Beschreibung des Oberamts Nürtingen/Kapitel B 20

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20. Neuenhaus,
evangelisches Pfarrdorf, Gemeinde III. Cl. mit 727 Einwohnern, 31/4 Stunden westlich von Nürtingen an der Aich und Schaiach (Forstamts Tübingen). Man tritt hier in eine von den übrigen Gegenden des Oberamtsbezirks merklich verschiedene Natur. Neuenhaus gehört schon ganz dem Schönbuch an. Die Aich und Schaiach, welche sich hier vereinigen, winden sich aus engen, dicht bewaldeten Thälern heraus, die mit ihren zahlreichen, in die Seitenwände tief eingeschnittenen Klingen und Schluchten einen ernsten, um nicht zu sagen finstern Charakter tragen. Das Auge erblickt fast nichts als Wald und Wiesen; die wenigen Felder sind von mittelmäßiger Fruchtbarkeit und haben größtentheils einen rothsandigen Boden; dieser Farbenton, verbunden mit dem feuchtkühlen Luftzug, welcher durch die Thäler strömt, vollendet das Düstere des Eindrucks. Der Fruchtbau reicht bei Weitem nicht für den örtlichen Bedarf zu. Dagegen wird – wenn gleich bisweilen durch heftige Überschwemmungen gefährdet – viel und gutes Wiesenfutter gewonnen, das zum Theil nach Außen verkauft wird, indem die Viehhaltung verhältnißmäßig nicht sehr ausgedehnt ist. Die Stallfütterung ist jedoch neuerdings ganz eingeführt, da die Schönbuchweide abgetreten ist. Die an Auswärtige | verpachtete Schafweide erträgt 150 fl. Die Obstzucht ist gering, wohl die geringste im Oberamt, wie denn überhaupt für die Cultur hier noch Manches zu thun ist. Noch immer ist, wenn auch bei Weitem nicht mehr in dem Grade wie früher, der Schaden fühlbar, den das Gewild, dessen der nahe Schönbuch aller Arten beherbergt, von Zeit zu Zeit in Feldern und Gärten anrichtet.

Eine Naturgabe ist in Hafner-Neuhausen, wie der Ort im Munde des Volks gewöhnlich heißt, immer fleißig ausgebeutet worden. Es findet sich nämlich in dem nahegelegenen Wald Hochberg in reichlicher Menge eine gute Töpfererde sowohl weiße zu Kochgeschirren aller Art, als rothe zu Schüsseln, Milchtöpfen, Krügen etc. Diese Erdgrube ist nun Gemeindeeigenthum. Ihr Areal von 86 Mrg. ist unter den 400 Mrg. Gemeindewald begriffen. Schon Herzog Ulrich soll zur Benutzung derselben aufgemuntert haben, indem er eine Anzahl Hafnermeister aus Franken, angeblich die Stammväter der heutigen Hafner in Neuenhaus, hieher zog und mit mehreren Privilegien, namentlich dem freien Holzbezug aus dem Schönbuch versah, eine Vergünstigung, die in der Folge sehr beschränkt worden sey. Für das Thongraben hatte jeder Meister jährlich 100 Stück Eier, seit 1819 aber 40 kr. zu entrichten. Diese Industrie – freilich zu keiner Zeit sehr einträglich – hob sich zu einem bedeutenden Umfang, indem die Waaren auf den Märkten in der Nähe und Ferne und außerdem durch freies Hausiren in allen den Orten, wo keine Hafner ansäßig sind, abgesetzt wurden. Ums Jahr 1790 zählte man 40 Meister, gegenwärtig sind es deren 78 (unter 120–130 Bürgern). Ob sich ihre gedrückte Lage durch das 1847 ihnen wieder allgemein eingeräumte, seit 1820 nur auf die ältern Meister beschränkt gewesene Recht zum Hausirhandel bessern wird, ist von der Zukunft zu erwarten. Das Geschirr wird in zwei großen, Privaten gehörigen, Öfen gegen eine Abgabe von 12 kr. an den Inhaber gebrannt. Früher bestanden drei solcher Brennöfen. Ein fleißiger Meister kann des Jahrs 5–6, mit Beihülfe anderer Personen auch 8 Brände zu Stande bringen, deren jeder aus 12–1600 Stücken besteht und über Abzug des Aufwandes für Holz, Erfordernisse zur Glasur, Vertriebkosten etc. 15–20 fl. reinen Erlös gewähren kann. – Im Staatswald befindet sich ein guter Mühlsteinbruch und in der Aich trefflicher Bausand, der von auswärts geholt wird. Der Süßwasserkalk in einigen Brunnenklingen ist nicht Gegenstand der Benutzung.

Die Einwohner, deren Zahl seit 50 Jahren sich verdoppelt hat, haben in Folge ihres Gewerbs und Verkehrs mit auswärtigen Orten das Ländliche ihrer Nachbarn in Tracht und Manieren mehr | oder minder abgelegt, leben aber mit sehr wenigen Ausnahmen in um so dürftigeren Umständen, als, wie oben gesagt, der landwirthschaftliche Betrieb nur gering ist. In dieser Hinsicht steht der Ort am Niedrigsten unter denen des Oberamts. Dabei mag es auffallen, daß sich in dem sehr mäßig großen Dorfe 6 Schild- und 3 Gassen-Wirthschaften befinden, die wenigstens durch die neue Straße von Nürtingen nach Waldenbuch und dem Schwarzwald nicht nothwendig wurden, da diese auf eine Strecke von 500 Schritten am Ort vorbeiführt. Von sonstigen Gewerben ist nur eine namhafte Mahlmühle mit Hanfreibe, welche durch einen Aichkanal getrieben wird, zu erwähnen. Das Sammeln und Verkaufen verschiedener Waldkräuter, Beeren, besonders aber der Wachholderbeeren, gibt den Armen einen kleinen Nebenverdienst.

Der Corporation ist seit Kurzem dadurch etwas aufgeholfen worden, daß der Staat ihr gegen Verzicht auf ihre Schönbuchsansprüche und Weidrechte etwa 400 Morgen Laubwald abgetreten hat. Daneben bestehen noch Holztage für Arme. – Die Zehnten werden sämmtlich dem Staat gereicht, der auch den kleinen und Heu-Zehnten von der verwandelten Pfarrei übernommen hat. Das Fischwasser in der Aich gehört den Bürgern.

Die Lage des Orts ist eine nordöstliche am Abhang und Fuß des Bergrückens zwischen der Aich und Schaiach, die Bauart unregelmäßig, das Aussehen nicht vortheilhaft, häufig auch ziemlich unreinlich. Die Kirche, ein altes 1425 erneuertes Gebäude, ist, wie der ganze untere Theil des Dorfs, heftigen Überschwemmungen ausgesetzt. Jahreszahlen, welche die Erbauung der Kirche und des Chors angegeben haben sollen, sind jetzt übertüncht; eine derselben auf der innern Seite des Chorbogens ist mit 1316 restaurirt worden, es scheint aber nach der Bauart, daß es 1416 heißen müsse; der Chor hat ein gutes Kreuzgewölbe; der ansehnliche Kirchthurm mit schlanker Pyramide ist 1835 ausgebessert worden. Die Baulast der Kirche ruht auf der Stiftungspflege. Bis 1559 war sie eine Filialkirche von Aich. Der Begräbnißplatz, der sie umgibt, ist 1844 geschlossen und ein neuer jenseits der Aich angelegt worden. Das Pfarrhaus ist ein 1835 auf Staatskosten ganz neu von Stein aufgeführtes gefälliges Gebäude. Bis jetzt hatte die Gemeinde ein schlechtes, ganz unzureichendes Schulhaus und gar kein Rathhaus. Im Jahr 1845 wurde jedoch von der Gemeinde ein Haus für beide Zwecke erbaut; der Kostenvoranschlag betrug 6800 fl. An der Schule ist ein Lehrer mit einem Lehrgehülfen angestellt. - Eine Winterindustrieschule besteht seit 1828. – An gutem Quellwasser ist Überfluß. Ein periodischer, sogenannter Hungerbrunnen in einer Scheune am Südende des | Orts floß seit 1816 und 1817 nicht mehr, selbst nicht in dem nassen Sommer 1843.

Auf der Nordseite des Dorfs, auf einem ebenen freien Platz, welcher die Pfalz heißt, liegt umgeben von einem jetzt größtentheils ausgefüllten Graben und See das Schlößchen, jetzt ein bloßes Bauernhaus. Hans Spät von Neuenhaus kommt i. J. 1378 vor (Gabelk.), Albrecht Spät von Neuenhaus i. J. 1379. Das Schlößchen war, sammt den dazu gehörig gewesenen Gütern (wovon noch 17 M. Wiesen neusteuerbar sind), württembergisches Ritterlehen, als dessen Träger z. B. i. J. 1623 die von Grempp erscheinen. Nach dem Tode des letzten adeligen Inhabers, von Rachowitz, 1707, kam es an J. D. Pilger, Apotheker und fürstl. Chemikus, der hier viel laborirt haben soll. Nicht unwahrscheinlich ist, daß dieses Schlößchen im Gegensatz zu dem uralten Burgstall auf der Höhe hinter dem Dorf das Neue Haus hieß, und diesen Namen auf den erst in späterer Zeit nach und nach entstandenen Ort übertrug, von welchem anfänglich nur dieses Schlößchen, die Mühle und die Kirche, als Wallfahrtscapelle, gestanden haben soll. Von jener alten Burg aber ist keine Kunde und kein Stein mehr übrig; nur in dem Namen des Burstelbergs oder Brustelbergs, an welchen das Dorf südlich sich anlehnt, hat sich ihr Andenken erhalten.

Ein Forsthaus, das nach den Landbüchern im 16ten Jahrhundert die Lindenfels ingehabt hatten, und später von einem Forstknecht bewohnt war, stand im Ort, auf dem Dachsbühl aber, dem höchsten Punkt des waldigen Bergrückens Erzenberg, ein ebenfalls längst verschwundener kleiner Jagdpavillon, das grüne Häuschen genannt. In diesem Wald finden sich wahrscheinlich alte Grabhügel, s. oben.

Östlich von da im Mönchswald oder Bruderholz stand vor Zeiten eine Waldbruderklause, von welcher noch zwei steinerne Thorpfosten sichtbar sind. Kohlen, Schutt, Eisengeräthe etc., die man hier ausgegraben, lassen auf eine gewaltsame Zerstörung durch Feuer schließen. Unweit davon sprudelt ein starke Quelle, der Mönchbrunnen hervor, dessen sehr kaltes Wasser einige incrustirende Eigenschaft hat.

Namen wie Unholdenhau, Bösemannsklinge deuten an, mit welchen Wesen die Volksphantasie diese unheimliche Waldregion bevölkerte.

Neuenhaus wurde nebst Steinenbronn und einem Theil des Schönbuchwaldes i. J. 1347 dem Pfalzgrafen Conrad von Tübingen, genannt der Scheerer, durch die Grafen Eberhard II. und | Ulrich V. von Württemberg abgekauft (Sattler Grafen I., 153. 2te Aufl. Scheffer 23).

Das Dorf gehörte ins Amt Nürtingen und (1526) ins Gericht Aich. Der Pfarrei gedenkt bereits das Kellereilagerbuch von 1526, wonach sie das Kloster Bebenhausen zu verleihen hatte. Derselben standen damals sämmtliche Zehnten zu. Dasselbe Lagerbuch erwähnt noch des Bruderhauses im Schönbuch und der Brüder daselbst oder im Betzenberg. Der Ansiedlung fränkischer Hafner wird weder hier noch in dem Schönbuchslagerbuch von 1587 gedacht; die Eierabgabe lag, wie S. 191 gedacht, allen Hafnern im Schönbuch ob. In Neuenhaus fanden sich 1587 deren 17. (Die Töpferei im Bezirk ist schon alt; eine Hafnerbrüderschaft war bereits 1512 in Nürtingen.) Im 30jährigen Kriege hatte das Dorf viel gelitten; statt 55 Bürgern, die es zuvor gezählt, waren 1672 nur noch 16 vorhanden, und die Pfarrei war deßhalb 12 Jahre lang mit jener von Aich verbunden. – Die Burg Neuenhaus hatten noch 1403 die Späth im Besitz; damals verkaufte Catharine Späth von dem Neuenhaus alle ihre Güter und Leute hier, in Bonlanden, Aich etc. um 300 Pfd. Hll. an Württemberg (Sattler II. Forts. 42). Nach diesen kam die Burg an Burkhard Zehender, dann an Hans Noppauer in Reutlingen und 1466 an Hans Ycher zu Rottenburg, von diesem 1480 an Hans Roth; 1548 besaß sie Ludwig Schertlin, 1554 Ludwig und Albrecht Kneisser, 1561 Eberhard von Karpfen zu Thalheim. Im J. 1580 wurde Hans Conrad Truchseß von Höfingen, 1586 Hans Sigmund von Remchingen und 1591 Hans Conrad Grempp von Freudenstein die Burg als Mannlehen von Württemberg gegeben. Als 1641 der letzte Grempp gestorben, erhielt sie 1644 Friedrich von Ragowitz als Kunkellehen. Als aber dessen Wittwe 1670 starb, war die Burg beinahe ganz zerfallen.



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