Benutzer:Bodhi-Baum/Buddha

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Buddha
sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde
von
Hermann Oldenberg



Berlin.
Verlag von Wilhelm Hertz.
1881


Inhalt.
EINLEITUNG.

Seite

Erstes Capitel. Indien und der Buddhismus 1—16

Indien und der Westen, S. 1. Die Trias von Buddha, der Lehre, der Gemeinde, S. 6.

Das westliche und östliche Indien. Die Brahmanenkaste S. 7. Die Arier in Indien und ihre Ausbreitung S. 9. Arische und vedische Cultur S. 10. Das indische Volk S. 11. Die Brahmanenkaste S. 13.

Zweites Capitel. Der indische Pantheismus und Pessimismus vor Buddha 17-61

Symbolik des Opfers; das Absolute S. 17. Anfänge der indischen Speculation S. 17. Das Opfer und die Opfersymbolik S. 20. Der Ātman S. 26. Das Brahma S. 27. Das Absolute als Ātman-Brahma S. 30.

Das Absolute und die Sinnenwelt S. 33. Aeltere und jüngere Formen der Ātman-Idee S. 34. Gespräch des Yājnavalkya mit der Maitreyî S. 35. Das Nicht-Ich S. 38.

Pessimismus. Seelenwandernng. ErlösungS.43.

Der Versucher. Brahman S. 55. Die KāthakaMaka-Upanishad, Naciketas und der Todesgott S. 55. Der Todesgott und Māra der Versucher S. 59. Brahman S. 60.

Drittes Capitel. Asketenthum. Mönchsorden 62—72

Anfänge des Einsiedlerthums S. 62. Das Vordringen des Asketenthums aus dem westlichen Indien in den Osten; Bildung von Mönchsorden, S. 64. Secten und Sectenhäupter S. 67.

Sophistik S. 69.

ERSTER ABSCHNITT.

Buddha's Leben.

Erstes Capitel. Die Beschaffenheit der Tradition. Legende und Mythus 73-96

Zweifel an der historischen Realität der Gestalt Buddha's; Buddha und der Sonnenheros S. 73. Grundlage der

Die vier heiligen Wahrheiten. Die erste derselben und der buddhistische Pessimismus S. 213. Das Nichts und das Leiden S. 216. Dialektische Begründung des Pessimismus; die Rede vom Nicht-Ich S. 217. Die Stimmung des buddhistischen Pessimismus S. 225.

Zweites Capitel. Die Sätze von der Entstehung und Aufhebung des Leidens 228—291

Die Formel vom Causalnexus S.228.

Der dritte Satz der Causalitätsreihe. Bewusstsein und Körperlichkeit S. 232.

Der vierte bis elfte Satz der Causalitätsreihe S. 236.

Der erste und zweite Satz der Causalitätsreihe S. 242. Das Nichtwissen S. 242. Die Samkhāra S. 247. Das Kamma (sittliche Vergeltung) S. 248.

Sein und Werden. Substanz und Gestaltung S. 253. Dhamma, Samkhāra S. 256.

Die Seele S. 258.

Der Heilige. Das Ich. Das Nirvāna S. 269. Das Nirvāna im Diesseits 270. Der Tod des Heiligen S. 272. Ist das Nirvāna das Nichts? S. 273. Gespräch Buddha's mit Vacchagotta S. 278. Gespräch Buddha's mit Mālukya S. 281. Abweisung der Frage nach dem letzten Ziel S. 282. Versteckte Beantwortung dieser Frage; Gespräch der Khemā und des Pasenadi S. 284. Gespräch des Sāriputta und des Yamaka S. 287.

Drittes Capitel. Der Satz vom Wege zur Aufhebung desLeidens 292—337

Pflichten gegen den Nächsten S. 292. Die drei Kategorien von Rechtschaffenheit, Sichversenken und Weisheit S. 294. Verbote und Gebote S. 296. Liebe und Barmherzigkeit S. 298. Geschichte von Leidelang und Lebelang S. 299. Geschichte von Kunāla S. 303. Wohlthätigkeit; die Geschichte von Vessantara S. 308. Die Geschichte vom weisen Hasen S. 310.

Sittliche Arbeit an sich selbst S. 311.

Māra der Böse S.316.

Die letzten Stufen des Heilsweges. Die Versenkungen. Die Heiligen und Buddhas S. 320.

DRITTER ABSCHNITT.

Die Gemeinde der Jünger Buddha's.

Das Gemeinderecht und die Rechtsbücher S. 338.

Die Gemeinde und die Diöcesen. Eintritt und Austritt S. 343.

Besitz, Kleidung, Wohnung, Unterhalt S. 362.

Der Cultus S. 377.

Die Gemeinde der Nonnen S. 385.

Der geistliche Orden und die Laienwelt S. 390.

EXCURSE.

Erster Excurs. Ueber das geographisehe Verhältniss der vedisehen und der buddhistischen Cultur 399—418

Verschiedene Abgrenzung der arischen nnd der vedischen Cultur S. 399. Die Völkeraufzählung im Aitareya Brāhmana S. 400. Desgl. bei Manu S. 401. Die in den Brāhmana-Texten erwähnten Stämme S. 402. Die Kuru S. 403. Yājnavalkya und die Videha S. 405. Die Legende von Agni Vaiçvānara S. 406. Die Magadha S. 407. Die in der Rik-Samhitā erwähnten Stämme S. 408. Die Turvaça S. 411. Die Tritsu-Bharata, S. 412.

Zweiter Excurs. Bemerkungen und Belege zur Geschichtevon Buddha's Jugend 418—432

Die Sakya S. 418. Der Name Gotama S. 420. Buddha kein Königssohn S. 422. Jugendgeschichte und Fortgehen aus Kapilavatthu S. 424. Die Zeit von der Pabbajjā bis zur Sambodhi S. 426. Die Sambodhi S. 429.

Dritter Excurs. Zusätze und Belege einige Gegenständeder buddhistischen Dogmatik betreffend 432—453

1. Das Nirvāna S. 432. Upadhi S. 432. Upādāna S. 434. Upādisesa S. 438. Textstellen über das Nirvāna S. 443. Nirvāna und Parinirvāna S. 448.

2. Nāmarūpa S. 449.

3. Die vier Stufen der Heiligkeit S. 451.

In indischen Worten ist c wie tsch, j wie dsch auszusprechen.


Einleitung
Erstes Capitel

1[Bearbeiten]

Indien und der Buddhismus[Bearbeiten]

Die Geschichte des buddhistischen Glaubens hebt unter einer Gemeinde von Bettelmönchen an, welche sich im Gangeslande, ein halbes Jahrtausend vor dem Beginn der christlichen Zeitrechnung, um die Person Gotama's, des Buddha, sammelten. Was sie verband und ihrer einfach ernsten Gedankenwelt ihr Gepräge gab, war das lebendig gefühlte und in klarem Ausdruck befestigte Bewusstsein, dass alles irdische Sein vooller Leiden ist, und dass es nur eine Erlösung vom Leiden giebt, Entsagen und die ewige Ruhe.

Ein wandernder Lehrer und seine wandernden Jünger, nicht unähnlich jenen Schaaren, die später durch Galiläa die Botschaft trugen: „das Himmelreich ist nahe herbeigekommen," zogen durch die Reiche Indiens mit der Predigt vom Leiden und vom Tode, und mit der Botschaft: „thut euer Ohr auf; die Erlösung vom Tode ist gefunden."

Tiefe Kluften scheiden den geschichtlichen Kreis, in dessen Mitte die Gestalt Buddha's steht, von der Welt, an welche zunächst wir zu denken gewohnt sind, wenn wir von Weltgeschichte reden.

Jene Naturrevolutionen, welche Indien durch einen Riesenwall ungeheurer Gebirge von den kühleren Ländern des

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Westens und Nordens schieden, haben damit dem Volk, das dereinst diesen üppig gesegneten Boden betreten sollte, seine Rolle abgeschlossenen Fürsichseins im Voraus bestimmt: wie kaum eine zweite Nation in der civilisirten Welt hat die indische ihr Leben aus sich selbst und nach ihren eigenen Gesetzen sich geschaffen, fem von den stammfremden wie von den stammverwandten Völkern, welche im Westen in enger Gemeinschaft unter einander das Werk, zu dem die Geschichte sie berief, gethan haben. Indien nahm an diesem Werk keinen Antheil. Für die Kreise des indischen Volks, unter denen Buddha seine Lehre predigte, hatte die Vorstellung von nicht-indischen Ländern kaum eine concretere Bedeutung, als die Vorstellung von jenen andern Erden, die im ungeheuren Raum zerstreut mit andern Sonnen, andern Monden und andern Höllen zu neuen Weltsystemen sich zusammenschliessen. Wohl sollte der Tag kommen, an dem eine übermächtige Hand die Schranken zwischen Indien und dem Westen zertrümmerte, die Hand Alexanders. Aber dieser Zusammenstoss von Inderthum und Griechenthum gehört einer viel spätem Zeit an, als der, welche den Buddhismus geschaffen hat; zwischen dem Tode Buddha's und Alexanders indischem Feldzug mögen etwa ein hundert und sechzig Jahre liegen. Wer will ermessen, was geworden wäre, wenn in einer frühern Epoche, als das Wesen der Inder noch frischer und freudiger den Einflüssen fremden Wesens sich geöffnet hätte, Ereignisse wie jenes Eindringen der makedonischen Waffen und der hellenischen Cultur auf sie gewirkt hätten? Für Indien kam Alexander zu spät; als er erschien, war das indische Volk in seiner tiefen Insichgekehrtheit längst zum Sonderling unter den Völkern geworden, von Lebensformen und Gewohnheiten des Denkens beherrscht, die für die Massstäbe der nicht-indischen Welt incommensurabel waren. Ohne eine Vergangenheit, deren Gedächtniss fortgelebt hätte, ohne eine Gegenwart, die man in Liebe und Hass sich anzueignen entschlossen war, ohne

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eine Zukunft, auf die man hoffen und für die man wirken konnte, träumte man bleiche, stolze Träume von dem, was über aller Zeit ist, und von dem eignen Königthum in diesen ewigen Reichen. Kaum auf irgend einer unter den Schöpfungen der überreichen Cultur Indiens tritt das Gepräge dieses indischen Wesens so scharf und eben darum so räthselhaft uns entgegen, wie in dem Buddhismus.

Je vollständiger aber zwischen diesen fernen Gebieten und der uns bekannteren Welt alle äusseren Verbindungen, wie sie durch den Verkehr der Völker und den Austausch ihrer geistigen Besitzthümer geschaffen werden, abzureissen scheinen, um so viel sichtbarer stellt sich hier ein andres Band dar, welches auch das äusserlich entfernte und fremd erscheinende innerlich eng zusammen hält: das Band der geschichtlichen Analogie zwischen Erscheinungen, die auf verschiedenem Boden durch das Wirken des gleichen Gesetzes in's Dasein gerufen sind.

Ueberall wo es einem Volke gelungen ist, sein geistiges Leben rein und ungestört durch längere Zeiträume hindurch zu entwickeln, kehrt, vornehmlich auf dem Gebiet religiösen Wesens sichtbar, dieselbe Erscheinung wieder, die wir als eine Verlegung des Schwerpunkts aller höchsten menschlichen Interessen von aussen nach innen bezeichnen dürfen: ein alter Glaube, der dem Menschen gewissermassen durch ein Schutz-und Trutzbündniss mit der Gottheit Macht, Gedeihen, Sieg und Untergang seiner Feinde verheisst, wird bald in unmerklichen Wandlungen bald in grossen Katastrophen von einer neuen Denkweise überwunden, deren Schlagworte nicht mehr Wohlsein, Sieg, Herrschaft, sondern Ruhe, Friede, Seligkeit, Erlösung heissen. Dem zagenden, irrenden Menschenherzen bringt das Blut der Opferthiere keine Versöhnung mehr; neue Wege werden gesucht und gefunden, im eigenen Innern den Feind zu überwinden, gesund, rein, selig zu werden.

Nach aussen hin giebt dieser veränderte Inhalt des innern

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Lebens einer neuen Form der geistlichen Gemeinschaft ihr Dasein. In der alten Ordnung der Dinge war in der Familie, dem Stamm, dem Volk zugleich von Natur die religiöse Einheit gegeben, innerhalb deren sich Gemeinsamkeit in Glauben und Cultus von selbst verstand. Wer dem Volk zugehört, hat damit das Recht und die Pflicht, an dem Cultus der Volksgötter seinen Theil zu nehmen. Neben diesem Volk stehen andere Völker mit andern Göttern; für jeden Einzelnen ist es durch die Thatsache seiner Herkunft mit Naturnothwendigkeit entschieden, welche Götter für ihn die wahren, wirkenden sein sollen. Eine eigne Gemeinschaft, die als Kirche sich benennen liesse, giebt es nicht und kann es nicht geben, denn der Kreis aller Verehrer der Volksgötter ist nicht enger und nicht weiter als das Volk selbst.

Anderer Natur sind die Bedingungen, unter welchen jene Jüngern Formen des religiösen Lebens in die Erscheinung treten. Diese haben mit dem Volke, unter dem sie erstehen, nicht gleiches Alter; wie sie zur Existenz kommen, finden sie einen im Volk wurzelnden, in den Volksinstitutionen ausgeprägten Glauben schon vor. Sie müssen damit beginnen, ihre Gläubigen aus den Schaaren Andersgläubiger sich zu sammeln. Keine Naturnothwendigkeit mehr, sondern der Wille des Einzelnen entscheidet darüber, ob er hüben oder drüben sein Heil zu finden hofft. Es bilden sich die Formen der Schule, der Gemeinde, des Ordens; es kann aus dem engen Freundeskreise von Lehrer und Jüngern zuletzt eine Kirche erwachsen, welche die Schranken der Nation, die Schranken aller Culturgebiete überschreitend in die fernsten Weiten hinausreicht.

Ist es gestattet, für diesen allgemein wiederkehrenden Wandel, der das religiöse Leben der Völker innerlich wie äusserlich umgestaltet, die Bezeichnung von einem einzelnen der hierher gehörigen Fälle zu entlehnen, so möchte man ihn als den Fortschritt vom alttestamentlichen Wesen zum neu-testamentlichen benennen. Der Preis, in Gestaltungen, deren

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Gleichen die Geschichte nicht kennt, dieser Wandlung den einfältigsten und tiefsten Ausdruck geschaffen zu haben, gebührt dem semitischen Stamm. Etwa ein halbes Jahrtausend früher als in Palästina haben sich unter den indogermanischen Völkern an zwei Stellen, räumlich weit getrennt, der Zeit nach benachbart, die analogen Vorgänge vollzogen, in Griechenland und in Indien.

Dort finden wir den sonderbarsten unter den Athenern, den definirenden Ergründer des menschlichen Trachtens, der auf dem Markt wie beim Becher, vor Alkibiades so gut wie vor Platon, beweist, dass die Tugend gelehrt und gelernt werden kann, — hier tritt als der Vornehmste unter den vielen Weltheilanden, die damals Indien im Mönchsgewand durchzogen, der adlige Gotama hervor, der sich den herrlichen, heiligen Hocherleuchteten nennt, welcher in die Welt gekommen, um Menschen und Göttern den Ausweg aus dem leidenvollen Kerker des Daseins zur Freiheit der ewigen Ruhe zu weisen.

Was kann verschiedener sein, als das Mass, nach welchem in diesen beiden Geistern — und die geschichtliche Betrachtung darf ihnen als dritten ihr grosses Gegenbild in seiner geheimnissvoll herrlichen Leidensgestalt anreihen — die Elemente von Denken und Fühlen, von Tiefe und von Klarheit gemischt und gestimmt waren? Aber eben in der scharfen Verschiedenheit dessen, was sokratisches, buddhistisches, christliches Wesen war und noch ist, bewährt sich die geschichtliche Nothwendigkeit. Denn geschichtliche Nothwendigkeit ist es gewesen, dass, als die Stufe erreicht worden, auf welcher jene geistige Neubildung vorbereitet und gefordert war, das griechische Volk dieser Forderung mit einer neuen Philosophie, das jüdische mit einem neuen Glauben antworten musste. Dem indischen Geist fehlte es so sehr an jener Einfalt, die glauben kann ohne zu wissen, wie an der kühnen Klarheit, die zu wissen versucht ohne zu glauben, und so musste Indien eine Lehre schaffen, die Religion und Philosophie zugleich oder eben

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darum, wenn man will, weder das eine noch das andre war: den Buddhismus. Unsere Darstellung hofft im Einzelnen auf Schritt und Tritt die Parallelität dieser Erscheinungen zu bewähren. Indem sie von den verwandten geschichtlichen Bildungen der westlichen Welt ein Licht empfängt, das an manchem dunklen Ort ihres eignen Gebietes Umrisse und Gestalten zu erkennen erlaubt, hofft sie auch umgekehrt an ihrem Theil dazu beizutragen, der Erforschung jener allgemein gültigen Normen, welche den Wandel im religiösen Denken der Völker beherrschen, die thatsächlichen Grundlagen ge-sichtet und gesichert an die Hand zu geben.

Der Gang, den unsere Darstellung zu nehmen haben wird, ist durch die Natur der Sache klar vorgezeichnet. Selbstverständlich ist es unsre erste Aufgabe, die geschichtlichen, nationalen Voraussetzungen, den Grund und Boden, auf dem der Buddhismus ruht, vor allem das religiöse Leben und die philosophische Speculation des vorbuddhistischen Indien zu characterisiren; denn Jahrhunderte vor Buddha's eigner Zeit haben sich im Denken der Inder Bewegungen vollzogen, die den Buddhismus vorbereiten und von einer Darstellung des letztern nicht getrennt werden können. Die Betrachtung des Buddhismus selbst sodann zerlegt sich naturgemäss in drei Haupttheile, entsprechend jener Trias, zu welcher schon in ältester Zeit die Buddhistengemeinde in ihrer liturgischen Sprache den Inbegriff alles dessen, was ihr heilig war, aus einander gelegt hat, der Dreiheit von Buddha, der Lehre, der Gemeinde. Die eigne Person des Buddha steht nothwendig, wie in jener alten Formel, so auch in unsrer Darstellung an der Spitze: wir müssen uns mit seinem Leben und seinem Tode beschäftigen, mit seinem Auftreten als Lehrer seines Volkes, dem Jüngerkreis, der ihn umgab, seinem Verkehr mit Reich und Arm, mit Hoch und Niedrig. Wir wenden uns dann zweitens zu den dogmatischen Gedanken des ältesten Buddhismus, vor Allem zu dem, was durchaus im Mittelpunkt dieser Gedankenwelt

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steht, zu den Lehren von dem Leiden alles irdischen, der Erlösung von diesem Leiden, dem Ziele alles Erlösungs-strebens, dem Nirvana. Es ist nun aber ein wesentlicher Zug des Buddhismus so gut wie des Christenthums, dass derselbe alle die, welche durch den gleichen Glauben und das gleiche Streben nach Erlösung geeinigt sind, auch äusserlich zu einer kirchlichen Gemeinschaft zusammenfasst: in jener Formel der buddhistischen Trinität finden wir neben dem Buddha und der Lehre als drittes Glied die Gemeinde genannt. Diesem Gange werden wir folgen und werden, wenn wir von Buddha und seiner Lehre gesprochen haben, drittens die Gemeinde und das Gemeindeleben in das Auge fassen; wir werden die Organisation kennen lernen, die der Buddhismus sowohl dem engem Kreise von Gläubigen, welche ihr Mönchs- und Nonnengelübde abgelegt haben, als auch den Laiengenossen, die sich zur Lehre des Buddha bekennen, ertheilt hat. Hiermit wird die Betrachtung des ältesten Buddhismus, oder, bescheidener ausgedrückt, die Betrachtung des Buddhismus in der Gestalt, die für uns die älteste ist, zum Ziele gelangt sein: und auf diese Betrachtung allein soll unsre Darstellung sich beschränken.

Das westliche und östliche Indien. Die Brahmanenkaste.

Der Boden, auf dem die Vorgeschichte wie die älteste Geschichte des Buddhismus sich abgespielt hat, ist das Gangesland, unter den Ländern Indiens das am meisten indische. In den Zeiten, von denen wir zu reden haben, schloss das Gangesland fast allein in der ganzen Halbinsel alle Centren arischer Staatenbildung und Cultur in sich. Die grossen natürlichen Abschnitte dieses Gebietes, die mit Abschnitten in der Vertheilung der Stämme Indiens und mit Abschnitten in der Verbreitung der altindischen Cultur zusammenfallen, entsprechen auch den Stadien des Entwicklungsganges, den diese religiöse

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Bewegung genommen hat. Die Anfange derselben führen uns in die nordwestliche Hälfte des Gangesgebietes, in jene Gegenden, wo das Gangesland und das Indusland einander nahe kommen, und in jene, welche die beiden Zwillingsströme Ganges und Yamunā ihrer Vereinigung entgegenziehend durchfliessen. Hier, und lange Zeit hier allein, lagen die eigentlichen Pflanzstätten brahmanischer Cultur; hier zuerst sind, Jahrhunderte vor Buddha´s Zeit, in den Kreisen brahmanischer Denker, auf dem Opferplatz wie in der Einsamkeit des Waldlebens die Gedanken gedacht und ausgesprochen worden, in denen die Abkehr von der alten vedischen Naturreligion zur Lehre von der Erlösung sich vorbereitet und schliesslich vollzogen hat.

Die im Nordwesten geschaffene Cultur, und mit ihr diese Gedanken, sind den Ganges hinab, durch die gewaltige Ader, in welcher das Leben Indiens von altersher am stärksten pulsirt hat, nach dem Südosten hinabgeströmt; unter neuen Völkern haben sie neue Gestalten angenommen, und als schliesslich Buddha selbst erschienen ist, sind die beiden grössten Reiche in der südöstlichen Hälfte des Gangesgebietes, die Lander Kosala (Oude) und Magadha (Bihar), die vornehmlichsten Heimathstätten seiner Verkündigung und seines Wirkens gewesen. So liegen weite Strecken zwischen den Gegenden, in welchen, lange vor Buddha, der Buddhismus sich vorzubereiten begann, und denen, in welchen Buddha selbst seine ersten Gläubigen um sich gesammelt hat; und dieser Wechsel der Scenerie und der handelnden Personen hat, wie das nicht anders sein konnte, in dem Gang der Handlung selbst in mehr als einer Hinsicht seine Geltung bewiesen.

Wir werfen zunächst einen Blick auf die Volksstämme, die uns nach einander, die einen als die Anfänger, die andern als die Vollender dieser religiösen Bewegung begegnen werden.

Wie bekannt, ist die arische Bevölkeruiig Indiens von

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Nordwesten her in der Halbinsel eingewandert. Diese Einwanderung liegt zu der Zeit, welcher die ältesten auf uns gelangten Denkmäler religiöser Poesie angehören, schon in ferner Vergangenheit; die Inder hatten die Erinnerung an dieselbe so vollständig verloren, wie die entsprechenden Thatsachen bei den Griechen und Italikern vergessen worden sind. Hellfarbige Arier drangen vor und zerbrachen die Burgen der Urbewohner, der „schwarzen Haut", der „gesetzlosen" und „gottlosen"; die Feinde wurden verdrängt, vernichtet oder unterworfen. Als die Vedalieder gedichtet wurden, waren arische Schaaren, wenn auch wohl nur in einzelnen kühnen Vorläufern, schon bis dahin gedrungen, wo der Indus im Westen, vielleicht auch gar dahin, wo der Ganges im Osten mit seinen gewaltigen Wassern in das Meer mündet: unerschöpflich reiche Gebiete, in denen die Heerden der Arier weideten und die arischen Götter mit Gebet und Opfern geehrt wurden.

Wahrscheinlich am frühesten eingewandert und deshalb am weitesten gegen Osten vorgerückt sind, wir wissen nicht, ob vereint oder getrennt, die Stämme, die uns später östlich von der Vereinigung von Ganges und Yamunā auf beiden Seiten des Ganges sitzend begegnen, die Anga und Magaha, die Videha, die Kāçi und Kosala.

Eine zweite Welle der grossen Völkerfluth führte neue Arierschaaren mit sich, eine Zahl eng unter einander verbundener Stämme, welche, ihren Brüdern geistig vorauseilend, die ältesten grossen Denkmäler des indischen Geistes, die wir besitzen, und die wir mit dem Namen des Veda benennen, geschaffen haben. Wir finden diese Stämme in der Zeit, von welcher die Hymnen des Rigveda uns ein Bild geben, nahe an den Eingängen der indischen Halbinsel, am Indus und im Fünfstromlande; später sind sie weiter gegen Südosten vorgedrungen und haben am Oberlauf des Ganges und an der Yamunā jene Reiche gegründet, die im Gesetzbuch des Manu das Land der Brahma-Weisen genannt werden, der Sitz und

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das Vorbild heiligen, gerechten Lebens: „von einem Brahmanen, der in diesem Land geboren ist", sagt das Gesetz, „sollen alle Menschen auf Erden in ihrem Wandel unterwiesen werden". Die Namen des Bharata-Stammes, der Kuru, der Pancāla ragen hervor unter den Völkern dieses classischen Gebietes der vedischen Cultur, das in heller Beleuchtung als ein Land reich entwickelten geistigen Schaffens vor unsern Augen liegt, während die Geschicke der übrigen, früher eingewanderten Stämme bis zu dem Zeitpunkt, wo auch sie von der Cultur ihrer Bruderstämme berührt werden, im Dunkel geblieben sind. [1]

In einem vedischen Werk, dem „Brāhmana der hundert Pfade", ist uns eine merkwürdige Legende erhalten, in welcher der Gang, den die Ausbreitung von Cultus und Cultur des Veda genommen, sich klar wiederspiegelt. Der flammende Gott Agni Vaiçvānara, das Opferfeuer, wandert von dem Fluss Sarasvatî, aus dem alten heiligen Heimathlande der vedischen Sacra, dem Osten zu. Flüsse begegnen seinem Weg, aber Agni flammt über alle Flüsse hinweg, und hinter ihm ziehen der Fürst Māthava und der Brahmane Gotama. So kamen sie zum Fluss Sadānîrā, der von den Schneebergen im Norden herabströmt; über den flammte Agni nicht hinweg. „Den überschritten vordem die Brahmanen nicht, denn Agni Vaiçvānara war nicht über ihn hinweggeflammt. Jetzt aber wohnen östlich von dort viele Brahmanen. Dies war vordem gar schlechtes Land, zerfliessender Boden, denn Agni Vaiçvānara hatte es nicht geniessbar gemacht. Jetzt aber ist es gar gutes Land, denn nun haben Brahmanen es mit Opfern geniessbar gemacht"; — in Indien wird schlechtes Land zu gutem Land gemacht nicht wie in der übrigen Welt durch

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pflügende und grabende Bauern, sondern durch opfernde Brahmanen. — Fürst Māthava gründet im Osten von der Sadānîrā, in dem schlechten Lande, davon Agni nicht gekostet, seine Wohnsitze; seine Nachkommen sind die Beherrscher der Kosala und Videha. Der Gegensatz ist klar, in welchem diese Legende die östlichen Stämme, die Kosala-Videha, und die westlichen, bei denen Agni Vaiçvānara, der ideale Vertreter vedischen Wesens, von altersher heimisch ist, erscheinen lässt. Wer den Anfängen der Verbreitung des Buddhismus nachforscht, muss sich erinnern, dass die Heimath Buddha*s und seiner ältesten Gemeinden in dem Lande liegt, in welches Agni Vaiçvānara, als er nach Osten wanderte, nicht hinübergeflammt ist.

Es ist uns versagt, an die Vorgänge jenes siegreichen Kampfes, in dem Arierthum und vedische Cultur das Gangesland erobert haben, den Massstab von Jahren oder auch nur von Jahrhunderten anzulegen. Wohl aber vermögen wir, was das wichtigere ist, aus den über einander gelagerten Schichten der vedischen Literatur eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie unter den Einflüssen der neuen Heimath, der indischen Natur, des indischen Klimas sich im Leben des Volkes — zunächst und zuvörderst des vedischen Volkes, der Stämme des Nordwestens —- ein Wandel vollzogen und der Volksseele jener schmerzliche Zug von Leiden und Krankheit sich aufgeprägt hat, der ihr durch allen Wechsel der Geschicke geblieben ist und bleiben wird, so lange es ein indisches Volk giebt.

In dem schwülen, feuchten, von der Natur mit Reichthümem üppig gesegneten Tropenlande des Ganges hat das Volk, das in frischer Jugendkraft steht, als es von Norden her eindringt, bald aufgehört jung und stark zu sein. Menschen und Völker reifen in jenem Lande, den Pflanzen der Tropenwelt gleich, schnell heran, um ebenso schnell an Leib und Seele zu erschlaffen. Die See mit ihrem frischen Hauch, die


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Schule grossartiger nationaler Thatkraft, spielt im Leben der Inder keine Rolle. Vor allem aber hat der Inder sich früh von dem abgewandt, was zuvörderst ein Volk jung und gesund erhält, von der Arbeit und dem Kampf um Heimath, Staat und Recht. Der Gedanke der Freiheit mit all den lebenschaffenden, freilich auch mit den todbringenden Mächten, die er in sich trägt, ist in Indien immer ungekannt und unverstanden geblieben; Menschenwillkür darf nicht rütteln an der Weltordnung Brahmas, an dem Naturgesetz der Kaste, welches das Volk in den Willen des Königs, den König in den Willen des Priesters gegeben hat. Wohl mochte es das Staunen des Griechen erregen, wenn in Indien der Landmann zwischen kämpfenden Heeren ruhig fortfuhr seinen Acker zu bestellen[2]: „er ist heilig und unverletzlich, denn er ist der gemeinsame Wohlthäter von Freund und Feind". Aber in dem, was die Griechen als schönen und sinnvollen Zug des indischen Volkslebens erzählen, liegt doch noch etwas andres, als nur die sinnige Milde: als Hannibal kam, baute der römische Bauer nicht sein Feld. Doch dem Inder sind die besten der Interessen und Ideale, die jedes gesunde Volksleben in seinen Tiefen ergreifen, fremd. Wollen und Handeln ist überwuchert vom Denken. Wo aber einmal das innere Gleichgewicht zerstört, das natürliche Verhältniss zwischen dem Geist und der Realität der Welt verloren gegangen ist, hat auch das Denken nicht länger die Kraft, Gesundes gesund zu erfassen. Das was ist, erscheint dem Inder werthlos gegen die Randverzierungen mit denen seine Phantasie es einfasst, und die Gebilde dieser Phantasie wuchern in tropischer Ueberfülle formlos und masslos und kehren sich schliesslich mit furchtbarer Macht gegen ihren Schöpfer. Ihm bleibt die wahre Welt,

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von den Gestalten der eignen Träume verhüllt, ein Unbekanntes, dem er weder zu vertrauen, noch das er zu beherrschen vermag: Leben und Glück im Diesseits bricht zusammen unter der Last des überschwer wuchtenden Gedankens an das Jenseits.

Die sichtbare Verkörperung der jenseitigen Welt inmitten des Diesseits ist die Kaste der Brahmanen, der Wissenden und Könnenden, die dem Menschen den Zugang zu den Göttern zu öffnen und zu verschliessen, ihm dort oben Freunde und Feinde zu erwecken Macht haben. In dem Stand der Brahmanen allein war den Kräften, welchen es versagt blieb, in staatlichem Leben sich zu entfalten. Raum zum Schaffen gegeben, freilich zu welch' einem Schaffen! Statt der Lykurge und Themistokles, die das Geschick den Indern nun einmal vorenthalten, haben sie desto mehr Ārunis und Yājnavalkyas gehabt, die alle Geheimnisse von Feueropfer und Somaopfer meisterlich zu ergründen und nicht minder meisterlich die Ansprüche zur Geltung zu bringen wussten, die gegenüber dem weltlichen Wesen den Vertretern des Reiches, das nicht von dieser Welt ist, zukommen.

Man kann den Gang, den das indische Denken genommen hat, nicht verstehen, ohne das Bild dieses Standes der Philosophen, wie die Griechen die Brahmanenkaste nannten, mit seinem Licht und Schatten vor Augen zu haben. Und vor Allem soll man nicht vergessen, dass dieser Priesterstand zu der Zeit wenigstens, welche die entscheidenden Grundgedanken für die geistige Arbeit der Folgezeit und auch für den Buddhismus geschaffen hat, doch noch etwas anderes war als ein eitles und begehrliches Pfaffenthum, dass er die nothwendige Erscheinung war, in welcher das eigenste Wesen, wenn man will, der böse Genius des indischen Volkes sich verkörpert hat.

Ernst und gemessen giengen die Tage des Brahmanen hin; auf Schritt und Tritt umgaben ihn die engen, ja peinlichen

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Schranken, welche die heilige Würde, die er in sich trug, dem äussern und innern Menschen auferlegte. Im Hören und Lernen des heiligen Wortes brachte er seine Jugend zu, denn ein rechter Brahmane ist nur der, „der gehört hat". Und hatte er den Ruhm „gehört zu haben" erlangt, vergieng sein Alter im Lehren, im Dorf oder draussen in der Waldes- einsamkeit im geweihten Kreise, den die Sonne im Osten be- schien, wo allein die geheimsten Lehren dem verhüllten Schüler offenbart werden durften. Oder er war auf dem Opferplatz zu finden, für sich selbst und für Andre das heilige Werk zu verrichten, das mit seinen zahllosen Observanzen die peinlichste Genauigkeit und die mühsamste Kennerschaft erforderte, oder er erfüllte die lebenslängliche Pflicht des Brahmaopfers, das ist, der täglichen Andacht aus dem heiligen Vedawort. Wohl mochten durch den Opferlohn, den Könige und Grosse dem Brahmanen gaben, Reichthümer in seine Hand fliessen, aber für den würdigsten galt doch der, der nicht vom Opfern für Andre lebte, sondern von den Aehren des Feldes, die er las, oder von Gaben, um die er nicht gebeten, oder von solchen Gaben, um die er Gute gebeten. Doch ob auch als Bettler lebend, wusste er sich über weltliche Herrscher und Beherrschte erhaben, aus anderm Stoff gemacht als sie: Götter nennen sich die Brahmanen und mit den Himmelsgöttern im Bunde wissen diese Erdengötter sich auch im Besitz von Götterwaffen, Waffen der geistigen Macht, vor denen jede irdische Waffe kraftlos zerbricht. „Die Brahmanen", heisst es in einem vedischen Lied, „führen scharfe Pfeile; Geschosse haben sie; ihr Schuss, den sie thun, geht nicht fehl. Sie stürmen ihrem Feind nach mit ihrer heiligen Gluth und ihrem Grimm, aus der Ferne durchbohren sie ihn". Der König, den sie zur Herrschaft über das Volk salben, ist nicht ihr König; bei der Königsweihe spricht der Priester, wenn er den Herrscher seinem Volk darstellt: „dies ist euer König, ihr Leute; der König über uns Brahmanen ist Soma". So schliessen sich die Brahmanen, ausserhalb des Staates stehend.

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zu einer grossen Genossenschaft zusammen, die so weit reicht, wie die Satzungen der Veda gelten. Die Glieder dieser Genossenschaft sind die einzigen Lehrer der heranwachsenden Jugend. Der junge Inder arischer Geburt gilt als ausgestossen, wenn er nicht zu rechter Zeit einem brahmanischen Lehrer zugeführt wird, um von ihm die heilige Schnur, das Abzeichen des geistlich Wiedergebornen, zu empfangen und in die Weisheit des Veda eingeführt zu werden. „In meinen Willen", spricht da der Lehrer, „nehme ich dein Herz, meinem Denken folge dein Denken, meines Wortes freue dich von ganzer Seele". Und durch die langen Jahre, die der Schüler im Hause des Lehrers zubringt, ist er in dessen Furcht und Gehorsam gebannt; das Brahmanenhaus ist, wie im modernen Staat das Kriegsheer, die grosse Schule, die Jedem ein Theil seines besten Lebens abfordert, um ihn zu entlassen mit dem unverlierbar eingepflanzten Bewusstsein der Unterordnung hier unter die im Staat, dort unter die im Brahmanenstande verkörperte Idee.

In der Stärke und in der Schwäche der Lebensformen dieser Denkerkaste liegt im Keime auch Stärke wie Schwäche ihres Denkens beschlossen. Sie waren wie hineingebannt in eine selbstgeschaffene Welt, abgeschnitten von dem erfrischenden Lufthauch lebendigen Lebens, durch nichts erschüttert in dem schrankenlosen Glauben an sich und an die eigne Allmacht, neben der, was dem Leben Andrer seinen Inhalt gab, klein und verächtlich erscheinen musste. Und so beweist sich denn auch in ihrem Denken die höchste Kühnheit weltverachtender Abstraction, die über alles Sichtbare hinaus sich in die Reiche des Raumlosen und Zeitlosen wagt, neben einem kranken Trieb, in bodenlose Phantasmen ohne Mass und Ziel sich hineinzuspinnen, in Träumereien, wie nur ein Geist sie ersinnen kann, dem der Sinn für die nüchterne Wahrheit dessen, was ist, verloren gegangen ist. Sie haben einen Styl des Denkens geschaffen, in dem Grosses und Tiefes mit dem

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kindisch Absurden einen Bund geschlossen hat so seltsam wie ihn die Geschichte der Versuche des Menschen, sich und die Welt zu begreifen, nicht zum zweitenmal gezeigt hat. Dies Denken in seiner Entwicklung kennen zu lernen, ist unsre nächste Aufgabe.

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Zweites Capitel
Der indische Pantheismus und Pessimismus vor Buddha.

Symbolik des Opfers. Das Absolute.


Die Anfänge der indischen Speculation reichen in die Hymnenpoesie des Rigveda hinein. Hier, in dem ältesten Denkmal vedischer Dichtung begegnen wir unter Opferliedem und zwischen Gebeten an Agni und Indra um Schutz, um Gedeihen und Sieg, den ersten kühnen Versuchen eines Denkens, das den Sphären der bunten Götter- und Mythenwelt den Rücken kehrt und in bewusstem Vertrauen auf die eigne Kraft den Räthseln von Sein und Werden sich naht.


„Da gab es weder Sein noch gab es Nichtsein,
Nicht war der Dunstkreis und der Himmel drüber.
Bewegt sich was? und wo? in wessen Obhut?
Gab es das Wasser und den tiefen Abgrund?

Nicht Tod und nicht Unsterblichkeit war damals,
Der Tag war nicht geschieden von den Nächten.
Nur Eines athmet ohne fremden Anhauch
Von selbst; nichts andres gab es über Diesem.

— Da regte sich in Ihm zum ersten Male
Der Trieb, es war des Geistes erster Same.
Das Band des Seins entdeckten in dem Nichtsein
Die Weisen, einsichtsvoll im Herzen strebend.


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— Wer weiss es wohl, wer kann es uns verkünden,
Woher entstund, woher sie kam, die Schöpfung,
Und ob die Götter nach ihr erst geworden?

Wer weiss es doch, von wannen sie gekommen?

Von wannen diese Schöpfung ist gekommen.

Ob sie geschaffen oder unerschaffen.

Das weiss nur der, des Auge sie bewachet

Vom höchsten Himmel — oder weiss Er's auch nicht?[3]"


Und in einem andern Liede spricht ein Dichter, welcher, dem Glauben an die alten Götter entfremdet, nach dem einen Gott sucht, „der allein zum König wurde von allem was sich regt":


„Der uns das Leben giebt, der uns die Kraft giebt,
Des Machtgebot die Götter all gehorchen,
Des Schatten die Unsterblichkeit, der Tod ist,
Wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren?

— Er dessen Grösse diese Schneegebirge,
Das Meer verkündet mit dem fernen Strome,
Des Arme sind die Himmelsregionen,

Wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren?

Er der den Himmel klar, die Erde fest schuf.
Er der die Glanzwelt, ja den Ueberhimmel,
Der durch des Aethers Räume hin das Licht mass,
Wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren?

Der über Wolkenströme selbst hinaussah.
Die Kraft gewähren und das Feuer zeugen.
Er der allein Gott über allen Göttern,
Wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren?[4]

Jede Strophe des Liedes läuft in dieses Wort aus: „wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren?" Man fühlt die

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Kluft, die zwischen solch fragendem Liede und dem zuversichtlichen Glauben der alten Zeit liegt, welche die Götter, denen sie opfern sollte, nicht suchte, sondern kannte.

Wir dürfen jenes erste Aufleuchten selbstbewussten Denkens der Inder über die Grundfragen von Welt und Leben nur mit kurzer Andeutung berühren. Zusammenhängende Folgerichtigkeit nimmt die Entwicklung der Speculation oder vielmehr das Sichherauswickeln derselben aus einer Welt von Phantasmen erst in einer Zeit an, die jünger, wahrscheinlich erheblich jünger ist, als die, welcher die erwähnten Lieder der Rigveda zugehören. Es war dies jene Zeit weit verzweigter literarischer Vielgeschäftigkeit, welche die endlose Masse der in Prosa verfassten Opferwerke und mystischen Dogmen- und Gesprächsammlungen, die als Brāhmana, Āranyaka und Upanishad benannt zu werden pflegen, hervorgebracht hat. Das Alter dieser Werke, auf die wir für diesen Theil unsrer Darstellung allein angewiesen sind, können wir nicht anders als vermuthungsweise und innerhalb unbestimmter Grenzen bezeichnen: wir werden schwerlich wesentlich fehl greifen, wenn wir die Entstehung derselben etwa von dem neunten bis zum siebenten Jahrhundert vor der christlichen Aera ansetzen. Aeusserlich auf dem Boden des alten Götterglaubens stehend hat die Gedankenentwicklung, die in dieser Zeit sich vollzog, innerlich jenen Glauben aufgehoben, und durch endlose Wüsten phantastischer Hirngespinnste hindurchdringend hat sie zuletzt einen neuen Grund religiösen Denkens geschaffen, den Glauben an das selige, unwandelbare All-Eine, das hinter der Welt des Leidens und der Vergänglichkeit ruht, und zu welchem der Erlöste von jener Welt sich abwendend zurückkehrt. Auf eben diesem Grunde aber hat sich, Jahrhunderte nachdem brahmanische Denker ihn gelegt hatten, die Lehre und die Gemeinde aufgebaut, die sich nach Buddha's Namen benannte.

Wir wenden uns dazu, jenen Process der Selbstvernichtung

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des vedischen religiösen Denkens, der als sein positives Ergebniss den Buddhismus hervorgebracht hat, Schritt für Schritt zu verfolgen.

Zu der Zeit, in welcher dieser Process anhebt, bewegt sich die ganze geistige Arbeit, die in Indien gethan wird, um einen Mittelpunkt, um das Opfer. Die Welt, die den Brahmanen umgiebt, ist der Opferplatz; die Ereignisse, von denen er vor allen andern weiss, sind die des Opferwerks. Das Opfer mit seinen Geheimnissen will er verstehen, denn Verstehen ist allbezwingende Macht. Durch diese Macht haben die Götter die Dämonen gebändigt: „mächtig", so lautet die Verheissung für den Wissenden, „wird er selbst, ohnmächtig wird der Feind und Widersacher dessen, der solches weiss."

Die Elemente, aus denen dies Wissen von dem Sinn des heiligen Opferwerks sich aufbaut, sind zwiefacher Art; die einen stammen aus dem geistigen Vermächtniss der Vergangenheit, die andern sind frisch gebildetes Gut.

Auf der einen Seite der ererbte Besitz aus der Zeit des einfachen Glaubens an Agni und Indra und Varuna und an alle die Götterschaaren, vor denen Väter und Ahnen sich betend und opfernd gebeugt hatten. Jeder Handgriff beim Opfer weist auf diese Götter hin. Wenn der Opferer zum heiligen Geräth greift, spricht er: „ich ergreife dich auf Gott Savitars Antrieb, mit den Armen der Açvin, mit Pūshans Händen." Will er die Opferspende durch Wasserbesprengung weihen, sagt er zu den Wassern: „euch hat Indra zu seinen Genossen erkoren beim Vritrasiege; ihr habt Indra zum Genossen erkoren beim Vritrasiege." Und vom frühen Morgen bis zum Abend ertönt auf der Opferstätte Spruch und Lied von Ushas, der Morgenröthe, der göttlichen Jungfrau, die mit ihren strahlenden Bossen den Menschenwohnungen Segen spendend naht, von Indra, der vom Somatrank begeistert in wildem Kampfe die Dämonenschaaren mit seinem Donnerkeil

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zerschmettert, von Agni, dem milden Gott, dem himmlischen Gast, der in den Häusern der Menschen erstrahlt und ihre Opfergabe zum Himmel emporträgt.

Aber die Welt der alten Götter, der lebendigen Götter mit Fleisch und Blut, kann für sich allein dem Denken der neuen Zeit nicht mehr genügen. Immer stärker regt sich das Bedürfniss, die Mächte, welche die weite Welt und das Menschenleben beherrschen, so wie man sie sieht, hört, fühlt, beim rechten Namen zu nennen. Da ist der Raum, „die Weltgegenden" nennt es der Inder; da ist die Zeit mit ihrer schaffenden und zerstörenden Gewalt; der Inder nennt es „das Jahr". Da sind Jahreszeiten und Monde, Tag und Nacht, Erde und Luft, die Sonne: „sie die da glüht", und der Wind: „er der da weht". Da sind die Athemkräfte, die den menschlichen Leib durchziehen, da ist Gedanke und Wort: „sie die da eins mit einander und doch verschieden sind." Das Weben und Walten dieser Mächte regiert den Weltlauf, bringt dem Menschen Glück und Leid.

Und nun sucht man zu den Fragen, welche das Opfer und die Welt der alten Opfergottheiten dem Denken aufgiebt, die Antwort in der neuen Sprache der eignen Zeit. Es bildet sich die Atmosphäre, in der Mysterien und Symbole gedeihen. In all dem was auf dem Opferplatz den Brahmanen umgiebt, und vor Allem in dem heiligen Werk, das er selbst dort thut, sollen nicht mehr allein Gott Agni und Gott Savitar, sondern all die verborgenen Kräfte, die im Weltall auf- und niedersteigen, gegenwärtig sein: „denn des Opfers Ordnung", heisst es, „befolgt dies All". Was beim Opfer dem Auge erscheint, ist nicht nur, was es ist oder zu sein scheint, sondern es ist noch ein Zweites, das es bedeutet. Wort und Werk haben doppelten Sinn, den offenbaren und den verborgenen, und wenn das menschliche Wissen dem Offenbaren nachtrachtet, so lieben die Götter das Verborgene und hassen was offenbar ist.

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Die Zahlen haben geheime Kraft, Worte und Silben haben geheime Kraft, die Rhythmen haben geheime Kraft. Zwischen phantastischen Mächten bewegt sich ein phantastisches Geschehen, das an keine Gesetze der Vorstellbarkeit gebunden ist. Die Weihe (dîkshā) entlauft den Göttern; sie forschen ihr mit den Monaten nach; sie finden sie weder mit Sommer noch Winter, aber sie finden sie mit den Monaten der kühlen Jahreszeit (çiçira); deshalb soll man sich weihen, wenn die Monate der kühlen Jahreszeit gekommen sind. Die Metra fliegen zum Himmel auf den Somatrank zu holen; die Stimme redet in den Jahreszeiten stehend.

Das Opfer ist ein Bild des Jahres, oder kurzweg: das Opfer ist das Jahr; die Opferpriester sind die Jahreszeiten, die Opferspenden die Monate. Wir würden etwas Fremdes in diese Gedankenspiele hineintragen, wenn wir eine scharfe Grenze zwischen Sein und Bedeuten, zwischen Wesenheit und Abbild in ihnen zu entdecken versuchten; das Eine fliesst in das Andre über. „Prajāpati (der Schöpfer) schuf zu seinem Abbild das was das Opfer ist. Darum sagt man; das Opfer ist Prājäpati. Denn zu seinem Abbild schuf er es."

Morgen für Morgen und Abend für Abend werden im heiligen Feuer zwei Spenden dargebracht; die eine ist das Gewordene, die andere das Künftige, die eine ist das Heute, die andere das Morgen. Das Heute ist gewiss, darum wird die erste der beiden Spenden mit einem Opferspruch dargebracht, denn der Spruch ist Gewissheit. Das Morgen ist ungewiss, darum wird die zweite Spende schweigend geopfert, denn das Schweigen, so sagt der Inder, ist das Ungewisse.

In der wirren Nebelwelt dieser Mysterien lauern, dem Auge des Nichtwissenden verhüllt, Feinde über Feinde den Geschicken der Menschenkinder auf; Tage und Nächte rollen dahin und reissen den Segen, den des Menschen Gutthat ihm erworben, mit sich fort; über dem Reich der wechselnden Tage und Nächte thront „sie die da glüht" , die Sonne; und „sie

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die da glüht ist der Tod. Weil sie der Tod ist, deshalb sterben die Geschöpfe, die unter ihr wohnen; die jenseits von ihr wohnen, sind die Götter; darum sind die Götter unsterblich. Ihre Strahlen sind Zügel, damit sind alle diese Geschöpfe in das Leben gespannt. Bei wem sie will, dessen Leben zieht sie an sich und steigt empor; der stirbt." Aber der Weise kennt Spruch und Spende, die ihn emporheben über den Bereich der rollenden Tagnächte und über die Welt, in der die Sonne mit ihrer Gluth Gewalt über Leben und Tod hat. Ihm entführen Tag und Nacht nicht den Segen seiner Werke; er macht sein Leben von dem Tode los: „das ist die Erlösung vom Tode, die im Agnihotra-Opfer geschieht."

Die Welt verdüstert sich so für die Phantasie dieses Geschlechts zum unheimlichen Schauplatz für das Treiben massloser und lebensloser Gebilde. Unermüdlich werden Symbole über Symbole gehäuft; wohin das Denken sich wendet erstehen ihm neue Götter und neue Zaubermächte, eine so gestaltlos wie die andre. Wohl ragt über allen hervor der Gott, der vor allen Göttern und allen Wesen war, der Weltenschöpfer Prajāpati, der im Anfang allein war und begehrte „möge ich zur Vielheit werden, möge ich Geschöpfe zeugen"; und in der heissen Arbeit mühevollen Schaffens entliess er aus sich die Welten sammt Göttern und Menschen, sammt Raum und Zeit, sammt Denken und Wort. Aber auch der Gedanke an Prajāpati, den Herrn der Wesen, entlockt der Brust des Gläubigen keinen volleren Ton; das Bild des Schöpfers verschwimmt mit in dem grossen, grauen, gestaltlosen Nebel, der die Welt der Geschöpfe umhüllt.

Wohin wir immer sehen in der ungeheuren Masse von Denkmälern, die das seltsame Treiben jener Zeit uns hinterlassen hat, nirgends enthüllt sich ein Wirken des forschenden Geistes, das aus der Tiefe kommt, nirgends der Kampf des muthigen Gedankens, bei dem Grosses eingesetzt und um Grosses gerungen wird. Die Aberweisheit, die Alles weiss

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und Alles erklärt, thront in sich selbst befriedigt inmitten ihrer tollen Gebilde, und nicht einmal ein Grauen wandelt sie an über das spukhafte Treiben, das sie um sich heraufbeschworen; wovor sollte auch den Wissenden grauen, der das Wort kennt, dem Geister und Gespenster sich beugen? — Unter dem Bann verworrener Gedanken wächst eine Generation nach der andern heran, und eine nach der andern häuft unermüdlich ihr Theil über das Theil der hingegangenen Geschlechter und geht dann auch hin.

Unser Auge muss sich gewöhnen, bis es in dem trüben Licht der Schattenwelt, in welcher die Phantasiegebilde jener Zeiten formlos sich drängend durch einander wogen, sehen gelernt hat. Aber dann enthüllt sich auch hier eine Art von geistigem Naturgesetz. Lassen wir an uns vorübergehen zuerst was in den ältesten Denkmälern jener Speculationen uns aufbewahrt ist, und dann der Reihe nach das Werk immer jüngerer Generationen, so ändert sich, wie wir Schicht für Schicht weiter hinabsteigen, das Bild, das wir sehen, und die Veränderungen haben Zusammenhang und Bedeutung.

Gewichtigere unter den Gestaltungen jener Phantasie tauchen immer entschiedener aus dem Gewirr hervor, sie drängen sich in den Vordergrund, unterwerfen sich die schwachen, treten beherrschend in den Mittelpunkt ganzer Kreise. Die Potenzen und Symbole, auf deren Wirken der indische Denker den Weltlauf ruhen sieht, sind was sie sind nicht in und durch sich selbst allein, sondern je weiter das Denken vordringt, um so bestimmter erweisen sie sich als getragen von grossen Grundmächten, von denen her allen zumal ihr Leben einströmt, oder in die sie, wenn das Ziel ihres Daseins erreicht ist, sich auflösen. Von der Oberfläche, wo alles Erscheinende sich als verschieden vom andern darstellt, strebt die sinnende Phantasie in die Tiefen des Innern, in denen das einigende Band aller Verschiedenheit liegt. Man fragt nach dem Lebenssaft in den Dingen und nach dem

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Lebenssaft des Lebenssaftes[5], nach dem Wesenhaften, Wahren der Erscheinung, und nach der Wahrheit des Wahren. Dies Suchen nach der Substanz ist nothwendig zugleich ein Suchen nach der Einheit in allem Verschiedenen. Und so greift das Denken bald ein Gebiet von Erscheinungen für sich allein zu seiner Einheit zusammen, erkennt es als geeinigt in einer gemeinsamen Wurzel, bald überfliegt der Gedanke alle Schranken und spricht es aus: das und jenes ist das All. Und dann lässt er das Ergriffene wieder fahren; das Eine, das eben noch das All sein sollte, verliert sich wieder in dem fluthenden Gedränge aller der Potenzen, die in Mensch und Welt, in Kaum und Zeit, in Wort und Spruch walten.

In keinem der vedischen Texte können wir so Schritt für Schritt der Genesis des Gedankens der Einheit in Allem was da ist, von dem ersten leisen Sichankündigen dieses Gedankens

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bis zur selbstgewissen Klarheit nachgehen, wie in dem Werk, das nach den Hymnen des Rigveda als das bedeutungsvollste der ganzen vedischen Literatur angesehen zu werden verdient, dem „Brāhmana der hundert Pfade".

Das „Brāhmana der hundert Pfade" zeigt uns zuvörderst, wie aus jenen wirren Massen von Vorstellungen vor allen andern die Vorstellung des Ich hervordrängt und über jene herrschen will, in der Sprache der Inder: der Ātman, das Subjekt, in welchem die Lebenskräfte und Lebensfunctionen des Menschen Halt und Wurzel finden. Den menschlichen Leib durchziehen und beleben die Athemkräfte; der Herr über alle Athemkräfte ist der Ātman; er ist die centrale Kraft, die im Grunde des persönlichen Lebens wirkt und schafft, die „unbenannte Athemkraft", aus der die andern „benannten" Athemkräfte ihr Dasein schöpfen. „Zehnfacher Odem fürwahr", so sagt das Brāhmana, „weilt im Menschen; derĀtman ist der elfte, auf ihn gründen sich die Athemkräfte". „Aus dem Ātman heraus kommen alle diese Glieder (des menschlichen Leibes) zum Dasein". „Von dem, was da wird, wird zuerst der Ātman".

Für das Reich menschlicher Persönlichkeit mit ihren Gliedern und ihren Kräften ist hier der Mittelpunkt gefunden, die Potenz, die das eigentlich wesenhaft wirkende in allen Lebensäusserungen ist. Und was der indische Denker im eignen Ich erkannt hat, überträgt sich ihm mit unwiderstehlicher Nothwendigkeit auf die grosse Welt da draussen; für ihn spielen Mikrokosmus und Makrokosmus unablässig in einander und weisen von hüben und drüben gleiche Gestaltungen bedeutungsvoll auf einander hin. Wie das menschliche Auge dem kosmischen Auge, der Sonne, gleicht, wie den menschlichen Athemkräften ähnlich im All die Götter als die Athemkräfte des Universums walten, so tritt auch der Ātman, die centrale Substanz des Ich, hinaus über den Bereich der bloss menschlichen Person und wird zur schaffenden Gewalt, die den grossen Leib des All bewegt. Er der Herr der Athemkräfte,

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der Erstling, aus dem die Glieder des Leibes geworden sind, ist zugleich der Herr der Götter, der Schöpfer der Wesen, der die Welten aus seinem Ich hat hervorgehen lassen; der Ātman ist Prajāpati. Ja es fällt gar das Wort „der Ātman ist das All". Für jetzt ist dies Wort noch ein Spiel der Phantasie unter tausend andern, nicht der in seiner Tiefe erfasste Gedanke, dass die unendliche Welt und das geringe Ich, das sie anschaut, in Wahrheit eins sind. Ein Gewirr andrer Gestalten drängt sich vor und lenkt von dem Ātman, der das All ist, den Blick ab. Aber das einmal ausgesprochene Wort, wenn es auch verhallt ist, wirkt im Verborgenen weiter und wartet auf die Zeit, wo der, der es einst ausgesprochen, daran zurückdenken wird.

Unterdessen drängt aus einer andern Sphäre von Vorstellungen eine zweite Potenz nicht minder machtvoll darauf hin, als kosmische Grossmacht anerkannt zu werden. Das heilige Wort, der stete Begleiter des Opferwerks, wird in seinen drei Gestalten, im Hymnus, im Spruch und im Liede von dem „dreifachen Wissen" der Vedenkundigen bewahrt. Das geistige Fluidum, welches das heilige Wort und seinen Träger, den Brahmanen, über das profane Wort und die profane Welt erhebt, ist das Brahma[6]: es ist die Potenz, die in Hymnus, Spruch und Lied als Kraft der Heiligkeit inne wohnt; „des Wortes Wahrheit ist das Brahma".

Die Welt des Wortes ist dem Inder ein andrer Mikrokosmus; in den Rhythmen des heiligen Liedes klingen ihm die Rhythmen des All wieder[7]. So muss jene Substanz, aus

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welcher das heilige Wort sein Leben schöpft, zugleich eine Kraft sein, die im Grunde aller Dinge waltet. Das phantastische Grübeln über die Räthsel des im Vedenwort ruhenden Brahma und der priesterliche Stolz der menschlichen Träger des Brahma wirken zusammen, um diese Wesenheit zu einer herrschenden in der Gedankenwelt des Inders zu erheben. „Er macht", heisst es von dem Priester, der eine bestimmte Opferhandlung vollzieht, „das Brahma zum Haupt dieses All;


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deshalb ist der Brahmane das Haupt dieses All". Es gab ein altes Vedenlied, das anhebt: „Auf die Wahrheit ist die Erde gegründet, auf die Sonne ist der Himmel gegründet. Durch das Recht bestehen die Ādityas (die höchsten Götter, die Söhne der Aditi, der Unendlichkeit)". Jetzt heisst es: „das Brahma ist das Wort, die Wahrheit im Worte ist das Brahma". „Das Brahma ist das Recht". „Durch das Brahma werden Himmel und Erde zusammengehalten."

Es ist ein Schauspiel bezeichnend wie kein zweites für die Eigenart indischen Denkens, das allmähliche, stete Hinaufdrängen einer Idee, die nicht dem Anschauen der sichtbaren Natur, sondern dem Sinnen über die Heiligkeit des geweihten Vedenworts entstammt, — das Hinaufdrängen dieser Idee und dieses Wortes, bis mit ihm das Höchste und Tiefste benannt wird, was der Geist fassen kann.

Nicht mit einem Schlage ist dies Ziel erreicht worden. Wenn gesagt wird: „das Brahma ist das edelste unter den Göttern", so heisst es daneben doch auch wieder: „Indra und Agni sind die edelsten unter den Göttern". Wohl ist die Kraft geweihter Wahrheit, die der Inder das Brahma nennt, unter die vornehmsten Potenzen des Weltalls eingetreten sie ist als die Macht erkannt, die Himmel und Erde zusammenhält, aber sie ist noch nicht das Erste und Letzte, das Ein und Alle. Der junge Emporkömmling unter den Ideen ist noch nicht mächtig genug, um den alten Schöpfer und Herrn der Welten, Prajāpati, von seinem Throne zu stossen, aber er ist diesem Thron der nächste geworden. „Der Geist, Prajāpati", so sagt das Brāhmana der hundert Pfade, „begehrte: möge ich eine Mehrheit sein, möge ich mich fortpflanzen. Er mühte sich ab, er schuf sich heisse Qual. Als er sich abgemüht, als er heisse Qual sich geschaffen hatte, erschuf er zuerst das Brahma, das dreifache Wissen; das wurde ihm zum Halt, deshalb sagt man: ,das Brahma ist der Halt dieses All´ Deshalb gewinnt Halt, wer (das heilige Wort) gelernt

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hat, denn was das Brahma ist, das ist Halt". „Das Brahma", heisst es jetzt, „ist das Erstgeborne in diesem All". Noch ist es nicht das ewig Ungeborne, aus dem heraus Alles geboren ist, was da ist, aber es ist unter den Kindern des Weltenvaters Prajāpati das Erstgeborne.

Es hat etwas von der ruhig unaufhaltsamen Nothwendigkeit eines Naturprocesses, dieses Vordringen oder dieses Anschwellen jener beiden Vorstellungen, des Ātman und des Brahma, von denen jede erst in ihrem Kreise den Herrscherplatz gewinnt und dann von dem vorwärtsdringenden Gedanken in Weltweiten hinausgetragen wird und auch da eine immer wachsende Macht bethätigt. So verschieden die Bilder sind, die dem Inder von Haus aus mit Beiden sich verknüpften, so konnte es nicht anders geschehen, als dass im Lauf einer solchen Entwicklung der Gedanke des Ātman sich dem des Brahma, und der des Brahma sich dem des Ātman immer mehr anähnlichte. „Das Erstgeborne in diesem All ist das Brahma", hatte es gehiessen. Und von dem Ātman hiess es wiederum: „von dem was da wird, wird zuerst der Ātman". Das Brahma wird das Antlitz des All genannt, und „der Erstling dieses All" ist der Ātman. Das Brahma entfaltet sich zu Hymnus, Spruch und Lied; „aus Hymnus, Spruch und Lied", heisst es wieder, „besteht des Ātman Natur." Der bestimmte, selbstverständlich gegebene und begrenzte Inhalt, den einst das einfache Bewusstsein in der Vorstellung des Ātman wie in der des Brahma gedacht hatte, dehnt sich zu unbestimmten Weiten aus, und damit schwindet zugleich die Unterschiedenheit beider Vorstellungen immer mehr und mehr. Es fehlt der nach Einheit in den Dingen dürstenden Phantasie des Inders die Kraft, die Bilder des Einzelnen in ihrer Begrenztheit und Besonderheit aus einander zu halten.

Und endlich fallen die letzten Schranken. Was vorher auf Momente aufgetaucht und dann wieder von dem Strom wirr wogender Phantasiegebilde überfluthet war, das ergreift

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der Geist von Neuem, um es nicht wieder zu verlieren: den Gedanken des grossen ewigen Einen, indem alle Verschiedenheit verschwindet, aus dem Geist und Welt sind und in dem sie leben und weben. Es heisst der Ātman, es heist das Brahma; Ātman und Brahma strömen zusammen zu dem Einen, bei dem der suchende Geist, müde von dem Durchirren einer Welt düster gestaltloser Phantasmen, seine Rast findet. „Das da war", heisst es, „das da sein wird, preise ich, das grosse Brahma, das Eine, Unvergängliche, das weite Brahma, das Eine Unvergängliche. „Dem Ātman bringe man seine Verehrung, dem geistigen, dessen Leib der Odem, dessen Gestalt Licht, dessen Selbst der Aether ist, der sich Gestalten bereitet, welche er will, dem gedankenschnellen, voll rechten Wollens, voll rechten Haltens, allen Duftes, allen Saftes Ursprung, der nach allen Weltgegenden dringt, der durch dies All reicht, wortlos, achtlos. So klein wie ein Korn Reis, oder Gerste, oder Hirse, oder ein Hirsenkern, also weilt dieser Geist in dem Ich ; golden, wie ein Licht ohne Rauch, so ist er; weiter denn der Himmel, weiter denn der Aether, weiter denn diese Erde, weiter denn alle Wesen; er ist das Ich des Odems, er ist mein Ich (Ātman); mit diesem Ātman werde ich, wenn ich von hinnen scheide, mich vereinigen. Wer es also meint, wahrlich, da ist kein Zweifel. So sprach Çāndilya."

Ein neuer Mittelpunkt alles Denkens ist gefunden, ein neuer Gott, grösser als alle alten Götter, denn er ist das All, näher dem Suchen des Menschenherzens, denn er ist das eigne Ich. Den Namen des Denkers, der zuerst die neue Lehre verkündigt hat, kennen wir nicht[8]; die Kreise, in denen sie

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Wiederhall fand, können für jetzt nur eng gewesen sein. Aber es waren die der Erleuchtetsten des indischen Volkes, und wir sehen, wie für diese jetzt alle andern Gedanken verblassen, wie ihnen alle andern Fragen in die eine münden, in die Frage nach dem Ātman, dem Grunde der Dinge. Dem Ātman gelten die Abschiedsworte des Weisen, der seine Heimath verlässt und zum letzten Mal mit seinem Weibe redet. Um den Ātman bewegen sich die Redeturniere der Brahmanen, die bei den reichen Opferfeiem der Könige an den Höfen sich versammeln. Manch lebendiges Bild ist aus jenen Zeiten auf uns gekommen, wie dort die streitlustigen Brahmanen und nicht minder die streitlustigen Brahmaninnen in Kampfgesprächen über den Ātman ihre Kräfte gemessen haben. Die weise Gārgî spricht zu Yājnavalkya: „Wie ein Heldensohn von Kāçî oder Videha seinen abgespannten Bogen anspannt und zwei verderbliche Pfeile in der Hand sich aufmacht, so habe ich mich gegen dich mit zwei Fragen aufgemacht, die löse mir." Und ein andrer der Gegner, welche die Legende des „Brāhmana der hundert Pfade" in diesem grossen Redegefecht gegen Yājnavalkya stehen und von ihm besiegt werden lädsst, spricht zu ihm: „Wenn man sagt: ,das ist ein Rind, das ist ein Ross^, so ist das damit aufgezeigt. Das offenbare, unverhüllte Brahma, den Ātman, der in Allem wohnt, den deute du mir; der Ātman, der in Allem wohnt, was ist das, o Yājnavalkya?" So setzen die Kämpfer einander zu, und die Fürsten hören dem Streit zu, um zu sehen, wer der tiefste Kenner des Brahma ist; und wer in dem Kampfe siegt, bekommt die Brahmanenkühe mit den goldbehängten Hörnern.


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— Und neben diesen farbenreichen Hofscenen, wo aus allen Landen berühmte Meister, die vom Ātman wissen, um Ruhm, Fürstengunst und Gewinn mit einander ringen, zeigt derselbe Text uns ein zweites sehr andres Bild: „Ihn den Ātman erkennend lassen Brahmanen davon ab, nach Nachkommen zu begehren, und nach Habe zu begehren, und nach weltlichem Heil zu begehren, und als Bettler ziehen sie einher." Die älteste Spur indischen Mönchsthums; von jenen Brahmanen, die den Ātman erkennend auf alles Irdische verzichten und zu Bettlern werden, führt die geschichtliche Entwicklung in gerader Linie zu Buddha hin, der die Seinen und Hab' und Gut verlässt, um im gelben Mönchskleide heimathlos wandernd der Erlösung nachzutrachten. Das Auftreten der Lehre von dem ewigen Einen und das Auftauchen des Mönchswesens in Indien fällt zusammen; es sind zwei Seiten desselben bedeutungsvollen Vorgangs.


Das Absolute und die Sinnenwelt.

Wir müssen die Bestimmungen, welche das indische Denken der Idee des Ātman, des Brahma, an sich und in ihrem Verhältniss zur Sinnen weit beigelegt hat, näher entwickeln, denn mit und in diesen Gedanken bereiten sich die Stimmungen, die der buddhistischen Welt ihren Character gegeben haben, leise und dann immer entschiedener vor.

Ein System sind die Lehren der Brahmanen vom Ātman nicht: der Gedanke hat wohl Muth und Kraft zu grossem Wagen; aber wie konnte er im Drange dieses Schaffens zugleich die kühle Ruhe sich bewahren, das Geschaffene zu ordnen und mit sich selbst in Einklang zu setzen? Während das Denken immer neue Wege sucht, sich immer neue Gleichnisse bildet, die ihm das Räthsel des Ātman deuten sollen, während, gleichviel ob man nach der fernen Vergangenheit

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des Weltenanfangs oder ob man nach der Zukunft des Menschengeistes im Jenseits fragt, das erste und letzte Wort immer der Ātman bleibt, wen wollte es da verwundem, dass in den aufgehäuften Massen dieser Gedanken oft das Verschiedenste unausgeglichen, vielleicht ohne dass die innern Widersprüche auch nur bemerkt wurden, neben einander bestehen blieb?

Ich entnehme zunächst einem der wichtigsten Denkmäler, die uns aus jenen Zeiten geblieben sind, den Schlussabschnitten des „Brāhmana der hundert Pfade", ein Stück, das den ersten, tastenden Versuchen der Speculation über den Ātman anzugehören scheint. Wenn hier auch das Wesen, welches die Welten aus sich heraus geschaffen, den Namen trägt, den die neue Zeit ihm gegeben: Ātman, so möchte man doch fast versucht sein zu meinen, dass die Gedanken selbst mit ihrem alterthümlich unreifen Gepräge noch dem vorangegangenen Zeitalter angehören.

„Der Ātman", heisst es, „war im Anfang da, geistartig; er schaute um sich und sah nichts andres als sich selbst; er sprach das erste Wort: „ich bin"; daher kommt der Name „ich"; deshalb sagt auch jetzt noch, wer von einem Andern angeprochen wird, zuerst: „ich bin es", und dann nennt er den andern Namen, den er führt ... Er fürchtete sich; deshalb fürchtet sich wer allein ist. Da gedachte er: „da nichts andres ist als ich, wovor fürchte ich mich denn?" Da verschwand seine Furcht. Wovor hätte er sich auch fürchten sollen? Vor einem Zweiten empfindet man Furcht. Aber er fühlte sich auch nicht zufrieden; deshalb fühlt sich nicht zufrieden wer allein ist. Er begehrte nach einem Zweiten. Er umfasste in sich die Wesenheit von Weib und Mann die sich umschlungen halten. Er spaltete diese seine Wesenheit in zwei Theile: daraus wurden Gatte und Gattin; deshalb sind wir jeder gleichsam ein Halbtheil, sagt Yājnavalkya; deshalb wird diese Lücke (der männlichen Natur) durch das Weib ausgefüllt. Er vereinte sich mit ihr; so wurden Menschen erzeugt.“

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Es wird dann weiter erzählt, wie die beiden Hältken des schöpferischen Ātman als Gatte und Gattin nach der menschlichen Gestalt alle Thiergestalten der Reihe nach annehmen und die Thierwelt erzeugen, wie dann der Ātman Feuer und Feuchtigkeit, oder die Gottheiten Agni und Soma aus sich entlässt. „Dies ist das Sichüberschaffen des Brahma. Weil es höhere Götter als es selbst ist geschaffen hat, und weil es, ein Sterblicher, Unsterbliche geschaffen hat, deshalb ist es ein Sichüberschaffen. In diesem seinem Ueberschaffen findet seine Stätte, wer solches weiss."

Wie der vorstehende Text äusserlich jenen alten Kosmogonien gleicht, welche anheben: „Im Anfang war Prajāpati" — , so scheidet sich auch innerlich diese naive Auffassung des höchsten Wesens — oder des Urwesens, denn das höchste ist es ja nicht — kaum von dem, was ein vorangegangenes Zeitalter in dem Weltenschöpfer und Weltenherrn Prajāpati gedacht hatte. Der Ātman gleicht hier mehr einem gewaltigen Urmenschen als einem Gott, geschweige denn dem grossen Einen Seienden, in dem alles andre Sein lebt und webt. Dieser Ātman fachtet sich in seiner Einsamkeit, wie ein Mensch; er empfindet Sehnsucht, wie ein Mensch; er zeugt und gebiert wie Menschen. Wohl sind Götter unter seinen Geschöpfen, aber diese Geschöpfe sind höher als der Schöpfer; sich selbst überschaffend entlässt er, ein Sterblicher, unsterbliche Gottheiten aus sich.

Neben diese Kosmogonie stellen wir andre Bruchstücke desselben Textes, die der Zeit nach schwerlich viel jünger sind, als das eben mitgetheilte.

Yājnavalkya, der berühmte Brahmane, will von seinem Hause ziehen, um als Bettler zu wandern. Seine Güter theilt er zwischen seinen beiden Frauen. Da spricht seine Gattin Maitreyî zu dem Scheidenden: „Wenn meine Habe die ganze Erde erfüllte, würde ich dadurch unsterblich sein?" Er antwortet: „dein Leben würde sein, wie das Leben der Reichen

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ist; auf Unsterblichkeit aber bringt Habe keine Hoffnung." Sie sagt: „Wenn ich nicht unsterblich sein kann, was soll mir das Alles? Was du weisst, Erhabener, das rede zu mir." Und er spricht zu ihr vom Ātman:

„Wie wenn die Trommel gerührt wird, man nicht ihren Schall draussen fest halten kann, sondern wenn man die Trommel hält oder den Trommelschläger, auch der Schall festgehalten ist; — wie wenn die Laute geschlagen wird, man nicht ihren Schall draussen festhalten kann, sondern wenn man die Laute hält oder den Lautenschläger, auch der Schall festgehalten ist; — wie wenn die Trompete geblasen wird, man nicht ihren Schall draussen festhalten kann, sondern wenn man die Trompete hält oder den Bläser, auch der Schall festgehalten ist; — wie von einem Feuer, in das man nasses Holz gelegt, Rauchwolken hierhin und dorthin gehen, so wahrlich ist der Aushauch dieses grossen Wesens; er ist Rigveda, er ist Yajurveda, er ist Sāmaveda, Atharva- und Angiraslieder, Mähr und Sage, Wissenschaft und heilige Lehre, Verse, Regeln, er ist die Erklärung und die andre Erklärung; dies Alles ist sein Aushauch. — Wie ein Salzklumpen, den man in's Wasser wirft, im Wasser sich auflöst und man ihn nicht herausschöpfen kann, wo man aber von dem Wasser schöpft, es salzig ist, so wahrlich auch jenes grosse Wesen, das unendliche, unbegränzte, des Erkennens Fülle: aus diesen (irdischen) Wesen hervor tritt es in die Erscheinung und mit ihnen verschwindet es. Kein Bewusstsein giebt es nach dem Tode; höre, also rede ich zu dir." So sprach Yājnavalkya. Da sagte Maitreyî: „Irre macht mich, Erhabener, dieses dein Wort: es giebt kein Bewusstsein nach dem Tode." Da sprach Yājnavalkya: „Nicht Irres verkündige ich dir; wohl lässt es sich verstehen. Wo eine Zweiheit von Wesen ist, da kann Einer den Andern sehen, da kann Einer den Andern riechen, da kann Einer zum Andern reden, da kann Einer den Andern hören, da kann Einer den Andern vorstellen, da kann Einer

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den Andern erkennen. Wo aber einem Alles zu seinem Ich (zum Ātman) geworden ist, durch wen soll er und wen soll er dann sehen, durch wen und wen soll er dann riechen, durch wen und zu wem soll er dann reden, durch wen und wen soll er dann hören, vorstellen, erkennen? Durch den er dies Alles erkennt, durch wen soll er den erkennen? Den Erkenner, durch wen soll er den erkennen?"

Dies die Abschiedsreden des Yājnavalkya von seiner Gattin. Zwischen ihnen und jenen kosmogonischen Speculationen, die wir vorher mitgetheilt haben, liegt eine Entwicklung des Denkens, die nicht viel weniger ist als eine Revolution. Dort der Ātman, der sich fürchtet, der mit sich selbst redet, der Sehnsucht empfindet, der mit seinen Geschöpfen verglichen werden kann, ob er ob sie die höheren sind, und der hinter den höchsten seiner Geschöpfe zurückstehen muss. Hier der Ātman, der von allen Schranken persönlichen, menschengleichen Wesens frei ist. Lässt sich, fragt man jetzt, Wahrnehmen, Denken, Bewusstsein im Allwesen setzen? Nein, denn Alles Wahrnehmen ruht auf einer Zweiheit, auf dem Gegensatz von Subjekt und Objekt. In der Sinnenwelt mit ihrer unbegrenzten Vielheit ist allüberall Raum für diesen Gegensatz, aber im absoluten Wesen hört jede Vielheit, und darum alle Wahrnehmung und alles Bewusstsein, das eine Vielheit zu seiner Voraussetzung hat, nothwendig auf. Der Ātman ist nicht blind und taub — er ist ja der eine grosse Seher und Hörer, der alles Sehen und Hören in der Sinnenwelt wirkt — , aber in seinem eignen Reiche sieht und hört er nicht, denn in der Einheit, die dort herrscht, ist der Gegensatz von Sehendem und Gesehenem, von Hörendem und Gehörtem aufgehoben. Gleich dem letzten höchsten Einen der Neuplatoniker, das, um nicht der Zweiheit zu verfallen, weder als Intellekt noch als intelligibel gedacht werdenι darf, sondern die Vernunft überragt (ιπεδβεβηχός ιην φνόιν), ist auch der Ātman, wie jene Abschiedsreden des Yājnavalkya ihn verstehen, ein

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Ueberpersönliches, die Wurzel aller Persönlichkeit, die einige Fülle aller der Kräfte, in denen persönliches Leben sich vollendet: aber zur Verwirklichung gelangen diese Kräfte nur in der Erscheinungswelt, nicht in dem Reich des ewig Einen und ewig Unwandelbaren selbst.

Das Eine Seiende ist nicht gross noch klein, nicht lang noch kurz, nicht verborgen noch offenbar, nicht innen noch aussen; „das Nein, Nein" ist sein Name, weil es durch keine Bestimmungen zu erfassen ist, und doch ist wiederum sein Abbild die Sylbe der Bejahung Om[9]; es ist das ens realissimum.

Der indischen Speculation blieb die Aufgabe, von diesem letzten Grunde alles Seins den Rückweg zu dem empirischen Dasein zu finden, das Verhältniss zwischen dem Ātman und der Sinnenwelt zu bestimmen. Ist die Sinnenwelt etwas eignes neben dem Ātman, so dass ausser dem in ihr, was der Ätman ist oder wirkt, noch etwas wie auch immer zu Denkendes übrig bliebe, das nicht Ātman ist? Oder löst die Welt der Vielheit sich ohne Rest in den Ātman auf?

In irgend einer Weise, bestimmter oder weniger bestimmt, zu dieser Frage Stellung nehmen musste man, sobald man von dem Ātman und der irdischen Welt überhaupt reden wollte; doch ist die Frage von den indischen Denkern dieser alten Zeit mehr berührt, als direct und in ihrer ganzen Schärfe aufgeworfen worden. Ihnen ist nur dies vor Allem wichtig, dass als einige Quelle des Lebens in dem was lebt, und als Band, in dem alle Vielheit ihre Einheit findet, der Ātman erkannt werde; wo es aber gilt zur Anschauung zu bringen, wie das Problem des Neben- oder Ineinanderseins jener Vielheit und dieser Einheit seine Lösung findet, reden sie mehr in der schwankenden Sprache von Gleichnissen und Symbolen,

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als in Ausdrücken, welche die scharf begriffliche Bestimmung ihres Werthes vertrügen.

Der Ātman, sagen sie, durchdringt die Dinge, wie das Salz, das sich im Wasser aufgelöst hat, das Wasser durchdringt; aus dem Ātman stammen die Dinge wie die Funken aus dem Feuer hervorsprühen, wie die Fäden aus der Spinne, wie der Ton aus der Laute oder aus der Trommel hervorgeht. „Wie in der Radnabe und Radfelge alle Speichen zusammengefügt sind, also sind in diesem Ātman alle Athemkräfte, alle Welten, alle Götter, alle Wesen, alle diese Ichheiten zusammengefügt."

Die Gefahr ist keine geringe, in dem Deuten solcher Gleichnisse die feine Linie zwischen dem, was in ihnen liegen soll, und dem, was darüber hinaus unbeabsichtigt und zufällig in ihnen liegt, nicht inne zu halten; doch wer diese Gefahr ganz vermeiden wollte, müsste eben darauf verzichten, den Schleier, welcher über der in Bildern und Symbolen verhüllten Gedankenwelt der Lider liegt, zu heben. Und so werden wir denn aus jenen Gleichnissen, durch welche man das lebendige Walten des Ātman in der Welt seiner Āorstellung nahe zu bringen suchte, zugleich doch ein ob auch vielleicht nur halb bewusstes Festhalten an der Existenz eines vom Ātman verschiedenen Elementes in den Dingen herauslesen dürfen. Der Ātman, sagt der Inder, durchdringt die Welt, wie das Salz das Wasser, in dem es sich aufgelöst hat: aber, dürfen wir wohl ergänzend hinzufügen, obgleich kein Tropfen des Salzwassers ohne Salz ist, bleibt darum doch das Wasser als etwas vom Salz verschiedenes bestehen. Die Speichen des Rades sind alle in die Nabe und in die Felge eingefügt und finden in ihnen ihren Halt, und doch ist die Speiche etwas, das die Nabe und die Felge nicht ist. Und so werden wir schliessen dürfen: der Ātman ist dem Inder zwar das allein Thätige, Licht spendende, das allein Bedeutsame in den Dingen, aber es bleibt in den Dingen ein Rest über, der er nicht ist. „Der


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in der Erde weilt," heisst es vom Ātman, „in der Erde darinnen seiend, den die Erde nicht weiss, dessen Leib die Erde ist, der die Erde innen lenkt, das ist der Ātman, der innere Lenker, der Unsterbliche. Der im Wasser weilt, der im Feuer weilt, der im Aether weilt, der im Winde weilt, der in der Sonne, in Mond und Sternen weilt, der im Raume weilt, der in Blitz und Donner weilt, der in allen Welten weilt, der in allen Veden, in allen Opfern, in allen Wesen weilt, in allen Wesen darinnen seiend, den die Wesen alle nicht wissen, dessen Leib alle Wesen sind, der alle Wesen innen lenkt, das ist der Ātman, der innere Lenker, der Unsterbliche." Und an einer andern Stelle desselben Dialogs, dem diese Sätze entnommen sind: „durch dieses unwandelbaren Wesens Gebot gehalten stehen Himmel und Erde fest; durch dieses unwandelbaren Wesens Gebot gehalten stehen Sonne und Mond fest, stehen Tage und Nächte, Halbmonate, Monate, Jahreszeiten und Jahre fest; auf dieses unwandelbaren Wesens Gebot fliessen die einen Flüsse von den Schneebergen gen Osten, die andern gen Westen und nach jeglicher Himmelsgegend; durch dieses unwandelbaren Wesens Gebot preisen die Menschen den Geber, die Götter den Opferer, ist den Manen die Löffelspende zum Antheil gesetzt."

So verschieden das Gewand ist, in welches sich der Gedanke in allen diesen Aeusserungen kleidet, er selbst ist doch immer der gleiche, dass der Ātman wohl der alleinige Regierer ist in allem was lebt und webt, dass aber neben dem Regierer, von seiner Gewalt durchdrungen und doch von ihm verschieden, die Welt der regierten Wesen steht.

Wenn hier und da allerdings die Sprache eine freiere scheint, und Aeusserungen sich finden, die darauf hindeuten, dass der Ātman Alles ist, was da lebt und webt, so liegt doch, meine ich, der Widerspruch mehr im Ausdruck als in dem Gedanken: sollte es der kühnen Sprache, in welche diese muthigen Wagnisse des jungen Denkens sich kleiden, nicht

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frei stehen, zu sagen, dass der Ātman das All ist, auch wo der Gedanke, drückte man ihn scharf aus, nur der wäre, dass im All der Ātman das einzig WerthvoUe, die Quelle alles Lebens und alles Lichtes ist?

Bleibt also in den Dingen ein Rest, der nicht Ātman ist, so fragen wir: in welcher Weise wurde dieser Rest gedacht? woher stammt er? was bedeutet er? Am nächsten liegt die Erwartung, dass er als Materie vorgestellt ward, als ein dunkles Chaos, das in sich selbst gestaltlos seine Gestaltung von dem Ātman als der Quelle der Formen und des Lichts empfinge. Unsre Texte haben uns hier nur spärliche Andeutungen bewahrt; dem Inder hatte eben die Erkenntniss des Ātman selbst, die mit den Ideen von der Erlösung des Geistes aus dem Reich der leidenvollen Endlichkeit untrennbar verbunden war, so ausschliesslichen Werth, dass darüber die andre Seite des Problems dem speculativen Interesse in den Hintergrund trat. Wo sich aber Aeusserungen über diese Fragen finden, weisen dieselben in der That auf die Vorstellung eines Chaos hin, einer Welt der Möglichkeiten, aus welcher das Wirken des Ātman Realitäten schafft. Das Seiende, das im Anfang der Dinge allein war, so belehrt Uddālaka seinen Sohn[10], dachte: möge ich eine Vielheit sein. Es entliess Feuer aus sich; das Feuer entliess Wasser aus sich, das Wasser schuf Nahrung. „Da gedachte jenes Wesen: wohlan, ich will in diese drei Wesen mit diesem meinem Lebensodem eingehen und will Namen und Gestalt in ihnen enthüllen." Und es geht mit seinem Lebensodem in das Feuer, in das Wasser und in die Speise ein, mischt Elemente des einen denen des andern bei, und so wird aus den drei Grundwesenheiten durch das demiurgische Wirken des Ātman die reale Welt bereitet.

Es ist klar, dass jene drei ältesten Wesen, jene Urgeschöpfe

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des Ātman, in welchen er dann durch seinen Lebensodem Namen und Gestalt enthüllt, vor diesem Act des Enthüllens als ein chaotisches Etwas gedacht sind, das da ist und doch noch nicht etwas völlig Bestimmtes ist, älter als die Welt dieser Dinge, und doch nicht ewig wie der Ātman, sondern des Ātman erste Schöpfung. Sehr fühlbar tragen aber diese Versuche, das zur Vorstellung zu bringen, was in den Dingen Materie ist, das Gepräge der Unfertigkeit an sich. Man sollte in dem Chaos, ehe der Lebensodem des Demiurgen in ihm „Namen und Gestalt" wirkt, ein Namenloses und Gestaltloses, ein absolut Bestimmungsloses erwarten, und doch ist es schon im Anfang nach der dreifachen Natur von Feuer, Wasser und Nahrung gegliedert, trägt also ein Element der Bestimmtheit und Benennbarkeit von vorn herein in sich. Und ebenso wenig ist auf der andern Seite der Ātman, der Schöpfer und Beieber des Chaotischen, hier in jener höchsten Consequenz der Abstraction festgehalten, die wir in den Abschiedsreden des Yājnavalkya erreicht fanden. Er ist nicht der schlechthin Eine, aus dessen Wesen um seiner Einheit willen alles Denken und Vorstellen, als die Zweiheit von Subjekt und Objekt involvirend, verbannt bleiben muss; er denkt, und zwar denkt er: möge ich eine Vielheit sein. So wie es hier geschieht, hätten jene Denker, welche die Idee der Einheit im Wesen des Ātman zu ihrer letzten Consequenz durchgeführt haben, das Problem der Materie und ihres Hervorgehens aus dem Ātman kaum lösen dürfen; es ist wohl kein Zufall, dass eben die Schichten in unsem Texten, welche jene Consequenzen mit der äussersten Schärfe betonen, von diesen Problemen schweigen: man mag gefühlt haben, dass hier das Denken vor einem Abgrund angelangt war, den zu überbrücken nicht in seiner Macht stand.


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Pessimismus. Seelenwanderung. Erlösung.

Es ist hier der Ort, von den Folgerungen zu reden, welche die Speculation der Inder aus der Lehre von dem All-Einen neben und in der Welt der Vielheit für die Schätzung des Werthes von Welt, Leben und Sterben und für die damit so nahe zusammenhängenden ethischen Fragen gezogen hat.

Wir stehen hier an der Geburtsstätte des indischen Pessimismus.

Hatte das Denken, freigebig gegen sich selbst, auf die Idee des Ātman alle Attribute jeglicher Vollkommenheit, der absoluten Einheit, der unbegrenzten Fülle gehäuft, so musste die Welt der Vielheit, an dem Massstab des ewig Einen gemessen, als eine Stätte der Entzweiung, der Beschränkung, des Schmerzes erscheinen. Das unbefangene Sichzuhausefühlen in dieser Welt ist mit einem Schlage zerstört, sobald der Gedanke sie gegen sein Ideal des höchsten Einen gewogen und zu leicht befunden hat, und so gestaltet sich unwillkürlich die Verherrlichung des Ātman zu einer bittern und immer bitterer werdenden Kritik dieser Welt. Wird der Ātman gepriesen, „der über Hunger und Durst, über Kummer und Wirrsal, über Alter und Tod hinweg ist", wer empfindet in solchen Worten nicht, mag es auch unausgesprochen bleiben, den Hinblick auf die Welt der Creaturen, in welcher Hunger und Durst, Kummer und Wirrsal zu Hause sind, in der man altert und stirbt? „Der ungesehene Seher", so spricht Yājnavalkya zum Uddālaka, „der ungehörte Hörer, der ungedachte Denker, der unerkannte Erkenner; kein andrer Seher ist, kein andrer Hörer, kein andrer Denker, kein andrer Erkenner. Das ist dein Ātman, der innere Lenker, der unsterbliche; was ausser ihm ist, ist voll Kümmerniss." — Und ein andres Mal heisst es: „wie die Sonne, des Weltalls Auge, fern und unberührt bleibt von aller Krankheit, die das (menschliche) Auge trifft,

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also bleibt der Eine, der Ātman, der in allen Wesen wohnt, fern und unberührt von dem Leiden der Welt". Hier zuerst fällt das Wort „Leiden der Welt". Dass der Eine, selige Ātman es erwählt hat, in der Welt der Vielheit, des Werdens und Vergehens sich zu offenbaren, war ein Unglück; man spricht das nicht aus, denn man scheut sich vor einem Gedanken, der in das selig Eine Wesen die Wurzeln des Erdenleidens oder gar eine Schuld hinein verlegen würde, aber weit entfernt kann man von diesem Gedanken nicht gewesen sein, wenn man es dem Menschen als das höchste Ziel seines Strebens hinstellte, an seinem Theil jenes Sichoffenbaren des Ātman ungeschehen zu machen, für sich den Rückweg aus der Vielheit zum Einen zu finden.

Die Stellung, welche die indische Speculation dem Menschen in und zwischen den beiden Welten des seligen Ātman und des leidenvollen Diesseits anweist, hängt eng mit den Vorstellungen von der Seelenwanderung zusammen, deren erste Spuren nicht lange vor dem Auftauchen der Lehre von dem ewigen Einen in den vedischen Texten erscheinen.

Der alten Zeit, in der die Hymnen des Rigveda gedichtet sind, war der Gedanke, dass der Seele nach dem Tode neue Wanderungen, neue Wiederholungen von Sterben und Wiedergeburt bevorstehen, fremd. Wohl weiss man von den Wohnungen der Seligen zu sagen, wo in Yama's Reich die, welche den dunklen Weg des Todes gezogen sind, ewige Freuden gemessen;

„wo Lust und Freud' und Fröhlichkeit
und Wonne wohnen, wo der Wunsch
des Wünschenden Erfüllung hat“ —

und man redet auch von den tiefen Orten der Finsteniss und von den Schrecken, die den Uebelthäter im Jenseits erwarten. Aber man weiss nicht anders, als dass mit dem Eingeben in die Welt der Seligen oder in die der ewigen Finsternisse das Loos für immer entschieden ist.

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Wir haben dargestellt, wie die Zeit, welche auf die Periode des Rigveda folgte, ein neues Weltbild schuf: auf allen Seiten, sichtbar oder in geheimnissvoUem Symbol verhüllt, erkannte man unheimlich gestaltlose Mächte mit einander ringend und dem Menschengeschick als drohende Feinde Gefahren bereitend. Für die düstere Mystik dieser Zeit steigert sich auch die Herrschaft des Todes; des Todes Macht über den Menschen ist nicht mit dem einen Schlag, den er führt, erschöpft. Bald heisst es, dass seine Gewalt über den, der sich nicht durch das rechte Wort und die rechte Opferspende zu lösen weiss, auch in das Jenseits hinüberreicht, und der Tod dort wieder und wieder sein Leben vernichtet; bald begegnen wir der Vorstellung von einer Mehrheit von Todesmächten, von denen die einen in den Welten des Diesseits, andre in den jenseitigen Welten dem Menschen nachstellen. „Wer ohne von dem Tode sich frei gemacht zu haben in jene Welt hinübergeht, der wird, wie in dieser Welt der Tod von keiner Rücksicht weiss und wann er will, ihn tödtet, also auch in jener Welt immer und immer wieder des Todes Beute." Und an einer andern Stelle: „Durch alle Welten fürwahr walten Todesmächte; opferte er diesen keine Spenden, würde von Welt zu Welt der Tod ihn finden; wenn er den Todesmächten Spenden opfert, schlägt er durch Welt auf Welt den Tod von sich zurück[11].

In den Texten aus jener Zeit, in welcher diese Spiele einer unerquicklichen Phantasie zuerst auftauchen, ist von der Idee des Wiedergeborenwerdens, oder wie dieselbe characteristischer

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Weise uns zuerst entgegentritt, der des Wiedersterbens, wenig die Rede. Und doch kann der Einfluss, den diese Vorstellungen auf die Stimmung des religiösen Lebens ausgeübt haben, nicht gering gewesen sein. Der Geist vermag den Gedanken einer einmaligen, für alle Ewigkeit bestimmenden Entscheidung seines Geschickes zu ertragen, aber das endlose Irren von Welt zu Welt, von Existenz zu Existenz, das Nichtaufhören des Ringens gegen die bleiche Macht der immer sich erneuernden Vernichtung — ein Gedanke wie dieser mag wohl auch des Muthigen Herz mit einem Schauder über die Resultatlosigkeit des ganzen nicht endenden Treibens erfüllen. Als andre Zusammenhänge das Denken auf den Gegensatz einer seligen Welt der Einheit, der Ruhe, und einer zweiten Welt der Vielheit und des Wechsels hinführten, wird die furchtbare Vorstellung der Wiedergeburt, das ist des Wiedersterbens kein kleines Theil daran gehabt haben, dass man das Reich der Vielheit mit jenen düstern Farben als unseliges von Leiden zerwühltes sich ausmalte.

Aber ein Gedanke wie der von den neuen und immer neuen Toden, die in künftigen Daseinsformen den Sterblichen erwarten, kann nicht gedacht werden, ohne seine eigne Ergänzung oder wenn man will seine Aufhebung selbst hervorzurufen, den Gedanken der Erlösung vom Tode — ohne diesen wäre das Ende Verzweiflung gewesen. Von Anfang an ist darum die Idee der Seelenwanderung nicht so gewandt, als läge in ihr ein unabwendbares Verhängniss, dem jedes Menschenleben rettungslos anheimfiele. Es taucht zugleich mit dem Seelenwanderungsglauben und als sein nothwendiges Complement die Vorstellung auf, dass aus dem ziellosen Wechsel von Geburt und Sterben dem Geist ein Ausweg offen steht; der Gedanke und das Wort „Erlösung" schickt sich jetzt an, in den Vordergrund des religiösen Lebens zu treten.

Die Phasen, welche in dieser Zeit das brahmanische


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Denken nach Styl und Inhalt in raschem Fortschritt durchläuft, spiegeln sich nach einander in der Art wieder, wie der Gedanke der Erlösung gefasst wird.

So lange man aus jenem wirren Getriebe grotesk-symbolischer Ungestalten noch nicht den Weg zur Idee des Ātman, des All-Einen gefunden hat, tragen auch die Vorstellungen von der Erlösung denselben Stempel willkürlich phantastischer Aeusserlichkeit, welcher für die geistigen Hervorbringungen jener Zeit characteristisch ist. Das Opfer, die grosse Grundpotenz und das Grundsymbol für alles Sein und alles Geschehen, ist auch die Macht, durch welche der Mensch sich den Banden des Todes entreisst; und neben dem Opfer selbst hat das heilige Wissen vom Opfer erlösende Macht. Vor Allem das tägliche Opfer an die beiden Lichtspender des Tages und der Nacht: das Morgenopfer an die Sonne, und das Abendopfer an Agni, die Sonne der Nächte, beide begleitet von einer schweigend dargebrachten Opferspende an Prajāpati, den Herrn der Geschöpfe. In der Sonne wohnt der Tod; die Sonnenstrahlen sind die Zügel, mit denen der Tod den Lebensodem des Menschen an sich zu reissen Gewalt hat. „Wenn er Abends nach Sonnenuntergang die beiden Spenden opfert, fasst er mit den beiden vorderen Vierteln (seines Wesens) in jener Todesmacht (d. h. in der Sonne) Stand; wenn er Morgens vor Sonnenaufgang die beiden Spenden opfert, fasst er mit den beiden hinteren Vierteln (seines Wesens) in jener Todesmacht Stand. Wenn sie dann aufgeht, trägt sie aufgehend ihn mit sich empor; so löst er sich von jenem Tode. Das ist die Erlösung vom Tode, die im Agnihotra-Opfer geschieht. Es löst sich von dem Wiedertode, wer diese Erlösung vom Tode im Agnihotra also weiss." Und an einem andern Orte: „die solches also wissen und die dieses Opfer vollziehen, werden nach dem Tode wiedergeboren; sie werden zur Unsterblichkeit wiedergeboren. Aber die nicht also wissen, oder die dies Opfer nicht vollziehen, werden nach dem Tode

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wiedergeboren und werden wieder und immer wieder von Neuem des Todes Beute."

Dies die ersten, in phantastisch-mirakelhiafte Formen gekleideten Anfänge des Glaubens an die Seelenwanderung und an die Erlösung vom Tode. Als diese Gedanken auftauchten, standen Vorgänge vor der Thür, welche der Ideenwelt der Brahmanen ein neues Aussehen geben sollten: eben damals schickte die Speculation sich an, im Ātman oder dem Brahma das ewige, unvergängliche Wesen zu erfassen, die Quelle alles Daseins, die im Grunde aller Vielheit ruhende Einheit. So wie dieser Schritt geschehen war, war damit ein Grund und Boden gewonnen, auf welchen jene Gedanken vom Tode und von der Erlösung verpflanzt werden und aus dem sie neuen, vertieften Gehalt in sich aufnehmen konnten. Wie von selbst fügten sich hier die verschiedenen Elemente der Speculation zu einem Ganzen zusammen, das keine Fugen erkennen liess. Auf der einen Seite ein Dualismus: das ewige Brahma, der Grund alles Seins, die wahre Wesenheit auch des Menschengeistes (Brahma = Ātman), ihm gegenüber die Welt des Werdens und Vergehens, des Leidens und des Todes. Auf der andern Seite ein ähnlicher Gegensatz: die unerlöste Seele, die der Tod in seinen Banden hält und immer von Neuem aus einem Dasein in das Andre reisst, und die erlöste, die den Tod überwunden, das Ziel der Irrfahrten erreicht hat. Das Resultat aus der Vereinigung beider Gedankenreihen konnte kein andres sein als dies: das Wandern der Seele durch die Reiche des Todes ist die Frucht ihres Nichteinsseins mit dem Brahma; die Erlösung ist die erreichte Einheit der Seele mit ihrer wahren Wesenheit, dem Brahma. Die Einheit ist nicht da, so lange der Menschengeist sich in Denken und Wollen als Bürger der Welt der Vielheit bethätigt; so lange bleibt er dem Gesetz unterthan, das in dieser Welt regiert, dem Gesetz von Werden und Vergehen, von Geburt und Tod. Wo aber das auf die Vielheit gerichtete Schauen und Begehren überwunden

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ist, kehrt der Geist, von der Herrschaft des Todes befreit, in die Heimath alles Lebens, zum Brahma zurück. „Wie eine Weberin", so sagt das Brāhmana der hundert Pfade, „von einem bunten Gewande ein Stück abnimmt und eine andre, neue, schönere Form webt, so lässt auch der Geist (im Tode) diesen Leib fallen und das Bewusstsein erlöschen und bereitet sich eine andre, neue Gestalt, von Manen oder Gandharven, von Brahma's oder Prājäpati's Natur, oder eine göttliche oder eine menschliche, oder von andern Wesen. . . . Wie er gehandelt, wie er gewandelt, so wird er: wer Gutes that, wird zum guten Wesen, wer Böses that, zum bösen; rein wird er durch reine That, böse durch böse That. ... So wer im Begehren befangen ist. Wer aber nicht begehrt? Wer ohne Begehr, vom Begehren frei ist, wer nur den Ātman begehrt, wer sein Begehr erreicht hat, aus dessen Leib entweichen die Odemkräfte nicht (in einen andern Leib), sondern ziehen sich hier zusammen; er ist das Brahma, und zum Brahma geht er“.

Davon sagt der Vers:

„Wenn von jeglichem Begehren seines Herzens er sich gelöst,
Geht der Sterbliche unsterblich in das Brahma hienieden ein.“ -

Begehren (kāma) und That (karman) werden hier als die Mächte genannt, die den Geist in den Schranken der Endlichkeit festhalten. Beide sind wesentlich eins. „Auf dem Begehren," heisst es in derselben Erörterung, welcher die mitgetheilten Sätze entnommen sind, „beruht des Menschen Natur. Wie sein Begehren ist, so ist sein Streben; wie sein Streben ist, solche That (karman) thut er; welche That er thut, zu einem solchen Dasein gelangt er."

Die Form, in welcher der Gedanke von der sittlichen Wiedervergeltung hier erscheint und in der er lange Zeiten hindurch, bei den Buddhisten so gut wie bei den Brahmanen, ein Fundament des religiösen Denkens ausgemacht hat, ist die

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Lehre vom Karman (der That) als der Macht, welche den Wanderungen der Seele von Dasein zu Dasein den Weg vorschreibt. Unsre Quellen lassen uns erkennen, wie im Anfang diese neue Lehre in den Kreisen der philosophirenden Brahmanen noch nicht heimisch geworden ist; wer sie kennt, hat das Gefühl, ein Mysterium in ihr zu besitzen, von dem man heimlich unter vier Augen redet. So in dem grossen Redetournier, von dem das Brāhmana der hundert Pfade erzählt. Unter den Gegnern, die den weisen Yājnavalkya mit ihren Fragen zu Falle zu bringen suchen, tritt Jāratkārava Artabhāga auf. „Yājnavalkya!" fragt er, „wenn der Mensch stirbt, geht seine Stimme in das Feuer ein, sein Athem in den Wind, sein Auge zur Sonne, sein Denken zum Monde, sein Ohr zu den Himmelsgegenden, sein Leib zur Erde, sein Selbst zum Aether, seine Behaarung zu den Pflanzen, sein Haupthaar zu den Bäumen ; in den Wassern findet sein Blut und sein Samen die Stätte. Wo aber bleibt dann der Mensch selbst?" „Gieb deine Hand her, Freund," lautet die Antwort. „Artabhāga! wir beide allein wollen davon wissen. Kein Wort davon unter Leuten." Und sie giengen beide hinaus und sprachen mit einander. Was sie da redeten, von der That (karman) redeten sie; und was sie da kündeten, die That kündeten sie: rein (glücklich) wird er durch reine That, böse (unglücklich) durch böse That.'

In die Welt der Erlösung und Seligkeit aber, zur Vereinigung mit dem Brahma zu führen vermag keine That. Auch die gute That ist etwas, das in der Sphäre des Endlichen befangen bleibt; sie findet ihren Lohn, aber des Endlichen Lohn kann auch nur ein endlicher sein. Der ewige Ātman ist über Lohn und Strafe, über Heiligkeit und Unheiligkeit gleich hoch erhaben. „Ueber Beides geht er hinaus, der Unsterbliche, über Gutes und Böses; Gethanes und Ungethanes schafft ihm keinen Schmerz ; sein Reich leidet durch keine That." So sind That und Erlöstsein zwei Dinge, die

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einander ausschliessen; der Dualismus von Endlichkeit und Ewigkeit, der alles Denken dieser Zeit beherrscht, prägt der Idee der Erlösung und den ethischen Postulaten, die aus derselben fliessen, von vom herein jenen negativen Zug auf: Sittlichkeit ist nicht handelndes Gestalten der Welt, sondern Sichloslösen von der Welt.

Im irdischen Leben hat die Seligkeit der Vollendung, welche Thun und Lassen, Gutes und Böses von sich abgestreift hat, ihr Vorspiel und Abbild im Zustande des tiefsten Schlafes, wenn die Welt, die im Wachen den Geist umgab, ihm entschwunden ist und auch kein Traum erscheint; wenn er schläft „wie ein Kind oder wie ein grosser Weiser." „Wenn er entschlafen kein Begehren fühlt und kein Traumbild schaut, das ist der Zustand, wo er nur den Ātman begehrt, wo er sein Begehr erreicht hat, wo er ohne Begehr ist."

Die spätere Zeit hat sich mit besonderer Vorliebe der Ausmalung von Zuständen tiefsten Insichversenktseins zugewandt, in welchen Wahrnehmen und Fühlen, der Raum und alle Objectivität dem Geist entschwindet und er gleichsam zwischen der endlichen Welt und dem Nirvāna in der Mitte schwebt. Betrachtungen über diese Verzückungen der Contemplation gehören zu den Lieblingsthemen der Reden, welche die buddhistische Gemeinde ihrem Meister in den Mund gelegt hat. Wir werden nicht irren, wenn wir die erste Vorstufe dieser Ideen hier erkennen: wenn man nach einem irdischen Vorbild der Rückkehr zu dem All-Einen sucht, muss sich, ehe man nach jenen krankhaften Zuständen halber oder vollkommner Bewusstlosigkeit greift, als das Natürlichste und Nächstliegende die Ruhe des tiefen, traumlosen Schlafes darbieten. —

Bisher fanden wir den Gegensatz des Erlösten und Unerlösten an den Gegensatz des Begehrens und des Nicht-Begehrens geknüpft. Oft wird der gleiche Gedanke mit einer leisen Wendung dahin nuancirt, dass statt des Begehrens das

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Erkennen und das Nicht-Erkennen als das Entscheidende über die letzten Geschicke des Geistes gefasst wird: das Erkennen der Einheit, zu welcher das eigne Ich und alle Wesen im Brahma sich zusammenschliessen, und andrerseits das Versunkensein in das Anschauen des Endlichen als einer Vielheit. „Wo alle Wesen zum eignen Selbst geworden, für den Erkennenden, wie gäbe es Irrung, wie gäbe es Schmerz für den, der auf die Einheit hinschaut?" „Wer den im Dunkel dieser Leiblichkeit weilenden Ātman entdeckt und erkannt hat (pratibuddha), der ist allschaffend, denn er ist Schöpfer des All; sein ist die Welt, er ist selbst die Welt. — Die des Athems Athem und des Auges Auge, des Ohres Ohr, der Speise Speise, des Denkens Denken kennen, die haben das Brahma erkannt, das alte, höchste, dem Denken allein erreichbare; nicht giebt es in ihm eine Verschiedenheit. Des Todes Tod erreicht, wer eine Verschiedenheit hier erblickt; der Gedanke allein kann es erschauen, dies Unvergängliche, Ewige." Wenn nun die Erlösung bald auf das Ueberwinden alles Begehrens, bald auf das Erkennen des Brahma gegründet wird, so empfindet man Beides nur als den Ausdruck eines und desselben Gedankens. „Wenn der Mensch den Ātman erkennt[12]: ,das bin ich selbst' — was wünschend, um welches Begehrens willen sollte er am Leiblichen haften?" Das Erste ist das Erkennen; ist es erlangt, schwindet alles Begehren von selbst. Umgekehrt die tiefste Wurzel des Haftens am Endlichen ist das Nicht-Erkennen.

Wir stehen hier schon vollkommen in eben den Gedankenkreisen, in welchen die Lehre Buddha' s sich bewegt. Die Frage, auf der die buddhistischen Gedanken von der Erlösung ruhen, wird schon hier genau in derselben Weise angeworfen, und es wird dieselbe doppelte Antwort auf diese Frage gegeben.

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Was hält die Seele fest in dem Kreislauf von Geburt und Tod und Wiedergeburt? Auch der Buddhismus antwortet: Begehren und Nicht- Wissen. Unter beiden das tiefere Uebel ist das Nicht- Wissen, das erste Glied in der langen Kette von Ursachen und Wirkungen, in denen sich das leidenbringende Verhängniss der Welt vollzieht. Ist das Wissen erreicht, so ist alles Leiden überwunden. Unter dem Baum der Erkenntniss spricht Buddha, als er das erlösende Wissen errungen hat, die Worte:

„Wenn sich enthüllt ewiger Ordnung Walten
Dem Sinnen, dem glühenden, des Brahmanen,
Zu Boden wirft er des Versuchers Schaaren,
Der Sonne gleich, die durch den Luftraum Licht strahlt."

Und wie im Gedanken, so greift hier auch im Wort die brahmanische Speculation dem Buddhismus vor. Schon jetzt fängt die Sprache an, eben jener Wendungen sich zu bedienen, die später im Munde der Gemeinde Buddha' s ihr festes Gepräge als Ausdruck buddhistischer Glaubensvorstellung empfangen haben. Wenn im Brāhmana der hundert Pfade als der Erlöste der genannt wird, welcher den Ātman erkannt hat, so ist dort für „erkennen" jenes Wort (pratibuddha) gebraucht, das auch „erwachen" bedeutet, das Wort, welches die Buddhisten anzuwenden pflegen, wenn sie davon reden, wie Buddha in feierlicher Stunde unter dem Açvatthabaum die erlösende Wahrheit erkannt hat, oder zu der erlösenden Wahrheit erwacht ist; dasselbe Wort, von dem auch der Name „Buddha", d.h. „der Erkennende", „der Erwachte" gebildet ist.

Schwerlich war von den Texten, in welchen die brahmanischen Speculationen von der erlösenden Macht des Erkennens niedergelegt sind, auch nur ein einziger dem Begründer der buddhistischen Glaubensgemeinschaft anders als vom Hörensagen bekannt. Aber darum bleibt es doch gewiss, dass der Buddhismus nicht eine Reihe seiner wichtigsten

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Dogmen allein, sondern was dem Historiker nicht minder bedeutend ist, die Stimmung des religiösen Denkens und Fühlens, die leichter empfunden als in Worte gefasst werden kann, von dem Brahmanenthum als Erbtheil überkommen hat.

Wenn im Buddhismus der grossartige Versuch gemacht ist, eine Erlösung zu denken, in welcher sich der Mensch selbst erlöst, einen Glauben zu schaffen ohne einen Gott, so hat die brahmanische Speculation diesem Gedanken den Boden bereitet. Sie hat den Begriff der Gottheit Schritt für Schritt zurückgedrängt; die Gestalten der alten Götter sind erblichen, und neben dem Brahma, das in seiner ewigen Ruhe hoch erhaben über den Geschicken der irdischen Welt thront, ist als die einzige wirklich handelnde Person in dem grossen Werk der Erlösung der Mensch selbst übrig geblieben, der in seinem eignen Innern die Kraft trägt, von dieser Welt, der hoffnungslosen Stätte des Leidens, sich abzuwenden.

Ein jedes Volk schafft sich seine Götter nach seinem Bilde und wird nicht minder umgekehrt durch das, was seine Götter sind, zu dem geschaffen, was es selbst ist. Ein geschichtliches Volk schafft sich Götter, die in der Geschichte ihre Macht beweisen, die seine Schlachten mitschlagen und seinen Staat mitregieren. Der Gott Israels ist der Heilige, vor dessen flammender Majestät das Menschenherz in Preis und Anbetung erschauert, und dem es doch wie einem Vater mit der Zuversicht des Kindes bittend naht; dessen Zorn macht, dass die Menschen vergehen, dessen Barmherzigkeit Kindern und Kindeskindern wohlthut bis ins tausendste Glied. Und der Gott des brahmanischen Denkens? Das grosse Eine, vor dem alles menschliche Trachten schweigt, wo alle Farben verbleichen und alle Töne verklingen. Kein Loblied und kein Gebet, kein Hoffen, kein Fürchten, kein Lieben. Der Blick des Menschen ist unverwandt nach innen gekehrt und sucht in den Tiefen des eignen Wesens, dass sein Ich sich ihm als das Ewige Eine offenbare, und in sinnvollem Räthselwort enthüllt

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der Denker, dem der Schleier sich gehoben hat, das Geheinmiss von dem ungesehenen Seher, dem ungehörten Hörer, den zu erkennen Brahmanen von Hab und Gut, von Weib und Kind lassen und als Bettler heimathlos durch die Welt ziehen.



Der Versucher. Brahman.

Wie sich um die Centralpunkte des religiösen Denkens, mit denen unsre Darstellung sich beschäftigte, nach einander die übrigen Ideen, Bilder, Ausdrücke angesetzt haben, welche als Erbtheil der brahmanischen Speculation auf den Buddhismus übergegangen sind, erlaubt die Ueberlieferung uns nur allzu unvollkommen zu erkennen. Wenn wir von den ältesten, grundlegenden Texten der Ātman-Lehre, aus denen unsre bisherige Darstellung geschöpft hat, absehen, sind wir für die Frage, welche Werke als vorbuddhistisch gelten dürfen und welche nicht, durchaus auf Vermuthungen der unsichersten Art beschränkt. Innere Gründe, auf welche allein wir hier angewiesen sind, reichen in den wenigsten Fällen hin, um auch nur ein Wahrscheinlichkeitsurtheil darüber zu ermöglichen, ob das, was in diesen Texten in Gedanken und Ausdrucksweise mit Buddhistischem sich berührt, den Vorstufen buddhistischen Wesens angehört, oder ob es seinerseits von diesem Wesen influenzirt ist. Vorbuddhistischen Ursprung möchte ich für die Kāthaka-Upanishad in Anspruch nehmen, ein Gedicht, das in der herben Grösse seiner Composition den ganzen Ernst und die ganze Seltsamkeit jener in sich gekehrten Zeit wiederspiegelt. Beurtheile ich die Frage nach der Entstehungszeit dieser Upanishad richtig, so enthält dieselbe einen wichtigen Beitrag zur Vorgeschichte des buddhistischen Gedankenkreises: wir finden nämlich hier den Satan der buddhistischen Welt, Māra, den Versucher, den dämonischen Todfeind des Erlösers

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in der Gestalt Mrityu's, des Todesgottes, wieder. Die Identität der Conception scheint durch die Verschiedenheit der Einkleidung auf das unverkennbarste hindurch, und zwar hat das brahmanische Gedicht jene Vorstellung, welche ihm mit den buddhistischen Legenden gemeinsam ist, unverkennbar in einer bei weitem ursprünglicheren Form bewahrt.

„Uçan, des Vājaçravas Sohn", so hebt die Upanishad an, „gab alle seine Habe hin[13]Seines Vaters ganze Habe, vor Allem Kühe.</ref> weggeführt wurden, Glaube. Da dachte er:

„Wasser trinkende, Gras fressend, gemolkne, deren Kraft versiegt —
Freudlos sind die Welten genannt, dahin kommt er, der solche giebt[14]

Er sprach zu seinem Vater: „Vater, wem wirst du mich geben?" Und zum zweiten und zum dritten Mal (fragte er also). Da sprach sein Vater: „Ich gebe dich dem Tode."

Der Sohn.

<poemViele folgen mir nach; vor mir Viele giengen den Todes weg. Der Todesfürst, Yama der Gott, was ist's wozu er mein bedarf?</poem>

Der Vater.

Blicke vorwärts, blicke zurück; gleiches Loos waltet hier wie dort.
Das Menschengeschick gleicht dem Korn, das reift und fällt und wiederkehrt.

Das Gedicht übergeht, was nun geschieht: Naciketas steigt zum Reich des Todes hinab. Yama, der Todesgott, sieht ihn nicht; so weilt er drei Tage ungeehrt im Todtenreiche.

Die Diener des Todesgottes.

Flammend Feu'r ist der Brahmane, der dem Hause als Gast sich naht.
Yama, das Wasser beut dem Gast, so sänftigt man des Feuers Glut.

Hoffnung und Wunsch, Freundschaft und jede Freude,

Der Werke Frucht, Kinder und Heerdensegen,

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Fort reisst es dem Thörichten der Brahmane
Der ungespeist in seinem Haus als Gast weilt.

Yama (der Todesgott).

Hast ungespeist in meinem Haus drei Nächte,
Ein würdiger Gast, Brāhmana, mir geweilet.
Verehrung dir, lass widerfahren Heil mir;
Der Wünsche drei seien gewährt dir; wähle!"

Naciketas wählt als ersten Wunsch, dass sein Vater ihn, wenn er aus dem Todtenreich wiederkehrt, ohne Groll empfangen möge, als zweiten, dass der Todesgott ihn die geheime Kunde von dem Opferfeuer lehre, durch dessen Anlegung man die Himmelswelt gewinnt. Der Tod theilt ihm die mystische Lehre von diesem Feuer mit und gewährt, dass dasselbe unter den Menschen nach seinem Namen das Naciketasfeuer genannt werde. Naciketas soll jetzt den dritten Wunsch thun.

Naciketas.

„Die Frage geht über das Loos der Todten:
„Sie sind,“ spricht Dieser, „sie sind nicht,“ spricht Jener.
Das will ich wissen, offenbare du's mir.
Dies ist der dritte Wunsch, den ich erwähle.

Der Todesgott.

Die Götter selbst forschten danach vor Zeiten;
Zu fassen schwer, dunkel ist dies Geheimniss.
Ein andres Gut wähle dir, Naciketas,
Bestehe nicht hierauf; erlass mein Wort mir.

Naciketas.

Den Göttern selbst ist es verborgen, sprichst du,
Zu fassen schwer hast du, o Tod, genannt es.
Kein Andrer ist, der es wie du mir künde.
Kein andrer Wunsch, den ich für diesen wähle.

Der Todesgott.

An Jahren reich und Kindeskinder,
Gold wähle, Heerden, Elefanten, Bosse,
Erwähle dir auf Erden weite Herrschaft,
Dein Leben währe so lang du begehrest.
Wenn ein Ersatz dies dir für jenen Wunsch scheint.

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So wähle Reichthum, wähle langes Leben;
Beherrsche weite Reiche, Naciketas;
Ich spende dir aller Genüsse Fülle.
Was sterbliche Menschen nur schwer erlangen,
Jegliche Lust wähle, nach der dein Herz steht.
Die Jungfraun hier mit Harfen, mit Gespannen,
Schöner, als Menschen sie gewinnen mögen,
Die geb' ich dir, dass sie dir dienstbar seien;
Nicht frage nach dem Tode, Naciketas.

Naciketas.

Der Tage Wechsel lässt, o Herr des Todes,
Der Sinne Kraft altern den Menschenkindern;
Das ganze Leben, schnell ist es vergangen;
Gesang und Tanz, Wagen und Ross, dein ist es.
Kein Reichthum mag dem Menschen Genüge geben;
Was soll uns Habe, wenn wir dich erblickten?
Wir werden leben, so lang du gebietest.

Doch jener Wunsch allein ist's, den ich wähle.

Worüber man, o Tod, voll Zweifel nachsinnt,
Lehr' uns des Jenseits weite Zukunftsreiche.
Der Wunsch, der in verborgne Tiefen eindringt.
Der ist's allein, den Naciketas wählet.“</poem

Das Sträuben des Todesgottes ist besiegt, und er gewährt
dem unermüdlichen Frager sein Begehren. Weit geschieden
von einander gehen die beiden Wege des Wissens,
des Nicht -Wissens. Naciketas hat das Wissen gewählt; die
Fülle der Lüste hat ihn nicht verlockt. Die den Pfad des
Nicht-Wissens wandeln, irren ziellos durch das Jenseits, wie
Blinde von Blinden geführt. Der Weise, welcher das Eine,
Ewige, den alten Gott, der in der Tiefe weilt, erkennt, lässt
von Freude und Leid, wird frei von Recht und Unrecht, frei
vom Jetzt und frei von Zukunft. Das ist Yama's Antwort
auf die Frage des Naciketas.

Ein eignes Bild aus dieser grossen Zeit des altindischen
Denkens und Dichtens: der Brahmane, der zum Hades hinabsteigt
und unbewegt von allen Verheissungen vergänglicher

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Lust dem Todesgott das Geheimniss dessen, was jenseits des
Todes ist, abringt.

Blicken wir nun von diesem vedischen Gedicht hinüber zur buddhistischen Legende.

Durch viele Aeonen trachtet der zur Buddhaschaft Auserkorne der Erkenntniss nach, die ihn vom Tode und von der Wiedergeburt erlösen soll. Sein Feind ist Māra der Böse. Wie Gott Mrityu dem Naciketas die Herrschaft über weite Lande verheisst, wenn er der Erkenntniss des Jenseits entsagen will, so bietet Māra dem Buddha das Königthum über das ganze Erdreich, wenn er seiner Buddhalaufbahn abtrünnig wird; wie Mrityu dem Naciketas Nymphen von überirdischer Schönheit bietet, so wird Buddha von Māra's Töchtern, mit Namen Begier, Unruhe, Lust, versucht. Naciketas wie Buddha widerstehen allen Lockungen und erlangen das Wissen, das sie von der Macht des Todes befreit. Der Name Māra ist kein andrer als Mrityu[15]; der Todesgott ist zugleich der Fürst dieser Welt, der Herr aller Weltlust, der Feind des Erkennens, denn die Lust ist ja in der brahmanischen wie in der buddhistischen Speculation die Fessel, die an das Reich des Todes bindet, und die Erkenntniss ist die Macht, welche jene Fessel löst. Diese Seite des Todesgottes, als des Versuchers zu Hoffart und Fleischeslust, tritt in der buddhistischen Legende an der Gestalt Māra's so sehr in den Vordergrund, dass darüber das ursprüngliche Wesen jenes Gottes fast verschwindet; die ältere Dichtung der Kāthaka-Upanishad hält die eigentliche Natur Mrityu' s klar fest, aber sie zeigt uns doch in derselben bereits den

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Punkt, von dem aus die Conception des Todesfursten in die des Versuchers hinübergewandt werden konnte. —

Mit Māra zusammen nennt die stereotype Ausdrucksweise der Buddhisten oft ein andres göttliches Wesen, dessen Vorstellung sich gleichfalls erst in der späteren vedischen Zeit gebildet hat, Brahman. Die Gestalt Brahman' s ist ein Abkömmling jener Idee des Brahma, deren Entwicklung uns früher beschäftigt hat. Es ist ungemein characteristisch für die Macht, welche in Indien die abstracteste Speculation der Schulen über die Vorstellungen des ganzen Volkes übte, dass das Brahma, das farblose, gestaltlose Absolutum zu einem wichtigen Element des Volksglaubens geworden ist. Allerdings nicht, ohne dass der Gedanke in seiner ursprünglichen Reinheit modificirt oder richtiger aufgegeben wurde. Das Ding an sich als solches wäre denn doch selbst für den Inder ein allzu unconcreter Gott gewesen. So personificirte das Neutrum sich zu einem Masculinum; aus dem Brahma wurde der Gott Brahman, der „Ahnherr aller Welt", das erstgeborne unter den Wesen.

Wir dürfen es nicht versuchen, von diesem eigenthümlichen Eindringen des speculativen Begriffes in das populäre Bewusstsein der Inder ein ausgeführteres Bild zu geben; unsre Quellen versagen hier fast vollständig. Nur dies wissen wir mit Sicherheit, dass der Process, von dem wir sprechen, in der Zeit des älteren Buddhismus sich nicht nur vollzogen hatte, sondern dass auch eine gewisse Zwischenzeit seit seinem Sichvollziehen verflossen gewesen sein muss. Kaum irgend ein göttliches Wesen ist der Vorstellung der Buddhisten so geläufig, wie Brahmā Sahampati; in allen wichtigen Momenten im Leben Buddha' s und seiner Gläubigen pflegt er seinen Brahmahimmel zu verlassen und als der gehorsame und tief unterwürfige Diener der heiligen Männer auf Erden zu erscheinen. Und aus diesem einen, hauptsächlichsten Brahman hat die buddhistische Phantasie ganze Klassen von Brahma-Göttern, die in verschiedenen Brahma-Himmeln ihren Sitz

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haben, geschaffen: — ein Fingerzeig mehr zu vielen andern Fingerzeigen für die Unmöglichkeit, jene vedischen Texte, in welchen die Entstehung der Lehre vom All-Einen sich uns darstellt, an die buddhistische Zeit heranzurücken, in der aus dem Brahma schon der Gott Brahman, aus dem Gott Brahman das ganze System der Brahma-Gottheiten sich entwickelt hat.



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DRITTES CAPITEL.


Asketenthum. Mönchsorden.


Wir wenden uns dazu, die Gestaltungen des geistlichen, mönchischen Lebens zu beschreiben, welche in engem Zusammenhang mit den betrachteten Speculationen über das All-Eine und über die Erlösung sich entwickelt haben. Wie in jenen philosophischen Ideen sich die Dogmatik des Buddhismus vorbereitet, so wird in diesen Anfängen des Mönchswesens zu den äusseren Formen des buddhistischen Kirchenthums der Grund gelegt.

Beide Entwicklungsreihen, die der Innenseite und die der Außenseite des religiösen Lebens, stehen — wie könnte das anders sein? — in engster Wechselwirkung.

Jene Speculationen, welche die Erscheinungswelt als haltlos und werthlos gegenüber dem Weltgrunde, dem Ātman, erwiesen, hatten mit einem Schlage alle jene Lebensziele, die dem natürlich-menschlichen Bewusstsein als bedeutend erscheinen, entwerthet. Opfer und äusseres Thun sind ohnmächtig, den Geist zum Ātman empor zu heben, dem eignen Ich seine Identität mit dem Welt-Ich zu erschliessen. Man muss von Allem, was irdisch ist, sich lösen, man muss fliehen von Liebe und Hass, von Fürchten und Hoffen; man muss leben als lebte man nicht. Die Brahmanen, heisst es, „die kundigen und wissenden begehren nicht nach Nachkommen: was sollen Nachkommen uns, deren Heimath der Ātman ist? Sie lassen davon

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ab, dem Kindersegen nachzustreben und Gütern nachzustreben und weltlichem Heil nachzustreben, und ziehen als Bettler einher".

Viele lassen sich an weniger strenger Entsagung genügen: sie gehen wohl von ihrem Hause und geben Hab und Gut, alle Bequemlichkeit und Genüsse des gewohnten Lebens auf, aber sie ziehen nicht heimathlos umher, sondern im Walde bauen sie sich Blätterhütten und leben dort, allein oder mit ihren Weibern, von den Wurzeln und Beeren des Waldes; auch ihr geweihtes Feuer begleitet sie, und sie fahren nach wie vor fort, von den Pflichten des Opfercultus wenigstens einen Theil zu erfüllen.

Es ist wahrscheinlich, dass von Anfang an es vorzugsweise Brahmanen waren, die als Bettler oder Waldeinsiedler in der Abkehr von dem Irdischen ihrer Erlösung nachtrachteten. Aber ein ausschliessliches Anrecht der Brahmanen auf die geistlichen Güter, die zu erringen man alles irdische Gut aufgab, ist in alter Zeit nicht behauptet worden; wir haben keine Spur, dass vor Buddha oder in Buddha's eigener Zeit der Brahmanenstand mit derartigen Ansprüchen sich hervorgewagt, oder dass es irgend welcher Kämpfe bedurft hätte, um dem Fürstensohn und dem Bauer das Recht zu erobern, so gut wie der Brahmane Weib und Kind, Hab und Gut dahinten zu lassen, um als Bettelmönch in Armuth und Keuschheit nach der Befreiung seiner Seele zu streben. Neben den Brahmanen, die in den alten philosophischen Dialogen von den Geheimnissen des Ātman redend erscheinen, finden wir an mehr als einem Orte Fürsten, und auch weise Frauen fehlen in diesen Kreisen nicht; wie wollte man denen, deren Rede von der Erlösung man hörte und ehrte, den Zugang zu dem Leben heiliger Entsagung, welches den Menschen dieser Erlösung entgegenführt, verschliessen?

Ein Zug, der für die religiösen Stimmungen dieses vedischen Mönchsthums in hohem Grade characteristisch erscheint, ist

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der streng festgehaltene esoterische Character des Glaubens. Man hatte das Bewusstsein, eine Erkenntniss zu besitzen, die nur Wenigen, nur Auserwählten gehören konnte und durfte, eine Art Geheimlehre, die das Leben der Nation zu durchdringen nicht berufen war. Der Vater mochte dem Sohn, der Lehrer dem Schüler das Geheimniss offenbaren, aber es fehlte in den Kreisen der Ātman-Gläubigen an der herzenswarmen Begeisterung, welche eigne Güter erst dann recht zu besitzen meint, wenn sie alle Welt herbeigerufen, um an ihrem Besitz Theil zu nehmen.

Unsre Quellen sind allzu lückenhaft, als dass wir auf dem sichern Boden überlieferter Thatsachen bleibend auch nur die Hauptmomente in der Weiterentwicklung des indischen Mönchsthums verfolgen könnten. Vermuthungsweise Constructionen müssen hier aushelfen, die selbst da, wo sie verhältnissmässig sicher zeigen, was etwa geschehen sein muss, doch, wenn wir die Züge aufsuchen, welche das Bild von diesem Geschehen zu einem lebendig anschaulichen machen könnten, uns völlig im Stich lassen.

Zwei Vorgänge, die wahrscheinlich unter einander in Verbindung standen, müssen in der Entwicklung dieses Mönchsthums von seinen Anfangen bis zu dem Zustande, welchen Buddha vorfand, eine hervorragende Rolle gespielt haben: der Zusammenschluss der Mönche und Asketen zu Ordensgemeinschaften, und sodann die Emancipation zahlreicher oder gar der meisten und überwiegenden unter diesen Gemeinschaften von der Autorität des Veda.

Es scheint, dass diese beiden wichtigen Vorgänge durch eine Veränderung des geographischen Schauplatzes wesentlich mit beeinflusst worden sind. Wir sprachen im Eingang dieser Darstellung von dem Culturgegensatz der westlichen und der östlichen Länder des Gangesgebietes: das heilige Land des Veda, die Heimath vedischer Poesie und vedischer Speculation liegt im Westen; der Osten hat den Veda und das Brahmanenthum

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von dem geistig vorausgeeilten Westen überkommen, und völlig in Fleisch und Blut ist dies fremde Element ihm nicht übergegangen. Es weht im Osten eine andre Luft; wie die Sprache dort dem weichen l vor dem rauhen r des Westens den Vorzug giebt (lâjâ „König" für râjâ), ist das ganze Wesen lässlicher; der Brahmane ist dort weniger, der Fürst und das Volk mehr. Die Bewegung, die im Westen ihren Anfang genommen, verliert hier viel von dem was in ihr phantastisch abstrus war, vielleicht auch etwas von der kühnen Grossartigkeit und scharfen Consequenz der Ideen, und dafür gewinnt sie an populärer Kraft; Fragen, die im Westen vor Allem die Schulen und die geistige Aristokratie der Nation berührt hatten, verwandeln sich im Osten in Lebensfragen des Volkes. Um das mystische All-Eine der brahmanischen Speculation kümmert man sich hier wenig[16]; desto bestimmter treten die Vorstellungen vom Leiden alles Daseins, von der sittlichen Vergeltung, vom Reinwerden des Geistes, von der Erlösung in den Vordergrund. Es lässt sich nicht erkennen, dass erschütternde geschichtliche Ereignisse oder sociale Umwälzungen zu jener Zeit mit im Spiele waren, um die Geister auf Gedanken und Fragen wie diese mit besonderm Ernst und Nachdruck hinzuweisen. Das Christenthum hat in Zeiten schwerster Leiden, inmitten des Todeskampfes einer zusammenbrechenden Welt sein Reich gegründet. Indien lebte in gesicherter Ruhe; war die Regierung seiner Kleinstaaten die übliche orientalische Despotie, so kannte man das nicht anders und klagte darüber nicht; war die Kluft zwischen Armuth und Reichthum, zwischen

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Knechten und Herren eine weite — und das ist sie in jenem Lande zu allen Zeiten mit Naturnothwendigkeit gewesen — , so waren es keineswegs allein oder auch nur vorzugsweise die Armen und Bedrückten, die im Mönchskleide Befreiung von den Lasten der Welt suchten.

Wohl werden Stimmen voll bitterer Klagen laut über das Verderbniss der Zeit, über das unersättliche Begehren der Menschen, das von keinen Schranken weiss, bis der Tod kommt, der Arm und Reich gleich macht: „Ich sehe die Reichen in dieser Welt", sagt ein buddhistisches Sûtra[17]; „von den Gütern, die sie gewonnen, spenden sie Andern nichts in ihrer Thorheit; gierig häufen sie Schätze zusammen und weiter und immer weiter jagen sie nach Genuss. Der König, der das Erdreich bezwungen hätte, der bis zum Ocean das Land beherrschte diesseits des Meeres, unersättlich würde er begehren nach dem das jenseits des Meeres ist. Der König und andre Menschen viel, ungesättigt in ihren Lüsten fallen sie dem Tode zur Beute; . . . den Sterbenden erretten nicht Verwandte noch Freunde und Gefährten; sein Gut nehmen die Erben; er aber erhält den Lohn seiner Thaten; dem Sterbenden gehen keine Schätze nach, nicht Weib und Kind, nicht Besitz und Königreich". Und in einem andern Sûtra heisst es[18]: „Die Fürsten, die über Königreiche gebieten, reich an Schätzen und Besitz, sie kehren ihre Gier gegen einander, unersättlich den Lüsten fröhnend. Wenn diese also ruhelos trachten, im Strom der Vergänglichkeit schwimmend, von Gier und Gelüsten fortgerissen, wer mag da auf Erden in Ruhe wandeln"?

Aber aus Stellen wie diesen, wie sie ja den Moralpredigern aller Zeiten und aller Länder geläufig gewesen sind, dürfen wir nicht schliessen, dass damals eine Luft wehte, wie etwa zu Rom in den schwülen Zeiten des beginnenden

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Cäsarenthums. Für den Inder bedurfte es solcher Zeiten nicht, um ihn vor dem Bilde des Lebens, das ihn umgab, plötzlich erschrecken, um die Züge des Todes aus diesem Bilde hervorblicken zu lassen. Aus der Unerspriesslichkeit eines Daseins, dem man nicht gelernt hat einen Halt zu geben durch Arbeiten und Kämpfen um Ziele, die der Arbeit und des Kampfes werth sind, flieht man hinaus, um der Welt entsagend den Frieden der Seele zu finden. Mehr noch die Reichen und Vornehmen als die Armen und Geringen, mehr noch Jünglinge, lebensmüde ehe sie gelebt, als Greise, die vom Leben nichts mehr zu hoffen haben, Frauen und Jungfrauen verlassen ihre Häuser und legen das Mönchs- und Nonnengewand an. Ueberall begegnen wir Bildern von den Kämpfen, wie jeder Tag sie in jener Zeit gebracht haben muss, zwischen denen, die hinaus streben, und den Eltern, oder der Gattin, den Kindern, die den Entsagungsdurstigen zurückhalten; Züge unbezwinglicher Willenskraft werden erzählt von solchen, die allem Widerstand zum Trotz die Bande, welche sie an das heimische Leben fesselten, zu zerreissen gewusst haben.

Bald traten an mehr als einem Orte Lehrer auf, die von der vedischen Tradition unabhängig einen neuen, den einzig wahren Weg der Erlösung gefunden haben wollten, und den Lehrern fehlte es nicht an Schülern, welche sich auf ihren Wanderungen durch das Land ihnen anschlossen. Unter dem Schutz der absolutesten Gewissensfreiheit, die je bestanden hat, bildeten sich Secten über Secten, die Niggantha „die von Fesseln Befreiten“[19], die Acelaka „die Nackten", und wie

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weiter jene Mönchs- und Nonnengemeinschaften sich nannten, in deren Mitte die junge Gemeinde Buddha's eintrat. Der Name, den man diesen Personen selbstgewählten geistlichen Standes im Unterschied von den Brahmanen, deren Würde auf ihrer Geburt beruhte, gab, war „Samana", d. h. Asket; so hiess Buddha der Samana Gotama; seine Jünger nannte man „die Samana die dem Sakya-Sohne anhangen". Wahrscheinlich ist auch schon die eine und die andre unter den älteren Samana-Secten so weit gegangen, dem Lehrer, an dessen Person sie sich anschloss, ähnliche dogmatische Prädikate beizulegen, wie dies später die Buddhisten mit dem Begründer ihrer Gemeinde gethan haben: der Mann vom Stamme der Sakya ist nicht der einzige und wohl auch nicht der erste gewesen, der in Indien als „der Erleuchtete" (buddha) oder als „der Ueberwinder" (jina) geehrt worden ist; er war nur einer von den zahlreichen Weltheilanden und Lehrern der Götter- und Menschenwelt, die damals im Mönchsgewande predigend das Land durchzogen.

Die Wege der Erlösung, welche diese Meister ihre heilsbedürftigen Gläubigen führten, waren Legion; für uns, die wir hier nur die schwerlich unparteiischen Berichte der Buddhisten und Jainas besitzen, wird freilich das ernst Gedachte von platten oder abstrusen Einfällen weit überwogen. Da waren Asketen, die in Kasteiungen lebten, sich durch lange Zeiträume die Nahrung entzogen, sich nicht wuschen, sich nicht niedersetzten, auf Dornenlagern ruhten; da waren die Anhänger des Glaubens von der sühnenden Kraft des Wassers, die durch beständige Waschungen alle Schuld, die ihnen anhaftete, zu tilgen bedacht waren; andre trachteten Zuständen geistigen Versenktseins nach und suchten von aller Wahrnehmung sinnlicher Realitäten sich lösend mit dem Gefühl der „Raumunendlichkeit", oder der „Vernunftunendlichkeit", oder der „Nichtirgendetwasheit", und wie sie diese Zustände weiter benannten, sich zu durchdringen. Dass unter den

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vielerlei heiligen Männern auch die wunderlichen Heiligen nicht unvertreten waren, lasst sich denken : uns wird von einem „Hahnenheiligen" erzählt, dessen Gelübde darin bestand, seine Speise wie ein Hahn von der Erde aufzupicken und überhaupt in allen Dingen es den Hähnen nach Möglichkeit gleichzuthun; ein andrer Heiliger ähnlichen Schlages lebte als „Kuhheiliger", und so liefern die buddhistischen Berichte uns eine nicht geringe Musterkarte der verschiedenen Arten von Heiligen aus jenen Zeiten, von denen die Wenigsten ihre Heiligkeit vor dem Schicksal des Lächerlichen und vor ernsteren Gefahren als das Lächerliche ist, immer glücklich bewahrt zu haben scheinen.

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Sophistik.

Gewisse Erscheinungen, die in dem regen Treiben dieser asketischen und philosophirenden Kreise sich entwickelten, lassen sich als eine Art indischer Sophistik bezeichnen; wo ein Sokrates kommen soll, dürfen nun einmal die Sophisten nicht fehlen. Die Bedingungen, unter denen diese Sophistik entstand, sind in der That denjenigen, welche das griechische Gegenbild derselben hervorgerufen haben, durchaus gleichartig. Auf den Spuren der Männer, die in Griechenland mit ihren einfachen, grossen Ideen dem Denken die Bahnen geöffnet haben, wie die Eleaten und der dunkle Ephesier, folgten die Gorgias, die Protagoras und eine ganze Schaar geistvoller, formgewandter, frivol angehauchter Virtuosen der Dialektik und Rhetorik. In völlig gleicher Weise knüpfte in Indien an die ernsten Denker aus der strengen, klassischen Zeit der brahmanischen Speculation eine jüngere Generation von Dialektikern an, Disputirkünstler von überwiegend materialistischem oder skeptischem Anstrich, denen es nicht an Leichtigkeit und Geschick fehlte, die Ideen ihrer grossen Vorgänger

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nach allen Seiten hin zu wenden, zu modificiren, in ihr Gegentheil umschlagen zu lassen. System über System wurde, wie es scheint, mit ziemlich leichtem Baumaterial aufgeführt. Wir kennen wenig mehr, als eine Reihe von Schlagworten: da handelte es sich um Ewigkeit oder Vergänglichkeit der Welt und des Ich, oder um eine Vermittlung dieser Gegensätze, Ewigkeit nach einer Seite, Vergänglichkeit nach einer andern Seite, oder um Endlichkeit und Unendlichkeit der Welt, oder um die Behauptung von Endlichkeit und Unendlichkeit zugleich, oder um die Leugnung der Endlichkeit so gut wie der Unendlichkeit. Da tauchen die Anfänge eines logischen Skepticismus auf, die beiden Lehren, deren Schlagworte lauten: „Alles scheint mir wahr", und „Alles scheint mir unwahr", wo dann selbstverständlich dem Dialektiker, der Alles für unwahr erklärt, alsbald mit der Frage begegnet wird, ob er auch diese seine eigne Theorie, dass Alles unwahr sei, gleichfalls als unwahr anerkenne. Man streitet über die Existenz einer jenseitigen Welt, über die Fortdauer nach dem Tode, über die Freiheit des menschlichen Willens, über das Vorhandensein einer sittlichen Wiedervergeltung. Dem Makkhali Gosâla, welchen Buddha für den schlimmsten aller Irrlehrer erklärt haben soll[20], wird die Leugnung des freien Willens zugeschrieben: „es giebt keine Macht (zu handeln), es giebt keine Kraft, der Mann hat keine Stärke, der Mann hat keine Gewalt; alle Wesen, alles was da athmet, alles Seiende, alles Lebende ist ohnmächtig, machtlos, kraftlos; durch Schicksal, Fügung, Natur wird es seinem Ziele zugeführt" ; — jedes Wesen macht eine bestimmte Reihe von Wiedergeburten durch.

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an deren Abschluss der Thor so gut wie der Weise „ein Ende des Leidens macht.“ Und auch die Existenz einer sittlichen Weltordnung wird geleugnet; Pûrana Kassapa lehrt: „Wenn man auch am südlichen Ufer des Ganges einherzieht, mordet und morden lässt, zerstört und zerstören lässt, brennt und brennen lässt, man ladet keine Schuld auf sich; es giebt keine Strafe der Schuld. Wenn man auch am nördlichen Ufer des Ganges einherzieht, Gaben vertheilt und vertheilen lässt, opfert und opfern lässt, man thut damit kein gutes Werk; es giebt keinen Lohn für gute Werke." Und eine andre Fassung ähnlicher Lehren: „der Weise und der Thor fallen, wenn der Körper sich auflöst, der Zerstörung und dem Nichts anheim; sie sind nicht jenseits des Todes." In Disputationen vor Anhängern, Gegnern und grossen Volksmassen machten diese professionellen Disputirkünstler und „Haarspalter" — dies Wort kam schon damals in Indien auf — für ihre Theorien Propaganda; ähnlich, wenn auch ein gutes Theil plumper, wie ihre griechischen Doppelgänger, liessen sie prahlerische Verkündigungen ihrer dialektischen Unüberwindlichkeit vor sich ausgehen. Saccaka sagt: „ich kenne keinen Samana und keinen Brahmanen, keinen Lehrer, keinen Meister, kein Haupt einer Schule, auch wenn er sich den heiligen höchsten Buddha nennt, der, wenn er im Redekampf mir gegenübersteht, nicht zittern, wanken, erbeben, dem nicht der Schweiss ausbrechen würde. Und wenn ich eine todte Säule mit meiner Rede bekämpfte, würde sie vor meiner Rede erzittern, wanken, erbeben; wie viel mehr ein menschliches Wesen!“ Möglich, dass die Buddhisten, auf deren Berichte wir hier angewiesen sind, in ihrer Animosität gegen diese Klasse von Dialektikern die Farben stärker als billig aufgetragen haben; erdichtet ist der ganze Typus einer solchen Sophistik gewiss nicht. —

In diese Zeit tiefer und vielseitiger geistiger Bewegungen, die von den Kreisen brahmanischer Denker weit hinein in das Volk gedrungen waren, wo aus dem mühsamen Ringen der alten

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Zeit um ihre einfachen tiefen Gedanken schon die Virtuosität der dialektischen Routine sich entwickelt hatte, wo dialektischer Skepticismus anfieng, die sittlichen Ideen anzutasten — in diese Zeit, in welcher ein leidenschaftliches Verlangen nach Erlösung von der Last des Daseins mit den ersten Zeichen sittlicher Zersetzung sich berührte, fällt das Auftreten Gotama Buddha's.


73[Bearbeiten]

ERSTER ABSCHNITT.
Buddha's Leben.

[21]

ERSTES CAPITEL.
Die Beschaffenheit der Tradition. Legende und Mythus.


Es fehlt nicht an legendenhaft klingenden Erzählungen, welche die Buddhisten über den Stifter ihres Glaubens berichten. Erfahren wir aus ihnen etwas vom Leben Buddha's? Man ist weiter gegangen und hat gefragt: hat Buddha je gelebt? Oder wenigstens, da der Buddhismus ja doch einen Begründer gehabt haben muss: hat der Buddha je gelebt, den jene Erzählungen, allerdings in übermenschlicher Gestalt und von Wundern umgeben, uns vor Augen zu stellen scheinen?

Der geistvolle Kenner des indischen Alterthums, der sich mit dieser Frage am eindringendsten beschäftigt hat[22], Èmile Senart, beantwortet dieselbe mit einem entschiedenen Nein. Mag Buddha selbst irgendwo und irgendwie gelebt haben, der Buddha, von welchem die buddhistische Ueberlieferung weiss, hat nie gelebt. Dieser Buddha ist kein Mensch; seine

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Geburt, die Kämpfe, die er besteht, sein Tod sind nicht die eines Menschen.

Und was ist dieser Buddha? Von alten Zeiten her weiss die Natursage der Inder, wie die der Griechen und der Deutschen, von den Schicksalen des Sonnenheros zu sagen: von seiner Geburt aus der Morgenwolke, welche kaum dass sie ihm das Dasein gegeben, vor den Strahlen ihres leuchtenden Kindes selbst verschwinden muss; von seinem Kampf und Sieg über den finstern Dämon der Gewitterwolke; wie er dann triumphirend über das Firmament einherzieht, bis endlich der Tag sich neigt und der Lichtheld dem Dunkel erliegt.

Schritt für Schritt meint Senart in der Geschichte vom Leben Buddha' s die Geschichte vom Leben des Sonnenheros wiederzuerkennen: wie die Sonne aus den nächtlichen Wolken, geht er aus dem dunklen Mutterschooss der Mâyâ hervor; ein Lichtglanz dringt durch alle Welten, als er geboren wird; Mâyâ stirbt gleich der Morgenwolke, die vor den Sonnenstrahlen verschwindet. Wie der Sonnenheros den Gewitterdämon, überwindet Buddha unter dem heiligen Baume in heissem Kampf Mâra den Versucher; der Baum ist der dunkle Wolkenbaum am Himmel, um den der Gewitterkampf tobt. Als der Sieg errungen ist, macht sich Buddha auf, aller Welt sein Evangelium zu predigen, „das Rad der Lehre rollen zu lassen"; das ist der Sonnengott, der sein leuchtendes Rad über das Firmament rollen lässt. Endlich neigt sich das Leben Buddha' s dem Ende zu; noch erlebt er den schreckenvollen Untergang seines ganzen Hauses, des Çakya - Geschlechts, welches von den Feinden vernichtet wird, wie beim Sonnenuntergang die Mächte des Lichts im blutigen Roth der Abendwolke hinsterben. Nun ist auch für ihn selbst das Ende gekommen; die Flammen des Scheiterhaufens, auf dem der Leib Buddha's verbrannt ist, werden von Wasserströmen, die aus der Luft herabregnen, gelöscht, wie der Sonnenheld im Feuermeer seiner letzten Strahlen stirbt und in dem Nass

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der Abenddünste am Horizont die letzten Flammen seiner göttlichen Leichenfeier verschwinden.[23]

Für Senart hat Buddha, der wirkliche Buddha, zwar existirt; seine Realität ist ihm, da wir die Realität der von ihm gestifteten Gemeinde sehen, ein logisches Postulat. Aber mit dieser nackten Realität ist auch Alles erschöpft. Die Phantasie seiner Gläubigen heftete an seine Person das grosse Sagengedicht vom Leben des menschgewordenen Sonnengottes; das Leben des Menschen Buddha wurde vergessen.

Man kann die geistvollen Untersuchungen Senart's nicht lesen, ohne die Energie zu bewundem, mit welcher der französische Gelehrte den Veda wie die indischen Epen, die Literatur der Griechen wie die der nordischen Völker zwingt — ein wenig Zwang kann hier eben nicht entbehrt werden — für seinen solarischen Buddha Zeugniss abzulegen. Aber man ist befremdet, dass diese so umfassende Belesenheit ein Gebiet sich nicht dienstbar gemacht hat, dem, wo es sich um die Buddhalegende handelt, denn doch nicht minder wichtige Aufschlüsse zu entnehmen gewesen wären, als den homerischen Hymnen oder der Edda: die älteste uns erreichbare Literatur des Buddhismus selbst, die ältesten Aeusserungen der Gemeinde der Buddhajünger über die Person ihres Meisters. Senart legt seiner Kritik vor Allem die bei den nördlichen Buddhisten, in Tibet, China, Nepal gangbare legendarische Biographie Lalita—Vistara zu Grunde. Aber dürfte, wer etwa eine Kritik des Lebens Jesu zu geben vorhätte, das Neue Testament zur Seite legen und statt dessen nach den apokryphischen Evangelien oder nach irgend welchen mittelalterlichen Legendenbüchern greifen? Oder verdient das Gesetz der Kritik, welches die Ueberlieferung, ehe man sie beurtheilt, zu ihrer ältesten Gestalt zurückzuverfolgen gebietet, bei der Erforschung

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des Buddhismus nicht ebenso ernstlich befolgt zu werden wie bei der des Christenthums?

Die ältesten Traditionen des Buddhismus aber sind die, welche sich auf Ceylon erhalten haben und von den Mönchen dieser Insel bis auf den heutigen Tag studirt werden.

Während in Indien selbst die buddhistischen Texte von Jahrhundert zu Jahrhundert immer neuen Schicksalen unterlagen, während dort die Erinnerungen der alten Gemeinde immer mehr hinter der Poesie und der Phantasterei späterer Generationen verschwanden, blieb die Gemeinde von Ceylon dem einfältig schlichten „Wort der Alten" (Theravâda) treu. Der Dialekt selbst, in dem dasselbe überliefert war, trug dazu bei, vor Fälschungen es zu schützen, die Sprache der südindischen Länder, deren Gemeinden und Missionen bei der Bekehrung Ceylon's wenn nicht die erste Initiative[24], so doch naturgemäss den wichtigsten Antheil in Anspruch genommen haben müssen. Diese Sprache der aus Südindien herübergebrachten Texte („Pâli") ehrte man in Ceylon als heilige Sprache; man meinte, dass Buddha selbst und alle Buddhas vergangener Weltalter in ihr geredet hätten. Mochten in die auf der Insel selbst entstandene, in der ceylonesischen Volkssprache geschriebene religiöse Literatur die Legenden und Speculationen jüngerer Perioden eindringen, die heiligen Pâli- Texte blieben von denselben unberührt.

Die Pâli-Tradition vor Allem haben wir zu befragen, wenn wir wissen wollen, ob von Buddha und von seinem Leben uns Kunde erhalten ist.

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Da sehen wir nun zuvörderst, dass von Anfang an, so weit wir der Zeit nach die Aeusserungen des buddhistischen religiösen Bewusstseins zurückverfolgen können, die Ueberzeugung fest steht, dass die Quelle des seligmachenden Erkennens und heiligen Lebens das Wort eines Lehrers und Stifters der Gemeinde ist, den man als den Erhabenen (bhagavâ) oder als den Erkennenden, den Erleuchteten (buddha) bezeichnet. Wer in die geistliche Brüderschaft einzutreten begehrt, spricht dreimal die Worte: „Ich nehme meine Zuflucht beim Buddha; ich nehme meine Zuflucht bei der Lehre; ich nehme meine Zuflucht bei der Gemeinde". Bei der halbmonatlichen Beichtfeier, deren Liturgie den allerältesten Denkmälern des buddhistischen Gemeindelebens zugehört, ermahnt der Mönch, welcher die Feier leitet, die anwesenden Brüder, keine Sünde, die sie begangen, zu verschweigen, denn Verschweigen ist Lügen, „wissentliche Lüge aber, ihr Brüder, bringt Zerstörung; also hat der Erhabene gesagt." Und dieselbe Beichtliturgie characterisirt Mönche, die sich zu Irrlehren bekennen, dadurch dass sie ihnen die Worte in den Mund legt: „also verstehe ich die Lehre, die der Erhabene verkündet hat", u. s. w. Ueberall wird als Quelle der Wahrheit und des heiligen Lebens nicht eine unpersönliche Offenbarung, auch nicht das eigene Denken für sich allein, sondern die Person, das Wort des Meisters, des Erhabenen, des Buddha anerkannt.

Und diesen Meister betrachtet man nicht als einen Weisen der grauen Vorzeit, sondern man weiss von ihm als von einem Menschen, der in nicht ferner Vergangenheit gelebt hat. Von seinem Tode bis zum Concil der siebenhundert Aeltesten zu Vesâlî (um 380 vor Chr.) rechnet man ein Jahrhundert, und es kann für ausgemacht gelten, dass die grosse Hauptmasse der heiligen Texte, in welchen von Anfang bis zu Ende seine Person und sein Lehren im Mittelpunkt steht, in denen von seinem Leben und von seinem Tode erzählt wird, noch vor dieser Kirchenversammlung verfasst worden ist; die ältesten

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Bestandtheile dieser Texte, wie die eben erwähnte Beichtliturgie, gehören sogar aller Wahrscheinlichkeit nach viel eher dem Anfang als dem Ende dieses ersten Jahrhunderts nach Buddha's Tode an. Die Zeit also, welche die zu vernehmenden Zeugen von den Ereignissen, über welche sie zu zeugen vorgeben, trennt, ist kurz genug; sie ist nicht viel länger, vielleicht überhaupt nicht länger, als die Zwischenzeit zwischen dem Tode Jesu und der Abfassung unsrer Evangelien. Ist es glaublich, dass während eines solchen Zeitraums in der Gemeinde Buddha's alle ächte Erinnerung an sein Leben durch das auf seine Person übertragene Sagengedicht vom Sonnenhelden verdrängt werden konnte? Verdrängt werden unter einer Genossenschaft von Asketen, in deren Ideenkreise, nach dem Zeugniss der Literatur, die sie uns hinterlassen haben, eher alles Andre lebendige Geltung hatte, als eben jene Natursagen?

Prüfen wir nun naher, wie sich das Gesammtbild der Zeit, von der die heiligen Texte reden, zu der Frage nach der Persönlichkeit Buddha's stellt. Die Pâli-Bücher geben uns eine überaus concrete Vorstellung von dem Treiben der geistlichen Welt Indiens in der Periode, in welche Buddha, wenn er wirklich gelebt hat, hinein gehören muss; wir erfahren die anschaulichsten Details von all den heiligen Männern, die bald für sich allein, bald zu Gemeinden zusammengeschaart, mit und ohne Organisation, die Einen tiefer, die Andern platter dem Volke Heil und Erlösung verkündeten. Unter Andern werden da als Zeitgenossen Buddha's sechs grosse Lehrer, für die Buddhisten natürlich Irrlehrer, die Häupter von sechs andersgläubigen Sekten genannt, und einen von ihnen, den Nâtaputta, finden wir, nach Bühler's und Jacobi's schöner Entdeckung, in den Texten der noch heute in Indien zahlreich vertretenen Jaina-Sekte als den Stifter des Glaubens und als den Heiland dieser Sekte wieder, bei welcher er eine Stellung einnimmt genau derjenigen analog, die in den Texten

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der Buddhisten Buddha beigelegt wird. Für diesen Nâtaputta also sind wir in der Lage, zwei Reihen von Zeugnissen zu besitzen, die seiner eignen Anhänger, für welche er der Heilige, der Erleuchtete, der Sieger (Jina), der Buddha ist — auch diesen letzten Ausdruck brauchen die Texte der Jainas — , und die Angaben der Buddhisten, die ihn als irrlehrerisches Asketenhaupt, als einen falschen Prätendenten auf die Würde, die in Wahrheit dem Buddha gebührt, kennzeichnen. Zufällig machen sowohl die Buddhisten wie die Jainas den Ort namhaft, an welchem Nâtaputta gestorben ist; beide nennen denselben Ort, die Stadt Pâvâ: ein kleiner aber keineswegs unerheblicher Beitrag zur Würdigung dieser Ueberlieferungen. Die Uebereinstimmung der Zeugnisse über einen Nebenumstand dieser Art macht uns fühlbar, dass wir uns hier auf dem festen Boden historischer Realität bewegen.

Es ist evident, dass Buddha ein Mönchshaupt war von eben demselben Typus, dem auch jener Nâtaputta angehörte, dass er in der Tracht und mit allem was die äussere Erscheinung eines Asketen ausmachte, von Stadt zu Stadt zog, lehrte und einen Kreis von Jüngern um sich sammelte, denen er ihre einfachen Ordnungen gab, wie die Brahmanen und die andern Mönchsgenossenschaften die ihren halten.

Ich meine, so viel wenigstens dürfen wir auch im allerungünstigsten Fall als unser sicheres Wissen, so sicher wie ein Wissen von derartigen Dingen überhaupt sein kann, in Anspruch nehmen.

Aber ist hiermit das für uns Erreichbare erschöpft? Sind in der Sagenmasse, welche die Ueberlieferung bietet, nicht noch weitere, bestimmtere Züge von geschichtlicher Realität auffindbar, die zu jenem ersten Umriss hinzukommen, ihn zu beleben ?

Wir wollen, um diese Frage beantworten zu können, zunächst das Aussehen dieser Ueberlieferung des Näheren beschreiben.

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Als Hauptsatz muss hier vorangestellt werden: eine Biographie Buddha's aus alter Zeit, aus der Zeit der heiligen Pâli-Texte ist uns nicht erhalten und hat es, wie wir mit Sicherheit sagen können, nicht gegeben.[25] Und dies ist auch recht wohl begreiflich. Der Begriff der Biographie war an sich dem Bewusstsein jener Zeit fremd. Das Leben eines Menschen als ein Ganzes, seine Entwicklung von^ Anfang bis zum Ende


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als einheitlichen Vorwurf für literarische Behandlung zu erfassen, dieser Gedanke, so natürlich und selbstverstäDdlich er uns erscheint, war in jener Zeit noch nicht gedacht worden.

Es kam dazu, dass damals das Interesse am Leben des Meisters durchaus hinter dem auf seine Lehre gerichteten zurücktrat. Ist es doch in den Kreisen der altchristlichen Gemeinde und in denen der sokratischen Schule nicht anders ergangen. Lange, ehe man anfieng, das Leben Jesu in der Weise unsrer Evangelien aufzuzeichnen, war in den jungen Gemeinden eine Sammlung von Reden und Aussprüchen Jesu (ιόγία χυριαχά) verbreitet; dieser Sammlung war von eigentlich erzählendem Stoff eben nur dasjenige beigefügt, was nöthig war, um die Veranlassung, die äussern Umstände, unter denen die einzelnen Reden gehalten worden, mitzutheilen. Auf irgendwelchen historischen Pragmatismus oder auf chronologische Treue machte diese Sammlung von Reden Jesu keinen Anspruch. Aehnlich die sokratischen Denkwürdigkeiten des Xenophon. Die Art und Weise des sokratischen Wirkens wird hier an einer reichen Fülle einzelner Gespräche des Sokrates veranschaulicht. Das Leben des Sokrates aber hat uns weder Xenophon noch irgend einer der alten Sokratiker mitgetheilt. Was sollte sie auch dazu bewegen? Die Gestalt des Sokrates war den Sokratikern merkwürdig durch die Worte der Weisheit, die von den Lippen des grossen Sonderbaren gekommen sind, nicht durch ihre ärmlichen äussern Lebensschicksale.

Die Entwicklung der Ueberlieferungen von Buddha entspricht diesen Gegenbilden so genau wie möglich. Früh hat man angefangen, die Reden, die der grosse Lehrer gehalten, oder wenigstens Reden in der Art und Weise, wie er sie gehalten, zu fixiren und in der Gemeinde zu überliefern. Wo und zu wem er jedes Wort gesagt hatte oder gesagt haben sollte, unterliess man nicht zu bemerken; das gehörte dazu, die Situation concret zu fixiren und dadurch die Authenticität

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der betreffenden Worte Buddha's über jeden Zweifel zu verbürgen. Wann Buddha aber so oder so geredet, danach fragte man nicht. Die Erzählungen heben an: Zu einer Zeit — oder: zu dieser Zeit verweilte der erhabene Buddha an dem und dem Orte; eine Zeitangabe, die keine ist. Für das Wann der Dinge hat man überhaupt in Indien nie ein rechtes Organ gehabt. Und vollends im Leben eines Asketen, wie Buddha war, verfloss ein Jahr nach dem andern so vollkommen gleichmässig, dass es der Gemeinde als sehr überflüssig erscheinen musste, zu fragen: wann ist dies und das geschehen, dies und das Wort gesprochen worden? — falls man überhaupt an die Möglichkeit einer solchen Frage gedacht hat[26].

Gewisse Ereignisse aus dem Laufe seines Wanderlebens, Begegnungen mit diesem und jenem andern Lehrer, mit diesem und jenem weltlichen Gewalthaber, verbanden sich mit der Erinnerung an die eine und die andre wirkliche oder erfundene Rede; vor Allem die Anfangsstadien seiner öffentlichen Laufbahn, die Bekehrung seiner ersten Jünger, und dann wieder das Ende, seine Abschiedsreden von den Seinen und sein Tod standen erklärlicherweise im Vordergrunde dieser Erinnerungen. So hatte man biographische Fragmente, aber eine Biographie ist erst in viel späterer Zeit aus ihnen geformt worden.

Verhältnissmässig spärlich sind in den altem Quellen die Nachrichten von dem früheren Leben Buddha's, von der Zeit vor dem Beginn seiner Lehrwirksamkeit, oder um mit den Indern zu reden, der Zeit vor Erlangung der Buddhaschaft,

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als er das erlösende Wissen, welches ihn zum Lehrer der Götter- und Menschenwelt machte, noch nicht besass, sondern suchte. Dass wir von diesen Zeiten weniger hören, ist erklärlich. Das Interesse der Kirche haftete nicht so sehr an der irdischen Person des Kindes und Jünglings aus dem Hause der Çakya, als an der Person des „erhabenen, heiligen, universalen Buddha“. Man wollte wissen, was er geredet von dem Zeitpunkt an, wo er zum Buddha geworden war; dahinter trat jedes andre Interesse, selbst das Interesse an seinem Kampf um die Buddhaschaft zurück[27]. Erst spätere Jahrhunderte, die in ganz anderm Massstabe als die alte Zeit die Geschichte Buddha's mit Wundern über Wunder ausgestattet haben, wandten sich mit besonderer Vorliebe dazu, die Gestalt des gebenedeiten Kiindes mit den ausschweifendsten Schöpfungen einer schrankenlosen Phantasie zu umgeben.

Prüfen wir nun die Ueberlieferung, und zwar die ältere, in den heiligen Pâli-Texten enthaltene Ueberlieferung, um festzustellen, welcher Art die in ihr sich findenden sagenhaften Elemente sind.

Es versteht sich von selbst, dass dem gläubigen Bewusstsein das irdische Erscheinen des Welterlösers sich auch äusserlich als ein Ereigniss von unvergleichlichem Gewicht zu erkennen geben muss; für den Inder, der bei den kleinsten Vorfällen des eignen täglichen Lebens gewohnt war und ist,

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auf die begleitenden Zeichen zu achten, wäre es die unmöglichste Vorstellung gewesen, dass nicht schon die Empfängniss des erhabenen, heiligen, universalen Buddha von den gewaltigsten Zeichen und Wundern hätte angekündigt, gleichsam von dem ganzen Universum hätte mitgefeiert sein sollen. Ein unermesslicher Lichtglanz dringt durch das All; die Welten erbeben; die vier Gottheiten, welche die vier Himmelsgegenden in ihrer Obhut halten, kommen herbei, um über der schwangern Mutter zu wachen. Nicht minder ist die Geburt von Wundern begleitet. Die Brahmanen besassen Aufzählungen der körperlichen Zeichen, die dem Menschen Glück und Unglück bedeuten; das Buddhakind muss selbstverständlich alle heil verkündenden Zeichen in der höchsten Vollendung an sich tragen, in derselben Vollendung, wie ein weltbeherrschender Monarch; die Zeichendeuter sagen: „wenn er ein weltliches Leben wählt, wird er zum Weltherrscher; entsagt er der Welt, wird er zum Buddha."

Wir brauchen die legendarischen Züge dieser Art nicht zu häufen; ihr Character kann nicht missverstanden werden. Wie es für das Bewusstsein der Christengemeinde sich von selbst verstand, dass alle Macht und Herrlichkeit, welche die Propheten des alten Testamentes besessen, in erhöhtem Glänze der Person Jesu beigewohnt haben musste, so war es natürlich, dass die Buddhisten alle Wunder und Vollkommenheiten, die nach indischer Vorstellung den gewaltigsten Helden und Weisen zukommen, dem Stifter ihrer Gemeinde beilegten. Unter den Grundlagen aber, auf welchen die indischen Anschauungen über das, was zu einem allgewaltigen Helden und Weltüberwinder gehört, beruhen, fehlt selbstverständlich nicht der alte, in seiner ursprünglichen Bedeutung längst unverständlich gewordene Naturmythus; und so kann es nicht überraschen, wenn der eine und der andre unter den Zügen, die im Kreise der Mönche und der gläubigen Laienbrüder zur Verherrlichung Buddha's erzählt wurden, zuletzt, durch manche Vermittlungen

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hindurch, mit dem zusammenhängt, was viele Jahrhunderte zuvor unter den Hirten und Bauern der vedischen Zeit, und noch viel früher unter den gemeinsamen Vorvätern des indischen, griechischen, deutschen Stammes die Volksphantasie von dem Sonnenhelden, dem strahlenden Vorbild alles irdischen Heldenthums gedichtet hatte. Dies das Element des Richtigen, welches der Theorie Senart's von dem solarischen Buddhaheros nicht abgesprochen werden darf.

Bei einer zweiten Gruppe legendarischer Züge kann es zum Theil schon zweifelhaft sein, ob wir in ihnen nicht geschichtliche Erinnerung besitzen. Flossen die bisher erwähnten Elemente der Buddhatradition aus dem allgemeinen Glauben an Buddha's Alles überragende Macht und Herrlichkeit, so wurzeln die bei weitem wichtigeren und hervortretenderen Züge, von denen wir jetzt sprechen wollen, theils in den speciellen theologischen Prädicaten, welche die buddhistische Speculation dem Heiligen, Erkennenden, Erlösten beilegte, theils in den äussern Vorkommnissen, die im Leben der indischen Asketen gäng und gebe waren und mithin nach einem Schluss, wie er der Legende so natürlich ist, auch im Leben Buddha's, des idealen Asketen, nicht gefehlt haben dürfen.

Was den Buddha zum Buddha macht, ist, wie sein Name sagt, sein Erkennen. Dies Erkennen besitzt er nicht, wie etwa Christus, vermöge einer alles Menschliche überragenden metaphysischen Hoheit seines Wesens, sondern er hat es erworben, bestimmter ausgedrückt, erkämpft. Der Buddha ist zugleich der Jina, d. h. der Sieger. Der Geschichte des Buddha muss deshalb die Geschichte des Kampfes um die Buddhaschaft vorangehen.

Zum Kampf gehört ein Feind, zum Sieger ein Besiegter. Dem Fürsten des Lebens muss der Fürst des Todes gegenüberstehen. Wir sahen, wie für das indische Bewusstsein sich die Identification zwischen dem Reich des Todes und dem Reich dieser Welt vollzogen hat; wir erinnern uns der Rolle

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des Todesgottes in der vedischen Dichtung von Naciketas, welchem er langes Leben und alle Fülle der Lust verheisst, damit er auf das Erkennen verzichte. So tritt auch dem nach der Buddhaschaft ringenden Asketen Mâra, der Tod entgegen, der Herr aller Weltlust, die ja nichts ist, als der verhüllte Tod. Auf Schritt und Tritt folgt Mâra seinem Feinde und wartet des Augenblicks der Schwäche, um sich seiner Seele zu bemeistern. Es kommt kein solcher Augenblick. Durch mancherlei Misslingen, durch schwere innere Kämpfe hindurch bleibt Buddha fest.

Als er im Begriff ist, die erlösende Erkenntniss, welcher all sein Ringen gilt, zu ergreifen, tritt Mâra zu ihm, um mit versuchenden Worten ihn von dem Wege des Heils abzulenken. Vergeblich. Buddha erlangt das seligmachende Wissen und die höchste Heiligkeit.

Wir wählen die Erzählung von diesem letzten Kampf und Sieg, um an ihr den Gegensatz der Senart'schen und unsrer eignen Auffassung von dem Wesen dieser Legenden zu veranschaulichen.

Wie erzählt die alte Gemeinde die Geschichte von der Erlangung der erlösenden Erkenntniss? Was ist ihr an diesem Vorgang das Wesentliche? Durchaus nur dies, dass Buddha, durch eine Reihe ecstatischer Zustände hindurchgehend, unter einem Baume sitzend in den drei Nachtwachen einer Nacht das dreifache heilige Wissen erlangt, dass seine Seele von allem sündigen Wesen frei wird und ihm die Erlösung sammt der Erkenntniss von seiner Erlösung zu Theil wird[28]. Diese rein theologischen Elemente der Erzählung überwiegen an Wichtigkeit für die Vorstellung der alten Gemeinde den Kampf gegen Mâra bei Weitem; wo in den heiligen Pâli-Texten die Erlangung der Buddhaschaft erzählt wird, ist auch nicht mit einem Wort von Mâra die Rede.

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Einige Stellen der Texte[29] aber erzählen für sich allein Begegnungen Buddha's mit Mâra; bald werden dieselben in die Zeit kurz vor, bald kurz nach der Erlangung der Buddhaschaft verlegt. Mit verführerischem Wort trachtet Mâra danach, ihn von dem Wege der Heiligkeit zu entfernen; es wird auch von Versucherinnen erzählt, die, als der Versucher selbst schon Alles verloren gegeben hat, den Kampf von Neuem aufnehmen: die Töchter Mâra's, mit Namen Begier, Unruhe, Lust. Buddha bleibt unentwegt in seiner seligen Ruhe.

Dies die schmucklosen Vorstellungen der alten Gemeinde. Die einfachen Gedanken, aus denen heraus dieselben sich gebildet haben, liegen, scheint es, so klar zu Tage, dass es selbst für den Scharfsinn Senart's keine leichte Aufgabe sein würde, zu zeigen, dass dies der alte Naturmythus vom Siege des Sonnenhelden über die Wolkendämonen ist. Senart versucht dies auch nicht, sondern er lässt diese Fassung der Legende vollkommen unbeachtet.

Statt ihrer legt er seiner Kritik das Zaubermärchen zu Grunde, in welches der groteske Geschmack späterer Zeiten jene alte Erzählung verwandelt hat[30]. Buddha setzt sich unter dem Baum der Erkenntniss nieder mit dem festen Entschluss, nicht aufzustehen, bis er die erlösende Erkenntniss errungen. Da naht Mâra mit seinen Heerschaaren; die Dämonenmassen dringen mit feurigen Waffen, unter dem Wirbeln von Orkanen, Finsternissen, niederströmenden Wasserfluthen auf Buddha ein, ihn vom Baume zu vertreiben; Buddha hält unbewegt Stand; endlich fliehen die Dämonen.

Man müsste, wollte man ein vollständiges Bild der

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mythologischen Phantasien Senart's geben, die Geschichte von diesem Kampf Buddha's und der Dämonen viel eingehender wiedergeben, als ich mich bei diesem wüsten und plumpen, dem älteren Buddhismus vollkommen fremden Mirakel- und Sensationstableau dazu entschliessen kann. Ich beschränke mich auf die Erörterung einiger characteristischer Züge.

Der Baum unter dem Buddha sitzt. Mâra will ihn von demselben verdrängen, d. h. natürlich, er will den Entschluss Buddha's, nicht aufzustehen, ehe die Erlösung errungen ist, zu Schanden machen. Der Dämon spricht: der Sitz gehört dir nicht, er gehört mir.

Also, schliesst Senart, das wahre Objekt des Kampfes ist der Baum. Der Baum gehört Mâra; Buddha hat ihn in Besitz genommen. Ihm die Erlösung streitig machen und den Baum ihm streitig machen, ist dasselbe. Wie kommt der Baum zu dieser Wichtigkeit? Welches ist das Band, das an den Besitz des Baumes den Besitz des erlösenden Wissens knüpft, auf welches Buddha's Trachten gerichtet ist?

Der Veda weiss von dem Himmelsbaum, den der Blitz zerschlägt; die Mythologie der Finnen kennt die himmlische Eiche, welche der Sonnenzwerg umstürzt. Yama, der Todesgott des Veda, sitzt trinkend mit den Schaaren der Seligen unter einem schön belaubten Baum, wie in der nordischen Sage Hel´s Sitz an der Wurzel der Esche Yggdrasill ist.

Der Baum ist der Wolkenbaum; in der Wolke ist das himmlische Nass gefangen und wird vom finstern Dämon bewacht; um die Wolke und um das Ambrosia, welches sie birgt, kämpfen in der Vedasage die Mächte des Lichtes und der Finsterniss ihren grossen Kampf: eben das ist der Kampf Buddha' s mit den Schaaren des Mâra. In der Wolkenschlacht wird das Ambrosia (amrita), das in der Wolke weilt, errungen; die Erleuchtung und Erlösung, welche Buddha erkämpft, wird auch ein Ambrosia (amrita) genannt; das Reich des Wissens ist das Land der Unsterblichkeit (padam amritam).

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Dies die Deutung Senart's.

Hätte der scharfsinnige Gelehrte sie angestellt, wenn ihm die alte Erzählung von dem Vorgang unter dem Baume gegenwärtig gewesen wäre, welche allein aus dogmatischen Elementen wie der Beschreibung der vier Ecstasen und des dreifachen von Buddha erworbenen Wissens gebildet ist? Wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass Buddha und Mâra in den älteren Texten gar nicht unter dem Baum, noch weniger um den Baum kämpfen? Dass das Einzige, was wir in jenen Texten von dem Baum der Erkenntniss, dem angeblichen Wolkenbaum und Ambrosiabaum hören, nur dies ist, dass Buddha an seinem Fuss sass, als er in jene Meditationen, die ihn zur höchsten Erkenntniss gefuhrt haben, sich versenkte?[31] Wo sassen in Indien zu Buddha' s Zeiten und wo sitzen dort heutzutage Asketen, die kein häusliches Obdach haben, und wanderndes Volk anders als am Fuss eines Baumes[32]? Wir sind

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nicht vergleichende Mythologen und erinnern uns, dass ausser den Wolkenbäumen, die vom Blitz zerschmettert oder vom Sonnenzwerg umgestürzt werden, auch auf dieser Erde Bäume wachsen, und wir gehen so weit zu vermuthen, dass die Bäume, an deren Fuss Gotama Buddha zu sitzen und zu meditiren pflegte, dieser zweiten, zwar viel weniger tiefsinnigen aber doch auch recht weit verbreiteten Klasse von Bäumen angehört haben.

Und nicht glücklicher, als mit dem Baum der Erkenntniss, sind wir darin, uns von dem mythischen Gehalt der andern Elemente jener Erzählung[33] überzeugen zu können. Die Dämonen, welche gegen Buddha anstürmen, schleudern Berge

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von Feuer, Bäume mit ihren Wurzeln, glühende Eisenmassen, und „wie wenn diese so klare und so bekannte Symbolik noch nicht genügte, vollenden Regen, Finsternisse, Blitze das Bild und stellen sich als die characteristischten Züge der ganzen Scene dar[34]." Uns will es scheinen, als ob nichts weniger characteristisch sein kann, als gerade diese Züge; für den Angriff dämonischer Heerschaaren bietet sich der Phantasie nichts natürlicher und nothwendiger dar, als eine Staffage von Blitz, Donner und Finsternissen[35]. Oder sind die Geister, von denen Caliban auf der Zauberinsel so lästig und lustig gepeinigt wird, auch Gewitterdämonen?

Der besiegte Mâra wird einem Rumpf ohne Hände und Füsse verglichen[36], und ganz ebenso wird im Veda der Wolken- dämon Vritra, den Indra mit seinem Donnerkeil zerschmettert, „fusslos und handlos" genannt. Aber was da von Mâra gesagt wird, ist nicht mehr als eine unter hundert für ihn gebrauchten Vergleichungen und beweist schon deshalb nicht viel; und ausserdem, kann man Hand und Fuss nicht auch in andern Schlachten verlieren, als eben in der Gewitterschlacht?

Aber genug von diesen Seltsamkeiten der Sonnenscheintheorie. Wir können mit einem Wort sagen: die Züge, aus denen die Geschichte von der Erlangung der Buddhaschaft, und, fügen wir hinzu, zahlreiche gleichartige Erzählungen der Buddhalegende bestehen, sind nicht aus der Mythologie des Veda oder gar der Edda, sondern aus der Dogmatik der buddhistischen Erlösungslehre und aus den äussern Bedingungen

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und Gewohnheiten des buddhistischen Asketenlebens zu erklären.

Ein Zweifel jedoch, dies liegt auf der Hand, ist bei dieser Erklärungsmethode nie völlig zu überwinden. In jedem einzelnen Fall, in dem es gelungen ist, die Buddha beigelegten Erlebnisse als häufige oder gar regelmässige Vorfälle im Leben der indischen Asketen überhaupt zu erweisen, kann man auf doppelte Weise weiter schliessen. Entweder: wir haben hier glaubwürdige Erinnerungen vor uns, denn wir sehen, dass die Dinge sich eben so zu ereignen pflegten. Oder: wir haben hier keine glaubwürdigen Erinnerungen vor uns; gerade weil der regelmässige Gang, den die Dinge in der Zeit nach Buddha nahmen, eben dieser ist, musste die Legende von Buddha's Leben gerade diesen und keinen andern Verlauf der Sache erdichten.

Mit Sicherheit zu entscheiden, welche von beiden Schlussreihen in jedem Fall die richtige ist, ist schlechterdings unmöglich. Man wird, an diesem Punkt der Untersuchung angelangt, theils rückhaltlos sich in die Grenzen, die hier dem Forschen gesetzt sind, finden müssen, theils wird man sich wenigstens begnügen, für die grössere oder geringere Wahrscheinlichkeit einer der beiden Alternativen sich zu entscheiden, wo es dann natürlich nicht gelingen kann, von den ausschlaggebenden Momenten dasjenige des subjectiven Gefühls ganz zu entfernen.

Abstrahiren wir nun von den Traditionen der bezeichneten Kategorien, welche sämmtlich unhistorisch oder doch des unhistorischen Characters verdächtig sind, so behalten wir als festen Kern der Erzählungen von Buddha eine Reihe positiver Thatsachen übrig, die wir als einen zwar sehr bescheidenen, aber vollkommen gesicherten Besitz für die Geschichte in Anspruch nehmen dürfen.

Wir wissen von Buddha's Heimath und von dem Geschlecht, aus welchem er stammte. Wir wissen von seinen

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Eltern, von dem frühen Tode seiner Mutter, von deren Schwester, die den Knaben aufgezogen hat. Wir kennen eine Anzahl weiterer Angaben ähnlicher Art, die sich auf die verschiedenen Theile seines Lebens erstrecken. Es wäre ja auch selbst auf indischem Boden undenkbar, dass die Gemeinde, die sich nach dem Namen des Sakyasohnes nannte, ein Jahrhundert nach seinem Tode nicht mehr, wenn auch von Legenden eingehüllt, die correcte Erinnerung an die wichtigsten Namen der Personen um Buddha herum und an gewisse äussere Grundthatsachen seines Lebens bewahrt haben sollte. Wer hielte es für möglich, dass unter den jungen Christengemeinden des ersten Jahrhunderts die Kunde von Joseph und Maria, von Petrus und Johannes, von Judas und Pilatus, von Nazareth und Golgatha hätte verloren gehen oder durch Erfindungen verdrängt werden können? Hier wenn irgendwo gilt es, einfache Facta einfach hinzunehmen.

Oder irren wir und ist die Kritik in ihrem Rechte, welche auch hier argen Trug enthüllt? Muss nicht schon der Name von Buddha' s Vaterstadt, Kapilavatthu, Verdacht erregen? Die Stätte des Kapila, des mythischen Urweisen Kapila, des Begründers der Sânkhya-Lehre</ref> Die angebliche Herkunft des Buddhismus aus der Sânkhya- Philosophie spielt in manchen Darstellungen des einen wie der andern eine Hauptrolle. Ich weiss darüber nichts Besseres zu sagen, als was Max Müller gesagt hat (Chips from a German Workshop I, 226): „We have looked in vain for any definite similarities between the system of Kapila, as known to us in the Sänkhyasûtras, and the Abhidharma, or the metaphysics of the Buddhists."</ref>? Wie sollte man in einem solchen Namen nicht mythologische, allegorische, literarhistorische Geheimnisse suchen und dann natürlich auch finden? Zumal wenn man, wie Senart[37], der Ansicht ist, dass nicht einmal

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die blosse Existenz einer solchen Stadt uns durch irgend ein genügendes Zeugniss verbürgt ist.

Sind die Zeugnisse wirklich ungenügend? Die chinesischen Pilger, welche im fünften und siebenten Jahrhundert n. Chr. Indien bereisten, sahen die Ruinen der Stadt[38]. Aber, wirft Senart ein, den Ruinen kann man nicht ansehen, ob die Stadt, welcher sie zugehören, Kapilavatthu geheissen hat. Ansehen allerdings leider nicht, obwohl der an Ort und Stelle erhaltenen Tradition über die Stadt und in diesem Fall auch den zur Zeit jener Chinesen dort vorhanden gewesenen Monumenten immerhin ein gewisses Gewicht beizumessen sein wird. Die beste Bestätigung aber für das, was die chinesischen Pilger aussagen, liegt darin, dass die gelegentlichen directen Angaben und indirecten Andeutungen der heiligen Pâlibücher über die Lage der Stadt und andrerseits die Reiserouten der Pilger, welche dieselbe besuchten, wenn man Beides auf der Karte von Indien verfolgt, genau zusammen passen; zum Ueberfluss findet sich eben da, wo diesen Zeugnissen zufolge Buddha's Heimath gewesen sein muss, ein Flüsschen, welches noch heute denselben Namen trägt (Rohini) wie ein in den Buddhatraditionen mehrfach erwähntes Flüsschen im Lande der Sakya. Ich meine, stärkere Beweise kann man bei einer früh untergegangenen Stadt in einer Gegend, in welcher systematische Ausgrabungen bis jetzt nicht gemacht sind, unmöglich erwarten[39]

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Auch Buddha's Mutter Mâyâ (d. h. „Wundermacht") ist durch ihren vielsagenden Namen für die Kritik bedeutsam geworden. Für Senart ist Mâyâ, die wenige Tage nach der Geburt ihres Sohnes stirbt, der Morgendunst, der vor den Strahlen der Sonne verschwindet. Wenn andrerseits Weber[40] früher im Namen Mâyâ's einen Bezug auf die kosmogonische Potenz der Mâyâ in der Sânkhya-Philosophie hatte erkennen wollen, so hat er selbst neuerdings diese Ansicht zurückgezogen und daran erinnert, dass der Begriff der Mâyâ nicht der Sânkhya-Lehre, sondern dem Vedântasystem zugehört; man kann hinzufügen, dass den altbuddhistischen Texten überhaupt jeder philosophisch-mystische Begriff der Mâyâ gänzlich fremd ist, also auch nicht einem solchen Begriff zu Liebe der Name für Buddha's Mutter erfunden sein kann[41].

Wir müssen bekennen, dass wir zu der Ueberlieferung grösseres Vertrauen haben. Wir glauben, dass die Stadt Kapilavatthu einst vorhanden gewesen ist, dass Buddha dort seine Jugend verlebt hat, und dass die heiligen Texte seine

38)erwägt, was die Epen, die ja in westlicheren Theilen Indiens verfasst sind und deren Handlung grösstentheils in westlicheren Ländern spielt, für die Geographie des Ostens der Halbinsel ergeben und was sie nicht ergeben, wird ihr Schweigen über das gewiss nicht sehr bedeutende, überdies früh zerstörte Kapilavatthu sehr erklärlich finden.

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Mutter Mâyâ nennen nicht um mythischer oder allegorischer Geheimnisse willen, sondern weil sie so hiess.

Treten wir nun, nachdem wir unsre Ansicht über den Werth der Ueberlieferung entwickelt, an die Darstellung der Lebensgeschichte Buddha's selbst heran.


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ZWEITES CAPITEL.
Buddha's Jugend.

in dem Lande und in dem Geschlecht der Sakya („der Gewaltigen“) ist etwa um die Mitte des sechsten Jahrhunderts vor Christus der adlige Knabe Siddhattha geboren worden. Bekannter als dieser Name, den er im häuslichen Kreise geführt zu haben scheint, sind andere Benennungen desselben geworden. Als predigend durch Indien ziehender Mönch war er seinen Zeitgenossen „der Asket Gotama" — diesen Beinamen hatten die Sakya nach der Sitte indischer Adelshäuser von einem der altvedischen Sängergeschlechter entlehnt — : uns ist kein andrer Name für diesen berühmtesten aller Inder gleich geläufig, wie derjenige, mit welchem die gläubigen Jünger seine dogmatische Würde als Ueberwinder des Irrthums, als Erkenner der erlösenden Wahrheit ausgedrückt haben, der Name Buddha, d. h. „der Erwachte, der Erkennende".

Wir können das Heimathland Buddha's auf der Karte von Indien mit ziemlicher Genauigkeit bestimmen.

Zwischen den nepalesischen Vorhöhen des Himalaya und dem mittleren Lauf der Rapti[42], welche den nordöstlichen Theil des Reiches Oudh durchströmt, zieht sich ein Strich

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ebenen, fruchtbaren Landes[43] hin, etwa 30 (englische) Meilen breit, von den zahlreichen Flüsschen, die vom Himalaja herabkommen, reich bewässert. Dort lag das nicht eben umfangreiche Gebiet, in welchem die Herrschaft und der Grund und Boden den Sakya gehörte. Im Osten grenzte die Rohinî ihr Land gegen die Nachbarn ab; noch heute hat dies Flüsschen denselben Namen bewahrt, den es vor mehr als zweitausend Jahren trug[44] Im Westen und Süden wird die Herrschaft der Sakya ganz oder nahezu bis an die Rapti gereicht haben[45].

Kaum irgendwo ist das Aussehen eines Landes so vollständig vom Thun und Lassen seiner Bewohner abhängig, wie in diesen dem Himalaja benachbarten Theilen Indiens. Das Gebirge entsendet Jahr für Jahr unerschöpfliche Wassermassen; ob zum Segen oder zum Verderb des Landes, kommt allein auf die menschliche Thätigkeit an. Gegenden, die in Zeiten von Unruhen und Misswirthschaft eine sumpfige Wildniss, die Heimath pestilenzialischer Miasmen sind, können durch wenige Jahrzehnte geordneten, sichern Fleisses sich in eine Stätte reich gedeihender Cultur verwandeln und kehren, wenn jene Ursachen des Verfalls sich von Neuem einstellen, noch schneller zum Zustande der Wildniss zurück.

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In den Zeiten der Sakya-Herrschaft muss das Land ein hoch cultivirtes gewesen sein, ein Zustand, den es unter der Regierung des grossen Kaisers Akber von Neuem erreicht hat und dem es sich eben jetzt, nach langen Perioden fortdauernder Unruhen und schweren Verfalls, unter der wohlthätigen Hand der britischen Verwaltung, welche dem Lande die mangelnden Arbeitskräfte zuzuführen bedacht ist, wieder zu nähern beginnt[46].

Zwischen Hochwäldern von Salbäumen dehnte sich der eintönige Reichthum gelber Reisfelder aus; der Reisbau, welchen die buddhistischen Texte hier erwähnen[47], bildet heute so gut wie in alter Zeit die Hauptcultur dieses Landes, da auf dem vortrefflichen Boden der tief gelegenen Ebenen das Wasser der Regenzeit und der Ueberschwemmungen lange stehen bleibt und die sonst für den Reisbau unentbehrliche, äusserst mühsame künstliche Bewässerung zum grossen Theil überflüssig macht. Zwischen den Reisfeldern dürfen wir uns in der Sakya- Zeit wieheute hier und dort Dörfer vorstellen, verdeckt von dem reichen dunkelgrünen Laub der Mangopflanzungen und Tamarinden, die den Dorfteich umgeben. Im Hintergrunde des Bildes, über den schwarzen Massen der Berge von Nepal, die himmelhohen Schneegipfel des Himalaya.

Der Staat der Sakya war einer jener aristokratisch regierten Kleinstaaten, von denen sich eine Anzahl an den Grenzen der grösseren indischen Monarchien erhalten hatte; wir werden nicht fehl greifen, wenn wir uns die Sakya etwa als die Vorläufer


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solcher Rajputenfamilien vorstellen, wie sie sich vielfach auch in neuer Zeit gegen die benachbarten Rajas mit bewaffneten Banden erfolgreich in ihrem Besitz behauptet haben[48]. Von jenen grösseren Monarchien stand zu den Sakya in nächster Beziehung das im Westen und Süden ihnen benachbarte mächtige Kosala-Reich (etwa dem heutigen Oudh entsprechend); die Sakya betrachteten sich selbst als Kosala, und die Kosalakönige nahmen gewisse Rechte, wenn auch vielleicht nur Ehrenrechte, über sie in Anspruch; später sollen sie das Sakyaland ganz in ihre Gewalt gebracht und das regierende Geschlecht vernichtet haben[49].

Wenn aber an kriegerischer und politischer Macht die Sakya unter ihren Nachbarn nur eine geringe Stelle einnahmen, war der hochfahrende Sinn, der in ihrem alten Geschlecht herrschte, der „Sakyastolz" sprüchwörtlich; Brahmanen, die in das Rathhaus der Sakya gekommen waren, wussten davon zu sagen, wie wenig diese weltlichen Herren, die von dem sagenberühmten König Okkâka (Ikshvâku) ihren Adel herleiteten, von den Ansprüchen der geistlichen Würde Notiz zu nehmen geneigt waren. Auch von dem Reichthum der Sakya sprechen unsre Quellen häufig[50]

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„mit Gedeihen und grossem Geniessen gesegneten Geschlecht“ und gedenken des Goldes, das sie besitzen und dessen, das der Boden ihres Reiches birgt. Die Hauptquelle ihres Reichthums war ohne Zweifel die Reiscultur; auch die commercielle Position ihres Landes, das zur Vermittlung zwischen dem Berggebiet und den Ländern der Gangesebene wie geschaffen ist, wird nicht ungenutzt geblieben sein.

Eine weit verbreitete Tradition lässt Buddha einen Königssohn sein. An der Spitze jenes aristokratischen Gemeinwesens stand allerdings ein, wir wissen nicht nach welchen Normen bestelltes Oberhaupt mit königlichem Titel, der wohl hier kaum mehr als die Stellung eines primus inter pares bedeutet haben wird. Die Vorstellung aber, dass Buddha's Vater Suddhodana diese Königswürde besessen habe, ist der ältesten Gestalt, in welcher die Traditionen über die Familie uns vorliegen, durchaus fremd; vielmehr haben wir uns in Suddhodana nicht mehr und nicht weniger zu denken als einen der grossen und reichen adligen Grundbesitzer vom Sakyastamm, den erst jüngere Legenden in den „grossen König Suddhodana" verwandelt haben.

Die Mutter des Kindes, die gleichfalls dem Sakyageschlecht angehörige Mâyâ, starb früh, wie es heisst, sieben Tage nach der Geburt des Knaben; ihre Schwester Mahâpajâpatî, eine zweite Gattin des Suddhodana, hat Mutterstelle an ihm vertreten.

Die traditionelle Erzählung lässt, gewiss der Wahrheit gemäss, den jungen Adligen seine Jugend in dem Hauptort des Sakyagebietes, in Kapilavatthu („Rothort" oder „Rothboden"[51])

51)mit möglichst starken Farben geschildert werden. Aehnliches findet sich in der Biographie des Mahâvira, des mit Buddha gleichzeitigen Stifters der Jaina-Sekte.

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verleben. Bedeutend kann diese der brahmanischen Literatur vollkommen unbekannte Stadt[52] in keinem Fall gewesen sein, wenn auch in einem alten buddhistischen Dialog von ihr die Rede ist als einem reich bevölkerten Ort, in dessen engen Gassen sich Elefanten, Wagen, Pferde und Menschen drängten.

Von der Kindheit Buddha' s wissen wir kaum etwas. Wir hören von einem Stiefbruder und einer um ihrer Schönheit willen gefeierten Stiefschwester, Kindern der Mahâpajâpatî; wie weit sie im Alter von ihrem Bruder entfernt waren, ist nicht bekannt.

Die adlige Erziehung jener dem Brahmanenthum wenig ergebenen Länder hatte vielmehr kriegerische Leibesübungen als die Weisheit des Veda zu ihrem Gegenstand; vedische Gelehrsamkeit haben die Buddhisten ihrem Meister nicht nachgesagt. Mancher Tag mag dem Knaben draussen auf den Besitzungen seines Vaters vergangen sein, wie ihn uns ein alter Text beschreibt, auf dem Felde im kühlen Schatten eines duftenden Jambubaums (Rosenapfelbaums) seinen Betrachtungen nachhängend.

Bei der reichen und vornehmen Jugend jener Zeit gehörte es zum Comfort standesgemässer Existenz, drei Paläste zu besitzen, die darauf eingerichtet waren, entsprechend dem Wechsel von Winter, Sommer und Regenzeit abwechselnd bewohnt zu werden. Die Tradition lässt auch den künftigen Buddha seine Jünglingsjahre in drei solchen Palästen zubringen, ein Leben, dessen Hintergrund dieselbe Scenerie war, deren wunderbare Pracht unverändert damals wie heute die Wohnungen der indischen Grossen umgab: schattige Gärten mit Lotusteichen,

51)die Anschwemmungen bedingte Veränderung der Bodenoberfläche im Lauf von mehr als zweitausend Jahren in Anschlag bringt, vollständig aus, den Namen Kapilavatthu zu erklären. Swinton (S. 33) erwähnt „red Spots resembling carbonate of iron“, in den Sandlagen unter der Oberfläche des gelben Bodens.

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auf denen schwimmenden Blumenbeeten gleich die leicht bewegten bunten Lotusbluthen im Sonnenglanz strahlen und Abends weithin ihre Düfte verbreiten, und ausserhalb der Stadt die Parkanlagen, nach welchen die Ausfahrten oder die Elefantenritte sich richten, wo vom Geräusch der Stadt entfernt unter dem Schattendach hoher, dichtbelaubter Mangos, Pippalas und Salbäume Ruhe und Einsamkeit den Kommenden empfangt.

Wir hören, dass der künftige Buddha vermählt war — ob mit einer oder mit mehreren Frauen, ist nicht bekannt — , und dass er einen Sohn hatte, Râhula, der später ein Glied seines geistlichen Ordens geworden ist. Wir dürfen diese Angaben um so viel weniger für erfunden halten, je unabsichtlicher und beiläufiger dieselben in der altem Tradition auftreten, ohne dass die Person Râhula's oder seiner Mutter[53] für irgend einen didaktischen Zweck oder für die Herbeiführung pathetischer Situationen ausgenutzt wird. Wenn man bedenkt, welche Rolle die Pflicht strenger Keuschheit in der ethischen Anschauung und in der Ordensregel der Buddhisten spielt, wird man einsehen, dass, hätten wir hier nicht Thatsachen, sondern willkürliche Erfindung vor uns, es viel mehr die Tendenz der Geschichtenschmiede hätte sein müssen, eine wirklich vorhandene Ehe des künftigen Buddha zu verschleiern, als eine, die nicht vorhanden war, zu erfinden.

Mit diesen spärlichen Zügen ist Alles erschöpft, was von Buddha's Jugendleben uns glaublich überliefert ist. Wir müssen darauf verzichten, die Frage aufzuwerfen, von welcher Seite und in welcher Form die ersten Keime der Gedanken in seine Seele gelegt worden sind, welche ihn getrieben haben, die Heimath mit der Fremde, den Ueberfluss seiner Paläste mit der Armuth des Bettelmönchs zu vertauschen. Wohl lässt

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es sich verstehen, dass gerade in dem schwülen Einerlei der thatenlosen Ruhe und des satten Geniessens über eine ernste und kraftvolle Natur eine Stimmung der Ruhelosigkeit kommen konnte, der Durst nach einem Wagen und Kämpfen um höchste Preise, und die Verzweiflung daran, in der nichtigen Welt unerspriesslichen Genusses Stillung für diesen Durst zu finden. Wer will etwas davon wissen, in welche Gestalt diese Gedanken im Geiste des Jünglings sich gekleidet haben, und wie etwa in diese innern Vorgänge eingreifend von aussen her der Zug, der durch jene Zeit gieng, und der Männer und Frauen von ihrem Hause hinweg dem Mönchsleben zuführte, auch zu ihm gedrungen sein mag?

Wir haben in einem der heiligen Texte eine Darstellung, die in ihrer schlichten Einfalt zeigt, wie die alte Gemeinde sich das Erwachen der Grundgedanken ihres Glaubens in der Seele des Meisters vorgestellt hat.

Buddha redet zu seinen Jüngern von seiner Jugendzeit, und nachdem er von dem Ueberfluss gesprochen, der ihn in seinen Palästen umgab, fahrt er fort:

„Mit solchem Reichthum, ihr Jünger, war ich begabt, in solch übergrosser Herrlichkeit lebte ich. Da erwachte in mir dieser Gedanke: 'ein thörichter Alltagsmensch, ob er gleich selbst dem Altern unterworfen und von des Alters Macht nicht frei ist, fühlt Abscheu, Widerwillen und Ekel, wenn er einen Andern im Alter sieht: der Abscheu, den er da fühlt, kehrt sich gegen ihn selbst. Auch ich bin dem Altern unterworfen und von des Alters Macht nicht frei. Sollte auch ich, der ich dem Altem unterworfen und von des Alters Macht nicht frei bin, Abscheu, Widerwillen und Ekel fühlen, wenn ich einen Andern im Alter sehe? Das käme mir nicht zu.' Indem ich, ihr Jünger, also bei mir dachte, gieng in mir aller Jugendmuth, der der Jugend innewohnt, unter. — Ein thörichter Alltagsmensch, ob er gleich selbst der Krankheit unterworfen, und von der Krankheit Macht nicht frei ist“ und so fort —

105[Bearbeiten]

  1. Die nähere Begründung der hier dargelegten Ansicht über die Trennung der westlichen vedischen und der östlichen nicht-vedischen Stämme ist am Schluss dieses Werkes im Excurs I versucht worden.
  2. Dieser von Megasthenes angeführte Zug wird auch von modernen Berichterstattern bestätigt, s. z. B. Irving, theory and practice of caste, S. 75.
  3. Rigveda X, 129, übersetzt von Geldner und Kaegi.
  4. Rigveda X, 121, übersetzt von Max Müller.
  5. Vgl. z. B. Chāndogya Upanishad I, 1, 2: „Dieser Geschöpfe Lebenssaft ist die Erde, der Erde Lebenssaft sind die Wasser, der Wasser Lebenssaft sind die Pflanzen, der Pflanzen Lebenssaft ist der Mensch, des Menschen Lebenssaft ist die Rede, der Rede Lebenssaft ist der Hymnus (ric), des Hymnus Lebenssaft ist das Lied (sāman), des Liedes Lebenssaft ist die heilige Sylbe (om). Dies ist der saftigste Lebenssaft, der höchste, erhabenste, der achte: die heilige Sylbe.“ Die Vorstellung, die dieser achtfachen Reihe von Essenz, Essenz der Essenz u. s. w. zu Grunde liegt, ist (mit den Worten Max Müller's) etwa diese: Auf der Erde ruht das Leben aller Wesen; die Erde ist von Wasser durchdrungen; Wasser bringt Pflanzen hervor; von Pflanzen nährt sich der Mensch; des Menschen bestes Theil ist die Rede, das Beste aller Rede der Rigveda, der Auszug alles Besten aus dem Rigveda der Sāmaveda, die Krone des Sāmaveda die heilige Sylbe. — Wir werden im Folgenden, wo der Begriff des Brahma uns beschäftigen wird, von der symbolischen Beziehung, oder von der versteckten Wesensidentität zu reden haben, welche die indische Phantasie zwischen der Natur und zwischen der Welt des Wortes, insonderheit des heiligen Wortes setzt. Auch dafür ist diese Stelle bedeutsam, indem sie zeigt, wie die Naturdinge für den Inder, durch eine Reihe von Mittelstufen hindurch, auf das Vedenwort, und zuletzt auf das Om, den adäquatesten Ausdruck des Brahma, als auf die belebende Macht in ihnen zurückweisen.
  6. Es wird nicht überflüssig sein, daran zu erinnern, dass die Zeit, von welcher wir sprechen, von dem Gott Brahman noch nichts wusste. Während „brahman“, „brāhmana“ in der Bedeutung „Priester" in den ältesten Texten häufig genug begegnet, erscheint der Gott Brahman erst in den jüngsten Theilen des Veda.
  7. Von den zahllosen Stellen, die dies veranschaulichen könnten, genüge es auf eine hinzuweisen, auf die Ausführung der Theologen des [27] Sāmaveda über die symbolischen Beziehungen des Sāman- (Lied-) Vortrages mit seinen fünf Theilen (Chāndogya Upanishad II, 2 fg.). „Man ehre das fünffache Sāman in den fünf Welten. Der Laut him ist die Erde, der Vorgesang das Feuer, der Hauptgesang die Luft, der Einfallsgesang die Sonne, der Schlussgesang der Himmel. — Man ehre das fünffache Sāman im Regen. Der Laut him ist der Wind (der den Regen bringt), der Vorgesang ist: „die Wolke entstehf", der Hauptgesang ist: „es regnet“, der Einfallsgesang: „es blitzt und donnert", der Nachgesang: „es hört auf“. Regen giebt es für ihn, und er lässt regnen, wer also wissend das fünffache Sāman im Regen ehrt. Und so geht es weiter durch eine Reihe andrer Vergleiche; das Sāman mit seinen fünf Theilen stellt die Wasser dar, die Jahreszeiten, die Thiere u. dgl. mehr. Oft beruhen diese Symbolisirungen auf nichts weiter als auf den sinnlosesten Aeusserlichkeiten, wie wenn es sich um die drei Sylben des Wortes udgîtha (heiliger Gesang) handelt: „ut (ud) ist Athem, denn vermöge des Athems steht der Mensch auf (ut-tishthati); ist Rede, denn Reden werden girah genannt; tha ist Speise, denn durch Speise besteht (sthita) Alles“ (Chānd. Up. I, 3, 6; interessante Parallelen mittelalterlich - christlicher Phantasien aus einer irischen Quelle theilt Max Müller zu dieser Stelle mit). So sinnlos derartige Phantasien uns erscheinen mögen, dürfen sie als Vorstufen des wichtigsten Vorgangs in der religiösen Entwicklung Indiens nicht übersehen werden: in der symbolischen Deutung oder mystischen Identification, die das einzelne Wort oder das einzelne heilige Lied mit der einzelnen Erscheinung im Leben der Natur oder des Ich zusammenfallen lässt, bereitet sich das schliessliche Ergebniss dieser Entwicklung vor: die Identification der centralen Potenz in dem ganzen Reich des heiligen Wortes (Brahma), mit der centralen Potenz der menschlichen Person (Ātman), und mit dem Lebenscentrum der Natur : die Genesis der Idee des All-Einen.
  8. Die Namen der Lehrer, welchen unsre Texte die Reden über den Ātman in den Mund legen, können nicht ohne Misstrauen angesehen werden. Im Çātapatha Br. erscheint Yājnavalkya als der, welcher am Hof des Videha-Königs die neuen Lehren am erfolgreichsten vertreten hat. Da aber bereits die ersten Bücher desselben Textes, welche nicht [31] unerhebliche Zeit vor der Entwicklung dieser Speculationen verfasst sein müssen, den Yājnavalkya als Autorität häufig erwähnen, muss jene Rolle, die er in den letzten Büchern spielt, auf Erdichtung heruhen. Schwerlich verdienen die Traditionen, welche dem Çāndilya einen ähnlichen Platz in der Geschichte des indischen Denkens anweisen, grösseres Vertrauen.
  9. Im Sanskrit bedeutet derselbe Ausdruck (ekam aksharam) doppelsinnig „das Eine Unvergängliche"' nehmlich den Ātman, und „die eine Sylbe," nämlich das Om.
  10. Chāndogya Upan. VI, 2 fg. Vergleichbar, aber erheblich unentwickelter ist Çat. Br. XI, 2, 3.
  11. Wir müssen es uns versagen, die Frage aufzuwerfen, ob bei dem Auftauchen dieser Vorstellung neuer Existenzen und Wiederholungen des Todeslooses etwa Einflüsse des Glaubens der nicht-arischen Bevölkerung in Indien mitgespielt haben. Erklärlich ist jene Vorstellung aus dem Gang, den das Denken oder die Phantasie der Brahmanen genommen hat, vollkommen auch ohne Zuhülfenahme anderweitiger Momente, deren Existenz so wenig bewiesen wie widerlegt werden kann.
  12. Zugleich bedeuten diese Worte : „wenn der Mensch sich selbst erkennt."
  13. Er vertheilte dieselbe an die Priester als Opferlohn.</re>. Er hatte einen Sohn mit Namen Naciketas. In diesem, dem Knaben, erwachte, als die Opfergaben
  14. Die Belohnungen für irdische Gaben wie jene Kühe sind nichtig.
  15. Beide Worte bedeuten „Tod" und stammen von derselben Wurzel mar „ sterben*'. Die Ausdrucksweise vieler Stellen des Dhammapada lässt die Identität von Māra und Mrityu (Pali maccu) klar hervortreten; man vergleiche V. 34 Māradheyyam pahātave mit V. 86 maccudheyyam suduttaram; V. 46: chetvāna Mārassa papupphakāni adassanam maccurājassa gaoche; vgl. noch V. 57 mit 170. S. auch Mahāvagga I, 11, 2.
  16. Es ist bezeichnend, dass, wenn auch die Speculationen der Upanishad über den Âtman und das Brahma in Buddhas Zeit längst vorgelegen und zum festen Besitz der Vedakundigen gehört haben müssen, doch die buddhistischen Texte nie, auch nicht polemisch, auf dieselben eingehen. Das Brahma als das All-Wesen wird von den Buddhisten so wenig als Element einer fremden, wie ihrer eignen Weltanschauung je genannt, so oft sie auch des Gottes Brahman gedenken.
  17. Ratthapâla-Suttanta im Majjhima-Nikâya, fol. nrî der Tumourschen Hs.
  18. Samyuttaka-Nikâya vol. I fol. ku' des Phayre Ms.
  19. Diese von einem altern Zeitgenossen Buddha's begründete Secte hat sich noch hente unter dem Namen der Jaina namentlich im Süden und Westen der indischen Halbinsel erhalten. Das Bild, das wir von ihr aus ihrer übrigens verhältnissmässig modernen heiligen Literatur gewinnen, stimmt in vielen nnd wesentlichen Zügen mit dem Bnddhismus überein. Ein Differenzpnnkt lag in dem grossen Gewicht, welches die Niggantha auf Kasteiungen legten.
  20. „Wie, ihr Jünger, von allen gewebten Gewändern, die es giebt ein hären Gewand das schlechteste heisst — ein hären Gewand, ihr Jünger, ist in der Kälte kalt, in der Hitze heiss, von schmutziger Farbe, schlecht riechend, rauh anzufühlen — so, ihr Jünger, heisst von allen Lehren der andern Asketen und Brahmanen des Makkhali Lehre die schlechteste“ (Anguttara-Nikâya).
  21. Im zweiten Excurs am Schluss dieses Werkes finden sich die hauptsächlichsten auf Buddha's Leben bezüglichen Quellenmaterialien aus den heiligen Pâli-Texten gesammelt und erörtert.
  22. Senart, Essai sur la légende du Buddha; Paris 1875.
  23. Vergl. Senart´s angeführtes Werk, insonderheit das Résumé, S. 504 fgg.
  24. Nach der in Ceylon fast zu kanonischem Ansehen gelangten Kirchengeschichte der Insel, die uns zuerst, in Texten des 4. oder 5. Jahrh. n. Chr. vorliegt, die aber auf erheblich älteren Aufzeichnungen beruhen muss, wäre Mahinda, der Sohn des grossen indischen Königs Asoka (um 260 vor Chr.) der Bekehrer von Ceylon gewesen. Die Tradition ist offenbar in wesentlichen Stücken zurechtgemacht; wie viel oder wie wenig Wahrheit in derselben enthalten ist, lässt sich einstweilen noch nicht mit Sicherheit benrtheilen.
  25. Der Beweis fQr diese Behauptung beruht ebenso sehr auf dem, was die Pâli-Texte enthalten, wie auf dem, was sie nicht enthalten. Sie enthalten weder eine Buddhabiographie noch auch nur die leiseste Spur von der einstigen Existenz einer solchen, und schon dies allein ist entscheidend. Der Verlust von Texten, die man einmal besass, und noch dazu der Verlust jeder Erinnerung an dieselben, ist in der Literaturgeschichte des Tipitaka unerhört. Dagegen enthalten die Texte bald hier bald da unznsammenhängende Bruchstücke aus Buddha's Lebensgeschichte in einer Form, wie unser 2. Excurs sie veranschaulichen wird, und die so nicht gedacht werden könnte, wenn die ganze Buddhabiographie damals bereits einen zusammenhängenden literarischen Ausdruck gefunden hätte. — Senart (S. 7, 8) hat die Thatsache nicht übersehen, dass in der südbuddhistischen heiligen Literatur sich nicht einmal ein Werk wie im Norden der Lalita Vistara findet, in welchem Buddha's Leben wenigstens bis zum Anfang seiner Lehrthätigkeit zusammenhängend erzählt wird. Aber die Erklärung, welche der französische Gelehrte von dieser Thatsache giebt, dürfte schwerlich viele Anhänger finden. Die Buddhalegende mit ihrem populären Wesen, sagt er, „a dû demeurer particuliêrement vivace parmi les popnlations dont eile êtait rêellement l'oeuvre, et qni, dés le début, avaient activement coUaboré á l'établissement et aax progrés de la secte nouvelle. A Ceylan au contraire, oú le buddhisme s'introdnisit surtont par une propagande théologique et sacerdotaie, des récits de ce geure n'avaient ni pour les prédicateurs ni pour leurs néophytes un intérêt si sensible ni si vivant.“ Diesen angeblichen Unterschied zwischen der dogmatischen Richtung der Ceylonesen und den populär-legendarischen Neigungen der nördlichen Kirche zu erweisen wird nicht leicht sein. In der That ist das höhere Alter der Pâli-Redaktion der heiligen Texte, verglichen mit der von jüngeren literarischen Strömungen durch und durch inficirten nördlichen Redaktion, der einzige und vollkommen hinreichende Erklärungsgrund der in Frage stehenden Thatsache.
  26. Später hat man übrigens diese Frage in der That aufgeworfen und war dann auch selbstverständlich keinen Augenblick in Verlegenheit sie zu beantworten. Es entstanden die grossen Listen, in denen gesagt war, was Buddha im 6., 7., 8. u. s. w. Jahre seiner Buddhaschaft gesagt und gethan hat (s. z. B. Bigandet, life of Gaudama, p. 160 fgg.)- Die völlige Werthlosigkeit dieser spät entstandenen Listen liegt, wenn man das absolute Schweigen der heiligen Texte über chronologische Dinge bedenkt, auf der Hand.
  27. Uebrigens liegt auch in der äussern Form der Sûtra- und Vinaya-Texte ein Moment, welches das Zurücktreten der Erzählungen aus Buddha's Jugend wesentlich mit bedingt. Da es sich in diesen Texten, mit verschwindenden Ausnahmen, nicht um beliebige, in frei gewählter Form gegebene Mittheilungen, sondern jedesmal um eine Lehrrede Buddha's oder um eine von Buddha für seine Jünger erlassene Verordnung handelt, können für die einleitende Erzählung über die Veranlassung zu der betreffenden Aeusserung Buddba^s nur Erlebnisse aus seiner Buddha-Laufbahn verwandt werden; seine Jugendzeit konnte nur in gelegentlichen Anspielungen berührt werden oder so, dass ihm selbst Mittheilungen über dieselbe in den Mund gelegt wurden.
  28. Siehe die Nachweisungen aus den heiligen Texten im Excurs II.
  29. Besonders kommen hier die in Versen abgefassten Texte in Betracht, in welchen das legendarische Element gegenüber dem rein dogmatischen überhaupt bei weitem mehr in den Vordergrund tritt, als in den Prosa-Sûtras. Siehe die Nachweisungen im Excurs II.
  30. Die hauptsächlichsten Quellen für diese jüngere, den heiligen Pâli-Texten vollkommen fremde Form der Legende sind der Commentar des Jâtaka (I p. 69 fgg.) und der Lalita Vistara (Cap. 19 fgg.).
  31. Es ist ungemein bezeichnend für die Methode der Senart'schen Kritik, dass er einen Text vom Schlage des Saddharmapundarika anführt (S. 247 A. 1), um die Untrennbarkeit der Begriffe Buddha und Erkenntnissbaum darzuthnn; er hätte die heiligen Pâli-Texte anführen sollen, um die vollkommene Nebensächlichkeit des Baumes zu constatiren.
  32. Buddha verweilt sieben Tage lang am Fuss des Banyanenbaumes Ajapâla (Mahâvagga I, 2 und 5), ebenso lange am Fass des Mucalinda-Baumes (I, 3), und des Râjâyatana-Baumes (I, 4). Auf dem Wege von Benares nach Uruvelâ verlässt er die Strasse um in einem Gehölz am Fuss eines Baumes sich niederzusetzen (I, 15, 1). Aehnlich der Mönch Kassapa (Cullavagga XI, 1, 1). Ânanda, von Buddha aufgefordert, ihn für eine Weile zu verlassen, „setzte sich nicht fern am Fuss eines Baumes nieder“ (Mahâ Parinibbâna S. p. 24). In einer Beschreibung des geistlich strebenden Asketen (im Cûlahatthipadopamasutta) heisst es: „er weilt an einsamer Stätte, im Walde, am Fuss eines Baumes, auf einem Berge, in einer Höhle, in einer Berggrotte, an einer Leichenstätte, in der Wildniss, unter freiem Himmel, auf einem Haufen Stroh" (vgl. auch Cullavagga VI, 1, 1). Die Zahl dieser Belege für das Verweilen der Asketen unter Bäumen Hesse sich nach Belieben vervielfachen, wenn es dessen bedürfte.
  33. Auch nicht von der mythologischen Deutung der Person Mâra's selbst als eines Gewitterdämons. Es ist völlig irre führend, zur Deutung der so einfachen und durchsichtigen Conception Mâra's den ganzen Apparat der vedischen Mythologie und Symbolik, vom erstgebornen Kâma (Liebe) bis zum atmosphärischen Agni und dem Dämon Namuci aufzubieten. Die ursprüngliche und beherrschende Vorstellung, welche in der Personification Mâra's zum Ausdruck gebracht wird, ist die des Todes; das sagt der Name (Mâra, zuweilen Antaka, vgl. oben S. 59 Anm.) deutlich genug. Dass aber der Todesfürst zugleich der Herrscher über das Reich irdischer Lust, der Versucher zu dieser Lust ist und sich so mit Kâma berührt, ist in der Entwicklung, welche die vorbuddhistische wie die buddhistische Speculation genommen hat, hinreichend motivirt (s. oben S. 59). Am wenigsten kann es befremden, wenn die buddhistische Poesie Mâra, dem bösen Feinde, gelegentlich den Namen eines Dämon beilegt, der im Veda als Feind Indra's genannt wird, des Namuci (übrigens bemerkt schon das Çatapatha Br. XII, 7, 3, 4 in einer Besprechung von Rv. VIII, 14, 13: pâpmâ vai Namucih); aus solchen Namensübertragungen, die nicht aus der Natur der betreffenden Wesen fliessen, sondern rein secundär sind, mythologische Schlüsse zu ziehen, verbietet die Natur der Sache ; wenn wir von der Titanennatur eines Faust reden, wer wollte darauf mythologische Schlüsse über die Entstehung der Faustsage bauen? — Die Identität des buddhistischen Mâra mit dem Mairya (Beiwort des Ahriman, der den Zoroaster versucht) des Avesta ist in besonnener Weise von Senart (p. 244 Anm.) und in Uebereinstimmung mit ihm von Darmesteter (Ormazd et Ahriman p. 202) abgelehnt worden.
  34. Senart p. 200
  35. Möglich immerhin, dass einer und der andre dieser Züge in seinem concreten Gepräge sich zuerst in den Sagen von der Wolkenschlacht gebildet und von da her der Phantasie sich gegenwärtig erhalten hatte; das würde aber wenig für Senart^s Theorie beweisen.
  36. Senart p. 202
  37. S. 512. Vgl. S. 380 fg. und auch Weber, Indische Literaturgeschichte (2. Auflage), S. 303. Senart findet in Kapilavatthu, wie zu erwarten, „la Ville, la forteresse de l´atmosphėre“.
  38. Es ist sehr zu bedauem, dass General Cunningham, als er die betreffenden Districte für seine archäologischen Untersuchnngen bereiste, sich durch seine an diesem Punkte entschieden irrigen geographischen Hypothesen hat verleiten lassen, die Ruinen von Kapilavatthu an einem falschen Orte aufzusuchen; eine nochmalige Nachforschung in den durch die Texte klar indicirten Gegenden wäre lebhaft zu wünschen.
  39. Wenn Senart eine entscheidende Autorität für die Existenz von Kapilavatthu vermisst, denkt er an das Schweigen der brahmanischen Literatur, insonderheit der grossen epischen Gedichte. Wer im Zusammenhang
  40. Literaturgeschichte, a. a. 0., vgl. Köppen, die Religion des Buddha I, 76.
  41. Auch Mâyâ's Schwester Mahâprajâpati entgeht dem Schicksal nicht, dass in ihren bedeutungsvoll klingenden Namen Merkwürdiges hineingeheimnisst worden ist (Senart, p. 339 A. 1). Senart übersetzt Prajâpati „Schöpferin“, nicht ohne selbst zu sehen, dass das gegen die Grammatik ist. Hätte die von ihm richtig bemerkte Variante Prajâvatî (im Lal. Vist.) den vorzüglichen Kenner des Pâli nicht daran erinnern sollen, dass das Wort gar nicht „Schöpferin" bedeutet, sondern für prajâvati „die Nachkommenreiche“ steht? Im Pâli ist pajâpati (= prajlvati) ein sehr gewöhnliches Appellativum für „Gattin", siehe Childera 8. y. und Mahâvagga I, 14, 1.2; X, 2, 3. 8. Der Sinn des Eigennamens ist also durchaus harmloser Natur.
  42. Dieser Fluss kommt in der buddhistischen Literatur oft als Aciravatî vor.
  43. Der chinesische Pilger Hiouen Thsang (um 650 n. Chr.) sagt von Buddha's Heimathland (nach St. Julien's Uebersetzung, II, 130): „La terre est grasse et fertile; les semailles et les récoltes ont lieu á des époques régnliėres; les saisons ne se dérangent Jamals; les moeors des habitants sont donces et faciles“.
  44. Die Rohinî mündet bei Goruckpore, etwa 100 engl. Meilen nördlich von Benares, in die Rapti.
  45. Das Gebiet der Sakya umfasste also, wie es scheint, nach der heutigen Eintheilung des Landes ungefähr die folgenden zum District Goruckpore gehörigen Kreise (Pergunnahs): Binayakpore, Bansee und die westliche Hälfte des Kreises Haveli. Zu einer genanen Schätzung der Grösse dieses Gebiets reichen die vorhandenen Daten selbstverständlich nicht hin; ganz ungefähr möchte ich dasselbe auf ein Drittel des Umfanges der Mark Brandenburg taxiren.
  46. Man vergleiche die Scbildernngen Bnchanan's, der das Land nm 1810 bereiste (bei Montgomery Martin, II, 292 fgg., 402 etc.), mit A. Swinton, Manual of the Statistics of the district of Goruckpore (Allahabad 1861), und dem neuen officiellen Statistical, descriptive, and historical acconnt of the Gorakhpur district (Allahabad 1880), p. 287, 330 u. s. w.
  47. Unter Anderm geht die Wichtigkeit der Reiscultur für die Sakya aus dem Namen von Buddha's Vater, „Reinreis" hervor, yielleicht auch aus den wahrscheinlich allerdings fingirten Namen seiner vier Brüder: Klarreis, Starkreis, Weissreis, Unermesslicher Reis.
  48. Ein lehrreiches Bild von diesen Verhältnissen giebt Sir W. H. Sleeman in seinem Werk „A jonmey through the kingdom of Oude", s. z. B. I, 240.
  49. Der Kosala-König, welchem diese That zugeschrieben wird, ist Vidûdabha, der Sohn von Buddha's Zeitgenossen und Verehrer Pasenadi. Wenn jüngere Legenden die Sakyas noch zu Buddha's Lebzeiten untergehen lassen, so wird dies, so viel ich weiss, durch kein Zeugniss der heiligen Pali-Texte bestätigt Vielmehr setzt die Geschichte von Buddha's Reliquien (Mahâparin. S. p. 68) vorans, dass die Sakya-Herrschaft Buddha's Leben überdauerte.
  50. Es darf übrigens nicht verschwiegen werden, dass der Werth dieser Angaben kein vollkommen sicherer ist; da es sich darum handelte, Buddha's Trennung von seinem Geschlecht als ein, weltlich angesehen, übergrosses Opfer darzustellen, mussten die Reichthümer, die er aufgab,; sie reden von ihnen als einem
  51. Montg. Martin II, 293 sagt Yom District Goruckpore: No soil of a red colour was observed on the surface, althongh earths of this kind may be procured by digging." Das reicht, wenn man die durch
  52. S. oben S. 94 A. 2.
  53. Ihr Name scheint der alten Gemeinde nicht bekannt gewesen zu sein; erst später füllten freie Erfindungen diese Lücke in verschiedener Weise aus. Vgl. Davids' und meine Anmerkung zu unsrer engl. Uebersetzung des Mahâvagga I, 54.