Beschreibung des Oberamts Gaildorf/Kapitel B 17

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Ödendorf.


Gemeinde III. Kl. mit 865 Einw. a. Ödendorf, Pfd. mit Adelbach (1 Ziegelhütte, 1 Sägmühle, 4 Häuser). Einöde 2 Hsr. und Railhalde, Hs. 357 Einw. worunter 5 Kath. b. Hägenau, W. 131 Einw. c. Niederndorf, W. 107 Einw. d. Spöck, W. 270 Einw. – Evang. Pfarrei; die Kath. in Parz. a. sind nach Hausen an der Roth eingepfarrt.


Der Bezirk dieser Gemeinde gehört dem hier bis zu 3/4 St. breiten Kocherthal an und ist nördlich von dem Adelberg, westlich von dem Gebirgsrücken begrenzt, der das Roth-Thal vom Kocher-Thal scheidet. Der bei Weitem größte Theil liegt auf dem linkseitigen Kocher-Ufer. Nordwestlich stößt das Oberamt Hall an, wohin die Staats-Straße von Gaildorf durchführt. In den Kocher ergießen sich von Südwesten her der Kammersbach und der Mettelbach und von Norden her der Adelbach. Der hier vorkommende Vitriolschiefer und Schieferkohle wurden früher für die hienach zu erwähnende Fabrik abgebaut. Im Übrigen kommen die natürlichen Verhältnisse mit denjenigen überein, die bei der angrenzenden Gemeinde Michelbach bemerkt sind. Von der Gesundheit zeugen die Todtenbücher, welche außer Kinderkrankheiten nie einer Epidemie gedenken. Der Boden, wenn auch – namentlich in Hägenau und Spöck – schwer, ist doch fruchtbar, insbesondere an Dinkel und Roggen, dann an Gerste, Haber und Hanf. Das Obst geräth, obwohl seine Cultur nicht genügend beachtet wird. Noch vor 80–90 Jahren fand Weinbau statt. Die Hauptnahrungsquelle ist der gut betriebene Ackerbau und die nicht unbedeutende, wohl gepflegte Viehzucht. Getreide wird für das eigene Brodbedürfniß hinlänglich erzeugt. Früher bestandene Gemeinderechte wurden gegen Ende des letztverflossenen Jahrhunderts getheilt. Die Vermögensverhältnisse der Einwohner sind ziemlich gut. Die Gesammt-Markung begreift 36316/8 M., darunter 9407/8 M. Wald und 4543/8 M. Weiden und Öden, wonach noch 2,5 M. Baufeldes auf den Kopf treffen. Die hiernach erwähnte bedeutende chemische Fabrik beschäftigt mehrere Ärmere. Der landwirthschaftliche Betrieb kommt im Wesentlichen mit dem von Michelbach überein.

Der Bezirk ist dem Forstamte Comburg zugewiesen. Die Vermögensverhältnisse der Gemeindepflege sind im Ganzen nicht ungünstig, weniger sind es die der Stiftungspflege. Die Schule in Ödendorf ist für die ganze Gemeinde gemeinschaftlich. Die Zehenten gebührten überall dem Staate.

Bis 1806 gehörten zur Kloster Murrhardt’schen Pflege Westheim fast ganz Ödendorf und Niederndorf und ein Theil von Hägenau; zum Stabsamte Comburg ein anderer Theil von Hägenau; zum Stabsamte | Rosengarten ein Theil von Spöck; die Herrschaft Limpurg-Gaildorf-Wurmbrand, Landamts Gaildorf, war an sämmtlichen Parzellen betheiligt. Auch die nicht Limpurgischen Theile wurden 1808 mit dem Oberamte Gaildorf vereinigt.

Die einzelnen Orte der Gemeinde:

a) Das evang. Pfarrdorf Ödendorf – bis 1805 stets Ötendorf oder Öttendorf – liegt angenehm auf der linken Seite des Kochers, 1 St. nordwestlich von Gaildorf, an der zuvor erwähnten Landstraße. Über den Kocher, auf dessen rechtem Ufer zwei Mahlmühlen liegen, führt eine gegen Ende des vorigen Jahrhunderts erbaute steinerne Brücke. Am westlichen Ende des Dorfes steht die kleine und finstere, von dem Ortsheiligen zu unterhaltende Kirche zum heil. Martin, welche, da an zwei Stellen die Jahreszahlen 1482 und 1483 eingehauen sind, um diese Zeit erbaut worden zu seyn scheint. In derselben befinden sich zwei Altäre mit in Holz geschnitzten Bildern auf Goldgrund, auch Malereien an den äußeren Seiten der Altarflügel, sowie ein Schrank, worin die Brustbilder Christi in halb erhabener Schnitzarbeit. Von den 3 Glocken im Thurme hat die älteste in gothischen Minuskeln die Umschrift: „anno + doi + M + CCCC + LXXXX + jar + O + König + der + er + kum + uns + mit + dein‾ + frid + marcus + lucas + mateus + yohannes + meister + jos +;“ die zweite „M. D. XXX. spes mea Christus;“ die dritte wurde 1795 umgegossen. Ein Pfarrhaus ist hier, weil der Geistliche in dem 3/4 St. entfernten Westheim, Oberamts Hall, wohnt, nicht vorhanden. Das Schul- zugleich Rath-Haus wurde 1822 auf der Stelle der frühern Kelter erbaut. Zu dem Orte gehören als einzelne Wohnsitze das 1/4 St. entfernte, am Adelbach gelegene, Adelbach, Einöde und Railhalde. – Der Ort hat seit 1795 das Recht zu 2 Jahrmärkten, womit namhafte Viehmärkte verbunden sind (s. S. 69). Die Pfarrei ist mit der von Westheim unirt; ihr Sprengel entspricht dem Bezirk der politischen Gemeinde. An der Schule, die schon zwischen 1570 und 1580 ihren Anfang nahm, stehen ein Schulmeister und ein Gehülfe; sie hat 20 fl. Capital-Fond und 30 fl. Stiftungen. Der Begräbnißplatz liegt um die Kirche her.

Nach einer unbegründeten Sage soll der Ort früher Oberwestheim geheißen, weil er aber verwüstet worden und einige Zeit lang öde gelegen, den jetzigen Namen bekommen haben. Wahrscheinlicher ist es aber, den Namen von dem Mannsnamen Otto herzuleiten. Erstmals wird er 1091 genannt. S. Eutendorf S. 138. Das Kloster Murrhardt scheint schon frühe Rechte hier erworben zu haben. Der größere Theil der Güter und die Obrigkeit hing mit der Burg zusammen, die in der Nähe der Kirche lag und einem Geschlechte vom niedern Adel | zum Sitz diente. Über zwei Heinrich von Ottendorf s. Erlenhof. Ein Bruder Albrecht von Ottendorf war 1349 Prior in Schönthal (Wibel II, 198); 1365 kommt ein Ar von Ottendorf vor (ib. 204). Dieser Ar oder Arnold war der Letzte seines Geschlechtes. Abt Heinrich von Murrhardt bewilligte 1397, daß die Güter, die er von ihm zu Lehen trage, nach seinem Tode seine Wittwe und Kinder bekommen sollen. Greth von Roth, wohl die ältere Tochter, schenkte 1399 an die Klause zu Unter-Limpurg ihren Theil an der Burg und alle zu demselben gehörigen Güter, die so durch die Reformation an Limpurg, das übrigens schon 1374 ein Gut besaß, gelangten. Greth von Öttendorf, Hausfrau des Friz von Nemmingen (eine andere Tochter, oder die erstgenannte, nun in zweiter Ehe stehend?), verkauft 1407 an Limpurg 2 halbe Güter, ein Fischwasser, 1/6 an dem Gerichte und der Taferne, die Hälfte der Waldungen, sowie 1 Gut zu Hegenau, 3 Güter und die Hälfte an dem Gericht und der Taferne zu Speck, und 4 Güter zu Wonhardtsweiler, die in das Gericht zu Speck gehören, behält sich aber ihren Theil der Burg bevor. Dieser muß an Murrhardt gekommen seyn, da das Kloster 1432 seinen Antheil an der Burg an Heinrich von Vohenstein verkaufte, welcher 1442 von der gedachten Greth von Öttendorf 3 hiesige, Murrhardt lehenbare Güter mit Vogtei erwarb. Elsbeth Lecher, Hans Gleichers Wittwe zu Hall, verkauft 1413 an Limpurg 1/6 des Gerichts und der Taferne und die Hälfte des Gerichts und der Taferne zu Speck, wie sie das Alles von ihrem lieben Hauswirth selig, Arn von Öttendorf ererbt hatte. Endris von Münkheim, Bürger in Hall, verkauft 1467 an Elsbeth Wordtwein, Bürgerin von Hall, 4 Güter, welche diese 1469 an die St. Anna-Capelle bei St. Michael in Hall verschafft. Die Burg stand 1439 Murrhardt, Limpurg und Rudolph von Münkheim je mit 1/3 zu; später gehörte sie Limpurg zu 1/3 und Murrhardt zu 2/3, da wohl dieses die Münkheim mit 1/3 belehnt hatte. Ein Heinrich Spieß, Herr zu Braunsbach, soll noch 1549 einen Antheil gehabt haben. Die Angaben einiger Haller Chroniken, daß das Schloß 1342 oder 1350 von den Hallern zerstört worden, wäre hienach nur in dem Falle richtig, wenn dasselbe später wieder aufgebaut worden seyn würde. Prescher’s Angabe (II, 197), daß 1453 die Kirche an die Stelle der Burg gebaut worden sey, beruht auf Irrthum. Das niedere Gericht, in welches auch Niederndorf gehörte und das 1442 aus 12 Richtern bestand, besetzte Murrhardt zu 2/3 und Limpurg zu 1/3. Nach Vertrag von 1593 war die hohe Gerichtsbarkeit zwischen Württemberg wegen Murrhardt und Limpurg in der Art geordnet, daß die Ausübung unter Beiden Fall um Fall wechselte. Um’s Jahr 1550 besaß Limpurg 2 und die Stadt Hall 8 Lehengüter; die übrigen Güter | nebst dem größten Theil der Zehenten standen Murrhardt zu. Unter den 193 Einwohnern, die der Ort 1804 zählte, waren 9 Limpurgische.

Die Kirche „Odendorf“ wird 1248 als eine Comburgische bezeichnet; ob damit Ödendorf oder Eutendorf gemeint ist, kann bei der ehemaligen ähnlichen Schreibart nicht entschieden werden. Seit wann die Pfarrei unbesetzt geblieben, ist unbekannt; mit der Pfarrei Westheim war sie mindestens seit der Reformation vereinigt. Diese mußte aber, da sie den Landesherrn bischöfliche Rechte übertrug, die eigenthümliche Wirkung haben, daß, weil Württemberg in der Pfarrei Ödendorf, die Reichsstadt Hall aber in der Pfarrei Westheim das Episcopat erhielt, der Geistliche als Pfarrer von Ödendorf die württembergische, als Pfarrer von Westheim dagegen die hallische Kirchen-Ordnung zu beobachten hatte.

b) Hägenau, auch Hegenau, 1/2 St. südlich von O. (Ödendorf) über dem linken Kocher-Ufer. Das Örtchen hatte drei Mitherrschaften und gehörte anfänglich in’s Gericht Spöck. S. zuvor. Limpurg kauft 1418 von dem Haller Bürger Conrad Lecher 1 Gut und erwirbt 1502 von dem Hospital Hall 4 Güter nebst 2/3 der Zehenten (deren anderes 1/3 Limpurg 1563 vom Kloster Murrhardt erhält) und 1719 von Württemberg 1 Gut. Das Kloster Comburg kauft 1420 von Hans Mangold, Bürger zu Hall, die Vogtei über eine Hube. Im Jahr 1804 sind Murrhardt, das nur 1 Gut besitzt, Comburg und Limpurg die Ortsherren. Im Jahr 1785 war die Einwohnerzahl 42.

c) Niederndorf, früher auch Niederödendorf, 1/4 St. nördlich von O. auf dessen Markung, an der Landstraße, unfern der Haller Oberamts-Grenze. Über den Kocher führt ein Steg nach der 1/8 St. entfernten, am Kocher und an der Landstraße zu den Füßen des Adelbergs gelegenen, chemischen Fabrik. Im Jahr 1817 von Ernst Anton Glötzge gegründet, wurde sie 1823–1825 unter der Firma Rund u. Comp, nach dem Plane des Bergraths von Schübler neu eingerichtet und ist jetzt in den Händen einer Actien-Gesellschaft. Anfänglich eine Alaun- und Vitriol-Fabrik, wozu die Erze theils in der Gegend, theils aus den entfernteren Gruben bei Westernach gewonnen wurden, verlegt sie sich nun meistens auf Verarbeitung des von dem nahen Wilhelmsglück bezogenen Steinsalzes, welches zu Glaubersalz dargestellt und theils an Glasfabriken verkauft, theils zur Sodafabrikation verwendet wird; die Soda wird wieder größtentheils zu Sodasalz und Krystall-Soda verarbeitet und in namhaften Quantitäten in den Handel gebracht. Die bei der Darstellung des Glaubersalzes gewonnene Salzsäure wird allermeist zur Fabrikation des Chlorkalkes verwendet, der in Bleichereien und Papier-Fabriken Anwendung findet. Die Fabrik, in | deren Gebäuden gewöhnlich nur 3–4 Familien wohnen, beschäftigt mehr als 60 Arbeiter. Die Mühlen und Pochwerke werden durch 7 Pferde in Bewegung gesetzt. Da das Brennmaterial in dem verhältnißmäßig theureren Holz besteht, so hat sie an den mit sehr wohlfeilen Steinkohlen arbeitenden rheinischen Fabriken gefährliche Concurrenten. – Niederndorf war stets mit Ödendorf in gemeinschaftlicher Markung verbunden. Ein Lehen gehörte schon 1374 Limpurg; 1790, wo dieses 2 Güter besaß, waren die übrigen 8 Murrhardtisch. Das Örtchen zählte 1804 54 Einwohner.

d) Spöck, früher Speck, 1/4 St. südwestlich von O. auf einer Höhe über dem linken Kocher-Ufer. Daß das Örtchen im Mittelalter sein eigenes an Limpurg übergegangenes Gericht hatte, in das auch Hohenhardtsweiler gehörte, ist bei Ödendorf bemerkt. Zwei Güter gehörten schon 1374 Limpurg; die übrigen waren zum Theil in den Händen von Haller Bürgern. Conrad Berler von Tullau verkauft 1408 an Limpurg seine Rechte an einem Gut; Elsbeth Lecherin, Hans Gleicher’s Wittwe, verschafft 1413 zu einer Seelmesse an den Frauenaltar in St. Michaels-Kirche zu Hall 3 hiesige Güter und 1 Gut zu Wonhartsweiler. Comburg tritt 1414 2 Güter und 1562 die Zinse und Gefälle von 8 Gütern, die es 1410 von Johann von Hohenstein erworben, an Limpurg ab; letzteres erwirbt 1434 von dem Haller Bürger Burkhardt Senft 4 Güter und 1502 vom Hospital Hall 1 Gut. Zwei Lehen, doch ohne Obrigkeit, nebst den Zehenten, besaß Kloster Murrhardt. Der Ort, der 1785 128 Einwohner hatte, war ein Condominat mit der Reichsstadt Hall, zu der jedoch zuletzt nur noch 11 Einwohner gehörten.


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