Burg Stolzeneck

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Textdaten
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Autor: Alois Wilhelm Schreiber
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Titel: Burg Stolzeneck
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 578–582
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung:
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Burg Stolzeneck.

Unterhalb Zwingenberg, bei dem Dörfchen Lindach, rücken die Berge, welche das Ufer des Neckars begrenzen, enger zusammen und bilden ein schmales, düsteres Thor, durch welches der Strom wie träumend dahingleitet. Links ragen aus den Gebüschen die halbzerbröckelten Mauern von Stolzeneck hervor, an welche sich manche geschichtlichen Erinnerungen knüpfen. Noch zu Anfang des 15. Jahrhunderts war diese Burg ein weitgefürchtetes Raubnest, in welchem Hans Horneck von Hornberg sein Unwesen trieb.

Früher lebte hier ein junger Ritter, Namens Ottmar, mit seiner Schwester Williswinde. Der Jüngling mußte seinem Lehnsherrn in den Krieg folgen und nur die schöne Williswinde blieb mit einigen treuen Knechten und Dienerinnen auf der Burg zurück. Sie liebte die Einsamkeit, in der sie aufgewachsen war und dachte in der Unschuld ihres Herzens nicht daran, daß irgend eine Gefahr sie hier bedrohen könne. Ihr Liebling war ein Rabe, den sie aufgezogen hatte. Er begleitete sie auf all ihren Spaziergängen durch Garten und Wald, hüpfte flugs auf ihren Ruf herbei und zupfte sie am Gewand, wenn er Futter haben wollte.

Zwei Monate waren bereits verflossen seit der Abreise ihres Bruders, und da der Pfalzgraf mit dem Heereshaufen, bei welchem sich Ottmar befand, nach Jülich ziehen mußte, so durfte man nicht so leicht an eine baldige Rückkehr denken. Wohl hegte Williswinde Besorgnisse um ihren geliebter Bruder, [579] aber in ihrer Seele wohnte doch ein festes Vertrauen, daß ihn der gute Gott ihr erhalten werde. Eines Abends meldete sich ein Pilger auf Stolzeneck und bat um Herberge. Williswinde nahm ihn freundlich auf und da er vorgab, aus Palästina zu kommen, setzte sie ihm selbst den Abendimbiß vor und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. Sein langer Bart und der kecke Blick gaben dem Pilger etwas Unheimliches, aber das Fräulein suchte diesen Eindruck zu bemeistern, wußte ja doch der fremde Mann so viel zu erzählen von den Drangsalen, so ihm widerfahren auf der langen Reise, daß ihr inniges Mitleid rege wurde. Sie ließ ihm des andern Tages noch ein beträchtliches Geschenk zum Abschied reichen und sah ihm lange sinnend nach, als er über den Schloßhof und die Zugbrücke dahin schritt. Als sie wieder aufblickte, stand der alte Eberhard, der Kastellan ihres Vaters, ein getreuer, wohlerprobter Diener, neben ihr. „Fräulein,“ – sprach er zu ihr, nach dem schon fernen Pilger deutend, – „in jener Kutte steckt ein arger Schalk!“ – „Warum gleich so lieblos über einen Fremdling absprechen, weil sein Aeußeres etwas Unangenehmes hat?“ entgegnete Williswinde.

„Was die Augen sehen, glaubt das Herz.“ – versetzte der Kastellan. – „Ihr kennt ja die hübsche Mähr vom Meister Reinecke, der im Pilgerrocke nach Rom wallfahren wollte und den Esel und Widder beredete, ihm Gesellschaft zu leisten?“

„Was bringt Euch auf solche Gedanken?“

„Daß es mir nicht entgangen ist, wie der Fuchs, der in jener Kutte steckte, mit sammt Kürbißflasche und Muschelhut, alle Mauern und Thürme, Thore und Gänge unserer Burg ausspähte. Wir müssen uns wahrlich auf einen demnächstigen Ueberfall gefaßt machen.“

Williswinde konnte nicht an solche tückische Hinterlist glauben. „Wo hätten wir den Feinde?“ – sagte sie – „rings in der ganzen Gegend lebt ja Jedermann ruhig und friedlich auf seinem Besitzthume.“

Eberhard schüttelte den Kopf, beschloß aber fest bei sich, jedenfalls auf der Hut zu seyn und mehr Wachen auszustellen.

Einige Tage nach diesem Vorfall kam ein Ritter nach Stolzeneck und verlangte Williswinde zu sprechen. Beim ersten Blick [580] erkannte der Kastellan in ihm jenen verdächtigen Pilger und beschwor seine Gebieterin, alle mögliche Vorsicht aufzubieten. „Gut,“ – erwiederte sie – „so will ich ihn nur in Eurer Gegenwart anhören.“

Der Ritter trat mit sittigem Gruß ein und erklärte ohne weitere Umschweife, daß er gekommen sey, um die Hand der reizenden Herrin von Stolzeneck zu werben. Williswinde schrack ob diesem überraschenden und seltsamen Antrage sichtlich zusammen, faßte sich aber schnell und erwiederte: „Ich stehe unter dem Willen meines Bruders, der aber schon seit langer Zeit abwesend ist. Sobald er jedoch wiederkehrt, mögt Ihr Eure Werbung bei ihm anbringen!“

„Ist das Euer erstes und letztes Wort, Fräulein?“ – fragte der Ritter mit verfinstertem Angesichte.

Williswinde flüsterte ein bebendes Ja, denn die düster rollenden Blicke des Unbekannten weißsagten ihr Unheil.

„Ich weiß recht gut,“ – höhnte der abenteuerliche Freier – „daß Frauen keinen eigenen Willen haben dürfen, sondern einem fremden folgen müssen.“ – Mit diesen Worten und einer kalten Verbeugung zog er sich zurück, schwang sich auf sein Roß, das sein Knappe im Schloßhofe bereit hielt und sprengte davon.

Dieser Vorfall hinterließ die schlimmsten Ahnungen in Williswinde und ihren Leuten. Sie berieth sich mit dem Kastellan und beschloß endlich auf sein Zureden, ihre Zuflucht in einem benachbarten Kloster zu nehmen. Tags darauf trat sie wirklich den Weg dahin an, nur von einem Knecht und einer Dienerin begleitet, um kein Aufsehen zu erregen. Der Pfad führte in einen einsamen waldigen Thalgrund. Plötzlich stürzte der gefürchtete Ritter mit einigen seiner Buben aus einem Hinterhalte hervor, schlug den Knecht, der seine Herrin vertheidigen wollte, zu Boden und schleppte sie gebunden in einen uralten Thurm dicht neben an, dessen Eingang ein eisernes Gitter verschloß.

„Nach zwei Tagen will ich wieder Antwort holen, sprödes Fräulein!“ lachte der Wilde grimmig, den knarrenden Schlüssel drehend, und jagte mit seinem Trosse und der gefangenen Dienerin, die Einer davon vor sich aufs Pferd genommen hatte, von dannen.

Williswinde warf sich in dem dunkeln feuchten Raume auf [581] die Kniee und sandte ein brünstiges Gebet zum Himmel empor. Da erblickte sie plötzlich ihren getreuen Raben, der ihr bis hieher nachgefolgt war und nun vergebens an dem rostigen Thorgitter mit dem Schnabel herumhackte, um zu ihr hineinzugelangen. Da es all seine Mühe fruchtlos sah, hüpfte das arme Thier in’s nächste Gebüsch und kehrte bald mit einigen Sträuchen Erd- und Brombeeren zurück, die er seiner Herrin durch die Eisenstäbe hineinreichte, um ihr wenigsten Erquickung zu verschaffen.

Das Erscheinen ihres Raben hatte Williswinde wieder einigermaßen Ruhe eingeflößt; sie sah ihn als einen Trostboten des Himmels an.

Zwei lange lange Tage schlichen ihr vorüber; doch wich der treue Vogel nicht von dem Gitter, außer wenn er in den nahen Wald flog, um ihr nahrhafte Wurzeln und erfrischende Beeren zu holen. Wie freudig schlug er jedesmal die blaulichschimmernden Flügel, wenn er sah, wie seine Herrin die kleine Beute, die er ihr brachte, mit dankbaren Blicken auf ihren Freund in der Noth verzehrte!

Am Morgen des dritten Tages erschien unser Ritter vor dem Thore des Thurmes. Er wiederholte seinen Antrag mit noch schneidenderem Hohne und schwur, da Williswinde statt aller Antwort nur verächtlich ihr Gesicht abwandte, sie nun dem Hungertode preis zu geben, worauf er wüthend davonjagte.

Nach einem ruhigen Schlummer, die Frucht ihres innigen Abendgebetes, stand Williswinde in der Frühe des nächsten Tages an dem Gitter ihres Kerkers, das im Morgenroth erglühte. Mit kindlich vertrauenden Augen schaute sie zum reinen blauen Himmel hinauf, horch, – da erklingen auf einmal die Töne eines fröhlichen Liedchens, vom Walde her. Das ist nicht die rauhe Stimme ihrers Verfolgers, nein, keck darf sie’s wagen: mit aller Kraft schreit sie um Hülfe.

Und nicht vergebens. Ein junger Ritter in glänzender Waffenrüstung nähert sich dem Thurme. Er ist es, er ist es, ihr heißgeliebter Bruder! Um seine Schwester zu überraschen, hatte er, ahnungslos von dem Vorgefallenen, den kürzeren Fußpfad, der [582] hier vorbeiführte, nach Stolzeneck eingeschlagen, während seine Leute auf der Heerstraße dahinzogen.

Kaum hatte sie dem bestürzten Bruder berichtet, wie sie hierher gekommen, als ihr Räuber herbeisprengte und, da er den fremden Ritter vor dem Thurme gewahrte, mit gezücktem Schwert auf ihn losstürzte. Es fehlte nicht viel, so wäre Ottmar dem wüthenden Angriffe des riesenkräftigen Gegners erlegen, doch noch gerade zu rechter Zeit, ehe sein Arm ermattete, flog Williswindens schwarzer Freund, der Rabe, an der Spitze eines unabsehbaren Schwarms seiner Genossen, mit betäubendem Krächzen auf den Räuber los, mit grimmigem Schnabelhacken, Krallen und Flügelschlagen über ihn herfallend, so daß er sich ihrer nicht zu erwehren vermochte. Schnell macht sich Ottmar den günstigen Augenblick zu Nutze und zischend fährt seine Klinge durch das tückische Herz des betäubten Feindes, der mit einem gräßlichen Schrei zusammensinkt. – Die Raben wichen nicht von seiner Leiche; gierig schienen sie sein Blut zu trinken, hackten ihm die Augen aus und rissen seinen Leib in Stücke.

Ottmar fand im Gürtel des Todten den Thurmschlüssel, öffnete das Gitter und kehrte im Triumph mit der theueren Schwester nach Stolzeneck zurück. Noch in unsern Tagen sieht man das Bild des getreuen Raben an einem Schwibbogen der Burgruine ausgehauen.

(Siehe Al. Schreiber’s Sagen aus den Rheingegenden etc.)