Charakteristisches Thier- und Landschaftsbild aus dem Norden Amerika’s

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Titel: Charakteristisches Thier- und Landschaftsbild aus dem Norden Amerika’s
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 553–555
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Thier- und Landschaftsbild aus dem Norden Amerika’s. 0 Von H. Leutemann.

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Charakteristisches Thier- und Landschaftsbild
aus dem Norden Amerika’s.[1]

Man ist gern geneigt, sich die unermeßlichen Waldungen Nordamerikas den Urwäldern der Länder innerhalb der Wendekreise ähnlich zu denken; die besten Landschaftsbeschreiber der Neuzeit haben uns jedoch von der Unrichtigkeit solcher Vorstellungen belehrt. Alle Waldungen des Nordens der neuen Welt zeichnen sich, den Urwäldern Südamerika’s gegenüber, durch Einfachheit aus, obwohl sie (wenigstens an den meisten Orten) unsere unter gleicher Breite gelegenen Wälder noch immer durch die Abwechslung ihrer Baumarten überbieten. So kennt man unter den Waldbäumen Nordamerika’s allein einige zwanzig verschiedene Eichenarten, Eschen, Ulmen, Buchen, Platanen, Eisenholz- und Maulbeerbäume, gegen zwanzig verschiedene Wallnuß- und noch mehrere andere fruchttragende Bäume, z. B. den Persimon- und den Papawbaum etc. Die wichtigsten aller Waldbäume des Nordens dürften jedoch die herrlichen Nadelbäume und die Ahorne sein, von denen unsere Abbildung die canadische Fichte und den Zuckerahorn zeigt. Erstere wird an Schönheit unbedingt von der Weymuthskiefer übertroffen, von welcher man häufig einzelne Exemplare findet, die mehr als tausend Jahresringe zeigen und gegen 200 Fuß hoch sind. Der Zuckerahorn bildet am Missouri hin und wieder selbstständig ganze Wälder, und wird dann zu einer sehr ergiebigen Erwerbsquelle für die Ansiedler der Nachbarschaft.

Sonst ist es im nordamerikanischen Walde gar still, in manchen Gegenden sogar unbeschreiblich öde. Namentlich sollen die „Fichtengründe“ (pine barrens) wahrhaft schauerlich öde sein.

Man wandelt im Walde wie in einem Säulengewölbe; auf Hunderte von Meilen hin findet der Sonnenstrahl keinen Wipfel des Laubdaches, den er mit seinem belebenden Lichte zu durchbrechen vermöchte; nur in den höchsten Kronen vermag er zu schaffen nach Herzenslust und jene unbeschreiblichen Farbenmischungen in Licht- und Hellgrün, Gelb und Roth hervorzuzaubern. An Farben ist Reichthum, an Tönen aber große Armuth. Von Singvögeln lassen sich fast nur Drosseln, Fliegenfänger und Sänger hören; aber zwei von ihnen, zu klein für die hier gegebene bildliche Darstellung, verdienen wenigstens einer Erwähnung: der eine ist die einsame, der andere die Spottdrossel.

„Die einsame Drossel,“ sagt Audubon, „liebe ich ganz besonders; ich bin ihr großen Dank schuldig. Wie oft hat ihr heller Gesang, wenn er nach einer ruhelosen Nacht mitten im Walde sich hören ließ, meine Lebensgeister ermuntert! Schlecht geschützt gegen die Gewalt des Sturmes unter meiner hastig aus Zweigen errichteten Hütte, gezwungen, das kaum angezündete Feuer wieder verlöschen zu lassen, wenn der Regen in Strömen niedergoß, habe ich lange und schreckliche Nächte verlebt, in denen ich weder Himmel noch Erde sah. Fern von den Meinen, abgeschnitten von allen Menschen, glaubte ich manchmal dem Untergange nahe zu sein, und verwünschte schon die Stunde, in der ich mich zu meinem abenteuerlichen Leben entschlossen hatte. Aber früher als ich hatte bereits die Drossel die ersten Zeichen des anbrechenden Morgens erspäht, und ihr starker, ansprechender Ton machte auch mein Herz wieder lebendiger schlagen; mit heißer Andacht vernahm ich ihr Lied. Selten täuscht sich die Drossel; unmittelbar auf ihren Gesang folgt nicht blos der Anbruch des Tages, auch eine friedliche Ruhe nach dem Kampf der Elemente.“

Die Spottdrossel ist freilich nicht fähig, ihrem Zuhörer eine erhabene Stimmung einzuflößen; aber sie erfreut ihn dafür durch ihre unübertroffene Fertigkeit, anderer Vögel Lieder nachzuahmen. „Keine Stimme, vom eigentlichen melodischen Gesang bis zum heiseren Krächzen, ist ihr unnachahmbar; sie sucht ihren Vorrath von fremden Klängen zu vermehren, studirt sie und freut sich, wenn irgend ein noch nie gehörter Ton in ihrer Nähe laut wird, weil sie Gelegenheit erhält, sich an ihm zu üben. Unterstützt von einem wunderbar biegsamen Organ, gibt sie das Gehörte nicht nur bald zurück, sondern verbessert sogar das fremde Lied, indem sie die früher vielleicht blos gezwitscherte Weise flötend absingt, ohne jedoch die Intervallen und den Rhythmus derselben zu ändern. Sie allein vertritt eine Menge anderer Sänger, denn sie läßt, ruhig auf einem Busche sitzend, die verschiedensten Gesänge aufeinander folgen. Durch sie getäuscht, lauert der Jäger auf einen Vogel, der vielleicht manche Meile in der Umgegend nicht anzutreffen ist; selbst viele Vögel lassen sich betrügen und eilen entweder herbei, wenn sie einen Lockton vernehmen, den sie ihrem Gatten zuschreiben, oder sie fliehen und verbergen sich, wenn sie den Schrei des Sperlingsfalken täuschend nachgeahmt hören.[2] Sie bringt an Orten, wo sie sich bleibend niedergelassen hat, hierdurch bald alle andern Singvögel in solche Verwirrung, daß sie zuletzt gar nicht mehr singen.“

So hat also der öde Wald noch einige anziehende Bewohner, welche sich selbst verkündigen. Sein eigentliches Stillleben aber wird uns offenbar, wenn wir einem der Flüsse in die tieferen versteckteren Gründe folgen, wie unser Künstler einen in dem umstehenden Bilde darstellt. Hier können wir, wenn wir Glück haben, die geeignetsten Vertreter seiner Thierwelt beisammen finden – den lüsternen schwarzen Bären, den geschäftigen Biber, Hochwild und Truthühner, wie auf unserm Bilde.

Als gemüthlicher Bursch greift der Bär nur im Nothfalle zur Fleischnahrung, und zieht ihr die durch Beeren, Waldfrüchte, Wurzeln und Eier entschieden vor; namentlich soll er die Eicheln sehr lieben und ihnen zu Liebe höchst geschickt die Eichen erklettern. Schade nur, daß die Verfolgungen der Trappers das gute Thier gezwungen haben, von einer Bergkette zur andern und bis in den fernsten Westen zu entfliehen. Vor Zeiten hatte er es viel besser. Die Ureinwohner betrieben zwar seine Jagd mit großem Eifer, beobachteten aber dabei manche Gebräuche, welche Petz nothwendig mit ihrer Verfolgung aussöhnen mußten. Sie baten den im gereizten Zustande sehr gefährlichen Gesellen um Verzeihung, ehe sie sich zum Kampf mit ihm und seiner Erlegung anschickten, suchten diese als Folge der Noth darzustellen, zu entschuldigen und versäumten nicht, den beleidigten Geist des getödteten Thieres durch mancherlei Faxen sich wieder zu befreunden. Die Trappers kennen so zarte Rücksichten nicht, sondern verfolgen ihn ohne Unterlaß, zumal seine Jagd nicht eben gefährlich ist, und er nur dann den Menschen angreift, wenn er verwundet wurde.

Mehr noch als auf Bären haben es die Trappers auf die Biber abgesehen, auf deren anziehendes Leben und Wirken auch wir jetzt einen Blick werfen wollen. In unserem Vaterlande dürften wir uns vergeblich nach einer eigentlichen Biberansiedlung umsehen, da sie eine sogenannte Burg nur an solchen Orten anlegen, wo sie gesellig leben. Dies ist in Europa gegenwärtig nirgends mehr der Fall.

Während sie vor Zeiten in unserem heimathlichen Erdtheil vom Guadalquivir an bis zur Petschora in allen größeren Flüssen lebten und schon von den ältesten Schriftstellern als wohlbekannte Thiere aufgeführt werden, sind sie gegenwärtig nur noch in der Rhone, der Elbe, Oder, Havel und Weichsel, in Schweden und Rußland, und zwar sehr einzeln, zu finden. Anders ist es in Nordamerika. Hier leben sie vom atlantischen bis zum großen Meere vom 68. Grad nördl. Breite an bis zum Meerbusen von Mexico in allen größeren Flüssen, welche wenig von Menschen besucht werden und nicht bis auf den Grund ausfrieren.

Blos die in größeren Gesellschaften zusammenwohnenden legen die berühmten großartigen und künstlichen Bauten an: Dämme, um das Wasser aufzustauen, und Wohnungen, Burgen, genannt. Sie nagen mit ihren meißelförmigen scharfen Zähnen dicht am Ufer stehende, wo möglich überhängende Bäume von Armstärke an bis zu zwei Fuß Durchmesser ab, immer aber von der Landseite her, damit sie in das Wasser fallen müssen, entfernen die kleineren Zweige [555] und flößen die Stämme zu einem Damme zusammen, welcher nicht selten über hundert Schritt lang gebaut und durch dazwischen geschobene Pfähle und Zweige, aufgeschüttete Steine, Erdklöße, Schlamm und Sand ziemlich wasserdicht und so fest gearbeitet wird, daß Cartwright, dem wir die beste Beschreibung dieser Bauten verdanken, sie öfters als Stege benutzen konnte. Mit der Zeit wird ein solcher Damm namentlich auch aus dem Grunde immer fester, weil die zu ihm verwendeten Holzarten großentheils solche sind, welche im Wasser wurzeln und ausschlagen.

Gewöhnlich beginnen die Biber Anfangs August den Bau ihrer Wohnung. Haben sie eine felsenfreie Uferstelle gefunden, so machen sie unter dem Wasser am Grunde des Ufers ein Loch, welches sie nach und nach schief bis an die Oberfläche des Bodens durcharbeiten. Aus der Erde, welche sie aus dem Loche nehmen und mit kleinen Holzstücken und Steinen vermischen, bilden sie einen oft 7–8 Fuß über die Oberfläche sich erhebenden eirunden kuppelförmigen Hügel von 8–12 Fuß Durchmesser, und in diesem legen sie ihre geräumige Wohnung an. Sie besteht aus einer backofenförmigen geschlossenen Kammer mit fußdicken Wänden, einem festen Dache und einem oder häufiger mehreren Gängen, welche tief unten im Flußbette endigen, sodaß sie immer unter dem Wasser aus- und eingehen. Der Boden der Kammer ist mit feinen Spänen bedeckt, welche als Ruhekissen dienen. Neben dem Mund- oder Eingangsloche befindet sich der Speicher, in welchem sie Wurzeln und Astwerk bewahren, oft in erstaunlicher Menge. Sie arbeiten bis zum Gefrieren des Wassers ununterbrochen an der Vervollkommnung ihrer Wohnung und der Einsammlung in den Speicher, und schlüpfen auch im Winter aus und ein, weshalb sie die Hauptröhre stets mindestens 8 Fuß unter der Oberfläche des Wassers münden lassen; der Damm quer durch den Fluß dient hauptsächlich dazu, dem Wasserbecken um die Burgen herum den erforderlichen Hochstand zu erhalten. Oft liegen mehrere Kammern neben einander unter derselben Kuppel; sie stehen jedoch unter sich nicht in Verbindung und jede hat ihre eignen Ausgänge. In einer Kammer führen vier, seltner acht Biber mit der doppelten Zahl von Jungen ihr höchst gemüthliches, durchaus friedliches Stillleben. Bisweilen bleiben sie drei bis vier Jahre an einer Stelle wohnen; oft aber bauen sie sich alljährlich neue Burgen. Außer ihnen besitzt jede Ansiedlung noch ihre besonderen Fluchtröhren in der Uferwand des ganzen Raumes, den sie eingenommen hat.

Im Sommer spazieren diese prächtigen Thiere auch gemächlich auf dem Lande herum, um sich die zartesten und leckersten Baumrinden frisch vom Stamme weg zu holen. Sie fressen nämlich nur Pflanzenstoffe und niemals Thiere; ein abgebissenes Aststück wird gar allerliebst zwischen den Vorderpfoten gehalten und zierlich zum Munde geführt. Nach der Mahlzeit wird wohl auch ein Schläfchen außerhalb der Burg, in einem verborgenen Busche gehalten; bei Gefahr geht es aber schleunigst dem Wasser zu. Und das schützt die drolligen Burschen hinlänglich vor den sie bedrohenden Feinden aus ihrer Classe – nur nicht vor dem Menschen. Denn dieser verfolgt den Biber des köstlichen Bibergeils und des trefflichen Pelzes wegen mit aller nur ihm möglichen Grausamkeit. Der Gewinn der Biberjagd ist so lohnend, daß sie jeder anderen vorgezogen wird.

Die Jäger haben aber nur diesen einen Gewinn im Auge. Sie übersehen den unschätzbaren, Tausende von Millionen enthaltenden Zug der Wandertauben, jener „Heringe des Luftmeeres,“ welche hoch über den Wipfeln des Waldes dahinziehen, um in einem fernen Theile desselben mehrere Millionen Scheffel Bucheckern und Eicheln zur Nahrung eines Tages einzusammeln; sie übersehen vielleicht auch die hübsche Gruppe von Truthühnern, welche auf und unter den Aesten der einen Fichte ruht. Es sind wirkliche Truthühner, die Stammeltern der unsrigen, deren Vorfahren um’s Jahr 1525 gezähmt zu uns herüber gekommen sind. Noch finden sie sich hier in ebenso großen Gesellschaften, als die Pfauen in Bengalen oder die Perlhühner in Afrika; noch sieht man allein Heerden von 10–100 „Kollerern“, alten bramarbasirenden Hähnen, zusammen und Ketten von 80–150 Stück Hennen mit ihren Jungen. Ihr Leben in der Wildniß ist sehr anziehend und spaßhaft; denn die wilden Truthähne verstehen noch besser als die zahmen die schwere Kunst, wichtig zu thun und durch leeres Poltern und Sich-Aufblasen eine gewisse, wenn auch sehr zweifelhafte Achtung sich zu erringen. Audubon gibt eine reizende Beschreibung von dem Leben dieser Prahler der allerärgsten Art. Ein Flußübergang, oder besser Ueberflug z. B. gibt tagelangen Stoff zu höchst wichtigen Berathungen und Großthuereien der alten Hähne, ihrem jungen unerfahrenen Volke gegenüber; sie kollern und schreien fast noch ärger, als die friedlichen Landleute mancher Gegenden bei ihren durch Faustschläge geregelten Versammlungen, blasen sich auf und thun, als gälte es eine Welt zu erobern, lassen aber auch wieder ein fürchterlich ernstes, beängstigendes Schweigen als wirksames Zwischenspiel eintreten und schwingen sich dann endlich auf die höchsten Bäume, um von dort aus in die neue Welt jenseits des Flusses überzuschiffen. Die jungen Laffen purzeln dabei allerdings oft in’s Wasser und müssen sich durch Schwimmen forthelfen. Die alten Herrn aber, welche wieder festes Land unter sich haben, wissen dann ihren Sieg gar nicht genug auszuposaunen. Nun darf sich aber ein schwacher Falke zeigen! O Jammer! – wie rasch verschwindet da das Selbstgefühl, der Muth, das Bewußtsein, das bramarbasirende Wesen, das Poltern etc.! Alles, Alles hat mit einem Male aufgehört, und mit Angst suchen sie das Dickicht, um sich zu verbergen.


  1. Unser wackerer Künstler eröffnet uns in dem umstehenden Bilde einen Blick in das Innere eines Waldes des „fernen Westens“ mit seinem Leben und Treiben. Es war ihm vorzüglich darum zu thun, an der Stelle willkürlicher und – unmöglicher Zusammenstellungen der verschiedenartigsten Naturerzeugnisse des fremden Erdtheils eine naturgetreue, einhellige, ich möchte sagen wissenschaftliche Darstellung eines Waldtheils mit seinen Pflanzen und Thieren zu geben, etwa in der Weise, welche der eigentliche Begründer eines vernünftigen Unterrichts der Erdkunde, Director Dr. C. Vogel, uns vorgezeichnet hat. Wir haben es hier also nicht mit einer sogenannten „Illustration“, sondern mit einer streng durchgeführten wissenschaftlich-richtigen Darstellung zu thun.
  2. In der Gefangenschaft spielt die Hausdrossel anderen Hausthieren mancherlei Streiche; sie pfeift in der bekannten Weise des Hausherrn, und veranlaßt den schlafenden Hund, eiligst aufzuspringen; sie kreischt wie ein geängstigtes Hühnchen, und bringt alle Bruthennen in Aufruhr; sie ahmt zum Entsetzen der bezüglichen Mütter die Stimmen junger Hunde und Katzen täuschend nach etc.