Courbet und die Vendôme-Säule

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Autor: Paul d’Abrest
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Titel: Courbet und die Vendôme-Säule.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 148-150
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch Colonne Vendôme in der Wikipedia
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Courbet und die Vendôme-Säule.

Die gußeiserne Cigarre mit dem Männchen im römischen Triumphatormantel steht wieder mitten auf dem für sie bestimmten Platze, und jener Mann, der an derselben rüttelte, liegt unter der kühlen Erde eines poetischen schweizer Friedhofes am Leman-See. Wie der Maler Courbet, der oft genannte Vertreter der äußersten Linken in der realistischen Kunstrichtung, dazu kam, gegen die Säule einen solchen Haß zu fassen, ist vom doppelten Standpunkt, vom politischen wie vom künstlerischen, erklärlich. Politisch wurde Courbet durch die Lobeserhebungen, welche seine Weigerung, das Kreuz der Ehrenlegion anzunehmen (1870) hervorrief, berauscht und fühlte sich berufen, seinen Republikanismus durch eine Thatsache zu bekräftigen. Aesthetisch machte ihn die unliebsame Säule nervös dadurch, daß er sie beständig vor Augen hatte, denn nach dem 4. September 1870 wurde Courbet mit der Oberaufsicht der Museen betraut und thronte in dem reichgeschmückten Cabinet im Louvre-Palais.

Trat er nun nach beendigter Arbeit (?) oder nach einer erhitzten ästhetischen Debatte an’s Fenster seines Cabinets, so traf sein Blick die Vendôme-Säule, jene im Jahre 1807 zur Verherrlichung der Thaten der „großen Armee“ errichtete bronzene Cigarre, die sehr ungraziös den circusförmigen Vendôme-Platz verunstaltete. Sowohl das unästhetische Denkmal, wie das Standbild Napoleon’s des Ersten machten den Künstler Tag für Tag nervöser; er wurde als Nachbar der persönliche Feind der Vendôme-Säule. Sein Unmuth äußerte sich bereits am 14. September in einem Briefe an die Nationalregierung, in dem er sich anheischig machte, die betreffende Säule zu stürzen. Die Nationalregierung ließ diesen Antrag ohne allen Bescheid, aber in den Augen der gegen den Bonapartismus aufgebrachten Menge stieg noch die Popularität Courbet’s. Es war sehr bescheiden von ihm, wenn er nicht einen directen Antheil an der Regierung forderte und sich mit Huldigungen begnügte, die ihm gelegentlich einiger „Vorlesungen“ in reichlichem Maße zu Theil wurden. Nun erhitzte der Maler sich immer gewaltiger; er erließ einen Aufruf „an die deutschen Künstler“; das gab einer Kanone seinen Namen etc. etc. So nahte der für Courbet verhängnißvolle Zeitpunkt der Commune.

Als die Commune ausbrach, gehörte es keineswegs zu den zwölf Herculesarbeiten, sich einen Sitz in dieser dictatorischen Versammlung zu verschaffen. Es genügte, zu der rothen Fahne zu schwören und sich der Empfehlung eines der patentirten Volkstribunen zu erfreuen. In der Eile wurden ja sogar Fremde gewählt, und da die von Panik ergriffenen conservativen Elemente sich nicht aufzuraffen wagten, so siegten die meisten der Erwählten allein, ohne Kampf und ohne Gegner. Man erklärt sich’s also leicht, wie Gustav Courbet, der in den Augen der aufrührerischen Pariser von einem doppelten Heiligenschein umgeben war, nämlich von dem seiner Weigerung der Ehrenlegion gegenüber und von dem seines Antrages bezüglich der Vendôme-Säule, in das Stadthaus gelangte. In dem revolutionärem Convetikel war die Zerstörung der Vendôme-Säule stets sein letztes Wort. Er hatte durchaus keine Ruhe, bis die Commune ein förmliches Decret erließ, welches dem heißesten Wunsche Courbet’s gesetzliche Kraft verlieh. Courbet selbst wurde beauftragt, die Arbeiten zu leiten, und er entledigte sich seiner Aufgabe mit jener Gewissenhaftigkeit, die man gewöhnlich auf Arbeiten verwendet, bei welchen das Herz ist. In der That, während draußen Tag und Nacht aus Hunderten von Kanonen der Grimmbaß kriegerischer Musik ertönte, sah man eines Morgens des wahrhaft wunderschönen Monat Mai 1871 eine Abtheilung Arbeiter – mit dem damals unvermeidlichen Nationalgarde-Käppi auf dem Kopfe – vom Vendôme-Platz Besitz ergreifen und ein hölzernes Gerüst errichten, welches nach und nach bis hoch hinauf ragte zur Lorbeerkrone des in Erz gegossenen Cäsar’s. Mit jedem Tage schritt die Arbeit vorwärts, und bald ertönten hinter den hölzernen Verhauen bedeutsame Hammerschläge und das beständige Geräusch der Säge, die tief in die metallene Kruste und dann in die Gypsmasse biß. Die ganze Säule sollte in „Portionen“, querdurch, von oben nach unten, ungefähr wie ein Baumkuchen geschnitten werden; darauf sollte der untere Theil vom Postament radical losgesägt werden – drauf ein mächtiger Ruck, und die in Scherben zersplitterte Säule sollte der Länge nach auf das Pflaster der Rue de la Paix fallen.

In der Stadt hatte man geglaubt, die Commune werde sich begnügen, das verherrlichende Denkmal des Kaisers theoretisch in den Bann zu thun – der alte chauvinistische Geist lehnte sich selbst bei vielen Revolutionärgesinnten gegen die Zerstörung dieses Zeugnisses französischen Ruhmes auf; als jedoch kein Zweifel mehr gestattet war, da wälzte sich alles dem Vendôme-Platz zu. Es begann eine förmliche Procession Neugieriger, welche sich mit eigenen Augen von dem überzeugen wollten, das ihnen unglaublich erschienen war. Meister Courbet verfehlte nicht, alle Nachmittage seinen Verdauungsspaziergang nach genossenem Frühstück in der Richtung nach der Rue de la Paix einzuschlagen. Die Hände hinter dem breiten Rücken und auf dem Kopfe ebenfalls die Nationalgarde-Kappe, besichtigte er die Arbeit und fand Wohlgefallen an seinem Werke.

Der Hauseigenthümer der Rue de la Paix, einer der reichsten Straßen von Paris, hatte sich indessen eine gelinde Panik bemächtigt. Man besorgte das Aergste von dem gewaltsamen Fall der ungeheuren Erz- und Steinmasse. Die schönen Häuser alle, insofern sie nicht schon ohnedies von ihren Bewohnern (der Geburts- oder der Geld-Aristokratie angehörend) verlassen worden waren, standen öde. Demjenigen, der in ruhigen Tagen die doppelte Fronte der bis spät in den Abend hinein illuminirten Prachtläden der Straße mit ihren Schätzen an Schmuck-, Kunst- und theuersten Toilettengegenständen in den Auslagekästen gesehen hatte, der sich der langen Reihen von Equipagen erinnerte, die vor jedem Thore auf ihre Gebieter harrten, dem mußten die hermetisch geschlossenen Läden, die vor den bogenförmigen Fenstern überall herabgelassenen Jalousien desto unheimlicher vorkommen. So nahte der für die „Execution“ der Vendôme-Säule festgestellte Tag heran. Es war der 15. Mai – gut, daß die Herren von der Commune sich beeilten, denn wenige Tage darauf war die ganze Tragi-Posse der Commune im Blute erstickt und die Rothhosen campirten auf dem Platze.

Die Aufregung hatte in Paris ihren Siedepunkt erreicht; alle Gemüther waren in Wallung, und der Pulsschlag überstieg um das Dreifache das normale Maß. Der Kampf unmittelbar vor den Thoren wüthete wachsend von Stunde zu Stunde. Gewisse Quartiere waren mit Bomben, Granaten und Shrapnells hageldicht überschüttet. – Durch die Straßen bewegten sich endlose Leichenzüge, und gerade am Tage vor dem Umsturz der Säule hatte die Sprengung einer Munitionsfabrik in der Nähe des Invalidenhauses allgemeine Panik verbreitet. Unter solchen Umständen und bei dieser Musik, zu der sich noch die Banden zweier Nationalgarde-Bataillone gesellte, wurde das Decret zur Wahrheit.

Die Sache ging nicht ohne Störung von Statten. Bereits um ein Uhr hatten sich die mittelst specieller Karten zu dem Feste Geladenen eingefunden; fast sämmtliche Mitglieder der Commune, die insurrectionelle Generalität etc. hatten auf dem Balcon der Commandantur von Paris – das Gebäude steht am Vendôme-Platze – Posto gefaßt, und erst um halb sechs Uhr Nachmittags gelang es, nachdem zwei Kabelstricke gerissen waren, das ungeheuere Monument zum Falle zu bringen. Der Platz und die Rue de la Paix waren mit einer dichten Strohschicht, darunter als Grundlage ein Portion Dünger, besäet; auf diesem sonderbaren Bette zerstückelte sich in hundert Bestandtheile die der französischen „Gloire“ errichtete Säule. – Die Statue des Imperators wurde durch den Sturz enthauptet, aber der Rumpf blieb völlig unversehrt. Die einzelnen Bestandteile der Säule wurden so sorgfältig zusammengelesen, daß ein Jahr darauf, als zur Wiederherstellung des Denkmals geschritten wurde, kein einziges Stück fehlte.

Nachdem das Zertrümmerungswerk vollendet worden war, spielten die Musikbanden die Marseillaise, Volkstribunen, an welchen man damals keinen Mangel litt, bestiegen das Postament und redeten das Volk an; noch in der Nacht wurden die Trümmer aus Erz und Stein vom Boden aufgelesen; das Auge erfreute sich einer freien Aussicht über den ganzen Vendôme-Platz bis zu den grünen Anlagen des Tuilerien-Gartens.

[149] Acht Tage später war Paris in der Gewalt der Versailler Truppen, und massenhafte Erschießungen vor dem Postament der Säule sollten den Act vorläufig - sühnen. Vierzehn Tage darauf war der Urheber des Säulenumsturzes verhaftet. Er wagte es nicht, wie Felix Pyat, wie Jules Valle und Andere, verkleidet entkommen zu wollen; er zog ein, wie er hoffte, unverletzliches Versteck bei einer Freundin vor. Aber die Spionage war in dem mit stürmender Hand genommenen Paris noch hundertmal wachsamer als in der ärgsten Periode des alten Venedig. Verrath oder Mangel an Vorsicht brachten die geheimen Unterkünfte zur Kenntniß der Behörde. Diese, fest überzeugt, daß der Vogel im Nest sei, hielt eine so gründliche Hausdurchsuchung, daß Courbet, der sich in einem absichtlich gegrabenen Loche in der Mauer verborgen hielt, entdeckt wurde. Zum Märtyrer war derjenige, den die republikanischen Blätter bei Gelegenheit der Eidesverweigerung mit allen republikanischen Tugenden ausgeschmückt hatten, nicht geschaffen. An allen Gliedmaßen schlotternd, leichenblaß wurde Courbet dem Militärgefängniß in Versailles eingeliefert, wo er in eine Krankheit verfiel, welche durch die betrübende Meldung des Todes seiner alten Mutter und einer in seiner Vaterstadt Ornans gegen ihn gerichteten Demonstration bedeutend verschlimmert wurde.

Nach zweimonatlicher Untersuchungshaft, die er theils in einer finsteren Zelle (er portraitirte sich selbst darin ab), theils in dem Lazareth des Gefängnisses zubrachte, hatte sich Courbet vor dem Kriegsgerichtshof in Versailles zu verantworten. Die Sitzungen dieser rothhosigen, unbarmherzigen Vehme fand in der Reitschule der Cavalleriecaserne statt, einem ungeheueren, sehr hohen Raum, von dem kaum ein Drittheil durch das Tribunal, die Angeklagten, die Advocaten, die Vertreter sämmtlicher Journale und einige hundert Zuschauer in Anspruch genommen wurde. Die zwei übrigen Drittheile des Locals blieben frei, und es hätten sich wie gewöhnlich Pferde und Reiter darin tummeln können. Die Angeklagten - es gab deren elf, sämmtlich Mitglieder der Commune - hatten neben ihren Sachwaltern auf einer Estrade Platz genommen, die sich schräg gegenüber den Reporterbänken befand. Ich hatte daher alle Muße, während der langwierigen Verhandlungen die Physiognomien der verschiedenen Angeklagten zu studiren. Courbet saß in der zweiten Reihe; seine körperliche Beleibtheit hatte eher zu- als abgenommen, aber sein Gesicht trug die Spuren arger Strapazen und einer tiefen Erregung.

Im Ganzen befleißigte er sich einer gleichgültigen Haltung und blickte drein, als wäre er der ganzen Verhandlung, bei der es sich doch um seinen Kopf handelte, fremd. In seiner Kleidung hatte er eine Sorgfalt affectirt, die ihm sonst nicht angeboren war; ein sehr behäbig aussehender schwarzer Tuchrock mit schwarzer Hose bildete seinen Anzug; das Haar war - bei dem Chef der Realisten ein Unicum - gekämmt und der Bart beinahe gepflegt.

Der Präsident des Gerichtshofes war Oberst Merlin vom Geniecorps, ein Officier mit offenen, beinahe sympathischen Zügen, und mehr eine gelehrte Erscheinung in Uniform als ein rauher Kriegsmann. Oberst Merlin war dazu ein Kunstliebhaber und hatte Sympathie gerade für die von Courbet vertretene Richtung. Der Advocat des Malers und einige Freunde hatten dies herausgefunden – der Genieoberst wurde von dem Augenblicke dieser Entdeckung an förmlich bestürmt mit Bittschriften, Briefen, voll von Erörterungen über das Maß der Verantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit eines Künstlers, von Hinweisen auf den großen Revolutionsmaler David, der, obwohl der Freund Robespierre’s und mit diesem arg compromittirt, nichts destoweniger von allen Verfolgungen verschont blieb, weil man dem Lande ein Talent erhalten wollte. Oberst Merlin war offenbar als Liebhaber und Parteigänger der realistischen Richtung von diesem Standpunkte frappirt; man erkannte dies schon an der höflichen Behandlung des Angeklagten, auf dessen Haupte nicht weniger als drei inhaltsschwere Anklagepunkte lasteten. Er war bezichtigt:

1) der Theilnahme an einem Anschlage, dessen Zweck die Aenderung der Regierungsform und die Aufreizung der Bürger zum Kampfe gegen einander;

2) der Usurpirung öffentlicher Aemter;

3) der Mitschuld an der Zerstörung der Vendôme-Säule, eines von der Regierung errichteten öffentlichen Denkmals.

Der Präsident Merlin bittet: „Monsieur Courbet, stehen Sie gütigst auf! Zu welcher Zeit sind Sie der Commune beigetreten?“

Courbet antwortet: „Am 27. April.“

Präsident: „Sie mußten doch über die Vorgänge in dieser Versammlung genügend unterrichtet sein?“

Courbet: „Ich hielt es für meine Aufgabe, die Pflicht zu erfüllen, die ich mir auferlegt hatte, Frieden zu stiften.“

Präsident: „Und was haben Sie in diesem Sinne gethan?“

Courbet: „Alles, was ich thun konnte.“

Präsident: „Die Thatsachen sind da.“

Courbet: „Ja, als ich in die Commune trat, war das Unheil schon geschehen.“

Präsident: „Aber Sie hätten der Commune nicht beitreten sollen.“

Courbet: „Ich glaubte, daß Aussicht vorhanden wäre, Paris als kriegführende Macht anzuerkennen.“

Präsident: „Eine verrückte Aussicht!“

Courbet giebt nun einige Auskünfte über die von ihm getroffenen Schutzmaßregeln zu Gunsten der Hauptstadt in den öffentlichen Palais und Museen. Er will auch bei der Zerstörung des Palastes des Herrn Thiers nur anwesend gewesen sein, um jene Gegenstände, die für Herrn Thiers besonderen Werth hatten, zu retten. Der Oberst Merlin ertheilt dem Maler eine beinahe väterliche Lection. „Sehen Sie,“ sagt er, „was daraus werden kann, wenn einmal die Gesetzlichkeit überschritten wird; es ist unmöglich, das aufgelehnte Volk in seinem Wahne aufzuhalten.“

„Es giebt Dinge, die man nicht verhindern kann,“ antwortet Courbet stumpf.

Dann berührt der Präsident die Angelegenheit der Säule.

„Schon am 14. September hatten Sie die Zerstörung dieses Denkmals beantragt. Es war Ihnen besonders unangenehm, wie?“

Courbet: „Nach dem 4. September hatte man alle an das Empire erinnernde Gegenstände entfernt. Die Statue mit dem kleinen Hut war in die Seine geworfen worden; man hatte den ‚Napoleon den Dritten als Cäsar‘ bei der Brücke der Saints Pères, die ‚N‘ und andere Abzeichen an den öffentlichen Gebäuden weggenommen. Die Säule verdunkelte den Vendôme-Platz und hatte keinen künstlerischen Werth.“

Präsident: „Die Säule war zur Verherrlichung des Ruhmes unserer Waffen errichtet worden.“

Courbet: „Von diesem Standpunkte aus hatte ich nichts daran auszusetzen aber es fehlte dem ganzen Monument an den richtigen Verhältnissen, an Perspective.“

Der Präsident unterbricht diese ästhetische Erörterung, indem er an Courbet einige neue Fragen über dessen politische Rolle während der Commune richtet, aus welchen hervorgeht, daß sich der Angeklagte um dasjenige, was um ihn herum vorging, sehr wenig kümmerte. Das Zeugenverhör, welches nun folgte, war im Ganzen dem Maler günstig; nur eine einzige unbedeutende Persönlichkeit wollte Courbet am Tage der Zerstörung der Vendôme-Säule auf dem Platze gesehen haben. Der wundeste Punkt, die Betheiligung an der Zerstörung des Hauses Thiers’, wurde so ziemlich bei Seite geschoben, und Meister Lachaud, der melodramatische Vertheidiger, zu dem alle Raubmörder, Giftmischer und ärgsten Schurken ihre Zuflucht nehmen, bewegte sich auf einem wohlvorbereiteten Boden. Der Komödiant in der Toga war noch pathetischer als sonst, fuchtelte mit seinen Armen wie mit ein paar Windmühlen in der Leere und weinte bitterlich. Er warf den 4. September und alles damit Zusammenhängende über Bord und sonderte seinen Clienten von den übrigen Angeklagten ab. Er behauptete die vollständige Unzurechnungsfähigkeit desselben, und um ihn zu retten, bezeichnete er ihn als einen völlständigen Tölpel. Courbet ließ es geschehen, der Ehrgeizige, was sonst Keiner duldete. Aber er dachte sehr klug: besser als Schwachkopf in Freiheit, denn als routinirter Politiker im neucaledonischen Carcer.

Ein Intermezzo bezeichnete das Plaidoyer Meister Lachaud’s. Der Advocat, um die Weigerung besonders zu rechtfertigen, behauptete, Courbet habe es für gerecht gehalten, daß nur die Militärs mit dem Zeichen der Ehre geschmückt würden, und an diese seltsame Auslegung knüpfte Meister Lachaud eine höchst bombastische Verherrlichung der Officiere, die allein würdig [150] wären, einen Orden zu tragen. Oberst Merlin, die Beisitzer, das Publicum, Alles lächelte. Lachaud wird dessen gewahr; er sieht seinen Effect zerstört und wirft scheue Blicke um – und glücklicher Weise auch auf sich. Da merkt er endlich auf dem schwarzen Tuch seiner Toga den glitzernden Stern der Legion d’honneur, eine Gunstbezeugung Napoleon’s des Dritten, der für den anerkannten Vertreter aller Schinderhannes eine gewisse Schwäche hegte. Welch ein Widerspruch zwischen den eben ausgedrückten Theorien und der Thatsache dieses Ordens auf einer nicht militärischen Brust! Doch schnell besinnt sich Meister Lachaud; er wird noch pathetischer, als sonst.

„O! meine Herren,“ ruft er aus, „Courbet hat damals Unrecht gethan, den Orden zu verweigern – denn wenn unsere Dienste auch nicht so ersprießlich und weittragend sind, wie die Ihrige, so steht es uns schlecht an, die Anerkennung derselben zu verweigern.“

Man lächelte über die schlaue Redewendung. Zwei Tage darauf wurde das Urtheil verkündet. Die Sentenz lautete für mehrere der Angeklagten auf den Tod, für die meisten auf lebenslängliche Deportation. Courbet kam mit sechs Monaten Gefängniß davon. Die Theorie der Unverfänglichkeit der „großen Kinder“ und der Humanität für den Künstler hatte den Sieg davongetragen. Sein halbes Jahr saß Courbet in St. Pelagie ab, wo er recht emsig arbeitete und unter Anderem, ein neues Fach der Malerei betretend, einen Haufen Aepfel malte, keine Conventionalfrüchte, sondern wirklich ähnliche normannische Aepfel, aus welchen der herbe und kräftige Cider gepreßt wird.

Mit dieser geringen Strafe war jedoch die Rechnung des Malers mit dem Staate nicht abgeschlossen. Die wüthende Reaction hätte den „Maitre d’Ornans“, den Zerstörer der Vendôme-Säule, so gern nach dem fernen Cayenne spedirt, wo der Pfeffer wächst. Man konnte aber das souveraine Urtheil des Gerichtshofes von Versailles nicht verschärfen; es gab indessen noch Mittel, wenn nicht der Person, wenigstens dem Beutel des so milde Verurtheilten beizukommen. Zuerst mußte er die gesammten Proceßkosten vergüten, da sämmtliche Angeklagte solidarisch in dieselben verurtheilt wurden und Courbet der Einzige bei Cassa war. Dann verfolgte der Fiscus mit einer seltenen Gier die Eintreibung der Wiederherstellungskosten der Vendôme-Säule – die Bilder, das Baargeld des Malers, die von ihm auf der Bank deponirten Werthpapiere, Alles wurde mit Beschlag belegt. Courbet, der wohl mit Recht an seinem Erwerbe festhielt, transportirte seine Person und sein Atelier nach der Schweiz; er hoffte, daß die Geier des französischen Fiscus ihre Krallen nicht bis dahin ausstrecken würden.

Im Laufe des Sommers 1876 traf ich den Chef der realistischen Schule auf dem Schützenfeste in Lausanne. Der Zufall führte uns gegenüber bei dem Festessen unter der landesüblichen Cantine. Der „Maitre d’Ornans“ war höchst verwahrlost und sehr gealtert. Er war von Enthusiasmus erfüllt für die republikanischen Einrichtungen der Schweiz, für die nationalen Feste – leider aber auch für den heimtückischen schweizer weißen Wein. Er, an starke Getränke gewöhnt, absorbirte davon ungeheure Massen – bis zum Tode. Die Geldverluste, welche er erleiden mußte, nahm er sich vielleicht mehr als nothwendig zu Herzen, denn es wäre ihm wohl ein Leichtes gewesen, mittelst seines Pinsels sich ein bedeutendes neues Vermögen zu erwerben. Aber seine Malerkraft war gebrochen und als ihn der Tod in seinem Atelier in Latoux de Palzeralte traf, glich er bereits einem geistig Gestorbenen.

Paul d’Abrest.