Beschreibung des Oberamts Maulbronn/Kapitel B 21

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Wiernsheim,
Gemeinde II. Kl. mit 1029 Einw. – Ev. Pfarrdorf mit Marktrecht. 31/2 Stunden südlich von Maulbronn gelegen. Wiernsheim ist der Sitz eines Revierförsters.


In einem ganz leicht eingefurchten, zwischen flachhügeligem Ackerland hinziehenden Thälchen liegt auf der Hochebene rechts von der Enz frei und freundlich der wohl ansehnliche Ort mit seinen breiten gutgehaltenen Straßen, an denen die meist großen, oft tüchtigen und geschnitzten Holzbau zeigenden Bauernhäuser stehen. Oben am Dorf erhebt sich eine große, weithin sichtbare Linde, von der aus man einen hübschen Blick über die stille, von Waldungen umsäumte Gegend genießt; eine umfassende und sehr schöne Aussicht hat man auf der Höhe gegen Mönsheim.

Die Kirche steht mitten im Dorf, auf einer Anhöhe, und bildet ein breites, im Westen mit einem Thurm besetztes Gebäude; sein Chor, der an die Straße herantritt und zu dem zu beiden Seiten steinerne Staffeln emporführen, ist an beiden Ecken zu schrägen Flächen abgestumpft. Die Fenster, theils gerade gestürzt, theils spitz-, theils rundbogig, gehören der spätesten Zeit des gothischen Stiles an und haben eigenthümliches, doch nicht unschönes, zuweilen mit Rosen und Masken geschmücktes Maßwerk. In späterer Zeit wurden die langen Wände der Kirche erhöht und oben noch viereckige Fensterchen angebracht. Das flachgedeckte, durch achteckige Holzpfeiler in zwei Schiffe getheilte Innere ist von Emporen stark verstellt, es enthält an der nördlichen Wand einen geschnitzten gothischen Chorstuhl mit schönen hohen Seitenlehnen, an denen flachgehaltenes Blumenwerk sich ausbreitet. Die im Renaissancegeschmack errichtete zierliche Kanzel zeigt in eingelegter Holzarbeit Christus am Kreuz und die vier Evangelisten. Der von spätgothisch gefüllten Schallfenstern durchbrochene, | mit einem achtseitigen Spitzdach bekrönte Thurm hat 3 schönverzierte Glocken, die größte mit der Umschrift: Gegossen in Stuttgard von C. F. Blüher 1789; die zweite ist gegossen von Neubert in Ludwigsburg 1826, und die dritte von Heinrich Kurtz in Stuttgart 1852. Die Baulast der Kirche ruht auf der Gemeinde. Der Begräbnißplatz befindet sich außerhalb des Ortes.

Das vom Staat zu unterhaltende Pfarrhaus liegt angenehm bei der Kirche und ist ein schon 1711 errichtetes tüchtiges zweistockiges Gebäude. Das sehr stattliche zweistockige Rathhaus wurde 1837 erbaut. Auch das 1829 erbaute Schulhaus ist ein gutgehaltenes Gebäude; es enthält zwei Lehrzimmer und die Wohnung des Schulmeisters. Sonst unterrichtet an der Schule noch ein Unterlehrer. Die freundliche Wohnung des Revierförsters steht im oberen Theil des Dorfs an der Straße nach Wurmberg. Der in der Mitte des Dorfs gelegene ansehnliche Kloster Maulbronn’sche Pfleghof war mit Graben und Zwinger umgeben, dazu gehört ein großer mit Mauern umfriedigter Garten. Später wurde der Pfleghof als Kameralamtsgebäude benützt und nach Aufhebung des Kameralamts kam er in Privathände.

Gutes Trinkwasser liefern 13 Pumpbrunnen, im oberen Ort tritt mitunter Wassermangel ein. Zwei kleine Weiher, einer inner- und einer außerhalb des Ortes, sind vorhanden.

Vicinalstraßen gehen nach Pinache, Serres und Iptingen, Mönsheim und Wurmberg.

Die Einwohner sind kräftige, ordnungsliebende Leute, die ihre Haupterwerbsquelle in der Landwirthschaft finden, während die Gewerbe, mit Ausnahme der Leineweberei, nur für das örtliche Bedürfniß getrieben werden. Es bestehen eine kleine Feldziegelei, drei Schildwirthschaften, worunter eine mit Bierbrauerei, dann eine Brauerei mit Speisewirthschaft; ferner zwei Kauf- und zwei Kramläden. Die Märkte, die hier abgehalten werden, haben wenig Bedeutung. Ein Frachtfuhrmann (Bote) fährt nach Vaihingen. Die Vermögens-Verhältnisse der Einwohner sind geordnet und es haben sich die hiesigen Bürger im Verhältniß mit anderen Orten durchschnittlich eines guten Wohlstandes zu erfreuen; der Vermöglichste besitzt 60, der Mittelmann 13–15 und die ärmere Klasse 2 Morgen Feld. Gemeindeunterstützung erhalten 15 Personen, die sich jedoch meist nur auf freie Wohnung beschränkt.

Die ziemlich große, wohl arrondirte flachhügelige Markung, von der übrigens ein namhafter Theil mit Wald bestockt ist, hat, soweit sie für den Feldbau benützt wird, einen fruchtbaren, ergiebigen Boden, der meist aus Lehm, theilweise auch aus den kalkreichen Zersetzungen des Hauptmuschelkalks besteht. Ein Muschelkalksteinbruch, aus dem hauptsächlich Straßenmaterial gewonnen wird, ist vorhanden; auch eine Lehmgrube befindet sich auf der Markung.

| Das Klima ist mild, jedoch etwas rauher als im Enzthale bei Dürrmenz; vor heftigen Winden ist der Ort gegen Westen und Süden geschützt. Frühlingsfröste und kalte Nebel, die dem Obst schaden, kommen zuweilen vor; Hagelschlag gehört zu den Seltenheiten.

Die Landwirthschaft wird sehr fleißig und rationell betrieben; von verbesserten Ackergeräthen sind der Suppingerpflug, die eiserne Egge und die Walze allgemein im Gebrauch, auch ist eine der Gemeinde gehörige Repssäemaschine vorhanden. Außer den gewöhnlichen Getreidearten, von denen vorherrschend Dinkel gebaut wird, pflanzt man Kartoffeln, viel Futterkräuter (dreiblättrigen Klee, Luzerne, Esparsette, Wickenfutter, Angersen), Reps, Mohn und Hanf. In mittelguten Jahrgängen können über den örtlichen Bedarf etwa 1000 Scheffel Dinkel, 400 Scheffel Haber und 200 Scheffel Gerste, wie auch ein Theil der Mohn-, Reps- und Hanferträgnisse nach außen abgesetzt werden.

Das nicht sehr ausgedehnte Wiesenareal, von dem etwa 50 Morgen bewässert werden können, liefert ein gutes nahrhaftes Futter.

Die immer noch im Zunehmen begriffene Obstzucht, welche sich hauptsächlich mit Luiken, Knaus-, Schillings- und Bratbirnen, wie auch mit Zwetschgen beschäftigt, erlaubt in günstigen Jahren einen Verkauf von mehreren tausend Simri Obst.

An Gemeindewaldungen sind 1017 Morgen vorhanden, die jährlich 400 Klafter und 12.000 Stück Wellen ertragen; hievon erhält jeder Bürger 1/2 Klafter buchene Scheiter und 60 Stück Wellen. Der Rest des Holzertrags wird verkauft und von dem Erlös jedem Bürger 6 fl. abgereicht, während immer noch etwa 5000 fl. in die Gemeindekasse von demselben fließen. Überdies bezieht die Gemeinde aus der Brach- und Stoppelweide, nebst 19 Morgen eigentlicher Weide eine jährliche Pachtsumme von 555 fl., aus der Pferchnutzung 280–300 fl. und aus einer zur Tuchbleiche verwendeten Allmand 25 fl.

Die Rindviehzucht befindet sich in ganz gutem Zustande und bildet eine besondere Erwerbsquelle der Einwohner; man züchtet eine tüchtige Landrace mit Simmenthaler Kreuzung und hat 4 Farren von Simmenthaler Race aufgestellt. Mit Vieh wird auf benachbarten Märkten Handel getrieben und das Mastvieh kommt meist nach Pforzheim und von da nach Frankreich zum Verkauf. Auch Milchverkauf findet nach Pforzheim statt, was dem Ort jährlich 5–600 fl. einträgt.

Auf der Markung läßt ein Ortsschäfer den Sommer über 100, den Winter über 400 Stück deutsche Schafe laufen und setzt die gewonnene Wolle auf dem Wollenmarkt in Heilbronn ab.

Geflügelzucht wird für den eigenen Bedarf und zum Verkauf nach Pforzheim in ziemlicher Ausdehnung getrieben.

| An öffentlichen besonderen Stiftungen sind 800 fl. vorhanden, deren Zinse theils zu Brod für Unbemittelte, theils zur Anschaffung von Schulbüchern verwendet werden.

Der sog. Landgraben zieht von Pinache herkommend an der Westseite des Orts vorüber und weiter gegen Wimsheim (s. hier. den allg. Theil).

Wiernsheim heißt ursprünglich Winresheim von vinarium, Weinberg, wie denn noch im 17. Jahrhundert hier und in Wurmberg Wein gebaut wurde.

Der Ort war vermuthlich Reichsgut, gehörte dann vorzugsweise den Herren von Iptingen und kam von ihnen und andern Besitzern an Maulbronn. Ulrich von Iptingen schenkte dem Kloster Maulbronn castrum et villam Ubetingen, ecclesiam in Winresheim et quidquid allodii in eadem villa et in Henkelberc et in Wurenberc habet, was zu Wirzburg 28. Jan. 1194 K. Heinrich VI. bestätigt. Später aber, nachdem Ulrich selber Mönch und Keller in Maulbronn gewesen, trat er diabolo suadente, wie K. Philipp in der unten angeführten Urkunde sagt, wieder aus und verkaufte seine ehemaligen Besitzungen an den Pfalzgrafen Rudolf von Tübingen, worüber das Kloster bei K. Philipp klagte, der ihm die Güter zu Rotweil gerichtlich zusprechen ließ und den Pfalzgrafen zur Rückgabe derselben bewog (Urk. vom 4. Februar 1206 Eßlingen, s. Sattler Grafen 1, Beil. 32). – 1. Februar 1258 verkauft Werner von Malmsheim dem Kloster seine Güter hier, und Conrad von Strubenhard als Lehensherr entsagt seinen Ansprüchen daran (Staatsarch.). 19. Okt. 1285 wurde ein Streit des Klosters mit den Herrn von Enzberg, was Wiernsheim betrifft, dahin entschieden, daß das Kloster das Vogtrecht über die Enzbergischen Güter daselbst habe, und 20. Juli 1325, daß jene keine Ansprüche mehr an diese Güter haben. 1366 verkauft Elisabeth von Wunnenstein dem Kloster hier Leibeigene, am 14. Febr. 1372 die Heiligenpflege zu Heimerdingen einige Zinse, 21. Jan. 1379 Elsbeth von Ravensberg Einkünfte, 17. Juli 1395 Conrad von Dürrmenz sein Einkommen. Vom 14. Jahrhundert an waren auch die Dominikanerinnen zu Pforzheim hier begütert (Pflüger 114). 1565 verkaufte Markgraf Karl von Baden die ihm durch Aufhebung ihres Klosters hier zugefallenen Zehnten an Wirtemberg (Scheffer Collect.).

Herren von Wiernsheim kommen vor: Henricus de Winresheim, servus, Zeuge in der Urkunde Graf Conrads von Vaihingen über Gündelbach 1. Dez. 1277, und Johann, Zeuge in der Urkunde Graf Ulrichs von Tübingen in castro Wirtenberc 3. Nov. 1278 (Staatsarch).

Die Kirche wurde dem Kloster 10. Aug. 1224 durch Bischof Beringer von Speier incorporirt, was Papst Honorius III. 27. April | erlaubt hatte. Der Vicar erhielt 1/3 der Einkünfte. 10. Sept. 1358 bekam das Kloster auch das Präsentationsrecht zur Frühmesserei vom Probst zu St. Wido in Speier.

14. April 1407 bescheidet K. Ruprecht den Markgrafen Bernhard von Baden, der sich wegen der Befestigung des Kirchbronnens in Wiernsheim durch das Kloster beschwerte, abschlägig. – 21. Dez. 1461 kam Graf Ulrich von Wirtemberg auf einem Zug gegen die Pfalz hier an. Der Ort litt ohne Zweifel, wie andere des Klostergebiets, dabei Beschädigung (vergl. Sattler Gr. 3, 5). – 1504 wurde Wiernsheim von den Wirtembergern verbrannt. – Durch die Kriege des 17. Jahrhunderts war der Ort von 170 auf 30 Bürger herabgekommen, daher hier 1699 die Waldensergemeinde Pinache sich niederlassen konnte.

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