Beitrag zu Schiller’s Charakteristik

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Autor: unbekannt
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Titel: Beitrag zu Schiller’s Charakteristik
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 688
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[688] Beitrag zu Schiller’s Charakteristik. Es ist bekannt, daß der Herzog Karl von Würtemberg kurz nach dem Erscheinen der „Räuber“ Schillern verbot, etwas Anderes als medicinische Fachschriften drucken zu lassen, und daß es hauptsächlich diese Beschränkung war, welche die Flucht des Dichters nach Mannheim hervorrief. Die Veranlassung zu diesem Verbot war eine an den Herzog gerichtete Reklamation der Graubündner Regierung, in welcher man sich über eine in den Räubern vorkommende Beschimpfung dieser Republik beschwerte. Es lauteten nämlich in der zweiten Scene des ersten Actes die Worte des Libertiner Schwarz, in welchen er nach dem heutigen Texte Karl Moor auffordert, „mit in die böhmischen Wälder zu kommen und dort eine Räuberbande zu sammeln“, im Originale folgendermaßen: „Komm mit uns nach Graubünden, dem Athen der Räuber und Diebe.“

Kaum waren nun 1781 die Räuber im Drucke erschienen und, getragen von der allgemeinen Aufmerksamkeit, auch nach Graubünden gedrungen, als daselbst einige müßige Patrioten an dieser Stelle Anstoß nahmen und eine großartige Petition veranstalteten, in welcher die Regierung gebeten wurde, Einsprache gegen diese Unbilde zu erheben. Dieser Bitte wurde dann auch sofort entsprochen, und die Folge für Schiller war das oben erwähnte Verbot, seine belletristischen Producte drucken zu lassen, und der Befehl, jene Stelle abzuändern. Noch existirt in dem Staatsarchiv zu Chur die diesfällige Relation der Regierung an die „Ehrsamen Räthe und Gemeinden der Republik alt-fry Rhätien“: sie beginnt charakteristisch folgendermaßen: „Getreue, liebe Bundesgenossen! Ein gewißer wirtenbergischer Militär-Artzt, Namens Schieler, hat sich erfrecht, in einem Comödiantenstück unsere Republik als Athen (d. h. etwa sonderlich günstiges Land) der Räuber und Diebe zu qualificiren. Die Häupter der Republik haben daher“ etc. etc. – Es hätte vielleicht diese Notiz für einen weitern Leserkreis wenig Interesse, wenn sie nicht einen eigenthümlichen Beitrag zur Charakteristik Schiller’s liefern und einen neuen Zug in seinem Wesen hervorheben würde, dessen, irren wir nicht, bisher noch nirgends Erwähnung geschah. Wenn wir nämlich fragen, wie Schiller dazu kommen mochte, gerade das Graubündnerland mit dem schmeichelhaften Attribut eines „Athens der Räuber und Diebe“ zu belegen, so finden wir dafür durchaus keinen Grund, indem gerade im Gegentheil jene Gegenden sich von jeher der tiefsten Ruhe und Sicherheit erfreuten. Auch ein Zufall ist hier kaum denkbar, und so scheint uns denn am plausibelsten eine Ansicht zu sein, die unter der höhern Graubündner Gesellschaft gang und gäbe ist und derzufolge Schiller jene Stelle geschrieben haben soll, um sich für einige durch bündnerische Landeskinder ihm zugefügte Unbilden zu rächen. Es waren nämlich zugleich mit Schiller zwei junge adlige Graubündner, Herr von Salis und Herr von Pestalozzi, auf der hohen Carlsschule gewesen und hatten den etwas unbeholfenen und linkischen, weil immer in den Sphären der Poesie weilenden, jungen Mann derart mit Neckereien jeder Gattung verfolgt, daß Schiller ihnen Rache geschworen und dieselbe nach Dichterart nicht mit dem Degen, sondern mit der wirksamern Feder vollführt habe. Eine Bestätigung dieser Annahme finde ich in einer Stelle aus „Wallenstein“, wo in der zweiten Scene des fünften Actes Buttler zu den zögernden Hauptleuten Devereux und Macdonald sagt:

„Nun denn, so geht und schickt mir Pestalutzen.
Wenn Ihr’s verschmäht, es finden sich genug!“

und einige Zeilen weiter unten, wo von der Ermordung des Terzky und Illo die Rede ist:

 – – – – – – „dort wird man sie
bei Tafel überfallen, niederstoßen;
Der Pestalutz, der Leßly sind dabei.“

Pestalutz, wie der Name von Schiller’s Quälgeist in der schweizerischen Depravation lautet, ist auch hier gewiß nicht ohne Absicht gesetzt, und es ist charakteristisch, daß der Dichter noch zur Zeit der Abfassung des Wallenstein, also viele Jahre nach dem Austritt aus der hohen Karlsschule, sich so drastisch an die dort erlittenen Neckereien erinnerte, wenn wir auch daraus weniger auf Unversöhnlichkeit, als auf eine gewisse Schalkhaftigkeit schließen.