Berchta-Sagen in Tirol

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Textdaten
Autor: Ignaz Vinzenz Zingerle
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Titel: Berchta-Sagen in Tirol
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aus: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang, S. 260–262
Herausgeber: Edmund Veckenstedt
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Alfred Dörffel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Berchta-Sagen in Tirol.
Von
Ignaz Zingerle.

Wie die Pflanzen in unsern Bergen, haben auch Mythen und Sagen ihre Standorte. Wie eine Pflanze nur in dieser oder jener Gegend vorkommt, so auch eine Sage. Bei unserer gemischten Bevölkerung seit der Völkerwanderung – Goten, Langobarden, Alemannen, Baijuvaren, Franken zogen ja durch unser Gebirge, stritten um dasselbe und liessen sich da und dort sesshaft nieder – haben sich bis auf den heutigen Tag sehr verschiedene Dialekte erhalten. Wie verschieden ist die Sprache der nahe wohnenden Ultner, Passeirer und Sarner. Bei dem ersten Begegnen verstehen sich diese Leute nicht wechselseitig. Auch die Sage ist wohl den verschiedenen alten Ansiedlern entsprechend fortgepflanzt, wie die Gebräuche. – Ist es blinder Zufall, dass man am Inn, wo Alemannen Einfluss hatten, nach dem „St. Galli Ziel“ rechnet, an der Etsch, wo die Franken festen Fuss einst gefasst hatten, nach dem fränkischen Patron St. Martin? War es Willkür, dass nur alte Kirchen hier dem hl. Zeno, dort dem hl. Oswald, anderswo der hl. Gertraud geweiht sind? – Ich glaube nicht, es waren Nationalheilige, Schutzpatrone der Ansiedler. Es wäre nach meiner Ansicht wünschenswert, die alten, oft zerfallenen Heiligtümer näher zu erforschen und deren Patrone, die oft sogar heute verschollen, genau zu verzeichnen. Es könnte mancher Lichtstrahl auf die frühere Geschichte des Landes und dessen Besiedelung fallen. In Plarsch bei Meran finden wir eine alte St. Ulrichskirche. – Warum St. Ulrich? Weil es mit Kempten-Augsburg in Beziehung stand. In der „Totengruft“ (Kirchhofskapelle) zu Partschins fand ich ein Bild eines mir unbekannten Heiligen. Da ward mir gesagt, es sei der heilige Razzo. Wie kommt der sonst in Tirol unbekannte Razzo, der bayrische Heilige, hierher? Nun, in dieser Gemeinde hatte bis zum Jahre 1380 das Bistum Regensburg grosse Besitzungen, und so ward dieser Selige auch ins Dorf an der Etsch eingeführt. Auf dem Rittner Gebirge kommt, das einzige dieses Namens, ein Verena-Kirchlein vor, man möchte es seit neuerer Zeit mit Veronika in Verbindung bringen. Allein das Volk hat ein gutes und „anhängliches“ Gedächtnis und nennt es durchaus „St. Verena“. Sie ist eine Gauheilige der Alemannen und ist durch diese ins nahe Gebirge gekommen. Die alten Gertraud-Kirchen weisen auf fränkische Ansiedelungen.

[261] Die Sagen haben auch ihre verschiedenen Standorte, je nach dem eingewanderten Stamme. Bei Meran findet man die Riesen- und Zwergensagen[1] am meisten verbreitet, in der Gegend von Klausen die Schatzsagen, im Gebiete der alemannischen Mundart (Oberinnthal und Vinsgau) die Mythen von den „Saligen Fräulein.“ Wie die deutschen Orts-, Flur- und Hofnamen neben rhätischen oder romanischen bald schichtenweise über- oder untereinander liegen, bald, wie im Eisackthale, die deutschen nur eingesprengt sind, so steht es mit den Sagen.

Diese und ähnliche Gedanken tauchten bei mir auf, als mir die Gufidauner Bötin mitteilte, dass bei Laien im Eisackthale Frau Berchta umgehe. „Wissen Sie das nicht?“ fragte sie.

„Nein, das ist mir neu.“

„Ja, mit ihren Hunden, die ungetaufte Kinder sind.“

Mich überraschte die Mitteilung, da ich über die Berchta im Eisackthale nur in Vilanders gehört hatte. Sie ist ja besonders bei den Bayern erhaltene Mythe. Man vergleiche da Panzers „Beiträge zur deutschen Mythologie“, die Berchtasagen geben. In andern Teilen Tirols ist Frau Hulde, Holde gang und gäbe.

Die Bötin teilte mir nichts weiteres mit. Auf ein späteres Zudringen sagte sie: „Wer wird an diese Dummheiten glauben? Sie thäten mi nur auslachen, wenn ich Ihnen diese lappische Geschichte erzählte.“

Ich erkundigte mich weiter und erfuhr, dass in Laien früher von der umziehenden Frau Bercht viel erzählt worden sei. – Die Bötin schwieg immer.

Auf meine Anfrage berichtete mir der Pfarrer in Laien, Jac. Tappeiner, am 14. Dezbr. 1887 folgendes:

„Frau Berchta ist unter der jüngeren Generation wenig bekannt, alte Leute aber erzählen: Frau Berchte sei eine lange, tief verschleierte Frau gewesen mit aufgelösten, langen, wallenden Haaren. Sie sei meist im Abenddunkel nach dem Betläuten gesehen worden, wie sie an der Spitze einiger kleinen Hunde durch den mit Gestrüpp bewachsenen Gebirgsbach zwischen Tschöffes und dem Grödnerbach niederstieg. Ein alter Schneider erzählte mir, er habe selber die kleinen Hündlein der Frau Berchta gesehen, wie sie einmal im Hofe eines Bauernhauses daher kamen. Er versuchte, die kleinen „Köter“ zu erwischen, aber so oft er einen in den Händen zu haben glaubte, war er wieder fort. Viel mehr lässt sich kaum erfahren, denn die Sage ist dem Erlöschen nahe und schon viele Jahre ist Frau Berchte nicht mehr gesehen worden, wird wohl erlöst sein.“

Die Bötin erzählte nun: „Beim Tscharlnier war eine „Steinlammer.“ Berchte erschien bei einem Stock im anstossenden Walde und ging dann über die Wiese zur ‚Lammer‘. Unter dieser war ein Trog, wo sich die sieben Hundlen, die sie mitbrachte, badeten. Dann kehrten sie zur ‚Steinlammer‘ zurück, gingen um dieselbe herum und zum Stock im Walde und verschwanden. Berchte wurde aber auch bei verschiedenen Höfen ohne Hunde, welche die Seelen ungetaufter Kinder sind, gesehen.“

[262] Wie kommt Perahte in das ehemals romanische Eisackthal? Am Ende des 13. Jahrhunderts steht in einem Urbare die Glosse neben Weidenei „pasture“. Die Hof- und Flurnamen sind grösstenteils romanisch, vielleicht manche vorromanisch. Das Rätsel löst sich einfacher Weise. Laien, das alte Legianum kam im 10. Jahrhundert an die Kirche in Freising. Ein Stück des Weistums ist schon in Grimms Weistümern III, 733 veröffentlicht, dann in den Fortes rerum Austr. Dipl. XXXVI und in den tirolischen Weistümern IV, 346.

Die Freisinger „Grundherren“ übten wohl grossen Einfluss auf die romanische Bevölkerung und – verpflanzten durch ihre Leute die Berchtamythe aus Bayern nach dem alten Legianum. In Vilanders, namentlich Parbian, hatte das Bistum Freising ebenfalls ausgedehnteres Eigentum.[2] Durch Baiern scheint demnach die Berchtamythe ins Eisackthal gekommen zu sein, an zwei Orte, die mit Freising in engster Verbindung standen.

Die Berchtasagen sind auch in Wälschtirol (Folgareit, Trambileno und Ronchi) bekannt. Ich empfehle bei dieser Gelegenheit „Märchen und Sagen aus Wälschtirol“ von Chr. Schneller (Innsbruck 1867).


  1. Die Sage von dem Zwergenkönige Laurin kann nach dem Gedichte nur bei Meran sein und hat mit dem „Rosengarten“ im Eisackthale nichts zu thun.
  2. Siehe: Weistümer, IV. B. S. 249.