Chemische Briefe/Achtundvierzigster Brief

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von: Justus von Liebig
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Achtundvierzigster Brief.


Die Geschichte der Menschheit – sagte Thaer – sei auch die des Ackerbaues; es giebt keinen Ausspruch, welcher irriger ist. Alle unsere mit den Naturwissenschaften in Verbindung stehenden Gewerbe haben eine Geschichte, nur der moderne Ackerbau nicht, denn er ist von heute, höchstens von gestern; was vor einer Woche geschah, kennt er nicht und wenn er es kennt, so macht es den Landwirth nicht weiser.

Millionen Thatsachen können sich nicht vererben, aber die wissenschaftlichen Grundsätze, welche Ausdrücke für diese Thatsachen sind, vererben sich, weil sie ihrer Natur nach unveränderlich sind.

[445] Die Landwirthschaft ist das an Thatsachen reichste und am Verständniss derselben ärmste unter allen Gewerben; die Thatsachen sind Sandkörner welche der Wind verweht, in dem Grundsatz sind die Sandkörner zum Felsen zusammengefügt. Die Thatsache sagt an sich nur, dass sie da ist, in der Erfahrung soll sie sagen warum sie da ist.

Die Wissenschaft ist ihrer Natur nach erhaltend, nicht zerstörend; die in der Praxis erkannten Wahrheiten werden von der Wissenschaft nicht verworfen, sondern von ihr aufgenommen; sie werden von ihr niemals widersprochen, sondern auf den richtigen Ausdruck gebracht und weiter ausgedehnt, und so kann die Wissenschaft in der Praxis keine Umwälzung hervorbringen, sondern sie ist der Weg zu einer Aufeinanderfolge von Fortentwickelungen, von denen eine immer die andere in sich aufnimmt.

Der moderne Ackerbau hat Methoden und Betriebsysteme, aber keine Grundsätze, ihm fehlt das „Wissen“; nach so vielen tausend Jahren weiss auch der beste, erfahrenste unter den Landwirthen nicht, welcher Mist der beste sei; unter welchen Umständen der frische oder der alte Mist!

Mit der Entwicklungsgeschichte des Menschen steht bis jetzt der moderne Ackerbau ausser aller Verbindung; wenn sie der Spiegel seiner Irrthümer und Fehler ist, so ist sie auch der seines Fortschritts. Der moderne Ackerbau weiss nichts von Fehlern, und darum weiss er nichts vom Fortschritt.

Wenn die Entwicklung des Menschengeschlechts in der Geschichte für die Landwirthschaft existirte, oder wenn die Lehrer derselben sich daran unterrichten wollten, so würde der Landwirth wissen, dass bereits vor zweitausend Jahren die erleuchtetsten und ausgezeichnetsten Männer Roms den damaligen Feldbau von allen den Schwierigkeiten bedrängt sahen, welche ihn heute bedrohen, und dass das nämliche System des intensiven Feldbaues, dass unsere modernen Lehrer für das beste halten und empfehlen, schon damals, und ohne die Uebel zu heilen, versucht worden ist.

Die folgenden Notizen, die ich aus Columella, Cato, Virgil, Varro und Plinius entnehme, dürften geeignet sein dem Landwirth über seinen praktischen Standpunkt die Augen zu öffnen, und wie Alles was sein moderner Lehrer ihn lehrt, lauter Dinge sind, die man vor zweitausend Jahren schon eben so gut, oft weit besser wusste. Wenn man die zwölf Bücher von Columella liest, und mit unsern Handbüchern der praktischen Landwirthschaft vergleicht, so hat man das Gefühl, wie wenn man aus einer dürren Einöde in einen schönen Garten tritt, so frisch und anmuthig ist Alles.

In seiner Vorrede an Publius Silvinius sagt Collumella: „Die Grossen des Staates pflegen bald über die Unfruchtbarkeit der Aecker, bald über die unbeständige Witterung zu klagen, welche nun schon seit geraumer Zeit den Früchten nachtheilig gewesen ist; Andere meinen der Boden sei durch die allzu grosse Fruchtbarkeit der vorigen Zeiten erschöpft und kraftlos geworden. Aber, fährt er fort, kein Vernünftiger werde sich überreden lassen, die Erde sei, wie wir Menschen, veraltet;

[446] die Unfruchtbarkeit rühre vielmehr von unserem eigenen Verfahren her, weil wir den Ackerbau der unvernünftigen Willkür ungeschickter Knechte überlassen.

Eine andere Kenntniss habe der Ackersmann, eine andere der Hirte nöthig. Der erste müsse wissen, wie er das Feld durch Früchte am besten nützt; der andere müsse verstehen, wie er die Viehzucht einträglich macht. Weil nun beides mit einander in enger Verbindung stehe, indem es meistens viel nützlicher sei, wenn man das Futter, welches das Feld trage, auf dem Gute verfüttere, als wenn man es verkaufe, und das Düngen zur Fruchtbarkeit des Feldes das Meiste beiträgt, wie man denn das Vieh hauptsächlich des Düngers wegen halte, so müsse ein Jeder, der ein Hofgut hat, nicht allein Wissenschaft besitzen vom Ackerbau, sondern auch von der Viehweide und der Art wie man mit der Stallfütterung verfährt.“ (Columella.)

„Worin besteht der gute Ackerbau? Zum ersten im guten Pflegen, zum zweiten im guten Pflügen, zum dritten im Düngen.“ (Cato.)

„Die Farbe ist kein sicheres Zeichen der Güte des Erdreichs. Denn so wie das stärkste Vieh verschiedene fast unzählbare Farben hat, so hat auch das beste Land vielerlei und unterschiedene Farben.“ (Columella.)

Es giebt vielerlei Boden, Kalk-, Sand-, Thonboden etc. Der eine ist feucht, der andere trocken oder mittelmässig, fett oder mager, locker oder dicht; durch ihre Mischungen entstehen unendliche Verschiedenheiten; das bindige Thonfeld verbessere man mit Sand und Mergel, den Sandboden mit Thon." (Plinius Pallad. Col.)

„Die überflüssige Nässe muss durch Gräben abgeleitet werden, entweder durch offene oder bedeckte; in zähem und kreidigem (?) Land sind offene Gräben vorzuziehen. Offene Gräben müssen oben weiter sein; sind sie rechtwinkelig, so wäscht sie das Wasser aus und die nachschiessende Erde füllt den Graben; den bedeckten Graben sticht man drei Fuss tief aus, und füllt die Hälfte mit kleinen Steinen oder grobem Sand aus, wirft die ausgegrabene Erde drüber und ebnet sie; hat man weder Steine noch Sand, so wirft man zusammengebundenes Gesträuch hinein, so viel sich in dem engen Graben zusammen pressen lässt und bedeckt alles mit Erde. An die Oeffnungen des Grabens setzt man wie bei kleinen Brücken zwei Steine, die als Pfeiler einen dritten tragen; dies hält den Graben offen.“ (Col.) „Der fruchtbare Acker muss vor Allem locker sein, denn dieses suchen wir durch das Pflügen zuwege zu bringen.“ (Virgil.) „Das Land pflügen heisst nichts anderes als es locker und los machen, wodurch der Acker am tragbarsten wird.“ (Cato.) „Die alten Römer glaubten, der Acker sei nicht gut gepflügt, den man eggen müsse.“ (Col.) „Schweres Feld stürze man im Herbste und pflüge es dreimal. Man ziehe so viele und dichte Furchen, dass man kaum sehen kann, von welcher Seite man gepflügt hat, denn dadurch werden alle Wurzeln des Unkrauts ausgerottet; das Brachland muss so oft gepflügt werden, dass es fast in Staub zerfällt. Der Herr des Ackers untersuche oft, ob gepflügt wird wie sich’s gehört, er stosse eine Stange quer durch die Furchen (die Römer legten die Felder wellenförmig in breite Balken, wie man sie jetzt noch in der Umgegend Nürnbergs sieht, nur waren die römischen viel breiter); geht diese ohne Widerstand durch, so ist sicher, dass das Erdreich wohl aufgepflügt ist.

[447] Die Schollen sollen mit Sorgfalt zerschlagen werden. Man pflüge, wenn das Feld weder zu trocken, noch zu nass ist; ist der Boden zu hart, so dringt der Pflug nicht durch, oder er reisst grosse Schollen aus; in der Tiefe ist auch das beste Erdreich unfruchtbar, dieses wird mit den grossen Schollen gehoben, und die Ackerkrume dadurch verschlechtert. Für ein jedes Feld wähle man, je nach seiner Lage und Beschaffenheit, die geeignetsten Pflanzen (Cato)“, „denn nicht Alles kommt in allen Arten von Boden gleich gut fort.“ (Varro.) „Es giebt Pflanzen, welche trockenes Land verlangen, für andere ist das feuchte dienlich.“ (Col.) „Für Grasland ist das natürlich feuchte das beste.“ (Cato.) „Das Heu, welches auf einem von Natur feuchten Orte wächst, ist besser als das durch Bewässerung erzwungene. Ein Wiesenplatz in der Ebene muss einen kleinen Fall haben, so dass der Regen und sonstiges Gewässer nicht darauf stehen bleibt, sondern langsam wegrieselt.“ (Col.) „Der zur Saat bestimmte Samen soll mit der Hand ausgelesen werden; Hülsenfrüchte lässt man vorher in Salpeterwasser aufquellen.“

Selbst die gewähltere Saat, mit Arbeit lange gemustert,
Sah ich dennoch entarten, wenn menschliche Mühe nicht jährlich
Grösseres nur mit der Hand auslas; so stürzt durch das Schicksal
Alles zum Schlimmeren fort, und rückwärts gleitend versinkt es.

(Virgil, Georgica, übersetzt von Voss.)

„Sorge dafür, dass das Getreide zweimal mit der Hacke gejätet, und (mit den Händen) gewietet werde.“ (Cato.)

„Auf grossen Gütern lässt man zur Ersparung des Düngers den Acker abwechselnd brach liegen.“ (Plinius.) „Verbietet dies der Raum, so wechselt man mit Futtergewächsen und Getreide, und ersetzt die Kräfte durch Dünger.“ (Cato. Columella.) „Einige besäen den Acker zwei Jahre lang nach einander mit Halmgewächsen, allein dies wird den Pächtern von den Eigenthümern verboten.“ (Festus.) „Der Acker muss Jahr um Jahr rasten, oder mit leichterer Saat besäet werden, die das Land weniger aussaugt.“ (Varro.)

„Von den Hülsenfrüchten richte man zuerst sein Augenmerk auf Lupinen, weil sie am wenigsten Arbeit erfordern, am wohlfeilsten und unter allem Gesäme am vortheilhaftesten für das Land sind; für ausgemergelte Felder geben sie den besten Dünger und wachsen auf unfruchtbarem Felde.

„Von obigem Gesäme dünget nach Saserna einiges den Acker und macht ihn fruchtbar, da andere Arten ihn auszehren und mager machen. Lupinen, Bohnen, Erbsen, Linsen, Wicken sollen das Land düngen. Von den Lupinen und Wicken glaube ich es, nur müssen sie grün abgemäht, und ehe sie dürr sind untergepflügt werden.“ (Col.) „Lein, Mohn und Hafer entkräften den Acker.“ (Virgil.)

„Das einzige kräftige Mittel für jedes Erdreich, das von diesen Samenarten gelitten hat, ist die Düngung, wodurch die verlorenen Kräfte der Erde wieder hergestellt werden.“ (Col.) „Es giebt drei Arten von Mist; der beste ist der von Vögeln, darauf folgt der von Menschen, den dritten Rang hat der von Vieh. Auch unter letzterem ist ein Unterschied. Der Eselsmist ist der beste, darauf folgt der Schafmist, Ziegenmist und endlich der von Pferden und Rindvieh; der Schweinemist ist der schlechteste.

[448] Hat das Landgut lauter Kornländereien, so ist es nicht nöthig, jede Art von Mist besonders zu legen; ist aber Baumzucht, Ackerland, Wiesenwuchs vorhanden, so schüttet man jede Art von Dünger besonders auf.“ (Col.) „Taubenmist (Guano) soll man auf die Wiesen, in die Gärten oder auf die Saat streuen.“ (Cato, Varro, Casius.) „Für Wiesen schickt sich der Pferdemist am besten, wie überhaupt der Mist aller Lastthiere, die mit Gerste gefüttert werden, denn diese treibt sehr stark Gras.“ (Varro.)

„Man führt auch Asche mit Vortheil auf den Acker, und jenseit des Po, sagt Plinius, gefällt der Gebrauch der Asche so sehr, dass man sie dem Mist der Zugthiere vorzieht.“

„Sollte gar keine Art von Dünger vorräthig sein, so kann man mit Vortheil dem Beispiel meines Vatersbruders M. Columella folgen; er düngte die Weinstöcke nicht mit Mist, weil er den Geschmack des Weines verderbe, sondern erwartete eine reichere Weinlese von der Beschüttung mit künstlicher oder aus den Wäldern geholter Erde. Bei Mangel an allem Dünger glaube ich, dass sich der Landwirth am leichtesten durch die Lupine wird helfen können; werden diese Mitte Septembers in magerem Lande gesäet und eingepflügt, so vertreten sie die Stelle des besten Düngers.“ (Col.)

„Ein Landwirth muss wissen, dass zwar ein Acker ohne alle Düngung von Kräften kommt, dass aber allzu starke Düngung ihm schade. Man dünge darum lieber oft als unmässig.“ (Col.)

„Eine Erinnerung füge ich noch bei: wenn der Mist ein Jahr gelegen hat, so ist er für’s Feld am besten, im Sommer soll er umgearbeitet und stets feucht erhalten werden, damit die Unkrautsamen verfaulen und nicht wieder auf das Land gebracht werden.“ (Col.)

„Die besten Futtergewächse sind Luzerne, Bockshorn, Wicken und Gerstengemengsel. Unter den Futterkräutern zeichnet sich die Luzerne aus, denn einmal gesäet dauert sie zehn Jahre, macht das magere Vieh fett und ist eine Arznei für das kranke. Man muss im Anfang sie jäten, denn sonst erstickt das Unkraut die zarte Luzerne.“ (Col.)

„Man säet nicht alles der Frucht wegen, die man im gegenwärtigen Jahre geniessen will, sondern für’s folgende, weil manche Pflanzen, die abgeschnitten und dem Lande gelassen werden, den Boden bessern. So wird die Lupine in einem mageren Acker anstatt Dungs untergepflügt.“ (Varro.)

„Das Heu schneide zur rechten Zeit, und hüte dich, dass es nicht spät geschehe; ehe der Same reift, musst du es schneiden und das beste Heu besonders legen.“ (Cato.) „Den moosigen Wiesen hilft man durch eine neue Besamung oder Düngung, doch ist beides nicht so vortheilhaft, als oft Asche darauf zu streuen, welche das Moos vertilgt.“ (Col.)

Alle diese Vorschriften hatten, wie die Geschichte uns lehrt, nur einen vorübergehenden Erfolg; sie beschleunigten den Verfall des römischen Ackerbaues; dem kleinen Bauer gingen zuletzt die Mittel aus, seine Felder fruchtbar zu erhalten und lohnende Erträge zu gewinnen; schon zu Columella’s Zeit erntete man nicht mehr als den vierfachen Ertrag der Aussaat; die Felder fielen in die Hände der grossen Grundbesitzer, und nachdem die Sklavenwirthschaft es noch eine Zeit lang ausführbar gemacht hatte „mit dem geringsten Aufwand an Dünger die höchsten Erträge“ zu erzielen, da reichten zuletzt auch diese nicht mehr hin, die

[449] Steuerlast zu tragen, und wie uns die Geschichte der drei ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung erzählt, der grauenvollste und entsetzlichste Zustand, in welchen Völker verfallen können, trat ein. Viele andere Ursachen wirkten natürlich zusammen, aber die Erschöpfung der fruchtbaren Felder durch den Raubbau war eine davon.