geschlossene Röhrchen für Reinkulturen.

In jenen Jahren arbeitete der berühmte Breslauer Professor Dr. Ferdinand Cohn weiter fort am Ausbau der von ihm neubegründeten bakteriologischen Wissenschaft, und so kam es, daß sich häufig an ihn Dilettanten wandten und ihm ihre angeblichen Entdeckungen auf bakteriologischem Gebiet zur Prüfung vorlegten. Im April 1875 erhielt denn auch Professor Cohn von dem ihm völlig unbekannten Kreisphysikus Dr. Koch in Wollstein einen Brief, in welchem ihm jener mittheilte, daß er die Entwicklungsgeschichte der den Milzbrand charakterisierenden Bacillen ermittelt zu haben glaube, und die Anfrage daran knüpfte, ob er nicht Professor Cohn persönlich seine Erfahrungen vorführen dürfte. Auf die sofort ertheilte Erlaubniß hin kam jener Kreisphysikus am 30. April nach Breslau und suchte Cohn in dessen Institut auf, wo zur Zeit noch mehrere Kollegen Cohns weilten. Alle erkannten während der Demonstrationen Kochs sofort, daß ihnen hier ein erster Meister wissenschaftlicher Forschung gegenüber stände, dessen Untersuchungen sich bereits damals durch die höchstmögliche Vervollkommnung auszeichneten. „Denn das unterscheidet eben die Arbeiten Kochs von denen der meisten übrigen Forscher“, so schreibt Professor Cohn in einem zur Veröffentlichung bestimmten, uns freundlichst mitgetheilten Briefe, „daß er mit ihnen nicht eher vor die Oeffentlichkeit tritt, als bis sie auf den letzten Feilstrich vollendet sind.

Andere Forscher fahren Bausteine auf zum Fortbau der Wissenschaft, oder sie zeichnen einen neuen Entwurf, oder sie setzen einen neuen Flügel an, oder ein neues Stockwerk, ein neues Dach auf: aber sie stellen nur den Rohbau fertig und überlassen es andern, den Bau zu vollenden und wohnlich zu machen. Die wissenschaftlichen Gebäude, die Koch aufgeführt hat, giebt er nicht eher aus seinen Händen, als bis er sie im ganzen und im einzelnen, fix und fertig zur Benutzung der andern, hergestellt, die dann nichts weiter zu thun haben, als in der neuen Einrichtung ein paar Stühle umzustellen oder dieses oder jenes kleine Geräth hinzuzufügen. So vollendet in Form und Inhalt sind alle Arbeiten Kochs gewesen, daß den Nachfolgenden nichts übrig blieb, als sie zu bestätigen, und es nicht möglich war, etwas Wesentlichem hinzuzuthun.“

Kochs rasch gewonnene wissenschaftliche Freunde in Breslau suchten ihn an jene Stadt zu fesseln, und als im Sommer 1879 die Stelle eines Gerichtsphysikus in Breslau frei wurde, setzten sie seine Berufung durch, in der Hoffnung, daß ihm bald eine außerordentliche Professur an der Breslauer Universität übertragen würde. Koch fühlte sich jedoch weder wissenschaftlich noch materiell von diesem neuen Platz befriedigt, und er kehrte nach wenigen Monaten nach Wollstein zurück, wo man ihm das Kreisphysikat offen gelassen hatte.

Seine Rückkehr sollte jedoch nur sehr vorübergehender Natur sein, 1880 wurde er als ordentliches Mitglied des Reichsgesundheitsamtes nach Berlin berufen, drei Jahre darauf zum Geheimen Regierungsrath ernannt und 1885 erhielt er eine ordentliche Professur an der Berliner Universität. Seine Verdienste als Leiter der deutschen Cholera-Expedition nach Egypten und Indien, wobei er den Cholerabacillus entdeckte, sind zu bekannt, als daß wir sie hier noch des Näheren hervorzuheben brauchen, ebenso würde es über den Rahmen dieser Skizze hinausgehen, wenn wir uns des Weiteren mit den übrigen wissenschaftlichen Verdiensten Kochs befassen wollten.

Das Bild Robert Kochs, als Gelehrter wie als Mensch, ist so schön und ungetrübt, daß man sich immer nur von neuem an ihm erfreuen kann, eingedenk der warmen Worte, die der Kultusminister von Goßler in der Sitzung des preußischen Landtages vom 29. November vorigen Jahres über ihn gesprochen: „Sein Forschungstrieb und seine reine Wahrheitsliebe werden nur erreicht von seiner Uneigennützigkeit und von seiner Liebe zur Menschheit!“