Benutzer Diskussion:Fw/Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes

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Textdaten
Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
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Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
Text auch als E-Book (EPUB, MobiPocket) erhältlich
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Der Erstdruck dieser Sammlung von Geschichten ist im Jahre 1811 in Tübingen bei Cotta erschienen. Der Inhalt, bestehend aus Anekdoten, Kurzgeschichten und Schwänken, ist in den Jahren 1803 bis 1811 in dem von Hebel herausgegebenen »Badischen Landkalender« erschienen. Der Name wurde 1808 in »Rheinländischer Hausfreund oder: Neuer Kalender, mit lehrreichen Nachrichten und lustigen Erzählungen« geändert. Die Ausgabe im dritten Band von J. P. Hebels sämtlichen Werken "Erzählungen des rheinländischen Hausfreundes" von 1832 ist deutlich umfangreicher.

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[I]


Schatzkästlein
des rheinischen Hausfreundes,
von
J. P. Hebel.


Tübingen,
in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung
1811.


[II] [III]

Vorrede

Die Veranlassung zur Herausgabe dieses Büchleins muß seinen Titel rechtfertigen, und der Titel die Herausgabe. Der Verfasser hat nemlich seit vier Jahren die Lesestücke des Badischen Landcalenders, genannt der rheinländische Hausfreund, geliefert, und die Cottaische Buchhandlung in Tübingen hegte die gute Meinung, es wäre schade, wenn die besten Aufsätze darinn, innerhalb des Marktkreises des Calenders und mit dem nemlichen Jahr, wofür sie geschrieben sind, wieder untergehen sollten, und druckt sie daher für ein eigenes Büchlein, samt den mittelmäsigen ab, damit sich jene besser herausheben.

Der geneigte Leser wird sich gefällig erinnern, mehrere der eingebrachten Erzählungen und Anekdoten anderswo auch schon gehört oder gelesen zu haben, wäre es auch nur im Vademecum, von welcher Almende oder Gemeinwiese sie der Verfasser zum Theil selber gepflückt hat. Doch ließ ers nicht beym blosen Abschreiben bewenden, sondern bemühte sich, diesen Kindern des Scherzes und der [IV] Laune auch ein nettes und lustiges Röcklein umzuhängen, und wenn sie darin dem Publikum wohlgefallen, so ist ihm ein schöner Wunsch gelungen, und er macht auf die Kinder selbst keine weiteren Ansprüche.

Uebrigens, sagt die Verlagshandlung, findet sich das Beste nicht sogleich am Anfang, sondern in der Mitte, und wie an einem Ballen Tuch am Ende des Büchleins, von welchem auch das letzte Muster im Morgenblatt abgeschnitten ist. Sie rechnete auf viele Leser, die, wie die Bekenner des mosaischen Gesetzes, dort zu lesen anfangen, wo andere aufhören.


[VI]

Inhalt.
Seite
Allgemeine Betrachtung über das Weltgebäude. 1
Die Erde und die Sonne. 2
Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande. 8
Erstes Rechnungsexempel. 10
Von den Processionsraupen. 11
Fortsetzung über die Erde und Sonne. 13
Zwey Gehülfen des Hausfreundes. 22
Des Adjunkts Standrede im Gemüßgarten seiner Schwiegermutter. 25
Von den Schlangen. 30
Geiz und Verschwendung. 37
Kindesdank und Undank. 37
Das wohlfeile Mittagessen. 40
Auflösung des ersten Rechnungsexempels und ein Zweites. 41
Mancherley Regen. 42
Auflösung des zweiten Rechenexempels. 49
Drittes und viertes Rechnungsexempel. 50
Nützliche Lehren. 51
Guter Rath. 54
Das Mittagessen im Hof. 57
Der kluge Richter. 58
Der Mensch in Kälte und Hitze. 60
Der schlaue Husar. 64
Sommerlied. 66
Der Maulwurf. 68
Der Zahnarzt. 71
Nützliche Lehren. 74
Der Mond. 76
Auflösung des 3ten und 4ten Rechnungsexempels. 83
Zwey Erzählungen. 84
Nützliche Lehren. 86
Die Spinnen. 89
Die Planeten. 93
Das wohlbezahlte Gespenst. 99

[VII]

Seite
Der vorsichtige Träumer. 102
Nützliche Lehren. 103
Mißverstand. 104
Die Eidexen. 104
Unglück der Stadt Leiden. 108
Fliegende Fische. 110
Schlechter Gewinn. 112
Der wohlbezahlte Spaßvogel. 113
Eine sonderbare Wirthszeche. 114
Seltsamer Spazierritt. 116
Drey Wünsche. 117
Eine merkwürdige Abbitte. 120
Der große Sanhedrin zu Paris. 122
Der schlaue Pilgrim. 126
Untreue schlägt den eigenen Herrn. 128
Jakob Humbel. 131
Franz Ignaz Narocki. 135
Der Wegweiser. 137
Brodlose Kunst. 139
Glück und Unglück. 140
Abendlied. 142
Der Commandant und die Jäger in Hersfeld. 143
Pieve. 144
Die Planeten. Fortsetzung. 148
Kannitverstan. 154
Schlechter Lohn. 158
Der kann Deutsch. 158
Der Fremdling in Memel. 159
Das seltsame Recept. 161
Einfältiger Mensch in Mayland. 161
Der Barbierjunge von Segringen Gehe zur gesprochenen Version. 162
Merkwürdige Gespenster-Geschichte. 164
Gute Antwort. 169
Drey andere Wünsche. 170
Der Husar in Neisse. 171
Was in einer großen Stadt drauf geht. 174

[VII]

Seite
Ein Wort giebt das andere. 175
Moses Mendelsohn. 176
Ein theurer Kopf und ein wohlfeiler. 177
Theure Eyer. 178
Die drey Diebe. 178
Suwarow. 182
Klein und Groß. 183
Hohes Alter. 185
Kayser Napoleon und die Obstfrau in Brienne. 186
Das Bombardement von Koppenhagen. 188
Fürchterlicher Kampf eines Menschen mit einem Wolf. 192
Unglück in Koppenhagen. 194
Merkwürdige Schicksale eines jungen Engländers. 195
Der unschuldig Gehenkte. 200
Der Rekrut. 202
Böser Markt. 202
Die Cometen. 205
Der silberne Löffel. 211
Einträglicher Räthselhandel. 213
Des Seilers Antwort. 217
Der geheilte Patient. 218
Wie der Zundel-Frieder und sein Bruder dem rothen Dieter abermal einen Streich spielen. 221
Der kluge Sultan. 223
Wie man aus Barmherzigkeit rasirt wird. 225
Der Zirkelschmied. 225
Heimliche Enthauptung. 227
Der Staar von Segringen. 230
Wie man in den Wald schreit, so schreit es heraus. 232
Die falsche Schätzung. 233
Das letzte Wort. 234
Gutes Wort, böse That. 235
Der geduldige Mann. 236
Der schlaue Mann. 237
Der Heiner und der Brassenheimer Müller. 238
Der falsche Edelstein. 240

[VIII]

Seite
Das schlaue Mädchen. 243
Ein gutes Rezept. 244
Vereitelte Rachsucht. 246
Schreckliche Unglücksfälle in der Schweitz. 249
Wie eine gräuliche Geschichte durch einen gemeinen Mezgerhund ist an das Tageslicht gebracht worden. 254
Die Fixsterne. 256
Seltsame Ehescheidung. 261
Der listige Steyermarker. 262
Etwas aus der Türkey Gehe zur gesprochenen Version. 264
Das bequeme Schilderhaus. 265
Wie der Zundel-Frieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und glücklich über die Gränzen kam. 266
Die leichteste Todesstrafe. 268
Nützliche Lehren. 269
Die Fixsterne. Fortsetzung. 271
Die Bekehrung. 275
Der fremde Herr. 277
Theures Späßlein. 279
Der General-Feldmarschall Suwarow. 280
Die zwei Postillione. 282
Der betrogene Krämer. 284
Rettung einer Officiersfrau. 286
Baumzucht. 288
Unverhoftes Wiedersehen. 292
Andreas Hofer. 294

[1]


Allgemeine Betrachtung über das Weltgebäude.

Dem geneigten Leser, wenn er zwischen seinen bekannten Bergen und Bäumen daheim sizt bey den Seinigen, oder bey einem Schöpplein im Adler, so ist’s ihm wohl, und er denkt just nicht weiter. Wenn aber früh die Sonne in ihrer stillen Herrlichkeit aufgeht, so weiß er nicht, wo sie herkommt, und wenn sie Abends untergeht, weiß er nicht, wo sie hinzieht, und wo sie die Nacht hindurch ihr Licht verbirgt, und auf welchem geheimen Fußpfad sie die Berge ihres Aufgangs wieder findet. Oder wenn der Mond einmal bleich und mager, ein andermal rund und voll durch die Nacht spaziert, er weiß wieder nicht, wo das herrührt, und wenn er in den Himmel voll Sterne hinaufschaut, einer blinkt schöner und freudiger als der andere, so meint er, sie seien alle wegen seiner da, und weiß doch nicht recht, was sie wollen. Guter Freund, das ist nicht löblich, daß man so etwas alle Tage sieht, und fragt nie, was es bedeutet. Der Himmel ist ein großes Buch über die göttliche Allmacht und Güte, und stehen viel bewährte Mittel darin gegen den Aberglauben und gegen die Sünde, und die Sterne sind die goldenen Buchstaben in dem Buch. Aber es ist arabisch, man kann es nicht verstehen, wenn man keinen Dolmetscher hat. Wer aber einmal in diesem [2] Buch lesen kann, in diesem Psalter, und ließt darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Strasse ist, und wenn ihn die Finsterniß verführen will, etwas Böses zu thun, er kann nimmer.

Also will jezt der Hausfreund eine Predigt halten, zuerst über die Erde und über die Sonne, darnach über den Mond, darnach über die Sterne.


Die Erde und die Sonne.

Nach dem Augenschein und nach dem allgemeinen Glauben wäre die Erde mit allen ihren Bergen und Thälern eine große runde Fläche gleich einer ungheuer großen Scheibe. Am Rande derselben weiter hinaus kommt nichts mehr, dort ist gleichsam der Himmel an sie angefügt, der wie eine große hohle Halbkugel über ihr steht und sie bedeckt. Dort geht am Tag die Sonne auf und unter, bald früher, bald später, bald links an einem gewissen bekannten Berg oder Haus, bald rechts, und bringt Tag und Nacht, Sommer und Winter, und bey Nacht den Mond und die Sterne, und sie scheinen nicht gar entsetzlich hoch über unsern Häuptern zu stehen.

Das wäre nun alles gut, wenn’s niemand besser wüßte, aber wir Sternseher und Kalendermacher wissen’s besser. Denn erstlich, wenn einer daheim weggeht, und will reisen bis an’s Ende der Erde, an den Rand, wo man einen aufgehenden Stern mit der Hand weghaschen und in die Tasche stecken kann, und er geht am 1. April von Hause aus, so hat er den rechten Tag gewählt. Denn er kann reisen, wenn [3] er will durch Deutschland, durch Polen, durch Rußland, nach Asien hinein durch die Muhamedaner und Heiden, vom Land auf’s Wasser, und vom Wasser wieder auf’s Land, und immer weiter. Aber endlich, wenn er ein Pfeiflein Tobak einfüllt, und will daran denken, wie lang er schon von den Seinigen weg ist, und wie weit er noch zu reisen hat an’s Ende der Erde und wieder zurück, auf einmal wirds ihm heimlich in seinem Gemüth, es wird nach und nach alles, wie es daheim war, er hört seine Landessprache wieder sprechen, zulezt erblikt er von weitem einen Kirchthurm, den er auch schon gesehen hat, und wenn er auf ihn hingeht, kommt er in ein wohlbekanntes Dorf, und hat nur noch 2 Stunden oder drei, so ist er wieder daheim, und hat das Ende der Erde nie gesehen. Nemlich er reis’t um die Erde, wie man einen Strich mit Kreide um eine Kugel herumzieht, und kommt zulezt wieder auf den alten Flek, von dem er ausgieng.

Es sind schon mehr als 20 solcher Reisen um die Erde nach verschiedenen Richtungen gemacht worden. In zwei bis vier Jahren, je nachdem, ist alles geschehen. Ist nicht der englische Seekapitän Cook, in Einem Leben zweymal um die ganze Erde herum gereist, und von der andern Seite her wieder heimgekommen, aber das drittemal haben ihn die Wilden auf der Insel Owai ein wenig todt geschlagen, und gegessen.

Daraus und aus mehrern sicheren Anzeigen erkennen die Gelehrten folgendes: die Erde ist nicht blos eine ausgebreitete, rund abgeschnittene Fläche, nein sie ist eine ungeheure große Kugel. Weiters: sie hängt und schwebt frei und ohne Unterstüzung, wie [4] seines Orts die Sonne und der Mond, in dem unermeßlichen Raum des Weltalls unten und oben zwischen lauter himmlischen Sternen. Weiters: sie ist rings um und um, wo sie Land hat, und wo die Hitze oder der bittere Frost es erlaubt, mit Pflanzen ohne Zahl besezt, und von Thieren und vernünftigen Menschen belebt. Man muß nicht glauben, daß auf diese Art ein Theil der Geschöpfe mit dem Kopf abwärts hänge, und in Gefahr stehe, von der Erde weg, und in die Luft herab zu fallen. Diß ist lächerlich. Ueberall werden die Körper durch ihre Schwere an die Erde angezogen, und können ihr nicht entlaufen. Ueberall nennt man unten, was man unter den Füßen hat; und oben, was über dem Haupt hinaus ist. Niemand merkt oder kann sagen, daß er unten sey. Alle sind oben, so lang sie die Erde unter den Füßen, und den Himmel voll Licht oder Sterne über dem Haupte haben.

Aber der geneigte Leser wird nicht wenig erstaunen, wenn er’s zum erstenmal hören sollte, wie groß diese Kugel sey: Denn

der Durchmesser der Erde beträgt in gerader Linie von einem Punkt der Oberfläche durch das Centrum hindurch zum andern Punkt, Eintausend sieben hundert und zwanzig deutsche Meilen. Der Umkreis der Kugel aber beträgt fünftausend vierhundert deutsche Meilen.

Ihre Oberfläche aber beträgt über neun Millionen Meilen in’s Gevierte, und davon sind zwey Drittheil Wasser, und Ein Drittheil Land.

Ihre ganze Masse aber beträgt mehr als zweytausend, sechs hundert und zwey und sechzig Millionen [5] Meilen im Klaftermaaß. Das haben die Gelehrten mit großer Genauigkeit ausgemessen und ausgerechnet, und sprechen davon, wie von einer gemeinen Sache. Aber niemand kann die göttliche Allmacht begreifen, die diese ungeheure große Kugel schwebend in der unsichtbaren Hand trägt, und jedem Pflänzlein darauf seinen Thau und sein Gedeihen giebt, und dem Kindlein, das gebohren wird, einen lebendigen Odem in die Nase. Man rechnet, daß tausend Millionen Menschen zu gleicher Zeit auf der Erde leben, und bey dem lieben Gott in die Kost gehen, ohne das Gethier. Aber es kommt noch besser.

Denn zweitens: die Sonne, so nahe sie zu seyn scheint, wenn sie früh hinter den Bergen in die frische Morgenluft hinauf schaut, so ist sie doch über zwanzig Millionen Meilen weit von der Erde entfernt. Weil aber eine solche Zahl sich geschwinder aussprechen, als erwägen und ausdenken läßt, so merke: Wenn auf der Sonne eine große scharf geladene Canone stünde, und der Constabler, der hinten steht und sie richtet, zielte auf keinen andern Menschen als auf dich, so dürftest du deswegen in dem nemlichen Augenblick, als sie losgebrannt wird, noch herzhaft anfangen ein neues Haus zu bauen, und könntest darinn essen und trinken und schlafen, oder du könntest ohne Anstand noch geschwinde heirathen, und Kinder erzeugen und ein Handwerk lernen lassen, und sie wieder verheirathen und vielleicht noch Enkel erleben. Denn wenn auch die Kugel in schnurgerader Richtung und immer in gleicher Geschwindigkeit immer fort und fort flöge, so könnte sie doch erst nach Verfluß von 25 Jahren von der Sonne hinweg auf der Erde [6] anlangen, so doch eine Canonenkugel einen scharfen Flug hat, und zu einer Weite von 600 Fuß, nicht mehr als den sechzigsten Theil einer Minute bedarf.

Daß nun weiters die Sonne auch nicht bloß eine glänzende Fensterscheibe des Himmels, sondern wie unser Erdkörper eine schwebende Kugel sey begreift man schon leichter. Aber wer vermag mit seinen Gedanken ihre Größe zu umfassen, nachdem sie aus einer so entsetzlichen Ferne solche Kraft des Lichts und der Wärme noch auf die Erde ausübt, und alles segnet, was ihr mildes Antlitz bescheint? Der Durchmesser der Sonne ist 114 mal größer als der Durchmesser der Erde. Aber im Körper-Maas betragt ihre Masse anderthalb Millionen mal so viel als die Erde. Wenn sie hohl wäre inwendig, so hätte nicht nur unsere Erde in ihr Raum, auch der Mond, der doch 50,000 Meilen von uns absteht, könnte darinn ohne Anstoß auf- und untergehn, wie so, ja er könnte noch einmal so weit von uns entfernt seyn als er ist, und doch ohne Anstoß um die Erde herum spatzieren, wenn er wollte. So groß ist die Sonne, und geht aus der nemlichen allmächtigen Hand hervor, die auf der Erde das Magsaamen- oder Mohnsamenkörnlein in seiner Schale bildet und zur Reife bringt, eins so unbegreiflich, wie das andere. Der Hausfreund wenigstens wüßte keine Wahl, wenn er eine Sonne, oder ein Magsamenkörnlein machen müßte mit einem fruchtbaren Keim darin.

Lange nun glaubten selbst die gelehrtesten Sternforscher, diese ganze unermeßliche Sonnenmasse sey nichts anders, als eine glühende Feuerkugel durch und durch. Nur konnte keiner von ihnen begreifen, wo [7] dieses Feuer seine ewige Nahrung faßt, daß es in tausend und aber tausend Jahren nicht abnimmt, und zulezt, wie ein Lämplein verlöscht; denn die gelehrten Leute wissen auch nicht alles, und reiten manchmal auf einem fahlen Pferd. Wer alles wissen will, dem ist schlecht zu trauen, sondern er treibt’s mit seinen Antworten, wie der Matheis, der das Eis bricht. „Hat er keins, macht er eins“ nach dem Sprichwort.

Deswegen will es nun heut zu Tag den Sternforschern und andern verständigen Leuten scheinen, die Sonne könne an sich wohl wie unsere Erde ein dunkler und temperirter, ja ein bewohnbarer Weltkörper seyn. Aber wie die Erde ringsum mit erquickender Luft umgeben ist, so umgibt die Sonne ringsum das erfreuliche Licht, und es ist nicht nothwendig, daß dasselbe auf dem Sonnenkörper selbst eine unausstehliche zerstörende Hitze verursachen müsse, sondern ihre Strahlen erzeugen die Wärme und Hitze erst, wenn sie sich mit der irdischen Luft vermischen, und ziehen dieselbe gleichsam aus den Körpern hervor. Denn daß die Erde eine große Masse von verborgener Wärme in sich selbst hat, und nur auf etwas warten muß, um sie von sich zu geben, das ist daran zu erkennen, daß zwey kalte Körper mitten im Winter durch anhaltendes Reiben zuerst in Wärme, hernach in Hitze, und endlich in Glut gebracht werden können. Und wie geht es zu, je weiter man an einem hohen Berg hinaufsteigt, und je näher man der Sonne kommt, daß man immer mehr in die Hände hauchen muß, und zulezt vor Schnee und Eis nimmer weiterkommt, fragen die Naturkundiger, wenn die Sonne ein sprühendes Feuer seyn soll? [8]

Also wäre es wohl möglich, daß sie an sich ein fester mit mildem Licht umflossener Weltkörper sey, und daß auf ihr Jahr ans Jahr ein wunderschöne Pfingstblumen blühen und duften, und statt der Menschen fromme Engel dort wohnen, und ist dort, wie im neuen Jerusalem, keine Nacht und kein Winter, sondern Tag und zwar ein ewiger freudenvoller Sabbath und hoher Feyertag. Schon Doktor Luther hat einmal so etwas verlauten lassen, und der gelehrige Leser begreifts ein wenig, aber doch nicht recht.

(Die Fortsetzung folgt.)


Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande.

1.

In der Türkei, wo es bisweilen etwas ungerade hergehen soll, trieb ein reicher und vornehmer Mann einen Armen, der ihn um eine Wohlthat anflehte, mit Scheltworten und Schlägen von sich ab, und als er ihn nicht mehr erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Stein. Die es sahen, verdroß es, aber Niemand konnte errathen, warum der arme Mann den Stein aufhob, und ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche steckte, und Niemand dachte daran, daß er ihn von nun an so bey sich tragen würde. Aber das that er. Nach Jahr und Tag hatte der reiche Mann ein Unglück, nemlich er verübte einen Spitzbubenstreich, und wurde deswegen nicht nur seines Vermögens verlustig, sondern er mußte auch nach dortiger Sitte zur Schau und Schande, rükwärts, auf einen Esel gesezt, durch die Stadt reiten. An Spott und Schimpf fehlte es nicht, und der Mann mit dem [9] räthselhaften Stein in der Tasche stand unter den Zuschauern eben auch da, und erkannte seinen Beleidiger. Jetzt fuhr er schnell mit der Hand in die Tasche; jezt griff er nach dem Stein; jetzt hob er ihn schon in die Höhe, um ihn wieder nach seinem Beleidiger zu werfen, und wie von einem guten Geist gewarnt, ließ er ihn wieder fallen, und gieng mit einem bewegten Gesicht davon.

Daraus kann man lernen: Erstens man soll im Glück nicht übermüthig, nicht unfreundlich und beleidigend gegen geringe und arme Menschen seyn. Denn es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen Morgen war, und „wer dir als Freund nichts nutzen kann, der kann vielleicht als Feind dir schaden“. Zweitens, man soll seinem Feind keinen Stein in der Tasche, und keine Rache im Herzen nachtragen. Denn als der arme Mann den seinen auf die Erde fallen ließ und davon gieng, sprach er zu sich selber so: „Rache an dem Feind auszuüben, so lange er reich und glücklich war, das war thöricht und gefährlich; jetzt wo er unglücklich ist, wäre es unmenschlich und schändlich.“


2.

Ein anderer meinte, es sey schön, Gutes zu thun an seinen Freunden, und Böses an seinen Feinden. Aber noch ein anderer erwiederte: das sey schön, an den Freunden Gutes zu thun, und die Feinde zu Freunden zu machen.


3.

Es ist doch nicht alles so uneben, was die Morgenländer sagen und thun.

Einer, Namens Lockmann, wurde gefragt, wo er [10] seine feinen und wohlgefälligen Sitten gelernt habe? Er antwortete: Bei lauter unhöflichen und groben Menschen. Ich habe immer das Gegentheil von demjenigen gethan, was mir an ihnen nicht gefallen hat.


4.

Ein anderer entdeckte seinem Freund das Geheimniß, durch dessen Kraft er mit den zanksüchtigen Leuten immer im guten Frieden ausgekommen sey. Er sagte so: Ein verständiger Mann und ein thörichter Mann können nicht einen Strohhalm mit einander zerreissen. Denn wenn der Thor zieht, so läßt der Verständige nach, und wenn jener nachläßt, so zieht dieser. Aber wenn zwey Unverständige zusammen kommen, so zerreißen sie eiserne Ketten.


Erstes Rechnungs-Exempel.

Man sollte nicht glauben, daß ein Mensch, der auf leichtfertigen Wegen sein Glück sucht, mit lauter Gewinnen immer verlieren, und zuletzt um Habe und Vermögen dabey kommen kann. Aber die Sache hat Grund. Man erzählt, daß ein Mensch, der sich, lieber im Müßiggang durch schlechte Mittel, als durch Fleiß und Arbeit ernähren wollte, einen Bund mit dem bösen Geist gemacht habe. Der Mann wohnte an einem Wasser, und der Böse versprach ihm, alles baare Geld, das er im Hause habe, zu verdoppeln, wenn er damit über die Brücke gehe, und verlange nichts dafür, als daß er ein 24 Kreutzer Stück davon ins Wasser werfe, wenn er wieder über die Brücke zurückgehe, und das dürfe er wiederholen, seinetwegen so oft er wolle. Der Einfältige [11] schlägt mit Freuden ein, sucht alles baare Geld im Hause zusammen, macht die erste Probe, und diesmal scheint der schwarze Feind ehrlich zu seyn, denn er hält Wort, und der andere natürlicher Weise auch.

Wie oft und lange mag nun der Glückliche seinen Gang über die Brücke hin und her wiederholen? So lange es gut thut, so lange er etwas hinüber zu tragen hat, dreymal in allem. Denn als er zum dritten mal mit seiner verdoppelten Baarschaft zurückkehrte: und das drittemal den ausbedungenen Brücken-Zoll ins Wasser warf; so hatte der böse Feind sein Geld alles rein und baar bis auf den letzten rothen Heller, und der arme Betrogene gieng leer nach Haus, und hatte nichts mehr in den Strom zu geben, wenn er über die Brücke gieng, als Thränen um seine letzte verlohrne Baarschaft. – Wer rechnen kann, wirds bald heraus haben, wie viel der Betrogene zum erstenmal Geld über den Strom zu tragen hatte, und daß alles natürlich zugieng. Und mancher, den die Erfahrung auch schon klug gemacht hat, wird denken: Accurat so gehts! die Auflösung wird bald nachfolgen.


Von den Processions-Raupen.

Oft fürchten wir, wo nichts zu fürchten ist, ein andermal sind wir leichtsinnig nahe bei der Gefahr. In unsern Eichwäldern hält sich eine Art von graufarbigen haarigen Raupen auf, die sich in sehr großer Anzahl zusammenhalten, und in ganzen grossen Zügen dicht aneinander und auf einander von einem Baum auf den andern wandern, deßwegen nennt man sie [12] Processions-Raupen. Oft sieht man sie langsam auf der Erde fortkriechen, oder an den Eichenstämmen hinaufziehen; sie theilen sich bisweilen wie ein Strom in zwey und mehrere Arme, ziehn eine Strecke weit so fort, vereinigen sich dann wieder und schließen einen leeren Raum in der Mitte, wie eine Insel zwischen sich ein: Oft sieht man an der Länge eines ganzen Stammes hin eine unzählige Menge leere Bälge, welche sie bei der Häutung hängen ließen. Wer im Sommer oft in Eichwälder kommt, wird sich erinnern, dieses schon gesehen zu haben. Daß solche ganze Züge von gefräßigen Raupen an den Blättern der Bäume, wo sie hinkommen, große Verwüstungen anrichten, und das Gedeihen und die Gesundheit der Bäume hindern können, ist leicht zu erachten; doch ist das nicht das schlimmste, sondern sie können sogar dem menschlichen Körper gefährlich werden, wenn man ihnen zu nahe kommt, sie muthwillig beunruhigt, oder gar aus Unvorsichtigkeit mit einem entblößten Theil des Körpers berührt und drückt. Sie dulden es nicht ungestraft, wenn sie sich rächen können. Man hat schon einige traurige Beyspiele an Leuten erlebt, denen solches wiederfahren ist. Sie bekamen bald starke Geschwulst, heftige und schmerzhafte Entzündungen an der Stelle des Körpers, wo sie diese Raupen mit bloser Haut berührten, und nach dem Zeugniß erfahrner Aerzte könnte daraus noch größeres Unheil entstehen, wenn man nicht mit zweckmäßigen Heilmitteln zuvor käme. Aber wie das zugehen mag. Die Raupen lassen augenblicklich ihre kurzen, steifen stechenden Haare gehen, und drücken und schießen sie gleichsam wie Pfeile ihrem Feind in die zarte [13] Haut des Körpers. Dies ist das Mittel, welches die Natur auch diesen verachteten Thieren zu ihrer Vertheidigung gegeben hat. Mehrere andere Arten von Haar-Raupen thun es auch. Aber bei den Prozessions-Raupen ist die Menge gefährlich. Der Körper bekommt unzählig viele kleine unsichtbare Wunden; in jeder bleibt der feine reizende Pfeil stecken, und viel kleine Ursachen zusammen thun eine große Wirkung, was man auch sonst im menschlichen Leben so oft erfährt, und doch so wenig bedenkt. Man soll also mit diesen Thieren keinen unnöthigen Muthwillen treiben; wenn man Ursache hat, an einem Baum hinauf zu klettern, soll man aufschauen, was daran ist; man soll in der Nähe von Eichbäumen halb nackte Kinder nicht auf den Boden setzen, ohne ihn zuerst zu besichtigen, und sie warnen, daß sie es nicht selber thun. Es ist leichter, Schaden zu verhüten, als wieder gut zu machen.


Fortsezung über die Erde und Sonne.

Nachdem in der vorhergegangenen Predigt zuerst von der Erde und hernach von der Sonne, jede für sich geredet worden ist, so wollen wir nur noch mit wenigem hören, wie sie unter einander in guter Freundschaft leben, und wie aus ihrer Liebe zu einander Tag und Nacht, Merzveilchen, Erndekränze, Wein und gefrorne Fensterscheiben entstehen.

Da die unermeßlich große Sonne in einer so unermeßlich weiten Entfernung von uns weg ist, so hat es den Sternforschern schon lange nicht mehr einleuchten wollen, daß sie unaufhörlich und je in 24 [14] Stunden um die kleine Erde herumspringen soll in einer unbegreiflichen Kraft und Geschwindigkeit, nur damit wir in diesem kurzen Zeitraum einmal Morgen und Mittag, Abend und Nacht bekämen, und wandelnde Sterne. Denn die Naturkündiger haben sich überzeugt, daß alles, was geschieht, auf eine viel einfachere und leichtere Art auch geschehen könnte. Allein ein rechtschaffner Sternseher, Copernikus genannt, hat bewiesen, daß es nicht nur so geschehen könnte, wie die Naturforscher denken, sondern daß es wirklich so geschieht, und die göttliche Weisheit hat früher daran gedacht, als die menschliche.

Der geneigte Leser wird jezt erfahren, was Copernikus behauptet und bewiesen hat, wird aber ersucht, zuerst alles zu lesen, ehe er den Kopf schüttelt, oder gar lacht.

Erstlich, sagt Copernikus, die Sonne, ja selbst die Sterne haben gegen die Erde weiters keine Bewegung, sondern sie stehen für uns so gut als still.

Zweitens, die Erde dreht sich in 24 Stunden um sich selber um. Nemlich, man stelle sich vor, wie wenn von einem Punkt der Erdkugel durch ihr Centrum bis zum entgegengesetzten Punkt eine lange Spindel oder Axe gezogen wäre. Diese zwei Punkte nennt man die Pole. Gleichsam um diese Axe herum dreht sich die Erde in 24 Stunden, nicht nach der Sonne, sondern gegen die Sonne, und wenn ein langer rother Faden ohne Ende, ich will sagen am 21sten Merz von der Sonne herab auf die Erde reichte, und Mittags um 12 Uhr, an einen Kirschbaum oder an einem Cruzifix auf dem Felde angeknüpft würde, so würde die Erdkugel diesen Faden in 24 Stunden einmal [15] ganz um sich herum gezogen haben, und so jeden andern Tag.

Auf diese einfache Weise geschieht das Nemliche, was geschehen würde, wenn die Sonne in der nemlichen Zeit, einen Kreisgang von 132 Millionen Meilen rings um die fest stehende Erde herum wandeln müßte. Nemlich die eine Hälfte der Erdkugel ist gegen die Sonne gekehrt, und hat Tag, und eine Hälfte ist von der Sonne abgekehrt gegen die Sterne hinaus, und hat Nacht, aber nie die Nemliche, sondern wie die Erdkugel sich gleichsam an ihrer Axe gegen die Sonne dreht, löst sich immer an dem einen Rand der finstern Hälfte ein wenig von der Nacht in die Dämmerung auf, bis man dort die ersten Strahlen der Sonne erbliken kann, und meint, sie gehe auf, und an der andern Seite der erleuchteten Hälfte wird’s immer später und kühler, bis man die Sonne nicht mehr sieht, und meint, sie sey untergegangen, und den Morgen und Mittag und Abend, das heilige Osterfest und sein Glockengeläute wandeln in 24 Stunden um die Erde herum, und erscheinen nie an allen Orten zu gleicher Zeit, sondern in Wien zum Beispiel 24 Minuten früher als in Paris.

Drittens, sagt Copernikus, während die Erde, den Morgen und den Abend, und zu seiner Zeit das heilige Osterfest in 24 Stunden gleichsam um sich herum spinnt, bleibt sie nicht an dem nemlichen Ort, im unermeßlichen Weltraum stehen, sondern sie bewegt sich unaufhörlich, und mit unbegreiflicher Geschwindigkeit in einer großen Kreislinie, zwischen der Sonne und den Sternen fort, und kommt in 365 Tagen [16] und ungefähr 6 Stunden um die Sonne herum, und wieder auf den alten Ort.

Deßwegen und weil alsdann nach 365 Tagen, und ungefähr 6 Stunden alles wieder so wird, und alles wieder so steht, wie es vor eben so viel Zeit auch gestanden ist, so rechnet man 365 Tage zu einem Jahr, und spart die 6 Stunden vier Jahre lang zusammen, biß sie auch 24 Stunden ausmachen, denn man darf nichts von der kostbaren Zeit verlohren gehn lassen. Deßwegen rechnet man je auf das 4te Jahr einen Tag mehr, und nennt es das Schaltjahr.

Die Sache fängt an, dem verständigen Leser einzuleuchten, und er wäre bald bekehrt, wenn er nur auch etwas von dem Drehen und Laufen der Erdkugel verspühren könnte! Deßwegen und

Viertens, sagt der Hausfreund, man kann die Bewegung eines Gefährtes, auf welchem man mitfahrt, eigentlich nie an dem Gefährte selbst erkennen, sondern man erkennt sie an den Gegenständen rechts und links, an den Bäumen und Kirchthürmen, welche stehen bleiben, und an denen man nach und nach vorbeikommt. Wenn ihr auf einem sanftfahrenden Wagen, oder lieber in einem Schifflein auf dem Rhein fahrt, und ihr schließt die Augen zu, oder ihr schaut eurem Cameraden, der mit euch fahrt, steif auf einen Rockknopf, so merkt ihr nichts davon, daß ihr weiter kommt. Wenn ihr aber umschaut nach den Gegenständen, welche nicht selber bey euch auf dem Gefährte sind, da kommt euch das Ferne immer näher, und das Nahe und Gegenwärtige verschwindet hinter eurem Rücken, und daran erkennt ihr erst, daß ihr vorwärts kommt, also auch die Erde. An der [17] Erde selbst und allem was auf ihr ist, so weit man schauen kann, läßt sich ihre Bewegung nicht absehen; (denn die Erde ist selbst das grosse Gefährte, und alles was man auf ihr sieht, fahrt selber mit:) sondern man muß nach etwas schauen, das stehen bleibt, und nicht mitfahrt, und das sind eben nach Nro. 1. die Sonne und die Sterne, zum Beispiel der sogenannte Thierkreis. Denn 12 große Gestirne, welche man die 12 himmlische Zeichen nennt, stehn am Himmel in einem hohen Kreis um die Erde herum. Sie heissen: der Widder, der Stier, die Zwillinge, der Krebs, der Löwe, die Jungfrau, die Wage, der Skorpion, der Schütz, der Steinbock, der Wassermann, die Fische.

Eins folgt auf das andere, und das lezte schließt an das erste wieder an, nemlich die Fische an den Widder. Dieß ist der Thierkreis. Er steht aber noch viel höher am Firmament als die Sonne, und sie steht von hier aus betrachtet immer zwischen den zwei Linien, die seinen Rand bezeichnen, und in einem Zeichen derselben. Denn ob sie gleich noch weit herwärts desselben steht, so meint man doch wegen der sehr großen Entfernung, sie befinde sich in dem Zeichen selbst. Wenn sie aber heute in dem Zeichen des Steinbocks steht, so steht sie nach 30 Tagen nicht mehr im Zeichen des Steinbocks, sondern im nächsten, und je nach 30 Tagen immer in dem nächstfolgenden, und daran erkennt man, daß die Erde in ihrem Kreislauf unterdessen vorwärts gegangen sey. Es kann nicht fehlen. Zu dem allem sagt

Fünftens und leztens der Copernikus wieder, wenn gleichwohl die Axe der Erdkugel gegen die [18] Sonne waagrecht läge, und die Erde drehte sich auch so, und sie bewegte sich waagrecht in einer vollkommen runden Cirkellinie um die Sonne, also daß die Sonne genau im Mittelpunkt des Cirkelkreises stünde, so müste Jahr aus Jahr ein, und auf allen Orten der Erde Tag und Nacht gleich seyn. Ja es müste mitten auf der Erde rechts und links um den rothen Faden ein ewiger Sommer glühn, weiterhin zu beiden Seiten am Abhang der Kugel milderte und kühlte sich die Hitze ein wenig, je schiefer die Sonnenstrahlen herab fielen, und näher gegen die Pole hin herrschte ein Winter ohne Trost und ohne Ende. Aber es ist nicht so, sagt der Sternseher. Die Axe der Erde liegt nicht waagrecht und nicht senkrecht gegen die Sonne, sondern schief in einem Winkel von 67 Graden, wer’s versteht. In dieser Richtung gegen die Sonne dreht sich die Erde in 24 Stunden um, in dieser Richtung wandelt sie in einem Jahr um die Sonne ebenfalls nicht senkrecht, sondern schief.

Wenn am 21sten Merz der geneigte Leser sich vor den rothen Adler stellt, vor das Wirthshaus, und sich mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang kehrt, so ist der Kreis, den an selbigem Tag der rothe Faden um die Erde zieht noch 1470 Stundenwegs, oder 735 Meilen rechts hinaus von ihm entfernt, sein Pol aber, dem er am nächsten ist, ist 1230 Stunden oder 615 Meilen von ihm entfernt links hinaus. In solchem Standpunkt steht der geneigte Leser am 21 Merz. Aber schon am 22sten legt sich der Faden nicht mehr ganz an das bewußte Cruzifix, und an seinen Anfang an, sondern er lauft etwas herwärts gegen uns daran vorbey, und so windet er sich von 24 Stunden [19] zu 24 Stunden in einer Schraubenlinie fort, und kommt immer näher gegen uns bis zum 21 Juni, und ist alsdann gleichwohl noch nicht bey uns, sondern ist uns nur ungefähr um 705 Stunden, oder 352 1/2 Meile näher gekommen. Aber vom 21 Juni an kehrt der Faden in den nemlichen Windungen wieder zurük, immer weiter von uns weg, bis er ungefähr am 21 September in gleicher Entfernung von beiden Polen wieder satt an dem Cruzifix vorbeistreift. Von dieser Zeit an windet er sich jenseits gegen den andern Pol immer weiter und weiter von uns weg bis ungefähr zum 21 December, wo er 1440 Stunden weit, rechts hinaus von uns entfernt ist, kehrt alsdann eben so zurük, und trift am 21 Merz wieder richtig bei dem Cruzifix ein. Aber bis zu uns kommt er nie, weil wir so weit von ihm weg wohnen, hinaus gegen den Pol.

Aus dieser figürlichen Vorstellung ist nun zu erkennen, was zwar der geneigte Leser schon weiß, daß er während des Kreislaufs der Erde nicht immer in der nemlichen Richtung gegen die Sonne bleiben könne, aber die Astronomen haben daraus berechnet, in welcher schiefen Linie die Erde binnen Jahresfrist die Sonne umlaufen muß, damit diese Veränderungen und die 4 Jahreszeiten zu Stande kommen.

Der Frühling beginnt um den 21sten Merz, wann der rothe Faden gerade auf das Cruzifix herabreicht. Die Sonne steht gleich weit von beiden Polen über der Erde. Tag und Nacht sind gleich. Die Sonne scheint immer näher zu kommen, und immer höher am Himmel aufzusteigen, je mehr sich der rothe Faden [20] nähert. Der Tag und die Wärme nehmen zu, die Nacht und die Kälte nehmen ab.

Der Sommer beginnt um den 21sten Juni, wenn der Faden am weitesten von dem Cruzifix entfernt, und am nächsten bey uns ist. Alsdann steht die Sonne am höchsten über dem Haupt des geneigten Lesers, und dieser Tag ist der längste. So wie sich der Faden wieder hinauswindet, kommt die Sonne immer schiefer gegen uns zu stehen, und die Tage werden kürzer.

Der Herbst beginnt am 21 September. Tag und Nacht sind wieder gleich, weil die Sonne, besage des Fadens wieder über dem Cruzifix steht. Aber je weiter er alsdann jenseits hinauslauft gegen den andern Pol, desto tiefer stellt sich gegen uns die Sonne. Die Tage und die Wärme nehmen immer mehr ab, die Nächte und die Kühle nehmen zu.

Der Winter beginnt, wenn am 20. December der Faden am weitesten jenseits von uns entfernt ist. Der geneigte Leser verschläft alsdann die längste Nacht, und die Sonne steht so tief, daß sie ihm noch früh um 9 Uhr durch des Nachbarn Caminhut in das Stüblein schauen kann, wenn die Fensterscheiben nicht gefroren sind.

Endlich wenn von diesem Tage an der Faden zurükkehrt, verlängern sich auch die Tage wieder. Am 22. Februar auf Petri Stuhlfeier kommt schon der Storch in seine alte Heimat zurük, und ungefähr am 20. Merz trift der rothe Faden wieder bey dem Cruzifix ein. Dieß hat noch nie fallirt.

Hieraus ist zu gleicher Zeit zu erkennen, daß nie auf der ganzen Erde die nemliche Jahrszeit herrscht. [21] Denn zu gleicher Zeit, und in gleichem Maaße, wie sich die Sonne von unserm Scheitelpunkt entfernt, oder wir von der Sonne, kommt sie höher über diejenige zu stehen, welche jenseits des Cruzifixes gegen den andern Pol hinauswohnen, und umgekehrt eben so.

Wenn hier die lezten Blumen verwelken, und das Laub von den Bäumen fällt, fangt dort alles an zu grünen und zu blühen. Wenn wir in unserm Winter die längste Nacht verschlafen, schimmert dort der längste Sommertag, und der Hausfreund kann sich nicht genug über die göttliche Weisheit verwundern, die mit einer Sonne auf der ganzen Erde ausreicht, und in die winterlichste Landschaften noch einen lustigen Frühling, und eine fröhliche Erndte bringen kann.

Soviel für diesmal von der Erde. Gleichwohl wenn ein Mensch von derselben sich aufheben, und in grader Linie langsam oder geschwind zum Abendstern aufsteigen könnte, der unter allen Sternen der nächste ist, so würde er noch merkwürdige Dinge sehen. Der Stern würde vor seinen Augen immer größer werden, zuerst wie der Mond, bald darauf wie ein großes Rad, zulezt wie eine unübersehbare Kugel oder Fläche. Sein Licht würde ihm immer milder erscheinen, weil es sich immer über eine größere Fläche verbreitete, ja er würde in einer gewissen Entfernung davon schon Berge und Thäler entdecken, und allerley, und zulezt auf einer neuen Erde landen. Aber in der nemlichen Proportion müste unter ihm die Erde immer kleiner werden, und glänzender ihr Licht, weil es sich auf einen kleinern Raum zusammen drängt. In einer gewissen Entfernung hätte sie für ihn noch [22] den Umfang wie ein großes Rad, hernach wie eine Schützenscheibe, hernach wie der Mond, und endlich wenn er gelandet wäre, würde er sie weit drausen am Himmel, als einen lieblichen Stern unter den andern erbliken, und mit ihnen auf und untergehn sehen. „Sieh dort, würde er zu seinem ersten Bekannten sagen, mit dem er bekannt wird, sieh jenen lieblichen Stern, dort bin ich daheim, und mein Vater und meine Mutter leben auch noch dort. Die Mutter ist eine gebohrne so und so. Es müste ein wundersames Vergnügen seyn, die Erde unter den Sternen des Himmels und ganz als ihres Gleichen wandeln zu sehen, und der Hausfreund hat dem geneigten Leser diese Freude in dem Artikel von den Planeten zugedacht.


(Die Fortsetzung folgt.)


Zwey Gehülfen des Hausfreunds.

Es wird in Zukunft bisweilen, von einem Adjunkt die Rede seyn, was der geneigte Leser nicht verstehen könnte, wenn es ihm nicht erklärt würde. Als nemlich der Hausfreund den rheinländischen Calender noch schrieb, er schreibt ihn noch, hat er den Bezirk seiner Hausfreundschaft diesseits Rheins, wie die Franzosen das Land jenseits Rheins in zwey Provinzen getheilt, in die untere, und in die obere: und hat in die untere einen Statthalter gesezt, einen Präfekt, der aber nicht will genannt seyn, denn er ist kein Landskind. Auch nennt ihn der Hausfreund selber nicht leicht Statthalter, und niemand, sondern Adjunkt, denn selten ist jeder auf seinem Posten, sondern [23] sitzen bei einander und schreiben mit einander neue hoch deutsche Reimen, oder sinnreiche Räthsel. Zum Exempel, Adjunkt, sagt der Hausfreund: Rathet hin, rathet her, was ist das?

Der arme Tropf
Hat keinen Kopf;
Das arme Weib
Hat keinen Leib,
Die arme Kleine
Hat keine Beine.
Sie ist ein langer Darm,
Doch schlingt sie einen Arm
Bedächtig in den andern ein.
Was mag das für ein Weiblein sein?

Hausfreund, sagt der Adjunkt, wenn ihr mir einen Groschen leiht, so will ich euch, für dieses Räthsel ein paar Bretzeln kaufen. Den Wein, den wir dazu trinken, bezahlt ihr. Rathet hin, rathet her, was ist aber das?

Holde, die ich meine,
Niedliche und kleine,
Ich liebe dich, und ohne dich
Wird mir der Abend weinerlich.
Auch gönnst du mir,
Nachrühm’ ich’s dir,
Wohl manchen lieblichen Genuß;
Doch bald bekommst du’s Ueberdruß,
Und laufst zu meiner tiefen Schmach
Ein feiles Mensch den Juden nach
Und dennoch Falsche aus und ein,
Hörst du nicht auf mir lieb zu seyn.

Ihr errathets nicht, sagt der Statthalter, wenn ichs euch nicht explicire. Es ist eine Adjunkts Besoldung, [24] zum Exempel meine eigene, die ich von euch bekomme.

Allein der Adjunkt hat selber wieder eine Adjunktinn, nemlich seine Schwiegermutter, die Tochter hat er noch nicht, bekommt sie auch nicht, und der Hausfreund hat an ihm einen ganz andern Glückszug gethan, als sein guter Freund, der Doktor, auf seiner Heimreise aus Spanien an der Madridter Barbiergilde. Denn als er aus der großen Stadt Madrid heraus ritt, seinem Thierlein wuchsen in dem warmen Land, und bey der üppigen Nahrung die Haare so kräftig, daß er nach Landesart zwey Barbiere mit nehmen mußte, die auch ritten, und wenn sie Abends in die Herberge kamen, so rasirten sie sein Thierlein. Weil sie aber selber keine gemeine Leute waren, und die ganze Nacht Arbeit genug hatten, bis das Thierlein eingeseift, und rasirt, und wieder mit Lavendelöhl eingerieben war, so nahm jeder wieder für sein eigenes Thierlein zwey Barbiere mit, die ebenfalls ritten, und diese wieder. Als nun der Doktor oben auf dem pyrenäischen Berg zum erstenmal umschaute, und mit dem Perspektiv sehen wollte, wo er hergekommen war, als er mit Verwunderung und Schrecken den langen Zug seiner Begleiter gewahr wurde, und wie noch immer neue Barbiere zum Stadtthor von Madrid herausritten, und innwendig wieder aufsassen, sagte er bey sich selbst: Was hab ich denn nöthig länger zu reiten, es geht nun jezt Berg unter, und gieng früh am Tag in aller Stille zu Fuß nach Montlouis.

Also hat der Hausfreund mit seinem Adjunkte auch die Adjunktinn des Adjunkts gewonnen, ist aber nicht erschroken, und davon gelaufen. Wers noch [25] nie erlebt hat, wie sie allen Leuten Red und Antwort gab, und schöne Schweitzerlieder vom Rigiberg singen, und wie sie sich verstellen kann, bald meint man, man sehe eine Heilige mitten aus dem gelobten Land heraus, bald die heidnische Zauberin Medea, und noch viel, wers nicht gesehen hat, stellt si’chs nicht vor.

Der freundlichen Schwiegermutter des Adjunkts, soll dieses Büchlein zum Dank und zur Freundschaft gewidmet seyn.


Des Adjunkts Standrede im Gemüßgarten seiner Schwiegermutter.

Sezt ohne Anstand die Hüte auf, gute Nachbarn und Freunde. Ich will nun von der Fruchtbarkeit und schnellen Verbreitung der Pflanzen mit euch reden. „Es gieng ein Säemann aus, zu säen seinen Saamen, und etliches fiel auf ein gut Land.“


1.

Man kann sich nicht genug über die Menge und Mannigfaltigkeit der Pflanzen verwundern, mit welchen die Natur alle Jahre die Erde bekleidet. In dem kleinen Raum, den das Auge auf einmal überschauen kann, welch eine Vielfachheit der Gestalten, welch ein Spiel der Farben, welche Fülle in der Werkstätte der reichsten Kraft und der unerforschlichen Weisheit? Nicht weniger muß man sich wundern über die Geschwindigkeit, mit welcher die Natur jede leere Stelle auf öden Feldern, verlassenen Wegen, kahlen Felsen, Mauern und Dächern, wo nur eine handvoll [26] fruchtbare Erde hingefallen ist, ansäet und mit Gras, Kräutern, Stauden, und Buschwerk besetzt. Das sieht man oft und achtets nicht, eben weil man es von Kindheit an so oft sieht; die größte Weisheit verrathet sich in der einfachen und natürlichen Einrichtung der Dinge, und man erkennt sie nicht, eben weil alles so einfach und natürlich ist.


2.

Die meisten Pflanzen haben eine wunderbare Vermehrungskraft, wie jeder aufmerksame Landwirth wohl weiß. Tausend Saamenkerne von einer einzigen Pflanze, so lange sie lebt, ist zwar schon viel gesagt, nicht jede tragts, aber es ist auch noch lange nicht das höchste. Man hat schon an einer einzigen Tabackspflanze 40 000 Körnlein gezählt, die sie in einem Jahre zur Reife brachte. Man schätzt einer Eiche, daß sie 500 Jahre leben könne. Aber wenn wir uns nun vorstellen, daß sie in dieser langen Zeit nur 50mal Früchte trage, und jedesmal in ihren weit verbreiteten Aesten und Zweigen nur 500 Eicheln, so liefert sie doch 25 000 wovon jede die Anlage hat, wieder ein solcher Baum zu werden. Gesetzt, daß dieses geschehe, und es geschehe bey jeder von diesen wieder, so hätte sich die einzige Eiche in der zweiten Abstammung schon zu einem Walde von 625 Millionen Bäumen vermehrt. Wieviel aber eine Million oder 1 000 mal 1 000 sey, glaubt man zu wissen, und doch erkennt es nicht jeder. Denn wenn ihr ein ganzes Jahr lang vom 1. Jenner bis zum 31. Dec. alle Tage 1 000 Striche an eine große Wand schreibet, so habt ihr am Ende des Jahrs noch keine Million, sondern erst 365 000 Striche, und das zweite Jahr [27] noch keine Million, sondern erst 730 000 Striche, und erst am 26. September des dritten Jahrs würdet ihr zu Ende kommen. Aber unser Eichenwald hätte 625 solcher Millionen, und so wäre es bey jeder andern Art von Pflanzen nach Proportion in noch viel kürzerer Zeit, ohne an die zahlreiche Vermehrung durch Augen, Wurzelsprossen und Knollen zu gedenken. Wenn man sich also einmal über diese große Kraft in der Natur gewundert hat, so hat man sich über den großen Reichthum an Pflanzen aller Art nicht mehr zu verwundern. Obgleich viele 1 000 Kerne und Körnlein alle Jahre von Menschen und Thieren verbraucht werden, viele Tausend im Boden ersticken, oder im Aufkeimen durch ungünstige Witterung und andere Zufälle wieder zu Grunde gehen, so bleibt doch Jahr aus Jahr ein, ein freudiger und unzerstörbarer Ueberfluß vorhanden. Auf der ganzen weiten Erde fehlt es nirgends an Gesäme, überall nur an Platz und Raum.


3.

Aber wenn jeder reife Kern, der sich von seiner Mutterpflanze ablöset, unter ihr zur Erde fiele und liegen bliebe; alle lägen auf einander, keiner könnte gedeihen, und wo vorher keine Pflanze war, käme doch keine hin. Das hat die Natur vor uns bedacht, und nicht auf unsern guten Rath gewartet. Denn einige Kerne, wenn sie reif sind, fliegen selbst durch eine verborgene Kraft weit auseinander, die meisten sind klein und leicht, und werden durch jede Bewegung der Luft davon getragen, manche sind noch mit kleinen Federlein besetzt, wie der Löwenzahn (Schlenke, Kettenblume) Kinder blasen sie zum Vergnügen [28] auseinander, und thun damit der Natur auch einen kleinen Dienst, ohne es zu wissen, andere gehen in zarte breite Flügel aus, wie die Saamenkerne von Nadelholzbäumen. Wenn die Sturmwinde wehen, wenn die Wirbelwinde, die im Sommer vor den Gewittern hergehen, alles von der Erde aufwühlen und in die Höhe führen, dann säet die Natur aus, und ist mit einer Wohlthat beschäftiget, während wir uns fürchten, oder über sie klagen und zürnen; dann fliegen und schwimmen und wogen eine Menge von unsichtbaren Keimen in der bewegten Luft herum, und fallen nieder weit und breit, und der nachfolgende Staub bedeckt sie. Bald kommt der Regen und befeuchtet ihn, und so wirds auf Flur und Feld, in Berg und Thal, auf First und Halden auch wahr, daß etliches auf dem Weg von den Vögeln des Himmels gefressen wird, etliches unter den Dornen zu Grund geht, etliches auf trockenem Felsengrund in der Sonnenhitze erstirbt, etliches aber gut Land findet, und hundertfältige Frucht bringt. Weiter sind manche Kerne für den Wind zu groß und zu schwer, aber sie sind rund und glatt, rollen auf der Erde weiter, und werden durch jeden leichten Stoß von Menschen oder Thieren fortgeschoben. Andere sind mit umgebogenen Spitzen oder Häcklein versehen, sie hängen sich an das Fell der Thiere, oder an die Kleider der Menschen an, werden fortgetragen, und an einem andern Orte wieder weggestreift, oder abgelesen und ausgesäet, und der es thut, weiß es nicht, oder denkt nicht daran. Viele Kerne gehen unverdaut und unzerstört durch den Magen und die Gedärme der Thiere, denen sie zur Nahrung dienen sollen, und werden [29] an einem andern Ort wieder abgesetzt. So haben wir ohne Zweifel durch Strich-Vögel schon manche Pflanze aus fremden Gegenden bekommen, die jetzt bey uns daheim ist, und guten Nutzen bringt. So gehen auf hohen Gemäuren und Thürmen Kirschbäume und andere auf, wo gewiß kein Mensch den Kern hingetragen hat. Noch andere fallen von den überhangenden Zweigen ins Wasser, oder sie werden durch den Wind und Ueberschwemmungen in die Ströme fortgerissen und weiter geführt, und an andern Orten durch neue Ueberschwemmungen wieder auf dem Lande abgesetzt. Ja einige schwimmen auch wohl auf den Strömen bis ins Meer, erreichen das jenseitige Gestade, und heimen sich alsdann in einer landesfremden Erde ein. Es sind da und dort schon Pflanzen als Unkraut aufgegangen, von denen man wohl wissen kann, daß der Samen dazu auf diese Art über das Meer gekommen sey. Also müssen alle Kräfte und Elemente die wohlthätigen Absichten des Schöpfers befördern, Schnee und Regen, Blitz und Hagel, Sturm und Winde, die seine Befehle ausrichten.


4

Aber das ist ja eben die Plage des Landmannes! daher kommt also das viele Unkraut im Garten-Gelände und auf den Acker-Furchen, das der schönen gereinigten Saat Raum und Nahrung stiehlt, so viel Mühe macht, und doch mit aller Geduld und Sorgfalt nicht vertilgt werden kann! Die Sache ist nicht so schlimm, wie sie scheint. Denn zum ersten, so ist der Mensch nicht allein auf der Erde da. Viele 1000 Thiere aller Art, von mancherley Natur und Bedürfnissen wollen auch genährt seyn, und warten [30] auf ihre Speise zu seiner Zeit. Manche davon sind uns unentbehrlich und wir wissens wohl, manche schaffen uns grossen Nutzen, und wir wissens nicht; und es muß doch wahr bleiben, woran wir uns selber so oft erinnern, daß sich eine milde Hand aufthut, und sättiget alles, was da lebet mit Wohlgefallen. Zum andern, so hat doch der Mensch auch schon von manchem Kräutlein Nutzen gezogen, das er nicht selber gesäet und gepflanzet, nicht im Frühlingsfrost gedeckt, und in der Sommerhitze begossen hat. Und eine einzige unscheinbare und verachtete Pflanze, deren Kraft dir oder deinen Kindern, oder auch nur deinem Vieh eine Wunde heilt, einen Schmerz vertreibt oder gar das Leben rettet, bezahlt die Mühe und den Schaden reichlich, den tausend andere verursachen. Aber wer stellt den Menschen zufrieden? Wenn die Natur nicht so wäre, wie sie ist, wenn wir Baldrian und Wohlgemuth, Ehrenpreis und Augentrost, und alle Pflanzen in Feld und Wald, die uns in gesunden und kranken Tagen zu mancherley Zwecken nützlich und nöthig sind, selber ansäen, warten und pflegen müßten, wie würden wir alsdann erst klagen über des viel bedürftigen Lebens Mühe und Sorgen!


Von den Schlangen.

1.

Noch immer glauben Leute, daß die giftigen Schlangen mit der Zunge stechen. Allein es ist schon lange ausser Zweifel gesetzt, daß sie an der obern Kinnlade zwey Giftzähne habe, die sie in eine Scheide zurückziehen und wieder hervorstossen können. Diese [31] Zähne sind hohl, und haben an den Spitzen eine feine Oefnung, hinter jedem derselben befindet sich eine Drüse, in welcher das Gift bereitet wird, und wenn das Thier beißt, so tritt das Gift aus der Drüse in den Zahn und durch die Oeffnung in die Wunde. Es ist also eine Fabel, daß die Schlangen, ehe sie ins Wasser gehen, das Gift unter einen Stein ablegen. Wenn ein solches Thier im Wasser nicht giftig ist, so hat es auch kein Gift ausser demselben. An jenen Zähnen hätte man also wohl ein Kennzeichen, die gefährlichen Thiere dieser Art von den unschuldigen zu unterscheiden. Aber wie kann man ihnen so lange sie leben, in den Mund schauen und wer wirds thun? Lieber geht man ihnen zur Sicherheit aus dem Wege oder schlägt sie todt. Allein so wird doch auch manches unschädliche und sogar nützliche Thier getödtet. Denn die Schlangen verzehren viel sogenanntes Ungeziefer, und helfen also, uns vor der schädlichen Menge desselben bewahren. Und ein guter und besonnener Mensch will doch lieber erhalten, als ohne Zweck und Noth zerstören, lieber leben lassen als tödten, wär es auch nur ein Thier im Staube. Und die Schlange, ob sie gleich mit dem Bauch auf der Erde schleicht, ist doch ein merkwürdiges und wirklich ein schönes Thier. Schon das verdient ja unsere Bewunderung, daß dieses Geschöpf ohne Füsse nur durch seine zahlreichen Muskeln sich so leicht fortbewegen kann. Ihre Gestalt ist so einfach und doch fehlt ihnen nichts, was ihnen zur Erhaltung und zum Genusse ihres Lebens nöthig ist. Mit welcher Geschwindigkeit und Gewandtheit gleiten sie in den mannigfaltigsten Wendungen ihres schlanken Körpers nach allen [32] Richtungen dahin, und ereilen ihre fliehende Beute, oder retten ihr verfolgtes Leben? Mit welcher leichten Biegsamkeit wenden sie sich zwischen und über und unter den tausend Hindernissen durch, die ihrem Laufe überall im Wege liegen? Wer hat über den ganzen Körper hinab Schild an Schild und Schuppe an Schuppe gereiht und übereinander gelegt, daß sie bey jeder Bewegung in der größten Geschwindigkeit ausweichen, nachgeben, sich über einander schieben, und doch den zarten Körper bedecken, und allemal wieder in ihre vorige Lage zurückkehren? Wer hat sie mit der Schönheit und Mannigfaltigkeit ihrer Farben geziert? In Amerika wird eine Schlange mit rothen, schwarz eingefaßten Flecken, und citronengelben Querstreifen wegen ihrer ausnehmenden Schönheit zum Staat als Halsschmuck getragen, oder in die Haare geflochten. Auch von unsern Schlangen sind manche, zumal wenn sie sich noch nicht lange gehäutet haben, an Farbe und Zeichnungen schön, wenn man sie nur ohne Furcht und Abscheu betrachten kann.


2.

Aber wenn wir nur erst die gefährlichen unter ihnen kennten! Ein gelehrter Beobachter dieser Thiere hat folgende allgemeine Kennzeichen angegeben, die leicht zu merken sind. Wenn der Kopf breit, und mit dünnen Schuppen besetzt ist, so ist die Schlange verdächtig; wenn er aber mehr rund ist, so ist sie’s nicht. Ferner, wenn sich das Ende des Körpers fein zuspitzt, so ist nicht zu trauen; ist es aber stumpf und abgerundet, so hat man keine Gefahr. Doch giebt er diese Kennzeichen selber nicht für ganz untrüglich aus, und das beste an der Sache ist das, daß wir [33] nur sehr wenige giftige Schlangen haben, die leicht zu kennen sind, und daß diese nicht muthwillig den Menschen angreifen, sondern nur sich selber vertheidigen, wenn sie beunruhigt, gereizt, gedrückt oder verletzt werden.

Zum Beyspiel, die sogenannte Otter hat einen fast herzförmigen Kopf, eine Länge von 1 bis 2 Fuß und ein spitziges Ende. Die Farbe ist nach den verschiedenen Häutungen, oben grau oliven braun, oder schwärzlich, unten hellgrau auch bläulich. Auf dem Kopfe steht ein grosser herzförmiger brauner Fleck, auf dem Halse dergleichen Punkte im Zickzack, dann Streifen und von der Mitte an noch einzelne grössere und kleinere Flecken, hie und da, die ebenfalls braun sind. Die Kupferschlange, auch Kreuzotter hat einen platten, eyrunden Kopf, dünnen Hals, eine Länge von 6, 8 bis 12 Zoll und einen zugespitzten Schweif. Oben ist sie rostfarbig, bald stärker bald schwächer. Sie hat auf dem Kopfe zwey voneinander abgekehrte Halbzirkel )(. Ueber den Rücken hinab lauft ein dunkelbrauner Streifen im Zickzack, und an den Seiten hin liegen braune Punkte. Der Unterleib ist aschgrau mit weißen Querbinden, auf welchem wieder schwärzliche Punkte stehn, und die Endspize ist braun.

Auch findet man hie und da noch eine giftige Schlange, die am ganzen Körper schwarz ist, und deßwegen auch die schwarze Otter genennt wird.

Alle halten sich gern in einsamen, waldigen, düstern und verwilderten Gegenden auf.

Jede Art von giftigen Schlangen bringt durch ihren Biß andere, aber allemal schmerzhafte, traurige, bisweilen sehr gefährliche Folgen hervor. Auch ist [34] der Biß von der nemlichen Schlangen-Art nicht immer gleich furchtbar. Er ist gefährlicher, wenn das Thier alt, als wenn es jung ist, gefährlicher in der heißen und schwühlen Witterung, als in der kühlen, und desto gefährlicher, je mehr der Feind gereitzt und erbost ist. Auf alle Fälle soll man nicht säumen, oder sich auf Segensprechen und Sympathie verlassen, wenn man gebissen worden ist, sondern so geschwind als möglich einen erfahrnen Arzt oder Wundarzt zu Rathe ziehn.

Unterdessen soll man zum wenigsten die Wunde unterbinden, wenn es seyn kann, erweitern, mit Salzwasser auswaschen. Man empfiehlt auch ein Loch in die Erde zu graben, und das verwundete Glied hinein zu stecken. Jäger haben schon Schießpulver auf die Wunde gestreut, und angezündet, und haben die Wirkung gerühmt.

Auch mit den getödteten Schlangen von giftiger Natur muß man gar behutsam seyn. Man hat Beyspiele, daß unvorsichtige Personen durch die Giftzähne noch am abgeschnittenen Kopf einer Schlange gefährlich verwundet worden sind. Aber verschlucken könnte man solches Gift ohne Gefahr, wenn man nur innerlich gesund und unverletzt ist, denn es schadet nur, wenn es unmittelbar ins Blut kommt. Auch das Fleisch dieser Thiere ist unschädlich. Schon manche Schlange ist gegessen worden, ja man bereitet von dem Fleische der giftigen Otter für gewisse Kranke eine sehr nahrhafte und heilsame Brühe.

Aber an allen unsern Schlangen, die nicht Giftzähne haben, ist auch sonst nichts furchtbares und ihre Größe macht sie nicht gefährlich. Ob man gleich nicht genau sagen kann, wie alt sie werden, so hat man doch Ursache zu glauben, daß sie lange wachsen, und [35] die ungewöhnliche Grösse mancher Schlangen bewiese also nur, daß ihr der Zufall viel Zeit gelassen hat, sich zu strecken.


3.

Es liesse sich noch viel merkwürdiges von diesen Thieren besonders aus fremden Ländern erzählen z. B. die giftige Klapperschlange in Amerika giebt mit mehrern beweglichen Gelenken am Schweif einen zischenden oder rauschenden Laut von sich, ehe sie angreift. Wer es hört, ist gewarnt und kann sich in Acht nehmen. Aber Eichhörnchen und andere Thiere, die zu ihrer Nahrung bestimmt sind, werden durch diesen Laut ordentlich herbeygelockt, und liefern sich selber zur Beute und die jungen Amerikaner, wenn sie Eichhörnchen fangen wollen, sind so keck, daß sie sich irgendwo im Gebüsche verbergen, das Rauschen der Klapperschlange nachmachen, die Eichhörnchen damit locken, und sich alsdann ihrer zu bemächtigen suchen.

Es gibt auch ungeheure große Schlangen in Afrika, Ostindien etc. die größte soll mehr als Mannsdicke und eine Länge von 40 Fuß auch drüber erreichen. Sie ist nicht giftig, aber durch ihre Größe und Stärke selbst dem grausamsten Raubthiere, dem Tiger, gefährlich. Sie umwindet ihn, und drückt ihm die Knochen im Leibe entzwey. Sie schlingen Thiere ganz hinab, die dicker als sie selbst sind, weil der Körper nachgibt, und sich über seine gewöhnliche Dicke ausdehnen läßt, werden aber alsdann träge und unbehülflich.

Man erzählt, daß ein Vater eben dazukam, als eine große Schlange sein Kind verschluckte. Augenblicklich und glücklich soll er sie getödtet, ihr den Bauch aufgeschnitten, und sein Kind lebendig und unversehrt [36] heraus gezogen haben. Es gehört Glauben dazu, aber als ein äusserst glücklicher Zufall scheint es wenigstens möglich zu seyn.

Wenn die Neger in Afrika einer grossen Schlange die Haut abstreifen wollen, so ziehn sie dieselbe mit einem Strick an den Ast eines hohen Baumes auf. Einer klettert alsdann mit einem Messer hinauf, geht auf den Ast hervor, läßt sich an das Ungeheuer hinab, löst ihm die Haut unter dem Kopf, streift sie ab, und gleitet alsdann sachte mit der Haut, die er von oben nachzieht, an dem glatten Körper zur Erde hinab.

Grosse Schlangen wurden bey den Alten auch Drachen genannt. Aber wer dabey an geflügelte und feuerspeiende Unthiere denkt, oder an sogenannte Basilisken, der denkt an eine Fabel. Und es ist nur so viel an der Sache, daß es in fremden Welttheilen auf den Bäumen Eidexen giebt, die durch sogenannte Flughäute auf dem Rücken und am Hals, oder an den Seiten zwischen den vordern und hintern Beinen sich in der Luft schwebend erhalten und weite Sprünge machen können.

Man kennt auch eine Schlange, die auf dem Kopfe zwey bewegliche Auswüchse wie Hörner hat, und nennt sie deswegen die Gehörnte. Sie weiß sich sehr geschickt im Grase zu verbergen, so daß nur diese Auswüchse hervorschauen. Vögel, die dies sehen, haltens für Würmer, fliegen herzu und wollen anbeissen, werden aber augenblicklich von der Schlange erhascht, und gefressen.

So begegnet wohl auch manchem Menschen gerade dasjenige selber, was er aus Eigennutz oder Schadenfreude einem andern zugedacht hat. [37]

Geiz und Verschwendung.

Der Geizige rafft Geld und Gut zwecklos zusammen; der Verschwender bringt es zwecklos durch.

Der Geizige hat keinen, der Verschwender hat einen unnützen Genuß von dem Seinigen.

Der Geizige kann auf die goldene Mittelstrasse zurückkehren, so bald er will; dem Verschwender wird es immer schwerer, je weiter er sich davon entfernt.

Der Geizige kann, aber er will es selten; der Verschwender möchte oft, aber er kann nicht mehr.

Der eine macht sich Feinde; der andere erwirbt Freunde, die schlimmer sind als ein Feind.

Jenen peinigt der Wunsch, immer weiter zu kommen; diesen die Reue, daß er schon so weit gekommen ist.

Geiz ist die Wurzel alles Uebels; Verschwendung ist ein Baum voll bitterer Früchte.

Den Geizigen verzehrt die Sorge; den Verschwender die Ausschweifung. Jenen lohnt am Ende die Furcht; diesen der Kummer.

Nicht selten wird der jugendliche Verschwender noch ein geiziger Greis.

Sehr oft kommt das Vermögen geiziger Sammler an verschwenderische und im eigentlichen Sinne, lachende Erben.


Kindesdank und Undank.

Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist, daß Menschen im Alter von ihren Kindern wieder ebenso behandelt werden, wie sie [38] einst ihre alten und kraftlosen Eltern behandelt haben. Es geht auch begreiflich zu. Die Kinder lernens von den Eltern; sie sehens und hörens nicht anders, und folgen dem Beispiel. So wird es auf die natürlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und geschrieben ist, daß der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern ruhe und sie nicht verfehle.

Man hat darüber unter andern zwei Erzählungen, von denen die erste Nachahmung und die zweite große Beherzigung verdient.

Ein Fürst traf auf einem Spazierritt einen fleißigen und frohen Landmann an dem Ackergeschäft an, und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. Nach einigen Fragen erfuhr er, daß der Acker nicht sein Eigenthum sey, sondern daß er als Tagelöhner täglich um 15 kr. arbeite. Der Fürst, der für sein schweres Regierungsgeschäft freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte, konnte es in der Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es möglich sey, täglich mit 15 kr. auszureichen, und noch so frohen Muthes dabey zu seyn, und verwunderte sich darüber. Aber der brave Mann im Zwilchrock erwiderte ihm: „es wäre mir übel gefehlt, wenn ich so viel brauchte. Mir muß ein Drittheil davon genügen; mit einem Drittheile zahle ich meine Schulden ab, und den übrigen Drittheil lege ich auf Capitalien an.“ Das war dem guten Fürsten ein neues Räthsel. Aber der fröhliche Landmann fuhr fort, und sagte: „Ich theile meinen Verdienst mit meinen alten Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen Kindern, die es erst lernen müssen; jenen vergelte ich die Liebe, die sie mir in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe [39] ich, daß sie mich einst in meinem müden Alter auch nicht verlassen werden.“ War das nicht artig gesagt, und noch schöner und edler gedacht und gehandelt? Der Fürst belohnte die Rechtschaffenheit des wackern Mannes, sorgte für seine Söhne, und der Segen, den ihm seine sterbende Eltern gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren Kindern durch Liebe und Unterstützung redlich entrichtet.

Aber ein anderer gieng mit seinem Vater, welcher durch Alter und Kränklichkeit freilich wunderlich geworden war, so übel um, daß dieser wünschte, in ein Armen-Spital gebracht zu werden, das im nemlichen Orte war. Dort hoffte er wenigstens bey dürftiger Pflege von den Vorwürfen frei zu werden, die ihm daheim die lezten Tage seines Lebens verbitterten. Das war dem undankbaren Sohn ein willkommenes Wort. Ehe die Sonne hinter den Bergen hinabgieng, war dem armen alten Greis sein Wunsch erfüllt. Aber er fand im Spital auch nicht alles, wie er es wünschte. Wenigstens ließ er seinen Sohn nach einiger Zeit bitten, ihm die letzte Wohlthat zu erweisen, und ihm ein paar Leintücher zu schicken, damit er nicht alle Nacht auf bloßem Stroh schlafen müßte. Der Sohn suchte die 2 schlechtesten, die er hatte, heraus, und befahl seinem zehnjährigen Kind, sie dem alten Murrkopf ins Spital zu bringen. Aber mit Verwunderung bemerkte er, daß der kleine Knabe vor der Thür eines dieser Tücher in einen Winkel verbarg, und folglich dem Großvater nur eines davon brachte. „Warum hast du das gethan?“ fragte er den Jungen bey seiner Zurückkunft. – „Zur Aushülfe für die Zukunft“, erwiederte dieser kalt und bösherzig, „wenn ich euch, o Vater! [40] auch einmal in das Spital schicken werde.“

Was lernen wir daraus? – Ehre Vater und Mutter, auf daß es dir wohlgehe!


Das wohlfeile Mittagessen.

Es ist ein altes Sprüchwort: Wer Andern eine Grube gräbt, fällt selber darein. – Aber der Löwenwirth in einem gewissen Städtlein war schon vorher darinn. Zu diesem kam ein wohlgekleideter Gast. Kurz und trotzig verlangte er für sein Geld eine gute Fleischsuppe. Hierauf forderte er auch ein Stück Rindfleisch und ein Gemüß, für sein Geld. Der Wirth fragte ganz höflich: ob ihm nicht auch ein Glas Wein beliebe? O freilich ja, erwiederte der Gast, „wenn ich etwas Gutes haben kann für mein Geld. Nachdem er sich alles wohl hatte schmecken lassen, zog er einen abgeschliffenen Sechser aus der Tasche, und sagte: „Hier, Herr Wirth, ist mein Geld.“ Der Wirth sagte: Was soll das heißen? Seid Ihr mir nicht einen Thaler schuldig? Der Gast erwiederte: Ich habe für keinen Thaler Speise von euch verlangt, sondern für mein Geld. Hier ist mein Geld. Mehr hab ich nicht. Habt Ihr mir zu viel dafür gegeben, so ists eure Schuld. – Dieser Einfall war eigentlich nicht weit her. Es gehörte nur Unverschämtheit dazu, und ein unbekümmertes Gemüth, wie es am Ende ablaufen werde. Aber das Beste kommt noch. „Ihr seyd ein durchtriebener Schalk“, erwiederte der Wirth, „und hättet wohl etwas anders verdient. Aber ich schenke euch das Mittagessen und hier noch ein Vierundzwanzig-Kreuzer-Stück [41] dazu. Nur seyd stille zur Sache, und geht zu meinem Nachbarn, dem Bärenwirth, und macht es ihm eben so.“ Das sagte er, weil er mit seinem Nachbarn, dem Bärenwirth, aus Brodneid im Unfrieden lebte, und einer dem andern jeglichen Tort und Schimpf gerne anthat und erwiederte. Aber der schlaue Gast griff lächelnd mit der einen Hand nach dem angebotenen Geld, mit der andern vorsichtig nach der Thüre, wünschte dem Wirth einen guten Abend, und sagte: „Bey eurem Nachbarn, dem Herrn Bärenwirth, bin ich schon gewesen, und eben der hat mich zu Euch geschickt und kein anderer.“

So waren im Grunde beyde hintergangen, und der dritte hatte den Nutzen davon. Aber der listige Kunde hätte sich noch obendrein einen schönen Dank von beyden verdient, wenn sie eine gute Lehre daraus gezogen, und sich miteinander ausgesöhnt hätten. Denn Frieden ernährt, aber Unfrieden verzehrt.


Auflösung des ersten Rechnungs-Exempels, und ein Zweites.

Wie groß mag denn nun wohl die Baarschaft des betrogenen Mannes anfänglich gewesen seyn, den wir vorhin dreymal über die Brücke gehen ließen? Jedesmal verdoppelte sich sein Geld, jedesmal mußte er auf dem Heimweg dem bösen Feind ein 24-Kreuzer-Stück zum Opfer bringen. – Antwort: 21 Kreuzer war seine Baarschaft, mit welcher er anfieng. Denn als sie sich das erstemal verdoppelte, hatte er 42 kr. und 24 kr. davon, bleiben 18 kr. Das zweytemal 36 kr. und 24 kr. davon, bleiben 12 kr. Das drittemal [42] 24 kr., und gerade so viel mußte er noch haben, um dem listigen Feind zum leztenmal Wort zu halten. Das war leicht zu errathen; aber folgende Aufgabe wird etwas mehr Nachdenken erfordern.

Um die Osterzeit, wo jede Mutter ihren Kindern gerne mit ein paar gefärbten Eyern eine Freude macht, verkauft eine Händlerin an ihre Nachbarsfrau die Hälfte von allen Eyern, die sie hatte, und noch ein halbes Ey dazu. Aber wohlverstanden! es darf keins zerbrochen oder getheilt werden. Es kommt die zweyte, diese kauft vom Rest wieder die Hälfte, und ein halbes dazu. So die dritte und die vierte, jedesmal vom Rest die Hälfte, und ein halbes mehr. Am Ende hatte die Händlerin noch ein einziges Ey übrig. Jezt ist die Frage: wie groß war ihr Vorrath vom Anfang? –


Mancherley Regen.

Der beste Regen, meint der Adjunkt, sey doch immer der, mit welchem der Himmel unsere Felder und Weinberge tränkt, und den Segen fruchtbarer Zeiten sendet. Aber was sagen wir dazu, fragt der Adjunkt, wenn Schwefel oder Blut regnet, wenn Frösche, Steine oder gar Soldaten-Hüte regnen?


1.

Schwefelregen.

Nach den Gewittern im Frühjahr, wenn sie mit starken Regengüssen verbunden waren, sieht man oft am Rande der Lachen, die vom stehenden Regen-Wasser entstanden sind, ein gelbes Pulver, das wie kleingeriebener Schwefel aussieht. Nun meinen ohnehin noch [43] viele Leute, daß die Gewitter von schweflichten Dünsten entstehen, die sich in den Wolken erzeugen, und bilden sich alsdann ein, es sey mit dem Regen solcher Schwefel vom Gewitter herabgefallen, und denken daran, daß ja auch schon einmal Feuer und Schwefel vom Himmel regnete auf Sodom und Gomorra. Allein fürs erste wohnen wir Gottlob nicht in Sodom und Gomorra. Für das andere kann manchmal etwas so oder so aussehen, und es ist doch etwas anders, wie man schon oft mit Schaden erfahren hat. Und so ist auch das gelbe Pulver auf den Regenpfützen kein Schwefel: auch wenn es sich am Feuer entzündet, nicht, sondern Blüthenstaub von den Bäumen. In den Tulpen stehen inwendig im Ring herum sechs kleine Säulen, auf deren Spitzen ein schwarzer Staub sitzt. Wer daran riecht, bekommt daher eine schwarze Nase. Auf den Lilien ist er schön gelb, und wer an eine weiße Lilie riecht, bekommt davon eine gelbe Nase. Das ist Blüthenstaub. Er findet sich in allen Blumen und in allen Blüthen, denn er ist unentbehrlich und nothwendig, wenn aus der Blüthe Frucht und Saamen entstehen soll. Wenn es nun im Frühjahr, wo die Bäume blühen, starke Regengüsse giebt, so schwemmt der Regen diesen Staub von den Blüthen ab, und dieß ist auch eine Hauptursache, warum kein gutes Obst-Jahr zu erwarten ist, wenn es viel in die Blüthen geregnet hat. Wo nun viel solcher blühenden Bäume beysammen stehen, da schwemmt auch der Regen viel solchen Blüthen-Staub herab. Dieser sammelt sich alsdann wieder auf der Erde, und bleibt liegen, wenn das Wasser verdünstet, und das ist der vermeintliche Schwefelregen. Im Sommer [44] und Spätjahr, wo doch die Gewitter meistens heftiger sind, wird niemand mehr etwas von Schwefelregen sehen, weil dann das Blühen ein Ende hat. Da regnen Aepfel, Nüsse, Eicheln etc. von den schweren Aesten der Bäume herab, aber kein eingebildeter Schwefel mehr.


2.

Blutregen.

Im Frühjahr und im Sommer kann es wohl geschehen, daß man hie und da viel rothe Tropfen, wie Regentropfen, noch naß oder vertrocknet auf dem Laub oder auf Gegenständen von hellerer Farbe wahrnimmt, die auf der Erde liegen, z. B. auf Tuch, das zum Bleichen in Grasgärten ausgebreitet wird. Und weil man nicht begreifen kann, woher das kommen mag, und weil man lieber etwas unglaubliches, als etwas natürliches glaubt, so faßt mans kurz und sagt, es habe Blut geregnet, und das bedeute Krieg.

Allein, wie nicht alles Schwefel ist, was gelb aussieht, so ist auch nicht alles Blut, was eine rothe Farbe hat. Dießmal geht die Sache so zu. Aus einem kleinen Ey, das den Winter über irgendwo an einer Hecke oder an einem Baumzweig klebte, brütet im Frühjahr die Sommerwärme ein kleines lebendiges Räuplein aus. Nach wenig Wochen, wenn sich die Raupe groß und rund gefressen hat, kriecht sie irgendwo in die Höhe, wenn sie nicht schon oben ist, hängt sich mit dem Hintertheil des Körpers fest, mit dem Kopfe abwärts, streift die Raupenhülle ab, und verwandelt sich in eine eckige Gestalt, die man Puppe nennt, ohne Kopf, ohne Füße und Flügel. Man sieht dem Ding nicht an, was es seyn und werden [45] soll. Aber wieder nach kurzer Zeit spaltet sich die Haut und es kommt etwas mit kleinen zusammengeschrumpften Flügeln und einem dicken unförmlichen Hinterleib hervor, dem man wohl ansieht, daß es gern ein Schmetterling oder Sommervogel werden möchte. Nach wenigen Stunden, wo es stille sitzen bleibt, sind die schönen farbigen Flügel gewachsen und ausgebreitet. Aus dem Hinterleib gehen sechs bis acht rothe Tropfen ab, die auf die Erde herabfallen, alsdann ist der Sommervogel gemacht, und flattert leicht und fröhlich in der Luft herum, und von Blume zu Blume. Das kann der liebe Gott, aus einer häßlichen und verachteten Raupe einen schönen und fröhlichen Sommervogel machen. Wo nun ganze Hecken oder Bäume im Frühjahr mit Gespinnst überzogen sind, in welchem viele tausend solcher Eyer verborgen seyn können, da brütet auch die Sonnenwärme alle auf einmal aus. Alle, die davon kommen, können daher auch, wenn sie reichliche Nahrung haben, zu gleicher Zeit ihre Vollkommenheit erreichen, zu gleicher Zeit sich in Puppen verwandeln, und zu gleicher Zeit als Schmetterlinge wieder aus der Puppe zurückkehren. Wo nun viele dergleichen nahe beisammen sind, da geben sie auch viele rothe Tropfen von sich, ehe sie davon fliegen. Hundert in einem Garten können schon 6 – 800 Tropfen geben, und das ist alsdann der eingebildete Blut-Regen.


3.

Froschregen.

Man spricht auch von einem Froschregen. Aber das wird noch niemand gesehen haben, daß es Frösche aus der Luft herab regnete. Die Sache verhält [46] sich ganz kurz so: Im Sommer bey anhaltend trockner Hitze zieht sich eine Art von Landfröschen in benachbarte Wälder und Buschwerke zurück, weil sie dort einen kühlern und feuchtern Aufenthalt haben, und verhalten sich ganz stille und verborgen, so daß sie niemand bemerkt. Wenn nun ein sanfter Regen fällt, so kommen sie in zahlreicher Menge wieder hervor, und erquicken sich in dem nassen, kühlen Gras. Wer alsdann in einer solchen Gegend ist und auf einmal so viele Fröschlein sieht, wo doch kurz vorher kein einziges zu sehen war, der kann sich nicht vorstellen, wo auf einmal so viele Frösche herkommen; und da bilden sich einfältige Leute ein, es habe Frösche geregnet. Denn aus lieber Trägheit läßt man eher die unvernünftigsten Dinge gelten, als man sich die Mühe giebt, über die vernünftigen Ursachen dessen nachzudenken oder zu fragen, was man nicht begreifen kann.


4.

Steinregen.

Aber mit dem Steinregen verhält es sich anderst. Das ist keine Einbildung. Denn man hat darüber viele alte glaubwürdige Nachrichten und neue Beweise, daß bald einzelne schwere Steine, bald viele mit einander von ungleicher Größe, mir nichts, dir nichts, aus der Luft herabgefallen sind. Die älteste Nachricht, welche man von solchen Ereignissen hat, reicht bis in das Jahr 462. vor Christi Geburt. Da fiel in Thracien, oder in der jetzigen türkischen Provinz Rumili, ein großer Stein aus den Lüften herab, und seit jener Zeit bis jezt, also in 2267 Jahren, hat es, so viel man weiß, 38mal Steine geregnet. Z. B. im Jahr 1492. am 4. November fiel bey Ensisheim ein [47] Stein, der 260 Pf. schwer war. Im Jahre 1672. bey Verona in Italien zwey Steine von 200 und 300 Pf. Nun kann man denken, von alten Zeiten sey gut etwas erzählen. Wen kann man fragen, obs wahr sey? Aber auch ganz neue Erfahrungen geben diesen alten Nachrichten Glauben. Denn im Jahr 1789. und am 24. July 1790. fielen in Frankreich, und am 16. Juny 1794. in Italien viele Steine vom Himmel, das heißt, hoch aus der Luft herab. Und den 26. April 1803. kam bey dem Ort l’Aigle im Orne-Departement in Frankreich ein Steinregen von 2000 – 3000 Steinen auf einmal mit großem Getöse aus der Luft.


Sonntags den 22. May. 1808. sind in Mähren Steine vom Himmel gefallen. Der Kaiser von Oestreich ließ durch einen sachkundigen Mann Untersuchung darüber anstellen. Dieß ist der Erfund.

Es war ein heiterer Morgen, bis um halb sechs Uhr ein Nebel in die Luft einrückte. Die Filial-Leute von Stannern waren auf dem Weg in die Kirche, und dachten an nichts. Plötzlich hörten sie drei starke Knälle, daß die Erde unter ihren Füßen zitterte; und der Nebel wurde auf einmal so dicht, daß man nur 12 Schritte weit zu sehen vermochte. Mehrere schwächere Schläge folgten nach, und lauteten wie ein anhaltend Flinten-Feuer in der Ferne, oder wie das Wirbeln großer Trommeln. Das Rollen und das Pfeifen, das zwischen drein in der Luft gehört wurde, brachte daher einige Leute auf den Gedanken, jetzt komme die Garnison von Telisch mit türkischer Musik. An das Kanoniren dachten sie nicht. Aber während als sie vor Verwunderung und Schrecken [48] einander ansahen, fieng in einem Umkreis von ungefähr 3 Stunden ein Regen an, gegen welchen kein Mantel oder Maltersack über die Achseln schützt. Eine Menge von Steinen, von der Größe einer welschen Nuß bis zu der Größe eines Kindskopfs, und von der Schwere eines halben Lothes bis zu 6 Pfund, fielen unter beständigem Rollen und Pfeifen aus der Luft, einige senkrecht, andere wie in einem Schwung. Viele Leute sahen zu, und die Steine, welche sogleich nach dem Fallen aufgehoben wurden, waren warm. Die ersten schlugen nach ihrer Schwere tief in die Erde. Einer davon wurde 2 Fuß tief herausgegraben. Die spätern ließen es beym nächsten bewenden, und fielen nur auf die Erde. Ihrer Beschaffenheit nach sind sie inwendig sandartig und grau, und von aussen mit einer schwarzen glänzenden Rinde überzogen. Die Zahl derselben kann niemand angeben. Viele mögen in das Fruchtfeld gefallen seyn, und noch in der Erde verborgen liegen. Diejenigen, welche gefunden und gesammelt worden, betragen an Gewicht 2 1/2 Centner. Alles dauerte 6 bis 8 Minuten, und nach einigen Stunden verzog sich auch der Nebel, so, daß gegen Mittag alles wieder hell und ruhig war, als wenn nichts vorgegangen wäre. Dieß ist die Begebenheit. Was es aber mit solchen Steinen, die vom Himmel fallen, für eine Bewandniß habe, daraus machen die Gelehrten ein Geheimniß, und, wenn man sie fragt, so sagen sie, sie wissen es nicht.


5.

Hutregen.

Am unbegreiflichsten ist es, daß es einmal Soldaten-Hüte soll geregnet haben. Ein Bürger aus einem [49] kleinem Land-Städtchen irgendwo in Sachsen soll eines Nachmittags nicht weit von einem Berg auf seinem Felde gearbeitet haben. Auf einmal ward der Himmel stürmisch; er hörte ein entferntes Donnern; die Luft verfinsterte sich; eine große schwarze Wolke breitete sich am Himmel aus, und ehe der gute Mann es sich versah, fielen Hüte über Hüte rechts und links und um und an aus der Luft herab. Das ganze Feld ward schwarz, und der Eigenthümer desselben hatte unter vielen hunderten die Wahl. Voll Staunen lief er heim, erzählte was geschehen war, brachte, zum Beweis davon, so viel Hüte mit, als er in den Händen tragen konnte, und der Hutmacher des Orts mag keine große Freude daran gehabt haben. Nach einigen Tagen erfuhr man aber, daß hinter dem Berg in der Ebene ein Regiment Soldaten exerzirt hatte. Zu gleicher Zeit kam ein heftiger Wirbelwind oder eine sogenannte Windsbraut, riß den meisten die Hüte von den Köpfen, wirbelte sie in die Höhe über den Berg hinüber, und ließ sie auf der andern Seite wieder fallen. So erzählt man. Ganz unmöglich wäre wohl die Sache nicht. Indessen gehört doch eine starke Windsbraut und folglich auch ein starker Glaube dazu.


Auflösung des zweiten Rechnungsexempels.

Das Räthsel von den Eyern wird schon lange errathen seyn. Man muß nemlich auf eine Zahl denken, die selber ungerade ist, und nach dem Abzug der gekauften Eyer allemal eine ungerade Zahl zum Rest zurück läßt. Und das ist hier die Zahl Ein und Dreisig. Denn die Hälfte davon ist Fünfzehn und ein halbes, [50] und noch ein halbes Ey dazu sind Sechszehn. Soviel Eyer kauft die erste Nachbarin und folglich bleiben Fünfzehn im Rest. Die Hälfte davon sind sieben und ein halbes und noch ein halbes dazu sind acht. So viel kauft die zweite, und so bleiben noch Sieben. Von diesen wieder die Hälfte und ein halbes dazu sind Vier, und es bleiben Drey, und die Hälfte von Drey mit einem halben mehr ist Zwey, und so bleiben alle Eyer ganz und die Händlerin behält Eins im Rest.


Drittes und viertes Rechnungsexempel.

3.

Zwey Schäfer begegnen sich mit Schaafen auf der Strasse. Hans sagte zu Fritz: „Gieb mir eines von deinen Schaafen! Alsdann hab ich noch einmal so viel als du“ Fritz sagt zu Hans: „Nein, gieb du mir eins von deinen! Alsdann hab ich eben so viel als du.“

Nun ist zu errathen, wie viel ein jeder hatte.

Diese Aufgabe ist klein und leicht. Folgende ist auch nicht schwer aber artig. Nur muß man richtig rechnen, und nicht irre werden, was leicht möglich ist.


4.

Ein Mann hatte sieben Kinder zu einem Vermögen von 4900 fl. Da giengen ihn die jüngern Kinder öfters an, eine Verordnung darüber zu machen, damit sie in der Theilung nach seinem Absterben mehr bekommen sollten, als die ältern. Das kam dem guten Vater hart an, weil er eines von seinen Kindern [51] liebte wie das andere, und weil er glaubte, Gott werde den jüngern, wenn sie fleißig und gut gesittet seyen, nach seinem Tode helfen, wie er den ältern bei seinen Lebzeiten geholfen habe. Weil sie ihm aber keine Ruhe ließen, und die ältern Brüder es auch zufrieden waren, so machte er folgende Verordnung:

Der älteste Sohn soll von dem ganzen Vermögen 100 fl. zum Voraus haben und von dem übrigen den achten Theil.

Der zweite soll alsdann 200 fl. wegnehmen, und von dem Uebrigen wieder den achten Theil.

Der dritte soll 300 fl. von dem nachfolgenden vorausempfangen und auch wieder den achten Theil vom Rest.

Und so soll jeder folgende 100 fl. mehr als der erste und dann von dem übrigen den Achtel erhalten, und der Letzte bekommt, was übrig bleibt, wie überall.

Damit waren die Kinder zufrieden. Nach dem Tode des Vaters wurde sein letzter Wille vollzogen, und es ist nun auszurechnen, wie viel ein jeder bekommen habe.


Nützliche Lehren.

1.

Die Menschen nehmen oft ein kleines Ungemach viel schwerer auf, und tragen es ungeduldiger, als ein grosses Unglück, und der ist noch nicht am schlimmsten daran, der viel zu klagen hat, und alle Tage etwas anders. Erfahrung und Uebung im Unglück lehrt schweigen. Aber wenn ihr einen Menschen wißt, der nicht klagt, und doch nicht fröhlich seyn [52] kann, ihr fragt ihn, was ihm fehle, und er sagts euch kurz und gut, oder gar nicht, dem sucht ein gutes Zutrauen abzugewinnen, wenn ihr es werth seyd, und rathet und helft ihm, wenn ihr könnt.


2.

Ist denn der Mensch deswegen so schlimm und so schlecht, weil die bösen Neigungen zuerst in seinem Herzen erwachen, und das Gute nur durch Erziehung und Unterricht bei ihm anschlägt? Euer bester Ackerboden trägt doch auch nur Gras und Unkraut aus eigener Kraft, und euer Lebenlang keine Waizen-Erndte; und ein dürres Sandfeld, das nicht einmal aus eigener Kraft Unkraut treibt, wird auch euern Fleiß und eure Hoffnung nie mit einer Fruchtgarbe erfreuen. Aber wenn ihr den guten Boden ansäet zu rechter Zeit, sein wartet und pfleget, wie sichs gebühret, so steigt im Morgenthau und Abendregen eine fröhliche Saat empor, und die Raden und Kornrosen und mancherley taubes Gras möchten gern, aber es kann nicht mehr empor kommen. Die gesunde Aehre schwankt in der Luft, und füllt sich mit kostbaren Körnern. So ist es mit den Menschen und mit seinem Herzen auch. Was lernen wir daraus? Man muß nicht unzeitig klagen und hadern und die Hoffnung aufgeben, ehe sie erfüllt werden kann. Man muß den Fleiß, die Mühe und Geduld, die man an eine handvoll Fruchthalmen gerne verwendet, an den eigenen Kinder sich nicht verdrüßen lassen. Man muß dem Unkraut zuvorkommen, und guten Saamen, schöne Tugenden in das weiche zarte Herz hineinpflanzen, und Gott vertrauen, so wirds besser werden.


[53]

3.

Man vergißt im menschlichen Leben nichts so leicht, als das Multipliciren, wenn man es noch so gut in der Schule gelernt hat und kann. Und doch lernt man in der Schule für das Leben, und die Weisheit besteht nicht im Wissen, sondern in der rechten Anwendung und Ausübung davon.

Es kann jemand einen Tag in den andern nur einen Groschen unnöthigerweise ausgeben. Mancher, der den Groschen übrig hat, thut es, und meynt, es sey nicht viel. Aber in einem Jahre sind es 365 Groschen, und in dreißig Jahren 10950 Groschen. Facit 547 fl. 30 kr. weggeworfenes Geld, und das ist doch viel.

Ein anderer kann einen Tag in den andern zwey Stunden unnütz und im Müßiggang zubringen, und meynt jedesmal, für heute lasse es sich verantworten. Das multiplicirt sich in einem Jahr zu 730 Stunden und in dreißig Jahren zu 21900 Stunden. Facit 912 verlorene Tage des kurzen Lebens. Das ist noch mehr als 547 fl. wer’s bedenkt. – Die Erde hat 5400 deutsche Meilen, oder 10800 Stunden im Umkreis. Das ist ein weiter Weg. Aber wenn man in gerader Linie fortgehen könnte, und es wollte jemand jeden Tag nur eine Stunde davon zurücklegen, so könnte er im dreißigsten Jahr wieder daheim seyn. Daraus ist zu lernen, wie weit ein Mensch in seinem Leben es nach und nach bringen kann, wenn er zu einem nützlichen Geschäft jeden Tag nur eine Stunde anwenden will, und wie viel weiter noch, wenn er alle Tage dazu benutzt, besser und vollkommener zu [54] werden, und sein eigenes Wohl und das Wohl der Seinigen zu befördern. Aber wer nie anfängt, der hört nie auf, und wem Wenig auf einmal nicht genug ist, der erfährt nie, wie man nach und nach zu vielem kommt.


4.

Zum Erwerben eines Glücks gehört Fleiß und Geduld, und zu Erhaltung desselben gehört Mäßigung und Vorsicht. Langsam und Schritt für Schritt steigt man eine Treppe hinauf. Aber in einem Augenblick fällt man hinab, und bringt Wunden und Schmerzen genug mit auf die Erde.


Guter Rath.

Was ich jetzt sagen will, wird manchen, der es liest, geringfügig und vielleicht lächerlich scheinen; aber es ist nicht lächerlich; und mancher, der es liest, wird meynen, ich habe ihn leibhaftig gesehen und es wäre wohl möglich. Doch weiß ich’s nicht, und will niemand besonders meynen. Es giebt Gegenden hin und wieder, wo die Männer und Jünglinge im Ganzen recht gesund und stark aussehen, wie es bey guter Arbeit und einfacher Nahrung möglich und zu erwarten ist. Sie haben eine gesunde Gesichtsfarbe, eine starke Brust, breite Schultern, guten Wuchs, kurz, der ganze Körperbau ist wohlproportionirt und tadellos, bis unter die Kniee. Da kommts auf einmal so dünn und so schwach bis zu den Füssen hinab, und man meynt, die armen Beine müsen zusammen brechen unter der schweren Last, die sie zu tragen haben. Das wißt ihr wohl: Manchem, [55] der sich vor dem Spiegel einbildet, ein hübscher Knabe zu seyn, geht es wie dem Pfau, wenn er auf seine Füße schaut, und deßwegen zieht ihr die starken ledernnen Riemen, mit welchen ihr die Strümpfe unter dem Knie zu binden pflegt, immer fester an, und setzt ihn in eine Schnalle ein, wo er nie nachgeben kann, damit das Fleisch ein wenig anschwellen, sich heraus heben, und etwas gleichsehen soll, und eben daher kommts. Denn der ganze menschliche Körper und alle seine Glieder erhalten ihre Nahrung von dem Blut. Deswegen lauft das Blut unaufhörlich von dem Herzen weg, zuerst in grossen Adern, die sich nachher immer mehr in unzählig viele kleine Aederlein vertheilen und vervielfältigen, durch alle Theile des Körpers bis in die äußersten Glieder hinaus, und kehrt alsdann durch andere Aederlein, die wieder zusammen gehen, folglich grösser und an der Zahl weniger werden, zu dem Herzen zurück, und das geht unaufhörlich so fort, so lange der Mensch lebt, und auf diesem Wege giebt das Blut dem Fleisch, den Knochen und allen Theilen des Körpers ihre Nahrung, ihre Kraft und Ausfüllung, und wird selber wieder auf eine andere Art durch tägliche Speise und Trank erhalten und ersetzt. Es geht da fast so zu, wie bei einer wohleingerichteten Wasserleitung. Da wird das Wasser aus dem grösseren Strom in kleinere Kanäle fortgeleitet. Aus diesen vertheilt es sich immermehr in kleinere Bäche und Bächlein, dann in Rausen, und endlich findet es jeden Grashalm auf einer Wiese, Klee- und Habermark, Liebfrauen-Mantelein, und was darauf wächst, und giebt ihm seine Erquickung. Aber wo [56] wenig Wasser hinkommt, da bleiben auch die Pflanzen klein und schlecht, und was kann davor seyn? So ist es mit dem menschlichen Körper ungefähr auch, und je weniger derselbe durch die Kleidung gedrückt oder eingeengt wird, desto freier und reichlicher kann sich auch das Blut durch seine Adern bewegen, desto besser werden auch alle Theile des Körpers mit dem Wachsthum zu ihrer Kraft und Vollkommenheit gelangen und darin erhalten werden. Wenn ihr aber einen Arm oder ein Bein unterbindet und den Blutlauf aufhaltet, so wird auch diesem Glied seine Nahrung entzogen. Das geschieht nun, wenn man von früher Kindheit an, die Beine unter dem Knie mit einem ledernen Riemen durch eine Schnalle so fest bindet. Die feinen und größern Adern werden zusammengepreßt, es kann nicht so viel Blut ab- und aufsteigen als nöthig ist, die Knochen kommen daher kaum zu ihrer gehörigen Stärke und es setzt sich nicht genug Fleisch und Fett um dieselben an. Da zieht man nun den Riemen immer fester an, und das hilft ein wenig zum Schein, macht aber eigentlich nur das Uebel Aerger, wie es immer geht, wenn man nur auf den Schein sieht und zur Abhülfe eines Fehlers oder Gebrechens die rechten Mittel nicht zu wissen verlangt, und mit den nächsten besten sich begnügt. Mein guter Rath wäre also der: Ihr sollt’s machen wie andere vernünftige Leute auch. Man binde die Strümpfe mit geschmeidigern Bändern über dem Knie, oder wenn man bey der alten Weise bleiben will; so ziehe man wenigstens die Riemen nicht fester an als nöthig ist, um die Strümpfe oben zu erhalten. Man muß nie mehr Kraft [57] anwenden, und mehr thun als nöthig ist, um seinen vernünftigen Zweck zu erreichen. Besonders müssen die Eltern frühe darauf sehen, daß ihre Kinder die Strümpfe nicht zu fest binden. Alsdann wird das Blut seinen Weg schon finden, und den Gliedern die Nahrung und Stärke geben, die ihnen gebührt. Diß ist mein guter Rath; und wer keinen Glauben daran hat, der frage nur einen Arzt oder den Herrn Pfarrer; die müßens auch wissen. Aber folgen muß man alsdann. Denn wem nicht zu rathen ist, dem ist auch nicht zu helfen.


Das Mittagessen im Hof.

Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sey, mit manchen Menschen auszukommen. Das mag denn freylich auch wahr seyn. Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennte, inwendig und auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüßte, nie zu eigensinnig und nie zu nachgebend, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen, und mußte vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal der Herr sehr verdrüßlich nach Hause, und setzte sich zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiß oder zu kalt, oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdrüßlich. Er faßte daher die Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. Was [58] that der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch, welches er eben auf den Tisch stellen wollte, mir nichts, dir nichts, der Suppe nach, auch in den Hof hinab, dann das Brod, dann den Wein, und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf war, auch in den Hof hinab. „Verwegener, was soll das seyn?“ fragte der Herr, und fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente erwiederte kalt und ruhig: „Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meynung nicht errathen habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hof speisen. Die Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht, und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten.“ – Diesmal die Suppe hinabgeworfen, und nimmer! Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte ihm im Herzen für die gute Lehre.


Der kluge Richter.

Daß nicht alles so uneben sey, was im Morgenlande geschieht, das haben wir schon einmal gehört. Auch folgende Begebenheit soll sich daselbst zugetragen haben: Ein reicher Mann hatte eine beträchtliche Geldsumme, welche in ein Tuch eingenähet war, aus Unvorsichtigkeit verlohren. Er machte daher seinen Verlust bekannt, und bot, wie man zu thun pflegt, dem ehrlichen Finder eine Belohnung, und zwar von hundert Thalern an. Da kam bald ein guter und ehrlicher Mann dahergegangen. „Dein [59] Geld habe ich gefunden. Dieß wirds wohl seyn! So nimm dein Eigenthum zurück! „So sprach er mit dem heitern Blick eines ehrlichen Mannes und eines guten Gewissens, und das war schön. Der andere machte auch ein fröhliches Gesicht, aber nur, weil er sein verlohren geschätztes Geld wieder hatte. Denn wie es um seine Ehrlichkeit aussah, das wird sich bald zeigen. Er zählte das Geld, und dachte unterdessen geschwinde nach, wie er den treuen Finder um seine versprochene Belohnung bringen könnte. „Guter Freund“, sprach er hierauf, „es waren eigentlich 800 Thlr. in dem Tuch eingenähet. Ich finde aber nur noch 700 Thlr. Ihr werdet also wohl eine Naht aufgetrennt und eure 100 Thlr. Belohnung schon heraus genommen haben. Da habt ihr wohl daran gethan. Ich danke euch.“ Das war nicht schön. Aber wir sind auch noch nicht am Ende. Ehrlich währt am längsten und Unrecht schlägt seinen eigenen Herrn. Der ehrliche Finder, dem es weniger um die 100 Thlr. als um seine unbescholtene Rechtschaffenheit zu thun war, versicherte, daß er das Päcklein so gefunden habe, wie er es bringe, und es so bringe, wie ers gefunden habe. Am Ende kamen sie vor den Richter. Beyde bestunden auch hier noch auf ihrer Behauptung, der eine, daß 800 Thlr. seyen eingenäht gewesen, der andere, daß er von dem Gefundenen nichts genommen und das Päcklein nicht versehrt habe. Da war guter Rath theuer. Aber der kluge Richter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte Gesinnung des andern zum Voraus zu kennen schien, grief die Sache so an: Er ließ sich von beiden über das was sie aussagten, eine [60] feste und feierliche Versicherung gehen, und that hierauf folgenden Ausspruch: „Demnach, und wenn der eine von euch 800 Thlr. verloren, der andere aber nur ein Päklein mit 700 Thlr. gefunden hat, so kann auch das Geld des Letztern nicht das nemliche seyn, auf welches der erstere ein Recht hat. Du, ehrlicher Freund nimmst also das Geld, welches du gefunden hast, wieder zurük, und behältst es in guter Verwahrung, bis der kommt, welcher nur 700 Thlr. verloren hat. Und dir da weiß ich keinen Rathh, als du geduldest dich, bis derjenige sich meldet, der deine 800 Thlr. findet.“ So sprach der Richter, und dabei blieb es.


Der Mensch in Kälte und Hitze.

Der Mensch kann nichts nützlicheres und besseres kennen lernen, als sich selbst und seine Natur; und manchem, der bei uns an einem heisen Sommertage fast verschmachten will, oder im kalten Jenner sich nicht getraut, vom warmen Ofen wegzugehen, wird kaum glauben können, was ich sagen werde, und doch ist es wahr.

Bekanntlich ist die Wärme des Sommers und die Kälte des Winters nicht in allen Gegenden der Erde gleich, auch kommen sie nicht an allen Orten zu gleicher Zeit, und sind nicht von gleicher Dauer. Es giebt Gegenden, wo der Winter den größten Theil des ganzen Jahrs Herr und Meister ist, und entsetzlich streng regiert, wo das Wasser in den Seen 10 Schuh tief gefriert, und die Erde selbst im Sommer nicht ganz, sondern nur einige Schuh tief aufthaut, [61] weil dort die Sonne etliche Monate lang gar nicht mehr scheint, und ihre Strahlen auch im Sommer nur schief über den Boden hingleiten. Und wiederum gibt es andere Gegenden, wo man gar nichts von Schnee und Eis und Winter weiß, wo aber auch das Gefühl der höchsten Sommerhitze fast unerträglich seyn muß, zumal wo es tief im Land an Gebirgen und großen Flüßen fehlt, weil dort die Sonne den Einwohnern gerade über den Köpfen steht, und ihre glühenden Strahlen senkrecht auf die Erde hinabwirft. Es muß daher an beiderlei Orten auch noch manches anders seyn, als bey uns, und doch leben und wohnen Menschen, wie wir sind, da und dort. Keine einzige Art von Thieren hat sich von selber so weit über die Erde ausgebreitet, als der Mensch. Die kalten und die heißen Gegenden haben ihre eigenen Thiere, die ihren Wohnort freiwillig nie verlassen. Nur sehr wenige, die der Mensch mitgenommen hat, sind im Stande, die gröste Hitze in der einen Weltgegend und die grimmigste Kälte in der andern auszuhalten. Auch diese leiden sehr dabei, und die andern verschmachten oder erfrieren, oder sie verhungern, weil sie ihre Nahrung nicht finden. Auch die Pflanzen und die stärksten Bäume kommen nicht auf der ganzen Erde fort, sondern sie bleiben in der Gegend, für welche sie geschaffen sind, und selbst die Tanne und die Eiche verwandeln sich in den kältesten Ländern in ein niedriges unscheinbares Gesträuch und Gestruppe auf dem ebenen Boden, wie wirs auf unsern hohen kahlen und kalten Bergen auch bisweilen wahrnehmen. Aber der Mensch hat sich überall ausgebreitet, wo nur ein lebendiges Wesen fortkommen [62] kann, ist überall daheim, liebt in den heisesten und kältesten Gegenden sein Vaterland und die Heimath, in der er geboren ist, und wenn ihr einen Wilden, wie man sie nennt, in eine mildere und schönere Gegend bringt, so mag er dort nicht leben und nicht glücklich seyn. So ist der Mensch. Seine Natur richtet sich allmählig und immer mehr nach der Gegend, in welcher er lebt, und er weiß wieder durch seine Vernunft seinen Aufenthalt einzurichten, und so bequem und angenehm zu machen, als es möglich ist. Das muß der Schöpfer gemeynt haben, als er über das menschliche Geschlecht seinen Segen aussprach: „Seyd fruchtbar und mehret euch, und erfüllet (oder bevölkert) die Erde, und machet sie euch unterthan.“

Ich will jetzt einige Beispiele anführen, was für hohe Kälte und Hitze die Menschen aushalten können.

Zu Jeniseisk in Siberien trat einst im Jenner 1735 eine solche Kälte ein, daß die Sperlinge und andere Vögel todt aus der Luft herabfielen, und alles, was in der Luft gefrieren konnte, wurde zu Eis, und doch leben Menschen dort.

Zu Kraßnaiarsk ebenfalls in Siberien, wurde im Jahr 1772 den 7 December die Kälte so heftig, daß eine Schaale voll Quecksilber, welches man in die freye Luft setzte, in ein festes Metall zusammengefror. Man konnte es wie Bley biegen und hämmern, und doch hielten es Menschen aus.

Eine ähnliche Kälte erlitten einst die Engländer in Nord-Amerika an der Hudsonsbay. Da fror ihnen selbst in den geheizten Stuben der Brantewein in Eis zusammen. Sie konnten ihn nicht flüßig erhalten. [63] In den langen dunkeln Wintertagen erleuchtete man die Stuben mit glühenden Kanonenkugeln, und die starke Ofenhitze daneben konnte doch nicht hindern, daß nicht die Wände und Bettstätten mit Eiß und Duft überzogen wurden.

Was für eine Hitze hingegen wieder die nemliche Menschen-Natur aushalten kann, das sehen wir schon an unsern Feuerarbeitern, zum Beispiel in Glashütten, Eisenschmelzen, Hammerschmidten, wo die Leute sich durch schwere Arbeit noch mehr erhitzen müssen. In Breitlingen, das ist eine Erzgrube am Tammelsberg in Sachsen, mußte das feste Gestein unter der Erde durch Feuer mürbe gemacht werden. Da sind nun viele schweflichte Theile und Dünste, die in Entzündung gerathen, und eine so erstaunliche und unerträgliche Hitze verursachen, daß die Bergleute selbst noch den Tag nach der Löschung des Feuers nakt arbeiten und alle Stunde innehalten und sich wieder abkühlen müssen.

Manche Personen, die in Krankheiten viel aufs Schwitzen halten, kriechen in einen heißdünstigen Backofen, wenn das Brod herausgenommen ist, lassen nur so viel Oeffnung zu, als zum Atemholen nöthig ist, und schwitzen so nach Herzenslust. Das mag nun freylich nicht viel nützen, und ein vernünftiger Arzt wird es nicht gros loben.

Wer das aber weiß, der wird nun folgende wahre Erfahrungen nicht mehr so unglaublich finden. Vier bekannte und berühmte Männer, ließen einst ein kleines Zimmer so stark erhitzen, als nur möglich war. Da kam die Hitze der Luft fast der Hitze des kochenden Wassers gleich. Und doch hielten dieselben sie 10 [64] Minuten lang aus, wiewohl nicht ohne Beschwerden. Einer von ihnen trieb den Versuch noch weiter. In einer Hitze, wo frische Eier in 10 Minuten in der Luft hart gebacken wurden, hielt er 8 Minuten aus.

Das war nun freylich eine gemachte künstliche Hitze. Aber auch in der Natur geht es manchen Orten nicht viel besser. So weht bisweilen in heißen Gegenden auf einmal ein so trockener und heißer Wind von den Sandwüsten her, daß die Blätter an den Bäumen, wo er durchzieht, augenblicklich versengt werden und abdorren. Menschen, die alsdann im Freyen sind, müßen sich freylich ohne Verzug mit dem Gesicht auf die Erde niederlegen, damit sie nicht ersticken, und haben gleichwohl noch viel dabei auszustehen. Selbst in geschlossenen Zimmern kann man sich vor Mattigkeit fast nicht mehr bewegen. Aber gleichwohl übersteht man es, wenn man vorsichtig ist und Erfahrungen benutzt.

Wenn man so etwas liest oder hört, so lernt man doch zufrieden seyn daheim, wenn sonst schon nicht alles ist, wie man gerne mögte.


Der schlaue Husar.

Ein Husar im letzten Kriege wußte wohl, daß der Bauer, dem er jezt auf der Straße entgegen gieng, 100 fl. für geliefertes Heu eingenommen hatte, und heimtragen wollte. Deswegen bat er ihn um ein kleines Geschenk zu Tabak und Branntwein. Wer weiß, ob er mit ein paar Bazen nicht zufrieden gewesen wäre. Aber der Landmann versicherte und betheuerte bei Himmel und Hölle, daß er den eigenen letzten Kreuzer [65] im nächsten Dorfe ausgegeben, und nichts mehr übrig habe. „Wenns nur nicht so weit von meinem Quartier wäre,“ sagte hierauf der Husar, „so wäre uns beiden zu helfen; aber wenn du hast nichts, ich hab nichts; so müssen wir den Gang zum heil. Alfonsus doch machen. Was er uns heute beschert, wollen wir brüderlich theilen.“ Dieser Alfonsus stand in Stein ausgehauen in einer alten, wenig besuchten Kapelle am Feldweg. Der Landmann hatte Anfangs keine große Lust zu dieser Wallfahrt. Aber der Husar nahm keine Vorstellung an, und versicherte unterwegs seinen Begleiter so nachdrücklich, der heil. Alfonsus habe ihn noch in keiner Noth stecken lassen, daß dieser selbst anfieng Hoffnung zu gewinnen. Vermuthlich war in der abgelegenen Kapelle ein Camerad und Helfershelfer des Husaren verborgen? Nichts weniger! Es war wirklich das steinerne Bild des Alfonsus, vor welchem sie jezt niederknieten, während der Husar gar andächtig zu beten schien. „Jezt, sagte er seinem Begleiter ins Ohr, jezt hat mir der Heilige gewinkt.“ Er stand auf, gieng zu ihm hin, hielt die Ohren an die steinerne Lippen, und kam gar freudig wieder zu seinem Begleiter zurück. „Einen Gulden hat er mir geschenkt, in meiner Tasche müße er schon stecken.“ Er zog auch wirklich zum Erstaunen des andern einen Gulden heraus, den er aber schon vorher bei sich hatte, und theilte ihn versprochenermaßen brüderlich zur Hälfte. Das leuchtete dem Landmann ein, und es war ihm gar recht, daß der Husar die Probe noch einmal machte. Alles gieng das zweitemal wie zuerst. Nun kam der Kriegsmann diesmal viel freudiger von dem Heiligen zurück. „Hundert [66] Gulden hat uns jezt der gute Alfonsus auf einmal geschenkt. In deiner Tasche müssen sie stecken.“ Der Bauer wurde todesblaß, als er dies hörte, und wiederholte seine Versicherung, daß er gewiß keinen Kreuzer habe. Allein der Husar redete ihm zu, er sollte doch nur Vertrauen zu dem heil. Alfonsus haben, und nachsehen. Alfonsus habe ihn noch nie getäuscht. Wollte er wohl oder übel, so mußte er seine Taschen umkehren und leer machen. Die Hundert Gulden kamen richtig zum Vorschein, und hatte er vorher dem schlauen Husaren die Hälfte von seinem Gulden abgenommen, so mußte er jezt auch seine Hundert Gulden mit ihm theilen, da half kein Bitten und kein Flehen.

Das war fein und listig, aber eben doch nicht recht, zumal in einer Kapelle.


Sommerlied.

     Blaue Berge!
Von den Bergen strömt das Leben.
Reine Luft für Mensch und Vieh;
Wasserbrünnlein spat und früh

5
Müßen uns die Berge geben.


     Frische Matten!
Grüner Klee und Dolden schießen;
An der Schmehle schlank und fein
Glänzt der Thau wie Edelstein,

10
Und die klaren Bächlein fließen.


     Schlanke Bäume!
Muntrer Vögel Melodeien
Tönen im belaubten Reiß,
Singen laut des Schöpfers Preis.

15
Kirsche, Birn und Pflaum gedeihen.

[67]

     Grüne Saaten!
Aus dem zarten Blatt enthüllt sich
Halm und Aehre, schwanket schön,
Wenn die milden Lüfte wehn,

20
Und das Körnlein wächst und füllt sich.


     An dem Himmel
Strahlt die Sonn im Brautgeschmeide,
Weiße Wölklein steigen auf,
Ziehn dahin im stillen Lauf.

25
Gottes Schäflein gehn zur Waide.


     Herzensfrieden,
Woll ihn Gott uns allen geben!
O dann ist die Erde schön.
In den Gründen, auf den Höh’n

30
Wacht und singt ein frohes Leben.


     Schwarze Wetter
Ueberziehn den Himmelsbogen,
Und der Vogel singt nicht mehr.
Winde brausen hin und her,

35
Und die wilden Wasser wogen.


     Rothe Blitze
Zuken hin und zuken wieder
Leuchten über Wald und Flur.
Bange harrt die Creatur.

40
Donnerschläge stürzen nieder.


     Gut Gewissen,
Wer es hat, und wer’s bewachet,
In den Blitz vom Weltgericht,
Schaut er, und erbebet nicht,

45
Wenn der Grund der Erde krachet.

[68]


Der Maulwurf.

Unter allen Thieren, die ihre Jungen säugen, ist der Maulwurf das einzige, das seiner Nahrung allein in dunkeln Gängen unter der Erde nachgeht.

Und an dem einen ist’s zu viel, wird mancher sagen, der an seine Felder und Wiesen denkt, wie sie mit Maulwurfs Hügeln bedekt sind, wie der Boden zerwühlt und durchlöchert wird, wie die Gewächse oben absterben, wenn das heimtükische Thier unten an den Wurzeln weidet.

Nun so wollen wir denn Gericht halten über den Missethäter.

Wahr ist es, und nicht zu läugnen, daß er durch seine unterirdischen Gänge hin und wieder den Boden durchwühlt, und ihm etwas von seiner Festigkeit raubt.

Wahr ist es ferner, daß durch die herausgestoßenen Grundhaufen viel fruchtbares Land bedeckt, und die darunter liegenden Keime im Wachsthum gehindert, ja erstickt werden können. Dafür ist jedoch in einer fleißigen Hand der Rechen gut.

Aber wer hat’s gesehen, daß der Maulwurf die Wurzeln abfrißt? wer kann’s behaupten?

Nun, man sagt so: Wo die Wurzeln abgenagt sind und die Pflanzen sterben, wird man auch Maulwürfe finden; und wo keine Maulwürfe sind, geschieht das auch nicht. Folglich thuts der Maulwurf. – Der das sagt, ist vermuthlich der Nemliche, der einmal so behauptet hat: Wenn im Frühlinge die Frösche zeitlich quaken, so schlägt auch das Laub bei Zeiten aus. Wenn aber die Frösche lange nicht quaken [69] wollen, so will auch das Laub nicht kommen. Folglich quaken die Frösche das Laub heraus. – Seht doch, wie man sich irren kann!

Aber da kommt ein Advokat des Maulwurfs, ein erfahrner Landwirth und Natur-Beobachter, der sagt so:

„Nicht der Maulwurf frißt die Wurzeln ab, sondern die Quadten oder die Engerlinge die unter der Erde sind, aus welchen hernach die Maykäfer und anderes Ungeziefer kommen. Der Maulwurf aber frißt die Quadten, und reinigt den Boden von diesen Feinden.“

Jezt wird es also begreiflich, daß der Maulwurf immer da ist, wo das Gras und die Pflanzen krank sind und absterben, weil die Quadten da sind, denen er nachgeht und die er verfolgt. Und dann muß er’s gethan haben, was diese anstellen, und bekommt für eine Wohlthat, die er euch erweisen will, des Henkers Dank.

„Das hat wieder einer in der Stube erfunden, oder aus Büchern gelernt, werdet ihr sagen, der noch keinen Maulwurf gesehen hat.“ –

Halt, guter Freund! der das sagt, kennt den Maulwurf besser als ihr alle, und eure besten Scheermäuser, wie ihr sogleich sehen werdet. Denn ihr könnt zweyerlei Proben anstellen, ob er die Wahrheit sagt.

„Erstlich, wenn ihr dem Maulwurf in den Mund schaut.“ Denn alle vierfüßigen oder Säugtiere, welche die Natur zum Nagen am Pflanzenwerk bestellt hat, haben in jeder Kinnlade, oben und unten, nur zwei einzige, und zwar scharfe Vorderzähne, und [70] gar keine Eckzähne, sondern eine Lücke bis zu den Stockzähnen. Alle Raubtiere aber, welche andere Thiere fangen und fressen, haben sechs und mehr spitzige Vorderzähne, dann Eckzähne auf beiden Seiten, und hinter diesen zahlreiche Stockzähne. Wenn ihr nun das Gebiß eines Maulwurfs betrachtet, so werdet ihr finden: Er hat in der obern Kinnlade sechs und in der untern acht spitzige Vorderzähne und hinter denselben Eckzähne auf allen vier Seiten, und daraus folgt: Es ist kein Thier, das an Pflanzen nagt, sondern ein kleines Raubthier, das andere Thiere frißt.

„Zweitens, wenn ihr einem getödteten Maulwurf den Bauch aufschneidet, und in den Magen schaut.“ Denn was er frißt, muß er im Magen haben, und was er im Magen hat, muß er gefressen haben. Nun werdet ihr, wenn ihr die Probe machen wollt, nie Wurzelfasern oder so etwas in dem Magen des Maulwurfs finden, aber immer die Häute von Engerlingen, Regenwürmern und anderm Ungeziefer, das unter der Erde lebt.

Wie sieht’s jezt aus?

Wenn ihr also den Maulwurf recht fleißig verfolgt, und mit Stumpf und Stiel vertilgen wollt, so thut ihr euch selbst den grösten Schaden und den Engerlingen den grösten Gefallen. Da können sie alsdann ohne Gefahr eure Wiesen und Felder verwüsten, wachsen und gedeihen, und im Frühjahr kommt alsdann der Maykäfer, frißt euch die Bäume kahl wie Besenreis, und bringt euch zur Vergeltung auch des Gukuks Dank und Lohn.

So sieht’s aus. [71]

Der Zahnarzt.

Zwey Tagdiebe, die schon lange in der Welt miteinander herumgezogen, weil sie zum arbeiten zu träg, oder zu ungeschickt waren, kamen doch zuletzt in grosse Noth, weil sie wenig Geld mehr übrig hatten, und nicht geschwind wußten, wo nehmen. Da geriethen sie auf folgenden Einfall: Sie bettelten vor einigen Hausthüren Brod zusammen, das sie nicht zur Stillung des Hungers genießen, sondern zum Betrug mißbrauchen wollten. Sie kneteten nemlich und drehten aus demselben lauter kleine Kügelein oder Pillen, und bestreuten sie mit Wurmmehl aus altem zerfressenem Holz, damit sie völlig aussahen wie die gelben Arznei-Pillen. Hierauf kauften sie für ein paar Bazen einige Bogen rothgefärbtes Papier bei dem Buchbinder: (denn eine schöne Farbe muß gewöhnlich bei jedem Betrug mithelfen.) Das Papier zerschnitten sie alsdann und wickelten die Pillen darein, je sechs bis acht Stücke in ein Päcklein. Nun ging der eine voraus in einen Flecken, wo eben Jahrmarkt war, und in den rothen Löwen, wo er viele Gäste anzutreffen hoffte. Er forderte ein Glas Wein, trank aber nicht, sondern saß ganz wehmüthig in einem Winkel, hielt die Hand an den Backen, winselte halblaut für sich, und kehrte sich unruhig bald so her, bald so hin. Die ehrlichen Landleute und Bürger, die im Wirthshaus waren, bildeten sich wohl ein, daß der arme Mensch ganz entsetzlich Zahnweh haben müße. Aber was war zu thun? man bedauerte ihn, man tröstete ihn, daß es schon wieder vergehen werde, trank sein Gläslein fort, und [72] machte seine Marktaffairen aus. Indessen kam der andere Tagdieb auch nach. Da stellten sich die beiden Schelme, als ob noch keiner den andern in seinem Leben gesehen hätte. Keiner sah den andern an, bis der Zweite durch das Winseln des Erstern, der im Winkel saß, aufmerksam zu werden schien. „Guter Freund, sprach er, ihr scheint wohl Zahnschmerzen zu haben?“ und gieng mit großen und langsamen Schritten auf ihn zu. „Ich bin der Doctor Schnauzius Rapunzius von Travalgar,“ fuhr er fort. Denn solche fremde volltönige Namen müssen auch zum Betrug behülflich seyn, wie die Farben. „Und wenn ihr meine Zahnpillen gebrauchen wollt, fuhr er fort, so soll es mir eine schlechte Kunst seyn, euch mit einer höchstens zweyen, von euren Leiden zu befreien.“ – „Das wolle Gott,“ erwiederte der andere Halunk. Hierauf zog der saubere Doctor Rapunzius eines von seinen rothen Päcklein aus der Tasche, und verordnete dem Patienten ein Kugelein daraus auf den bösen Zahn zu legen und herzhaft darauf zu beißen. Jetzt streckten die Gäste an den andern Tischen die Köpfe herüber, und einer um den andern kam herbei um die Wunderkur mit anzusehen. Nun könnt ihr euch vorstellen, was geschah. Auf diese erste Probe wollte zwar der Patient wenig rühmen, vielmehr that er einen entsetzlichen Schrey. Das gefiel dem Doctor. Der Schmerz, sagte er, sey jetzt gebrochen, und gab ihm geschwind die zweite Pille zu gleichem Gebrauch. Da war nun plötzlich aller Schmerz verschwunden. Der Patient sprang vor Freuden auf, wischte den Angstschweiß von der Stirne weg, obgleich keiner daran [73] war, und that, als ob er seinem Retter zum Danke etwas Nahmhaftes in die Hand drükte. – Der Streich war schlau angelegt, und that seine Wirkung. Denn jeder Anwesende wollte nun auch von diesen vortrefflichen Pillen haben. Der Doctor bot das Päklein für 24 Kreuzer, und in wenig Minuten waren alle verkauft. Natürlich giengen jezt die zwei Schelme wieder einer nach dem andern weiters, lachten, als sie wieder zusammen kamen, über die Einfalt dieser Leute, und ließen sich’s wohl seyn von ihrem Geld.

Das war theures Brod. So wenig für 24 kr. bekam man noch in keiner Hungersnoth. Aber der Geldverlust war nicht einmal das Schlimmste. Denn die Weichbrod-Kügelein wurden natürlicher Weise mit der Zeit steinhart. Wenn nun so ein armer Betrogener nach Jahr und Tag Zahnweh bekam, und in gutem Vertrauen mit dem kranken Zahn einmal und zweimal darauf biß, da denke man an den entsetzlichen Schmerz, den er, statt geheilt zu werden, sich selbst für 24 Kreuzer aus der eigenen Tasche machte. Daraus ist also zu lernen, wie leicht man kann betrogen werden, wenn man den Vorspiegelungen jedes herumlaufenden Landstreichers traut, den man zum erstenmal in seinem Leben sieht, und vorher nie, und nachher nimmer; und mancher, der dieses ließt, wird vielleicht denken: „So einfältig bin ich zu meinem eigenen Schaden auch schon gewesen.“ – Merke: Wer so etwas kann, weiß an andern Orten Geld zu verdienen, lauft nicht auf den Dörfern, und Jahrmärkten herum mit Löchern im Strumpf, oder mit einer weißen Schnalle im rechten Schuh, und am linken mit einer gelben. [74]


Nützliche Lehren.

5.

„Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet.“ Das muß zweimal wahr sein. Fürs Erste kann gar wohl der einfältigste Mensch eine Frage thun, worauf auch der Weiseste keinen Bescheid zu geben weiß. Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft leichter ist, als Geben, Rufen leichter, als Kommen. Für’s andere könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort geben, aber er will nicht, weil die Frage einfältig ist, oder wortwitzig, oder weil sie zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen Menschen am Fragen und den Verständigen am Schweigen. „Keine Antwort ist auch eine Antwort.“ Von dem Doctor Luther verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch gethan habe. Dem erwiederte der fromme und witzige Mann: „in einem Birkenwald sey der liebe Gott gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze Fragen thun, Ruthen geschnitten.“


6.

„Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden.“ Damit entschuldigen sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht treiben und vollenden mögen, und schon müde sind, ehe sie recht anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben viele fleißige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum späten Abend unverdrossen daran gearbeitet, und nicht [75] abgelassen, bis es fertig war und der Hahn auf dem Kirchthurm stand. So ist Rom entstanden. Was du zu thun hast, machs auch so!


7.

„Frisch gewagt ist halb gewonnen.“ Daraus folgt: „Frisch gewagt ist auch halb verloren.“ Das kann nicht fehlen. Deswegen sagt man auch: „Wagen gewinnt, Wagen verliert.“ Was muß also den Ausschlag geben? Prüfung, ob man die Kräfte habe zu dem, was man wagen will, Ueberlegung wie es anzufangen sey, Benutzung der günstigen Zeit und Umstände, und hintennach, wenn man sein muthiges A. gesagt hat, ein besonnenes B., und sein bescheidenes C. Aber so viel muß wahr bleiben: Wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden, und kann nicht anders seyn, so ist ein frischer Muth zur Sache der Meister, und der muß dich durchreißen. Aber wenn du immer willst, und fangst nie an, oder du hast schon angefangen, und es reut dich wieder, und willst, wie man sagt, auf dem trockenen Lande ertrinken, guter Freund, dann ist „schlecht gewagt ganz verloren.“


8.

„Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“ Mancher, der nicht an dieses Sprichwort denkt, wird betrogen. Aber eine andere Erfahrung wird noch öfter vergessen: „Manches glänzt nicht und ist doch Gold,“ und wer das nicht glaubt, und nicht daran denkt, der ist noch schlimmer daran. In einem wohlbestellten Acker, in einem gut eingerichteten Gewerbe ist viel Gold verborgen, und eine fleißige Hand weiß es zu finden, und ein ruhiges Herz dazu und ein gutes Gewissen glänzt auch nicht, und ist noch mehr als Goldes werth. [76] Oft ist gerade da am wenigsten Gold, wo der Glanz und die Prahlerei am grösten ist. Wer viel Lerm macht, hat wenig Muth. Wer viel von seinen Thalern redet, hat nicht viel. Einer prahlte, er habe ein ganzes Simri (Sester) Dukaten daheim. Als er sie zeigen sollte, wollte er lange nicht daran. Endlich brachte er ein kleines rundes Schächtelein zum Vorschein, das man mit der Hand decken konnte. Doch half er sich mit einer guten Ausrede. Das Dukaten-Maas, sagte er, sey kleiner als das Frucht-Maas.


Betrachtung über das Weltgebäude.

Der Mond.

Der geneigte Leser wird nun recht begierig seyn, auch etwas Neues von dem Monde zu erfahren, der ihm des Nachts so oft aus der Stadt nach Hause leuchtet, oder aus dem Wirthshaus.

Erstlich der Mond ist auch eine große Kugel, die im unermeßlichen Weltraum schwebt, nicht anderst als die Erde und die Sonne, aber in seiner körperlichen Masse ist er fünfzig mal kleiner als die Erde, und nicht viel über 50,000 Meilen von ihr entfernt. Man sieht hieraus, daß der Hausfreund nicht darauf ausgeht, mit großen Zahlen um sich zu werfen, wenn’s nicht seyn muß, und den gutmüthigen Leser im Numeriren zu üben, sondern daß er gerne bey der Wahrheit bleibt.

Zweitens, daß der Mond wie die Sonne, je in 24 Stunden um die Erde herum zu gehen scheint, will nicht viel sagen. Gesezt er stehe unbeweglich still [77] an seinem Ort, so dreht sich ja die Erde um ihre Axe, daraus erfolgen in Rüksicht auf den Mond die nemlichen Erscheinungen, wie bey der Sonne, und wenn von ihm ein langer gelber Faden ohne Ende auf die Erde herabreichte, und auch an dem Cruzifix im Felde angeknüpft würde, so müste sich der gelbe Faden ebenfalls in 24 Stunden um die Erde herum legen. Aber der Mond ist deßwegen nicht um die Erde herum gegangen, sondern die Erde durch die Umdrehung um ihre Axe hat den Faden selber an sich aufgewunden.

Drittens, der Mond muß auch sein Licht und sein Gedeihen von der Sonne empfangen. Eine Hälfte seiner Kugel ist erhellt, die gegen die Sonne gekehrt ist, die andere ist finster. Damit nun nicht immer die nemliche Hälfte hell, und die nemliche finster bleibe, so dreht sich der Mond wie die Erde ebenfalls um sich selber oder um seine Axe, und dem Hausfreund thut die Wahl weh, will er sagen in 27 Tagen und 8 Stunden, oder in 29 und einem halben Tag. Denn beides ist richtig, je nachdem man’s ansieht. Wir wollen aber sagen in 29 und einem halben Tag, weil’s die Calendermacher so ansehen. Daraus folgt, daß in dieser langen Zeit der Tag und die Nacht nur Einmal um den Mond herum wandeln. Der Tag dauert dort an Einem Ort so lange als ungefähr 2 von unsern Wochen und eben so lang die Nacht, und ein Nachtwächter muß sich schon sehr in acht nehmen, daß er in den Stunden nicht irre wird, wenn es einmal anfängt 223 zu schlagen oder 309. – Aber

Viertens, der Mond bewegt sich in der nemlichen Zeit auch um die Erde. Dies sieht man abermal [78] an den Sternen. Wie wenn man einen langsam gehenden Postwagen aus weiter Ferne beobachtet, meint man er stehe still. Wenn man aber bemerkt, wie er doch nicht immer neben dem nemlichen Baum an der Straße sich befindet, sondern nach ein paar Minuten neben einem andern, so erkennt man, daß er nicht still steht, sondern auf die Station geht. Wenn er aber in einem großen Kreis um den geneigten Leser herum führe, so müßte er doch zuletzt wieder zu dem nemlichen Baum kommen, bey welchem er zuerst stand, und daran müste man erkennen, daß er jezt seinen Kreislauf vollendet hat, also auch der Mond. Er hält sich nicht jede Nacht bei dem nemlichen Sternlein auf, wenn’s noch so schön ist, sondern er rükt weiter von einem zum andern. Am andern Abend um die nemliche Zeit ist er schon um ein beträchtliches vorgerükt, aber ohngefähr in oben benannter Zeit, etwas früher kommt er wieder zu dem nemlichen Stern, bei dem er zuerst stand, und hat seinen Kreislauf um die Erde vollendet.

Fünftens, da sich der Mond also um die Erde bewegt, so ist daraus leicht abzunehmen, was es mit dem Mondwechsel für eine Bewandniß hat. Der Neumond ist, wenn der Mond zwischen der Sonne und Erde steht aber etwas höher oder tiefer. Alsdann ist seine ganze erleuchtete Hälfte oder sein Tag gegen die Sonne gekehrt, und seine Nacht schaut herab gegen uns. Vom Neumond an, wenn der Mond auf seinem Umlauf zwischen der Sonne und Erde heraus tritt, und sich gleichsam mit ihnen in den Triangel stellt, erbliken wir zuerst einen schmalen Streif [79] von der erhellten Mondkugel, der immer größer wird bis zum Ersten Viertel.

Das Erste Viertel ist, wenn der Mond so steht, daß gerade die Hälfte von der erleuchteten Halbkugel, oder der vierte Theil von dem Mond gegen uns im Licht ist, und die Hälfte von der verfinsterten Halbkugel im Schatten. Da kann man recht sehen, wie Gott das Licht von der Finsterniß scheidet, und wie auf den Weltkörpern der Tag neben der Nacht wohnt, und wie die Nacht von dem Tag biß zum Vollmond allmählig besiegt wird.

Der Vollmond ist, wenn der Mond auf seinem Kreislauf um die Erde, hinter der Erde steht, also daß die Erde zwischen ihm und der Sonne schwebt, aber etwas tiefer oder höher. Alsdann können wir seine ganze erleuchtete Hälfte sehen, wie sie von der Sonne erleuchtet wird, und aus unserer Nacht hinaufschauen in seinen Tag. Vom Vollmond an, wenn der Mond sich wieder auf der andern Seite herumbiegt um die Erde, kommt wieder etwas von seiner finstern Hälfte zum Vorschein, und immer mehr bis zum lezten Viertel.

Das lezte Viertel ist, wenn wieder die eine Hälfte der Halbkugel, die gegen uns steht, erleuchtet, und die andere verfinstert ist, und jezt kann man sehen, wie die Nacht den Tag besiegt, bis sie ihn im Neumond wieder verschlungen hat. Dieß ist der Mondwechsel.

Sechstens aber, und wenn der Mond und die Erde einmal in schnurgrader Linie vor der Sonne stehen, so geschehen noch ganz andere Sachen, die man nicht alle Tage sehen kann, nemlich die Finsternisse, [80] Wenn der dunkle Neumond je zuweilen in seinem Lauf gerade zwischen die Erde und die Sonne hineinrükt, nicht höher und nicht tiefer, so können wir vor ihm am hellen Tag die Sonne nimmer sehen, oder doch nicht ganz, und das ist alsdann eine Sonnenfinsterniß, die Sonnenfinsterniß kann nur im Neumond Statt finden. Wenn aber im Vollmond die Erde gerade zwischen die Sonne und zwischen den Mond hineintritt, nicht höher und nicht tiefer, so kann die Sonne nicht ganz an den Vollmond scheinen, weil die Erde ihren Stralen im Wege steht. Dies ist alsdann die Mondsfinsterniß. Die Dunkelheit, die wir am Mond erbliken, ist nichts anders als der Schatten von unserer eignen Erde, und ein solches Exempel am Mond kann nur im Voll-Licht statuirt werden. Alle diese Finsternissen nun, die einzig von der Bewegung des Monds und der Erde herrühren, wissen wir Sternseher und Calendermacher ein ganzes Jahr, und wer’s verlangt, auf weiter hinaus vorher zu sagen, und der Hausfreund gibt jezt wenig gute Worte mehr, wenn einer kommt, der nicht glauben will, was bisher von den Himmelslichtern gesagt worden ist, und ferner soll gesagt werden. „Woher wißt ihr, fragt der vorsichtige Leser, daß die Sonne und der Mond so groß ist, oder so, so weit oder so nahe; und daß sich die Erde und der Mond auch ganz gewiß so bewegen, wie’s euch vorkommt? Wer ist dort gewesen und hat’s gemessen? Antwort: Wenn wir das nicht gewiß wüsten und auf das Haar, so könnten wir nicht auf ein ganzes Jahr, und wer’s verlangt, auf weiter hinaus eine Finsterniß voraussagen, auf welchen Tag, ja auf welche Minute sie anfängt, und wie tief sie sich in [81] den Mond oder in die Sonne hineinfrißt. Oder sagts auch voraus, wenn ihr könnt, und warum sucht ihr es im Kalender, wenn ihr meint, wir falliren.

Siebentens, und wenn der Mond in seinem vollen Licht am Himmel erscheint, sieht er bey allem dem kurios aus mit seinem trüben Gesicht, und mit seinen helleren und blassern Flecken. Denn bekanntlich ist die Helle nicht gleichmäßig über ihn verbreitet, sondern ungleichmäßig. Damit hat er die Gelehrten lange Zeit vexirt, und ihnen weiß gemacht, die helleren Theile seyen Land, von welchem die Lichtstrahlen wieder zurükprellen, und die dunkleren seyen Wasser, welches die Lichtstrahlen verschlukt. Allein mit einem kapablen Perspectiv, wie es in vorigen Zeiten keine gab, hat ein rechtschaffener Sternseher, namens Schröter, ganz andere Dinge auf dem Mond entdeckt als Land und Wasser, nemlich auch Land, aber kein Wasser, sondern weite Ebenen, hohe Berge und tiefe Abgründe von wunderbarer Gestalt und Verbindung. Hat er nicht ihren Schatten sogar beobachtet, und wie er sich von Abend gegen Morgen bewegt, verkürzt und verlängert? Hat er nicht zulezt sogar aus dem Schatten der Berge ihre Höhe ausgerechnet, gleichsam wie ein Exempel aus der Regel detri? Die höchsten Berge auf dem Mond sind höher als die höchsten auf der Erde, nemlich 25,000 Fuß. Der Hausfreund hat Respekt vor dem Sternseher, und vor der göttlichen Allmacht, die einem schwachen Menschenkind den Verstand und die Geschiklichkeit geben kann, auf 50,000 Meilen weit Berge auszumessen, die unser einer (der geneigte Leser ist gemeint) gar nicht sieht. Fragt man nun noch

[82] Achtens und leztens, was denn eigentlich der Mond am Himmel zu verrichten hat. – Antwort: Was die Erde. Soviel ist gewiß, er erhellt durch sein mildes Licht, welches der Wiederschein von seinem Sonnenschein ist, unsere Nächte, und sieht zu, wie die Knaben die Mägdlein küssen. Er ist der eigentliche Hausfreund und erste Kalendermacher unserer Erde, und der oberste General, Nachtwächter, wenn die andern schlafen. Hinwiederum scheint die Erde mit ihrem Sonnenglanz, in wechselndem Licht, an die finstere Halbkugel des Monds, und erhellt ihre lange, lange Nacht. Was will der geneigte Leser sagen! Sieht man nicht in den ersten Tagen des Neulichts, wenn der Mond noch wie eine krumme Sichel am Himmel steht, sieht man nicht auch den übrigen dunkeln Theil seiner Scheibe, oder seine Nacht durch einen schwachen grünlichen Schimmer erhellt. Das ist eine Wirkung des Sonnenscheins, der von der erleuchteten Halbkugel unserer Erde auf den Mond fällt, oder ist der Erdschein im Mond.

Zudem ist es gar wohl möglich, daß auch jener Weltkörper allerley vernünftige und unvernünftige Geschöpfe von kuriosen Gestalten und Eigenschaften beherbergt, die uns alles besser sagen könnten, und die sich in ihrer Nacht auch über den milden Erdschein freuen. Vielleicht glauben die einfältigen Leute dort auch lange her, die Erde gehe um den Mond herum, und sey blos wegen ihnen da, und wir könntens ihnen auch besser sagen.


(Die Fortsetzung folgt.)

[83]

Auflösung des 3ten und 4ten Rechnungs-Exempel.

Ich werde wohl zu spät kommen, und alle, welche sich um das erste Rechnungs-Exempel bekümmerten, werdens heraus haben, daß Hanns 7 Schafe hatte. Fritz aber hatte 5. Wenn nun der letztere dem ersten Eins von den seinen gab, so hatte Fritz noch 4, Hanns aber hatte 8; folglich noch einmal so viel. Giebt aber der erste dem letzten Eins, so behält Hanns noch 6 und Fritz bekommt 6. Und also lautete die Aufgabe.

So ein Schaf hin oder her zu geben, wenn man selber nur 5 oder 7 Stücke hat, ist nun freylich keine Kleinigkeit. Sonst aber und wo es angeht, ist es immer besser, gute Freunde haltens mit einander so, daß die Theile gleich werden, als daß einer viel hat und der andere wenig. Denn Mehrhaben macht leicht übermüthig und gewaltthätig, und Wenighaben macht mißgünstig; und wo einmal Uebermuth und Mißgunst sich einnisten, da hat es mit der guten Freundschaft bald ein Ende. Das muß der verständige Vater wohl überlegt haben, der im zweyten Exempel sein Vermögen unter seine 7 Kinder vertheilte. Denn wer es ausgerechnet und keinen Fehler dabey begangen hat, der wird bald gefunden haben, daß jedes Kind 700 Gulden bekommen habe, keinen Kreutzer mehr und keinen minder.

Wenn alle Eltern so vernünftig wären, und ihren Kindern, die gleiche Liebe verdienen, gleiche Liebe bewiesen, wie viel Unfrieden und Unheil könnte dadurch verhütet werden, und wie manches Stündlein [84] könnten die Herren Advokaten doch auch ein wenig spatziren gehen und frische Luft schöpfen.


Zwey Erzählungen.

Wie leicht sich manche Menschen oft über unbedeutende Kleinigkeiten ärgern und erzürnen, und wie leicht die nemlichen oft durch einen unerwarteten spaßhaften Einfall wieder zur Besinnung können gebracht werden, das haben wir an dem Herrn gesehen, der die Suppenschüssel aus dem Fenster warf, und an seinem witzigen Bedienten. Das nemliche lehren folgende zwey Beyspiele.

Ein Gassenjunge sprach einen gut und vornehm gekleideten Mann, der an ihm vorbeygieng, um einen Kreutzer an, und als dieser seiner Bitte kein Gehör gehen wollte, versprach er ihm, um einen Kreutzer zu zeigen, wie man zu Zorn und Schimpf und Händeln kommen könne. Mancher der dieß liest, wird denken, das zu lernen sey keinen Heller noch weniger einen Kreutzer werth, weil Schimpf und Händel etwas Schlimmes und nichts Gutes sind. Aber es ist mehr werth, als man meynt. Denn wenn man weiß, wie man zu dem Schlimmen kommen kann, so weiß man auch, vor was man sich zu hüten hat, wenn man davor bewahrt bleiben will. So mag dieser Mann auch gedacht haben, denn er gab dem Knaben den Kreutzer. Allein dieser forderte jezt den zweyten, und als er den auch erlangt hatte, den dritten und vierten, und endlich den sechsten. Als er aber noch immer mit dem Kunststück nicht herausrücken wollte, gieng doch die Geduld des Mannes aus. Er nannte den [85] Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen, drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch wirklich ein paar Streiche. „Ihr grober Mann, der ihr seyd, schrie jezt der Junge, schon so alt und noch so unverständig! hab ich euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreutzer dafür gegeben? Das sind ja jezt Händel, und so kommt man dazu. Was schlagt ihr mich denn?“ So unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein, daß der listige Knabe Recht und er selber Unrecht hatte. Er besänftigte sich, nahm sichs zur Warnung, nimmer so aufzufahren, und glaubte die gute Lehre, die er da erhalten habe, sey wohl sechs Kreutzer werth gewesen.

In einer andern Stadt gieng ein Bürger schnell und ernsthaft die Straße hinab. Man sah ihm an, daß er etwas Wichtiges an einem Ort zu thun habe. Da gieng der vornehme Stadtrichter an ihm vorbey, der ein neugieriger und dabey ein gewaltthätiger Mann muß gewesen seyn, und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. Wo geht Ihr hin so eilig? sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiederte ganz gelassen: Gestrenger Herr, das weiß ich selber nicht. – Aber Ihr seht doch nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet. Ihr müßt etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben. – Das mag seyn, fuhr der Bürger fort, aber wo ich hingehe, weiß ich wahrhaftig nicht. Das verdroß den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den Verdacht, daß der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das er nicht sagen dürfe. Kurz, er verlangte jezt [86] ernsthaft, von ihm zu hören wo er hingehe, mit der Bedrohung, ihn sogleich von der Straße weg in das Gefängniß führen zu lassen. Das half alles nichts, und der Stadt-Richter gab dem Gerichtsdiener zuletzt wirklich den Befehl, diesen widerspenstigen Menschen wegzuführen. Jezt aber sprach der verständige Mann: Da sehen Sie nun, hochgebietender Herr, daß ich die lautere Wahrheit gesagt habe. Wie konnte ich vor einer Minute noch wissen, daß ich in den Thurn gehen werde, – und weiß ich denn jezt gewiß, ob ich drein gehe? – Nein, sprach jezt der Richter, das sollt Ihr nicht. Die witzige Rede des Bürgers brachte ihn zur Besinnung. Er machte sich stille Vorwürfe über seine Empfindlichkeit, und ließ den Mann ruhig seinen Weg gehen.

Es ist doch merkwürdig, daß manchmal ein Mensch, hinter welchem man nicht viel sucht, einem andern noch eine gute Lehre geben kann, der sich für erstaunend weise und verständig hält.


Nützliche Lehren.

9.

Es sagt ein altes Sprichwort: Selber essen macht fett. Ich will noch ein paar dazu setzen: Selber Achtung geben macht verständig. Und selber arbeiten macht reich. Wer nicht mit eignen Augen sieht, sondern sich auf andere verläßt, und wer nicht selber Hand anlegt, wo es nöthig ist, sondern andere thun läßt, was er selber thun soll, der bringts nicht weit, und mit dem Fettwerden hat es bald ein Ende.

[87]

10.

Ein anderes Sprichwort heißt so: Wenn man den Teufel an die Wand mahlt, so kommt er. Das sagt mancher, und verstehts nicht. Den bösen Geist kann man eigentlich nicht an die Wand mahlen, sonst wäre es kein Geist. Auch kann er nicht kommen. Denn er ist mit Ketten der Finsterniß in die Hölle gebunden. Was will denn das Sprichwort sagen? Wenn man viel an das Böse denkt, und sich dasselbe in Gedanken vorstellt, oder lang davon spricht, so kommt zuletzt die Begierde zu dem Bösen in das Herz, und man tuts. Soll der böse Feind nicht kommen, so mahl’ ihn nicht an die Wand! Willst du das Böse nicht thun, so denke nicht daran wo du gehst und stehst, und sprich nicht davon, als wenn es etwas Angenehmes und Lustiges wäre.


11.

Einmal ist Keinmal. Dieß ist das erlogenste und schlimmste unter allen Sprichwörtern, und wer es gemacht hat, der war ein schlechter Rechnungsmeister oder ein boshafter. Einmal ist wenigstens Einmal, und daran läßt sich nichts abmarkten. Wer Einmal gestohlen hat, der kann sein Lebenlang nimmer mit Wahrheit und mit frohem Herzen sagen: Gottlob! ich habe mich nie an fremden Gut vergriffen, und wenn der Dieb erhascht und gehenkt wird, alsdann ist Einmal nicht Keinmal. Aber das ist noch nicht alles, sondern man kann meistens mit Wahrheit sagen: Einmal ist Zehnmal und Hundert- und Tausendmal. Denn wer das Böse Einmal angefangen hat, der setzt es gemeiniglich auch fort. Wer A gesagt hat, der sagt auch gern B, und alsdann [88] tritt zuletzt ein anderes Sprichwort ein, daß der Krug so lange zum Brunnen gehe, bis er bricht.


12.

Nun kommen zwey Sprichwörter und die sind beyde wahr, wenn sie schon einander widersprechen. Von zwey unbemittelten Brüdern hatte der eine keine Lust und keinen Muth etwas zu erwerben, weil ihm das Geld nicht zu den Fenstern hineinregnete. Er sagte immer: Wo nichts ist, kommt nichts hin. Und so war es auch. Er blieb sein Lebenlang der arme Bruder Wonichtsist, weil es ihm nie der Mühe werth war, mit einem kleinen Ersparniß den Anfang zu machen, um nach und nach zu einem größern Vermögen zu kommen. So dachte der jüngere Bruder nicht. Der pflegte zu sagen: Was nicht ist, das kann werden. Er hielt das Wenige, was ihm von der Verlassenschaft der Eltern zu Theil worden war, zu Rath, und vermehrte es nach und nach durch eigenes Ersparniß, indem er fleißig arbeitete und eingezogen lebte. Anfänglich gieng es hart und langsam. Aber sein Sprichwort: Was nicht ist, kann werden, gab ihm immer Muth und Hoffnung. Mit der Zeit gieng es besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiß und Gottes Segen noch ein reicher Mann, und ernährt jezt die Kinder des armen Bruders Wonichtsist, der selber nichts zu beissen und zu nagen hat. [89]


Die Spinnen.

1.

Die Spinne ist ein verachtetes Thier, viele Menschen fürchten sich sogar davor, und doch ist sie auch ein merkwürdiges Geschöpf und hat in der Welt ihren Nutzen. Zum Beyspiel die Spinne hat nicht zwey Augen, sondern acht. Mancher wird dabey denken, da sey es keine Kunst, daß sie die Fliegen und Mücken, die an ihren Fäden hängen bleiben, so geschwind erblickt und zu erhaschen weiß. Allein das machts nicht aus. Denn eine Fliege hat nach den Untersuchungen der Naturkündigen viele hundert Augen, und nimmt doch das Netz nicht in Acht und ihre Feindinn, die groß genug darinn sitzt. Was folgt daraus? Es gehören nicht nur Augen, sondern auch Verstand und Geschick dazu, wenn man glücklich durch die Welt kommen und in keine verborgenen Fallstricke gerathen will. – Wie fein ist ein Faden, den eine Spinne in der größten Geschwindigkeit von einer Wand bis an die andere zu ziehen weiß! Und doch versichern abermal die Naturkündigen, daß ein solcher Faden, den man kaum mit bloßen Augen sieht, wohl sechstausendfach zusammen gesetzt seyn könne. Das bringen sie so heraus: Die Spinne hat an ihrem Körper nicht nur eine, sondern sechs Drüsen, aus welchen zu gleicher Zeit Fäden hervorgehn. Aber jede von diesen Drüsen hat wohl tausend feine Oeffnungen, von welchen keine umsonst da seyn wird. Wenn also jedesmal aus allen diesen Oeffnungen ein solcher Faden herausgeht, so ist an der Zahl sechstausend nichts auszusetzen, und dann kann man wohl begreifen, daß [90] ein solcher Faden, obgleich so fein, doch auch so fest seyn könne, daß das Thier mit der größten Sicherheit daran auf- und absteigen, und sich in Sturm und Wetter darauf verlassen kann. Muß man nicht über die Kunst und Geschicklichkeit dieser Geschöpfe erstaunen, wenn man ihnen an ihrer stillen und unverdrossenen Arbeit zuschaut, und an den großen und weisen Schöpfer denken, der für alles sorgt, und solche Wunder in einem so kleinen und unscheinbaren Körper zu verbergen weiß?


2.

Das mag alles gut seyn, denkt wohl mancher, wenn sie nur nicht giftig wären, und lauft davon, oder zertritt sie, wo er eine findet. Aber wer sagt denn, daß unsere Spinnen giftig seyen? Noch kein Mensch ist in unsren Gegenden von einer Spinne vergiftet worden. Gibt es nicht hie und da Leute, die sie aufs Brod streichen und verschlucken? Wohlbekomms, wem es schmeckt! Auch sonst thun diese Thierlein, die nur für die Erhaltung ihres eigenen Lebens besorgt sind, keinem Menschen etwas zu leide. Im Gegentheil leisten sie in der Natur einen großen Nuzen, den man aber, wie es oft geschieht, nicht hoch anschlägt, weil jede einzelne wenig dazu beyzutragen scheint. Es ist das geringste, daß sie hie und da einer Stuben-Fliege den Garaus machen. Für diese wäre noch anderer Rath. Aber sie verzehren auch jährlich und täglich eine große Anzahl anderer sehr kleinen Mücklein, die uns durch ihre Menge erstaunend beschwerlich und schädlich werden, und gegen welche man sich nicht erwehren könnte, wenn sie überhand nähmen. Sind nicht manchmal ganze Ackerfurchen [91] mit Spinnengewebe überzogen und glänzen im Morgenthau? Da geht manches Mücklein zu Grunde, das die aufkeimende Saat vielleicht angegriffen und verletzt hätte. Ein Gefangener machte einst in seinem einsamen Kerker eine Spinne so zahm, daß sie seine Stimme kannte, und allemal kam, wenn er sie lockte und etwas für sie hatte. Sie verkürzte ihm an einem Ort, wo kein Freund zu ihm kommen konnte, manche traurige Stunde. Aber als der Kerkermeister es merkte, brachte er sie ums Leben. Was ist verabscheuungswürdig? Ein solches Thier, das doch noch einem Unglücklichen einiges Vergnügen machen kann, oder ein solcher Mensch, der dem Unglücklichen auch dieses Vergnügen mißgönnt und zerstört? Ein anderer Gefangener, der sonst nichts zu thun wußte, gab lange Zeit auf die Spinnen acht, und merkte, daß sie auch Wetterpropheten seyen. Bald liessen sie sich sehen und arbeiteten, bald nicht. Einmal spannen sie träg, ein andermal hurtig, lange Fäden oder kurze, einmal näher zusammen, ein andermal weiter auseinander, so oder so, und endlich konnte er daran erkennen, was für Wetter kommt, Sturm, Regen oder Sonnenschein, anhaltend oder veränderlich. Also auch dazu sind sie gut, und wenn sich jemand verwundet hat, und findet geschwind ein Spinnengewebe, das er auf die blutende Wunde legen kann, so ist er doch auch froh darüber. Wenn es rein ist, so kann es Blut und Schmerzen stillen. Wenn es aber voller Staub ist, so schmerzt es noch mehr, weil der unreine Staub in die Wunde kommt.


3.

Daß es mancherley Thiere dieser Gattung gebe, [92] sieht man schon an der Verschiedenheit ihres Gewebes in der freyen Luft, an Fensterscheiben, in den Winkeln, auf den Feldern, da und dort. Manche spinnen gar nicht, sondern springen nach ihrer Beute. Im Frühjahr und noch vielmehr im trockenen warmen Nach-Sommer sieht man oft gar viele weisse Fäden in der Luft herum fliegen. Alle Bäume hängen manchmal voll, und die Hüte der Wanderer auf der Straße werden davon überzogen. Man konnte lange nicht errathen, wo diese Fäden und Flocken herkommen, und machte sich allerley wunderliche Vorstellungen davon. Jetzt weiß man gewiß, daß es lauter Gespinnst ist von unzählig viel kleinen schwarzen Spinnen, welche deßwegen die Spinnen des fliegenden Sommers genennt werden. Da sieht man wieder, wie viel auch durch kleine Kräfte kann ausgerichtet werden, wenn nur viele das nemliche thun. –

Aber eine gefürchtete Spinne lebt in dem untersten heissen Italien. Sie ist unter dem Namen Tarantel bekannt. Diese soll wohl die Menschen beissen und durch den giftigen Biß krank und schwermüthig machen. Ein Mittel dagegen soll ein gewisser Tanz seyn, die Tarantata genannt. Wenn die Kranken die Musik dazu hören, so fangen sie an zu tanzen, bis sie vor Müdigkeit umfallen, und sind alsdann genesen. Es liesse sich wohl begreifen, daß durch die heftige Bewegung das Gift aus dem Körper herausgetrieben werde. Allein es ist doch, wie man für gewiß weiß, viel Einbildung und Uebertreibung dabey, und wohl auch Betrug.

Ein anderes merkwürdiges Thier dieser Art lebt in einer Gegend von Amerika und heißt Buschspinne. [93] Diese nimmt nicht mit Stuben-Fliegen und Mücklein vorlieb. Nein, einer gewissen Art von Vögeln geht sie nach, greift sie an und zwingt sie, tödtet sie und saugt ihnen das Blut und die Eyer aus. Worüber soll man sich am meisten verwundern, über die große Spinne oder über die kleinen Vögel?


Die Planeten.

Bis jetzt haben wir in unsern Betrachtungen über das Weltgebäude unsern Wohnplatz, die Erde, die Sonne, und den Mond näher kennen gelernt. Jetzt erheben wir unser Auge zu den leuchtenden Sternen, an denen sich so oft das Auge des nächtlichen Wanderers ergötzt. Wer etwa in einer großen Hauptstadt oder in der Nähe derselben gelebt hat, der kann wissen, was eine Illumination ist, und wie herrlich es aussieht, wenn zu Ehren eines großen Herrn in der ganzen Stadt viele tausend kleine Lampen zu gleicher Zeit angezündet werden und brennen. Das Auge kann sich nicht satt schauen, und überall erblickt es etwas anderes und schöneres. Aber alle diese irdische Herrlichkeit ist in gar keine Vergleichung zu setzen mit der großen himmlischen Illumination, die in jeder wolkenlosen Nacht zur Ehre des großen Weltbeherrschers aus unermeßlicher Höhe herabflimmert.

Fürs erste müssen wir wissen, daß es zweyerlei Arten der Sterne giebt. Denn so sehr sie alle, groß und klein, in der größten Unordnung unter einander zu stehen scheinen, so behalten doch die meisten derselben Jahr aus Jahr ein ihre nämliche Stellung [94] gegen einander, gehen Jahr aus und Jahr ein in der nämlichen Ordnung mit und nach einander auf und unter, keiner kommt dem andern näher, keiner entfernt sich von dem andern. Jeder von uns, der auch nur ein Gestirn kennt, den Heerwagen oder den Jakobsstab, der wirds wissen. Wie diese Sterne in seiner Jugend standen, so stehen sie noch, und wo er sie im Sommer oder Winter, Nachts um 8 Uhr oder in der Mitternacht zu finden wußte, dort findet er sie in der nemlichen Jahrszeit wieder. Und diese Sterne heißen Fixsterne.

Nur mit sehr wenigen andern, welche man Irrsterne oder Planeten nennt, hat es auch eine andere Bewandtniß. Diese behalten nicht ihre gleichförmige Stellung gegen die andern. Wenn der Planet, Jupiter genannt, heute Nacht zwischen zwei gewissen Sternen steht, so steht er von heute übers Jahr nicht mehr zwischen den nämlichen, sondern an einem andern Ort. Es ist, als ob diese Sterne für Kurzweil bei den andern herum spazierten, ihnen gute Nacht oder guten Morgen brächten, und sich um die Zeit und Stunde nicht viel bekümmerten. Aber sie haben ihre Ordnung so gut wie die übrigen, nur eine andere. Die mehresten von ihnen kennt jeder Leser aus den Kalendern, besonders aus dem hundertjährigen. Diese Planeten haben nun folgende Eigenschaften miteinander gemein:

1) Sie sind unter allen Sternen unsrer Erde am nächsten, viel näher als irgend ein Fixstern.

2) Sie bewegen sich in großen Kreisen und in ungleich langen Zeiten um die Sonne, welches die [95] andern nicht thun. Und aus diesem Grunde verändert sich unaufhörlich ihre Stellung am Himmel.

3) Es sind von Natur dunkle Weltkörper. Sie empfangen ihr Licht wie unsre Erde von der Sonne. Was wir in der Nacht an ihnen glänzen sehen, ist Sonnenschein, der wie aus einem Spiegel zu uns zurückstrahlt, so daß wir auch in der finstersten Sternennacht doch nicht ganz von diesem fröhlichen Lichte verlassen sind. Jeder Planet ist eine ungeheure grosse Kugel, die sich immer und ohne Ruhe herumdreht. Nur diejenige Hälfte, die alsdann gegen der Sonne steht, hat Licht, die andere ist finster. Sie haben daher auch ihres Theils Tag und Nacht.

4) Ein Planet steht nicht immer in gleicher Entfernung und Richtung gegen die Sonne. Sie haben daher, wie unsre Erde, verschiedene Jahreszeiten, in ihrer Art, Sommer und Winter.

Falsch ist es also, wenn man glaubt, die Sonne sey selber ein Planet. Denn sonst müßte sie sich selber in einem großen Kreis um die Sonne bewegen, sie müßte Tag haben, wenn sie von sich selber beschienen wird, und Nacht, wenn sie nicht von sich selber beschienen wird. Sie mußte Sommer und Winter haben, wenn sie näher oder weiter von sich selber absteht, und das ist lauter Widerspruch. Hingegen haben die Weltweisen entdeckt, daß in dem unermeßlichen Weltraum, und unter den unzähligen Weltkugeln desselben, unsere Erde selber ein Planet sey, weil sie alle Eigenschaften der andern Planeten hat, und wer auf einem andern Planeten stünde, und aus einer Weite von Millionen Meilen nach der Erde schaute, dem würde sie ebenso als [96] ein kleiner glänzender Stern erscheinen, wie uns der Abendstern erscheint. Denn es ist die Entfernung von den Sternen zu uns gerade so weit, als von uns zu den Sternen.

Mißlich muß es daher auch um die Behauptung stehen, daß unsere Erde abwechselnd von den Planeten regiert werde, oder daß Witterung, Fruchtbarkeit und andere Dinge von ihnen herrühren, ob man gleich die Erfahrung haben kann, daß je nach sieben Jahren manches wieder so kommt, wie es sieben Jahre früher war. Denn

1) sonst müßte ein Planet den andern regieren, weil ja unsere Erde selber ein Planet ist, und solche Unordnung wird in dem Reich der Weltkörper nicht statuirt.

2) so müßte unsere Erde auch die andern Planeten hinwiederum regieren, und das kann nicht seyn, sonst müßten wir auch etwas davon wissen.

3) So sind nicht sieben Hauptplaneten, sondern es sind, wie man mit guten Fernröhren entdeckt hat, bis jetzt eilf, und folglich kann nicht alle sieben Jahre wieder der nämliche regieren. Wie siehts jetzt aus?

Also ist auch der Mond kein Planet, wie schon aus der vorigen Betrachtung über ihn ersichtlich ist, sondern er ist der Mond und bleibt der Mond. Von den wahren Planeten aber sind einige schon lange bekannt, nämlich

Der Merkurius, aber diesen wird keiner von euch leicht gesehen haben. Denn er umläuft die Sonne in einem so kleinen Kreis, und steht immer so nahe bei ihr, daß er Morgens nur kurz vor ihr [97] aufgeht, und bald in dem anbrechenden Tag erblaßt, oder Abends bald nach ihr untergeht, und also nicht überall zu sehen ist. Er ist ungefähr zwei und ein halbmal näher bei der Sonne als wir, welches doch 8 Millionen Meilen beträgt. Ein Jahr währt auf diesem Planet nur 88 Tage, denn in so viel Zeit lauft er einmal um die Sonne herum, und vollendet seine Jahrszeit. Dafür ist er auch einer von den kleinen Planeten, und 16mal kleiner als die Erde.

Die Venus ist der zweite Planet, und diesen kennen wir alle unter einem andern Namen, als Abendstern oder Morgenstern. Denn wenn sie auf ihrem Lauf um die Sonne, welcher 224 Tage beträgt, gegen uns betrachtet vorne an der Sonne steht, so geht er auch früh ein Paar Stunden lang vor ihr auf, und das ist alsdann der schöne Morgenstern.

Aber wenn er zu einer andern Zeit in seinem Umlauf so steht, daß er erst nach der Sonne aufgehen kann, so können wir wegen der Tageshelle und dem Sonnenglast ihn nicht mehr sehen. Unsichtbar folgt er den ganzen Tag der Sonne, wie ein Kind seiner Mutter nach, und erst wenn die Sonne untergegangen ist, wenn auf der Erde die Lichter bald angezündet werden und die Betglocke in die Dämmerung läuten, wird er am Abendhimmel sichtbar. Dieser Stern ist der einzige unter allen, der nicht nur aus der Ferne uns seinen Schimmer zeigt, sondern sogar einige Helle auf der Erde verursacht, und daher auch einen Schatten wirft. Dieß rührt von der Nähe desselben her, die bisweilen nur 6 Millionen Meilen [98] beträgt, da die Sonne selbst 21 Millionen weit entfernt ist.

Auch ist das Licht des Abendsterns nicht immer gleich. Oft strahlt er im schönsten Glanze, oft wieder blasser, und scheint sogar kleiner zu seyn. Aber die Sternkundiger haben schon lange durch ihre Ferngläser die Ursache davon entdeckt. Die Venus hat nämlich, von der Erde aus betrachtet, ihr zu- und abnehmendes Licht wie der Mond, und dieß ist sehr begreiflich. Denn da sie eine große Kugel ist, und also nur die eine Hälfte derselben von der Sonne erleuchtet seyn kann, während es auf der andern Nacht und stockfinster ist, so kann es oft geschehen, daß sich nur die Hälfte, ja weniger, von ihrer erleuchteten Seite gegen die Erde kehrt.

Aber was noch viel merkwürdigeres haben die Sternkundiger durch die Hülfe der stärksten Ferngläser in dem Abendstern entdeckt. Er ist nähmlich so wenig als unsere Erde eine ganz glatte Kugel, und hat eben so wie sie seine Berge und Thäler, und ob er gleich etwas kleiner als sie ist, so hat er doch Berge, welche den höchsten Berg unsers Weltkörpers um das vier- bis fünffache an Höhe übertreffen, welches die Astronomen aus dem Schatten derselben mit Genauigkeit zu berechnen wissen.

O das muß ein wundersames Vergnügen seyn, mit einem solchen Fernrohre in der finstern Erden-Nacht 6 Millionen Meilen weit in eine fremde erleuchtete Welt hineinzuschauen, wenn man bedenkt, wie viel Vergnügen es schon macht, wenn wir von einem erstiegenen Berg nur in ein Thal hinüber schauen können, welches unsre Augen noch nie gesehen [99] haben. Noch heimlicher und lieblicher aber müßte der Blick in einen solchen Stern hinein seyn, wenn wir auch sehen könnten, was auf seinen Bergen wächst, was für Thiere darauf weiden, was für Menschen die Thiere hüten, und was sie sonst thun und treiben in ihrer lichten, luftigen Höhe.

Das hat die menschliche Neugierde. So viel man weiß, gern wüßte man noch mehr.

Merkurius und Venus sind die zwey einzigen bekannten Planeten, welche zwischen der Sonne und der Erde stehen. Weiter über die Erde hinaus kreisen um die Sonne noch die drey längst bekannten, Mars, Jupiter und Saturn, nebst fünf neuentdeckten, Pallas, Ceres, Juno, Vesta und Uranus genannt, welche in der Folge sollen beschrieben werden.


Das wohlbezahlte Gespenst.

In einem gewissen Dorfe, das ich wohl nennen könnte, geht ein üblicher Fußweg über den Kirchhof, und von da durch den Acker eines Mannes, der an der Kirche wohnt, und es ist ein Recht. Wenn nun die Ackerwege bey nasser Witterung schlüpfrig und ungangbar sind, gieng man immer tiefer in den Acker hinein, und zertrat dem Eigenthümer die Saat, so daß bey anhaltend feuchter Witterung der Weg immer breiter und der Acker immer schmäler wurde, und das war kein Recht. Zum Theil wußte nun der beschädigte Mann sich wohl zu helfen. Er gab bey Tag, wenn er sonst nichts zu thun hatte, fleißig acht, und wenn ein unverständiger [100] Mensch diesen Weg kam, der lieber seine Schuhe als seines Nachbars Gerstensaat schonte, so lief er schnell hinzu und pfändete ihn, oder thats mit ein Paar Ohrfeigen kurz ab. Bei Nacht aber, wo man noch am ersten einen guten Weg braucht und sucht, wars nur desto schlimmer, und die Dornenäste und Rispen, mit welchen er den Wandernden verständlich machen wollte, wo der Weg sey, waren allemal in wenig Nächten niedergerissen oder ausgetreten, und Mancher thats vielleicht mit Fleiß. Aber da kam dem Mann etwas anderes zu statten. Es wurde auf einmal unsicher auf dem Kirchhofe, über welchen der Weg gieng. Bey trockenem Wetter und etwas hellen Nächten sah man oft ein langes weisses Gespenst über die Gräber wandeln. Wenn es regnete oder sehr finster war, hörte man im Beinhaus bald ein ängstliches Stöhnen und Winseln, bald ein Klappern, als wenn alle Todtenköpfe und Todtengebeine darin lebendig werden wollten. Wer das hörte, sprang behend wieder zur nächsten Kirchhofthüre hinaus, und in kurzer Zeit sah man, sobald der Abend dämmerte und die letzte Schwalbe aus der Luft verschwunden war, gewiß keinen Menschen mehr auf dem Kirchhofwege, bis ein verständiger und herzhafter Mann aus einem benachbarten Dorfe sich an diesem Ort verspätete und den nächsten Weg nach Haus doch über diesen verschrieenen Platz und über den Gerstenacker nahm. Denn ob ihm gleich seine Freunde die Gefahr vorstellten und lange abwehrten, so sagte er doch am Ende: Wenn es ein Geist ist, geh ich mit Gott als ein ehrlicher Mann den nächsten Weg zu meiner Frau und zu meinen Kindern heim, [101] habe nichts Böses gethan, und ein Geist, wenns auch der schlimmste unter allen wäre, thut mir nichts. Ists aber Fleisch und Bein, so habe ich zwey Fäuste bey mir, die sind auch schon dabey gewesen.“ Er gieng. Als er aber auf den Kirchhof kam, und kaum am zweiten Grab vorbei war, hörte er hinter sich ein klägliches Aechzen und Stöhnen, und als er zurückschaute, siehe, da erhob sich hinter ihm, wie aus einem Grabe herauf, eine lange weisse Gestalt. Der Mond schimmerte blaß über die Gräber. Todtenstille war rings umher, nur ein paar Fledermäuse flatterten vorüber. Da war dem guten Manne doch nicht wohl zu Muthe, wie er nachher selber gestand, und wäre gerne wieder zurückgegangen, wenn er nicht noch einmal an dem Gespenst hätte vorbei gehen müssen. Was war nun zu thun? Langsam und stille gieng er seines Weges zwischen den Gräbern und manchem schwarzen Todtenkreuz vorbey. Langsam und immer ächzend folgte zu seinem Entsetzen das Gespenst ihm nach, bis an das Ende des Kirchhofs, und das war in der Ordnung, und bis vor den Kirchhof hinaus, und das war dumm.

Aber so geht es. Kein Betrüger ist so schlau, er verrathet sich. Denn sobald der verfolgte Ehrenmann das Gespenst auf dem Acker erblickte, dachte er bey sich selber: Ein rechtes Gespenst muß wie eine Schildwache auf seinem Posten bleiben, und ein Geist, der auf den Kirchhof gehört, geht nicht aufs Ackerfeld. Daher bekam er auf einmal Muth, drehte sich schnell um, faßte die weisse Gestalt mit fester Hand, und merkte bald, daß er unter einem Leintuch einen Burschen am Brusttuch habe, der noch nicht auf [102] dem Kirchhof daheim sey. Er fieng daher an, mit der andern Faust auf ihn loszutrommeln, bis er seinen Muth an ihm gekühlt hatte, und da er vor dem Leintuch selber nicht sah, wo er hinschlug, so mußte das arme Gespenst die Schläge annehmen wie sie fielen.

Damit war nun die Sache abgethan, und man hat weiter nichts mehr davon erfahren, als daß der Eigenthümer des Gerstenackers ein Paar Wochen lang mit blauen und gelben Zierrathen im Gesicht herum gieng, und von dieser Stunde an kein Gespenst mehr auf dem Kirchhof zu sehen war. Denn solche Leute, wie unser handfester Ehrenmann, das sind allein die rechten Geisterbanner, und es wäre zu wünschen, daß jeder andere Betrüger und Gaukelhans eben so sein Recht und seinen Meister finden möchte.


Der vorsichtige Träumer.

In dem Städtlein Witlisbach im Canton Bern war einmal ein Fremder übernacht, und als er ins Bett gehen wollte, und bis auf das Hemd ausgekleidet war, zog er noch ein Paar Pantoffeln aus dem Bündel, legte sie an, band sie mit den Strumpfbändern an den Füßen fest, und legte sich also in das Bette. Da sagte zu ihm ein anderer Wandersmann, der in der nämlichen Kammer übernachtet war: „Guter Freund, warum thut ihr das?“ Darauf erwiederte der Erste: „Wegen der Vorsicht. Denn ich bin einmal im Traum in eine Glasscherbe getreten. So habe ich im Schlaf solche Schmerzen [103] davon empfunden, daß ich um keinen Preis mehr barfuß schlafen möchte.“


Nützliche Lehren.

13.

Verständige, ja gelehrte Landwirthe machen oft neue Versuche zur Verbesserung ihres Ackerbau’s oder der Viehzucht. Mancher sieht etwas neues in andern Ländern und bringts heim. Manchen lehrt der Zufall einen Vortheil, der ihm hernach grossen Gewinn bringt. Meint er’s gut mit seinen Mitbürgern, so theilt er ihnen seine Entdeckungen mit, und ermuntert sie, seinem Beispiel zu folgen. Die meisten sagen alsdann: Wir wollen bei der Weise unserer Väter bleiben, und wie sie’s getrieben haben, so treiben wirs auch.“ Das ist sehr verständig gesprochen, geneigter Leser! Nur muß man’s nicht bey den Worten bewenden lassen, sondern auch seinen guten Vorsatz erfüllen. Denn der Ackerbau und jede Vorsicht und Beobachtung dabey ist gewiß nicht auf einmal so erfunden worden, wie er jetzt ist, sondern eben unsere Väter und Voreltern haben lange und vielerlei versucht, und guten Rath nicht verachtet. Manches ist mißlungen, manches ist wohlgerathen und besser worden, und so können wir auch noch in Zukunft weiter kommen, und unsern Ackerbau und Wohlstand verbessern, wenn wir nur Wort halten, und dem Beispiel unserer lernbegierigen und fleißigen Vorfahren folgen. [104]

Mißverstand.

Im neunziger Krieg, als der Rhein auf jener Seite von französischen Schildwachen, auf dieser Seite von schwäbischen Kreis-Soldaten besezt war, rief ein Franzos zum Zeitvertreib zu der deutschen Schildwache herüber: Filu! Filu! Das heißt auf gut deutsch: Spitzbube. Allein der ehrliche Schwabe dachte an nichts so Arges, sondern meynte, der Franzose frage: Wieviel Uhr? und gab gutmüthig zur Antwort: Halber vieri.


Die Eidexen.

Daß viele Menschen sich vor den Schlangen fürchten, davon springen oder sie des Lebens berauben, das ist noch wohl begreiflich, weil man sie für gefährlich hält, und im zweifelhaften Fall lieber eine ungiftige todtschlägt, als von einer giftigen sich beissen läßt. Aber warum sind viele Leute sogar den Eidexen feind, diesen unschuldigen Thieren, die niemand beleidigen, niemand schaden, vielmehr dem Landmann nützlich werden, indem sie von allerley kleinen Insekten oder sogenanntem Ungeziefer sich nähren? Höchstens können sie euch ein wenig erschrecken, wenn ihr so in euren stillen Gedanken dahin wandelt, und auf einmal etwas im Laub rauscht. Aber wer ein gutes Gewissen hat, muß sich gewöhnen, nicht vor allem zu erschrecken. Wer ein böses Gewissen hat, dem ist freylich in diesem Punkt übel rathen.

„Der Wind im Wald, das Laub am Baum saust ihm Entsetzen zu.“

[105]

Nun, alle Leute sind so furchtsam freylich auch nicht, und im Frühjahr, wenn man wieder ins Feld und ins Grüne geht, und überall in der manchfaltigsten Gestalt das frohe Leben hervorwimmelt und laut wird, bleibt auch wohl ein verständiger Mann einen Augenblick vor einer Eidexe stehen, betrachtet ihr grünes Gewand, wenn es schöner als Smaragd an der Sonne schimmert, bewundert ihre unnachahmliche Geschwindigkeit, und sieht mit Vergnügen ihren unschuldigen Spielen zu. Dann geht er mit guten Gedanken seines Weges weiter, riecht an seinem Frühlingsstraus, und kann sich nicht genug erschauen an den blühenden Bäumen und farbigen Matten umher.

Gott sorgt auch für diese Thiere. Sie haben nicht genug Wärme in sich, um den Winter über dem Boden auszuhalten, auch würde es ihnen an Nahrung und Gebüsch zum verborgenen Aufenthalt fehlen. Sie verkriechen sich daher, und bringen den Winter im Schlaf zu. Ohne Calender wissen sie ihren Monat. Aber wie im Frühjahr das Volk der kleinen Mücken lebendig wird, und alle Keime in Gras und alle Knospen in Laub aufgehen, ruft die tiefer dringende Frühlingssonne auch dieses Geschöpf aus seinem Schlaf und Winterquartier, und wenn es erwacht, ist schon für alles gesorgt, was zu seines Lebens Nahrung und Nothdurft gehört. – Bekanntlich haben nicht alle diese Thiere einerley Farbe; aber eine Art derselben muß um ihrer Nahrung willen sich am meisten aus dem dunkeln Gebüsch heraus ins Grüne wagen. Darum ist auch ihre Farbe grün. In dieser Farbe wird sie im Gras weder von den Thieren, welchen sie nachstellt, [106] so leicht entdeckt, noch von dem Storch, der ihr selber aufs Leben geht.


2.

Es giebt auch zweyerley Eidexen im Wasser, nur nennt man sie anders, und diese sind zum Schwimmen abgerichtet. Selbst auf dem Grund der klaren Brunnenquellen findet man sie oft, und darf sich deßwegen vor dem Wasser nicht scheuen. Auch diese sind nicht giftig und theilen dem Wasser keine Unreinigkeit mit. Vielmehr loben es viele Brunnenmeister als ein gutes Zeichen. Solch ein Thierlein in seiner verschlossenen Brunnenstube hat ein geheimliches Leben und Wesen, sieht nie die Sonne auf- oder untergehen, erfährt nichts davon, daß der Prinz von Brasilien nach Amerika ausgewandert ist, und daß die englischen Waaren auf dem festen Land verboten sind, weiß nicht, obs noch mehr solche Brunnenstuben in der Welt giebt, oder ob die seinige die einzige ist, und ist doch in seinem nassen Element des Lebens froh, und hat keine Klage und keine Langeweile.

An der großen schwarz- und gelb-gefleckten warzigen und schmutzig-feuchten Eidexe, die man den Salamander oder gelben Molch nennt, hat niemand Freude. Noch weniger aber freut es ihn, wenn er einen Menschen erblickt. Denn selten kommt er unangefochten davon. Er hält sich nur an dunkeln, feuchten und kühlen auch modrigen Orten auf, und das beste ist, daß man ihn dort sitzen lasse. Wer aber Lust hat, darf ihn herzhaft in die Hände nehmen. Er thut euch gewiß nichts Leides.


3.

Wer sich aber mit Recht vor den Eidexen fürchten [107] oder eine Heldenthat durch die Erlegung derselben vollziehen will, der muß nach Afrika oder Asien oder Amerika gehen.

Das fürchterliche Crokodill ist nichts anders als eine 20 bis 50 Fuß lange Eidexe. Davor muß jedermann Respekt haben. Oben braun oder schwarzgefleckt, unten weißlichgelb. Durch die schuppige Rückenhaut geht kein Flintenschuß; am Bauch ist sie weich. In jedem Kiefer des großen Rachens stehen 50 scharfe Zähne. Der Schwanz beträgt mehr als die Hälfte von der ganzen Länge. Damit wirft es im Wasser kleine Schiffe um, und tödtet einen Menschen mit Einem Schlag. Es lebt im Wasser, z. B. im Nilfluß in Egypten, und geht an’s Land, frißt Fische und andere Thiere, Buben und Mägdlein, auch erwachsene Egypter. Schnell wie ein Pfeil geht es in gerader Linie auf seinen Raub, kann sich aber nur langsam umdrehen. Mit einem glücklichen Seitensprung ist man ausser Gefahr. Das Weibchen legt 100 häutige Eyer, so groß wie die Gänse-Eyer, und verscharrt sie in den Sand. Die Sonnenwärme brütet sie aus. Die meisten werden aber, ehe es dazu kommt, von einer egyptischen Ratze gefressen. Auch von Menschen werden sie aufgesucht und zerstört oder gegessen. Wohl bekomms!

Daß es nicht nur auf der Erde und im Wasser, sondern auch in der Luft Eidexen gebe, nemlich solche, die da fliegen, wird mancher nicht gerne glauben. Aber wenn ihm ein Fabelhans von Drachen spricht, die auf hohen Felsen und in alten zerstörten Bergschlössern hausen, und feuerspeyend durch die Luft schiessen, Brunnen vergiften, den Reiter und [108] das Roß mit Sporn und Hufeisen Schluck und Druck verschlingen, das findet man schon glaublicher, weil einem der kalte Schauer vom Kopf bis zum Nagel des Zehens über die Haut lauft, wenn man’s hört.

Bey allem dem muß so viel wahr bleiben, daß es in Asien und andern Welttheilen Eidexen von ein- bis anderthalb Fuß Länge giebt, die auf Bäumen leben, wie bey uns der Laubfrosch, und durch Hülfe von häutigen Auswüchsen auf beyden Seiten große Sprünge in der Luft machen, und von einem Baum auf den andern schießen können. Einige haben dabey nur zwey, andere vier Füße, sind unschädlich, und leben wie andere Eidexen von Insekten. Andere Basilisken und Drachen giebt es in Asien nicht, ausser unter den Menschen, wenn einer den andern gern mit dem Blick vergiften oder durchbohren möchte, und giftige Verläumdungen und Scheltworte über ihn ausgießt, wie man denn dergleichen auch schon in Europa und am Rhein will viele gesehen haben.



Unglück der Stadt Leiden.

Diese Stadt heißt schon seit undenklichen Zeiten Leiden, und hat noch nie gewußt, warum, bis am 12 Jän. des Jahrs 1807. Sie liegt am Rhein in dem Königreich Holland, und hatte vor diesem Tag eilftausend Häuser, welche von 40,000 Menschen bewohnt waren, und war nach Amsterdam wohl die größte Stadt im ganzen Königreich. Man stand an diesem Morgen noch auf, wie alle Tage; der Eine betete sein: „Daß walt Gott“, der Andere ließ es seyn, und niemand dachte daran, wie es am Abend aussehen [109] wird, obgleich ein Schiff mit siebenzig Fässern voll Pulver in der Stadt war. Man aß zu Mittag, und ließ sichs schmecken, wie alle Tage, obgleich das Schiff noch immer da war. Aber als Nachmittags der Zeiger auf dem großen Thurm auf halb fünf stand – fleißige Leute saßen daheim und arbeiteten, fromme Mütter wiegten ihre Kleinen, Kaufleute giengen ihren Geschäften nach, Kinder waren beysammen in der Abend-Schule, müßige Leute hatten lange Weile und saßen im Wirthshaus beym Kartenspiel und Weinkrug, ein Bekümmerter sorgte für den andern Morgen, was er essen, was er trinken, womit er sich kleiden werde, und ein Dieb steckte vielleicht gerade einen falschen Schlüssel in eine fremde Thüre, – und plötzlich geschah ein Knall. Das Schiff mit seinen 70 Fässern Pulver bekam Feuer, sprang in die Luft, und in einem Augenblick, (ihr könnts nicht so geschwind lesen, als es geschah) in einem Augenblick waren ganze lange Gassen voll Häuser mit allem was darinn wohnte und lebte, zerschmettert und in einen Steinhaufen zusammengestürzt oder entsezlich beschädigt. Viele hundert Menschen wurden lebendig und todt unter diesen Trümmern begraben oder schwer verwundet. Drey Schulhäuser giengen mit allen Kindern, die darin waren, zu Grunde, Menschen und Thiere, welche in der Nähe des Unglücks auf der Straße waren, wurden von der Gewalt des Pulvers in die Luft geschleudert und kamen in einem kläglichen Zustand wieder auf die Erde. Zum Unglück brach auch noch eine Feuersbrunst aus, die bald an allen Orten wüthete, und konnte fast nimmer gelöscht werden, weil viele Vorrathshäuser voll Oel [110] und Thran mit ergriffen wurden. Achthundert der schönsten Häuser stürzten ein oder mußten niedergerissen werden. Da sah man auch, wie es am Abend leicht anders werden kann, als es am frühen Morgen war, nicht nur mit einem schwachen Menschen, sondern auch mit einer großen und volkreichen Stadt. Der König von Holland sezte sogleich ein nahmhaftes Geschenk auf jeden Menschen, der noch lebendig gerettet werden konnte. Auch die Todten, die aus dem Schutt hervorgegraben wurden, wurden auf das Rathhaus gebracht, damit sie von den Ihrigen zu einem ehrlichen Begräbniß konnten abgeholt werden. Viele Hülfe wurde geleistet. Obgleich Krieg zwischen England und Holland war, so kamen doch von London ganze Schiffe voll Hülfsmittel und große Geldsummen für die Unglücklichen, und das ist schön – denn der Krieg soll nie ins Herz der Menschen kommen. Es ist schlimm genug, wenn er aussen vor allen Thoren und vor allen Seehäven donnert.



Fliegende Fische.

Im Meere giebt es Fische, welche auch aus dem Wasser gehen und in der Luft fliegen können. Mann sollte meinen, es sey erdichtet, weil bey uns so etwas nicht geschieht. Aber wenn ein Mensch auf einer Insel wohnte, wo er keinen andern Vogel, als Maisen, Distelfinken, Nachtigallen und andere dergleichen lustige Musikanten des Waldes könnte kennen lernen, so würde er es eben so unglaublich finden, wenn er hörte, daß es irgendwo ein Land gebe, wo Vögel auf dem Wasser schwimmen und darin untertauchen; [111] und doch können wir dieses auf unserm Gewässer alle Tage sehen, und wir müssen daher auch nicht glauben, daß alle Wunder der Natur nur in andern Ländern und Welttheilen seyen. Sie sind überall. Aber diejenigen, die uns umgeben, achten wir nicht, weil wir sie von Kindheit an und täglich sehen.

Was nun die Fische und Vögel betrift, so schwimmt eine Ente freylich nicht eben so wie ein Fisch, und ein Fisch fliegt nicht wie ein Storch, sondern damit hat es folgende Bewandtniß. Die Floßfedern an der Brust dieser Thiere sind sehr lang und mit einer weiten Haut überzogen. Durch deren Hülfe kann sich der Fisch eine Zeitlang in der Luft erhalten. Aber erstlich das thut nicht länger gut, als diese Haut naß ist. Sobald sie trocknet, fällt der Fisch ins Wasser zurück. Zweytens, er geht nicht aus dem Wasser ohne Noth, fliegt nicht spazieren für Kurzweil oder um seine Kunst zu zeigen, sondern wenn ihn ein Raubfisch verfolgt, und kann ihm nicht mehr anderst entrinnen, und darinn ist er klüger als mancher Mensch, der schon Hals und Bein gebrochen hat. Denn der Fisch sagt: Man muß seiner Natur und seinem Stand getreu bleiben, solang man kann, kein Wagstück treiben, wenns nicht seyn muß, nicht oben zum Fenster hinaus springen, wenn die Thüre offen steht.

Solche fliegende Fische geben den Schiffahrenden, die viele Wochen lang nichts als Himmel und Wasser um sich haben, auf ihrer langweiligen Reise manche Kurzweil, besonders wenn der Raubfisch, welcher sie verfolgt, ebenfalls fliegen kann und ihnen nacheilt. Da sieht man eine seltsame Fischjagd in der Luft. Oft [112] erhascht der Raubfisch seine Beute, und zieht sie wieder in das Wasser hinab. Oft entgeht sie durch Geschwindigkeit oder Glück. Manchmal ist noch ein ganz anderer Spaß zu sehen. Denn gewisse Vögel fliegen über dem Wasser her und hin, und stellen den Fischen nach, können ihnen aber nichts anhaben, so lang diese daheim im Wasser bleiben, wohin sie gehören. Wenn aber ein solcher Luftkrieg zwischen ihnen angeht, so wird bald der Fliehende, bald der Feind, bald beyde von dem Vogel, der das Fliegen besser versteht, erhascht, und kommen ihr Lebenlang nimmer ins Wasser. Und dazu lachen die Schiffer.

Merke: Solcher Spaß, bey dem man aber oft lieber weinen als lachen möchte, ist manchmal auch mitten auf dem trockenen Lande zu sehen, wenn zwey Brüder oder Verwandte oder Bundesgenossen Prozeß und Streit miteinander führen, und kommt ein Dritter dazu, und beraubt beyde des Vortheils, den jeder von ihnen allein haben wollte und keiner dem andern gönnte. Merke: Wann die Fische im Meer Händel haben, ists lauter Freude für die losen Vögel in der Luft.


Schlechter Gewinn.

Ein junger Kerl that vor einem Juden gewaltig groß, was er für einen sichern Hieb in der Hand führe, und wie er eine Stecknadel der Länge nach spalten könne mit Einem Zug. Ja gewiß, Mauschel Abraham, sagte er, es soll einen Siebzehner gelten, ich haue dir in freyer Luft das Schwarze vom Nagel weg auf ein Haar und ohne Blut.“ Die Wette galt, denn [113] der Jude hielt so etwas nicht für möglich, und das Geld wurde ausgesetzt auf den Tisch. Der junge Kerl zog sein Messer und hieb, und verlor’s, denn er hieb dem armen Juden in der Ungeschicklichkeit das Schwarze vom Nagel und das Weiße vom Nagel und das vordere Gelenk mit einem Zug rein von dem Finger weg. Da that der Jude einen lauten Schrey, nahm das Geld, und sagte: Au weih, ich habs gewonnen!

An diesen Juden soll jeder denken, wenn er versucht wird, mehr auf einen Gewinn zu wagen, als derselbe werth ist.

Wie mancher Prozeßkrämer hat auch schon so sagen können! Ein General meldete einmal seinem Monarch den Sieg mit folgenden Worten: „Wenn ich noch einmal so siege, so komme ich allein heim.“ Das heißt mit andern Worten auch: O weih, ich habs gewonnen!


Der wohlbezahlte Spaßvogel.

Wie man in den Wald schreyt, so schreyt es wieder heraus. Ein Spaßvogel wollte in den neunziger Jahren einen Juden in Frankfurt zum Besten haben. Er sprach also zu ihm: „Weißt du auch, Mauschel, daß in Zukunft die Juden in ganz Frankreich auf Eseln reiten müßen?“ Dem hat der Jude also geantwortet: „Wenn das ist, artiger Herr, so wollen wir zwey auf dem deutschen Boden bleiben, wenn schon Ihr kein Jude seyd.“ [114]

Eine sonderbare Wirthszeche.

Manchmal gelingt ein muthwilliger Einfall, manchmal kostets den Rock, oft sogar die Haut dazu. Dießmal aber nur den Rock. Denn obgleich einmal drey lustige Studenten auf einer Reise keinen rothen Heller mehr in der Tasche hatten, alles war verjubelt, so giengen sie doch noch einmal in ein Wirthshaus, und dachten, sie wollten sich schon wieder hinaus helfen, und doch nicht wie Schelmen davon schleichen, und es war ihnen gar recht, daß die junge und artige Wirthin ganz allein in der Stube war. Sie aßen und tranken gutes Muthes, und führten mit einander ein gar gelehrtes Gespräch, als wenn die Welt schon viele tausend Jahr alt wäre, und noch eben so lang stehen würde, und daß in jedem Jahr, an jedem Tag und in jeder Stunde des Jahrs alles wieder so komme und sey, wie es am nemlichen Tag und in der nemlichen Stunde vor sechstausend Jahren auch gewesen sey. Ja, sagte endlich einer zur Wirthin – die mit einer Strickerey seitwärts am Fenster saß und aufmerksam zuhörte, – „ja, Frau Wirthin, das müssen wir aus unsern gelehrten Büchern wissen.“ Und einer war so keck, und behauptete, er könne sich wieder dunkel erinnern, daß sie vor sechstausend Jahren schon einmal da gewesen seyen, und das hübsche freundliche Gesicht der Frau Wirthin sey ihm noch wohl bekannt. Das Gespräch wurde noch lange fortgesetzt, und je mehr die Wirthin alles zu glauben schien, desto besser liessen sich die jungen Schwenkfelder den Wein und Braten und manche Bretzel schmecken, bis eine Rechnung von 5 fl. 16 kr. auf der Kreide [115] stand. Als sie genug gegessen und getrunken hatten, rückten sie mit der List heraus, worauf es abgesehen war.

„Frau Wirthin, sagte einer, es steht dießmal um unsere Batzen nicht gut, denn es sind der Wirthshäuser zu viele an der Strasse. Da wir aber an euch eine verständige Frau gefunden haben, so hoffen wir als alte Freunde hier Credit zu haben, und wenns euch recht ist, so wollen wir in 6000 Jahren, wenn wir wieder kommen, die alte Zeche samt der neuen bezahlen.“ Die verständige Wirthin nahm das nicht übel auf, war’s vollkommen zufrieden, und freute sich, daß die Herren so vorlieb genommen, stellte sich aber unvermerkt vor die Stubenthüre, und bat, die Herren möchten nur so gut seyn, und jetzt einstweilen die 5 fl. 16 kr. bezahlen, die sie vor 6000 Jahren schuldig geblieben seyen, weil doch alles schon einmal so gewesen sey, wie es wieder komme. Zum Unglück trat eben der Vorgesetzte des Ortes mit ein Paar braven Männern in die Stube, um mit einander ein Glas Wein in Ehren zu trinken. Das war den gefangenen Vögeln gar nicht lieb. Denn jetzt wurde von Amts wegen das Urtheil gefällt und vollzogen: „Es sey aller Ehren werth, wenn man 6000 Jahre lang geborgt habe. Die Herren sollten also augenblicklich ihre alte Schuld bezahlen, oder ihre noch ziemlich neue Oberröcke in Versatz geben.“ Dieß letzte mußte geschehen, und die Wirthin versprach, in 6000 Jahren, wenn sie wieder kommen und besser als jetzt bei Batzen seyen, ihnen alles, Stück für Stück, wieder zuzustellen. [116]

Dieß ist geschehen im Jahre 1805 am 17ten April im Wirthhshause zu Segringen.


Seltsamer Spazierritt.

Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus, und läßt seinen Buben zu Fuß neben her laufen. Kommt ein Wanderer, und sagt: Das ist nicht recht, Vater, daß ihr reitet, und laßt euern Sohn laufen; ihr habt stärkere Glieder. Da stieg der Vater vom Esel herab, und ließ den Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann, und sagt: Das ist nicht recht, Bursche, daß du reitest, und lässest deinen Vater zu Fuß gehen. Du hast jüngere Beine. Da saßen beide auf, und ritten eine Strecke. Kommt ein dritter Wandersmann, und sagt: Was ist das für ein Unverstand: Zwei Kerle auf Einem schwachen Thiere; Sollte man nicht einen Stock nehmen, und euch beide hinab jagen? Da stiegen beide ab und giengen selb dritt zu Fuß, rechts und links der Vater und Sohn, und in der Mitte der Esel. Kommt ein vierter Wandersmann und sagt: „Ihr seyd drey kuriose Gesellen. Ists nicht genug, wenn Zwey zu Fuß gehen? Gehts nicht leichter, wenn Einer von euch reitet? Da band der Vater dem Esel die vordern Beine zusammen, und der Sohn band ihm die hintern Beine zusammen, zogen einen starken Baumpfahl durch, der an der Straße stand, und trugen den Esel auf der Achsel heim.

So weit kann’s kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen. [117]

Drei Wünsche.

Ein junges Ehepaar lebte recht vergnügt und glücklich beysammen, und hatte den einzigen Fehler, der in jeder menschlichen Brust daheim ist: Wenn man’s gut hat, hätt’ man’s gerne besser. Aus diesem Fehler entstehen so viele thörichte Wünsche, woran es unserm Hans und seiner Lise auch nicht fehlte. Bald wünschten sie des Schulzen Acker, bald des Löwenwirths Geld, bald des Meyers Haus und Hof und Vieh, bald Einmal hunderttausend Millionen baierische Thaler kurz weg. Eines Abends aber als sie friedlich am Ofen saßen und Nüsse aufklopften, und schon ein tiefes Loch in den Stein hineingeklopft hatten, kam durch die Kammerthür ein weißes Weiblein herein, nicht mehr als einer Elle lang, aber wunderschön von Gestalt und Angesicht, und die ganze Stube war voll Rosenduft. Das Licht löschte aus, aber ein Schimmer wie Morgenroth, wenn die Sonne nicht mehr fern ist, stralte von dem Weiblein aus, und überzog alle Wände. Ueber so etwas kann man nun doch ein wenig erschrecken, so schön es aussehen mag. Aber unser gutes Ehepaar erhohlte sich doch bald wieder, als das Fräulein mit wundersüßer silberreiner Stimme sprach: „Ich bin eure Freundinn, die Bergfey, Anna Fritze, die im kristallenen Schloß mitten in den Bergen wohnt, mit unsichtbarer Hand Gold in den Rheinsand streut, und über siebenhundert dienstbare Geister gebietet. Drei Wünsche dürft ihr thun; drei Wünsche sollen erfüllt werden.“ Hans drückte den Ellenbogen an den Arm seiner Frau, als ob er sagen wollte: Das lautet nicht übel. Die Frau aber war schon im Begriff, [118] den Mund zu öffnen, und etwas von ein paar Dutzend goldgestickten Hauben, seidenen Halstüchern und dergleichen zur Sprach zu bringen, als die Bergfey sie mit aufgehobenem Zeigefinger warnte: Acht Tage lang, sagte sie, habt ihr Zeit. Bedenkt euch wohl, und übereilt euch nicht. Das ist kein Fehler, dachte der Mann, und legte seiner Frau die Hand auf den Mund. Das Bergfräulein aber verschwand. Die Lampe brannte wie vorher, und statt des Rosenduft’s zog wieder wie eine Wolke am Himmel der Oeldampf durch die Stube.

So glücklich nun unsere guten Leute in der Hoffnung schon zum voraus waren, und keinen Stern mehr am Himmel sahen, sondern lauter Baßgeigen; so waren sie jetzt doch recht übel d’ran, weil sie vor lauter Wunsch nicht wußten, was sie wünschen wollten, und nicht einmal das Herz hatten, recht daran zu denken oder davon zu sprechen, aus Furcht, es möchte für gewünscht passiren, ehe sie es genug überlegt hätten. Nun sagte die Frau: Wir haben ja noch Zeit bis am Freitag.

Des andern Abends, während die Cartoffeln zum Nachtessen in der Pfanne prasselten, standen beide, Mann und Frau, vergnügt an dem Feuer beysammen, sahen zu, wie die kleinen Feuerfünklein an der rußigen Pfanne hin und her züngelten, bald angiengen, bald auslöschten, und waren, ohne ein Wort zu reden, vertieft in ihrem künftigen Glück. Als sie aber die gerösteten Cartoffeln aus der Pfanne auf das Plättlein anrichteten, und ihr der Geruch lieblich in die Nase stieg; – „Wenn wir jetzt nur ein gebratenes Würstlein dazu hätten,“ sagte sie [119] in aller Unschuld, und ohne an etwas anders zu denken, und – o weh, da war der erste Wunsch gethan. – Schnell wie ein Blitz kommt und vergeht, kam es wieder wie Morgenroth und Rosenduft untereinander durch das Kamin herab, und auf den Cartoffeln lag die schönste Bratwurst. – Wie gewünscht so geschehen. – Wer sollte sich über einen solchen Wunsch und seine Erfüllung nicht ärgern? Welcher Mann über solche Unvorsichtigkeit seiner Frau nicht unwillig werden?

„Wenn dir doch nur die Wurst an der Nase angewachsen wäre“, sprach er in der ersten Ueberraschung, auch in aller Unschuld, und ohne an etwas anders zu denken – und wie gewünscht, so geschehen. Kaum war das letzte Wort gesprochen, so saß die Wurst auf der Nase des guten Weibes fest, wie angewachsen in Mutterleib, und hieng zu beyden Seiten hinab wie ein Husaren-Schnauzbart.

Nun war die Noth der armen Eheleute erst recht groß. Zwei Wünsche waren gethan und vorüber, und noch waren sie um keinen Heller und um kein Waizenkorn, sondern nur um eine böse Bratwurst reicher. Noch war ein Wunsch zwar übrig. Aber was half nun aller Reichthum und alles Glück zu einer solchen Nasenzierrath der Hausfrau? Wollten sie wohl oder übel, so mußten sie die Bergfey bitten, mit unsichtbarer Hand Barbiersdienste zu leisten, und Frau Lise wieder von der vermaledeyten Wurst zu befreyen. Wie gebeten, so geschehen, und so war der dritte Wunsch auch vorüber, und die armen Eheleute sahen einander an, waren der nemliche Hans [120] und die nemliche Lise nachher wie vorher, und die schöne Bergfey kam niemals wieder.

Merke: Wenn dir einmal die Bergfey also kommen sollte, so sei nicht geitzig, sondern wünsche

Numero Eins: Verstand, daß du wissen mögest, was du

Numero Zwei wünschen sollest, um glücklich zu werden. Und weil es leicht möglich, wäre, daß du alsdann etwas wähltest, was ein thörichter Mensch nicht hoch anschlägt, so bitte noch

Numero Drei: um beständige Zufriedenheit und keine Reue.

Oder so:

Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den Verstand nicht hat, sie zu benutzen.


Eine merkwürdige Abbitte.

Das ist merkwürdig, daß an einem schlechten Menschen der Name eines ehrlichen Mannes gar nicht haftet, und daß er durch solchen nur ärger geschimpft ist.

Zwei Männer saßen in einem benachbarten Dorf zu gleicher Zeit im Wirthshaus. Aber der eine von ihnen hatte bösen Leumund wegen allerley, und sah ihn und den Iltis niemand gern auf seinem Hof. Aber beweisen vor dem Richter konnte man ihm nichts. Mit dem bekam der andere Zwist im Wirthshaus, und im Unwillen, und weil er ein Glas Wein zu viel im Kopf hatte, so sagte er zu ihm: Du schlechter Kerl! – Damit kann einer zufrieden seyn, wenn ers ist, und braucht nicht mehr. Aber [121] der war nicht zufrieden, wollte noch mehr haben, schimpfte auch, und verlangte Beweis. Da gab ein Wort das andere, und es hieß: Du Spitzbub! du Felddieb! – Damit war er noch nicht zufrieden, sondern gieng vor den Richter. Da war nun freylich derjenige, welcher geschimpft hatte, übel d’ran. Leugnen wollt’ er nicht, beweisen konnt’ er nicht, weil er für das, was er wohl wußte, keine Zeugen hatte, sondern er mußte einen Gulden Strafe erlegen, weil er einen ehrlichen Mann Spitzbube geheißen habe, und ihm Abbitte thun, und dachte bei sich selber: theurer Wein! Als er aber die Strafe erlegt hatte, so sagte er: „Also einen Gulden kostet es, Gestrenger Herr, wenn man einen ehrlichen Mann einen Spitzbuben nennt? Was kostet’s denn, wenn man einmal in der Vergeßlichkeit oder sonst zu einem Spitzbuben sagt: Ehrlicher Mann.“ Der Richter lächelte, und sagte: Das kostet nichts, und damit ist niemand geschimpft. Hierauf wendete sich der Beklagte zu dem Kläger um, und sagte: „Es ist mir leid, ehrlicher Mann! Nichts für ungut, ehrlicher Mann! Adies, ehrlicher Mann!“ Als der erboste Gegner das hörte, und wohl merkte wie es gemeynt war, wollte er noch einmal anfangen, und hielt sich jetzt für ärger beleidigt als vorher. Aber der Richter, der ihn doch auch als einen verdächtigen Menschen kennen mochte, sagte zu ihm: Er könnte jetzt zufrieden seyn. [122]


Der große Sanhedrin zu Paris.

Daß die Juden seit der Zerstörung Jerusalems, das heißt, seit mehr als 1700 Jahren, ohne Vaterland und ohne Bürgerrecht auf der ganzen Erde in der Zerstreuung leben, daß die meisten von ihnen, ohne selber etwas Nützliches zu arbeiten, sich von den arbeitenden Einwohnern eines Landes nähren, daß sie daher auch an vielen Orten als Fremdlinge verachtet, mißhandelt und verfolgt werden, ist Gott bekannt und leid. – Mancher sagt daher im Unverstand: Man sollte sie alle aus dem Lande jagen. Ein Anderer sagt im Verstand: Man sollte arbeitsame und nützliche Menschen aus ihnen machen, und sie alsdann behalten.

Den Anfang dazu hat der große Kaiser Napoleon gemacht. Merkwürdig für die Gegenwart und für die Zukunft ist dasjenige, was er wegen der Judenschaft in Frankreich und dem Königreich Italien verordnet und veranstaltet hat.

Schon in der Revolution bekamen alle Juden, die in Frankreich wohnen, das französische Bürgerrecht, und man sagte frisch weg: Bürger Aron, Bürger Levi, Bürger Rabbi, und gab sich brüderlich die Hand. Aber was will da herauskommen? Der christliche Bürger hat ein anderes Gesetz und Recht, so hat der jüdische Bürger auch ein anderes Gesetz und Recht, und will nicht haben Gemeinschaft mit den Gojim. Aber zweierlei Gesetz und Willen in Einer Bürgerschaft thut gut, wie ein brausender Strudel in einem Strom. Da will Wasser auf, da will Wasser ab, und eine Mühle, die darin steht, wird nicht viel Mehl mahlen. [123]

Das sah der große Kaiser Napoleon wohl ein, und im Jahr 1806, ehe er antrat die große Reise nach Jena, Berlin, und Warschau, und Eylau, ließ er schreiben an die ganze Judenschaft in Frankreich, daß sie ihm sollte schicken aus ihrer Mitte verständige und gelehrte Männer aus allen Departementern des Kaiserthums. Da war nun jedermann in großem Wunder, was das werden sollte, und der Eine sagte das, der Andere jenes, z. B. der Kaiser wolle die Juden wieder bringen in ihre alte Heimath am großen Berg Libanon an dem Bach Egypti und am Meer.

Als aber die Abgeordneten und Rabbiner aus allen Departementern, worinn Juden wohnen, beisammen waren, ließ bald der Kaiser ihnen gewisse Fragen vorlegen, die sie sollten bewegen in ihrem Herzen, und beantworten nach dem Gesetz, und war daraus zu sehen, es sey die Rede nicht vom Fortschicken, sondern vom Dableiben, und von einer festen Verbindung der Juden mit den andern Bürgern in Frankreich und in dem Königreich Italien. Denn alle diese Fragen giengen darauf hinaus, ob ein Jude das Land, worin er lebt, nach seinem Glauben könne ansehen und lieben als sein Vaterland, und die andern Bürger desselben als seine Mitbürger, und die bürgerlichen Gesetze desselben halten.

Das war nun fast spitzig, und wie es anfänglich schien, war nicht gut sagen: Ja, und war nicht gut sagen: Nein.

Allein die Abgeordneten sagen, daß der Geist der göttlichen Weisheit erleuchtet habe ihre Gemüther, [124] und sie ertheilten eine Antwort, die war wohlgefällig in den Augen des Kaisers.

Darum formirte die jüdische Versammlung aus sich, zum unerhörten Wunder unsrer Zeit, den großen Sanhedrin. Denn der große Sanhedrin ist nicht ein großer Jude zu Paris, wie der Riese Goliath, so aber ein Philister war, sondern – Sanhedrin, das wird verdollmetscht eine Versammlung, und wurde vor alten, alten Zeiten also genannt, der hohe Rath zu Jerusalem, so bestand aus 71 Rathsherren, die wurden für die verständigsten und weisesten Männer gehalten, ein ganzes Volk, und wie diese das Gesez erklärten, so war es recht, und mußte gelten in ganz Israel.

Einen solchen Rath sezten die Abgeordneten der Judenschaft wieder ein und sagten, es sey seit 1500 Jahren kein großer Sanhedrin gewesen, als dieser unter dem Schutz des erhabenen Kaisers Napoleon.

Dieß ist der Inhalt der Gesetze, die der große Sanhedrin aussprach zu Paris im Jahr 5367 nach Erschaffung der Welt im Monat Adar desselbigen Jahres am 22sten Tag des Monats.

1) Die jüdische Ehe soll bestehen aus Einem Manne und Einer Frau. Kein Israelite darf zu gleicher Zeit mehr haben, als Eine Frau.

2) Kein Rabbiner darf die Scheidung einer Ehe aussprechen, es sey dann, die weltliche Obrigkeit habe zuvor gesprochen, die Ehe sey nach dem bürgerlichen Gesetz aufgelöst.

3) Kein Rabbiner darf die Bestätigung einer Ehe aussprechen, es sey dann, daß die Verlobten von der weltlichen Obrigkeit einen Trauschein haben. [125]

Aber ein Jude darf eine Christentochter heyrathen, und ein Christ eine jüdische Tochter. Solches hat nichts zu sagen.

4) Denn der große Sanhedrin erkennt, die Christen und die Juden seyen Brüder, weil sie Einen Gott anbeten, der die Erde und den Himmel erschaffen hat, und befiehlt daher, der Israelite soll mit dem Franzosen und Italiener und mit den Unterthanen jedes Landes, in welchem sie wohnen, so leben, als mit Brüdern und Mitbürgern, wenn sie denselben einigen Gott anerkennen und verehren.

5) Der Israelite soll die Gerechtigkeit und die Liebe des Nächsten, wie sie befohlen ist im Gesetz Moses, ausüben, eben so gegen die Christen, weil sie seine Brüder sind, als gegen seine eigene Glaubensgenossen, in und ausser Frankreich und dem Königreich Italien.

6) Der große Sanhedrin erkennt das Land, worinn ein Israelite gebohren und erzogen ist, oder wo er sich niedergelassen hat, und den Schutz der Gesetze genießt, sey sein Vaterland, und befiehlt daher allen Israeliten in Frankreich und in dem Königreich Italien, solches Land als ihr Vaterland anzusehen, ihm zu dienen, es zu vertheidigen etc.

Der jüdische Soldat ist in solchem Stand von den Ceremonien frey, die damit nicht vereinbar sind.

7) Der große Sanhedrin befiehlt allen Israeliten, der Jugend Liebe zur Arbeit einzuflößen, sie zu nützlichen Künsten und Handwerkern anzuhalten, und ermahnt sie, liegende Gründe anzukaufen, und allen Beschäftigungen zu entsagen, wodurch sie in den Augen [126] ihrer Mitbürger könnten verhaßt oder verächtlich werden.

8) Kein Israelite darf von dem Geld, welches ein Israelitischer Hausvater in der Noth von ihm geliehen hat, Zins nehmen. Es ist ein Werk der Liebe; aber ein Capital, das auf Gewinn in den Handel gesteckt wird, ist verzinsbar.

9) Das nemliche gilt auch gegen die Mitbürger anderer Religionen. Aller Wucher ist gänzlich verboten, in und ausser Frankreich und dem Königreich Italien, nicht nur gegen Glaubensgenossen und Mitbürger, sondern auch gegen Fremde.

Diese neun Artikel sind publicirt worden den 2ten Merz 1807, und unterschrieben von dem Vorsteher des großen Sanhedrin, Rabbi d. Sinzheim von Strasburg und andern hohen Rathsherren.


Der schlaue Pilgrim.

Vor einigen Jahren zog ein Müßiggänger durch das Land, der sich für einen frommen Pilgrim ausgab, gab vor, er komme von Paderborn, und laufe geraden Wegs zum heil. Grab nach Jerusalem, fragte schon in Müllheim an der Post: Wie weit ist es noch nach Jerusalem? Und wenn man ihm sagte: Siebenhundert Stunden; aber auf dem Fußweg über Mauchen ist es eine Viertelstunde näher, so gieng er, um auf dem langen Weg eine Viertelstunde zu ersparen, über Mauchen. Das wäre nun so übel nicht. Man muß einen kleinen Vortheil nicht verachten, sonst kommt man zu keinem großen. Man hat öfter Gelegenheit, einen Batzen zu ersparen oder zu gewinnen, [127] als einen Gulden. Aber 15 Batzen sind auch ein Gulden, und wer auf einem Wege von 700 Stunden nur allemal an 5 Stunden weiß eine Viertelstunde abzukürzen, der hat an der ganzen Reise gewonnen – wer rechnet aus, wie viel. Allein unser verkleideter Pilgrim dachte nicht eben so, sondern weil er nur dem Müßiggang und guten Essen nachzog, so war es ihm einerley, wo er war. Ein Bettler kann nach dem alten Sprichwort nie verirren, muß in ein schlechtes Dorf kommen, wenn er nicht mehr darinn bekommt, als er unterwegs an den Sohlen zerreißt, zumal wenn er barfuß geht. Unser Pilgrim aber dachte doch immer darauf, so bald als möglich wieder an die Landstraße zu kommen, wo reiche Häuser stehen, und gut gekocht wird. Denn der Halunke war nicht zufrieden, wie ein rechter Pilgrim seyn soll, mit gemeiner Nahrung, die ihm von einer mitleidigen und frommen Hand gereicht wurde, sondern wollte nichts fressen als nahrhafte Kieselstein-Suppen. Wenn er nemlich irgendwo so ein braves Wirthshaus an der Straße stehen sah, wie zum Exempel das Posthaus in Krotzingen, oder den Baselstab in Schliengen, so gieng er hinein und bat ganz demüthig und hungrig um ein gutes Wasser-Süpplein von Kieselsteinen, um Gotteswillen, Geld habe er keines. – Wenn nun die mitleidige Wirthin zu ihm sagte: „Frommer Pilgram, die Kieselsteine könnten euch hart im Magen liegen!“ so sagte er: Eben deswegen! Die Kieselsteine halten länger an, als Brod, und der Weg nach Jerusalem ist weit. Wenn ihr mir aber ein Gläslein Wein dazu bescheren wollt, um Gotteswillen, so könnt ichs freylich besser verdauen. Wenn aber die Wirthin sagte: [128] „Aber, frommer Pilgram, eine solche Suppe kann euch doch unmöglich Kraft geben!“ So antwortete er: Ey, wenn ihr anstatt des Wassers wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, so wärs freylich nahrhafter. Brachte nun die Wirthin eine solche Suppe, und sagte: „Die Tünklein sind doch nicht so gar weich worden“, so sagte er: Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus. Hättet ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüß darein, oder ein Stücklein Fleisch, oder beydes? Wenn ihm nun die mitleidige Wirthin auch noch Gemüß und Fleisch in die Schüssel legte, so sagte er: „Vergelts euch Gott! Gebt mir jezt Brod, so will ich die Suppe essen.“ Hierauf streifte er die Ermel seines Pilgergewandes zurück, sezte sich, und grif an das Werk mit Freuden, und wenn er Brod und Wein und Fleisch und Gemüß und die Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den lezten Brosamen, Faser und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ermel ab, oder auch gar nicht, und sagte: „Frau Wirthin, eure Suppe hat mich rechtschaffen gesättigt, so daß ich die schönen Kieselsteine nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schade dafür! Aber hebt sie auf. Wenn ich wieder komme, so will ich euch eine heilige Muschel mitbringen ab dem Meeresstrand von Ascalon, oder eine Rose von Jericho.“


Untreue schlägt den eigenen Herrn.

Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen ein Theil der französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom rheinischen Bundesheer dabey, und ein baierischer oder württembergischer [129] Offizier wurde zu einem Edelmann einquartirt, und bekam eine Stube zur Wohnung, wo viele sehr schöne und kostbare Gemälde hiengen. Der Offizier schien recht große Freude daran zu haben, und als er etliche Tage bey diesem Mann gewesen und freundlich behandelt worden war, verlangte er einmal von seinem Hauswirth, daß er ihm eins von diesen Gemählden zum Andenken schenken möchte. Der Hauswirth sagte, daß er das mit Vergnügen thun wollte, und stellte seinem Gaste frey, dasjenige selber zu wählen, welches ihm die größte Freude machen könnte.

Nun, wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von jemand auszusuchen, so erfordern Verstand und Artigkeit, daß man nicht gerade das Vornehmste und Kostbarste wegnehme, und so ist es auch nicht gemeynt. Daran schien dieser Mann auch zu denken, denn er wählte unter allen Gemälden fast das schlechteste. Aber das war unserm schlesischen Edelmann nichts desto lieber, und er hätte ihm gern das kostbarste dafür gelassen. Mein Herr Obrist, so sprach er mit sichtbarer Unruhe, warum wollen Sie gerade das geringste wählen, das mir noch dazu wegen einer andern Ursache werth ist? Nehmen Sie doch lieber dieses hier oder jenes dort. Der Offizier gab aber darauf kein Gehör, schien auch nicht zu merken, daß sein Hauswirth immer mehr und mehr in Angst gerieth, sondern nahm geradezu das gewählte Gemählde herunter. Jezt erschien an der Mauer, wo dasselbe gewesen war, ein großer feuchter Fleck. „Was soll das seyn? sprach der Offizier, wie erzürnt, zu seinem todtblassen Wirth, that einen Stoß, und auf einmal fielen ein Paar frisch gemauerte und übertünchte [130] Backsteine zusammen, hinter welchen alles Geld und Gold und Silber des Edelmanns eingemauert war. Der gute Mann hielt nun sein Eigenthum für verloren, wenigstens erwartete er, daß der feindliche Kriegsmann eine namhafte Theilung ohne Inventarium und ohne Commissarius vornehmen werde, ergab sich gedultig darein, und verlangte nur von ihm zu erfahren, woher er habe wissen können, daß hinter diesem Gemählde sein Geld in der Mauer verborgen war. Der Offizier erwiederte: Ich werde den Entdecker sogleich holen lassen, dem ich ohnehin eine Belohnung schuldig bin; und in kurzer Zeit brachte sein Bedienter – sollte man’s glauben – den Maurermeister selber, den nemlichen, der die Vertiefung in der Mauer zugemauert und die Bezahlung dafür erhalten hatte.

Das ist nun einer von den größten Spitzbubenstreichen, die der Satan auf ein Sünden-Register setzen kann. Denn ein Handwerksmann ist seinen Kunden die größte Treue, und in Geheimnissen, wenn es nichts Unrechtes ist, so viel Verschwiegenheit schuldig, als wenn er einen Eid darauf hätte.

Aber was thut man nicht um des Geldes willen! Oft gerade das nemliche, was man um der Schläge, oder um des Zuchthauses willen thut, oder für den Galgen, obgleich ein großer Unterschied dazwischen ist. So etwas erfuhr unser Meister Spitzbub. Denn der brave Offizier ließ ihn jezt hinaus vor die Stube führen, und ihm von frischer Hand 100, sage hundert Prügel baar ausbezahlen, lauter gute Valuta, und war kein einziger falsch darunter. Dem Edelmann aber gab er unbetastet sein Eigenthum zurück. – Das wollen wir [131] beides gut heissen, und wünschen, daß jedem, der Einquartierung haben muß, ein so rechtschaffener Gast, und jedem Verräther eine solche Belohnung zu Theil werden möge.


Jakob Humbel.

Jakob Humbel, eines armen Bauern Sohn von Boneschwyl im Schweizer-Canton Argau, kann jedem seines gleichen zu einem lehrreichen und aufmunternden Beyspiel dienen, wie ein junger Mensch, dem es Ernst ist, etwas Nützliches zu lernen und etwas Rechtes zu werden, trotz allen Hindernissen, am Ende seinen Zweck durch eigenen Fleiß und Gottes Hülfe erreichen kann.

Jakob Humbel wünschte von früher Jugend an ein Thierarzt zu werden, um in diesem Beruf seinen Mitbürgern viel Nutzen leisten zu können. Das war sein Dichten und Trachten Tag und Nacht.

Sein Vater gab ihn daher in seinem 16ten Jahr einem sogenannten Vieh-Doktor von Mummenthal in die Lehre, der aber kein geschickter Mann war.

Bey diesem lernte er zwey Jahre, bekam alsdann einen braven Lehrbrief, und wußte alles was sein Meister wußte, nemlich Tränklein und Salben kochen, auch Pflaster kneten für den bösen Wind, sonst nichts – und das war nicht viel.

Ich weiß Einen, der wäre damit zufrieden gewesen, hätte nun auf seinen Lehrbrief und seines Meisters Wort Salben gekocht, zu Pflaster gestrichen drauf und dran für den bösen Wind, das Geld dafür genommen und selber gemeynt, er sey’s. [132] Jakob Humbel nicht also. Er gieng zu einem andern Viehdoktor in Oberoltern im Emmenthal noch einmal in die Lehre, hielt abermal ein Jahr bey ihm aus, bekam abermal einen braven Lehrbrief, und wußte abermal – Nichts, weil auch dieser Meister die wichtige Kunst selber nicht verstand, keine Kenntniß hatte von der innern Beschaffenheit eines Thieres im gesunden und kranken Zustand, und von der Natur der Arzneymittel.

Ich weiß Einen, der hätt’s jezt bleiben lassen, wär eben wieder heimgekommen wie er fortgegangen und hätt sich mit Andern getröstet, aus denen auch nichts hat werden wollen.

Fast sah es mit unserm armen Jakob Humbel eben so aus. Mit Windsalben war wenig Geld, noch weniger Credit und Ehre zu verdienen. Was er verdiente, zog der Vater. Humbel wurde gemeiner Taglöhner, gieng in armseliger Kleidung umher, ohne Geld, ohne Rath, und dennoch hatte er noch immer den Thierarzt – nicht im Kopf, denn das wäre schon recht gewesen, sondern im sehnsuchtsvollen Verlangen. Jetzt verdingte er sich als Hausbedienter bey Herrn Ringier im Klösterli zu Zofingen. Bey diesem Herrn war er drey Jahre, bekam einen guten Lohn, und wurde gütig behandelt, wie ein Kind.

Ich weiß Einen, der hätte die Güte eines solchen Herrn mißbraucht, wäre meisterlos worden, den Lohn hätten bekommen der Wirth und der Spielmann.

Aber Jakob Humbel wußte mit seinem Verdienst etwas besseres anzufangen. Oft wann er bey dem Essen aufwartete, hörte er die Herren am Tisch französisch reden. Da kam er auf den Gedanken, diese [133] Sprache auch zu lernen. Vermuthlich hoffte er dadurch auf irgend eine Art leichter zu seinem Zweck zu kommen, noch ein geschickter und braver Thierarzt zu werden. Er gieng mit seinem zusammengesparten Verdienst nach Nyon in die Schulanstalt des Herrn Snell, und lernte so viel, als in 9 Monaten zu lernen war. Jezt war sein Vorrath verzehrt, und ehe er seine Studien fortsetzten konnte, mußte er darauf denken, wie er wieder Geld verdiente.

Gott wird mich nicht verlassen, dachte er. Er gieng zu Herrn Landvogt Bucher in Wildenstein als Kammerdiener in Dienste, erwarb sich bey diesem und nachher bey einem andern Herrn wieder etwas Geld, und befand sich im Jahr 1798, als die Franzosen in die Schweiz kamen, in seinem Geburtsort zu Boneschwyl, und trieb mit seinem erworbenen Geld einen kleinen Kornhandel nach Zürch, der recht gut von Statten gieng, und seine Baarschaft nach Wunsch vermehrte. Jezt war er im Begriff, ins Ausland zu gehen, und von dem ehrlich erworbenen Geld endlich seine Kunst rechtschaffen zu studiren. Da wurde ein Korps von 18,000 Mann helvetischer Hülfstruppen errichtet. Die Gemeinde Boneschwyl mußte 8 Mann stellen. Die jungen Bursche müssen spielen, den guten Jakob Humbel trifft das Los, Soldat zu werden.

Ich weiß Einen, der hätte gedacht: die Welt ist groß, und der Weg ist offen; wär mit seiner kleinen Baarschaft ins Weite gangen, und hätte seine Mitbürger dafür sorgen lassen, wo sie statt seiner den 8ten Mann nehmen wollten.

Aber Jakob Humbel liebt sein Vaterland, und ist ein ehrliches Blut. Er stellte einen Mann, den er [134] zwey Jahre lang auf seine Kosten unterhalten mußte. Das Beste von seinem erworbenen Vermögen, wovon er noch etwas lernen wollte, gieng zu seinem unsäglichen Schmerzen drauf, und er dachte: Jezt habe ich hohe Zeit, sonst ists Mathä am lezten. Mit diesem Gedanken nahm er den Rest seiner Habschaft in die Tasche, einen Stock in die Hand, und lief eines Gangs, ohne sich umzusehen, nach Carlsruhe, und als er auf der Mühlburger Straße zwischen den langen Reihen der Pappelbäume die Stadt erblickte, da dachte er, Gottlob! und Gott wird mir helfen.

Guter Jakob Humbel, Gott hilft jedem, der sich wie du von Gott will helfen lassen, und du hast es erfahren.

In Carlsruhe ist eine öffentliche Anstalt zum Unterricht in der Thierarzneykunst. Die Lehrstunden werden unentgeldlich ertheilt. Die sehr geschickten Lehrer geben sich Mühe, ihre Lehrjünger gründlich zu unterrichten. Schon mancher brave Thierarzt hat in dieser nützlichen Schule sich zu seinem Beruf vorbereitet und gebildet.

Hier war nun Humbel in seinem rechten Element, an der reichen Quelle, wo er seinen lang gehaltenen Durst nach Wissenschaft befriedigen konnte, lernte ein krankes Thier mit andern Augen anschauen als in Mummenthal und Emmenthal, konnte andere Sachen lernen als Wind machen und bösen Wind vertreiben, und war nicht viel im Bierhaus zur Stadt Berlin, oder im Wirthshaus zur Stadt Straßburg, oder in Klein-Carlsruhe im Wilhelm Tell zu sehen, ob er gleich sein Landsmann war, auch nicht einmal recht am Sonntag auf dem Paradeplatz, oder zu Mühlburg [135] im Rappen, sondern vom frühen Morgen bis in die späte Nacht beschäftigte er sich zwanzig Monate lang unermüdet und unverdrossen mit seiner Kunst, und wenn er wieder etwas Neues, Schönes und Nützliches gelernt hatte, so machte ihn das am Abend vergnügter, als der Zapfenstreich mit der schönsten türkischen Musik: zumal wenn ihm bey derselben sein Kostgänger einfiel bey den helvetischen Hülfstruppen.

Endlich kehrte er als ein ausgelernter Thier-Arzt, mit den schönsten Zeugnissen seiner Lehrer aus Carlsruhe, freudig in sein Vaterland zurück, wurde von dem Sanitätsrath in dem Canton Argau geprüft, legte zu Jedermanns Erstaunen und Freude die weitläuftigsten und gründlichsten Kenntnisse an den Tag, erhielt mit wohlverdienten Lobsprüchen und Ehren das Patent auf seine Kunst – und sah sich nun nach allen ausgestandenen Schwierigkeiten und Mühseligkeiten am schönen Ziel seiner lebenslänglichen Wünsche, einer der geschicktesten und angesehensten Thier-Aerzte, in dem ganzen Schweizerlande.

Jetzt weiß ich Vier, die denken: Wenn solcher Muth und Ernst dazu gehört, etwas Braves zu lernen, so ists kein Wunder, daß aus mir nichts hat werden wollen.

Guter Freund, nimm Gott zu Hülfe, und versuche es noch!


Franz Ignaz Narocki.

Man erfährt doch durch den Krieg allerley, unter vielem Schlimmen auch manchmal etwas Gutes, und es heißt da wohl: Die Berge kommen nicht zusammen, [136] aber die Leute. So wird wohl zum Beyspiel ein Polak, Namens Franz Ignaz Narocki, im Jahr 1707 auch nicht daran gedacht haben, daß nach 100 Jahren der französische Kaiser Napoleon noch zu ihm nach Polen kommen, und ihm ein sorgenfreyes Alter verschaffen werde; und doch ists geschehen in den ersten Wochen des Jahrs 1807. Er ist geboren im Jahr 1690, und lebt noch, und ich will glauben, daß er in seiner Jugend sich nicht oft betrunken und nicht ausschweifend gelebt habe, denn er hatte in seinem hundert und siebenzehnten Lebensjahr noch kein Gebrechen, ob er gleich in seiner Jugend Kriegsdienste that, als Gefangener von den Russen nach Asien geführt wurde, und nachher auch nicht lauter gute Tage hatte. Diesem Mann hat es seit 1690 manchmal auf den Hut geschneit, und er kann wohl von manchem Grabe sagen, wer darinn liegt. In seinem 70sten Jahr, wenn Andere bald an’s Sterben denken, hat er zum erstenmal geheyrathet, und vier Kinder erzeugt. Im 86sten Jahr nahm er die zweyte Frau und zeugte mit ihr sechs Kinder. Aber von allen ist nur noch ein Sohn aus der ersten Ehe am Leben. Der König von Preussen ließ diesem polnischen Methusalem bisher alle Monate ein Gehalt von 24 polnischen Gulden bezahlen. Das ist doch auch schön. Ein polnischer Gulden aber beträgt nach deutschem Geld ungefähr 15 kr. Als nun Kaiser Napoleon in seinem siegreichen Feldzug in die Gegend seiner Heimath kam, wünschte ihn der alte Mann auch noch zu sehen. Es geschah, und er überreichte ihm ein sehr artiges Schreiben, welches er noch selber mit eigener Hand recht leserlich geschrieben hatte. Der Kaiser [137] nahm es mit Wohlgefallen auf, und machte ihm ein schönes Geschenk von hundert Napoleonsd’or. Ein Napoleonsd’or ist eine Goldmünze von 9 fl. 18 kr. unseres Geldes.


Der Wegweiser.

Bekanntlich klagte einst ein alter Schulz von Wasselnheim seiner Frau, daß ihn sein Französisch fast unter den Boden bringe. Er sollte nemlich einem französischen Soldaten, der ausgerissen war, den Weg zeigen, verstand ihn nicht recht, antwortete ihm verkehrt, und bekam für die beste Meynung Schläge genug zum Dank, oder vielmehr zum Undank. Anderst sah ein Wegweiser an der würtembergischen Gränze die Sache an. Er sollte nämlich im letzten Krieg einem Zug Franzosen den Weg über das Gebirg zeigen, wußte aber kein Wort von ihrer Sprache, als Oui, welches soviel heißt als Ja, und Bougre, welches ein Schimpf-Name ist. Diese zwei Worte hatte er oft gehört, und lernte sie nachsagen, ohne ihren Sinn zu verstehen. Anfänglich gieng alles gut, so lange die Franzosen nur unter sich sprachen, und ihn mit seiner Laterne und drei oder vier Tornistern, die sie ihm angehängt hatten, voraus oder neben her gehen liessen. Da er aber der Spur nach allemal mitlachte, wenn sie etwas zu lachen hatten, so fragte ihn Einer französisch, ob er auch verstünde was sie mit einander redeten. Er hätte herzhaft sagen dürfen: Nein! Aber eben, weil er es nicht verstand, so kam es ihm nicht darauf an, was er antwortete. Er nahm daher all sein Französisch [138] zusammen, und antwortete: Oui Bougre, (Ja Ketzer!) Mit einem ehlenlangen französischen Fluch riß der Soldat den Säbel aus der Scheide, und ließ ihm denselben um den Kopf herum und nahe an den Ohren vorbei sausen. „Wie? sagte er, du willst einen französischen Soldaten schimpfen?“ Oui Bougre! war die Antwort. Die Andern hatten die höchste Zeit, dem erbosten Cameraden in den Arm zu fallen, daß er dem Wegweiser, ohne welchen sie in der finstern Nacht nicht konnten weiter kommen, nicht auf der Stelle den Kopf spaltete; doch gaben sie ihm mit manchem Fluch und Flintenstoß rechts und links zu verstehen, wie es gemeynt sey, und fragten ihn alsdann, ob er jetzt wolle manierlicher seyn. Oui Bougre, war die Antwort. Nun wurde er jämmerlich zerschlagen, und alle seine Bitten um Verzeihung und alle seine Bitten um Schonung legte er ihnen mit lauter Oui Bougre, ans Herz. Endlich kamen sie auf die Vermuthung, er sey verrückt; (denn daß er französisch verstehe, hatte er bejaht.) Sie nahmen daher auf einem Hof, wo noch ein Licht brannte, einen andern Führer, jagten diesen fort, und er erwiederte den Abschied des Einen, daß er sich zum Henker packen sollte, richtig mit Oui Bougre. Als er aber so bald wieder nach Haus kam, und sich seine Frau verwunderte, die ihn erst auf den andern Mittag wieder erwarten konnte, so erzählte er, wie die Soldaten unterwegs viel Spaß mit ihm gehabt hätten, so daß es ihm fast sey zu arg worden, und wie sie hernach auf dem Zirnhauser Hof einen Andern genommen, und ihn wieder heimgeschickt hätten. Die Franzosen (setzte er treuherzig [139] hinzu) sind nicht so schlimm als man meynt, wenn man nur mit ihnen reden kann.


Brodlose Kunst.

In der Stadt Achen ist eine Fabrike, in welcher nichts als Nähnadeln gemacht werden. Das ist keine brodlose Kunst. Denn es werden in jeder [Woche][1] zweihundert Pfund Nadeln verfertigt, von denen 5000 Stück auf ein Pfund gehen, Facit: Eine Million, und der Meister Schneider und die Näherinn und jede Hausmutter weiß wohl, wie viel man für einen Kreutzer bekommt, und es ist nicht schwer, auszurechnen, wie viel Geld an den Aachner Nadeln in der Fabrike selbst und durch den Handel jährlich verdient und gewonnen wird. Das Werk geht durch Maschinen, und die meisten Arbeiter sind Kinder von 8-10 Jahren.

Ein Fremder besichtigte einst diese Arbeiten, und wunderte sich, daß es möglich sey, in die allerfeinsten Nadeln mit einem noch feineren Instrument ein Loch zu stechen, durch welches nur der allerfeinste, fast unsichtbare Faden kann gezogen werden.

Aber ein Mägdlein, welchem der Fremde eben zuschaute, zog sich hierauf ein langes Haar aus dem Kopfe, stach mit einer der feinsten Nadeln eine Oeffnung dadurch, nahm das eine Ende des Haares, bog es um, und zog es durch die Oeffnung zu einer artigen Schleife.

Das war so brodlos eben auch nicht. Denn das Mägdlein bot dieses künstlich geschlungene Haar dem Fremden zum Andenken und bekam dafür ein artiges [140] Geschenk, und das wird mehr als einmal im Jahr geschehen seyn. Solch ein kleiner Nebenverdienst ist einem fleißigen Kinde wohl zu gönnen.

Aber während ehrliche Eltern und Kinder aller Orten etwas Nützliches arbeiten und ihr Brod mit Ehren verdienen, und mit gutem Gewissen essen, zog zu seiner Zeit ein Tagdieb durch die Welt, der sich in der Kunst geübt hatte, in einer ziemlich großen Entfernung durch ein Nadelöhr kleine Linsen zu werfen. Das war eine brodlose Kunst. Doch lief es auch nicht ganz leer ab. Denn als der Linsenschütz unter anderm nach Rom kam, ließ er sich auch vor dem Papst sehen, der sonst ein großer Freund von seltsamen Künsten war, hoffte ein hübsches Stück Geld von ihm zu bekommen, und machte schon ein paar wunderliche Augen, als der Schatzmeister des heiligen Vaters mit einem Säcklein auf ihn zugieng, und bückte sich entsetzlich tief, als ihm der Schatzmeister das ganze Säcklein anbot.

Allein was war darin? Ein halber Becher Linsen, die ihm der weise Papst, zur Belohnung und Aufmunterung seines Fleißes, übermachen ließ, damit er sich seiner Kunst noch ferner üben und immer größere Fortschritte darin machen könnte.


Glück und Unglück.

Auf eine so sonderbare Weise ist Glück im Unglück, und Unglück im Glück noch selten beysammen gewesen, wie in dem Schicksal zweyer Matrosen in dem lezten Seekrieg zwischen den Russen und Türken. Denn in einer Seeschlacht, als es sehr hitzig [141] zugieng, die Kugeln sausten, die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, da und dort brach auf einem Schiff die Flamme aus und konnte nicht gelöscht werden. Es muß schrecklich seyn, wenn man keine andere Wahl hat, als dem Tod in’s Wasser entgegen zu springen, oder im Feuer zu verbrennen. Aber unsern zwey russischen Matrosen wurde diese Wahl erspart. Ihr Schiff fieng Feuer in der Pulverkammer, und flog mit entsetzlichem Krachen in die Luft. Beyde Matrosen wurden mit in die Höhe geschleudert, wirbelten unter sich und über sich in der Luft herum, fielen nahe hinter der feindlichen Flotte wieder ins Meer hinab, und waren noch lebendig und unbeschädigt, und das war ein Glück. Allein die Türken fuhren jezt wie die Drachen auf sie heraus, zogen sie wie nasse Mäuse aus dem Wasser, und brachten sie in ein Schiff; und weil es Feinde waren, so war der Willkomm kurz. Man fragte sie nicht lange, ob sie vor ihrer Abreise von der russischen Flotte schon zu Mittag gegessen hätten oder nicht, sondern man legte sie in den untersten feuchten und dunkeln Theil des Schiffes an Ketten, und das war kein Glück. Unterdessen sausten die Kugeln fort, die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, und paf! sprang auch das türkische Schiff, auf welchem die Gefangenen waren, in tausend Trümmern in die Luft. Die Matrosen flogen mit, kamen wieder neben der russischen Flotte ins Wasser herab, wurden eilig von ihren Freunden hereingezogen, und waren noch lebendig, und das war ein großes Glück. Allein für diese wiedererhaltene Freyheit und für das zum zweytenmal gerettete Leben, [142] mußten diese guten Leute doch ein theures Opfer gehen, nemlich die Beine. Diese Glieder wurden ihnen beym Losschnellen von den Ketten, als das türkische Schiff auffuhr, theils gebrochen, theils jämmerlich zerrissen, und mußten ihnen, sobald die Schlacht vorbey war, unter dem Knie weg abgenommen werden, und das war wieder ein großes Unglück. Doch hielten beyde die Operation aus, und lebten in diesem Zustande noch einige Jahre. Endlich starb doch einer nach dem andern, und das war nach allem, was vorhergegangen war, nicht das Schlimmste.

Diese Geschichte hat ein glaubwürdiger Mann bekannt gemacht, welcher beyde Matrosen ohne Beine selber gesehen, und die Erzählung davon aus ihrem eigenen Munde gehört hat.



 Abendlied,

 wenn man aus dem Wirthshaus geht.

Jetzt schwingen wir den Hut.
Der Wein der war so gut.
Der Kaiser trinkt Burgunder Wein,
Sein schönster Junker schenkt ihm ein,
Und schmekt ihm doch nicht besser,
 Nicht besser.

Der Wirth, der ist bezahlt,
Und keine Kreide mahlt
Den Namen an die Kammerthür,
Und hinten dran die Schuldgebühr.
Der Gast darf wieder kommen,
 Ja kommen.

[143]

Und wer seyn Gläslein trinkt,
Ein lustig Liedlein singt
Im Frieden und mit Sittsamkeit,
Und geht nach Haus zu rechter Zeit,
Der Gast darf wiederkehren,
 Mit Ehren.

Des Wirths sein Töchterlein
Ist züchtig, schlank und fein,
Die Mutter hält’s in treuer Hut,
Und hat sie keins, das ist nicht gut,
Mußt eins in Straßburg kaufen,
 Ja kaufen.

Jetzt Brüder, gute Nacht!
Der Mond am Himmel wacht;
Und wacht er nicht, so schläft Er noch.
Wir finden Weg und Hausthür doch,
Und schlafen aus im Frieden,
 Ja Frieden.


Der Commandant und die Jäger in Hersfeld.

Im letzten preusisch-russischen Krieg, als die französische Armee und ein großer Theil der bundsgenossischen Truppen in Polen und Preussen stand, befand sich ein Theil des badischen Jägerregiments in Hessen und in der Stadt Hersfeld auf ihren Posten. Denn dieses Land hatte der Kaiser im Anfang des Feldzugs eingenommen, und mit Mannschaft besetzt. Da gab es nun von Seiten der Einwohner, denen das Alte besser gefiel, als das Neue, mancherley Unordnungen, und es wurden besonders in dem Ort Hersfeld mehrere Widersetzlichkeiten ausgeübt, und unter andern ein französischer Offizier getödtet. Das konnte der französische Kaiser nicht [144] geschehen lassen, während er mit einem zahlreichen Feind im Angesicht kämpfte, daß auch hinter ihm Feindseligkeiten ausbrachen, und ein kleiner Funke sich zu einer großen Feuersbrunst entzündete. Die armen Einwohner von Hersfeld bekamen daher bald Ursache, ihre unüberlegte Kühnheit zu bereuen. Denn der französische Kaiser befahl, die Stadt Hersfeld zu plündern, und alsdann an vier Orten anzuzünden und in die Asche zu legen. Dieses Hersfeld ist ein Ort, der viele Fabriken, und daher auch viele reiche und wohlhabende Einwohner und schöne Gebäude hat; und ein Menschenherz kann wohl empfinden, wie es den armen Leuten, den Vätern und Müttern zu Muthe war, als sie die Schreckenspost vernahmen; und der arme Mann, dem sein Haab und Gut auf einmal auf dem Arm konnte weggetragen werden, war jetzt so übel dran, als der Reiche, dem man es auf vielen Wagen nicht wegführen konnte, und in der Asche sind die großen Häuser auf dem Platz und die kleinen in den Winkeln auch so gleich, als die reichen Leute und die armen Leute auf dem Kirchhof. Nun zum Schlimmsten kam es nicht. Auf Fürbitte der französischen Kommandanten in Kassel und Hersfeld wurde die Strafe so gemildert: Es sollten zwar nur vier Häuser verbrannt werden, und dieß war glimpflich; aber bey der Plünderung sollte es bleiben, und das war noch hart genug. Die unglücklichen Einwohner waren auch, als sie diesen lezten Bescheid hörten, so erschrocken, so alles Muthes und aller Besinnung beraubt, daß sie der menschenfreundliche Commandant selber ermahnen mußte, statt des vergeblichen Klagens und Bittens, die kurze Frist [145] zu benutzen, und ihr Bestes noch geschwind auf die Seite zu schaffen. Die fürchterliche Stunde schlug, die Trommel wirbelte ins Klaggeschrey der Unglücklichen. Durch das Getümmel der Flüchtenden und Fliehenden und Verzweifelten eilten die Soldaten auf ihren Sammelplatz. Da trat der brave Commandant von Hersfeld vor die Reihen seiner Jäger, stellte ihnen zuerst das traurige Schicksal der Einwohner lebhaft vor die Augen, und sagte hierauf: „Soldaten! die Erlaubniß, zu plündern, fängt jezt an. Wer dazu Lust hat, der trete heraus aus dem Glied.“ Kein Mann trat heraus. Nicht einer! Der Aufruf wurde wiederholt. Kein Fuß bewegte sich; und wollte der Commandant geplündert haben, so hätte er müssen selber gehen. Aber es war niemand lieber als ihm, daß die Sache also ablief, das ist leicht zu bemerken. Als die Bürger das erfuhren, war es ihnen zu Muthe, wie einem, der aus einem schweren Traum erwacht. Ihre Freude ist nicht zu beschreiben. Sie schickten sogleich eine Gesandschaft an den Commandanten, liessen ihm für diese Milde und Großmuth danken, und boten ihm aus Dankbarkeit ein großes Geschenk an. Wer weiß, was Mancher gethan hätte! Aber der Commandant schlug dasselbe ab, und sagte: er lasse sich keine gute That mit Geld bezahlen. Dies geschah zu Hersfeld im Jahr 1807, und das Städtlein steht noch.


Pieve.

Jedermann kennt die Bilder- und Landkarten-Händler, die im Land herum ihre Waaren, Bildnisse [146] von Heiligen, Bildnisse von Kaisern und Königen und Kriegsschauplätzen feil tragen. Aber für manchen kommen sie wie die Storken ins Land, das heißt, er weiß nicht, woher sie kommen. Von Pieve kommen sie, im Canton Tesino, in welsch Tyrol, und dieses Pieve dient zum Beweis, was aus einem armen Dorfe werden kann, wenn auf unverdrossene und sparsame Väter ebenso brave Söhne und Enkel folgen, und deßwegen ist an einem solchen Bildermann mehr zu sehen, als an seinen Bildern allen. Pieve hat eine unfruchtbare Gemarkung. Der Boden nährt seine Einwohner nicht. Lange behalfen sich daher die armen Leute mühsam und kümmerlich mit einem Handel von Feuersteinen, der eben nicht viel eintrug. Als aber der Besitzer der berühmten Buch- und Kupferstichhandlung, Remondini in Bassano, sah, wie unverdrossen und fleißig diese Leute waren, so vertraute er ihnen anfangs schlechte, alsdann immer bessere Kupferstiche und Helgen an, um damit einen kleinen Handel zu treiben. Damit durchzogen sie nun Tyrol, die Schweiz und das angrenzende Deutschland, und es gieng schon besser. Sie hatten an den gemahlten Kaisern und Königen, Propheten und Aposteln selber mehr Freude, als an den plumpen Feuersteinen. Sie trugen auch leichter daran, und hatten mehr Gewinn. Bald brachten sie es so weit, daß sie den Kupferstichhandel aus dem Fundament verstanden, und mit eigenem Gelde treiben konnten. Und, was fast unglaublich ist, sie bildeten in kurzer Zeit stehende Handelsgesellschaften in Augsburg, Strasburg, Amsterdam, in Hamburg, Lübeck, Koppenhagen, Stockholm, Warschau und Berlin. [147] In allen diesen und noch mehrern Städten sind sie Jahr aus Jahr ein mit großen Vorräthen von sehr kostbaren Kupferstichen und Landkarten zu finden. Ja eine Gesellschaft kam sogar bis nach Tobolsk in Asien, und eine andere, welche aber mißglückte, bis nach Philadelphia in Amerika, lauter Leute, aus dem armen Dörflein Pieve. Neben diesen stehenden Bilderhandlungen aber durchwandern noch viele andere von ihnen alle Länder von Europa, besonders Deutschland, Polen, Preussen, Holland, Dänemark, Schweden, Rußland, England und Frankreich. Alle Mannsleute in Pieve kennen diesen Handel und beschäftigen sich damit. Vor der französischen Revolution, als ihre Geschäfte am glücklichsten von statten giengen, war zur Zeit des Sommers, ausser Kindern und alten Greisen, keine männliche Person daheim, aber alle kamen mit wohlerworbenem Gewinn zurück. Die Weiber trieben unterdessen den Feldbau. Seit der Revolution und des Kriegs an allen Enden und Orten hat dieser lebhafte Handel sehr gelitten. Dennoch hat noch jede Familie von Pieve unaufhörlich einen Mann auf der Reise. Schon in der frühen Jugend begleitet der Sohn den Vater auf seinen Zügen, und wird dieser alt, so überläßt er dem Sohn das Geschäft, und bringt seine Jahre daheim in Ruhe und Wohlstand und mit Ehren zu.

Das sind die Bilderhändler von Pieve. Der rheinische Hausfreund kennt fast alle, die am Rhein auf und ab auf den Straßen sind, und zieht vor jedem den Hut ab. [148]


Die Planeten.

Fortsetzung.

Der rheinländische Hausfreund stellt sich seinem Leser gegenüber und fragt: Weist du auch noch, geneigter Leser, wovon im vorigen Artikel über das Weltgebäude ist geredt worden?

Leser: Ja! von den Planeten ist geredt worden.

Hausfreund: Weist du auch noch, was man Planeten nennt?

Leser: Ja! Planeten nennt man eilf Sterne, so mit den andern nicht gleichen Schritt halten, denn sie laufen in großen Kreisen um die Sonne herum, und kommen der eine heut der andere morgen, aber jeder zu seiner Zeit.

Hausfreund: Weist du denn auch noch, welche Planeten sind in der Betrachtung des Weltgebäudes im vorigen Artikel betrachtet worden.

Leser: Ja! der Merkurius ist betrachtet worden, und die Venus, das ist der Abendstern.

Der Hausfreund kann sich nicht genug darüber verwundern, daß der geneigte Leser so wohl begriffen, und es so lange im Kopf behalten hat: und fährt nun also fort:

Der nächste Planet nach der Venus, oder der dritte von der Sonne weg, ist unsere Erde selber mit ihrem Beyläufer dem Mond. Sie hat 5400 deutsche Meilen im Umfang. Sie ist 21 Millionen Meilen weit von der Sonne entfernt, und bekommt doch von ihr ein so schönes Tages-Licht und so kräftige Wärme. Sie lauft um die Sonne herum in 365 Tagen und 6 Stunden, und legt in dieser Zeit einen Raum von mehr als 131 Millionen Meilen zurück, ohne ein [149] einzigesmal auszuruhen. Was aber sonst noch von der Erde zu sagen ist, und wie ihre Einwohner thäten, was dem Herrn übel gefiel, bisweilen aber doch auch etwas, das ihm wohl gefiel, siehe, das ist geschrieben in einem eigenen Abschnitt und in den Erzählungen des rheinländischen Hausfreundes.

Nach der Erde kommt der wunderschöne Planetstern Mars, der nicht wie die andern ein gelbes oder weisses, sondern ein röthliches Licht hat, als wenn unaufhörlich ein großes Freudenfeuer dort brennte. Er erscheint uns, wie die andern Planeten, nicht immer gleich, weil seine Weite von uns weg nicht immer die nemliche ist. Er ist größer und schöner, wenn er näher bey der Erde ist; unscheinbar und klein, wenn er weit wegsteht. Er ist übrigens von der Sonne fast 32 Millionen Meilen weit entfernt, braucht doch nur ein Jahr und 322 Tage zu seinem Umlauf um dieselbe, und durchlauft in solcher Zeit eine Bahn von 200 Millionen Meilen. Dagegen ist er 5mal kleiner als die Erde und fast 10mal leichter, und kann also schon flüchtiger fortkommen.

Für den nächsten Planeten nach dem Mars hat man von den ältesten Zeiten an bis vor wenig Jahren den Jupiter gehalten, und war mit keiner Lieb zwischen ihnen noch ein anderer zu entdecken. Die Sternseher aber behaupteten herzhaft, zwischen ihnen fehle einer, ob ihn gleich noch kein sterblicher Mensch gesehen habe. Entweder, sagten sie, ist er so klein, daß wir ihn nicht sehen können, oder er hat seinen jüngsten Tag und die Auferstehung seiner Todten schon erlebt, und ist nachher im Feuer aufgegangen, oder sonst verkommen.


[150] Dieß brachten sie folgendermaßen heraus: Wenn man sich von der Sonne weg bis zu dem Planeten Saturn, so für den letzten gehalten wurde, in einer geraden Linie, gleichweit voneinander hundert Pünktlein vorstellt, so steht von der Sonne weg auf dem vierten Pünktlein der Planet Merkurius, und kann Niemand etwas dafür, daß er dort steht und an keinem andern Ort. Wenn man aber weiter zählt drey, dort steht die Venus. Zählt man weiter zweymal drey ist sechs, dort steht unsere Erde; zählt man weiter zweymal sechs ist zwölf, dort steht der Mars und fehlt sich nicht. Zählt man weiter zweymal zwölf gibt vier und zwanzig, dort sah man Nichts, und doch, wenn man wieder weiter fortfährt und sagt: zweymal vier und zwanzig ist acht und vierzig, so steht daselbst wieder der Planet Jupiter; und zweymal acht und vierzig ist sechs und neunzig, dort ist der Saturn. Sechs und neunzig aber addirt mit den vier ersten Punkten von der Sonne weg bis zum Merkurius thut hundert, so, daß also der Saturnus richtig auf dem hundertsten Pünktlein steht. Weil nun alle diese Planeten in einer so sichtbaren Proportion und Ordnung von einander abstehn, und doch auf dem Pünktlein 24 nichts zu sehen war, deßwegen sagten die Sternkundigen, dort müsse auch noch einer stehen, wenn er nicht schon wieder verschwunden sey. So etwas erzählt der Hausfreund nicht allen Leuten; aber seinen Lesern kann er nichts vorenthalten, damit sie sehen, was wir Sternseher und Calendermacher für respectable Leute sind, so die Sterne des Himmels überschauen, wie ein Hirt seine Schäflein oder ein Schulherr seine Kinder, und merkt [151] gleich, wenn eins fehlt. Wie gewiß wir aber unserer Sache sind, das hat sich vor einigen Jahren zu großer Freude gezeigt. Denn als der berühmte Mann, Namens Herschel, vor mehreren Jahren eine neue Art von Fern-Röhren oder Perspectiven erfunden hatte, die noch viel weiter tragen als die alten, so hat man einen kleinen Planeten auf Nro. 24 richtig entdeckt, und sich etwas rechtschaffenes darauf eingebildet. Allein das ist noch nicht alles. Denn da dieser Planet so klein erschien, so hatte man das Herz, zu behaupten, er sey nimmer ganz, sondern nur ein Stück von einem Ganzen. Auch diese Vermuthung scheint durch die Erfahrung bestätigt zu seyn, indem man nachher in kurzer Zeit nacheinander noch drey Sternlein ungefähr in der nemlichen Weite von der Sonne weg entdeckte, so, daß man jetzt statt einem, der zu fehlen schien, vier auf einmal hat. Es ist daher fast nicht mehr zu zweifeln, daß einmal ein großer Planetstern an jener Stelle gewesen, und schon vor undenklichen Zeiten in diese vier Stücke zersprungen sey, und muß ein rechtes Betrübniß gewesen seyn, wenn ein Vater oder eine Mutter auf einem Stück geblieben ist, und die Kinder auf einem andern, und konnten hernach nichts mehr voneinander erfahren, und einander durch niemand grüßen lassen.

Da jeder Stern einen Namen haben muß, wenn man von ihm reden will, so nannte man diese vier: die Pallas, die Juno, die Ceres und die Vesta. Drey davon sind durch deutsche Männer entdeckt worden.

Nach diesem kommt nun 108 Millionen Meilen von der Sonne weg der neunte Planet, Jupiter genannt. Ob er gleich in unsern Augen nicht größer [152] als ein brabanter Thaler aussieht, so ist er doch 1474mal größer als die Erde, und der größte unter allen Planeten. Er vollendet seine Laufbahn um die Sonne in 12 Jahren nur einmal, und um ihn selbst bewegen sich in ungleichen Entfernungen 4 Monde, so schön aussehen muß, wenn sie in einer Nacht alle zugleich am Himmel stehen. Auch laufen mehrere veränderliche graue Streifen über ihn weg, und man weiß nicht recht, was man davon halten soll.

Der zehnte Planet ist der Saturn. Dieser ist von der Sonne fast noch einmal so weit entfernt als der Jupiter, nemlich 199 Millionen Meilen. Sein Weg um die Sonne umfaßt mehr als 1280 Millionen Meilen, wozu er 29 1/2 Jahr vonnöthen hat. Da er so entsetzlich weit von der Sonne entfernt ist, so muß auf ihm das Licht derselben 90mal schwächer als auf unsrer Erde seyn, und muß einer schon gute Augen haben, wenn er dabey eine Nadel will einfädlen.

Dafür hat er aber sieben Monde, die ihm seine trüben Tage erfreulich machen, und seine langen Nächte erheitern. Ueberdieß hat dieser Planet noch etwas, was kein anderer hat, einen Ring, so aber doppelt ist. Dieser Ring zieht sich in einer nicht gar großen Entfernung um den Saturn ringsherum, ist sehr breit, nicht gar dick, und wird ebenfalls von der Sonne erleuchtet. Ohne Zweifel wirft er sein Licht eben so wie die Monde auf den dunklen Körper des Planeten zurück, und hilft zu seiner Erhellung. Sonst weiß man von ihm nicht viel zu sagen.

Lange hat man geglaubt, dieser Saturn sey nun der letzte Planet, an den die Sonne scheinet, und jezt sey man fertig, bis der berühmte Herschel, von [153] welchem oben Erwähnung geschah, ebenfalls ein gebohrner Deutscher, am 13. May 1781 zur großen Verwunderung und Freude der Gelehrten, noch einen neuen entdeckte, welcher nun an der Zahl der eilfte ist, und vielleicht noch nicht der letzte ist. Denn der schwache Mensch kommt der göttlichen Allmacht nie an das Ende, und man muß nie sagen: Wo ich nichts mehr sehe, dort ist nichts mehr. Dieser neue Planet heißt Uranus, wird aber ohne Zweifel der älteste seyn. Er ist noch einmal so weit von der Sonne entfernt, als der Saturn, nemlich 400,000,000 Meilen. Er muß in einem Kreis von 2,514,000,000 Meilen um die Sonne herumgehen. Ein Jahr auf diesem Planeten währt so lang als bey uns 83 Jahre oder ein langes Menschenleben, und ein hundertjähriger Calender thut daselbst 8300 Jahre lang gut. Wegen der großen Entfernung ist daselbst die Wirkung der Sonne 361mal schwächer als bey uns. Dagegen wird er von sechs, und vielleicht noch mehrern Monden erleuchtet, die um ihn herum aufgehn und untergehn, jeder zu seiner Stunde, und muß der Calendermacher allda ein ganzer Mann seyn, und ein recht Stück Arbeit haben, bis er fertig ist, wenn er für jeden Tag des langen Jahres jedes Mondes Aufgang und Untergang, und ihre Brüche ausrechnen und anzeigen soll.

Das sind nun die Planetsterne, welche man bis jezt kennt und entdeckt hat, nach ihrer Reihe, Maßen und Zeiten. Weil man aber so eine Zahl von ein paar hundert Millionen Meilen leicht wegliest, und nicht daran denkt, wie viel sie ausweist, so merke: Wenn auf der Sonne ein Artillerist vom 2ten [154] Bataillon in diesem Augenblick eine Canone anbrennte, die Kugel flöge in ihrer bekannten Geschwindigkeit, Tag und Nacht, Sonntag und Werketag in gerader Linie immer fort und fort, so käme sie doch in den Merkur erst ungefähr nach 10 Jahren; in der Venus nach 18, auf der Erde, wie oben gesagt, nach 25, auf dem Mars nach 38, auf dem Jupiter nach 130 Jahren an. Bis zu dem Saturnus aber hätte sie zu fliegen 238, und zu dem Uranus 479 Jahre. So weit sind diese 11 Sterne einer nach dem andern von der Sonne entfernt, die gleichsam ihre Mutter und Säugamme ist; und sie verbreitet doch rings um sich bis zu dem letzten, so viel Licht und Wärme und Segen als jedem nöthig ist, und der unsichtbare Gott, der sie erschaffen hat, ist mit seiner Allmacht und Güte überall zugegen, und sättiget und erfreut alles, was da lebet, mit Wohlgefallen.


Kannitverstan.

Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen und Gundelfingen, so gut als in Amsterdam Betrachtungen über den Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für ihn in der Luft herum fliegen. Aber auf dem seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrthum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntniß. Denn als er in diese große und reiche Handels-Stadt, voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Menschen, gekommen war, fiel ihm sogleich ein [155] großes und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Duttlingen bis nach Amsterdam noch keines erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dieß kostbare Gebäude, die 6 Camine auf dem Dach, die schönen Gesimse und die hohen Fenster, größer als an des Vaters Haus daheim die Thür. Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Vorübergehenden anzureden. „Guter Freund, redete er ihn an, könnt ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkoien?“ – Der Mann aber, der vermuthlich etwas wichtigeres zu thun hatte, und zum Unglück gerade so viel von der deutschen Sprache verstand, als der Fragende von der holländischen, nemlich Nichts, sagte kurz und schnauzig: Kannitverstan; und schnurrte vorüber. Dieß war ein holländisches Wort, oder drey, wenn mans recht betrachtet, und heißt auf deutsch soviel, als: Ich kann euch nicht verstehn. Aber der gute Fremdling glaubte, es sey der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. Das muß ein grundreicher Mann seyn, der Herr Kannitverstan, dachte er, und gieng weiter. Gaß aus Gaß ein kam er endlich an den Meerbusen, der da heißt: Het Ey, oder auf deutsch: das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff, und Mastbaum an Mastbaum; und er wußte anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwey einzigen Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt war, und jezt eben ausgeladen [156] wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fässer voll Zucker und Caffee, voll Reis und Pfeffer, und salveni Mausdreck darunter. Als er aber lange zugesehn hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraus trug, wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese Waaren an das Land bringe. „Kannitverstan,“ war die Antwort. Da dachte er: Haha, schauts da heraus? Kein Wunder, wem das Meer solche Reichthümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen, und solcherley Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben. Jezt gieng er wieder zurück, und stellte eine recht traurige Betrachtung bey sich selbst an, was er für ein armer Mensch sey unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: Wenn ichs doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat, kam er um eine Ecke, und erblickte einen großen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüßten, daß sie einen Todten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel, und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jezt ergriff unsern Fremdling ein wehmüthiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und blieb mit dem Hut in den Händen andächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den Lezten vom Zug, der eben [157] in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um 10 Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel, und bat ihn treuherzig um Excüse. „Das muß wohl auch ein guter Freund von euch gewesen seyn, sagte er, dem das Glöcklein läutet, daß ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht.“ Kannitverstan! war die Antwort. Da fielen unserm guten Duttlinger ein paar große Thränen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. Armer Kannitverstan, rief er aus, was hast du nun von allem deinem Reichthum? Was ich einst von meiner Armuth auch bekomme: ein Todtenkleid und ein Leintuch, und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust, oder eine Raute. Mit diesen Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah den vermeynten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhestätte, und ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr gerührt, als von mancher deutschen, auf die er nicht acht gab. Endlich gieng er leichten Herzens mit den andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und, wenn es ihm wieder einmal schwer fallen wollte, daß so viele Leute in der Welt so reich seyen, und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches Schiff, und an sein enges Grab. [158]

Schlechter Lohn.

Als im letzten preusischen Krieg der Franzos nach Berlin kam, in die Residenzstadt des Königs von Preußen, da wurde unter anderm viel königliches Eigenthum weggenommen, und fortgeführt oder verkauft. Denn der Krieg bringt nichts, er holt. Was noch so gut verborgen war, wurde entdeckt und manches davon zur Beute gemacht, doch nicht alles. Ein großer Vorrath von königlichem Bauholz blieb lange unverrathen und unversehrt. Doch kam zuletzt noch ein Spitzbube von des Königs eigenen Unterthanen, dachte, da ist ein gutes Trinkgeld zu verdienen, und zeigte dem französischen Commandanten mit schmunzlicher Miene und spitzbübischen Augen an, was für ein schönes Quantum von eichenen und tannenen Baustämmen noch da und da beysammen liege, woraus manch tausend Gulden zu lösen wäre. Aber der brave Commandant gab schlechten Dank für die Verrätherey, und sagte: „Laßt ihr die schönen Baustämme nur liegen, wo sie sind. Man muß dem Feind nicht sein Nothwendigstes nehmen. Denn wenn euer König wieder ins Land kommt, so braucht er Holz zu neuen Galgen für so ehrliche Unterthanen, wie Ihr einer seyd.“

Das mus der rheinländische Hausfreund loben, und wollte gern aus seinem eigenen Wald ein paar Stämmlein auch hergeben, wenns fehlen sollte.


Der kann Deutsch.

Bekanntlich giebt es in der französischen Armee viele Deutschgebohrne, die es aber im Feld und im Quartier nicht immer merken lassen. Das ist alsdann [159] für einen Hauswirth, der seinen Einquartirten für einen Stockfranzosen hält, ein groß Creuz, wenn er nicht französisch mit ihm reden kann. Aber ein Bürger in Salzwedel, der im lezten Krieg einen Sundgauer im Quartier hatte, entdeckte von ohngefähr ein Mittel, wie man bald darhinter kommt. Der Sundgauer parlirte lauter Foutre Diable, forderte mit dem Säbel in der Faust immer etwas anders, und der Salzwedler wußte nie, was? Hätts ihm gern gegeben, wenn er gekonnt hätte. Da sprang er in der Noth in seines Nachbarn Haus, der sein Gevatter war und ein wenig Französisch kann, und bat ihn um seinen Beystand. Der Gevatter sagte: Er wird aus der Dauphine seyn, ich will schon mit ihm zurecht kommen. Aber weit gefehlt. Wars vorher arg, so wars jezt ärger. Der Sundgauer machte Forderungen, die der gute Mann nicht zu befriedigen wußte, so, daß er endlich im Unwillen sagte: Das ist ja der vermaledeyteste Spitzbube, mit dem mich der Boletten-Schreiber noch heimgesucht hat. Aber kaum war das unvorsichtige Wort heraus, so bekam er von dem vermeynten Stockfranzose eine ganz entsetzliche Ohrfeige. Da sagte der Nachbar: „Gevattermann! Nun laßt euch nimmer Angst seyn, der kann Deutsch.“


Der Fremdling in Memel.

Oft sieht die Wahrheit wie eine Lüge aus. Das erfuhr ein Fremder, der vor einigen Jahren, mit einem Schiff aus Westindien, an den Küsten der Ostsee ankam. Damals war der russische Kayser bey [160] dem König von Preußen auf Besuch. Beyde Potentaten standen in gewöhnlicher Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwey rechte gute Freunde, bey einander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der Fremde dachte auch nicht dran, sondern gieng ganz treuherzig auf sie zu, meynte es seyen zwey Kaufleute, oder andere Herren aus der Gegend, und fieng ein Gespräch mit ihnen an, war begierig allerley Neues zu hören, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe. Endlich, da die beyden Monarchen sich leutselig mit ihm unterhielten, fand er Veranlassung, den Einen auf eine höfliche Art zu fragen, wer er sey. „Ich bin der König von Preußen“, sagte der eine. Das kam nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar vor. Doch dachte er, es ist möglich, und machte vor dem Könige ein ehrerbietiges Compliment. Und das war vernünftig. Denn in zweifelhaften Dingen muß man immer das Sicherste und Beste wählen, und lieber eine Höflichkeit aus Irrthum begehen, als eine Grobheit. Als aber der König weiter sagte, und auf seinen Begleiter deutete: „Dieß ist Se. Majestät der russische Kayser“, da wars doch dem ehrlichen Mann, als wenn zwey lose Vögel ihn zum Besten haben wollten, und sagte: „Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern Spaß haben wollt, so sucht einen andern als ich bin. „Bin ich deßwegen aus Westindien hierher gekommen, daß ich euer Narr sey?“ – Der Kayser wollte ihn zwar versichern, daß er allerdings derjenige sey. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. „Ein russischer Spaßvogel möget ihr seyn“, sagte er. Als er aber nachher im grünen Baum die [161] Sache erzählte, und andern Bericht bekam, da kam er ganz demüthig wieder, bat fußfällig um Vergebung, und die großmüthigen Potentaten verziehen ihm, wie natürlich, und hatten hernach viel Spaß an dem Vorfall.


Das seltsame Recept.

Es ist sonst kein großer Spaß dabey, wenn man ein Recept in die Apotheke tragen muß; aber vor langen Jahren war es doch einmal ein Spaß. Da hielt ein Mann von einem entlegenen Hof eines Tages mit einem Wagen und zwey Stieren vor der Stadtapotheke still, lud sorgsam eine große tannene Stuben-Thüre ab, und trug sie hinein. Der Apotheker machte große Augen, und sagte: Was wollt ihr da, guter Freund, mit eurer Stubenthüre? Der Schreiner wohnt um 2 Häuser links. Dem sagte der Mann, der Doctor sey bey seiner kranken Frau gewesen, und habe ihr wollen ein Tränklein verordnen, so sey in dem ganzen Haus keine Feder, keine Dinte, und kein Papier gewesen, nur eine Kreide. Da habe der Herr Doctor das Recept an die Stubenthüre geschrieben; und nun soll der Herr Apotheker so gut seyn, und das Tränklein kochen.

Item, wenn es nur gut gethan hat. Wohl dem, der sich in der Noth zu helfen weiß.


Einfältiger Mensch in Mayland.

Ein einfältiger Mensch in Mayland wollte sein Haus verkaufen. Damit er nun um so eher davon los werden möchte, brach er einen großen Stein aus [162] demselben heraus, trug ihn auf den großen Marktplatz, wo viel Verkehr und Handel getrieben wird, und setzte sich damit unter die Verkäufer. Wenn nun ein Mann kam, und fragte ihn: „Was habt Ihr denn feil?“ so sagte er: Mein zweistöckigtes Haus in der Capuziner-Gasse. Wenn ihr Lust dazu habt, – hier ist ein Muster.

Der Nemliche sagte einmal bey einer Gelegenheit, als von der Kinderzucht die Rede war: „Es ist ein Glück für meine Kinder, daß ich keine habe. Ich könnte so zornig werden, daß ich sie alle todt schlüge.“


Der Barbierjunge von Segringen.

Man muß Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht. Denn im vorigen Spätjahr kam in dem Wirthshause zu Segringen ein Fremder von der Armee an, der einen starken Bart hatte, und fast wunderlich aussah, also, daß ihm nicht recht zu trauen war. Der sagt zum Wirth, eh’ er etwas zu essen oder zu trinken fordert: „Habt ihr keinen Barbier im Ort, der mich rasiren kann?“ Der Wirth sagt Ja, und holt den Barbier. Zu dem sagt der Fremde: „Ihr sollt mir den Bart abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut. Wenn ihr mich nicht ins Gesicht schneidet, so bezahl ich Euch 4 Kronenthaler. Wenn ihr mich aber schneidet, so stech ich euch todt. Ihr wäret nicht der Erste.“ Wie der erschrockene Mann das hörte, (denn der fremde Herr machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexirt wäre, und das spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch,) so springt er fort und schickt den Gesellen. Zu dem sagt der Herr [163] das Nemliche. Wie der Gesell das Nemliche hört, springt er ebenfalls fort, und schickt den Lehrjungen. Der Lehrjunge läßt sich blenden von dem Geld, und denkt: „Ich wag’s. Gerathet es, und ich schneide ihn nicht, so kann ich mir für 4 Kronenthaler einen neuen Rock auf die Kirchweihe kaufen, und einen Schnepper. Gerathet’s nicht, so weiß ich, was ich thue,“ und rasirt den Herrn. Der Herr hält ruhig still, weiß nicht, in welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene Lehrjunge spazirt ihm auch ganz kaltblütig mit dem Messer im Gesicht und um die Nase herum, als wenn’s nur um einen Sechser, oder im Fall eines Schnittes um ein Stücklein Zunder oder Fließpapier darauf zu thun wäre, und nicht um 4 Kronenthaler und um ein Leben, und bringt ihm glücklich den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und ohne Blut, und dachte doch, als er fertig war: „Gottlob!“

Als aber der Herr aufgestanden war, und sich im Spiegel beschaut und abgetrocknet hatte, und gibt dem Jungen die 4 Kronenthaler, sagt er zu ihm: „Aber junger Mensch, wer hat dir den Muth gegeben, mich zu rasiren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen? Denn wenn du mich geschnitten hättest, so hätt ich dich erstochen.“ Der Lehrjung aber bedankte sich lächelnd für das schöne Stück Geld, und sagte: Gnädiger Herr, Ihr hättet mich nicht erstochen, sondern, wenn ihr gezuckt hättet, und ich hätt’ euch ins Gesicht geschnitten, so wär ich euch zuvorgekommen, hätt euch augenblicklich die Gurgel abgehauen, und wäre auf und davon gesprungen. Als der fremde Herr das hörte, [164] und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war, ward er erst blaß vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem Burschen noch 1 Kronenthaler extra, und hat seitdem zu keinem Barbier mehr gesagt: „Ich steche dich todt, wenn du mich schneidest.“


Merkwürdige Gespenster-Geschichte.

Verwichenen Herbst fuhr ein fremder Herr durch Schliengen, so ein schöner braver Ort ist. Den Berg hinauf aber gieng er zu Fuß wegen den Rossen, und erzählte einem Crenzacher folgende Geschichte, die ihm selber begegnet ist.

Als der Herr ein halbes Jahr vorher nach Dännemark reiste, kommt er auf den späten Abend in einen Flecken, wo nicht weit davon auf einer Anhöhe ein sauberes Schlößlein stand, und will übernacht bleiben. Der Wirth sagt, er habe keinen Platz mehr für ihn, es werde morgen Einer gerichtet, und seyen schon drey Scharfrichter bey ihm übernacht. So erwiedert der Herr: „Ich will denn dort in das Schlößlein gehen. Der Zwingherr, oder wem es angehört, wird mich schon hinein lassen und ein leeres Bett für mich haben.“ Der Wirth sagt: „Manch schönes Bett, mit seidenen Umhängen, steht aufgeschlagen in den hohen Gemächern; und die Schlüssel hab ich in Verwahrung. Aber ich will es euch nicht rathen. Der gnädige Herr ist schon vor einem Vierteljahr mit seiner Frau und mit dem Junker auf eine weite Reise gezogen, und seit der Zeit wüthen im Schlößlein die Gespenster. Der Schloßvogt und das Gesinde konnten nimmer bleiben; und wer seitdem in [165] das Schlößlein gekommen ist, der geht zum zweytenmal nimmer hinein.“ Darüber lächelt der fremde Herr; denn er war ein herzhafter Mann, der nichts auf die Gespenster hielt, und sagt: Ich wills versuchen. Trotz aller Widerrede, mußte ihm der Wirth den Schlüssel geben: und nachdem er sich mit dem Nöthigen zu einem Gespenster-Besuch versehen hatte, gieng er mit dem Bedienten, so er bey sich hatte, in das Schloß. Im Schloß kleidete er sich nicht aus, wollte auch nicht schlafen, sondern abwarten was geschieht. Zu dem Ende stellte er zwey brennende Lichter auf den Tisch, legte ein paar geladene Pistolen daneben, nahm zum Zeitvertreib den rheinländischen Hausfreund, so in Goldpapier eingebunden an einem rothen seidenen Bändelein unter der Spiegelrahme hieng, und beschaute die schönen Bilder. Lange wollte sich nichts spüren lassen. Aber als die Mitternacht im Kirchthurm sich rührte, und die Glocke 12 schlug, eine Gewitterwolke zog über das Schloß weg, und die großen Regentropfen schlugen an die Fenster, da klopfte es dreymal stark an die Thüre, und eine fürchterliche Gestalt, mit schwarzen schielenden Augen, mit einer halbellenlangen Nase, fletschenden Zähnen, und einem Bocksbart, zottig am ganzen Leib, trat in das Gemach, und brummte mit fürchterlicher Stimme: „Ich bin der Großherr Mephistopholes. Willkomm in meinem Palast! und habt Ihr auch Abschied genommen von Frau und Kind!“ Dem fremden Herrn fuhr ein kalter Schauer vom großen Zehen an über den Rücken hinauf, bis unter die Schlafkappe, und an den armen Bedienten darf man gar nicht denken. Als aber der Mephistopholes [166] mit fürchterlichen Grimassen und hoch gehobenen Knieen gegen ihn herkam, als wenn er über lauter Flammen schreiten müßte, dachte der arme Herr: In Gottes Namen, jezt ist’s einmal so, und stand herzhaft auf, hielt dem Ungethüm die Pistole entgegen, und sprach: „Halt, oder ich schieß!“ Mit so etwas läßt sonst nicht jedes Gespenst sich schrecken, denn wenn man auch schießen will, so gehts nicht los, oder die Kugel fährt zurück und trifft nicht den Geist, sondern den Schütz. Aber Mephistopholes hob drohend den Zeigefinger in die Höhe, kehrte langsam um, und gieng mit eben solchen Schritten, als er gekommen war, wieder fort. Als aber der Fremde sah, daß dieser Satan Respekt vor dem Pulver hatte, dachte er: Jezt ist keine Gefahr mehr, nahm in die andere Hand ein Licht, und gieng dem Gespenst, das langsam einen Gang hinabschritt, eben so langsam nach, und der Bediente sprang, so schnell er konnte, hinter ihm zum Tempel hinaus, und ins Ort, dachte, er wolle lieber bey den Scharfrichtern übernacht seyn, als bey den Geistern. – Aber auf dem Gang, auf einmal, verschwindet der Geist vor den Augen seines kühnen Verfolgers, und war nicht anderst, als wär er in den Boden gesunken. Als aber der Herr noch ein paar Schritte weiter gehen wollte, um zu sehen, wo er hingekommen, hörte auf einmal unter seinen Füßen der Boden auf, und er fiel durch ein Loch hinab, aus welchem ihm Feuerglast entgegen kam, und er glaubte selber, jezt geh es an einen andern Ort. Als er aber ungefähr zehen Fuß tief gefallen war, lag er zwar unbeschädigt auf einem Haufen Heu, in einem unterirdischen Gewölb. [167] Aber sechs curiose Gesellen standen um ein Feuer herum, und der Mephistopholes war auch da. Allerley wunderbares Geräthe lag umher, und zwey Tische lagen gehauft voll funkelnder Rößleins-Thaler, einer schöner als der andere. Da merkte der Fremde wie er daran war. Denn das war eine heimliche Gesellschaft von Falschmünzern, so alle Fleisch und Bein hatten. Diese benutzten die Abwesenheit des Zwingherrn, legten in seinem Schloß ihre verborgene Münzstöcke an, und waren vermuthlich von seinen eigenen Leuten dabey, die im Haus Bericht und Gelegenheit wußten; und damit sie ihr heimlich Wesen ungestört und unbeschrieen treiben konnten, fiengen sie den Gespensterlärmen an, und wer in das Haus kam, wurde so in Schrecken gesezt, daß er zum zweytenmal nimmer kam. Aber jezt fand der verwegene Reisende erst Ursache, seine Unvorsichtigkeit zu bereuen, und, daß er den Vorstellungen des Wirths im Dorf kein Gehör gegeben hatte. Denn er wurde durch ein enges Loch hinein in ein anderes finsteres Gehalt geschoben, und hörte wohl, wie sie Kriegsrecht über ihn hielten, und sagten: „Es wird das Beste seyn, wenn wir ihn umbringen.“ Aber Einer sagte noch: „Wir müßen ihn zuerst verhören, wer er ist, und wie er heißt, und wo er sich herschreibt.“ Als sie aber hörten, daß er ein vornehmer Herr sey, und nach Koppenhagen zum König reise, sahen sie einander mit großen Augen an; und nachdem er wieder in dem finstern Gewölb war, sagten sie: „Jezt steht die Sache schlimm. Denn wenn er vermißt wird, und es kommt durch den Wirth heraus, daß er ins Schloß gegangen ist, und ist nimmer herausgekommen, so [168] kommen über Nacht die Husaren, heben uns aus, und der Hanf ist dieß Jahr wohl gerathen, daß ein Strick zum Henken nicht viel kostet.“ Also kündigten sie dem Gefangenen Pardon an, wenn er ihnen einen Eid ablegte, daß er nichts verrathen wolle, und drohten, daß sie in Koppenhagen wollten auf ihn Achtung geben lassen; und er mußte ihnen auf den Eid hin sagen, wo er wohne. Er sagte: Neben dem wilden Mann linker Hand in dem großen Haus mit grünen Läden. Darnach schenkten sie ihm Burgunder-Wein ein zum Morgentrunk, und er schaute ihnen zu, wie sie Rößlein-Thaler prägten bis an den Morgen. Als aber der Tag durch die Kellerlöcher hinab schien, und auf der Straße die Geißeln knallten, und der Kühhirt hürnte, nahm der Fremde Abschied von den nächtlichen Gesellen, bedankte sich für die gute Bewirthung, und gieng mit frohem Muthe wieder in das Wirthshaus, ohne daran zu denken, daß er seine Uhr und seine Tabackspfeife, und die Pistolen habe liegen lassen. Der Wirth sagte: „Gottlob, daß ich Euch wieder sehe, ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können. Wie ist es Euch gegangen?“ Aber der Reisende dachte: Ein Eid ist ein Eid, und um sein Leben zu retten, muß man den Namen Gottes nicht mißbrauchen, wenn mans nicht halten will. Deswegen sagte er nichts, und weil jezt das Glöcklein läutete, und der arme Sünder hinausgeführt wurde, so lief alles fort. Auch in Koppenhagen hielt er nachher reinen Mund, und dachte selber fast nicht mehr daran. Aber nach einigen Wochen kam ab der Post ein Kistlein an ihn, und waren darin ein paar neue, mit Silber eingelegte Pistolen [169] von großem Werth, eine neue goldene Uhr mit kostbaren Demant-Steinen besetzt, eine türkische Tabackspfeife, mit einer goldenen Kette daran, und eine seidene mit Gold gestickte Tabacksblase, und ein Brieflein drinn. In dem Brieflein stand: „Dies schicken wir Euch für den Schrecken, so Ihr bey uns ausgestanden, und zum Dank für Euere Verschwiegenheit. Jetzt ist alles vorbey, und Ihr dürft es erzählen, wem Ihr wollt.“ Deßwegen hats der Herr dem Crenzacher erzählt, und das war die nemliche Uhr, die er oben auf dem Berg herauszog, als es in Hertingen Mittag läutete, und schaute, ob die Hertinger Uhr recht geht, und sind ihm hernach im Storken zu Basel von einem französischen General 75 neue Dublonen darauf geboten worden. Aber er hat sie nicht drum geben.


Gute Antwort.

Wer ausgiebt, muß auch wieder einnehmen. Reitet einmal ein Mann an einem Wirthshaus vorbey, der einen stattlichen Schmerbauch hatte, also, daß er auf beyden Seiten fast über den Sattel herunter hängte. Der Wirth steht auf die Staffel, und ruft ihm nach: „Nachbar, warum habt ihr denn den Zwerchsack vor euch auf das Roß gebunden und nicht hinten?“ Dem rief der Reitende zurück: Damit ich ihn unter den Augen habe. Denn hinten giebt es Spitzbuben. Der Wirth sagte nichts mehr. [170]


Drey andere Wünsche.

Dießmal ist aber die Frau Anna Fritze nicht dabey, auch riecht es nicht nach Rosenduft und Morgenroth, sondern nach Klingenberger und nach Kalbfleisch in einer sauren Brühe. Drey lustige Kameraden saßen beysammen zu Kehl im Lamm, und als sie das Saueressen verzehrt hatten, und noch eine Flasche voll Klingenberger mit einander tranken, sprachen sie von allerley, und fiengen zuletzt an zu wünschen. Endlich wurden sie der Rede eins, es sollte jeder noch einen kernhaften Wunsch thun, und wer den besten Wunsch hervorbringe, der soll frey ausgehen an der Zeche.

Da sprach der Erste: So wünsch ich dann, daß ich alle Festungsgräben von ganz Straßburg und Kehl voll feiner Nähnadeln hätte, und zu jeder Nadel einen Schneider, und jeder Schneider müßte mir ein Jahr lang lauter Malter-Säcke nähen, und wenn ich dann jeden Malter-Sack voll doppelter Dublonen hätte, so wollte ich zufrieden seyn.

Der Zweite sagte: So wollt ich denn, daß das ganze Straßburger Münster bis unter die Krone des Thurms hinauf voll Wechselbriefe vom feinsten Postpapier läge, so viel darinn Platz haben, und wäre mir auf jedem Wechselbrief so viel Geld verschrieben, als in allen deinen Malter-Säcken Platz hat, und ich hätt’s.

Der Dritte sagte: So wollt ich denn, daß ihr beyde hättet was ihr wünscht, und, daß euch alsdann beyde in Einer Nacht der Henker holte, und ich wär euer Erbe.

Der Dritte gieng frey aus an der Zeche. [171]


Der Husar in Neisse.

Als im Anfang der französischen Revolution die Preussen mit den Franzosen Krieg führten, und durch die Provinz Champagne zogen, dachten sie nicht daran, daß sich das Blättlein wenden könnte, und daß der Franzos noch im Jahr 1806. nach Preußen kommen, und den ungebetenen Besuch wett machen werde. Denn nicht Jeder führte sich auf, wie es einem braven Soldaten in Feindesland wohl ansteht. Unter andern drang damals ein brauner preußischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus eines friedlichen Mannes ein, nahm ihm all sein baares Geld, so viel war, und viel Geldswerth, zuletzt auch noch das schöne Bett mit nagelneuem Ueberzug, und mißhandelte Mann und Frau. Ein Knabe von 8 Jahren bat ihn knieend, er möchte doch seinen Eltern nur das Bett wieder geben. Der Husar stoßt ihn unbarmherzig von sich. Die Tochter lauft ihm nach, hält ihn am Dollmann fest, und fleht um Barmherzigkeit. Er nimmt sie, und wirft sie in den Sodbrunnen, so im Hofe steht, und rettet seinen Raub. Nach Jahr und Tagen bekommt er seinen Abschied, setzt sich in der Stadt Neisse in Schlesien, denkt nimmer daran, was er einmal verübt hat, und meynt, es sey schon lange Gras darüber gewachsen. Allein, was geschieht im Jahr 1806? Die Franzosen rücken in Neisse ein; ein junger Sergeant wird Abends einquartiert bey einer braven Frau, die ihm wohl aufwartet. Der Sergeant ist auch brav, führt sich ordentlich auf, und scheint guter Dinge zu seyn. Den andern Morgen kommt der Sergeant nicht zum [172] Frühstück. Die Frau denkt: Er wird noch schlafen, und stellt ihm den Kaffee ins Ofenrohr. Als er noch immer nicht kommen wollte, gieng sie endlich in das Stüblein hinauf, macht leise die Thüre auf, und will sehen, ob ihm etwas fehlt.

Da saß der junge Mann wach und aufgerichtet im Bette, hatte die Hände in einander gelegt, und seufzte, als wenn ihm ein groß Unglück begegnet wäre, oder als wenn er das Heimweh hätte, oder so etwas, und sah nicht, daß jemand in der Stube ist. Die Frau aber gieng leise auf ihn zu, und fragte ihn: „Was ist Euch begegnet, Herr Sergeant, und warum seyd Ihr so traurig?“ Da sah sie der Mann mit einem Blick voll Thränen an, und sagte: die Ueberzüge dieses Bettes, in dem er heute Nacht geschlafen habe, haben vor 18 Jahren seinen Eltern in Champagne angehört, die in der Plünderung alles verlohren haben und zu armen Leuten geworden seyn, und jetzt denke er an alles, und sein Herz sey voll Thränen. Denn er war der Sohn des geplünderten Mannes in Champagne, und kannte die Ueberzüge noch, und die rothen Namens-Buchstaben, womit sie die Mutter gezeichnet hatte, waren ja auch noch daran. Da erschrak die gute Frau, und sagte, daß sie dieses Bettzeug von einem braunen Husaren gekauft habe, der noch hier in Neisse lebe, und sie könne nichts dafür. Da stand der Franzose auf, und ließ sich in das Haus des Husaren führen, und kannte ihn wieder.

Denkt Ihr noch daran, sagte er zu dem Husaren, wie Ihr vor 18 Jahren einem unschuldigen Mann in Champagne Hab und Gut, und zuletzt auch noch das Bett aus dem Hause getragen habt, [173] und habt keine Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein achtjähriger Knabe um Schonung anflehte; und an meine Schwester? Anfänglich wollte der alte Sünder sich entschuldigen, es gehe bekanntlich im Krieg nicht alles wie es soll, und was der Eine liegen lasse, hole doch ein Anderer; und lieber nimme mans selber. Als er aber merkte, daß der Sergeant der nemliche sey, dessen Eltern er geplündert und mißhandelt hatte; und als er ihn an seine Schwester erinnerte, versagte ihm vor Gewissens-Angst und Schrecken die Stimme, und er fiel vor dem Franzosen auf die zitternde Knie nieder, und konnte nichts mehr heraus bringen, als: Pardon! dachte aber: Es wird nicht viel helfen.

Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: „Jetzt wird der Franzos den Husaren zusammenhauen, und freut sich schon darauf.“ Allein das könnte mit der Wahrheit nicht bestehen. Denn wenn das Herz bewegt ist, und vor Schmerz fast brechen will, mag der Mensch keine Rache nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und verächtlich, sondern er denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Böses mit Bösem vergelten. So dachte der Franzose auch, und sagte: „Daß du mich mißhandelt hast, das verzeihe ich dir. Daß du meine Eltern mißhandelt und zu armen Leuten gemacht hast, das werden dir meine Eltern verzeihen. Daß du meine Schwester in den Brunnen geworfen hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott.“ – Mit diesen Worten gieng er fort, ohne dem Husaren das geringste zu leide zu thun, und es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl. Dem Husaren aber war es nachher zu [174] Muth, als wenn er vor dem jüngsten Gericht gestanden wäre, und hätte keinen guten Bescheid bekommen. Denn er hatte von der Zeit an keine ruhige Stunde mehr, und soll nach einem Vierteljahr gestorben seyn.

Merke: Man muß in der Fremde nichts thun, worüber man sich daheim nicht darf finden lassen.

Merke: Es giebt Unthaten, über welche kein Gras wächst.


Was in einer großen Stadt drauf geht.

Eine große Stadt hat einen großen Magen, und braucht im Winter einen großen Ofen. In Wien aber sind in einem Jahr vom 1. November 1806. bis dahin 1807. geschlachtet und verspeist worden: 66,795 Ochsen, 2133 Kühe, 75,092 Kälber, 47,000 Schaafe, 120,000 Lämmer, 71,800 Schweine.

Viel Fleisch kostet viel Brod. Daher wurden verbraucht 487,000 Zentner Weiß-Mehl, 408,000 Zentner gemein Mehl.

Zu einem guten Bissen gehört ein guter Trunk. Also ist getrunken worden 522,400 Maas Wein, 674,000 Maas Bier.

Etwas Gutes ißt und trinkt man gern in einer warmen Stube. Sind verbrannt worden, 281,000 Klafter Holz, und 156,000 Meß Steinkohlen.

So viel kann drauf gehen in einer Stadt. Und wird doch noch hie und da einer hungrig ins Bett gegangen, und an manchem Fenster Eiszäpflein gehangen seyn. [175]

Und an manchem vollen Tisch ist einer gesessen, und hat nicht essen mögen vor Betrübniß; und in manchen Becher voll köstlichen Ungar-Weins ist auch eine Thräne gefallen.


Ein Wort giebt das andere.

Ein reicher Herr im Schwabenland schickte seinen Sohn nach Paris, daß er sollte Französisch lernen, und ein wenig gute Sitten. Nach einem Jahr oder drüber kommt der Knecht aus des Vaters Haus auch nach Paris. Als der junge Herr den Knecht erblickte, rief er voll Staunen und Freude aus: Ey Hanns, wo führt dich der Himmel her? Wie steht es zu Hause, und was giebts Neues? – Nicht viel Neues, Herr Wilhelm, als daß vor 10 Tagen Euer schöner Rabe krepirt ist, den Euch vor einem Jahr der Waidgesell geschenkt hat.

O das arme Thier, erwiederte Herr Wilhelm. Was hat ihm denn gefehlt?

Drum hat er zu viel Luder gefressen, als unsere schönen Pferde fielen, eins nach dem andern. Ich habs gleich gesagt.

Wie! Meines Vaters vier schöne Mohren-Schimmel sind gefallen? fragte der Herr Wilhelm. Wie gieng das zu?

Drum sind sie zu sehr angestrengt worden mit Wasserführen, als uns Haus und Hof verbrannte, und hat doch nichts geholfen.

Um Gottes willen! rief der Herr Wilhelm voll [176] Schrecken aus. Ist unser schönes Haus verbrannt? Wann das?

Drum hat man nicht aufs Feuer acht gegeben an Ihres Herrn Vaters seliger Leiche, und ist bey Nacht begraben worden mit Fackeln. So ein Füncklein ist bald verzettelt.

Unglückselige Bottschaft! rief voll Schmerz der Herr Wilhelm aus. Mein Vater todt? Und wie gehts meiner Schwester?

Drum eben hat sich Ihr Herr Vater seliger zu todt gegrämt, als Ihre Jungfer Schwester ein Kindlein gebar, und hatte keinen Vater dazu. Es ist ein Büblein.

Sonst gibts just nicht viel Neues, setzte er hinzu.


Moses Mendelson.

Moses Mendelson war jüdischer Religion, und Handlungsbedienter bey einem Kaufmann, der das Pulver nicht soll erfunden haben. Dabey war er aber ein sehr frommer und weiser Mann, und wurde daher von den angesehensten und gelehrtesten Männern hochgeachtet und geliebt. Und das ist recht. Denn man muß um des Bartes willen den Kopf nicht verachten, an dem er wächst. Dieser Moses Mendelson gab unter anderm von der Zufriedenheit mit seinem Schicksal folgenden Beweis. Denn als eines Tages ein Freund zu ihm kam, und er eben an einer schweren Rechnung schwitzte, sagte dieser: „Es ist doch schade, guter Moses, und ist unverantwortlich, [177] daß ein so verständiger Kopf wie ihr seyd, einem Manne ums Brod dienen muß, der euch das Wasser nicht bieten kann. Seyd ihr nicht am kleinen Finger gescheidter, als der am ganzen Körper, so groß er ist?“ Einem andern hätt das im Kopf gewurmt, er hätte Feder und Dintenfaß mit ein paar Flüchen hinter den Ofen geworfen, und seinem Herrn aufgekündet auf der Stelle. Aber der verständige Mendelson ließ das Dintenfaß stehen, steckte die Feder hinter das Ohr, sah seinen Freund ruhig an, und sprach zu ihm also: „Das ist recht gut, wie es ist, und von der Vorsehung weise ausgedacht. Denn so kann mein Herr von meinen Diensten viel Nutzen ziehn, und ich habe zu leben. Wäre ich der Herr, und er mein Schreiber, ihn könnte ich nicht brauchen.“


Ein theurer Kopf und ein wohlfeiler.

Als der letzte König von Polen noch regierte, entstand gegen ihn eine Empörung, was nichts seltenes war. Einer von den Rebellen, und zwar ein polnischer Fürst, vergaß sich so sehr, daß er einen Preis von 20,000 Gulden auf den Kopf des Königs setzte. Ja, er war frech genug, es dem König selber zu schreiben, entweder, um ihn zu betrüben oder zu erschrecken. Der König aber schrieb ihm ganz kaltblütig zur Antwort: „Euern Brief habe ich empfangen und gelesen. Es hat mir einiges Vergnügen gemacht, daß mein Kopf bey Euch noch etwas gilt. Denn ich kann Euch versichern, für den eurigen gäb ich keinen rothen Heller.“ [178]


Theure Eyer.

Als zu seiner Zeit ein fremder Fürst nach Frankreich reiste, wurde es ihm unterwegs öd im Magen, und ließ sich in einem gemeinen Wirthshaus, wo sonst dergleichen Gäste nicht einkehren, drey gesottne Eyer geben. Als er damit fertig war, fordert der Wirth dafür 300 Livres. Der Fürst fragte, ob denn hier die Eyer so rar seyen. Der Wirth lächelte, und sagte: Nein, die Eyer nicht, aber die großen Herrn, die so etwas dafür bezahlen können. Der Fürst lächelte auch, und gab das Geld, und das war gut. Als aber der damalige König von Frankreich von der Sache hörte, (es wurde ihm als ein Spaß erzählt,) nahm ers sehr übel, daß ein Wirth in seinem Reich sich unterstand, solche unverschämte Ueberforderungen zu machen, und sagte dem Fürsten: Wenn Sie auf Ihrer Rückreise wieder an dem Wirthshaus vorbeifahren, werden Sie sehen, daß Gerechtigkeit in meinem Lande herrscht. Als der Fürst auf seiner Rückreise wieder an dem Wirthshaus vorbeyfuhr, sah er keinen Schild mehr dran, aber die Thüren und Fenster waren zugemauert, und das war auch gut.


Die drey Diebe.

Der geneigte Leser wird ermahnt, nicht alles für wahr zu halten, was in dieser Erzählung vorkommt. Doch ist sie in einem schönen Buch beschrieben, und zu Vers gebracht.

Der Zundel-Heiner und der Zundel-Frieder trieben von Jugend auf das Handwerk ihres Vaters, der bereits am Auerbacher Galgen mit des Seilers Tochter [179] copulirt war, nemlich mit dem Strick; und ein Schulkamerad, der rothe Dieter, hielts auch mit, und war der Jüngste. Doch mordeten sie nicht, und griffen keine Menschen an, sondern visitirten nur so bey Nacht in den Hühnerställen, und wenns Gelegenheit gab, in den Küchen, Kellern und Speichern, allenfalls auch in den Geldtrögen, und auf den Märkten kauften sie immer am wohlfeilsten ein. Wenns aber nichts zu stehlen gab, so übten sie sich untereinander mit allerley Aufgaben und Wagstücken, um im Handwerk weiter zu kommen. Einmahl im Wald sieht der Heiner auf einem hohen Baum einen Vogel auf dem Nest sitzen, denkt, er hat Eyer, und fragt die andern: „Wer ist im Stand, und holt dem Vogel dort oben die Eyer aus dem Nest, ohne daß es der Vogel merkt?“ Der Frieder, wie eine Katze, klettert hinauf, naht sich leise dem Nest, bohrt langsam ein Löchlein unten drein, läßt ein Eylein nach dem andern in die Hand fallen, flickt das Nest wieder zu mit Moos, und bringt die Eyer. – „Aber wer dem Vogel die Eyer wieder unterlegen kann“, sagte jetzt der Frieder, „ohne daß es der Vogel merkt!“ Da kletterte der Heiner den Baum hinan, aber der Frieder kletterte ihm nach, und während der Heiner dem Vogel langsam die Eyer unterschob, ohne daß es der Vogel merkte, zog der Frieder dem Heiner langsam die Hosen ab, ohne daß es der Heiner merkte. Da gab es ein groß Gelächter, und die beyden andern sagten: „Der Frieder ist der Meister.“ Der rothe Dieter aber sagte: „ich sehe schon, mit euch kann ichs nicht zugleich thun, und wenns einmal zu bösen Häusern geht, und der Unrechte kommt über uns, so ists mir nimmer Angst für euch, aber für mich.“ Also gieng er fort, wurde [180] wieder ehrlich, und lebte mit seiner Frau arbeitsam und häuslich. Im Spätjahr, als die zwey andern noch nicht lang auf dem Roßmarkt ein Rößlein gestohlen hatten, besuchten sie einmal den Dieter, und fragten ihn, wie es ihm gehe; denn sie hatten gehört, daß ein Schwein geschlachtet, und wollten ein wenig Acht geben, wo es liegt. Es hing in der Kammer an der Wand. Als sie fort waren, sagte der Dieter: „Frau, ich will das Säulein in die Küche tragen, und die Mulde drauf decken, sonst ist es morgen nimmer unser.“ In der Nacht kommen die Diebe, brechen, so leise sie können, die Mauer durch, aber die Beute war nicht mehr da. Der Dieter merkt etwas, steht auf, geht um das Haus, und sieht nach. Unterdessen schleicht der Heiner um das andere Eck herum ins Haus bis zum Bett, wo die Frau lag, nimmt ihres Mannes Stimme an, und sagt: Frau, die Sau ist nimmer in der Kammer. Die Frau sagt: Schwätz nicht so einfältig! Hast du sie nicht selber in die Küche unter die Mulde getragen? Ja so, sagte der Heiner, drum bin ich halb im Schlaf, und ging, holte das Schwein, und trug es unbeschrien fort, wußte in der finstern Nacht nicht, wo der Bruder ist, dachte, er wird schon kommen an den bestellten Platz im Wald. Und als der Dieter wieder ins Haus kam, und nach dem Säulein greifen will, „Frau, rief er, jetzt habens die Galgenstricke doch geholt.“ Allein, so geschwind gab er nicht gewonnen, sondern setzte den Dieben nach, und als er den Heiner einholte, (es war schon weit vom Hause weg,) und als er merkte, daß er allein sey, nahm er schnell die Stimme des Frieders an, und sagte: „Bruder, laß jezt mich das Säulein tragen, du wirst müd seyn.“ Der Heiner meint es sey der Bruder, [181] und gibt ihm das Schwein, sagt, er wolle vorausgehen in den Wald und ein Feuer machen. Der Dieter aber kehrte hinter ihm um, sagte für sich selber: Hab ich dich wieder, du liebes Säulein? und trug es heim. Unterdessen irrte der Frieder in der Nacht herum, bis er im Wald das Feuer sah, und kam, und fragte den Bruder: „Hast du die Sau, Heiner?“ Der Heiner sagte: „Hast du sie denn nicht, Frieder?“ Da schauten sie einander mit großen Augen an, und hätten kein so prasselndes Feuer von buchenen Spänen gebraucht zum Nachtkochen. Aber desto schöner prasselte jezt das Feuer daheim in Dieters Küche. Denn das Schwein wurde sogleich nach der Heimkunft verhauen, und Kesselfleisch über das Feuer gethan. Denn der Dieter sagte: „Frau, ich bin hungerig, und was wir nicht beyzeiten essen, holen die Schelme doch.“ Als er sich aber in einen Winkel legte, und ein wenig schlummerte, und die Frau kehrte mit der eisernen Gabel das Fleisch herum, und schaute einmal nach der Seite, weil der Mann im Schlaf so seufzte, kam eine zugespizte Stange langsam durch das Camin herab, spießt das beste Stück im Kessel an, und zogs herauf; und als der Mann im Schlaf immer ängstlicher winselte, und die Frau immer emsiger nach ihm sah, kam die Stange zum zweytenmal; und als die Frau den Dieter weckte: „Mann, jezt wollen wir anrichten“, da war der Kessel leer, und wär ebenfalls kein großes Feuer nöthig gewesen zum Nachtkochen. Als sie aber beyde schon im Begriff waren, hungerig ins Bett zu gehen, und dachten: Will der Henker das Säulein holen, so können wirs ja doch nicht heben, da kamen die Diebe vom Dach herab, durch das Loch der Mauer in die [182] Kammer, und aus der Kammer in die Stube, und brachten wieder, was sie gemaust hatten. Jezt gieng ein fröhliches Leben an. Man aß und trank, man scherzte und lachte, als ob man gemerkt hätte, es sey das leztemal, und war guter Dinge, bis der Mond im lezten Viertel über das Häuslein weggieng, und zum zweytenmal im Dorf die Hahnen krähten, und von weitem der Hund des Metzgers bellte. Denn die Strickreiter waren auf der Spur, und als die Frau des rothen Dieters sagte: „Jezt ists einmal Zeit ins Bett, kamen die Strickreiter von wegen des gestohlenen Rößleins, und holten den Zundel-Heiner und den Zundel-Frieder in den Thurm und in das Zuchthaus.


Suwarov.

Der Mensch muß eine Herrschaft über sich selber ausüben können, sonst ist er kein braver und achtungswürdiger Mensch, und was er einmal für allemal als recht erkennt, das muß er auch thun, aber nicht einmal für allemal, sondern immer. Der russische General Suwarov, den die Türken und Polaken, die Italiener und die Schweizer wohl kennen, der hielt ein scharfes und strenges Commando. Aber was das vornehmste war, er stellte sich unter sein eigenes Commando, als wenn er ein Anderer, und nicht der Suwarov selber wäre, und sehr oft mußten ihm seine Adjutanten dieß und jenes in seinem eigenen Namen befehlen, was er alsdann pünktlich befolgte. Einmal war er wüthend aufgebracht über einen Soldaten, der im Dienst etwas versehen hatte, und fieng schon an, ihn zu prügeln. Da faßte ein Adjutant das Herz, dachte, er wolle dem General [183] und dem Soldaten einen guten Dienst erweisen, eilte herbey, und sagte: „Der General Suwarov hat befohlen, man solle sich nie vom Zorn übernehmen lassen.“ Sogleich ließ Suwarov nach, und sagte: „Wenns der General befohlen hat, muß man gehorchen.“


Klein und Groß.

In Asien, in dem Gebirge Taurus und an andern Orten lebt eine Art von wilden Schafen, Argali genannt, die sind sehr groß, stark und scheu, und haben sehr große Hörner. Wenn ein solches Thier im Kampf oder durch ein anderes Unglück ein Horn verliert, was jejuweilen peschieht, so kommt es den dortigen Füchslein zu gut. Diese haben alsdann nicht nöthig, einen Bau in die Erde zu graben, meynen, das Horn sey wegen ihnen da, schlupfen hinein, und wohnen darinn. Worüber muß man sich mehr verwundern, über die großen Hörner oder über die kleinen Füchse?

Die kleinsten Vögel, die man kennt, heißen Kolibri. Sie sind in Süd-Amerika daheim, haben wunderschöne Farben von Gold- und Silberglanz, legen Eylein, so nicht größer sind, als eine Erbse; und werden nicht mit Schroten geschossen, sondern mit kleinen Sandkörnlein, weil sonst nichts Ganzes an ihnen bliebe. Neben ihnen wohnt eine Spinne, die ist so groß, daß sie diese armen Thierlein wie Mucken fängt und aussaugt. Doch das weiß der geneigte Leser schon, denn er ist ein belesener Mann.

Andern Respekt flößt der Herr Lämmer-Geyer seiner Nachbarschaft ein, der in den Tyroler- und Schweizer-Gebirgen [184] daheim ist. Denn mit seinen ausgespannten Flügeln bedeckt er eine Länge von 8 bis 9 Fuß, und ist stark genug, Gemsen, Ziegen und Kinder anzupacken, zu überwältigen und davon zu tragen.

Der größte unter allen Vögeln, die fliegen können, ist der Condur, ein Landsmann des Colibri. Dieser mißt mit ausgespannten Flügeln 16 Fuß, seine Flügelfedern sind vorne Fingersdick, also, daß man schön Fraktur damit schreiben könnte; und das Rauschen seiner Flügel gleicht einem fernen Donner.

Aber der allergrößte Vogel ist der Strauß in den Wüsteneyen von Asien und Afrika, der aber wegen seiner Schwere und wegen der Kürze seiner Fittige gar nicht fliegen kann, sondern immer muß auf der Erde bleiben. Doch trägt er seinen Kopf 9 bis 10 Fuß hoch in der Luft, kann weit herum schauen, und könnte, wie ein guter Freund neben einem Reiter auf seinem Roß herlaufen und mit ihm reden, wenn ihm nicht Vernunft und Sprache versagt wären.

In Asien lebt eine Art von Hirschen, Zwerg-Hirschlein genannt, deren Füßlein sind Fingerslang, und so dünn, wie der Stiel einer köllnischen Tabackspfeife. Das Spitzmäuslein, ebenfalls in Asien, wiegt ein halbes Quintlein, und ist das kleinste unter allen bekannten Thieren, die auf 4 Beinen gehen und ihre Jungen säugen. Der Elephant aber ist 12 bis 14 Fuß hoch, 15 bis 17 Fuß lang, wiegt seine 7,000 Pfund; und ein fleißiger Schüler soll mir ausrechnen: Wie viel Spitzmäuslein müßte man haben, die zusammen so schwer sind, als ein einziger Elephant?

Das kleinste Thierlein auf der Erde hat auch mit dem stärksten Vergrößerungsglas wohl noch kein Mensch [185] gesehen. Aber das größte ist der Wallfisch, der bis zu einer Länge von 120 Fuß wachsen kann, und seine 1,000 Centner und drüber wiegt.

In den fabelhaften Zeiten hat man geglaubt, daß es eine ganze Nation von Menschen gebe, die von dem Boden weg nur 2 Fuß hoch seyen. Der Lügenprophet Mahomet aber behauptete einmal, er habe den Erzengel Gabriel gesehen, und es sey von seinem rechten Auge über den Nasenwinkel bis zum linken, ein Zwischenraum von 70,000 Tagreisen.


Hohes Alter.

In Schottland giebt es Leute, welche sehr alt werden. Ein Reisender begegnete einmal einem betagten Sechziger, welcher schluchzte. Auf die Frage, was ihm fehle, sagte dieser: Der Vater habe ihm eine Ohrfeige geben. Das kam dem Fremden fast unglaublich vor, daß ein Mann von solchen Jahren noch einen Vater am Leben haben, und noch unter seiner Zucht stehen soll. Als er ihn aber nach der Ursache der Ohrfeige fragte, so sagte der Sechziger: Drum habe er den Großvater schier fallen lassen, als er ihm habe sollen ins Bett helfen. Als das der Fremde hörte, ließ er sich von dem Mann ins Haus führen, ob es auch so sey, wie er sagte. Ja, es war so. Der Bube war 62 Jahr alt, der Vater 96, und der Großvater 130. Und der Fremde sagte nachher, als er es wieder erzählte, es werde einem ganz curios zu Muthe, wenn man so 288 unter drey Hüten beyeinandersehe. [186]

Kayser Napoleon und die Obstfrau in Brienne.

Der große Kayser Napoleon brachte seine Jugend, als Zögling, in der Kriegsschule zu Brienne zu, und wie? Das lehrten in der Folge seine Kriege, die er führte, und seine Thaten. Da er gerne Obst aß, wie die Jugend pflegt, so bekam eine Obsthändlerin daselbst manchen schönen Batzen von ihm zu lösen. Hatte er je einmal kein Geld, so borgte sie. Bekam er Geld, so bezahlte er. Aber als er die Schule verließ, um nun als kenntnißreicher Soldat auszuüben, was er dort gelernt hatte, war er ihr doch einige Thaler schuldig. Und, als sie das letztemal ihm einen Teller voll saftiger Pfirsiche oder süßer Trauben brachte, „Fräulein, sagte er, jezt muß ich fort, und kann euch nicht bezahlen. Aber ihr sollt nicht vergessen seyn.“ Aber die Obstfrau sagte: „O reisen Sie wegen dessen ruhig ab, edler, junger Herr. Gott erhalte Sie gesund, und mache aus Ihnen einen glücklichen Mann.“ – Allein auf einer solchen Laufbahn, wie diejenige war, welche der junge Krieger jezt betrat, kann doch auch der beste Kopf so etwas vergessen, bis zuletzt das erkenntliche Gemüth ihn wieder daran erinnert. Napoleon wird in kurzer Zeit General, und erobert Italien. Napoleon geht nach Egypten, wo einst die Kinder Israel das Ziegler-Handwerk trieben, und liefert ein Treffen bey Nazareth, wo vor 1800 Jahren die hochgelobte Jungfrau wohnte. Napoleon kehrt mitten durch ein Meer voll feindlicher Schiffe nach Frankreich und Paris zurück, und wird erster Consul. Napoleon stellt in seinem unglücklich gewordenen Vaterlande die Ruhe [187] und Ordnung wieder her, und wird französischer Kayser, und noch hatte die gute Obstfrau in Brienne nichts, als sein Wort: „Ihr sollt nicht vergessen seyn!“ Aber ein Wort noch immer so gut, als baares Geld, und besser. Denn als der Kayser in Brienne einmal erwartet wurde, er war aber in der Stille schon dort, und mag wohl sehr gerührt gewesen seyn[2], wenn er da an die vorige Zeit gedachte, und an die jetzige, und wie ihn Gott in so kurzer Zeit, und durch so viele Gefahren unversehrt bis auf den neuen Kayserthron geführt hatte, da blieb er auf der Gasse plötzlich stille stehen, legte den Finger an die Stirne, wie einer, der sich auf etwas besinnt, nannte bald darauf den Namen der Obstfrau, erkundigte sich nach ihrer Wohnung, so ziemlich baufällig war, und trat mit einem einzigen treuen Begleiter zu ihr hinein. Eine enge Thüre führte ihn in ein kleines, aber reinliches Zimmer, wo die Frau mit zwei Kindern am Kamin kniete, und ein sparsames Abendessen bereitete.

„Kann ich hier etwas zur Erfrischung haben?“ so fragte der Kayser. – Ei ja! erwiederte die Frau, die Melonen sind reif, und holte eine. Während die zwey fremden Herren die Melone verzehrten, und die Frau noch ein paar Reiser an das Feuer legte, „Kennt Ihr denn den Kayser auch, der heute hier seyn soll?“ fragte der eine. Er ist noch nicht da, antwortete die Frau, er kommt erst. Warum soll ich ihn nicht kennen? Manchen Teller und manches Körbchen voll Obst hat er mir abgekauft, als er noch hier in der Schule war. – „Hat er denn auch alles ordentlich bezahlt?“ – „Ja freylich, er hat alles ordentlich bezahlt.“ Da sagte zu ihr der fremde

Anmerkungen (Wikisource)[Bearbeiten]

  1. Anmerkung Wikisource: vgl. Erstdruck in Der Rheinländische Hausfreund (1808), Faksimiledruck der Jahrgänge 1808-1815 und 1819, Hrsg. Ludwig Rohner, Athenaion 1981, S. 38 books.google.
  2. fehlende Buchstaben, sinngemäß richtig: seyn

[188] Herr: „Frau, ihr geht nicht mit der Wahrheit um, oder ihr müßt ein schlechtes Gedächtniß haben. Fürs erste, so kennt ihr den Kayser nicht. Denn ich bins. Fürs andere hab ich euch nicht so ordentlich bezahlt, als ihr sagt, sondern ich bin euch zwey Thaler schuldig oder etwas“; und in diesem Augenblick zählte der Begleiter auf den Tisch ein tausend und zweyhundert Franken, Kapital und Zinnß. Die Frau, als sie den Kayser erkannte, und die Goldstücke auf dem Tisch klingeln hörte, fiel ihm zu Füßen, und war vor Freude und Schrecken und Dankbarkeit ganz außer sich, und die Kinder schauen auch einander an, und wissen nicht, was sie sagen sollen. Der Kayser aber befahl nachher das Haus niederzureissen, und der Frau ein anderes an den nemlichen Platz zu bauen. „In diesem Hause“, sagte er, will ich wohnen, so oft ich nach Brienne komme, und es soll meinen Namen führen.“ Der Frau aber versprach er, er wolle für ihre Kinder sorgen.

Wirklich hat er auch die Tochter derselben bereits ehrenvoll versorgt, und der Sohn wird auf kayserliche Kosten in der nemlichen Schule erzogen, aus welcher der große Held selber ausgegangen ist.


Das Bombardement von Koppenhagen.

In der ganzen gefahrvollen Zeit von 1789 an, als ein Land nach dem andern entweder in die Revolution oder in einen blutigen Krieg gezogen wurde, hatte sich das Königreich Dänemark theils durch seine Lage, theils durch die Weisheit seiner Regierung den Frieden erhalten. Sie lebte niemand zu lieb und [189] niemand zu leid, dachte nur darauf, den Wohlstand der Unterthanen zu vermehren, wurde deßwegen von allen Mächten in Ehren gehalten. Als aber im Jahr 1807. der Engländer sah, daß Rußland und Preußen von ihm abgegangen sey, und mit dem Feind Frieden gemacht habe, und, daß die Franzosen in allen Häfen und festen Plätzen an der Ostsee Meister sind, und die Sache schlimm gehen kann, wenn sie auch noch sollten nach Dänemark kommen, sagte er kein Wort, sondern ließ eine Flotte auslaufen, und niemand wußte wohin. Als aber die Flotte im Sund und an der dänischen Küste und vor der königlichen Haupt- und Residenzstadt Koppenhagen stand, und alles sicher und ruhig war, so machten die Engländer Bericht nach Koppenhagen hinein: „Weil wir so gute Freunde zusammen sind, so gebt uns gutwillig bis zum Frieden eure Flotte, damit sie nicht in des Feindes Hände kommt, und die Festung. Denn es wäre uns entsetzlich leid, wenn wir euch müßten die Stadt über dem Kopf zusammen schießen.“ Als wenn ein Bürgersmann oder Bauer mit einem andern einen Prozeß hat, und kommt in der Nacht mit seinen Knechten einem Nachbarn vor das Bette, und sagt: „Nachbar, weil ich mit meinem Gevattermann einen Prozeß habe, so müßt Ihr mir bis Ausgangs der Sache eure Rosse in meine Verwahrung geben, daß mein Gegenpart nicht kann darauf zu den Advokaten reiten, sonst zünd ich euch das Haus an, und müßt mir erlauben, daß ich an der Straße mit meinen Knechten in euer Kornfeld stehe, auf daß, wenn der Gevattermann auf seinem eigenen Roß zum Hofgericht reiten will, so verrenn ich ihm den Weg.“ Der Nachbar [190] sagt: „Laßt mir mein Haus unangezündet! Was gehn mich eure Händel an?“ Und so sagten die Dänen auch. Als aber der Engländer fragte: Wollt ihr gutwillig oder nicht? und die Dänen sagten: „Nein, wir wollen nicht gutwillig!“ so stieg er mit seinen Landungs-Truppen ans Ufer, rückte immer näher gegen die Hauptstadt, richtete Batterien auf, führte Canonen drein, und sagte am 2. September nach dem Frieden von Tilsit, jezt sey die letzte Frist. Allein alle Einwohner von Koppenhagen und die ganze Dänische Nation sagten: „Das Betragen des übermüthigen Feindes sey unerhört, und es wäre eine Schande, die der Belt nicht abwaschen könnte, sich durch Drohungen schrecken zu lassen, und in seine ungerechten Forderungen einzuwilligen. Nein!“ Da fieng das fürchterliche Gericht an, das über diese arme Stadt im Schicksal beschlossen war. Denn von Abends um 7 Uhr an hörte das Schiessen auf Koppenhagen, mit 72 Mörsern und schweren Kanonen, die ganze Nacht hindurch 12 Stunden lang nimmer auf; und ein Satan, Namens Congreve, war dabey, der hatte ein neues Zerstörungsmittel erfunden, nemlich die sogenannten Brand-Raketen. Das war ungefähr eine Art von Röhren, die mit brennbaren Materien angefüllt wurden, und vorne mit einem kurzen spitzigen Pfeil versehen waren. Im Schuß entzündete sich die Materie, und, wenn nun der Pfeil an etwas hinfuhr, wo er Habung hatte, so blieb er stecken, manchmal, wo niemand zukommen konnte, und die Feuermaterie zündete an, was brennen konnte. Auch diese Brand-Raketen flogen die ganze Nacht in das arme Koppenhagen hinein. Koppenhagen hatte [191] damals 4000 Häuser, 85,965 Einwohner, 22 Kirchen, 4 königliche Schlösser, 22 Krankenspitäler, 30 Armenhäuser, einen reichen Handel und viele Fabriken. Da kann man denken, wie mancher schöne Dachstuhl in dieser angstvollen Nacht zerschmettert wurde, wie manches bange Mutterherz sich nicht zu helfen wußte, wie manche Wunde blutete, und wie die Stimme des Gebets und der Verzweiflung, das Sturmgeläute und der Kanonendonner durch einander gieng. Am 3. September, als der Tag kam, hörte das Schießen auf; und der Engländer fragte, ob sie noch nicht wollten gewonnen geben. Der Commandant von Koppenhagen sagte: Nein. Da fieng das Schießen Nachmittags um 4 Uhr von neuem an, und dauerte bis den 4. September Mittags fort, ohne Unterlaß und ohne Barmherzigkeit. Und als der Commandant noch nicht wollte Ja sagen, fieng Abends das Feuer wieder an, und dauerte die ganze Nacht bis den 5. des Mittags. Da lagen mehr als 300 schöne Häuser in der Asche; ganze Kirchthürme waren eingestürzt, und noch überall wüthete die Flamme. Mehr als 800 Bürger waren schon getödtet und mehrere schwer verwundet. Ganz Koppenhagen sah hier einer Brandstätte, oder einem Steinhaufen, da einem Lazareth, und dort einem Schlachtfeld gleich. Als endlich der Commandant von Koppenhagen nirgends mehr Rettung noch Hülfe und überall nur Untergang und Verderben sah, hat er am 7. September kapitulirt, und der Kron-Prinz hats nicht einmal gelobt. Das erste war, die Engländer nahmen die ganze Seeflotte von Koppenhagen in Besitz und führten sie weg; 18 Linienschiffe, 15 Fregatten und mehrere kleinere [192] bis auf eine Fregatte, welche der König von England ehmals dem König von Dänemark zum Geschenk gemacht hatte, als sie noch Freunde waren. Diese ließen sie zurück. Der König von Dänemark schickte sie ihnen aber auch nach, und will nichts geschenktes mehr zum Andenken haben. Im Land selbst und auf den Schiffen hausten die Engländer als böse Feinde, denn der Soldat weiß nicht, was er thut, sondern denkt: Wenn sie es nicht verdient hätten, so führte man keinen Krieg mit ihnen. Zum Glück dauerte ihr Aufenthalt nicht lange; denn sie schifften sich am 19. Oktober wieder ein, und fuhren am 21. mit der dänischen Flotte und dem Raub davon; und der Congreve ist unterwegs ertrunken und hat Frau und Kinder nimmer gesehen. Von dem an hielten die Dänen gemeinschaftlich mit den Franzosen, und Kayser Napoleon will nicht eher mit den Engländern Friede machen, als bis sie die Schiffe wieder zurückgegeben, und Koppenhagen bezahlt haben. Dieß ist das Schicksal von Dänemark, und die Freunde der Engländer sagen: es sey nicht so schlimm gemeynt gewesen. Andre aber sagen, es hätte nicht können schlimmer seyn, und die Dänen meynens auch.


Fürchterlicher Kampf eines Menschen mit einem Wolf.

In Frankreich ist ein Departement, heißt Goldhügel. In diesem Departement befindet sich eine kleine Landschaft, genannt Saulieu, (mußt lesen Soliö). Diese Landschaft bekam im Merz des Jahrs 1807. einen [193] schlimmen Besuch von einem reissenden Thier, wie man noch keines daselbst gesehen hatte, hier zu Land auch nicht. Es hatte Aehnlichkeit mit einem Wolf, wird auch einer gewesen seyn. Doch hatte es eine kürzere Schnautze als ein gemeiner Wolf, war lang und mager und mit langen dunkelgrünen Haaren besezt. Diese grausame und blutgierige Bestie wüthete mehrere Tage lang zum Schrecken der Einwohner in dem Lande herum, grif Menschen und Thiere an, wagte sich sogar am 30. Merz am hellen Tag auf der Landstraße an die Reisenden, zerriß einen Conseribirten, zerfleischte zwey Mägdlein und einen Knaben und blieb selbige Nacht nahe bey dem Hause eines Landmannes, Namens Machin, im Gebüsche übernacht. Der gute Machin, der an eine solche Schildwache vor seinem Hause nicht dachte, gieng des Morgens früh um 3 Uhr, als es noch ganz finster war, aus dem Hause. Da hörte er etwas rauschen im Gebüsch, glaubte es sey die Katze, die sich vor einigen Tagen verlaufen hatte, und rief seiner Frau, die Katze sey da. Aber in dem nemlichen Augenblicke springt das Unthier wüthend auf ihn los. Er wirft es zurück. Es kommt wieder, stellt sich auf die Hinterfüße, drückt ihn zwey Schritte weit an die Wand zurück, und packt ihn mit einem Rachen voll scharfer starker Zähne wüthend an der linken Brust. Vergebens sucht er sich loszumachen. Das Thier sezt immer tiefer seine Zähne ein, und verursacht ihm die entsetzlichsten Schmerzen. Da umfaßt es der herzhafte und starke Machin mit beyden Armen, drückt es fest an sich, ringt mit ihm bis er es im Hause hat, wirft sich mit ihm auf einen Tisch, so daß das Thier unten [194] lag, und rief seiner Frau, daß sie ein Licht anzünde. Aber Frau und Kinder wagten es nicht, sich zu nähern, und das Thier biß sich immer tiefer und tiefer in die Brust des unglücklichen Mannes ein, bis endlich die älteste Tochter von 22 Jahren sich ermannte, und mit einem Licht und einem Messer herbeyeilte. Der Vater drückt so stark er kann, mit seinem Körper auf das Thier, zeigt ihr mit der linken Hand, wo sie hineinstechen müsse, daß das Ungeheuer sicher getödtet werde. Noch biß sich die Bestie immer tiefer und tiefer ein, während die Tochter den kühnen und glücklichen Stich that, und ein paarmal das Messer in der Wunde umkehrte. Aber jezt schoß das heisse schwarze Blut wie ein Strom aus der tödlichen Wunde hervor, das Best fieng an die Augen zu verdrehen, und es war ihm nicht, als wenn es noch viele Buben und Mägdlein verreissen wollte. Aber erst nachdem es sich völlig verblutet hatte, war man im Stande die Brust des braven Machin von ihm los zu machen, so fest hatte es sich mit seinen mörderischen Zähnen eingehauen. Drauf wurde das Unthier vollends todtgeschlagen und verlocht. Machin aber hatte doch lange an seiner Brust zu leiden und zu heilen, und sagt, er wolle sein lebenlang dran denken.


Unglück in Koppenhagen.

Das sollte man nicht glauben, daß eine Granade, die in den unglücklichen September-Tagen 1807. nach Koppenhagen geworfen wurde, noch im July 1808. losgehen werde. Zwey Knaben fanden sie unter der Erde. Einer von ihnen wollte sie mit einem [195] Nagel von dem anhängenden Grunde reinigen. Plötzlich gerieth sie in Brand, zersprang, tödtete den einen auf der Stelle, nahm dem andern die Beine weg, und zerquetschte der Mutter, die mit einem Säugling an der Brust sorglos zusah, den Arm. Dieß lehrt vorsichtig seyn mit alten Granaden und Bomben-Kugeln.


Merkwürdige Schicksale eines jungen Engländers.

Eines Tages reiste ein junger Engländer auf dem Postwagen zum erstenmal in die große Stadt London, wo er von den Menschen, die daselbst wohnen, keinen einzigen kannte, als seinen Schwager, den er besuchen wollte, und seine Schwester, so des Schwagers Frau war. Auch auf dem Postwagen war neben ihm Niemand, als der Condukteur, das ist, der Aufseher über den Postwagen, der auf alles Acht haben, und an Ort und Stelle über die Briefe und Pakete Red und Antwort geben muß; und die zwey Reise-Kameraden dachten damals nicht daran, wo sie einander das nächstemal wieder sehen würden. Der Postwagen kam erst in der tiefen Nacht in London an. In dem Posthause konnte der Fremde nicht über Nacht bleiben, weil der Postmeister daselbst ein vornehmer Herr ist, und nicht wirthet, und des Schwagers Haus wußte der arme Jüngling, in der ungeheuer großen Stadt, bey stockfinsterer Nacht, so wenig zu finden, als in einem Wagen voll Heu eine Stecknadel. Da sagte zu ihm der Condukteur: „Junger Herr, kommt ihr mit mir! Ich bin zwar auch nicht hier daheim, aber ich habe, wenn ich nach London [196] komme, bey einer Verwandten ein Stüblein, wo zwey Better stehen. Meine Base wird euch schon beherbergen, und morgen könnt ihr euch alsdann nach eures Schwagers Haus erkundigen, wo ihrs besser finden werdet.“ Das ließ sich der junge Mensch nicht zweymal sagen. Sie tranken bey der Frau Base noch einen Krug englisches Bier, aßen eine Knakwurst dazu, und legten sich dann schlafen. In der Nacht kam den Fremden eine Nothdurft an, und mußt hinaus gehn. Da war er schlimmer dran, als noch nie. Denn er wußte in seiner dermaligen Nachtherberge, so klein sie war, so wenig Bericht, als ein paar Stunden vorher in der großen Stadt. Zum Glück aber wurde der Condukteur auch wach, und sagte ihm wie er gehen müsse, links und rechts, und wieder links. „Die Thüre, fuhr er fort, ist zwar verschlossen, wenn ihr an Ort und Stelle kommt, und wir haben den Schlüssel verloren. Aber nehmt in meinem Rockelor-Sack mein großes Messer mit, und schiebt es zwischen dem Thürlein und dem Pfosten hinein, so springt inwendig die Falle auf! Geht nur dem Gehör nach! Ihr hört ja die Themse rauschen, und zieht etwas an, die Nacht ist kalt.“ Der Fremde erwischte in der Geschwindigkeit und in der Finsterniß das Camisol des Condukteurs, statt des seinen, zog es an, und kam glücklich an den Platz. Denn er schlug es nicht hoch an, daß er unterwegs einmal den Rang zu kurz genommen hatte, so, daß er mit der Nase an ein Eck anstieß, und wegen dem hitzigen Bier, so er getrunken hatte, entsetzlich blutete. Allein, ob dem starken Blutverlust und der Verkältung bekam er eine Schwäche, und schlief ein. [197] Der nachtfertige Condukteur wartete und wartete, wußte nicht, wo sein Schlafkamerad so lange bleibt, bis er auf der Gasse einen Lärm vernahm, da fiel ihm im halben Schlaf der Gedanke ein: „Was gilts, der arme Mensch ist an die Haus-Thüre kommen, ist auf die Gasse hinausgegangen, und gepreßt worden.“ Denn wenn die Engländer viel Volk auf ihre Schiffe brauchen, so gehen unversehens bestellte starke Männer Nachts in den gemeinen Wirthsstuben, in verdächtigen Häusern und auf der Gasse herum, und wer ihnen alsdann in die Hände kommt und tauglich ist, den fragen sie nicht lange: Landsmann, wer bist du? oder Landsmann, wer seid ihr? sondern machen kurzen Prozeß, schleppen ihn, – gern oder ungern, – fort auf die Schiffe, und Gott befohlen! Solch eine nächtliche Menschenjagd nennt man Pressen; und deßwegen sagte der Condukteur: „Was gilts, er ist gepreßt worden!“ – In dieser Angst sprang er eilig auf, warf seinen Rockelor um sich, und eilte auf die Gasse, um wo möglich den armen Schelm zu retten. Als er aber eine Gasse und zwey Gassen weit dem Lärmen nachgegangen war, fiel er selber den Pressern in die Hände, wurde auf ein Schiff geschleppt, – ungern – und den andern Morgen weiters. Weg war er. Nachher kam der junge Mensch im Hause wieder zu sich, eilte, wie er war, in sein Bette zurück, ohne den Schlafkameraden zu vermißen, und schlief bis in den Tag. Unterdessen wurde der Condukteur, um 8 Uhr auf der Post erwartet, und als er immer und immer nicht kommen wollte, wurde ein Postbedienter abgeschickt, ihn zu suchen. Der fand keinen Condukteur, aber einen Mann mit blutigem [198] Gewand im Bett liegen, auf dem Gang ein großes offenes Messer, Blut bis auf den Abtritt, und unten rauschte die Themse. Da fiel ein böser Verdacht auf den blutigen Fremdling, er habe den Condukteur ermordet und in das Wasser geworfen. Er wurde in ein Verhör geführt, und als man ihn visitirte und in den Taschen des Kamisols, das er noch immer an hatte, einen ledernen Geldbeutel fand, mit dem wohlbekannten silbernen Petschaftring des Condukteurs am Riemen befestigt, da war es um den armen Jüngling geschehn. Er berief sich auf seinen Schwager, – man kannte ihn nicht – auf seine Schwester, man wußte von ihr nichts. Er erzählte den ganzen Hergang der Sache, wie er selber sie wußte. Aber die Blutrichter sagten: „Das sind blaue Nebel, und ihr werdet gehenkt.“ Und wie gesagt, so geschehn, noch am nemlichen Nachmittag nach engländischem Recht und Brauch. Mit dem engländischen Brauch aber ist es so: Weil in London der Spitzbuben viele sind, so macht man mit denen, die gehenkt werden, kurzen Prozeß, und bekümmern sich nicht viele Leute darum, weil mans oft sehen kann. Die Missethäter, so viel man auf einmal hat, werden auf einen breiten Wagen gesetzt, und bis unter den Galgen geführt. Dort hängt man den Strick in den bösen Nagel ein, fahrt alsdann mit dem Wagen unter ihnen weg, läßt die schönen Gesellen zappeln, und schaut nicht um. Allein in England ist das Hängen nicht so schimpflich wie bey uns, sondern nur tödlich. Deßwegen kommen nachher die nächsten Verwandten des Missethäters, und ziehn so lange unten an den Beinen, bis der Herr Vetter oben erstickt. Aber [199] unserm Fremdling that niemand diesen traurigen Dienst der Liebe und Freundschaft an, bis Abends ein junges Ehepaar, Arm in Arm, auf einem Spaziergang von ungefähr über den Richtplatz wandelte, und im Vorbeygehen nach dem Galgen schaute. Da fiel die Frau, mit einem lauten Schrey des Entsetzens, in die Arme ihres Mannes: „Barmherziger Himmel, da hängt unser Bruder!“ Aber noch größer wurde der Schrecken, als der Gehenkte bey der bekannten Stimme seiner Schwester die Augenlieder aufschlug, und die Augen fürchterlich drehte. Denn er lebte noch, und das Ehepaar, das vorüber gieng, war die Schwester und der Schwager. Der Schwager aber, der ein entschlossener Mann war, verlor die Besinnung nicht, sondern dachte in der Stille auf Rettung. Der Platz war entlegen, die Leute hatten sich verlaufen, und um Geld und gute Worte gewann er ein paar beherzte und vertraute Pursche, die nahmen den Gehenkten, mir nichts dir nichts, ab, als wenn sie das Recht dazu hätten, und brachten ihn glücklich und unbeschrieen in des Schwagers Haus. Dort ward er in wenig Stunden wieder zu sich gebracht, bekam ein kleines Fieber, und wurde unter der lieben Pflege seiner getrösteten Schwester bald wieder völlig gesund. Eines Abends aber sagte der Schwager zu ihm: Schwager! ihr könnt nun in dem Land nicht bleiben. Wenn ihr entdeckt werdet, so könnt Ihr noch einmal gehenkt werden, und ich dazu. Und, wenn auch nicht, so habt ihr ein Halsband an eurem Hals getragen, das für euch und eure Verwandten ein schlechter Staat war. Ihr müßt nach Amerika. Dort will ich für euch sorgen. Das sah der gute Jüngling [200] ein, gieng bey der ersten Gelegenheit in ein vertrautes Schiff, und kam nach 80 Tagen glücklich in dem Seehafen von Philadelphia an. Als er aber hier an einem landfremden Orte mit schwerem Herzen wieder an das Ufer stieg; und als er eben bei sich selber dachte: „Wenn mir doch Gott auch nur einen einzigen Menschen entgegen führte, der mich kennt;“ siehe da kam in armseliger Schiffskleidung der Condukteur. Aber so groß sonst die Freude des unverhoften Wiedersehens an einem solchen fremden Orte ist, so war doch hier der erste Willkomm schlecht genug. Denn der Condukteur, als er seinen Mann erkannte, gieng er mit geballter Faust auf ihn los: „Wo führt euch der Böse her, verdammter Nachtläufer? wißt ihr, daß ich wegen euch bin gepreßt worden?“ Der Engländer aber sagte: „Goddam, ihr vermaledeiter Ueberall und Nirgends, wißt ihr, daß man wegen euch mich gehenkt hat?“ hernach aber giengen sie miteinander ins Wirthshaus zu den 3 Cronen in Philadelphia, und erzählten sich ihr Schicksal. Und der junge Engländer, der in einem Handlungshaus gute Geschäfte machte, ruhte nachher nicht, bis er seinen guten Freund loskaufte und wieder nach London zurück schicken konnte.


Der unschuldig Gehenkte.

Folgende unglückliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart zugetragen. Mehrere Knaben hüteten mit einander an einer Berghalte unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister. In der Langweile trieben sie allerley, und ahmten unter einander, wie dieses Alter [201] zu thun pflegt, die Handlungen und Geschäfte der erwachsenen Menschen spielend nach. Eines Tages sagte der Eine von ihnen: „Ich will der Dieb seyn.“ – „So will ich das Ober-Amt seyn“, sagte der Zweyte. „Seyd ihr die Hatschiere“, sagte er zum Dritten und Vierten, „und du bist der Henker,“ sprach er zum Fünften. Gut! Der Dieb stielt einem seiner Kameraden heimlich ein Messer und sezt sich auf flüchtigen Fuß; der Bestohlene klagt bey Oberamt; die Hatschiere streifen im Revier, attrapieren den Dieb in einem hohlen Baum und liefern ihn ein. Der Richter verurtheilt ihn zum Tode. Unterdessen hört man im Wald einen Schuß fallen; Hundegebell erhebt sich. Man achtet’s nicht. Der Henker wirft dem Malefikanten kurz und gut einen Strick um den Hals und henkt ihn im Unverstand und Leichtsinn an einen Aststumpen an einem Baumstamm, also daß er mit den Füßen nicht gar kann die Erde berühren, denkt, ein paar Augenblicke kann ers schon aushalten. Plötzlich rauscht es im dürren Laub im Wald; es knackt und kracht im dichten Gehörst; ein schwarzer wilder Eber bricht zottig und blitzend aus dem Wald hervor und läuft über den Richtplatz. Die Hirtenbuben, denen es ohnehin halb zu Muth war, als ob es doch nicht ganz recht wäre, mit einer so ernsthaften und bedenklichen Sache Muthwillen zu treiben, erschrecken, meynen, es sey der böse Feind, vor dem uns Gott behüte, laufen vor Angst davon, einer von ihnen ins Dorf, und erzählt, was geschehen sey. Aber als man kam, um den Gehenkten abzulösen, war er erstickt und todt. Dieß ist eine Warnung. Das Oberamt und die Hatschiere kamen nachher auf drey Wochen ins Zuchthaus, und der Henker auf sechs. Daß aber der Eber [202] soll der schwarze Feind gewesen seyn, hat sich nicht bestätigt. Denn er wurde von den nacheilenden Jägern erlegt und zum Forstamt geliefert; der Schwarze aber befindet sich noch am Leben.


Der Rekrut.

Zum schwäbischen Kreiscontingent kam im Jahr 1795. ein Rekrut, so ein schöner wohlgewachsener Mann war. Der Offizier fragte ihn, wie alt er sey. Der Rekrut antwortete: „Ein und zwanzig Jahr. Ich bin ein ganzes Jahr lang krank gewesen, sonst wär ich zwey und zwanzig.“


Böser Markt.

In der großen Stadt London und rings um sie her giebt es ausserordentlich viel gute Narren, die an anderer Leute Geld oder Sackuhren oder kostbaren Fingerringen eine kindische Freude haben, und nicht ruhen, bis sie dieselben haben. Dieß bringen sie zuweg manchmal durch List und Betrug, noch öfter durch kühnen Angriff, manchmal am hellen lichten Tag und an der offenen Landstraße. Einem gerathet es, dem andern nicht. Der Kerkermeister zu London und der Scharfrichter wissen davon zu erzählen. Eine seltsame Geschichte begegnete aber eines Tags einem vornehmen und reichen Mann. Der König und viele andere große Herren und Frauen waren an einem schönen Sommertage in einem großen königlichen Garten versammelt, dessen lange gewundene Gänge sich in der Ferne in einem Wald verloren. Viele andere Personen waren auch [203] zugegen, denen es nicht auf einen Gang und auf ein paar Stunden ankam, ihren geliebten König und seine Familie froh und glücklich zu sehen. Man aß und trank, man spielte und tanzte; man gieng spazieren in den schönen Gängen und zwischen dem duftenden Rosengebüsch paarweise und allein wie es sich traf. Da stellte sich ein Mensch, wohl gekleidet, als wenn er auch dazugehörte, mit einer Pistole unter dem Rock, in einer abgelegenen Gegend an einen Baum, wo der Garten an den Wald gränzt, dachte es wird schon jemand kommen. Wie gesagt, so geschehen, kommt ein Herr mit funkelndem Fingerring, mit klingenden Uhrenketten, mit diamantnen Schnallen, mit breitem Ordens-Band und goldnem Stern, will spatzieren gehn im kühlem Schatten, und denkt an nichts. Indem er an nichts denkt, kommt der Geselle hinter dem Baum hervor, macht dem guten Herrn ein bescheidenes Compliment, zieht die Pistole zwischen dem Rock und Camisol heraus, richtet ihre Mündung auf des Herrn Brust, und bittet ihn höflich, keinen Lärm zu machen, es brauche niemand zu wissen, was sie miteinander zu reden haben. Man muß übel dran seyn, wenn man vor einer Pistole steht, weil man nicht weiß, was drin steckt. Der Herr dachte vernünftig: „der Leib ist kostbarer als das Geld: lieber den Ring verloren, als den Finger; und versprach zu schweigen.“ Gnädiger Herr, fuhr jezt der Geselle fort: „Wären euch eure zwey goldenen Uhren nicht feil für gute Bezahlung? Unser Schulmeister richtet die Uhr alle Tage anders, man weiß nie wie man dran ist, und an der Sonnenuhr sind die Zahlen verwischt.“ Will der reiche Herr wohl oder übel, so muß er dem Halunken die Uhren verkaufen für ein paar Stüber oder [204] etwas, so man kaum ein Schöplein dafür kann trinken. Und so handelt ihm der Spitzbube Ring und Schnallen und Ordensstern und das goldene Herz, so er vorne auf der Brust im Hemd hatte, Stück für Stück ab um schlechtes Geld, und immer mit der Pistole in der linken Hand. Als endlich der Herr dachte: „Jezt bin ich absolvirt, Gottlob!“ fieng der Spitzbube von neuem an: „Gnädiger Herr, weil wir so gut miteinander zurecht kommen, wolltet ihr mir nicht auch von meinen Waaren etwas abhandeln?“ der Herr denkt an das Sprichwort, daß man müsse zu einem bösen Markt ein gutes Gesicht machen, und sagt: „Laßt sehen!“ Da zog der Bursche allerley Kleinigkeiten aus der Tasche hervor, so er vom Zweybatzen-Krämer gekauft, oder auch schon auf einer ungewischten Bank gefunden hatte, und der gute Herr mußte ihm alles abkaufen, Stück für Stück um theures Geld. Als endlich der Spitzbube nicht mehr als die Pistole übrig hatte, und sah, daß der Herr noch ein paar schöne Dublonen in dem grünen seidenen Geldbeutel hatte, sprach er noch: „Gnädiger Herr, wolltet ihr mir für den Rest, den ihr da in den Händen habt, nicht die Pistole abkaufen? Sie ist vom besten Büchsenschmid in London, und zwey Dublonen unter Brüdern werth.“ Der Herr dachte in der Ueberraschung: „Du dummer Dieb!“ und kauft die Pistole. Als er aber die Pistole gekauft hatte, kehrte er den Stiel um, und sprach: Nun halt, sauberer Geselle, und geh augenblicklich voraus, wohin ich dich heißen werde, oder ich schieße dich auf der Stelle todt. Der Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald, und sagte: Schießt herzhaft los, gnädiger Herr, sie ist nicht geladen. Der Herr drückte ab, und es gieng wirklich nicht los. Er ließ den [205] Ladstock in den Lauf fallen, und es war kein Körnlein Pulver darinn. Der Dieb aber war unterdessen schon tief im Wald; und der vornehme Engländer gieng schamroth zurück, daß er sich also habe in Schrecken setzen lassen, und dachte an Vieles.


Die Cometen.

Der geneigte Leser ist nun bereits ein ganz anderer Mann, als vor kurzer Zeit, und wenn jetzt einmal im wilden Mann oder in den drey Königen von den Planeten die Rede ist, und der Mars wird genannt, oder die Juno, oder der Jupiter, oder der Saturn, oder der Uranus, so kann er auch ein Wort mitsprechen bey seinem Schöplein, und ist nicht schuldig zu gestehn, daß ers aus dem Hausfreund hat. Der Hausfreund verlangts nicht.

Jetzt kommen wir zu den Cometsternen.

Von den Cometsternen wäre nun viel zu sagen, weil man nicht viel von ihnen weiß. Allein der Hausfreund hat nie damit umgehen können den Leuten etwas anzubinden, zum Exempel einen Bären, und will sich deswegen kurz fassen, und alles in einer Predigt abthun, ob es gleich nicht nur eilf Cometsterne gibt, wie man nur von eilf Planeten weiß, sondern schon viel mehr als 400 seit undenklichen Zeiten entdeckt und beobachtet worden sind.

Ein solcher Cometstern ist nun allemal eine sehr merkwürdige Erscheinung, wenn er so auf einmal unangemeldet und unbeschieden am Himmel sichtbar wird, und da steht, und sagt kein Wort, zumal ein solcher, [206] wie im Jahr 1680 der 4mal so groß schien als der Abendstern, oder 146 Jahr vor Christi Geburt, der größer soll ausgesehen haben, als die Sonne, oder im Jahr 1769, dessen Schweif durch den 4ten Theil des Himmels reichte, oder wenn gar zwey zugleich erscheinen, was auch schon geschehen ist. Es ist alsdann allemal, als wenn der liebe Gott einen Sternseher, ich will sagen, den rheinischen Hausfreund, also anredete: „Meinst du, daß du jetzt fertig seyst, und die Sterne des Himmels alle kennest? Sieh, da ist auch noch einer, den du noch nie gesehen hast, und wirst jetzt erst nicht wissen, was du daraus machen sollst.“ Andere Leute aber schauen das Wundergestirn auch mit Begierde und Staunen an, und die Mutter zeigt es dem Kind, und sagt: „Sieh, wie wunderbar die göttliche Allmacht ist!“

Solche Cometsterne nun, sind einander nicht alle gleich, auch der nämliche, so lang man ihn beobachten kann, verändert oft sein Aussehen, sie sind bald heller bald trüber, bald größer bald kleiner, rund und eckig, näher oder weiter von uns entfernt. Der Comet im Jahr 1770, war daheim 13mal größer als der Mond, ob man ihn gleich wegen der weiten Entfernung hier zu Land nicht dafür angesehen hat. Einer im J. 1680, war 160mal näher bey der Sonne, als die Erde bey ihr ist. Einer im J. 1770, war 7mal weiter von der Erde weg als der Mond. Einige sind so weit entfernt, oder so klein, daß nur wir Sternseher und Kalendermacher mit unsern Perspektiven sie entdecken können, andere kann man ohne Zweifel gar nicht sehen, weil sie zu weit entfernt sind, oder bey Tag am Himmel stehen.

[207]

Die Cometsterne haben viel ähnliches mit den Planeten und drehen sich eben so wie sie um die Sonne herum. Aber sie sind auch wieder sehr von den Planeten verschieden. Sie werden nur selten sichtbar – sie haben keine so feste und kernhafte Masse als die Erde oder andere Planeten – sie sind mit einem schönen leuchtenden Schweif geziert. – Sie bedeuten ein großes Unglück.

Sage erstens, sie erscheinen viel seltener, als die Planeten, die alle Tage am Himmel auf und untergehen, denn sie sind nicht immer so nahe bey der Sonne oder bey uns, wie die Planeten. Nein, sondern sie sind rechte Nachtläufer und scheuen sich nicht in die Fremde zu gehen, wie manches Mutterkind sich scheut. Wenn so ein Stern einmal um die Sonne herum ist, und hat sich an ihr erwärmt, und einen kräftigen Sommer gehabt, so zieht er in einer langen langen Linie hinweg und in seinen Winter hinaus, weiß niemand wohin. Wenn er alsdann 30 oder 100 oder viele hundert Jahre lang immer weiter und weiter hinweg gezogen ist, und es fällt ihm ein, so kehrt er wieder um, damit er sich wieder einmal an der lieben Sonne recht erwärmen kann, und braucht wieder ebensoviel Zeit zu seiner Herreise, und selten einer, der ihn zum erstenmal gesehen hat, wartets aus bis er wieder kommt, sondern legt sich schlafen, und bekümmert sich nachher nichts mehr darum. Es ist aufgeschrieben, daß ein Comet im Jahr 1456, einer im Jahr 1531, einer im Jahr 1607, einer im Jahr 1682 gestanden sey. Weil nun immer von einer Zeit zur andern ein Zwischenraum von ungefähr 76 Jahren etwas mehr oder weniger verflossen war, so [208] behauptete ein gelehrter Mann, Namens Halley, es sey allemal der nämliche gewesen, und er müßte längstens bis Anno 1759 wieder kommen, was auch richtig geschehen ist, und so muß er ungefähr im Jahr 1830 ebenfalls wieder erscheinen. Der Hausfreund wills seinem Nachfolger überlassen, den geneigten Leser bis dorthin wieder daran zu erinnern. Eben so behauptete einst ein anderer Gelehrter, der Cometstern von 1532 und 1661 sey der nehmliche und müsse deshalb im Jahr 1790. wieder kommen, ist aber doch ausgeblieben.

Sage zweitens, der Cometstern hat keine so feste Masse, wie die Erde, oder ein anderer Planet. Einige sehen aus, wie ein blosser Dunst, also, daß man durch sie hindurch die andern Sternlein will sehen können, die hinter ihnen stehen. Andere sind zwar schon etwas dichter, haben aber doch das Ansehen, als wenn nicht alles daran recht aneinander hienge, sondern viel leere Zwischenräume da wären. Einige Gelehrte wollen jedoch behaupten, daß ein solcher Comet auf seiner langen Reise, wenn ihm unterwegs kein Unglück begegnet, immer dichter werden, und zulezt die völlige Natur und Eigenschaft eines Planeten annehmen könne. Unsere Erde könne wohl auch einmal eine bloße Dunstkugel von viel 1000 Meilen im Umfang gewesen seyn, hernach sey sie immer wässeriger worden, dann habe sich das feste Land angesetzt, das Land und das Wasser habe sich geschieden, und sey zuletzt das draus worden, was jetzt ist. Aus Respekt vor der himmlischen Allmacht mischt sich der Hausfreund nicht in diesen Streit.

Sage drittens, die Cometsterne sind mit einem schönen leuchtenden Schweif geziert, aber nicht alle. Einige [209] zum Beyspiel haben rings um sich bloß einen Strahlenschein, als wenn sie mit leuchtenden Haaren eingefaßt wären, wie in den großen Bibeln die Köpfe der heiligen Evangelisten und Apostel aussehen, und Johannes des Täufers. Hat aber ein solcher Stern einen Schweif, so[1] hat er allemal das Ansehen eines Dunstes, der von Strahlen erhellt ist. Man kann hinter ihm immer die Sterne sehen, an denen er vorbey zieht, er ist immer etwas gebogener, wird bald größer bald kleiner, heller und bleicher. Er ist nie auf der Seite des Cometen, die gegen der Sonne steht, sondern allemal auf der entgegengesetzten. Sonst weiß man noch nicht für gewiß, was es mit ihm für eine Bewandtniß hat. Dem Hausfreund will manchmal vorkommen, es sey nur der Schein von Sonnenstrahlen die durch den dunstigen oder wässerigen Cometen hindurch fallen. Der geneigte Leser beliebe aber vorsichtig zu seyn, mit diesem Geheimniß, denn es wissens noch nicht viel Leute.

Sage viertens, der Comet bedeutet ein Unglück. Man darf sicher darauf rechnen, entweder es entsteht innerhalb Jahresfrist ein Krieg, oder ein Erdbeben, oder es gehen ganze Städte und Königreiche unter, oder es stirbt ein mächtiger Monarch, oder geschieht sonst etwas, woran niemand eine Freude haben kann. Dies ist aber nicht so zu verstehen, als wenn der Comet das Unglück herbey zöge, oder deswegen erschiene, um wie ein Postreuter es anzuzeigen. Nein, der Comet weiß nichts von uns. Er kommt wenn seine Stunde da ist. Man kann ihn auf den andern Planeten ebenso gut sehen als auf der Erde. Wir aber da unten, mit unsern Leiden und Freuden, mit unsern Herzen voll Furcht und Hoffnung, mit unsern

Anmerkungen (Wikisource)[Bearbeiten]

  1. fehlender Buchstabe, sinngemäß richtig: so

[210] Lustgärten und Kirchhöfen, sind in Gottes Hand. Allein es geschieht auf dem weiten Erdenrund, irgendwo, diesseits oder jenseits des Meeres, alle Jahre so gewiß ein großes Unglück, daß diejenigen, welche aus einem Cometen Schlimmes prophezeihen, gewonnen Spiel haben, er mag kommen, wann er will. Gerade als wenn ein schlauer Gesell in einem großen Dorf oder Marktflecken in der Neujahrsnacht auf der Straße stünde und nach den Sternen schaute und sagte: „Ich sehe kuriose Sachen da oben, dieses Jahr stirbt jemand im Dorf.“ Der geneigte Leser darf nur an die lezten 20 Jahre zurück denken, an die Revolutionen und Freiheitsbäume hin und wieder, an den plötzlichen Tod des Kaisers Leopolds, an das Ende des König Ludwigs des sechszehnten, an die Ermordung des türkischen Kaisers, an die blutigen Kriege in Deutschland, in den Niederlanden, in der Schweitz, in Italien, in Polen, in Spanien, an die Schlachten bey Austerlitz und Eylau, bey Eßlingen und Wagram, an das gelbe Fieber, an die Petechen und Viehseuchen, an die Feuersbrünste in Koppenhagen, Stockholm und Konstantinopel, an die Zucker- und Caffeetheurung, leider, wenn von 1789 bis 1810 alle Jahre ein anderer Comet, ja sechs auf einmal am Himmel erschienen wären, es wäre keiner von ihnen mit Schimpf bestanden.

So viel von den Cometen. Die Sterne, welche nächstens sollen beschrieben werden, bedeuten insgesamt Frieden und Liebe und Gottes allmächtigen Schutz. [211]


Der silberne Löffel.

In Wien dachte ein Officier: Ich will doch auch einmal im rothen Ochsen zu Mittag essen, und geht in den rothen Ochsen. Da waren bekannte und unbekannte Menschen, Vornehme und Mittelmäßige, ehrliche Leute und Spitzbuben, wie überall. Man aß und trank, der eine viel, der andere wenig. Man sprach und disputirte von dem und jenem, zum Exempel von dem Steinregen bey Stannern in Mähren, von dem Machin in Frankreich, der mit dem großen Wolf gekämpft hat. Das sind dem geneigten Leser bekannte Sachen, denn er erfährt durch den Hausfreund alles ein Jahr früher, als andere Leute. – Als nun das Essen fast vorbey war, einer und der andere trank noch eine halbe Maaß Ungarwein zum Zuspitzen, ein anderer drehte Kügelein aus weichem Brod, als wenn er ein Apotheker wär, und wollte Pillen machen, ein dritter spielte mit dem Messer oder mit der Gabel, oder mit dem silbernen Löffel. Da sah der Officier von ungefähr zu, wie einer, in einem grünen Rocke, mit dem silbernen Löffel spielte, und wie ihm der Löffel auf einmal in den Rockermel hineinschlüpfte und nicht wieder heraus kam.

Ein anderer hätte gedacht: was gehts mich an? und wäre still dazu gewesen, oder hätte großen Lermen angefangen. Der Officier dachte: Ich weiß nicht, wer der grüne Löffelschütz ist, und was es für einen Verdruß geben kann, und war mausstill, bis der Wirth kam und das Geld einzog. Als der Wirth kam und das Geld einzog, nahm der Officier auch einen silbernen Löffel und steckte ihn zwischen zwey Knopflöcher im Rocke, zu einem hinein, zu andern [212] hinaus, wie es manchmal die Soldaten im Kriege machen, wenn sie den Löffel mitbringen, aber keine Suppe. – Während dem der Officier seine Zeche bezahlte, und der Wirth schaute ihm auf den Rock, dachte er: „Das ist ein kurioser Verdienstorden, den der Herr da anhängen hat. Der muß sich im Kampf mit einer Krebssuppe hervor gethan haben, daß er zum Ehrenzeichen einen silbernen Löffel bekommen hat, oder ists gar einer von meinen eigenen?“ Als aber der Officier dem Wirth die Zeche bezahlt hatte, sagte er mit ernsthafter Miene: „Und der Löffel geht ja drein. Nicht wahr? Die Zeche ist theuer genug dazu.“ Der Wirth sagte: „So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Wenn ihr keinen Löffel daheim habt, so will ich euch einen Patent-Löffel schenken, aber meinen silbernen laßt mir da. Da stand der Officier auf, klopfte dem Wirth auf die Achsel und lächelte. „Wir haben nur Spaß gemacht, sagte er, ich und der Herr dort in dem grünen Rocke. Gebt ihr euern Löffel wieder aus dem Ermel heraus, grüner Herr, so will ich meinen auch wieder hergeben. Als der Löffelschütz merkte, daß er verrathen sey, und daß ein ehrliches Auge auf seine unehrliche Hand gesehen hatte, dachte er: Lieber Spaß als Ernst, und gab seinen Löffel ebenfalls her. Also kam der Wirth wieder zu seinem Eigenthum und der Löffeldieb lachte auch – aber nicht lange. Denn als die andern Gäste das sahen, jagten sie den verrathenen Dieb mit Schimpf und Schande zum Tempel hinaus, und der Wirth schickte ihm den Hausknecht mit einer Handvoll ungebrannter Asche nach. Den wackern Officier aber bewirthete er noch mit einer Bouteille [213] voll Ungarwein auf das Wohlseyn aller ehrlichen Leute.

Merke: Man muß keine silbernen Löffel stehlen.

Merke: Das Recht findet seinen Knecht.


Einträglicher Räthselhandel.

Von Basel fuhren eilf Personen in einem Schiffe den Rhein hinab. Ein Jude, der nach Schalampi wollte, bekam die Erlaubniß, sich in einen Winkel zu setzen, und auch mitzufahren, wenn er sich gut aufführen, und dem Schiffer achtzehn Kreutzer Trinkgeld geben wolle. Nun klingelte es zwar, wenn der Jude an die Tasche schlug, allein es war doch nur noch ein Zwölfkreuzerstück darin; denn das andere war ein messingener Knopf. Dessen ungeachtet nahm er die Erlaubniß dankbar an. Denn er dachte: „Auf dem Wasser wird sich auch noch etwas erwerben lassen. Es ist ja schon mancher auf dem Rhein reich worden.“ Im Anfang und von dem Wirthshaus zum Kopf weg war man sehr gesprächig und lustig, und der Jude in seinem Winkel, und mit seinem Zwerchsack an der Achsel, den er ja nicht ablegte, mußte viel leiden, wie mans manchmal diesen Leuten macht und versündigt sich daran. Als sie aber schon weit an Hüningen und an der Schuster-Insel vorbey waren, und an Märkt und an den Isteiner Klotz und St. Veit vorbey, wurde einer nach dem andern stille und gähnten und schauten den langen Rhein hinunter, bis wieder einer anfieng: Mausche, fieng er an, weißt du nichts, daß uns die Zeit vergeht. Deine Väter müssen doch auch auf allerley gedacht haben in [214] der langen Wüste.“ – Jezt, dachte der Jude, ist es Zeit das Schäflein zu scheren, und schlug vor, man sollte sich in der Reihe herum allerley kuriose Fragen vorlegen, und er wolle mit Erlaubniß auch mit halten. Wer sie nicht beantworten kann, soll dem Aufgeber ein Zwölfkreuzerstück bezahlen, wer sie gut beantwortet, soll einen Zwölfer bekommen. Das war der ganzen Gesellschaft recht, und weil sie sich an der Dummheit oder an dem Witz des Juden zu belustigen hofften, fragte jeder in den Tag hinein, was ihm einfiel. So fragte z. B. der Erste: Wie viel weichgesottene Eyer konnte der Riese Goliath nüchtern essen? – Alle sagten, das sey nicht zu erraten und bezahlten ihre Zwölfer. Aber der Jud sagte: „Eins, denn wer Ein Ey gegessen hat, ißt das Zweite nimmer nüchtern. Der Zwölfer war gewonnen.

Der Andere dachte: Wart Jude, ich will dich aus dem Neuen Testament fragen, so soll mir dein Zwölfer nicht entgehen. „Warum hat der Apostel Paulus den zweiten Brief an die Corinther geschrieben? Der Jud sagte: „Er wird nicht bey ihnen gewesen seyn, sonst hätt’ ers ihnen mündlich sagen können.“ Wieder ein Zwölfer.

Als der Dritte sah, daß der Jude in der Bibel so gut beschlagen sey, fieng ers auf eine andere Art an: Wer zieht sein Geschäft in die Länge, und wird doch zu rechter Zeit fertig? Der Jud sagte: Der Seiler, wenn er fleißig ist.

Der Vierte. Wer bekommt noch Geld dazu, und läßt sich dafür bezahlen, wenn er den Leuten etwas weiß macht? Der Jud sagte: Der Bleicher. [215]

Unterdessen näherte man sich einem Dorf, und einer sagte: das ist Bamlach. Da fragte der Fünfte: In welchem Monat essen die Bamlacher am wenigsten? Der Jud sagte: „Im Hornung, denn der hat nur 28 Tage.“

Der Sechste sagt: „Es sind zwey leibliche Brüder, und doch ist nur einer davon mein Vetter.“ Der Jud sagte: Der Vetter ist eures Vaters Bruder. Euer Vater ist nicht euer Vetter.

Ein Fisch schnellte in die Höhe, so fragt der siebente: „Welche Fische haben die Augen am nächsten beysammen?“ Der Jud sagte: Die kleinsten.

Der Achte fragt: „Wie kann einer zur Sommerszeit im Schatten von Bern nach Basel reiten, wenn auch die Sonne noch so heiß scheint?“ Der Jud sagt: Wo kein Schatten ist, muß er absteigen und zu Fuße gehn.

Fragt der Neunte: „Wenn einer im Winter von Basel nach Bern reitet, und hat die Handschuhe vergessen, wie muß ers angreifen, daß es ihn nicht an die Hand friert?“ Der Jud sagt: Er muß aus der Hand eine Faust machen.

Fragt der Zehnte: „Warum schlüpfet der Küfer in die Fässer?“ Der Jud sagt: Wenn die Fässer Thüren hätten, könnte er aufrecht hineingehen.

Nun war noch der Eilfte übrig. Dieser fragte: „Wie können fünf Personen fünf Eyer theilen, also daß jeder eins bekomme, und doch eins in der Schüssel bleibe?“ Der Jude sagte: Der Letzte muß die Schüssel sammt dem Ey nehmen, dann kann er es darin liegen lassen, so lang er will.

Jetzt war die Reihe an ihm selber, und nun dachte [216] er erst einen guten Fang zu machen. Mit viel Complimenten und spitzbübischer Freundlichkeit fragte er: Wie kann man zwey Forellen in drey Pfannen backen, also daß in jeder Pfanne Eine Forelle liege. Das brachte abermal keiner heraus und einer nach dem andern gab dem Hebräer seinen Zwölfer.

Der Hausfreund hätte das Herz allen seinen Lesern, von Mayland bis nach Koppenhagen die nämliche Frage aufzugeben, und wollte ein hübsches Stück Geld daran verdienen, mehr als am Kalender, der ihm nicht viel einträgt. Denn als die Eilfe verlangten, er sollte ihnen für ihr Geld das Räthsel auch auflösen, wand er sich lange bedenklich hin und her, zuckte die Achsel, drehte die Augen. „Ich bin ein armer Jud“, sagte er endlich. Die Andern sagten: Was sollen diese Präambeln? Heraus mit dem Räthsel! – Nichts für ungut! – war die Antwort, – daß ich gar ein armer Jüd bin. – Endlich nach vielem Zureden, daß er die Auflösung nur heraus sagen sollte, sie wollten ihm nichts daran übelnehmen; griff er in die Tasche, nahm einen von seinen gewonnenen Zwölfern heraus, legte ihn auf das Tischlein, so im Schiffe war, und sagte: „Daß ichs auch nicht weiß. Hier ist mein Zwölfer!“

Als das die andern hörten, machten sie zwar große Augen, und meinten, so seys nicht gewettet. Weil sie aber doch das Lachen selber nicht verbeißen konnten, und waren reiche und gute Leute, und der hebräische Reisegefährte hatte ihnen von Kleinen Kems bis nach Schalampi die Zeit verkürzt, so ließen sie es gelten, und der Jud hat aus dem Schiff getragen – das soll mir ein fleißiger Schüler im Kopf ausrechnen: [217] Wie viel Gulden und Kreutzer hat der Jud aus dem Schiff getragen? Einen Zwölfer und einen meßingenen Knopf hatte er schon. Eilf Zwölfer hat er mit Errathen gewonnen, eilf mit seinem eigenen Räthsel, einen hat er zurück bezahlt, und dem Schiffer 18 Kreutzer Trinkgeld entrichtet.


Des Seilers Antwort.

In Donauwerth wurde zu seiner Zeit ein Roßdieb gehenkt, und der Hausfreund hat schon manchmal gedacht: Wer heut an den Galgen, oder heut zu Tag ins Zuchthaus will, wozu braucht der ein Roß zu stehlen? Kommt man nicht zu Fuß früh genug? Der Donauwerther hat auch geglaubt, der Galgen laufe ihm davon, wenn er nicht reite, und ist das Roß einem ungeschickten Dieb in die Hände gefallen, so fiel der Dieb einem ungeschickten Henkersknecht in die Hände. Denn als ihm dieser das hänfene Halsband hatte angelegt, und stieß ihn von der Leiter vom Seigel herunter, so zuckte er noch lange mit den Augen hin und her, als wenn er sich noch ein Rößlein aussuchen wollte in der Menge. Denn unter den Zuschauern waren viele zu Pferd und auf Leiterwägen und dachten: Man siehts besser. Als aber das Volk anfieng, laut zu murren, und der ungeschickte Henker wußte sich nicht zu helfen, so warf er sich endlich in der Angst an den Gehenkten hin, umfaßte ihn mit beiden Armen, als wenn er wollte von ihm Abschied nehmen, und zog mit aller Kraft, damit die Schlinge fest zusammen gehen, und ihm den Athem tödten sollte. Da brach der Strick entzwei, und fielen [218] beide miteinander, auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben gewesen. Der Missethäter lebte noch und sein Advokat hat ihn nachher gerettet. Denn er sagte: „der Malefikant hat nur Ein Roß gestohlen, nicht zwei, so hat er auch nur Einen Strick verdient“, und hat hinten dran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie sie’s machen. Der Henker aber, als er Nachmittags den Seiler sah, fuhr ihn ungeberdig an: „Ist das auch ein Strick gewesen? sagte er; man hätte euch selber dran henken sollen.“ Der Seiler aber wußte zu antworten: „Es hat mir niemand gesagt, sagte der Seiler, daß er zwei Schelmen tragen soll. Für einen war er stark genug, du oder der Roßdieb.“


Der geheilte Patient.

Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen Gottlob der arme Mann nichts weiß, denn es giebt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern, und in den weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zuträge war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: Windet’s draußen, oder schnauft der Nachbar so? – Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls bald etwas Kaltes bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter langer Weile bis an den Abend, also, daß man bei ihm nie [219] recht sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte und wo das Nachtessen anfieng. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett, und war so müd, als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen, oder Holz gespalten hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen war, wie ein Maltersack. Essen und Schlaf wollte ihm nimmer schmecken, und er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht recht gesund und nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hörte, so hatte er 365 Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere. Alle Aerzte, die in Amsterdam sind, mußten ihm rathen. Er verschluckte ganze Feuereymer voll Mixturen, und ganze Schaufeln voll Pulver, und Pillen wie Enten-Eyer so groß, und man nannte ihn zuletzt scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. Aber alle Arzneyen halfen ihm nichts, denn er folgte nicht, was ihm die Aerzte befahlen, sondern sagte: Fouder, wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich soll leben, wie ein Hund, und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein Geld? Endlich hörte er von einem Arzt, der 100 Stund weit wegwohnte, der sei so geschickt, daß die Kranken gesund werden, wenn er sie nur recht anschaue, und der Tod geh’ ihm aus dem Weg, wo er sich sehen lasse. Zu dem Arzt faßte der Mann ein Zutrauen, und schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald was ihm fehle, nämlich nicht Arzney, sondern Mäßigkeit und Bewegung und sagte: Wart dich will ich bald kurirt haben. Deswegen schrieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: „Guter Freund, ihr habt einen schlimmen Umstand, doch wird euch zu helfen seyn, wenn ihr folgen wollt. Ihr habt ein bös Thier im Bauch, einen Lindwurm mit sieben Mäulern. Mit dem Lindwurm muß ich selber reden, und Ihr müßt [220] zu mir kommen. Aber fürs erste so dürft ihr nicht fahren oder auf dem Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt ihr den Lindwurm und er beißt euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüß, Mittags ein Bratwürstlein dazu, und Nachts ein Ey, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm größer, also daß er euch die Leber erdrückt, und der Schneider hat euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dieß ist mein Rath, und wenn ihr mir nicht folgt, so hört ihr im andern Frühjahr den Gukuk nimmer schreyen. Thut was ihr wollt!“ Als der Patient so mit ihm reden hörte, ließ er sich sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag gieng es so langsam, daß wohl eine Schnecke hätte können sein Vorreiter seyn, und wer ihn[1] grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten wie heut, und der Thau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Feld so roth, und alle Leute, die ihm begegneten sahen so freundlich aus, und er auch, und alle Morgen, wenn er aus der Herberge aus gieng, wars schöner, und er gieng leichter und munterer dahin, und als er am 18ten Tage in der Stadt des Arztes ankam, und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: „Ich hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doctor soll.

Anmerkungen (Wikisource)[Bearbeiten]

  1. Vorlage: in sinngemäß richtig: ihn

[221] Wenn’s mir doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief mir.“ Als er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand, und sagte ihm: Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was euch fehlt. Da sagte er: Herr Doctor, mir fehlt Gottlob nichts, und wenn ihr so gesund seid wie ich, so solls mich freuen. Der Doctor sagte: „Das hat euch ein guter Geist gerathen, daß ihr meinem Rath gefolgt habt. Der Lindwurm ist jezt abgestanden. Aber ihr habt noch Eyer im Leib, deswegen müßt ihr wieder zu Fuß heimgehen, und daheim fleißig Holz sägen, daß niemand sieht, und nicht mehr essen, als euch der Hunger ermahnt, damit die Eyer nicht ausschlupfen, so könnt ihr ein alter Mann werden“, und lächelte dazu. Aber der reiche Fremdling sagte: „Herr Doctor, ihr seid ein feiner Kautz, und ich versteh euch wohl, und hat nachher dem Rath gefolgt, und 87 Jahre, 4 Monate 10 Tage gelebt, wie ein Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt 20 Dublonen zum Gruß geschickt.


Wie der ZundelFrieder und sein Bruder dem rothen Dieter abermal einen Streich spielen.

Als der ZundelHeiner und der ZundelFrieder wieder aus dem Thurm kamen, sprach der Heiner zum Frieder: Bruder wir wollen doch den rothen Dieter besuchen, sonst meint er, wir sitzen ewig in dem kalten Hundsstall beym Herr Vater auf der Herberge. – „Wir wollen ihm einen Streich spielen sagte der Frieder zum Heiner, ob ers merkt, daß wir es sind.“ Also empfieng der Dieter ein Brieflein ohne Unterschrift: [222] „Rother Dieter, seyd heute Nacht auf eurer Hut, denn es haben zwei Diebsgesellen eine Wette gethan: einer will eurer Frau das Leintuch unter dem Leibe weg holen, und ihr sollt es nicht hindern können.“ Der Dieter sagte: „Das sind zwei rechte Spitzbuben aneinander. Der eine wettet, er wolle das Leintuch holen, und der andere macht einen Bericht, damit sein Kamerad die Wette nicht gewinnt. Wenn ich nicht gewiß wüßte, daß der Heiner und der Frieder im Zuchthaus sitzen, so wollt ich glauben, sie seyens.“ In der Nacht schlichen die Schelme durch das Hanf-Feld heran. Der Heiner stellte eine Leiter ans Fenster, also daß der rothe Dieter es wohl hören konnte, und steigt hinauf, schiebt aber einen ausgestopften Strohmann vor sich her, der aussah, wie ein Mensch. Als inwendig der rothe Dieter die Leiter anstellen hörte, stand er leise auf, und stellte sich mit einem dicken Bengel neben das Fenster, denn das sind die besten Pistolen, sagte er zu seiner Frau, sie sind immer geladen; und als er den Kopf des Strohmanns herauf wackeln sah, und meinte der sey es, riß er schnell das Fenster auf, und versetzte ihm einen Schlag auf den Kopf aus aller Kraft, also daß der Heiner den Strohmann fallen ließ und einen lauten Schrei that. Der Frieder aber stand unterdessen mausstill hinter einem Pfosten vor der Hausthüre. Als aber der rothe Dieter den Schrei hörte, und es war alles auf einmal still, sagte er: Frau, es ist mir, die Sache sey nicht gut, ich will doch hinunter gehen und schauen, wie es aussieht. Indem er zur Hausthüre hinaus geht, schleicht der Frieder, der hinter dem Pfosten war, hinein, kommt bis vor das Bett, nimmt [223] wieder, wie in der vorigen Erzählung, als sie das Säulein stahlen, des rothen Dieters Stimme an, und es ist wieder eben so wahr. „Frau, sagte er mit ängstlicher Stimme, der Kerl ist maustodt, und denk nur, es ist des Schultheißen Sohn. Jetzt gib mir geschwind das Leintuch, so will ich ihn darin forttragen in den Wald, und will ihn dort einscharren, sonst gehts zu bösen Häusern.“ Die Frau erschrickt, richtet sich auf, und gibt ihm das Leintuch. Kaum war er fort, so kommt der rechte Dieter wieder und sagt ganz getröstet: Frau, es ist nur ein dummer Bubenstreich gewesen, und der Dieb ist von Stroh. Als aber die Frau ihn fragte: wo hast du denn das Leintuch, und lag auf dem bloßen Spreuersack, da giengen dem Dieter erst die Augen auf, und sagte: O ihr vermaledeiten Spitzbuben! Jetzt ists doch der Frieder gewesen und der Heiner, und kein anderer.

Aber auf dem Heimweg sagte der Frieder zum Heiner: Aber jetzt Bruder, wollen wirs bleiben lassen. Denn im Zuchthaus ist doch auch alles schlecht, was man bekommt, ausgenommen die Prügel, und zum Fensterlein hinaus auf der Landstraße hat man etwas vor den Augen, das auch nicht aussieht, als wenn man gern dran hängen möchte. Also wurde auch der Frieder wieder ehrlich. Aber der Heiner sagte: Ich gebs noch nicht auf.


Der kluge Sultan.

Zu dem Großsultan der Türken, als er eben an einem Freitag in die Kirche gehen wollte, trat ein armer [224] Mann von seinen Unterthanen mit schmutzigem Bart, zerfetztem Rock und durchlöcherten Pantoffeln, schlug ehrerbietig und kreuzweise die Arme übereinander und sagte: „Glaubst du auch, großmächtiger Sultan, was der heilige Prophet sage?“ Der Sultan, so ein gütiger Herr war, sagte: „Ja ich glaube, was der Prophet sagt.“ Der arme Mann fuhr fort: „Der Prophet sagt im Alkoran: Alle Muselmänner (das heißt, alle Mahomedaner) sind Brüder. Herr Bruder, so sey so gut, und theile mit mir das Erbe.“ Dazu lächelte der Kaiser und dachte: das ist eine neue Art ein Allmosen zu betteln, und gibt ihm einen Löwenthaler. Der Türke beschaut das Geldstück lang auf der einen Seite und auf der andern Seite. Am Ende schüttelt er den Kopf, und sagt: „Herr Bruder, wie komme ich zu einem schäbigen Löwenthaler, so du doch mehr Silber und Gold hast, als 100 Maulesel tragen können, und meinen Kindern daheim werden vor Hunger die Nägel blau, und mir wird nächstens der Mund ganz zusammen wachsen. Heißt das getheilt mit einem Bruder?“ Der gütige Sultan aber hob warnend den Finger in die Höhe, und sagte: „Herr Bruder, sei zufrieden, und sage ja niemand, wie viel ich dir gegeben habe, denn unsere Familie ist groß, und wenn unsere andern Brüder alle auch kommen, und verlangen ihr Erbtheil von mir, so wirds nicht reichen, und du mußt noch herausgeben.“ Das begriff der Herr Bruder, gieng zum Bäckermeister Abu Tlengi, und kaufte ein Laiblein Brod für seine Kinder, der Kaiser aber begab sich in die Kirche, und verrichtete sein Gebet. [225]


Wie man aus Barmherzigkeit rasirt wird.

In eine Barbierstube kommt ein armer Mann mit einem starken schwarzen Bart, und statt eines Stücklein Brodes bittet er, der Meister soll so gut seyn, und ihm den Bart abnehmen um Gotteswillen, daß er doch auch wieder aussehe wie ein Christ. Der Meister nimmt das schlechteste Messer, wo er hat, denn er dachte: Was soll ich ein gutes daran stumpf hacken für nichts und wieder nichts? Während er an dem armen Tropfen hackt und schabt, und er darf nichts sagen, weils ihm der Schinder umsonst thut, heult der Hund auf dem Hof. Der Meister sagt: Was fehlt dem Mopper, daß er so winselt und heult? Der Christoph sagt: ich weiß nicht. Der Hans Frieder sagt: ich weiß auch nicht. Der arme Mann unter dem Messer aber sagt: „Er wird vermuthlich auch um Gotteswillen barbirt, wie ich.“


Der Zirkelschmidt.

In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz, daß, wer sich an einem verheiratheten Mann vergreift, und gibt ihm eine Ohrfeige, der muß 5 Gulden Buße bezahlen, und kommt 24 Stunden lang in den Thurm. Deswegen dachte am Andreastag ein verarmter Zirkelschmidt im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen Namenstag ein gutes Mittagessen im goldenen Lamm bekommen, wenn ich schon keinen rothen Heller hier und daheim habe, und seit 2 Jahren nimmer weiß, ob die bayrischen Thaler rund oder eckig sind. Darauf hin läßt er sich vom Lammwirth ein gutes Essen auftragen, und trinkt [226] viel Wein dazu, also, daß die Zeche zwei Gulden fünfzehn Kreutzer ausmachte, was damals auch für einen wohlhabenden Zirkelschmidt schon viel war. Jetzt, dachte er, will ich den Lammwirth zornig machen und in Jast bringen. „Das war ein schlechtes Essen, Herr Lammwirth, sagte er, für ein so schönes Geld. Es wundert mich, daß ihr nicht schon lang ein reicher Mann seyd, wovon ich doch noch nichts habe rühmen hören.“ Der Wirth, so ein Ehrenmann war, antwortete auch nicht glimpflich, wie es ihm der Zorn eingab, und es hatte ihm schon ein paar mal im Arme gejukt. Als aber der Zirkelschmidt zuletzt sagte: „Es soll mir eine Warnung seyn, denn ich habe mein Lebenlang gehört, daß man in den schlechtesten Kneipen, wie euer Haus eine ist, am theuersten gehalten wird.“ Da gab ihm der Wirth eine entsetzliche Ohrfeige, die zwei Dukaten unter Brüdern werth war, und sagte, er soll jetzt sogleich seine Zeche bezahlen, oder ich lasse euch durch die Knechte bis in die Vorstadt hinaus prügeln. Der Zirkelschmidt aber lächelte, und sagte: „Es ist nur mein Spaß gewesen, Herr Lammwirth, und euer Mittagessen war recht gut. Gebt mir nun für die Ohrfeige, die ich von euch baar erhalten habe, zwei Gulden fünf und vierzig Kreutzer auf mein Mittagessen heraus, so will ich euch nicht verklagen. Es ist besser wir leben im Frieden mit einander als in Feindschaft. Hat nicht eure selige Frau meiner Schwester Tochter ein Kind aus der Taufe gehoben?! – Zu diesen Worten machte der Lammwirth ein paar curiose Augen, denn er war sonst ein gar unbescholtener und dabei wohlhabender Mann, und wollte lieber viel Geld verlieren, [227] als wegen eines Frevels von der Obrigkeit sich strafen lassen, und nur eine Stunde des Thurmhüters Hausmann seyn. Deswegen dachte er: zwei Gulden und fünfzehn Kreuzer hat mir der Halunke schon mit Essen und Trinken abverdient; besser, ich gebe ihm noch zwei Gulden fünf und vierzig Kreuzer drauf, als daß ich das Ganze noch einmal bezahlen muß, und werde beschimpft dazu. Also gab er ihm die 2 fl. 45 kr., sagte aber: „Jetzt komm mir nimmer ins Haus!“

Drauf sagte man, habe es der Zirkelschmid in andern Wirthshäusern versucht, und die Ohrfeigen seyen noch ein oder zwei mal al pari gestanden, wie die Kaufleute sagen, wenn ein Wechsel-Brief so viel gilt, als das baare Geld, wofür er verschrieben ist. Drauf seyen sie schnell auf 50 Procent herunter gesunken, und am Ende, wie die Assignaten in der Revolution, so unwerth worden, daß man jetzt wieder durch das ganze Schwabenland hinaus bis an die bayrische Grenze so viele unentgeltlich ausgeben und wieder einnehmen kann, als man ertragen mag.


Heimliche Enthauptung.

Hat der Scharfrichter von Landau früh den 17. Juni seiner Zeit die sechste Bitte des Vater Unsers mit Andacht gebetet, so weiß ichs nicht. Hat er sie nicht gebetet, so kam ein Brieflein von Nanzig am geschicktesten Tag. In dem Brieflein stand geschrieben: „Nachrichter von Landau! Ihr sollt unverzüglich nach Nanzig kommen, und euer großes Richtschwerdt mitbringen. Was ihr zu thun habt, wird [228] man euch sagen und wohl bezahlen.“ – Eine Kutsche zur Reise stand auch schon vor der Hausthüre. Der Scharfrichter dachte: „das ist meines Amts“, und setzte sich in die Kutsche. Als er noch eine Stunde herwärts Nanzig war, es war schon Abend, und die Sonne gieng in blutrothen Wolken unter, und der Kutscher hielt stille, und sagte: Wir bekommen morgen wieder schön Wetter, da standen auf einmal drei starke, bewaffnete Männer an der Straße, die setzten sich auch zu dem Scharfrichter, und versprachen ihm, daß ihm kein Leids widerfahren sollte, aber die Augen müßt Ihr euch zubinden lassen; und als sie ihm die Augen zugebunden hatten, sagten sie: „Schwager fahr zu.“ Der Schwager fuhr fort, und es war dem Scharfrichter, als wenn er noch gute zwölf Stunden weiter wäre geführt worden, und konnte nicht wissen, wo er war. Er hörte die Nachteulen der Mitternacht; er hörte die Hähne rufen; er hörte die Morgenglocken läuten. Auf einmal hielt die Kutsche wieder still. Man führte ihn in ein Haus und gab ihm eins zu trinken, und einen guten Wurstwecken dazu. Als er sich mit Speise und Trank gestärkt hatte, führte man ihn weiter im nämlichen Haus, Thür ein und aus, Treppe auf und ab, und als man ihm die Binde abnahm, befand er sich in einem großen Saal. Der Saal war zwar ringsum mit schwarzen Tüchern behängt, und auf den Tischen brannten Wachskerzen. In der Mitte saß auf einem Stuhl eine Person mit entblößtem Hals und mit einer Larve vor dem Gesicht, und muß etwas in dem Mund gehabt haben, denn sie konnte nicht reden, sondern nur schluchzen. Aber an den Wänden standen mehrere [229] Herren in schwarzen Kleidern und mit schwarzem Flor vor den Angesichtern, also daß der Scharfrichter keinen von ihnen gekannt hätte, wenn er ihm in der andern Stunde wieder begegnet wäre, und einer von ihnen überreichte ihm sein Schwerd mit dem Befehl, dieser Person, die auf dem Stühlein saß, den Kopf abzuhauen. Da wards dem armen Scharfrichter, als wenn er auf einmal im eiskalten Wasser stünde bis übers Herz, und sagte, das soll man ihm nicht übel nehmen. Sein Schwerd, das dem Dienste der Gerechtigkeit gewidmet sey, könne er mit einer Mordthat nicht entheiligen. Allein einer von den Herren hob ihm aus der Ferne eine Pistole entgegen, und sagte: „Entweder, Oder! Wenn ihr nicht thut, was man euch heißt, so seht ihr den Kirchthurm von Landau nimmermehr.“ Da dachte der Scharfrichter an Frau und Kinder daheim, und wenns nicht anders seyn kann, sagte er, und ich vergieße unschuldiges Blut, so komme es auf euer Haupt, und schlug mit einem Hieb der armen Person den Kopf vom Leibe weg. Nach der That, so gab ihm einer von den Herrn einen Geldbeutel, worin zwei hundert Dublonen waren. Man band ihm die Augen wieder zu, und führte ihn in die nämliche Kutsche zurück. Die nemlichen Personen begleiteten ihn wieder, die ihn gebracht hatten. Und als endlich die Kutsche stille hielt, und er bekam die Erlaubniß, auszusteigen, und die Binde von den Augen abzulösen, stand er wieder, wo die drei Männer zu ihm eingesessen waren, eine Stunde herwärts Nanzig auf der Straße nach Landau, und es war Nacht. Die Kutsche aber fuhr eiligs wieder zurück. [230]

Das ist dem Scharfrichter von Landau begegnet, und es wäre dem Hausfreund leid, wenn er sagen könnte, wer die arme Seele war, die auf einem so blutigen Weg in die Ewigkeit hat gehen müßen. Nein, es hat niemand erfahren wer sie war, und was sie gesündiget hat, und niemand weiß das Grab.


Der Staar von Segringen.

Selbst einem Staaren kann es nützlich seyn, wenn er etwas gelernt hat, wie viel mehr einem Menschen. – In einem respectabeln Dorf, ich will sagen, in Segringen, es ist aber nicht dort geschehen, sondern hier im Land, und derjenige dem es begegnet ist, liest es vielleicht in diesem Augenblick, nicht der Staar, aber der Mensch. In Segringen der Barbier hatte einen Staar, und der wohlbekannte Lehrjung gab ihm Unterricht im Sprechen. Der Staar lernte nicht nur alle Wörter, die ihm sein Sprachmeister aufgab, sondern er ahmte zuletzt auch selber nach, was er von seinem Herrn hörte, zum Exempel: Ich bin der Barbier von Segringen. Sein Herr hatte sonst noch allerley Redensarten an sich, die er bei jeder Gelegenheit wiederholte, zum Exempel: So, so, la, la; oder: par Compagnie, (das heißt so viel als: in Gesellschaft mit andern); oder: wie Gott will; oder: du Dolpatsch. So titulierte er nämlich insgemein den Lehrjungen, wenn er das halbe Pflaster auf den Tisch strich, anstatt aufs Tuch, oder wenn er das Scheermesser am Rücken abzog, anstatt an der Schneide, oder wenn er ein Arzneiglas zerbrach. Alle diese Redensarten [231] lernte nach und nach der Staar auch. Da nun täglich viel Leute im Haus waren, weil der Barbier auch Branntwein ausschenkte, so gabs manchmal viel zu lachen, wenn die Gäste mit einander ein Gespräch führten, und der Staar warf auch eins von seinen Wörtern drein, das sich dazu schickte, als wenn er den Verstand davon hätte, und manchmal, wenn ihm der Lehrjung rief: Hansel, was machst du? antwortete er: du Dolpatsch! und alle Leute in der Nachbarschaft wußten von dem Hansel zu erzählen. Eines Tages aber, als ihm die beschnittenen Flügel wieder gewachsen waren, und das Fenster war offen, und das Wetter schön, da dachte der Staar: Ich hab jetzt schon so viel gelernt, daß ich in der Welt kann fortkommen, und husch zum Fenster hin aus. Weg war er. Sein erster Flug gieng ins Feld, wo er sich unter eine Gesellschaft anderer Vögel mischte, und als sie aufflogen, flog er mit ihnen, denn er dachte: Sie wissen die Gelegenheit hier zu Land besser als ich. Aber sie flogen unglücklicher Weise alle miteinander in ein Garn. Der Staar sagte: Wie Gott will. Als der Vogelsteller kommt, und sieht, was er für einen großen Fang gethan hat, nimmt er einen Vogel nach dem andern behutsam heraus, dreht ihm den Hals um, und wirft ihn auf den Boden. Als er aber die mörderischen Finger wieder nach einem Gefangenen ausstreckte, und denkt an nichts, schrie der Gefangene: „Ich bin der Barbier von Segringen.“ Als wenn er wüßte, was ihn retten muß. Der Vogelsteller erschrak anfänglich, als wenn es hier nicht mit rechten Dingen zugienge, nachher aber, als er sich erholt hatte, konnte er kaum [232] vor Lachen zu Athem kommen; und als er sagte: Ey Hansel, hier hätt ich dich nicht gesucht, wie kommst du in meine Schlinge? da antwortete der Hansel: „par Compagnie.“ Also brachte der Vogelsteller den Staar seinem Herrn wieder, und bekam ein gutes Fanggeld. Der Barbier aber erwarb sich damit einen guten Zuspruch, denn jeder wollte den merkwürdigen Hansel sehen, und wer jetzt noch weit und breit in der Gegend will zur Ader lassen, geht zum Barbier von Segringen.

Merke: So etwas passirt einem Staaren selten. Aber schon mancher junge Mensch, der auch lieber herumflankiren, als daheim bleiben wollte, ist ebenfalls par Compagnie in die Schlinge gerathen, und nimmer heraus kommen.


Wie man in den Wald schreit, also schreit es daraus.

Ein Mann, der etwas gleich sah, aber nicht viel Komplimente machte, kommt in ein Wirthshaus. Alle Gäste, die da waren, zogen höflich den Hut oder die Kappe vor ihm ab, bis auf einen, der ihn nicht kommen sah, weil er gerade die Stiche zählte, die er im Mariaschen von seinem Nachbar gewonnen hatte. Und als er eben das HerzAß durch die Finger schob und sagte: zwei und fünfzig und eilf sind drei und sechzig, und bemerkte immer den Fremden noch nicht, der etwas gleich sah, fragte ihn der Fremde: „Herr, für was sehet ihr mich an?“ Der Gast sagte: „Für einen honetten Mann; was weiß ich von Euch?“ Der Fremde sagte: „das dank euch ein anderer.“ [233] Da stand der Gast vom Spieltisch auf und fragte: „für was sieht denn der Herr mich an?“ Der Fremde sagte: „für einen Flegel.“ Darauf sagte der Gast: „das danke dem Herrn auch ein anderer. Ich merke, daß wir einander beide für den Unrechten angesehen haben.“ Als aber die andern Gäste merkten, daß doch auch in einem feinen Rock ein grober Mensch stecken könne, setzten sie alle die Hüte wieder auf, und der Fremde konnte nichts machen, als ein andermal manierlicher seyn.


Die falsche Schätzung.

Reiche und vornehme Leute haben manchmal das Glück, wenigstens von ihren Bedienten die Wahrheit zu hören, die ihnen nicht leicht ein anderer sagt.

Einer, der sich viel auf seine Person und auf seinen Werth, und nicht wenig auf seinen Kleiderstaat einbildete, als er sich eben zu einer Hochzeit angezogen hatte, und sich mit seinen fetten rothen Backen im Spiegel beschaute, dreht er sich vom Spiegel um und fragt seinen Kammerdiener, der ihn von der Seite her wohlgefällig beschaute: „Nun Thadde, fragte er ihn, wie viel mag ich wohl werth seyn, wie ich da stehe?“ Der Thadde machte ein Gesicht, als wenn er ein halbes Königreich zu schätzen hätte, und drehte lang die rechte Hand mit ausgestreckten Fingern so her, und so hin. „Doch auch fünfhundert und fünfzig Gulden, sagte er endlich, weil doch heut zu Tag alles theurer ist, als sonst.“ Da sagte der Herr: „Du dummer Kerl, glaubst du nicht, daß mein Gewand, das ich anhabe, allein seine fünfhundert Gulden werth ist?“ Da trat [234] der Kammerdiener ein paar Schritte gegen die Stubenthüre zurück, und sagte: „Verzeiht mir meinen Irrthum, ich habs etwas höher angeschlagen, sonst hätt ich nicht so viel herausgebracht.“


Das letzte Wort.

Zwey Eheleute in einem Dorf an der Donau, her wärts Ulm, lebten miteinander, die waren nicht für einander gemacht, und ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch, und hatte eine Zunge wie ein Schwerdt; er war karg, was nicht etwa in den eigenen Mund und Magen gieng. Nannte er sie eine Vergeuderinn, so schimpfte sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer Stunde Vergeuderinn sagte, sagte sie hundert und einmal: du Knicker, und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fiengen sie es wieder mit einander an, als sie ins Bett giengen, und sollens getrieben haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die Augen zufielen, und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm und sagte noch einmal: du Knicker! Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur Häuslichkeit, und lief fort, so bald er konnte, und wohin? Ins Wirthshaus. Und was im Wirthshaus? Zuerst trinken, darnach spielen, endlich saufen, anfänglich um baares Geld, zuletzt auf die Kreide. Denn wenn die Frau nichts zu Rath hält, und der Mann nichts erwirbt, in einer solchen Tasche darf schon ein Loch seyn, es fällt nichts heraus. Als [235] er aber im rothen Rößlein den letzten Rausch gekauft hatte und konnt ihn nicht bezahlen, und der Wirth schrieb seinen Namen und seine Schuld, sieben Gulden ein und fünfzig Kreuzer, an die Stubenthür, und als er nach Haus kam, und die Frau erblickte, „nichts als Schimpf und Schande hat man von dir, du Vergeuderin,“ sagte er zu ihr. „Und nichts als Unehre und Verdruß hat man von dir, du Säufer, du der und jener, du Knicker,“ sagte sie. Da stieg es schwarz und grimmig in seinem Herzen auf, und die zwey bösen Geister, die in ihm wohnten, nemlich der Zorn und der Rausch, sagten zu ihm: „Wirf die Bestie in die Donau.“ Das ließ er sich nicht zweymal sagen. „Wart, ich will dir zeigen, du Vergeuderinn, (du Knicker sagte sie ihm drauf) ich will dir schon zeigen, wo du hingehörst, und trug sie in die Donau. Und als sie schon mit dem Mund im Wasser war aber die Ohren waren noch oben, rief der Unmensch noch einmal, du Vergeuderinn. Da hob die Frau noch einmal die Arme aus dem Wasser empor, und drückte den Nagel des rechten Daumes auf den Nagel des linken, wie man zu thun pflegt, wenn man einem gewissen Thierlein den Tod anthut, und das war ihr Letztes. – Dem geneigten Leser, der auf Recht und Gerechtigkeit hält, wird man nicht sagen dürfen, daß der unbarmherzige Mörder auch nimmer lebt, sondern er gieng heim, und henkte sich noch in der nemlichen Nacht an den Pfosten.


Gutes Wort, böse That.

In einem edelmännischen Dorf trifft ein Bauer [236] den Herrn Schulmeister im Felde an. „Ists noch euer Ernst, Schulmeister, was ihr gestern den Kindern zergliedert habt: So dich jemand schlägt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar?“ Der Herr Schulmeister sagt: „Ich kann nichts davon und nichts dazu thun. Es steht im Evangelium.“ Also gab ihm der Bauer eine Ohrfeige, und die andere auch, denn er hatte schon lang einen Verdruß auf ihn. Indem reitet in einiger Entfernung der Edelmann vorbey und sein Jäger. „Schau doch nach, Joseph, was die zwey dort mit einander haben.“ Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der ein starker Mann war, dem Bauer auch zwey Ohrfeigen, und sagte, es steht auch geschrieben: „Mit welcherley Maas ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. Ein voll gerüttelt und überflüssig Maas wird man in euern Schoß geben;“ und zu dem letzten Sprüchlein gab er ihm noch ein halbes Duzend drein. Da kam der Joseph zu seinem Herrn zurück und sagte: „Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr; sie legen einander nur die heilige Schrift aus.“

Merke: Man muß die heilige Schrift nicht auslegen, wenn mans nicht versteht, am allerwenigsten so. Denn der Edelmann ließ den Bauern noch selbige Nacht in den Thurm werfen auf 6 Tage, und dem Herrn Schulmeister, der mehr Verstand und Respect vor der Bibel hätte haben sollen, gab er, als die Winterschule ein Ende hatte, den Abschied.


Der geduldige Mann.

Ein Mann, der eines Nachmittags müde nach Hause kam, hätte gern ein Stück Butterbrod mit [237] Schnittlauch darauf gegessen, oder etwas von einem geräucherten Bug. Aber die Frau, die im Haus ziemlich der Meister war, und in der Küche ganz, hatte den Schlüssel zum Küchenkästlein in der Tasche, und war bey einer Freundin auf Besuch. Er schickte daher die Magd und den Knecht eins um das andere, die Frau soll heim kommen, oder den Schlüssel schicken. Sie sagte allemal: „Ich komm gleich, er soll nur ein wenig warten.“ Als ihm aber die Geduld immer näher zusammen gieng, und der Hunger immer weiter auseinander, trägt er und der Knecht das verschlossene Küchenkästlein in das Haus der Freundin, wo seine Frau zum Besuch war, und sagt zu seiner Frau: „Frau sey so gut und schließ mir das Kästlein auf, daß ich etwas zum Abendessen nehmen kann, sonst halt ichs nimmer aus.“ Also lachte die Frau, und schnitt ihm ein Stücklein Brod herab und etwas vom Bug.


Der schlaue Mann.

Einem andern, als er das Wirthshaussitzen bis nach Mitternacht anfieng, schloß einmal die Frau Nachts um 10 Uhr die Thüre zu, und gieng ins Bett, und wollt er wohl oder übel, so mußte er unter dem Bienenstand im Garten über Nacht seyn. Den andern Tag, was thut er? Als er ins Wirthshaus gieng, hob er die Hausthüre aus den Kloben und nahm sie mit, und früh um 1 Uhr, als er heim kam, hängt er sie wieder ein, und schloß sie zu, und seine Frau hat ihn nimmer ausgeschlossen und ist ins Bett gegangen, sondern hat ihn nachher mit Liebe und Sanftmuth gebessert. [238]


Der Heiner und der Brassenheimer Müller.

Eines Tages saß der Heiner ganz betrübt in einem Wirthshaus, und dachte daran, wie ihn zuerst der rothe Dieter und darnach sein eigener Bruder verlassen haben, und wie er jetzt allein ist. „Nein, dachte er, es ist bald keinem Menschen mehr zu trauen, und wenn man meint, es sey einer noch so ehrlich, so ist er ein Spitzbub.“ Unterdessen kommen mehrere Gäste in das Wirthshaus, und trinken Neuen, und wißt ihr auch, sagte einer, daß der Zundelheiner im Land ist, und wird morgen im ganzen Amt ein Treibjagen auf ihn angestellt, und der Amtmann und die Schreiber stehen auf dem Anstand? Als das der Heiner hörte, wurde es ihm grün und gelb vor den Augen, denn er dachte, es kenne ihn einer, und jetzt sey er verrathen. Ein anderer aber sagte: „Es ist wieder einmal ein blinder Lerm. Sitzt nicht der Heiner und sein Bruder zu Wollenstein im Zuchthaus?“ Drüber kommt auf einem wohlgenährten Schimmel der Brassenheimer Müller mit rothen Paus-Backen und kleinen freundlichen Augen daher geritten. Und als er in die Stube kam, und thut den Kameraden, die bei dem Neuen sitzen, Bescheid, und hört, daß sie von dem Zundel-Heiner sprechen, sagt er: ich hab schon so viel von dem Zundelheiner erzählen gehört. Ich möcht ihn doch auch einmal sehen. Da sagte ein anderer: „Nehmt euch in Acht, daß ihr ihn nicht zu früh zu sehen bekommt. Es geht die Rede, er sey wieder im Land.“ Aber der Müller mit seinen Pausbacken sagte: „Pah! ich komm noch bei guter Tagszeit durch den Fridstädter Wald, dann bin ich [239] auf der Landstraße, und wenns fehlen will, geb ich dem Schimmel die Sporen.“ Als das der Heiner hörte, fragt er die Wirthin, was bin ich schuldig, und geht fort in den Fridstädter Wald. Unterwegs begegnet ihm auf der Bettelfuhr ein lahmer Mensch. Gebt mir für ein Cäsperlein eure Krücke, sagte er zu dem lahmen Soldaten. Ich habe das linke Bein übertreten, daß ich laut schreien möchte, wenn ich drauf treten muß. Im nächsten Dorf, wo ihr abgeladen werdet, macht euch der Wagner eine neue. Also gab ihm der Bettler die Krücke. Bald darauf gehen zwei betrunkene Soldaten an ihm vorbei und singen das Reuterlied. Wie er in den Fridstädter Wald kommt, hängt er die Krücke an einen hohen Ast, setzt sich ungefähr sechs Schritte davon weg an die Straße, und zieht das linke Bein zusammen, als wenn er lahm wäre. Drüber kommt auf stattlichem Schimmel der Müller daher trottirt, und macht ein Gesicht, als wenn er sagen wollte: „Bin ich nicht der reiche Müller, und bin ich nicht der schöne Müller, und bin ich nicht der witzige Müller?“ Als aber der witzige Müller zu dem Heiner kam, sagt der Heiner mit kläglicher Stimme: „Wolltet ihr nicht ein Werk der Barmherzigkeit thun an einem armen lahmen Mann. Zwey betrunkene Soldaten, sie werden euch wohl begegnet seyn, haben mir all mein Allmosengeld abgenommen, und haben mir aus Bosheit, daß es so wenig war, die Krücke auf jenen Baum geschleudert, und ist an den Aesten hängen blieben, daß ich nun nimmer weiter kann. Wolltet ihr nicht so gut seyn, und sie mit eurer Peitsche herabzwicken?“ Der Müller sagte: „Ja sie sind mir begegnet an der [240] Waldspitze. Sie haben gesungen: So herzig, wie mein Lisel, ist halt nichts auf der Welt.“ Weil aber der Müller auf einem schmalen Steg über einen Graben zu dem Baum mußte, so stieg er von dem Roß ab, um die Krücke herab zu zwicken. Als er aber an dem Baum war, und schaut hinauf, schwingt sich der Heiner schnell wie ein Adler auf den stattlichen Schimmel, gibt ihm mit dem Absatz die Sporen, und reitet davon. „Laßt euch das Gehen nicht verdrießen, rief er dem Müller zurück, und wenn ihr heim kommt, so richtet eurer Frau einen Gruß aus von dem Zundelheiner!“ Als er aber eine Viertelstunde nach Betzeit nach Brassenheim und an die Mühle kam, und alle Räder klapperten, daß ihn niemand hörte, stieg er vor der Mühle ab, band dem Müller den Schimmel wieder an der Hausthüre an, und setzte seinen Weg zu Fuß fort.


Der falsche Edelstein.

In einem schönen Garten vor Straßburg vor dem Metzgerthor, wo jedermann für sein Geld hinein gehen und lustig und honett seyn darf, da saß ein wohlgekleideter Mann, der auch sein Schöpplein trank, und hatte einen Ring am Finger mit einem kostbaren Edelstein, und spiegelte den Ring. So kommt ein Jude, und sagt: „Herr, ihr habt einen schönen Edelstein in eurem Fingerring, dem wär ich auch nicht feind. Glitzert er nicht wie das Urim und Thummim in dem Brustschildlein des Priesters Aron? Der wohlgekleidete Fremde sagte ganz kurz und trocken: „Der Stein ist falsch; wenn er gut wäre, steckte er wohl [241] an einem andern Finger, als an dem meinigen.“ Der Jud bat den Fremden, ihm den Ring in die Hand zu geben. Er wendet ihn hin, er wendet ihn her, dreht den Kopf rechts, dreht den Kopf links. „Soll dieser Stein nicht echt seyn?“ dachte er, und bot dem Fremden für den Ring zwei neue Dublonen. Der Fremde sagte ganz unwillig: „Was soll ich euch betrügen? Ihr habt es schon gehört, der Stein ist falsch.“ Der Jude bittet um Erlaubniß, ihn einem Kenner zu zeigen, und einer der dabei saß, sagte: „ich stehe gut für den Israeliten, der Stein mag werth seyn, was er will.“ Der Fremde sagte: „Ich brauche keinen Bürgen, der Stein ist nicht ächt.“

In dem nemlichen Garten saß damals an einem andern Tisch auch der Hausfreund mit seinen Gevatterleuten, und waren auch lustig und honett für ihr Geld, und einer davon ist ein Goldschmidt, der’s versteht. Einem Soldaten, der in der Schlacht bei Austerlitz die Nase verloren hatte, hat er eine silberne angesetzt und mit Fleischfarbe angestrichen, und die Nase war gut. Nur einblasen einen lebendigen Odem in die Nase, das konnte er nicht. Zu dem Gevattermann kommt der Jude. „Herr, sagte er, soll dieses kein ächter Edelstein seyn? Kann der König Salomon einen schönern in der Krone getragen haben?“ Der Gevattermann, der auch ein halber Sternseher ist, sagte: „Er glänzt, wie am Himmel der Aldebaran. Ich verschaffe euch 90 Dublonen für den Ring. Was ihr ihn wohlfeiler bekommt, ist euer Schmuhs.“ Der Jud kehrt zu dem Fremden zurück. „Aecht oder unächt, ich gebe euch sechs Dublonen,“ und zählte sie auf den Tisch, funkel nagel neu. Der Fremde steckte [242] den Ring wieder an den Finger, und sagte jetzt: „Er ist mir gar nicht feil. Ist der falsche Edelstein so gut nachgemacht, daß ihr ihn für einen rechten haltet, so ist er mir auch so gut,“ und steckte die Hand in die Tasche, daß der lüsterne Israelit den Stein gar nicht mehr sehen sollte. – „Acht Dublonen.“ Nein. – „Zehn Dublonen.“ Nein. – „Zwölf – vierzehn – fünfzehn Dublonen.“ „Nun denn, sagte endlich der Fremde, „wenn ihr mir keine Ruhe lassen, und mit Gewalt wollt betrogen seyn. Aber ich sage es euch vor allen diesen Herren da, der Stein ist falsch, und ich gebe euch kein gut Wort mehr dafür. Denn ich will keinen Verdruß haben. Der Ring ist euer.“ Jetzt brachte der Jud voll Freude dem Gevattermann den Ring. „Morgen komm ich zu euch und hole das Geld.“ Aber der Gevattermann, den noch niemand angeführt hat, machte ein paar große Augen. „Guter Freund, das ist nicht mehr der nemliche Ring, den ihr mir vor zwei Minuten gezeigt habt. Dieser Stein ist zwanzig Kreutzer werth zwischen Brüdern. So macht man sie bei Sanct Blasien in der Glashütte.“ Denn der Fremde hatte wirklich einen falschen Ring in der Tasche, der völlig wie der gute aussah, den er zuerst am Finger spiegelte, und während der Jude mit ihm handelte, und er die Hand in der Tasche hatte, streifte er mit dem Daumen den ächten Ring vom Finger ab, und steckte den Finger in den falschen, und den bekam der Jud. Da fuhr der Betrogene, als wenn er auf einer brennenden Rakette geritten wäre, zu dem Fremden zurück: „Au weih, au weih! ich bin ein betrogener Mann, ein unglücklicher Mann, der Stein ist falsch.“ [243] Aber der Fremde sagte ganz kaltblütig und gelassen: „Ich hab ihn euch für falsch verkauft. Diese Herren hier sind Zeugen. Der Ring ist euer. Hab ich euch ihn angeschwätzt, oder habt ihr ihn mir abgeschwätzt?“ Alle Anwesenden mußten gestehen: „Ja er hat ihm den Stein für falsch verkauft, und gesagt: der Ring ist euer.“ Also mußte der Jud den Ring behalten, und die Sache wurde nachher unterdrückt.-


Das schlaue Mädchen.

In einer großen Stadt hatten viele reiche und vornehme Herren einen lustigen Tag. Einer von ihnen dachte: „Könnt ihr heute dem Wirth und den Musikanten wenigstens 1500 Gulden zu verdienen geben, so könnt ihr auch etwas für die liebe Armuth steuren.“ Also kam, als die Herren am fröhlichsten waren, ein hübsches und nett gekleidetes Mädchen mit einem Teller, und bat mit süßen Blicken und liebem Wort um eine Steuer für die Armen. Jeder gab, der eine weniger, der andere mehr, je nachdem der Geldbeutel beschaffen war und das Herz. Denn kleiner Beutel und enges Herz gibt wenig. Weiter Beutel und großes Herz gibt viel. So ein Herz hatte derjenige, zu welchem das Mägdlein jetzt kommt. Denn als er ihm in die hellen schmeichelnden Augen schaute, gieng ihm das Herz fast in Liebe auf. Deßwegen legte er zwei Louisd’or auf den Teller und sagte dem Mägdlein ins Ohr: „Für deine zwey schönen blauen Augen.“ Das war nemlich so gemeint: „Weil du schöne Fürbitterin für die Armen, zwey so schöne Augen hast, so geb ich den Armen [244] zwey so schöne Louisd’or, sonst thäts eine auch.“ Das schlaue Mädchen aber stellte sich, als wenn es die Sache ganz anders verstünde. Denn weil er sagte: „Für deine zwey schöne Augen“ – nahm es ganz züchtig die zwey Louisd’or vom Teller weg, steckte sie in die eigene Tasche, und sagte mit schmeichelnden Gebehrden: „Schönen herzlichen Dank! Aber seyd so gut und gebt mir jetzt auch noch etwas für die Armen.“ Da legte der Herr noch einmal zwey Louisd’or auf den Teller, kneipte das Mägdlein freundlich in die Backen, und sagte: „Du kleiner Schalk!“ Von den andern aber wurde er ganz entsetzlich ausgelacht, und sie tranken auf des Mägdleins Gesundheit, und die Musikanten machten Tusch.


Ein gutes Rezept.

In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohltätiger Monarch, wie jedermann weiß, aber nicht alle Leute wissen, wie er einmal der Doktor gewesen ist, und eine arme Frau kurirt hat. Eine arme kranke Frau sagte zu ihrem Büblein: „Kind hol mir einen Doktor, sonst kann ichs nimmer aushalten vor Schmerzen.“ Das Büblein lief zum ersten Doktor und zum zweiten, aber keiner wollte kommen, denn in Wien kostet ein Gang zu einem Patienten einen Gulden, und der arme Knabe hatte nichts als Thränen, die wohl im Himmel für gute Münze gelten, aber nicht bei allen Leuten auf der Erde. Als er aber zum dritten Doktor auf dem Weg war, oder heim, fuhr langsam der Kaiser in einer offenen Kutsche an ihm vorbey. Der Knabe hielt ihn wohl für einen reichen [245] Herrn, ob er gleich nicht wußte, daß es der Kaiser ist, und dachte: Ich wills versuchen. „Gnädiger Herr, sagte er, wolltet ihr mir nicht einen Gulden schenken, seyd so barmherzig!“ Der Kaiser dachte: „Der faßt’s kurz, und denkt, wenn ich den Gulden auf einmal bekomme, so brauch ich nicht sechzigmal um den Kreutzer zu betteln.“ „Thuts ein Cäsperlein oder zwey Zwanziger nicht auch?“ fragt ihn der Kaiser. Das Büblein sagte: „Nein“, und offenbarte ihm, wozu er das Geld benöthigt sey. Also gab ihm der Kaiser den Gulden, und ließ sich genau von ihm beschreiben wie seine Mutter heißt, und wo sie wohnt, und während das Büblein zum dritten Doktor springt, und die kranke Frau betet daheim, der liebe Gott wolle sie doch nicht verlassen, fährt der Kaiser zu ihrer Wohnung und verhüllt sich ein wenig in seinen Mantel, also daß man ihn nicht recht erkennen konnte, wer ihn nicht darum ansah. Als er aber zu der kranken Frau in ihr Stüblein kam, und sah recht leer und betrübt darinn aus, meint sie, es ist der Doktor, und erzählt ihm ihren Umstand, und wie sie noch so arm dabey sey, und sich nicht pflegen könne. Der Kaiser sagte: „Ich will euch dann jetzt ein Rezept verschreiben“ und sie sagte ihm, wo des Bübleins Schreibzeug ist. Also schrieb er das Rezept, und belehrte die Frau, in welche Apotheke sie es schicken müsse, wenn das Kind heim kommt, und legte es auf den Tisch. Als er aber kaum eine Minute fort war, kam der rechte Doktor auch. Die Frau verwunderte sich nicht wenig, als sie hörte, er sey auch der Doktor, und entschuldigte sich, es sey schon so einer da gewesen und hab ihr etwas verordnet, und [246] sie habe nur auf ihr Büblein gewartet. Als aber der Doktor das Rezept in die Hand nahm und sehen wollte, wer bei ihr gewesen sey und was für einen Trank oder Pillelein er ihr verordnet hat, erstaunte er auch nicht wenig, und sagte zu ihr: „Frau, sagte er, ihr seyd einem guten Arzt in die Hände gefallen, denn er hat euch fünf und zwanzig Dublonen verordnet, beim Zahlamt zu erheben, und unten dran steht: Joseph, wenn ihr ihn kennt. Ein solches Magenpflaster und Herzsalbe und Augentrost hätt ich euch nicht verschreiben können.“ Da that die Frau einen Blick gegen den Himmel und konnte nichts sagen vor Dankbarkeit und Rührung, und das Geld wurde hernach richtig und ohne Anstand von dem Zahlamt ausbezahlt, und der Doktor verordnete ihr eine Mixtur und durch die gute Arzney und durch die gute Pflege, die sie sich jetzt verschaffen konnte, stand sie in wenig Tagen wieder auf gesunden Beinen. Also hat der Doktor die kranke Frau kurirt, und der Kaiser die arme, und sie lebt noch und hat sich nachgehends wieder verheirathet.


Vereitelte Rachsucht.

Der Amtmann in Nordheim ließ im Krieg in den neunziger Jahren fünf Jauner henken, und warens in der ersten Viertelstunde so gut gewohnt, daß keiner mehr herab verlangte, und je nachdem der Wind gieng, exercirten sie miteinander zum Zeitvertreib, rechts um, links um, ohne Flügelmann. Aber einem seine Beiläuferin, die einen Buben von ihm hatte, sagte: „Wart Amtmann, ich will dirs eintränken.“ [247] Ein paar Tage darauf reitet die östreichische Patrouille gegen das Städtlein am Galgen vorbei, da sagt einer zu dem andern: „Es lauft dir eine Spinne am Hut, so groß wie ein Taubeney.“ So zieht der andere vor den Gehenkten den Hut ab, und die Gehenkten, weil eben der Wind aus Westen gieng, drehten sich und machten Front. Indem schleicht von weitem ein Büblein von der Straße ab hinter eine Hecke, wie einer, der keine guten Briefe hat. Aber das Büblein hatte gar keine, weder gute noch schlechte. Denn als einer von den Dragonern auch um die Hecke ritt, fiel der Junge vor ihm auf die Knie, und sagte mit Zittern und mit Beben: „Pardon! Ich hab sie alle ins Wasser geworfen.“ Der Dragoner sagte: „Was hast du ins Wasser geworfen?“ – „Die Briefe.“ – „Was für Briefe?“ „Die Briefe vom Amtmann an die Franzosen. Wenn Oestreicher ins Land kommen, sagte der Bursche, muß ich dem Amtmann Boten laufen ins französische Lager. Dießmal hatte ich drey Briefe, einen an den Dürrmeier.“ Also holten die Dragoner, mir nichts, dir nichts, den Amtmann ab, wie er gieng und stand, und mußte in den Pantoffeln zwischen den Pferden im Koth mitlaufen, und spritzte die Rosse nicht sehr, aber die Rosse ihn, und der Bube mußte auch mit. Der Amtmann war so unschuldig, als der römische Kaiser selbst, hätte sich für die östreichischen Waffen lebendig die Haut abziehen lassen, hatte sechs Kinder, eins schöner als das andere, und eine schwangere Frau. Aber das war die Rache, die ihm die Jaunerinn zugedacht hatte, als sie sagte: „Wart, Amtmann, ich will dir’s gedenken.“ Im Lager, als er zu dem General geführt [248] wurde, und die Hohenzollerer Kürassiere und Kaiser-Dragoner und Erdödi-Husaren sahen ihn vorbey führen, sagte einer von der Patrouille seinem Kameraden vom Pferd herab: „Es ist ein Spion.“ Der Kamerad sagte: „Strick ist sein Lohn.“ Und der Officier, an den sie ihn ablieferten, war auch der Meinung, und bestellte spottweise schon bei ihm einen Gruß an den Schwarzen und seine Großmutter. Dem Hausfreund ists aber bey dieser Geschichte nicht halb so angst, als dem geneigten Leser, denn ohne seinen Willen kann der Amtmann nicht sterben, sondern als er vor das Verhör geführt wurde, schaute ihn der Hauptm. Auditor mit Verwunderung und Bedauren an, und sagte: „Seyd ihr nicht der Nemliche, der mich vor einem Jahr drey Tage lang im Keller hinter der Sauerkrautstande vor den Franzosen verborgen hat, und habt Schläge genug von ihnen bekommen, und als sie euch oben den Speck verzehrten, aß ich unten das Sauerkraut dazu, sammt den Gumbist-Aepfeln.“ Der Amtmann sagte: „Gott erkennts, und ich bin so unschuldig als die Mutter Gottes in der Kirche, so doch von Lindenholz ist, und ihr Lebenlang noch keinen Buchstaben geschrieben hat.“ Indem kamen auch mehrere gute Freunde und angesehene Bürger von Nordheim ins Hauptquartier und bezeugten seine Rechtschaffenheit und Treue und was er schon für Drangsalirung von den Franzosen habe ausstehen müßen, und wie auf seine Anordnung der letzte Sieg der Oestreicher mit Katzenköpfen gefeiert wurde, daß der Kirchthurm wackelte, und er selber habe keinen Rausch gehabt, aber einen Stich. Der Hauptmann Auditor, der noch immer daran dachte, wie er drey Tage lang [249] in des Amtmanns Keller in der verborgenen Garnison lag, hinter dem Schanzkorb, hinter der Sauerkrautstande, war geneigter, Ja zu glauben als Nein. Also ließ er den Amtmann hinaus führen und den Buben herein, und that ein Paar verfängliche Fragens an ihn, sagte ihm aber nicht, daß sie verfänglich sind. Deswegen war der Bursche, so sehr er die Spitzbubenmilch an der Mutter Brüsten eingesogen hatte, mit seinem Ja und Nein so unvorsichtig, daß er in wenig Minuten nimmer links, nimmer rechts auszuweichen wußte und alles gestand. Also bekam er links und rechts fünfzehen Hiebe vom Profos, und begleitete freywillig, die Mutter ins Zuchthaus nach Heiligenberg. Der Amtmann aber aß mit dem Hauptmann Auditor bey dem General Feldmarschall zu Nacht, und den andern Tag bey seiner Frau und Kindern zu Mittag, und der Hausfreund thut auch einen Freuden-Trunk, daß er wieder ein Exempel der Gerechtigkeit statuirt hat.


Schreckliche Unglücksfälle in der Schweitz.

Hat jede Gegend ihr Liebes so hat sie auch ihr Leides, und wer manchmal erfährt was an andern Orten geschieht, findet wohl Ursache, zufrieden zu seyn mit seiner Heimath. Hat z. B. die Schweitz viel Herdenreiche Alpen, Käse und Butter und Freiheit so hat sie auch Lavinen. Der 12te December des Jahrs 1809 brachte für die hohen Bergthäler dieses Landes eine fürchterliche Nacht, und lehrt uns, wie ein Mensch wohl täglich Ursache hat, an das Sprüchlein zu denken: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.“ [250] Auf allen hohen Bergen lag ein tiefer frisch gefallener Schnee. Der zwölfte December brachte Thauwind und Sturm. Da dachte jedermann an großes Unglück, und betete. Wer sich und seine Wohnung für sicher hielt, schwebte in Betrübniß und Angst für die Armen, die es treffen wird, und wer sich nicht für sicher hielt, sagte zu seinen Kindern: „Morgen geht uns die Sonne nimmer auf,“ und bereitete sich zu einem seligen Ende. Da rißen sich auf einmal und an allen Orten von den Fürsten der höchsten Berge die Lavinen oder Schneefälle los, stürzten mit entsetzlichem Tosen und Krachen über die langen Halden herab, wurden immer größer und größer, schoßen immer schneller, toseten und krachten immer fürchterlicher, und jagten die Luft vor sich und so durcheinander, daß im Sturm, noch ehe die Lavine ankam, ganze Wälder zusammen krachten, und Ställe, Scheuren und Waldungen wie Spreu davon flogen, und wo die Lavinen sich in den Thälern niederstürzten, da wurden Stunden lange Strecken, mit allen Wohngebäuden die darauf standen, und mit allem Lebendigen, was darin athmete, erdrückt und zerschmettert, wer nicht wie durch ein göttliches Wunder gerettet wurde.

Einer von zwei Brüdern in Uri, die mit einander hauseten, war auf dem Dach, das hinten an den Berg anstoßt, und dachte: „Ich will den Zwischenraum zwischen dem Berg und dem Dächlein mit Schnee ausfüllen und alles eben machen, auf daß, wenn die Lavine kommt, so fahrt sie über das Häuslein weg, daß wir vielleicht“ – und als er sagen wollte: „daß wir vielleicht mit dem Leben davon kommen“ – da führte ihn der plötzliche Windbrauß, der vor der Lavine [251] hergeht, vom Dach hinweg und hob ihn schwebend in der Luft, wie einen Vogel über einem entsetzlichen Abgrund. Und als er eben in Gefahr war in die unermeßliche Tiefe hinab zu stürzen, und wäre seines Gebeins nimmer gefunden worden, da streifte die Lavine an ihm vorbey und warf ihn seitwärts an eine Halde. Er sagt, es habe ihm nicht wohl gethan, aber in der Betäubung umklammerte er noch einen Baum, an dem er sich fest hielt, bis alles vorüber war, und kam glücklich davon und gieng wieder heim zu seinem Bruder, der auch noch lebte, obgleich der Stall neben dem Häuslein wie mit einem Besen weggewischt war. Da konnte man wohl auch sagen: „Der Herr hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich auf den Händen tragen. Denn er macht Sturmwinde zu seinen Boten, und die Lavinen, daß sie seine Befehle ausrichten.“

Anders ergieng es im Sturnen, ebenfalls im Canton Uri. Nach dem Abendsegen sagte der Vater zu der Frau und den drei Kindern: „Wir wollen doch auch noch ein Gebet verrichten für die armen Leute, die in dieser Nacht in Gefahr sind.“ Und während sie beteten, donnerte schon aus allen Thälern der ferne Wiederhall der Lavinen, und während sie noch beteten, stürzte plötzlich der Stall und das Haus zusammen. Der Vater wurde vom Sturmwind hinweggeführt, hinaus in die fürchterliche Nacht, und unten am Berg abgesetzt und von dem nachwehenden Schnee begraben. Noch lebte er, als er aber den andern Morgen mit unmenschlicher Anstrengung sich hervorgegraben, und die Stätte seiner Wohnung wieder erreicht hatte, und sehen wollte was aus den Seinigen geworden sey, barmherziger Himmel! da [252] war nur Schnee und Schnee, und kein Zeichen einer Wohnung, keine Spur des Lebens mehr wahrzunehmen. Doch vernahm er nach langem ängstlichem Rufen, wie aus einem tiefen Grab, die Stimme seines Weibes unter dem Schnee herauf. Und als er sie glücklich und unbeschädiget hervor gegraben hatte, da hörten sie plötzlich noch eine bekannte und liebe Stimme: „Mutter, ich wäre auch noch am Leben“, rief ein Kind, „aber ich kann nicht heraus.“ Nun arbeitete Vater und Mutter noch einmal und brachten auch das Kind hervor, und ein Arm war ihm abgebrochen. Da ward ihr Herz mit Freude und Schmerzen erfüllt, und von ihren Augen flossen Thränen des Dankes und der Wehmuth. Denn die zwei andern Kinder wurden auch noch herausgegraben, aber todt.

In Pilzeig, ebenfalls im Canton Uri, wurde eine Mutter mit zwei Kindern fortgerissen, und unten in der Tiefe vom Schnee verschüttet. Ein Mann, ihr Nachbar, den die Lavine ebenfalls dahin geworfen hatte, hörte ihr Wimmern und grub sie hervor. Vergeblich war das Lächeln der Hoffnung in ihrem Antliz. Als die Mutter halb nackt umher schaute, kannte sie die Gegend nicht mehr, in der sie war. Ihr Retter selbst war unmächtig niedergesunken. Neue Hügel und Berge von Schnee, und ein entsetzlicher Wirbel von Schneeflocken füllten die Luft. Da sagte die Mutter: „Kinder, hier ist keine Rettung möglich; wir wollen beten, und uns dem Willen Gottes über lassen.“ Und als sie beteten, sank die siebenjährige Tochter sterbend in die Arme der Mutter, und als die Mutter mit gebrochenem Herzen ihr zusprach, und [253] ihr Kind der Barmherzigkeit Gottes empfahl, da verließen sie ihre Kräfte auch. Sie war eine 14 tägige Kindbetterinn, und sie sank mit dem theuern Leichnam ihres Kindes in dem Schooß, ebenfalls leblos darnieder. Die andere eilfjährige Tochter hielt weinend und händeringend bei der Mutter und Schwester aus, bis sie todt waren, drückte ihnen alsdann, eh’ sie auf eigene Rettung bedacht war, mit stummem Schmerz die Augen zu, und arbeitete sich mit unsäglicher Mühe und Gefahr erst zu einem Baum, dann zu einem Felsen herauf und kam gegen Mitternacht endlich an ein Haus, wo sie zum Fenster hinein aufgenommen, und mit den Bewohnern des Hauses erhalten wurde.

Kurz, in allen Berg-Cantonen der Schweiz, in Bern, Glarus, Uri, Schwitz, Graubündten, sind in Einer Nacht, und fast in der nemlichen Stunde, durch die Lavinen ganze Familien erdrückt, ganze Viehheerden mit ihren Stallungen zerschmettert, Matten und Gartenland bis auf den nackten Felsen hinab aufgeschürft und weggeführt, und ganze Wälder zerstört worden, also daß sie ins Thal gestürzt sind, oder die Bäume lagen übereinander zerschmettert und zerknickt, wie die Halmen auf einem Acker nach dem Hagelschlag. Sind ja in dem einzigen kleinen Canton Uri fast mit einem Schlag 11 Personen unter dem Schnee begraben worden, und sind nimmer auferstanden, gegen 30 Häuser, und mehr als 150 Heuställe zerstört und 359 Häuptlein Vieh umgekommen, und man wußte nicht, auf wie viel mal hundert tausend Gulden soll man den Schaden berechnen, ohne die verlohrnen Menschen. Denn das Leben eines Vaters oder einer Mutter oder [254] frommen Gemahls oder Kindes ist nicht mit Geld zu schätzen.


Wie eine gräuliche Geschichte durch einen gemeinen Metzger-Hund ist an das Tages-Licht gebracht worden.

Zwei Metzger gehen miteinander aufs Gäu, kommen in ein Dorf, theilen sich, einer links an der Schwanen vorbei, einer rechts, sagen, in der Schwanen kommen wir wieder zusammen. Sind nimmer zusammen kommen. Denn einer von ihnen geht mit einem Bauer in den Stall, die Frau, so zwar eine Wasche in der Küche hatte, geht auch mit, so lauft das Kind für sich selber auch nach. Stoßt der Teufel die Frau an den Ellenbogen: „Sieh was dem Metzger eine Gurt voll Geld unter dem Brusttuch hervorschaut!“ Die Frau winkt dem Mann, der Mann winkt der Frau, schlagen im Stall den armen Metzger todt und bedecken den Leichnam in der Geschwindigkeit mit Stroh. Stoßt der Teufel die Frau noch einmal an Ellenbogen: „Sieh, wer zuschaut!“ Wie sie umblickt, sieht sie das Kind. So gehn sie mit einander im Schrecken und Wahnsinn ins Haus zurück und schließen die Thüre zu, als wenn sie im Feld wären. Da sagt die Frau, die kein Rabenherz, nein ein höllisches Drachenherz im Busen hatte: „Kind,“ sagte sie, „wie siehst du wieder aus? Komm in die Küche, ich will dich waschen.“ In der Küche steckt sie dem Kind den Kopf in die heiße Lauge, und brüht es zu todt. Jetzt meint sie sey alles geschweigt, und denkt nicht an den Hund des ermordeten Metzgers. Der Hund des ermordeten Metzgers, [255] der noch eine zeitlang mit dem Kameraden gelaufen war, witterte, während das Kind gebrüht und geschwind in den Backofen gesteckt wurde, die Spur seines Herrn wieder auf, schnauft an der Stallthüre, scharrt an der Hausthüre und merkt, hier sey etwas ungerades vorgefallen. Plötzlich springt er ins Dorf zurück und sucht den Kameraden. Kurz der Hund winselt und heult, zerrt den andern Metzger am Rock, und der Metzger merkt auch etwas. Also begleitet er den Hund an das Haus, und zweifelt nicht, daß hier etwas erschreckliches vorgefallen sey. Also winkt er zwei Männern, die von ferne vorbei giengen. Als aber die Mordleute inwendig das Winseln des Hundes und das Rufen des Metzgers hörten, kams vor ihre Augen wie lauter Hochgericht, und in ihre Herzen wie lauter Hölle. Der Mann wollte zum hintern Fenster hinaus entspringen, die Frau hielt ihn am Rock und sagte: „Bleib da!“ Der Mann sagte: „Komm mit!“ Die Frau antwortete: „Ich kann nicht, ich habe Blei an den Füßen. Siehst du nicht die erschreckliche Gestalt vor dem Fenster, mit blitzenden Augen und glühendem Othem?“ Unterdessen wurde die Thüre eingebrochen. Man fand bald die Leichname der Ermordeten. Die Missethäter wurden handfest gemacht und dem Richter übergeben. Sechs Wochen darauf wurden sie gerädert, und ihre verruchten Leichname auf das Rad geflochten, und die Raben sagen jetzt: „Das Fleisch schmeckt gut.“ [256]


Fortgesezte Betrachtung des Weltgebäudes.

Die Fixsterne.

Der Hausfreund sieht jezt im Geiste zu, wie der verständige und wohlgezogene Leser geschwind noch einmal den Artikel von den Planeten durchgeht, damit er besser verstehen kann, was nunmehro von den Fixsternen will gesagt werden, und wie er jezt auswendig die Planeten an den Fingern abzählt, und den Uranus am großen Zehen greifen muß, unten im Pedal, weil er zu eilf Planeten nur zehen Finger hat.

Für die Fixsterne zu zählen gibs nicht Finger genug auf der ganzen Erde, von Franz Ignaz Naroki, an, der jezt 120 Jahre alt ist, bis zum Büblein, das in die Schule geht. Denn wenn nur unser einer (der Hausfreund will sich für diesmal auch dazu zählen) in einer schönen Sommer oder Winternacht im Freyen steht, oder durch das Fenster hinausschaut, welch eine unzählbare Menge himmlischer Lichter groß und klein strahlen uns freundlich und fröhlich entgegen, ganz anders als wenn man ein paar Stunden nach Sonnen-Untergang von einer Anhöhe herab gegen eine große Stadt kommt, oder hinein reitet, und aus allen Häusern und aus allen Fenstern schimmern einem die Lichter entgegen, was doch auch schön ist. Das Auge kann sich nicht genug ersehen an solchem himmlischen Schauspiel, und weiß nicht welchen Stern es zuerst und am längsten betrachten soll, und es ist, als wenn jeder sagte: „Schau mich an!“ Unterdessen bewegen sie sich alle am Himmel fort, einige gehen schon am frühen Abend unter, und die ganze Nacht hindurch, und wenn früh schon die Morgenluft [257] über die Erde weht, und von Dorf zu Dorf das Hahnengeschrey durch die Nacht zieht, gehn immer noch neue auf, und es nimmt kein Ende. Deswegen können wir auch nie alle sichtbaren Sterne des Himmels auf einmal sehen, nicht einmal die Hälfte, denn es ist ausgemacht, daß sie den Tag hindurch eben so wie bey Nacht ihren stillen Lauf am Himmel fortsetzen, nur daß wir sie nicht wegen der Tageshelle sehen können. Denn wer bey Nacht unter freyem Himmel ist, ich will sagen ein Nachtwächter, ein Feldschütz, ein Fuhrmann, und er gibt nur ein wenig acht, der wird finden, Abends, wenn es dunkel wird, sind ganz andere Sterne am Himmel, als früh, ehe es aufhörte dunkel zu seyn. Wo sind diese hingekommen? wo kommen jene her? Antwort: Sie sind den Tag hindurch untergegangen und auf. Also können wir in der schönsten reinsten Sternennacht kaum die Hälfte sehen, und sind doch so viel, und wenn wir sie geschwind ein wenig zählen wollten, bis wir fertig wären, wären nimmer die nemlichen da, sondern andere; deswegen heißt es mit Recht: So jemand die Sterne des Himmels zählen kann, so wird er auch deine Nachkommen zählen, nemlich die Juden.

Damit nun wir Sternseher (der Hausfreund gehört jezt nimmer zu unser einem) damit wir die Anzahl der Sterne besser in Ordnung halten können, so haben wir gewissen merkwürdigen Sternen einen eigenen Namen gegeben, oder wir haben denen, welche zusammen eine Figur vorstellen, den Namen einer Figur gegeben, z. B. das Creutz, die Krone, oder wir haben um 20 bis 100 Sterne herum in Gedanken eine Linie gezogen, die bald aussieht wie ein Wolf oder ein [258] Krebs, oder so, und nennen sie Sternbilder, z. E. die 12 himmlischen Zeichen, die Jungfrau, die Zwillinge, der Skorpion, und alle Sterne groß und klein, die in einem Sternbild stehen, gehören zum Sternbild, und wenn einmal einer von ihnen fehlte, oder zu spät käme, so wollten wir’s bald merken, könnten’s aber nicht wehren. Der Leser selber kennt ja einige dieser Sternbilder, den Jakobsstab, den Heerwagen, die Gluckhenne, oder das Siebengestirn, und sollte es auch bald merken, wenn einer von ihren Sternen nicht einhalten wollte.

Allein das ist alles noch nichts, sondern es gibt noch viel mehr Sterne, die wir nicht sehen, als die wir sehen. Wo zwischen zwey oder dreyen dem bloßen Auge alles öde und leer zu seyn scheint; schaut ihr durch ein rechtschaffenes Perspektiv, so funkeln euch noch mehr als 20 neue himmlische Lichtlein entgegen.

Kennen wir nicht alle die Milchstraße, die wie ein breiter flatternder Gürtel den Himmel umwindet. Sie gleicht einem ewigen Nebelstreif, den eine schwache Helle durchschimmert. Aber durch die Gläser der Sternseher betrachtet, löset sich dieser ganze herrliche Lichtnebel in unzählige kleine Sterne auf, wie wenn man zum Fenster hinaus an den Berg schaut, und nur grüne Farbe sieht, aber schon durch ein gemeines Perspektiv erblickt man Baum an Baum, und Laub an Laub, und das Zählen läßt man auch bleiben.

Ja es ist glaublich, daß wenn ein Sternseher auf den lezten obersten Stern sich hinaufschwingen könnte, der von hier aus noch zu sehen ist, so würde er noch nicht am Ende seyn, sondern ein neuer Wunderhimmel [259] voll Sternen und Milchstraßen würde sich vor seinen Augen aufthun, bis ins unendliche hinaus.

Was aber die Bewegung der Sterne betrifft, wenn man auch sagen will, sie gehen auf und unter, so gehen sie doch nicht alle auf und unter, sondern wenn man sich gegen Norden stellt, wo der Winter und die Russen herkommen, und halbwegs am Himmel hinaufschaut, nicht gar weit vom großen Heerwagen, dort steht ein Stern, der sich nicht sonderlich bewegt, und der Angelstern oder Polarstern heißt, der Herr Pfarrer kennt ihn. Auf diesen schauen die andern Sterne bis zum Thierkreis oder den 12 Zeichen hinaus, als auf ihren Flügelmann oder ihr Centrum, und drehen sich um ihn herum. Die nähern drehen sich in kleinern Kreisen um ihn herum, also, daß sie auch nie untergehen. Deswegen kann man z. B. den Heerwagen, Sommer und Winter die ganze Nacht sehen, bald über bald unter dem Angelstern. Aber die entfernteren in ihren großen Kreisen müssen schon unten um die Erde herumgehen, und auf der andern Seite wieder hinauf. Also kann man z. B. das Siebengestirn nicht immer sehen. Wenn es unten ist, kann man es nicht sehen. Stellt man sich aber gegen Süden, wo der Sommer, die Mohren und die Storken herkommen, dem Angelstern gegenüber, eben so tief unter uns, als dieser über uns, steht wieder so ein Angelstern, der sich gar nicht bewegt. Auf den schauen die Sterne, die jenseits des Thierkreises stehen, und bewegen sich auch um ihn herum, immer in kleinern Kreisen, je näher sie ihm kommen, ganz so, wie hier zu Land.

Allein das alles ist im Grunde doch nur Schein. [260] In der That selbst aber ist es, wie hier folgt. Die Erde hängt rings um zwischen lauter himmlischen Sternen ohne Zahl und ohne Ende, und wie? Es wäre dem Hausfreund lieb, wenn sich der geneigte Leser noch erinnern wollte an alles was über die Axe der Erde, über ihr Umdrehen derselben und über ihre Pole früher gesagt worden ist. Denn der eine Pol der Erde, unserm, dem wir am nächsten sind, schaut gegen den obern Polarstern am Himmel nicht ganz, aber ungefähr der andere Pol der Erde schaut gegen den andern Polarstern am Himmel, den wir hie zu Land und auf unsern Bergen nie sehen, gegen den untern, und die Axe, oder Spindel, welche gleichsam durch die Erde hindurch geht, es geht keine durch, aber wenn sie durchgienge, und unten und oben bis in die Sterne hinausreichte, so würde sie sich in die zwey Polarsterne am Himmel hineinbohren, und sich in ihnen sammt der Erde gleichsam als in ihrem Gewinde umdrehen, und so dreht sich die Erde wirklich herum, daß immer die Pole gegen die Polarsterne schauen. Daraus folgt, wie wir meynen die Sonne geht in 24 Stunden um die Erde herum, so meynen wir, alle Sterne gehn auch in größern und kleinern Cirkeln um die Erde herum. Aber nein. Die Erde vollendet in 24 Stunden ihren Wirbel um sich selbst, und kommt so an den Sternen vorbey, nicht die Sterne an ihr. Doch darauf kommt so viel nicht an. Aber der geneigte Leser glaubts nicht. Ich weiß es schon. [261]

Seltsame Ehescheidung.

Ein junger Schweitzer aus Ballstall kam in spanische Dienste, hielt sich gut, und erwarb sich einiges Vermögen. Als es ihm aber zu wohl war, dachte er: Will ich, oder will ich nicht? Endlich wollte er, nahm eine hübsche wohlhabende Spanierin zur Frau, und machte damit seinen guten Tagen ein Ende. Denn in den spanischen Haushaltungen ist die Frau der Herr, ein guter Freund der Mann, und der Mann ist die Magd.

Als nun das arme Blut der Sklaverey und Drangsalirung bald müde war, fieng er an, als wenn er nichts damit meinte, und rühmte ihr das fröhliche Leben in der Schweitz, und die goldenen Berge darinn, er meynte die Schneeberge im Sonnenglast jenseits der Clus, und wie man lustig nach Einsiedeln wallfahrten könne, und schön beten in Sasseln am Grabe des heiligen Bruders Niklas von der Flue, und was für ein großes Vermögen er daheim besize, aber es werde ihm nicht verabfolgt aus dem Land. Da wässerte endlich der Spanierin der Mund nach dem schönen Land und Gut, und es war ihr recht, ihr Vermögen zu Geld zu machen, und mit ihm zu ziehen in seine goldene Heimath. Also zogen sie miteinander über das große Pyrenäische Gebirg bis an den Gränzstein, der das Reich Hispania von Frankreich scheidet; sie mit dem Geld auf einem Esel, er nebenher zu Fuß. Als sie aber vorüber an dem Gränzstein waren, sagte er: Frau, wenns dir recht ist, bis hieher haben wirs spanisch mit einander getrieben, von jezt an treiben wir’s deutsch. Bist du von Madrit [262] bis an den Markstein geritten, und ich bin dir zu Fuß nachgetrabt den langen Berg hinauf, so reit ich jezt von hier weg bis gen Ballstall, Canton Solothurn, und das Fußgehen ist an dir. Als sie darüber sich ungeberdig stellte, und schimpfte und drohte, und nicht von dem Thierlein herunter wollte: „Frau das verstehst du noch nicht, sagte er, und ich nehme dirs nicht übel“, sondern hieb an dem Weg einen tüchtigen Stecken ab, und las ihr damit ein langes Kapitel aus dem Ballstaller Ehe- und Männerrecht vor, und als sie alles wohl verstanden hatte, fragte er sie: Willst du jezt mit welsche Hexe und gut thun, oder willst du wieder hin wo du hergekommen bist? Da sagte sie schluchzend: wo ich hergekommen bin, und das war ihm auch das liebste. Also theilte mit ihr der ehrliche Schweizer das Vermögen, und trennten sich von einander an diesem Gränzstein weiblicher Rechte, wie einmal ein bekanntes Büchlein in der Welt geheißen hat, und jedes zog wieder in seine Heimath. Deinen Landsmann, sagte er, auf dem du hergeritten bist, kannst du auch wieder mitnehmen.

Merke: Im Reich Hispania machens die Weiber zu arg, aber in Ballstall doch auch manchmal die Männer. Ein Mann soll seine Frau nie schlagen, sonst verunehrt er sich selber. Denn ihr seyd Ein Leib.


Der listige Steyermarker.

In Steyermark, ein wenig abhanden von der Straße, dachte ein reicher Bauer im lezten Krieg: [263] Wie fang ichs an, daß ich meine Kronenthaler und meine Dukätlein rette in dieser bösen Zeit? Die Kaiserin Maria Theresia ist mir noch so lieb, tröst sie Gott, und der Kayser Joseph, tröst ihn Gott, und der Kaiser Franz, Gott schenk ihm Leben und Gesundheit. Und wenn man meynt, man habe die lieben Herrschaften noch so gut verborgen und geflüchtet, so riecht sie der Feind, sobald er die Nase ins Dorf streckt, und führt sie in die Gefangenschaft ins Lothringen oder in die Champagne; daß einem armen Unterthanen das Herz dabey bluten möchte vor Patriotismus. Jezt weiß ich, sagt er, wie ichs anfange, und trug das Geld bei dunkler blinder Nacht in den Krautgarten. Das Siebengestirn verrathet mich nicht, sagte er. Im Krautgarten legte er das Geld geradezu zwischen die Gelveieleinstöcke und die spanischen Wicken. Nebendran grub er ein Loch in das Weglein zwischen den Beeten, und warf allen Grund daraus auf das Geld, und zertrat rings herum die schönen Blumenstöcke und das Mangoldkraut, wie einer, der Sauerkraut einstampft. Am Montag drauf streiften schon die Chasseurs im ganzen Revier, und am Donnerstag kam eine Parthie ins Dorf frisch auf die Mühle zu, und aus der Mühle mit weißen Ellenbogen zu unserm Bauern: und „Geld her, Buur, rief ihm ein Sundgauer mit blankem Säbel entgegen, oder bet’ dein leztes Vaterunser.“ Der Bauer sagte: sie möchten nehmen, was sie in Gottes Namen noch finden. Er habe nichts mehr, es sey gestern und vorgestern schon alles in die Rapuse gegangen. Vor euch kann man etwas verbergen, sagt er, ihr seyd die rechten. Als sie nichts fanden ausser ein paar Kupferkreuzer [264] und einen vergoldeten Sechser mit dem Bildniß der Kaiserin Maria Theresia und ein Ringlein dran zum Anhängen, Buur, sagte der Sundgauer, du hast dein Geld verlochet, auf der Stelle zeig, wo du dein Geld verlocht hast, oder du gehst ohne dein leztes Vaterunser aus der Welt. Auf der Stelle kann ichs euch nicht zeigen, sagte der Bauer, so sauer mich der Gang ankommt, sondern ihr müßt mit mir in den Krautgarten gehn. Dort will ich euch zeigen, wo ich es verborgen hatte, und wie es mir ergangen ist. Der Herr Feind ist schon gestern und vorgestern da gewesen, und habens gefunden und alles geholt. Die Chasseure nahmen den Augenschein im Garten ein, fanden alles, wie es der Mann angegeben hatte, und keiner dachte daran, daß das Geld unter dem Grundhaufen liegt, sondern jeder schaute in das leere Loch und dachte: Wär’ ich nur früher gekommen. Und hätten sie nur die schönen Gelveieleinstöcke und den Goldlack nicht so verderbt, sagte der Bauer, und so hintergieng er diese und alle, die noch nachkamen, und hat auf diese Art das ganze erzherzogliche Haus, den Kayser Franz, den Kaiser Joseph, die Kaiserin Maria Theresia, und den allerhöchstseligen Herrn Leopold den ersten, gerettet, und glücklich im Land behalten.


Etwas aus der Türkey.

In der Türkey ist Justiz. Ein Kaufmannsdiener, auf der Reise von der Nacht und Müdigkeit überfallen, bindet sein Pferd, so mit kostbaren Waaren beladen war, nimmer weit von einem Wachthaus an [265] einen Baum, legt sich selber unter das Obdach des Baums, und schläft ein. Früh als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er gut geschlafen, aber das Rößlein war fort.

Da eilte der Beraubte zu dem Statthalter der Provinz, nemlich zu dem Prinzen Carosman Oglu, der in der Nähe sich aufhielt, und klagte vor seinem Richterstuhl seine Noth. Der Prinz gab ihm wenig Gehör. „So nahe bey dem Wachthaus, warum bist du nicht die fünfzig Schritte weiter geritten, so wärest du sicher gewesen. Es ist deines Leichtsinns Schuld.“ Da sagte der Kaufmannsdiener: „Gerechter Prinz, hab ich mich fürchten sollen, unter freyem Himmel zu schlafen in einem Lande wo du regierst?“ Das that dem Prinzen Carosman wohl und wurmte ihm zugleich. „Trink heute Nacht ein Gläslein türkischen Schnaps, sagte er zu dem Kaufmannsdiener, und schlafe noch einmal unter dem Baum.“ So gesagt, so gethan. Des andern Morgens als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er auch gut geschlafen, denn das Rößlein stand mit allen Kostbarkeiten wieder angebunden neben ihm, und an dem Baum hieng ein todter Mensch, der Dieb, und sah das Morgenroth nimmer mehr.

Bäume gäb’ es noch an manchen Orten, große und kleine.


Das bequeme Schilderhaus.

Ein Schilderhaus hatte wie gewöhnlich auf beiden Seiten runde Oeffnungen zum Durchschauen, die etwas groß waren. Dem Rekruten der drin stand, [266] war daher der Luftzug etwas zu lebhaft. Also ersuchte er nach der Ablösung den Unterofficier, obs nicht besser wäre, wenn man diese Oeffnungen mit ein paar Brettlein vernagelte. Der Unterofficier strich den Bart und sagte: Nein das geht nicht an, wegen dem Winter. Im Winter kommen Ermel hinein, im Sommer ists ein Camisol. Also streckte der Rekrut, als er wieder auf den Posten kam, die Hände hindurch, und sagte, jezt sey er erst gern Militär, weil er sehe, daß man doch auch für die Bequemlichkeit des Mannes sorge.


Wie der ZundelFrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und glücklich über die Gränzen kam.

Eines Tages als der Frieder den Weg aus dem Zuchthaus allein gefunden hatte, und dachte: „ich will so früh den Zuchtmeister nicht wecken,“ und als schon auf allen Straßen Steckbriefe voran flogen, gelangte er Abends noch unbeschrieen an ein Städtlein an der Gränze. Als ihn hier die Schildwache anhalten wollte, wer er sey, und wie er hieße, und was er im Schilde führe; „Könnt ihr polnisch?“ fragte herzhaft der Frieder die Schildwache. Die Schildwache sagt: „Ausländisch kann ich ein wenig, ja! Aber polnisches bin ich noch nicht darunter gewahr worden.“ „Wenn das ist,“ sagte der Frieder, „so werden wir uns schlecht gegeneinander expliciren können. Ob kein Officier oder Wachtmeister am Thor sey?“ Die Schildwache holt den Thorwächter, es sey ein Polack an dem Schlagbaum, gegen den sie sich schlecht expliciren könne. Der Thorwächter [267] kam zwar, entschuldigte sich aber zum voraus, viel polnisch verstehe er auch nicht. „Es geht hie zu Land nicht stark ab, sagte er, und es wird im ganzen Städtel schwerlich jemand seyn, der capabel wäre, es zu dollmetschen.“ „Wenn ich das wüßte“, sagte der Frieder, und schaute auf die Uhr, die er unterwegs noch an einem Nagel gefunden hatte, „so wollte ich ja lieber noch ein paar Stunden zustrecken bis in die nächste Stadt. Um neun Uhr kömmt der Mond.“ Der Thorhüter sagte: „Es wäre unter diesen Umständen fast am besten, wenn ihr gerade durchpassirtet, ohne euch aufzuhalten, das Städtel ist ja nicht groß,“ und war froh, daß er seiner los ward. Also kam der Frieder glücklich durch das Thor hinein. Im Städtlein hielt er sich nicht länger auf, als nöthig war, einer Gans, die sich auf der Gasse verspätet hatte, ein paar gute Lehren zu geben. „In euch Gänse,“ sagte er, „ist keine Zucht zu bringen. Ihr gehört, wenns Abend ist, ins Haus oder unter gute Aufsicht.“ Und so packte er sie mit sicherm Griff am Hals, und mir nichts dir nichts unter den Mantel, den er ebenfalls unterwegs von einem Unbekannten geliehen hatte. Als er aber an das andere Thor gelangte, und auch hier dem Landfrieden nicht traute, drei Schritte von dem Schilderhaus als sich inwendig der Söldner rührte, schrie der Frieder mit herzhafter Stimme: Wer da! der Söldner antwortete in aller Gutmüthigkeit: Gut Freund! Also kam der Frieder glücklich wieder zum Städtlein hinaus, und über die Gränzen. [268]


Die leichteste Todesstrafe.

Man hat gemeynt, die Güllotine sey’s. Aber nein! Ein Mann, der sonst seinem Vaterland viele Dienste geleistet hatte, und bey dem Fürsten wohl angeschrieben war, wurde wegen eines Verbrechens, das er in der Leidenschaft begangen hatte, zum Tode verurtheilt. Da half nicht bitten, nicht beten. Weil er aber sonst bey dem Fürsten wohl angeschrieben war, ließ ihm derselbe die Wahl, wie er am liebsten sterben wolle, denn welche Todesart er wählen würde, die sollte ihm werden. Also kam zu ihm in den Thurn der Oberamtsschreiber: „der Herzog will euch eine Gnade erweisen. Wenn ihr wollt gerädert seyn, will er euch rädern lassen; wenn ihr wollt gehenkt seyn, will er euch henken lassen, es hängen zwar schon zwey am Galgen, aber bekanntlich ist er dreischläferig. Wenn ihr aber wollt lieber Rattenpulver essen, der Apotheker hat. Denn welche Todesart ihr wählen werdet, sagt der Herzog, die soll euch werden. Aber sterben müßt ihr, das werdet ihr wissen.“ Da sagte der Malefikant: „Wenn ich denn doch sterben muß, das Rädern ist ein biegsamer Tod, und das Henken, wenn besonders der Wind geht, ein beweglicher. Aber ihr verstehts doch nicht recht. Meines Orts, ich habe immer geglaubt, der Tod aus Altersschwäche sey der sanfteste, und den will ich denn auch wählen, weil mir der Herzog die Wahl läßt, und keinen andern,“ und dabey blieb er, und ließ sichs nicht ausreden. Da mußte man ihn wieder laufen und fortleben lassen, bis er an Altersschwäche selber starb. Denn der Herzog sagte: Ich habe mein Wort gegeben, so will ichs auch nicht brechen.

[269]

Dies Stücklein ist von der Schwiegermutter, die niemand gerne umkommen läßt, wenn sie ihn retten kann.


Nützliche Lehren.

1.

Ende gut, alles gut. Ist nicht so zu verstehen: Wenn du ein Jahr lang in einem Hause zu bleiben hast, so führe dich 364 Tage lang bengelhaft auf, und am 31sten December werde manierlich. Sondern es giebt Leute, die manierlich seyn können bis ans Ende, und wenns nimmer lang währt, so werden sie ungezogen, trotzig, sagen: ich bin froh, daß es nimmer lang währt, und die andern denkens auch. Für diese ist das Sprichwort.

Item, es gibt Dinge, ob sie gut oder bös sind, kann erst das Ende lehren. Z. B. du bist krank, möchtest gern essen, was dir der Arzt verbietet, gern auf die Gasse gießen, was du trinken mußt, aber du wirst gesund – oder du bist in der Lehre, und meynst manchmal, der Lehrherr sey wunderlich, aber du wirst durch seine Wunderlichkeit ein geschickter Weißgerber oder Orgelmacher; – oder du bist im Zuchthaus, der Zuchtmeister könnte dir wohl die Suppe fetter machen, aber du wirst durch Wasser und Brod nicht nur gesättigt, sondern auch gebessert. Dann lehrt das gute Ende: daß alles gut war.


2.

Gott grüßt manchen, der ihm nicht dankt. Z. B. wenn dich früh die Sonne zu einem neuen kräftigen Leben weckt, so bietet er dir: Guten [270] Morgen. Wenn sich Abends dein Auge zum erquicklichen Schlummer schliesset: gute Nacht. Wenn du mit gesundem Appetit dich zur Mahlzeit setzest, sagt er: wohl bekomms. Wenn du eine Gefahr noch zu rechter Zeit entdeckst, so sagt er: Nimm dich in Acht, junges Kind, oder altes Kind und kehre lieber wieder um. Wenn du am schönen Maitag im Blüthenduft und Lerchengesang spatzieren gehst, und es ist dir wohl, sagt er: Sey willkommen in meinem Schloßgarten. Oder du denkst an nichts und es wird dir auf einmal wunderlich im Herzen, und naß in den Augen, und denkst, ich will doch anders werden, als ich bin, so sagt er: Merkst du wer bey dir ist? Oder du gehst an einem offnen Grab vorbey, und es schauert dich, so denkt er just nicht daran, daß du lutherisch oder reformirt bist, und sagt: Gelobt sey Jesus Christ! Also grüßt Gott manchen, der ihm nicht antwortet und nicht dankt.


3.

Man muß mit den Wölfen heulen. Das heißt: Wenn man zu unvernünftigen Leuten kommt, muß man auch unvernünftig thun, wie sie. Merke: Nein! Sondern erstlich, du sollst dich nicht unter die Wölfe mischen, sondern ihnen aus dem Weg gehen. Zweitens, wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen: Ich bin ein Mensch, und kein Wolf. Ich kann nicht so schön heulen, wie ihr. Drittens: Wenn du meynst, es sey nimmer anders von ihnen loszukommen, so will der Hausfreund erlauben, ein oder zweimal mit zu bellen, aber du sollst nicht mit ihnen beißen, und andrer Leute Schafe fressen. Sonst [271] kommt zuletzt der Jäger, und du wirst mit ihnen geschossen.


Die Fixsterne.

Fortsetzung.

Was bisher über die Fixsterne gesagt worden ist, kann zum Theil mit dem leiblichen Auge gesehen und erkannt werden. Allein das Auge des Verstandes sieht mehr als das Auge des Leibes.

Erstlich die Fixsterne sind so weit von uns entfernt, daß gar kein Mittel mehr möglich ist, ihre ungeheure Entfernung auszurechnen. Merke: der nächste Fixstern bei uns ist ohne Zweifel der Sirius oder Hundsstern, den der Herr Pfarrer auch kennt. Man schließt es aus seiner Größe und aus seinem wunderschönen Glanz, mit dem er vor allen andern Sternen herausstrahlt. Dessen ungeachtet muß er doch zum allerwenigsten 27,664 mal weiter von uns entfernt seyn, als die Sonne, denn wenn er näher wäre, so könnte mans wissen, und eine Kanonenkugel im Sirius abgeschossen, müßte mit gleicher Geschwindigkeit mehr als 600,000 Jahre lang fliegen, ehe sie die Erde erreichte. Ja man könnte noch viel mehr sagen. Aber dies soll genug seyn, sonst glaubts der geneigte Leser nicht. Eben so weit als der Sirius von der Erde entfernt ist, eben so weit ungefähr ist er von der Sonne entfernt. Denn auf ein paar Millionen Meilen kömmts hier gar nicht an.

Zweytens der Sirius, der aus einer so unermeßlichen Weite doch noch so groß aussieht, und so ein strahlendes Licht zu uns herab wirft, muß in seiner [272] Heimath wenigstens eben so groß, nein er muß noch viel größer als die Sonne, und folglich selber eine glorreiche strahlende Sonne seyn. Das kann nicht fehlen. Haben wir aber Ursache, für gewiß zu glauben, der Sirius sei daheim eine Sonne, so haben wir Ursache zu glauben, jeder andere Fixstern sey auch eine Sonne. Denn wenn sie uns auch noch so viel kleiner erscheinen, so sind sie nur noch so viel weiter von uns entfernt. Aber alle strahlen in ihrem eigenthümlichen ewigen Lichte, oder wo hätten sie’s sonst her?

Drittens die Entfernung unserer Sonne von dem Sirius dient uns nun zu einem muthmaßlichen Maaßstab, wie weit eine himmlische Sonne oder ein Stern von dem andern entfernt sey. Denn wenn zwischen unserer Sonne und der Sirius Sonne ein Zwischenraum ist, den eine Kanonenkugel in 600,000 Jahren nicht durchfliegen könnte, so kann man wohl glauben, daß die andern Sonnen auch eben so weit jede von der nächsten entfernt sey, bis zur oberstern Milchstraße hinauf, wo sie so klein scheinen und so nahe beyeinander, daß uns ein paar hundert von ihnen zusammen kaum aussehen wie ein Nebelfleck, den man mit einem badischen Sechskreutzerstück bedecken könnte. Es gehört nicht viel Verstand dazu, daß er einem still stehe.

Wenn man nun viertens das alles bedenkt, so will es nicht scheinen, daß alle diese zahllosen Sterne, zumal diejenigen, die man mit bloßem Auge nicht sehen kann, nur wegen uns erschaffen worden wären, und damit der Kalendermacher für des Lesers Geld etwas darüber [273] schreiben könnte. Wie wenn man in der fremden Stadt auf einer Pilgerreise über Nacht ist, und sieht zum erstenmal durch das Fensterlein der Schlafkammer heraus, rechts und links und über 20 Häuser hinaus, sieht man noch viel solche Lichter abermal brennen, wie in dem Schlafstüblein auch eins schimmert. Geneigter Pilger, diese Lichter sind nicht wegen deiner angezündet, daß es in dem Schlafstüblein lustig aussehe, sondern jedes dieser Lichter erleuchtet eine Stube, und es sitzen Leute dabey und lesen die Zeitung, oder den Abendsegen, oder sie spinnen und stricken, oder spielen Trumpfaus, und das Büblein macht ein Rechnungsexempel aus der Regel Detri.

Gleicherweise wollen verständige Leute glauben, wo in einer solchen Entfernung von uns, in einer solchen Entfernung von einander so unzählige prachtvolle Sonnenstrahlen, da müssen auch Planeten und Erdkörper zu einer jeden derselben gehören, welche von ihr Licht und Wärme und Freude empfangen, wie unsere Planeten von unserer Sonne, und es müssen darauf lebendige und vernünftige Geschöpfe wohnen, wie auf unserer Erde, die sich des himmlischen Lichtes erfreuen und ihren Schöpfer anbeten, und wenn sie etwa bey Nacht in den glanzvollen Himmel herausschauen, wer weiß, so erblicken sie auch unsere Sonne wie ein kleines Sternlein, aber unsere Erde sehen sie nicht, und wissen nichts davon, daß in Oestreich Krieg war, und daß die Türken die Schlacht bey Silistria gewonnen haben. Sie sehen nicht die Schönheit unserer Erde, wenn der Frühling voll Blüthen und Sommervögel an allen Bäumen und Hecken hängt und wir sehen die Schönheit ihres himmlischen Frühlings [274] nicht. – Aber der ewige und allmächtige Geist, der alle diese Lichter angezündet hat, und alle die Heere von Weltkörpern in den Händen trägt, sieht das Kindlein lächeln auf der Mutter Schoos, und die Braut weinen um des Bräutigams Tod, und umfaßt die Erde und den Himmel und aller Himmel Himmel mit Liebe und Erbarmung. Seines Orts dem Hausfreund, wenn er den Sternenhimmel betrachtet, es wird ihm zu Muth, als wenn er in die göttliche Vorsehung hineinschaute, und jeder Stern verwandelt sich in ein Sprüchlein. Der erste sagt: Deine Jahre währen für und für, du hast vorhin die Erde gegründet und die Himmel sind deiner Hände Werk. Der zweyte sagt: Bin ich nicht ein Gott der nahe ist, spricht der Herr, und nicht ein Gott der ferne sey? Meynest du, daß sich jemand so heimlich verbergen könne? Der Dritte sagt: Herr du erforschest mich und kennest mich, und siehest alle meine Wege. Der vierte sagt: Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest, und Adams Kind, daß du dich sein annimmst? Der fünfte sagt: Und ob auch eine Mutter ihres Kindes vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen: spricht der Herr.

Deswegen hat der Hausfreund im Kapitel von den Kometen geschrieben, unten am Ende: Die Sterne, die zum Beschluß sollen erklärt werden, bedeuten insgesammt Friede und Liebe und Gottes allmächtigen Schutz. Er weiß noch wohl, was er geschrieben hat. [275]


Die Bekehrung.

Zwei Brüder im Westphälinger Land lebten miteinander in Frieden und Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb, und der ältere katholisch wurde. Als der jüngere lutherisch blieb und der ältere katholisch wurde, thaten sie sich alles Herzeleid an. Zulezt schickte der Vater den katholischen als Ladendiener in die Fremde. Erst nach einigen Jahren schrieb er zum erstenmal an seinen Bruder. „Bruder“, schrieb er, „es geht mir doch im Kopf herum, daß wir nicht Einen Glauben haben, und nicht in den nemlichen Himmel kommen sollen, vielleicht in gar keinen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und gut, kann ich dich katholisch machen, desto besser.“ Also beschied er ihn in den rothen Adler nach Neuwied, wo er wegen einem Geschäft durchreiste. „Dort wollen wirs ausmachen.“ In den ersten Tagen kamen sie nicht weit miteinander. Schalt der lutherische: „der Pabst ist der Antichrist“, schalt der katholische: „Luther ist der Widerchrist.“ Berief sich der katholische auf den heiligen Augustin, sagte der lutherische: „Ich hab nichts gegen ihn, er mag ein gelehrter Herr gewesen seyn, aber beim ersten Pfingstfest zu Jerusalem war er nicht dabey.“ Aber am Samstag aß schon der Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise. „Bruder“, sagte er, „der Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den durchgeschlagenen Erbsen“; und Abends gieng schon der Katholische mit seinem Bruder in die lutherische Vesper. „Bruder“, sagte er, „euer Schulmeister singt keinen schlechten Tremulant.“ Den andern Tag wollten sie miteinander zuerst [276] in die Frühmesse, darnach in die lutherische Predigt, und was sie alsdann bis von heut über acht Tage der liebe Gott vermahnt, das wollten sie thun. Als sie aber aus der Vesper und aus dem grünen Baum nach Hause kamen, ermahnte sie Gott, aber sie verstanden es nicht. Denn der Ladendiener fand einen zornigen Brief von seinem Herrn: „Augenblicklich sezt eure Reise fort. Hab ich euch auf eine Tridenter Kirchenversammlung nach Neuwied geschickt, oder sollt ihr nicht vielmehr die Musterkarte reiten?“ Und der andere fand einen Brief von seinem Vater: „Lieber Sohn komm heim sobald du kannst, du mußt spielen.“ Also giengen sie noch den nemlichen Abend unverrichteter Sachen auseinander, und dachten jeder für sich nach was er von dem andern gehört hatte. Nach sechs Wochen schreibt der jüngere dem Ladendiener einen Brief: „Bruder deine Gründe haben mich unterdessen vollkommen überzeugt. Ich bin jezt auch katholisch. Den Eltern ist es insofern recht. Aber dem Vater darf ich nimmer unter die Augen kommen.“ Da ergriff der Bruder voll Schmerz und Unwillen die Feder: „Du Kind des Zorns und der Ungnade, willst du denn mit Gewalt in die Verdammniß rennen, daß du die seligmachende Religion verläugnest? Gestrigs Tags bin ich wieder lutherisch worden.“ Also hat der katholische Bruder den lutherischen bekehrt, und der lutherische hat den katholischen bekehrt, und war nachher wieder wie vorher, höchstens ein wenig schlimmer.

Merke: du sollst nicht über die Religion grübeln und düfteln, damit du nicht deines Glaubens Kraft verlierst. Auch sollst du nicht mit Andersdenkenden darüber disputiren, am wenigsten mit solchen, die es [277] eben so wenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch deine Ueberzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben, und was gerade ist, nicht krumm machen. Es sey dann, daß dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren.


Der fremde Herr.

Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln ein wenig verrostet, und die Scheere zusammengewachsen, also nährt er sich, so gut er kann. Gevatter sagt zu ihm der Peruckenmacher, ihr tragt nicht gerne schwer; wollt ihr nicht dem Herrn Dechant von Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel? Sie ist leicht, und er zahlt euch den Gang. – Gevatter, sagt der Schneider, es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die Kleider, die euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der euch angeschmiert hat, so stell ich auf dem Jahrmarkt etwas vor.

Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drey Stunden im Revier einen Markt weiß, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von dem Hausfreund wohl bezahlt, so giebt er dem Jahrmarkt viel zu lösen für neue weltliche Lieder und feine Damascener Maultrommeln. Also saß jezt der Adjunkt auch zu Brassenheim im wilden Mann und musterte die Lieder: Erstes Lied: Ein Lämmlein trank vom frischen etc. Zweites Lied: Schönstes Hirschlein über die Massen etc. Drittes Lied: Kein schöner Leben auf Erden etc. und probirte die [278] Trommeln. Kommt auf einmal der Schneider herein mit rothem Rock, hirschledernen Beinkleidern, Halbstiefeln und Zotteln daran, und zwey Sporen. Der Wirth zog höflich die Kappe ab, die Gäste auch, und „hat euch, Herr Ritter, der Hausknecht das Pferd schon in den Stall geführt?“ fragt ihn der Wirth. „Mein Normänder, der Scheck?“ sagte der Schneider. Ich hab ihn au Cerf eingestellt im Hirschen. Ich will hier nur ein Schöpplein trinken. Ich bin der berühmte Adelstan und reise auf Menschenkenntniß und Weinkunde; „Platz da!“ sagte er zum Adjunkt. „Holla“, denkt der Adjunkt, „der meynt auch, grob sey vornehm. Was gilts, er ist nicht weit her?“ Als aber der Schneider die Gerte breit über den Tisch legte, und räusperte sich wie ein Kameel, und betrachtete die Leute mit einem Brennglas und den Adjunkt auch, steht der Adjunkt langsam auf und sagt dem Wirth etwas halblaut in das Ohr. Ein Ehninger der es hörte, sagt: „Herr Landsmann, ihr seyd auf der rechten Spur. Ich hab ihn gesehn die Stiefel am Bach abwaschen, und eine Gerte schneiden. Er ist zu Fuß gekommen.“ Ein Scheerenschleifer sagte: „Ich kenn ihn wohl, er ist einmal ein Schneider gewesen. Jetzt hat er sich zur Ruh’ gesetzt und thut Botengänge um den Lohn.“ Also geht der Wirth ein wenig hinaus und kommt wieder herein. „So kann denn doch kein hiesiger Markt ohne ein Unglück vorübergehen“, sagt er im Hereinkommen. „Da suchen die Hatschirer in allen Wirthshäusern einen Herrn in einem rothen Rocke, der heute durch die Dörfer gallopirt ist, und ein Kind zu todt geritten hat.“ Da schauten alle Gäste den Ritter Adelstan [279] an, der sagte in der Angst: „Mein Rock ist eher gelb als roth.“ Aber der Ehninger sagte: „Nein, aber euer Gesicht ist eher blaß als gelb, und hat auf einmal viel Schweißtropfen darauf geregnet. Gestehts ihr seyd nicht geritten.“ „Doch er ist geritten“, sagte der Wirth; „ich hab ihm eben das Roß draußen angebunden. Es ist losgerissen im Hirsch, und sucht ihn. Hat nicht euer Normänder die Mähnen unten am Hals, und gespaltene Hufe, und wenn er wiehert, sollte man schier nicht meynen, daß es ein Roß ist? Zahlt euer Schöpplein und reitet ordentlich heim.“ Als er aber vor das Haus kam, und den Normänder sah, den ihm der Wirth an die Thüre gebunden hat, wollte er nicht aufsitzen, sondern gieng zu Fuß zum Flecken heraus, und wurde von den Gästen entsetzlich verhöhnt.

Merke: Man muß nie mehr scheinen wollen, als man ist, und als man sich zu bleiben getrauen kann, wegen der Zukunft.


Theures Späßlein.

Man muß mit Wirthen keinen Spaß und Muthwillen treiben, sonst kommt man unversehens an den Unrechten. Einer in Basel will ein Glas Bier trinken, das Bier war sauer, zog ihm den Mund zusammen, daß ihm die Ohren bis auf die Backen hervor kamen. Um es auf eine witzige Art an den Tag zu legen und den Wirth vor den Gästen lächerlich zu machen, sagte er nicht, „das Bier ist sauer“, sondern „Frau Wirthin“, sagte er, könnt ich nicht ein wenig Salat und Oel zu meinem Bier haben?“ [280] Die Wirthin sagte: „in Basel kann man für Geld alles haben“, strickte aber noch ein wenig fort, als wenn sie’s wenig achtete, denn sie war eben am Zwickel. Nach einigen Minuten, als unterdessen die Gäste miteinander discurirten, und einer sagte: „Habt ihr gestern das Kameel auch gesehen und den Affen?“ ein anderer sagte: „es ist kein Kameel, es ist ein Trampelthier“; sagte die Wirthin „mit Erlaubniß“ und deckte eine schneeweiße Serviette vom feinsten Gebilde auf den Tisch. Jeder glaubte, der andere habe ein Bratwürstlein bestellt, oder etwas, und „es ist doch ein Kameel“, sagte ein Dritter, „denn es ist weiß, die Trampelthiere sind braun.“ Unterdessen kam die Wirthin wieder mit einem Teller voll zarter Cucümmerlein aus dem marggrävischen Garten, aus dem Treibhaus, fein geschnitten, wie Postpapier, und mit dem kostbarsten genuesischen Baumöl angemacht, und sagte zu dem Gast mit spöttischem Lächeln: „Ists gefällig?“ Also lachten die Andern nicht mehr den Wirth aus, sondern den Gast, und wer wohl oder übel seinen Spaß mit zehen Batzen, fünf Rappen Basler Währung bezahlen mußte, war er.


Der General-Feldmarschall Suwarow.

Das Stücklein von Suwarow, wie er sein eigenes Commando respektirte, hat dem geneigten Leser nicht übel gefallen. Von ihm selber wäre viel anmuthiges zu erzählen.

Wenn ein vornehmer Herr nicht hochmüthig ist, sondern redet auch mit geringen Leuten, und stellt sich manchmal als wenn er nur ihresgleichen wäre, [281] so sagt man zu seinem Lob: er ist ein gemeiner Herr. Suwarow konnte manchen schimmernden Ordensstern an die Brust hängen, manchen Diamantring an die Finger stecken, und aus mancher goldenen Dose Taback schnupfen. War er nicht Sieger in Polen und in der Türkey, russischer GeneralFeldmarschall und Fürst, und an der Spitze von dreimalhunderttausend Mann, so viel als seines gleichen ein anderer? Aber bey dem allen war er ein sehr gemeiner Herr.

Wenn es nicht seyn mußte, so kleidete er sich nie wie ein General, sondern wie es ihm bequem war. Manchmal, wenn er kommandirte, so hatte er nur einen Stiefel an. An dem andern Bein hieng ihm der Strumpf herunter und die Beinkleider waren auf der Seite aufgeknüpft. Denn er hatte einen Schaden am Knie.

Oft war er nicht einmal so gut gekleidet. Morgens, wenns noch so frisch war, gieng er aus dem Bett oder von der Streue weg, vor dem Zelt im Lager spatzieren, nakt und bloß wie Adam im Paradies, und ließ ein paar Eimer voll kaltes Wasser über sich herabgießen zur Erfrischung.

Er hatte keinen Kammerdiener und keinen Heiduck, nur einen Knecht, keine Kutsche und kein Roß. In dem Treffen setzte er sich aufs nächste beste.

Sein Essen war gemeine Soldatenkost. Niemand freute sich groß, wenn man von ihm zur Mittagsmahlzeit eingeladen wurde. Manchmal gieng er zu den gemeinen Soldaten ins Zelt, und war wie ihres Gleichen.

Wenn ihn auf dem Marsch, oder im Lager, oder wo es war, etwas ankam, wo ein anderer an einen [282] Baum steht, oder hinter eine Hecke geht, da machte er kurzen Prozeß. Seinetwegen durfte ihm jedermann zuschauen, wers noch nie gesehen hat.

Bei den vornehmsten Gelegenheiten, wenn er in der kostbarsten MarschallsUniform voll Ehrenkreutzen und Ordenssternen da stand, und wo man ihn ansah, von Gold und Silber funkelte und klingelte, trieb ers doch wie ein säuberlicher Bauer, der wegwirft, was ein Herr in die Rocktasche steckt. Er schneutzte die Nase mit den Fingern, strich die Finger am Ermel ab, und nahm alsdann wieder eine Prise aus der goldenen Dose.

Also lebte der General und Fürst Italinsky Suwarow.


Die zwei Postillione.

Zwei Handelsleute reisten oft auf der Extrapost von Fürth nach Hechingen, oder von Hechingen nach Fürth, wie jeden sein Geschäft ermahnte, und gab der eine dem Postillion ein schlechtes Trinkgeld, so gab ihm der andere kein gutes. Denn jeder sagte: „Für was soll ich dem Postknecht einen Zwölfer schenken? ich trag’ ja nicht schwer daran.“ Die Postillione aber, der von Dünkelsbühl und der von Ellwangen sagten: „Wenn wir nur einmal den Herren einen Dienst erweisen könnten, daß sie spendaschlicher würden!“ Eines Tages kommt der Fürther in Dünkelsbühl an, und will weiters. Der Postillion sagte zu seinem Cameraden: „Fahr du den Passagier.“ Der Camerad sagte: „Es ist an dir.“ Unterdessen saß der Reisende ganz geduldig in seinem offenen Eliaswagen, [283] bis der Postillion aufsaß. Als er sah, daß der Postillion im Sattel recht saß und die Peitsche erhob, sagte er: „fahr zu Schwager! Werf er mich nicht um!“ Am nemlichen Nachmittag fuhr auch der Hechinger von Ellwangen ab, und der Postillion dachte bey sich selbst: „Wenn jezt nur mein Camerad von Dinkelsbühl mit dem Fürther auch auf dem Weg wäre!“ Indem er fährt, Berg auf Berg ab, nicht weit vom Segringer Zollhaus, wo dem Hausfreund und seinem Herrn Bruder auch einmal die Haare geschnitten worden sind, begegnen sie einander; keiner will dem andern ausweichen. Jeder sagt: „Ich führe einen honetten Herrn, keinen Pfennigschaber, wie du, dem seine Sechsbatzenstücke aussehen wie Hildburghäuser Groschen.“ Endlich legte sich der Fürther auch in den Streit: „Gott’s Wunder!“ sagte er; „sollen wir noch einmal vierzig Jahr in der Wüste bleiben?“ und schimpfte zuletzt den Ellwanger, daß ihm dieser mit der Peitsche einen Hieb ins Gesicht gab. Der Dünkelsbühler sagt: „du sollst meinen Passagier nicht hauen, er ist mir anvertraut, und zahlt honett, oder ich hau’ den deinigen auch.“ – „Untersteh’ dich und hau mir meinen Herrn!“ sagte der Ellwanger. Also hieb der Dinkelsbühler des Ellwangers Passagier und der Ellwanger hieb des Dinkelsbühlers Passagier, und riefen einander in unaufhörlichem Zorn zu: „Willst du meinen Herrn in Frieden lassen oder soll ich dir den deinigen ganz zu einem Lungenmus zusammenhauen?“ und je schmerzlicher der eine Ach und der andere Weih schrie, desto kräftiger hieben die Postillione auf sie ein, bis sie des unbarmherzigen Spasses selber müde wurden. Als sie aber auseinander waren und jeder wieder [284] seines Weges fuhr, sagten die Postillione zu ihrem Reisenden so und so: „Nicht wahr ich habe mich euer rechtschaffen angenommen? Mein Camerad wirds Niemand rühmen, wie ich ihm seinen Herren zerhauen habe. Aber diesmal kommts euch auch auf ein besseres Trinkgeld nicht an. Wenn’s der Fürst wüßte, sagte der Dinkelsbühler, es wäre ihm um einen Maxd’or nicht leid.“ Er sieht darauf, daß man die Reisenden gut hält.

Merke: es ist kein Geld schlechter erhaust, als was man armen Leuten am Lohn und Trinkgeld vorenthält, und wofür man gehauen oder sonst verunehrt wird. Für ein paar Groschen kann man viel Freundlichkeit und guten Willen kaufen.


Der betrogene Krämer.

Ein Rubel ist in Rußland eine Silbermünze, und beträgt 27 Batzen hin oder her, ein Imperial aber ist ein Goldstück und thut zehen Rubel, deswegen kann man wohl für einen Imperial einen Rubel bekommen, zum Beispiel, wenn man in den Karten neun Rubel verliert, aber nicht für einen Rubel einen Imperial. Allein ein schlauer Soldat in Moskau, sagte doch: „was gilts? morgen auf dem Jahrmarkt will ich mit einem Rubel einen doppelten Imperial angeln.“ Als den andern Tag in langen Reihen von Kaufläden der Jahrmarkt aufgieng, vor allen Ständen standen schon die Leute, lobten und tadelten, boten ab und boten zu, und die Menge gieng auf und gieng ab, und die Knaben grüßten die Mägdlein, kommt auf einmal der Soldat mit einem Rubel in den Händen. „Wem gehört dieser [285] Kaiserthaler, dieser Rubel? gehört er euch?“ fragt er jeden Krämer an jedem Stand. Einer, der ohnehin nicht viel Geld löste, und lange zusah, dachte endlich: „wenn dich dein Geld an die Finger brennt, die meinigen sind nicht so blöde. Hieher Musketier, der Rubel ist mein.“ Der Soldat sagte: „wenn ihr mir nicht gerufen hättet, ich hätt’ euch schwerlich gefunden unter der Menge, und gibt ihm den Rubel. Der Kaufmann betrachtet ihn hin und her, und klingelt daran, ob er gut sey; ja er war gut, und steckt ihn in die Tasche. „Seid so gut und gebt mir denn jezt auch meinen Imperial,“ sagte der Musketier. Der Kaufmann erwiederte: „ich habe keinen Imperial von euch, so bin ich euch auch keinen schuldig. Da habt ihr euren einfältigen Rubel wieder, wenn ihr nur Spaß wollt machen.“ Aber der Musketier sagte: „meinen zweifältigen Imperial gebt mir heraus, mein Spaß ist Ernst und die Marktwache, die Polizey wird zu finden seyn.“ Ein Wort gab das andere, das glimpfliche gab das trotzige, und das trotzige gab das schnöde, und es hängte sich an den Stand mit Leuten an, wie ein Bart an einem Bienenkorb. Auf einmal bohrt etwas wie ein Maulwurf durch die Menge. „Was geht hier vor?“ fragt der Polizeisergeant, als er sich mit seinen Leuten durch die Menge durchgebohrt hatte. „Was geht vor? frag ich?“ Der Krämer wußte wenig zu sagen, aber desto wundfertiger war der Musketier. Vor keiner Viertelstunde, erzählte er, hab’ er diesem Mann für einen Rubel abgekauft, das und das. Als er ihn bezahlen wollte, in allen Taschen habe er kein Geld gefunden, nur einen doppelten Imperial, den ihm sein Pathe geschenkt habe, als [286] er gezogen wurde. So habe er ihm den Imperial als Unterpfand zurückgelassen, bis er den Rubel bringe. Wie er mit dem Rubel wieder kommen sey, hab er den rechten Kaufladen nimmer gefunden, und an allen Ständen gefragt: „wem bin ich einen Rubel schuldig?“ so habe dieser da gesagt, er sey derjenige, und sei’s auch, und habe ihm auch den Rubel abgenommen, aber von dem Imperial wolle er nichts wissen. Wollt ihr ihn jetzt gutwillig herausgeben oder nicht?“ Als aber der Polizeisergeant die Umstehenden fragte, und die Umstehenden sagten: ja der Musketier habe an allen Kaufläden gefragt, wem der Rubel gehöre, und dieser habe bekannt, er gehöre ihm, und habe ihn auch angenommen, und daran geklingelt, ob er probat sey. Als der Polizey-Hauptmann das hörte, so gab er den Bescheid: „habt ihr euern Rubel bekommen, so gebt dem Soldaten auch seinen Imperial zurück, oder man petschiert euch euren Stand mit Lattnägeln zusammen, und ihr werdet zwischen euren eigenen Brettern eingeschachtelt und eingeschindelt, und könnt ihr alsdann lang Hunger leiden, so könnt ihr auch lang leben.“ Das sagte der Anführer der Polizeywache, und wer dem Musketier für einen Rubel einen Imperial herausgeben mußte, war der Kaufmann.

Merke: Fremdes Gut frißt das eigene, wie neuer Schnee den alten.


Rettung einer Officiersfrau.

Es muß manchmal recht wild und blutig in der Welt hergehen, daß die edle Denkungsart eines Menschen bekannt werde, den man nicht drum ansieht. [287]

In Tyrol, wo es während des lezten Krieges recht wild und blutig hergieng, da hatten sie eben einen baierischen Staabsofficier ermordet und mit noch blutigen Säbeln und Mistgabeln drangen sie in das Gemach, wo seine Gattin mit ihrem Kind in dem Schooß weinte und ihr Leid Gott klagte, und wollten sie auch ermorden. „Ja,“ fuhr sie einer von ihnen wüthend an, und war der allerärgste, „für euer Leben gibt es kein Lösegeld, und euer Bürschlein da hat auch baierisch Blut in den Adern. In einer Stunde müßt ihr sterben, zuerst euer kleiner Sadrach, hernach ihr. Laßt ihr eine Stunde Zeit,“ sagte er zu den andern, „daß sie noch beten kann; sie ist eine katholische Christin.“

Nach einer Viertelstunde aber, als sie allein war und betete, kam er wieder und sagte: „Gnädige Frau, ihr kennt mich noch, so bitte ich euch, Ihr wollt ob mir nicht erschrecken und nicht in Bösem aufnehmen, was ich in guter Meynung gesagt habe. Gebt mir euer Kind unter den Mantel, so will ich es retten und zu meiner Mutter bringen, und zieht unterdessen dieses Plunder an, das er unter dem Mantel hervorzog, so will ichs versuchen, ob ich euch mit Gottes und unserer Frauen Hülfe auch kann retten.“ Als er das Kind in Sicherheit gebracht hatte, und wiederkam, stand sie schon da angekleidet wie ein Tyroler. Da drückte er ihr den schlappen Hut recht ins Gesicht, richtete ihr den Hosenträger besser zurecht, und gab ihr seine Mistgabel in die Hand, als wenn sie auch ein Rebeller wäre, und zu den Leibgardisten und Hellebardieren des Sandwirth Hofers gehörte. „Kommt denn jezt,“ sagte er, „in Gottes Namen, und tretet herzhaft auf, wenn ihr [288] hinaus kommt, und macht euch ein wenig breit.“ Als sie aber miteinander die Treppe hinab giengen, kamen die andern wieder, und, „hast du ihr den Treff schon gegeben, Seppel?“ fragte ihn einer. Da sagte er: „nein, sie hat die Thüre zugeschlossen und gebetet. Jezt kann sie fertig seyn. Ich hab sie durchs Schlüsselloch gesehen, und sie stand eben auf, als ich durchsah.“ Also gieng er mit ihr die Treppe hinab, und die andern stürmten an ihr vorbei, die Treppe hinauf, und während sie vor der verschlossenen Thüre lärmten und pochten, und in das leere Gemach hinein riefen: „seid ihr bald fertig? die Thüre soll bald eingetreten seyn,“ brachte er sie auch zu seiner Mutter, und gab ihr ihr Kindlein wieder, und das Kindlein lächelte, aber sie weinte und drückte es brünstig an ihr Gesicht und an ihren Busen. Also hatte sie der edle Tyroler glücklich und mit Gottes Hülfe aus den Händen ihrer Mörder errettet, und hat sie hernach die Nacht hindurch auf heimlichen Wegen fortgeführt, und bis an ein baierisch Piquet gebracht, als eben die Sonne aufgieng.


Baumzucht.

Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne daß ers weiß, mit blauen Zähnen und herabhängenden Schnüren an den Beinkleidern, zu dem Hausfreund. „Die Kirschen,“ sagt er, „schmecken mir doch nie besser, als wenn ich selber frei und kek wie ein Vöglein auf den luftigen Baum kann sitzen, und essen frisch weg von den Zweigen die schönsten, – auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz.“

„Wir nähren uns doch alle“, sagt er, „an dem [289] nemlichen großen Hausvaters Tisch und aus der nemlichen milden Hand die Biene, die Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Rößlein und der Herr Vogt, der darauf reitet.“

„Hausfreund,“ sagt der Adjunkt, „singt mir einmal in eurer Weise das Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt.“

     Der lieb Gott het zum Frühlig gseit:
Gang, deck im Würmli au si Tisch!
Druf het der Chries-Baum Blätter treit,
viel tausig Blätter grün und frisch.

     Und ’s Würmli usem Ey verwachts,
’s het gschlofen in si’m Winterhuus,
es streckt si, und spert ’s Müüli uf,
und ribt die blöden Augen us.

     Und druf se hets mit stillem Zahn
am Blättli g’nagt enander no
und gseit: „Wie ist das Gemües so gut!
Me chunnt schier nimme weg dervo.“

     Und wieder het der lieb Gott gseit:
deck jez im Imli au si Tisch.“
Druf het der Chriesbaum Blüethe treit,
viel tausig Blüethe wiiß und frisch.

     Und ’s Immli siehts und fliegt druf los,
früeih in der Sunne Morge-Schin.
Es denkt: „das wird mi Caffe sy,
sie hen doch chosper Porzelin.

     Wie sufer sin die Chächeli gschwenkt!“
Es streckt si trochche Züngli dri.
Es trinkt und seit: „Wie schmeckts so süeß,
do mueß der Zucker wohlfel sy.“

     Der lieb Gott het zum Summer gseit:
„Gang, deck im Spätzli au si Tisch!“
Druf het der Chrießbaum Früchte treit.
Viel tausig Chriesi roth und frisch.

     Und’s Spätzli seit: „isch das der B’richt?
do sizt me zu, und frogt nit lang.
Das git mer Chraft in Mark und Bei’,
und stärkt mer d’Stimm zum neue Gsang.“

„Hausfreund,“ sagt der Adjunkt, „hat euch auch manchmal der Feldschütz verjagt ab den Kirschbäumen in eurer Jugend? Und habt ihr, wenns noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen, und Aepfel und [290] Nüsse eingetragen auf den Winter, wie meiner Frau-Schwiegermutter ihr Eichhörnlein, das sie euch geschenkt hat? Man denkt doch am längsten dran, was einem in der Jugend begegnet ist.“

Das geht natürlich zu, sagt der Hausfreund, man hat am längsten Zeit daran zu denken.

     Der lieb Gott het zum Spötlig gseit:
„Ruum ab! sie hen jez alli g’ha.“
Druf het e chüele Bergluft gweiht,
und ’s het scho chleini Rife g’ha

     Und d’Blättli werde gel und roth
und fallen eis im andere no
und was vom Boden obsi chunnt,
muß au zum Bode nidsi go.

     Der lieb Gott het zum Winter gseit:
„Deck weidli zu, was übrig ist.“
Druf het der Winter Flocke gstreut –

„Hausfreund,“ sagt der Adjunkt, „ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich die Wahl hätte ein eigenes Kühlein oder ein eigener Kirschbaum, oder Nußbaum, lieber ein Baum.“

Der Hausfreund sagt: „Adjunkt ihr seyd ein schlauer Gesell. Ihr denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt’ ich auch einen eigenen Garten, oder Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene Hausthür wäre auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen Kühlein auf seinen vier Beinen könntet ihr übel dran seyn.“

„Das ists eben“, sagt der Adjunkt, „so ein Baum frißt keinen Klee und keinen Haber. Nein er trinkt still wie ein Mutterkind den nährenden Saft der Erde, und saugt reines warmes Leben aus dem Sonnenschein, und frisches aus der Luft, und schüttelt die Haare im Sturm. Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben. Aber so ein Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blüthen, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen. Die Bäume wären die glücklichsten Geschöpfe, meynt der Adjunkt, wenn sie wüßten, wie frey und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling und in ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehen bleibt und sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Taback [291] genießt, oder ein Stücklein Käs, und wie sie gleich dem Kayser Wohlthaten austheilen können, und Jung und Alt froh machen umsonst, und im Winter allein nicht heimgehen. Nein sie bleiben draussen und weisen den Wandersmann zurecht, wenn Fahrwege und Fußpfade verschneyt sind. Rechts – jezt links – jezt noch ein wenig links über das Berglein.“

„Hausfreund,“ sagt der Adjunkt, „wenn ihr einmal Vogt werdet, Stabhalter seyd ihr schon, oder gar Kreisrath, das Alter hättet ihr, so müßt Ihr euere Untergebenen fleißig zur Baumzucht und zur Gottseligkeit anhalten, und ihnen selber mit einem guten Beyspiel voranleuchten. Ihr könnt euerer Gemeinde keinen größeren Segen hinterlassen. Denn ein Baum, wenn er gesezt oder gezweigt wird, kostet nichts oder wenig, wenn er aber groß ist, so ist er ein Kapital für die Kinder, und trägt dankbare Zinsen. Die Gottseligkeit aber hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.“

Wenn ich mir einmal so viel bei euch erworben habe, sagt der Adjunkt zum Hausfreund, daß ich mir ein eigenes Gütlein kaufen, und meiner Frau Schwiegermutter ihre Tochter heyrathen kann, und der liebe Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muß heißen wie das Kind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und Vermögen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen, und immer schöner werden, und wie nach wenig Jahren das Büblein selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht. Wenn mir aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den Herrn Pfarrer oder den Dekan, und begrabe es unter sein Bäumlein, und wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie Auferstandene von den Todten in ihrer Verklärung da, voll Blüthen und Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab, und rufe leise hinab: „Stilles Kind, dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen ruhig fort! Dein Maytag bleibt dir auch nicht aus.“

Er ist kein unwäger Mensch der Adjunkt. [292]


Unverhoftes Wiedersehen.

In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: „Auf Sanct Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib, und bauen uns ein eigenes Nestlein.“ – „Und Friede und Liebe soll darinn wohnen,“ sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, „denn du bist mein Einziges und Alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grab seyn, als an einem andern Ort.“ Als sie aber vor St. Luciä der Pfarrer zum zweytenmal in der Kirche ausgerufen hatte: „So nun jemand Hinderniß wüßte anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammen kommen.“ Da meldete sich der Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbey gieng, der Bergmann hat sein Todtenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster, und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rothem Rand für ihn zum Hochzeittag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg, und weinte um ihn und vergaß ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugall durch ein Erdbeben zerstört, und der siebenjährige Krieg gieng vorüber, und Kayser Franz der erste starb, und der JesuitenOrden wurde aufgehoben und Polen getheilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frey, und die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schloßen den General Stein in der Veteraner Höle in Ungarn ein, und der Kayser Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte russisch Finnland, und die französische Revolution und der lange Krieg fieng an, und der Kaiser Leopold der zweyte gieng auch ins Grab. Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardirten Koppenhagen, und die Ackerleute säeten und [293] schnitten. Der Müller mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirrdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwey Schachten eine Oeffnung durchgraben wollten, gute dreyhundert Ehlen tief unter dem Boden gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war; also daß man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben, oder ein wenig eingeschlafen wäre, an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange todt, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und Zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüths erholt hatte, „es ist mein Verlobter,“ sagte sie endlich, „um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte, und den mich Gott noch einmal sehen läßt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er unter die Erde gegangen und nimmer herauf gekommen.“ Da wurden die Gemüther aller Umstehenden von Wehmuth und Thränen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jezt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach 50 Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stüblein tragen ließ, als die einzige, die ihm angehöre, und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sey auf dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem [294] Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein auf legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit rothen Streifen um, und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: „Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig zu thun, und komme bald, und bald wirds wieder Tag. – Was die Erde einmal wieder gegeben hat, wird sie zum zweytenmal auch nicht behalten,“ sagte sie, als sie fortgieng, und noch einmal umschaute.


Andreas Hofer.

Als im letzten Krieg die Franzosen und Oestreicher in der Nachbarschaft von Tirol alle Händevoll mit einander zu thun hatten, dachten die Tiroler: Im Trüben ist gut fischen. Sie wollten nimmer bayrisch seyn. Viel Köpfe, viele Sinne, manchmal gar keiner. Sie wußten zuletzt selber nimmer recht was sie wollten. Unterdessen läuteten in allen Thälern die Sturmglocken. Von allen Bergen herab kamen die Schützen mit ihren Stutzen. Jung und alt, Mann und Weib griff zu den Waffen. Die Bayern und Franzosen hatten harten Stand; besonders in den engen Pässen, wenn Felsenstücke wie kleine Häuser so groß auf sie herabflogen. Bald glücklich bald unglücklich in ihren Gefechten, nahmen die Rebellen bald Inspruck ein, die Hauptstadt in Tirol; bald mußten sie sie wieder verlassen; bekamen sie wieder und konnten sie doch nicht behalten. Ungeheure Grausamkeiten wurden verübt, nicht nur an den bayerischen Beamten und Unterthanen, nein auch an den eigenen Landsleuten; Vogel friß oder stirb. Wer nicht mitmachen wollte war des Lebens nicht sicher. Endlich als manches schöne Dorf und Städtlein in der Asche lag, mancher wohlhabende Mann war ein Bettler, mancher leichtsinnige und rasende verlor sein Leben; jedes Dorf, fast jedes Haus hatte seine Leichen, seine Wunden und seinen Jammer, [295] da dachten sie zuletzt, es sey doch besser bayerisch seyn als sie im Anfang gemeynt hatten, und unterwarfen sich wieder. Unversucht schmeckt nicht. Nur einige Tollköpfe wollten lieber zuerst ein wenig erschoßen oder gehenkt seyn; zum Beispiel Andreas Hofer.

Andreas Hofer Sandwirth in Passeyer und Viehhändler hatte bis über sein 40stes Jahr bis der Aufstand ausbrach, schon manch Schöpplein Wein ausgeschenkt, manch Stücklein Kreide an bösen Schulden verschrieben, und schätzen konnte er ein Häuptlein Vieh trotzdem einem. Aber im Aufstand brachte er es zum Commandanten, nicht blos von einem Städtlein oder Thal, nein von der ganzen gefürsteten Grafschaft Tirol, und nahm sein Quartier nicht nur in einem Pfarrhof oder etwa in einem Amthaus, sondern in dem großen fürstlichen Residenzschloß zu Insbruck. An fünfzig tausend Mann Landsturm stand in kurzer Zeit unter seinem Befehl. Wer keine Flinte hatte, präsentirte das Gewehr mit der Heugabel. Was verordnet und ausgefertigt wurde, stand Andreas Hofer darunter, das galt. Sein geheimer Kriegsminister war ein geistlicher Herr, Pater Joachim genannt, sein Adjutant war der Kronenwirth von Pludenz, sein Schreiber ein entlaufener Student. Unter seiner Regierung wurden für dreyßigtausend Gulden eigene Zwanzigkreuzerstücke für Tirol geprägt, der Hausfreund hat auch einen Hutvoll davon. Ja, er legte eine eigene Stückgießerey an, aber wie? Die Kanonen wurden aus Holz gebohrt, und mit starken eisernen Ringen umlegt. Item es that gut, nur nicht dem, den’s traf. In Inspruck ließ er sich gut auftragen. Selber essen macht fett. Er sagte: ich bin lang genug Wirth gewesen. Jetzt will ich auch einmal Gast seyn. Bey dem allen veränderte er seine Kleidertracht nie. Er gieng einher wie ein gemeiner Tiroler, und trug einen Bart, so lang das Haar wachsen mochte. Nur im rothen Gürtel trug er ein paar Terzerolen, und auf dem grünen Hut eine hohe Reiherfeder, und neben seinen schweren Regierungsgeschäften trieb er den Viehhandel fort, wie vorher. Jetzt schickte er einen Adjutanten mit Befehlen an die Armee ab, jetzt kam ein Metzger: „Wie theuer die [296] vier Stieren die ihr bei eurem Schwager eingestellt habt?“ Sonst war er kein ganz roher Mann: viel Unglück hat er verhütet, wo er wehren konnte. Aber größer war das Unglück, das er durch seine Hartnäckigkeit gegen alle Einladungen zum Frieden und durch seine Treulosigkeit verursachte. Jetzt schrieb er an das Bayerische Commando. „Wir wollen uns unterwerfen und bitten um Gnad. Andere Hofer Oberkommedant in Diroll gewöster.“ Zugleich schrieb er an den Adjutant Kronenwirth: „Wehrt euch so lang ihr könnt. Trifts nicht, so gilts nicht.“ Als sich aber endlich das verblendete Volk der angebotenen Gnade seines großmüthigen Königs unterwarf, und alle welche sich nachher mit den Waffen des Aufruhrs noch blicken ließen, gehenkt wurden, mancher Baum trug solch ein Früchtlein, da war Andreas Hofer nicht daheim zu finden, und an keinem Baum; und es hieß er sey ein wenig spazieren gegangen über die Gränzen. Den Willen dazu mag er gehabt haben in seiner armen hölzernen Hirtenhütte auf einem hohen Berg im hintersten Passeyer Thal, wo er mit seinem Schreiber verborgen lag, und mit 6 Fuß hohem Schnee verschanzt war. Sein Haus und sein Vermögen war von den wüthenden Bauern geplündert. Dürftige Nahrung verschaffte ihm von Zeit zu Zeit seine Frau, die jetzt selber mit ihren 5 Kindern von fremden Wohltaten lebt. Da sah es anderst aus als in der Burg zu Inspruck. Schlimmers Quartier wartete auf ihn. Einer von seinen guten Freunden verrieth für Geld seinen Aufenthalt. Ein französisches Kommando umringte seine Hütte und nahm ihn gefangen. Man fand bey ihm vier geladene Kugelbüchsen, viel Geld, wenig Nahrung. Er selbst war von Mangel, Kummer und Angst abgezehrt. So wurde er von einer starken militärischen Begleitung unter Trommelschlag durch das Land nach Italien nach Mantua ins Gefängniß gebracht, und daselbst erschossen. In solchen Wassern fangt man solche Fische.

Vorgethan und nachbedacht, hat manchen in groß Leid gebracht.