Das Chamäleon

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Thier-Charaktere. 5. Das Chamäleon
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 132–135
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Thier-Charaktere.

Von Brehm.
5. Das Chamäleon.

Alte Erinnerungen wogten in seltener Frische in mir, als ich im Laufe des vergangenen Sommers eine reichhaltige Sendung theilnahmswerther, ja liebenswürdiger Kriechthiere empfing. Vor meinem geistigen Auge baute sich die von mir längere Zeit bewohnte Behausung im arabischen Viertel Alexandriens wieder auf, und ich gedachte jener Stunde, in welcher ich Bekanntschaft machte mit dem „Kleinstädter in Aegypten“, einem der geistreichsten Menschen, welche mir Afrika zugeführt hat, dessen noch fortdauernde Freundschaft ich als ein liebes Erbtheil jener Zeiten betrachte.

Unter Führung meines Lehrers, des Hadj M’sellem Aali, dessen Mund, gleich den Lippen Mirza Schaffy’s, überfloß von morgenländischer Weisheit, durchwandelte ich den Blumengarten der „Tausend und einen Nacht“, als der „Weise des Abendlandes“ in mein einfaches Zimmer trat, um sich Raths zu erholen bezüglich seiner zu unternehmenden Reise im Lande der Pyramiden. Wie eine Stromschnelle des Nil flutheten die Worte des Unerschöpflichen; – da, plötzlich, stockte die Rede, und Widerschein der Verwunderung, wo nicht eines gelinden Schauders, zog über sein Antlitz. Die Genossenschaft meines Zimmers war rege geworden. Hinter der Kiste, welche dem Gaste zum Sessel gedient, stelzten mit Vogelschritten einige von ihm gestörte Springmäuse hervor, und als das Auge, ihnen wohlgefällig folgend, das Zimmer durchblickt, mußte es nothgedrungen noch ganz andere Geschöpfe gewahren. Sandnattern in Kästen, Schleuderschwänze in Käfigen, Chamäleons auf allen Vorsprüngen, Ecken, Erhabenheiten etc.

„Beim Barte des Propheten, den zu verehren ich mich anschicke, welch’ wundersame Genossenschaft theilt mit Ihnen das Zimmer! Es wird Einem schier unheimlich inmitten solchen Gethieres, von welchem man doch nicht wissen kann – –“

„Ob man seines Lebens sicher,“ fiel ich ihm in die Rede;

[133]

Eine Familie Chamäleons.
Nach der Natur im Berliner Aquarium gezeichnet von Emil Schmidt.

[134] „seien Sie unbesorgt, Sie befinden sich in der besten Gesellschaft, in viel besserer jedenfalls als in der Ihrer sogenannten Glaubensgenossen, mit denen Sie hier verkehren werden und müssen – von Einzelnen, insbesondere Ihrem ergebenen Diener selbstredend abgesehen.“

Daß ich nicht zuviel gesagt: unser „Kleinstädter“ hat es später bewiesen, als er mehrere Tage die Wohnung mit mir und meinen thierischen Genossen theilte; denn er hatte rasch gelernt, mit ihnen sich zu befreunden.

Seit jenen Tagen in Alexandrien zum ersten Male habe ich jetzt, und zwar hier in Berlin, wiederum die Freude, sämmtliche der genannten Thiere zu pflegen und zu beobachten, und jeder Tag fast bringt zu den alten Erfahrungen neue.

Das „Berliner Aquarium“ verdankt die Chamäleons, welche es gegenwärtig besitzt, dem Sammeleifer Dr. Schweinfurth’s, des bekannten Afrikareisenden, welcher augenblicklich wiederum im Innern des Erdtheils weilt, um die Pflanzenwelt der von Heuglin thierkundlich durchforschten Gebiete des oberen weißen Niles wissenschaftlich festzustellen. Auf meine Bitten hatte er bei Alexandrien eine ziemliche Anzahl gedachter Thiere durch die zu Allem verwendbaren „Chamari“ oder Eseltreiber, gewitzte Buben mit sämmtlichen Eigenschaften unserer Gassenjungen, sammeln lassen und sie, meiner Weisung gemäß, in durchlöcherten, mit festen senkrechten Stäben und Palmenzweigen versehenen Kisten als Eilgut auf die Reise gegeben.

Für die meisten Kriechthiere ist diese Art der Versendung die einzig ersprießliche. Sie sind in ihrem Freileben oft genug in der übeln Lage, wochen-, ja monatelang fasten zu müssen, und haben es in dieser Enthaltsamkeit weit gebracht. Ein mehrwöchentlicher Hunger schadet ihnen in der Regel nicht, während beigegebene Nahrung insofern nachtheilig ist, als sie doch nicht gefressen wird, verdirbt und verfault, die Luft in dem engen Raume verpestet und den Eingekerkerten Verderben bringt. Von fernwohnenden Freunden des „Berliner Aquarium“ haben wir so lebende Schildkröten, Echsen und Schlangen erhalten, welche drei Monate lang unterwegs und zum Fasten gezwungen waren.

Unsere zarten Chamäleons staken nur vierzehn Tage in ihrem Versandgefängnisse, hatten aber doch schon erheblich gelitten, hauptsächlich wohl in Folge der rohen Behandlung, welche sie abseiten ihrer Fänger zu erdulden gehabt. Eine Anzahl von Leichen deckte den Boden: von den „fünfundachtzig guten, beißenden Chamäleons“, welche Schweinfurth abgesandt, bissen nur einige dreißig noch, während andere jede Behelligung widerstandslos über sich ergehen ließen. Die Gesammtheit trug ein und dasselbe Trauerkleid: anstatt des schönen Blattgrüns, von welchem sich die helleren oder dunkleren Längsstreifen, Flecken und Punkte so hübsch abheben, zeigte die Haut ein gleichmäßiges grauliches Strohgelb, ohne deutliche Abzeichnung, ohne lebhaftere Färbung. Die Thiere waren offenbar ermattet, abgespannt, erschöpft, verschmachtet.

Jetzt galt es, ihnen alle Genüsse zu verschaffen, welche das irdische Leben eines Chamäleons verlangt. Der vorbereitete Kasten wurde mit grünen Zweigen geschmückt, Honig herbeigeschafft, um Fliegen anzulocken, Mehlwürmer zum lecker bereiteten Mahle vorgesetzt und eines der Kriechthiere nach dem anderen in die wohnliche Behausung gebracht.

Der Erfolg entsprach den Erwartungen nicht. Es fehlte an etwas: das war ersichtlich. Wohl richteten sich zehn, zwanzig Augen nach dieser Fliege, nach jenem Mehlwurme; aber der Zungenpfeil, welcher, wie ich wußte, mit so viel Sicherheit geschleudert wird, blieb auf dem Bogen, d. h. in seiner Scheide. Sollte die verschrumpfte Haut durch Anfeuchten geglättet, das Thier hierdurch belebt werden können? Versuchen wir es! Ein Schlauch wird in die nöthige Richtung gebracht, der Hahn geöffnet; ein künstlich erzeugter Regen träuft auf die Ermatteten nieder. Welche Veränderung! Zauberischer, belebender, als diese Labung sich erwies, wirkt nicht das erste Gewitter nach langer Dürre, erquickender nicht der erste Trunk, welcher dem Verschmachteten wird. Jeder Tropfen, welcher auf die lederfarbene Haut fiel, gab ihr an der befeuchteten Stelle die Frische wieder, und wie Nebelgewölk vor der Sonne zerflockte, zerriß, verschwand das Kleid der Entsagung, um dem Gewande der Lebensfreudigkeit Platz zu machen. Aber nicht blos die verwelkte Haut erfrischte sich durch das belebende Naß, auch die Zunge leckte gierig die erquickenden Tropfen auf. Und als diese mehr und mehr abgefallen von den Blättern, faßten die verschmachteten Thiere letztere beiderseitig mit den harten Lippen, saugten förmlich an ihnen und suchten ein anderes Blatt, wenn das erstere abgeleckt oder abgesaugt worden war.

Endlich hatten sich alle an dem immer wieder gespendeten Trunke zur Genüge erlabt, und nunmehr erregten die krabbelnden Mehlwürmer, die honiglüsternen Fliegen gebührende Theilnahme. Aus den blätterdürren Leibern der Chamäleons waren wohlgerundete geworden, in die geknickten Beine Kraft und Strammheit, in die matten Augen Beweglichkeit, in das kleine Hirn Thatkraft gekommen. An den Zweigen kletterten die Thiere auf und nieder; um die besseren Plätze stritten sie sich mit drohenden Grimassen und Beißen; mit den Wickelschwänzen umschlangen sie sich gegenseitig, wenn es an Raum fehlte; alle Winkel der Höhe und Ebene durchspähten die von einander unabhängigen Augen. Dutzende von solchen Augen zielten nach einer und derselben Beute; die von der einen Zunge gefehlte Fliege fiel der zweiten, dritten, zehnten gewißlich zum Opfer. Ganze Schüsseln voller Mehlwürmer wurden geleert im Umsehen, und die von Neuem beschickte Tafel war theilweise schon wieder abgegessen, bevor wir, die stellvertretenden Aufwärter, unserem willig geübten Amte allseitig genügt.

So ging es auch in den nächsten Tagen in unserem Gefangenhause zu, und ich verstand die Weisheit des alten Noah, von jeglicher Thierart nur ein Männlein und ein Weiblein mit in die Arche zu nehmen; denn – achtzig Chamäleons hätte er nicht ernähren können. Der Inhalt einer großen, mit Kohlraupen vollständig angefüllten Schachtel, welche ein Gärtner gespendet, war nach vierundzwanzig Stunden in den hungrigen Magen geborgen; ein Pfund Mehlwürmer hielt kaum eine Woche an, obgleich mit diesem theuren Futter nach Möglichkeit gespart und Alles gethan wurde, um Fliegen herbeizulocken. Unsere Thüringer Bauerstuben kamen mir Tag und Nacht nicht aus den Gedanken, weniger ihrer Besitzer als der Fliegen halber, welche in ihnen während des Sommers die unbestrittene Herrschaft führen und metzenweise gefangen werden. Doch auch die scheinbar Unersättlichen hatten allgemach des Guten genug gethan und nahmen zuletzt ein bescheideneres Wesen und damit eine geregelte Lebensweise an.

Die eine Beobachtung, daß selbst Chamäleons vom Durste geplagt werden und über demselben sogar das Fressen, wenn auch nicht vergessen, so doch verschieben, klärte mich vollständig auf über den bis dahin mir räthselhaften Verbreitungskreis unserer Thiere. Früher hatte ich nicht begreifen können, warum man sie blos an der südlichsten Küste Europa’s, im Süden Andalusiens, und an den Küsten Afrika’s findet, weshalb sie häufig vorkommen in der Wüste bei Alexandrien, aber fehlen in den Wüsten zu beiden Seiten des Nilthals, obgleich hier und dort die Pflanzenwelt annähernd dieselbe, insbesondere eine Art von Thymian, ihr entschiedenes Lieblingsgewächs, hier wie dort gedeiht. Aber nicht an gewisse Pflanzen sind sie gebunden, sondern an Gegenden, in denen es zeitweise regnet oder doch allnächtlich so stark thaut, daß sie die lechzende Zunge wenigstens einmal täglich erfrischen können.

Da, wo sie vorkommen, sind sie nicht selten, fallen jedoch keineswegs so leicht in’s Auge, als man wähnen möchte. Die Uebereinstimmung ihrer Färbung mit dem Blattgrün ihres Wohnstrauches ist ihr bester Schutz und ihr geringer Verstand doch immer erheblich genug, um zu wissen, daß solcher Schutz durch Bewegungslosigkeit noch wesentlich verstärkt wird. „Ein gesehenes Chamäleon ist ein verlorenes Chamäleon“; denn zu einer Abwehr feindlicher Angriffe hat unser Kriechthier keine Waffe. Wohl sperrt es angesichts des sich ihm nahenden Menschen, von dem es sich entdeckt sieht, das Maul auf, giebt sich ein grimmiges Ansehen und versucht selbst zu beißen: aber was hilft das Alles einem hungrigen Raubvogel, einem unternehmenden Raben, Nashornvogel oder Storch gegenüber? Verwundet doch der schwachzähnige Kiefer nicht einmal die zarte Haut des Menschen, geschweige denn die beschilderte Klaue des Raubvogels oder den hornfesten Schnabel der anderen genannten Feinde! Wenn man weiß, wie scharf das Vogelauge sieht, wundert man sich billig, daß noch so viele Chamäleons diesem und einem Grabe im Magen des betreffenden Ausspähers entgehen können. Allerdings gleicht die starke Vermehrung viele Verluste wieder aus: ich habe in einzelnen Weibchen einige zwanzig, in anderen über dreißig entwickelte, legreife Eier gefunden und glaube, daß das Wachsthum der überraschenden Verdauungsfähigkeit dieser Thiere entsprechen wird.

[135] Ungestört, treibt es das Chamäleon im Freien genau eben so wie in Gefangenschaft. Es bewegt sich sehr wenig, ohne Noth kaum oder nicht. Vermittels seiner Klammerfüße und des Wickelschwanzes an einem oder mehreren Zweigen festgeheftet, erwartet es Beute, mit einer Beharrlichkeit und Ausdauer, mit einer Anstandsruhe und Unbeweglichkeit, welche sich jeder Sonntagsjäger zum Muster nehmen kann. Wie ein in Erz gegossenes Bildniß verharrt es, ohne sich zu regen, stundenlang auf einer und derselben Stelle; aber ununterbrochen drehen und wenden sich die großen, bis auf den sehr kleinen Stern mit harten Lidern gedeckten Augen nach allen Seiten, um eine Beute auszukundschaften. Das eine schaut nach vorn und unten, das andere nach hinten und oben; dieses dreht sich rechts, jenes links; beide durchforschen jetzt gemeinschaftlich ein und dasselbe Gesichtsfeld, während im nächsten Augenblicke jedes einzelne wiederum unabhängig von dem anderen seine Bahnen beschreibt. Eine kleine Heuschrecke schwirrt, eine Fliege summt daher und läßt sich auf einem Zweige in der Nähe nieder. Das rollende Auge nimmt sie wahr, das andere vergewissert das Hirn dieser Thatsache. Unbeweglich starren beide nach dem Gegenstande. Er ist nah genug, nicht über fünf Zoll von der Spitze der Schnauze entfernt, könnte aber eben so gut auch sechs bis sieben Zoll weit sitzen, der Zungenpfeil des überaus geschickten Schützen würde ihn doch erreichen. Jetzt öffnet dieser langsam und bedächtig das Maul, so weit, als eben nöthig, die dickkolbige Zungenspitze wird zwischen den Lippen sichtbar, – und heraus schnellt das wunderbare Werkzeug mit einer fast unfehlbaren Sicherheit, buchstäblich pfeilschnell, und ist im nächsten Augenblicke mit der angeleimten Beute wieder in das Maul zurückgezogen worden. Ist der Anstand ergiebig, so wechselt das Chamäleon seinen Standort nicht um eines Haares Breite; fiel die Jagd in der letztvergangenen Zeit ungenügend aus, so versucht es wohl auch, ein Wild zu beschleichen. Letzteres thut es unter allen Umständen, wenn es sich um Hochwild handelt, um eine Raupe z. B., eine Käferlarve und dergleichen, weil es erfahrungsmäßig weiß, daß solches Gethier nicht, wie die Fliege, die Heuschrecke, der Schmetterling, planlos umherschweift, sondern seines einmal unternommenen Weges stetig fortgeht, also verfolgt werden muß. Hierbei entfaltet der raubsüchtige Schütz eine überraschende Behendigkeit, und alle Künste des Kletterns, alle Fähigkeiten der einzelnen Glieder kommen zur Geltung. Nicht allein die Zangenfüße werden unter solchen Umständen beansprucht, sondern auch der Wickelschwanz muß ausgiebige Dienste leisten: gar nicht selten hängt an ihm das Chamäleon sich schwebend auf und dehnt und reckt sich, so lang es kann, um noch einen nach der Tiefe gerichteten Treffer zu gewinnen.

Wahrhaft belustigend wird solche Jagd, wenn sie, in Zeiten des Mangels, nach Anstandswild unternommen wird. Eine langsam dahinkriechende Raupe wird bald eingeholt, eine unruhige Fliege nicht immer so leicht berückt. Da sitzt sie, behaglich sich sonnend, mit einem Vorderbeine sich putzend, außer aller Schußweite auf einem Blatte oder Zweige, ohne sich zu bewegen, ohne Miene zu machen, den Standort zu verändern. Lange Zeit haftet das eine Auge des verderbensinnenden Feindes auf ihr, als könne dieser der Hoffnung nicht entsagen, sie doch noch, ohne Aufwand besonderer Anstrengung, zu erreichen. Sie aber rührt sich nicht von der Stelle und hält vielleicht aus, wenn versucht wird, sie zu beschleichen. Bedächtig setzt der Jäger einen Fuß um den anderen wechselständig vor; langsam rückt er weiter, Zoll um Zoll; scharf heften sich seine Augen auf das ersehnte Ziel; schon öffnen sich die Kiefer – da summt die Fliege davon und das Chamäleon hat das Nachsehen. Ein anderer Räuber würde wahrscheinlich ablassen von aller Verfolgung: unser Thier aber besitzt nicht blos Beharrlichkeit, sondern auch grenzenlose Geduld und läßt es sich nicht verdrießen, wiederholt demselben Wilde nachzugehen, so schwierig, so entmuthigend es auch sein mag, es wiederum aufzufinden, sich ihm wiederum zu nähern und, wiederum betrogen, den Waidgang von Neuem anzutreten.

Wie das Chamäleon eigentlich verfährt, um sich einer Beute zu versichern, habe ich noch immer nicht mit Gewißheit erkunden können. Es sieht aus, als leime es dieselbe an den Zungenkolben an; es will aber auch wiederum scheinen, als ob es diesen wie eine Greifzange zu verwenden wisse. So viel habe ich bestimmt wahrgenommen, daß ein getroffenes Kerbthier fast ausnahmslos verloren ist. Nach den mit Mehlwürmern angefüllten Freßnäpfchen eröffneten unsere gefangenen Chamäleons ein wahres Kreuzfeuer von Schüssen, und niemals zog sich eine Zunge ohne Beute zurück, ja, sehr oft hingen zwei oder drei Mehlwürmer an dem Zungenkolben, ohne daß einer von ihnen beim Einziehen desselben abgestreift worden wäre. Die Sicherheit der Schnellschüsse erregte stets unsere Bewunderung, so gewohnt uns diese Treffgeschicklichkeit der Schützen schließlich auch werden mußte.

Verträgliches Zusammenleben ist unter Kriechthieren die Regel und erklärt sich naturgemäß aus der geringen geistigen Begabung der Mitglieder dieser Classe. Unter mehreren Chamäleons aber giebt es oft genug Uneinigkeit, Streit und Kampf. Ein bequemer Sitzplatz in Schußnähe des Freßnäpfchens kann den Neid eines minder Bevorzugten erregen und zu drohenden Fratzen und wirklichen Angriffen Veranlassung geben; viel ernster jedoch gestaltet sich die Sache, wenn das Gefühl, welches wir Liebe nennen, sich geltend macht. Während der Paarungszeit beißen sich die Männchen, vielleicht auch die Weibchen, ganz wüthend, ohne sich jedoch gegenseitig erheblich zu schädigen.

Bei solchen Streitigkeiten, wie bei jeder Erregung überhaupt, wird der vielbesprochene Farbenwechsel am deutlichsten ersichtlich, weil er schneller vor sich geht als sonst. Von ihm macht man sich gemeiniglich eine falsche Vorstellung, indem man glaubt, daß er ohne eigentliche Veranlassung stattfinde. Dies ist nicht der Fall. Der Wechsel geschieht unverkennbar in Folge eines Nervenreizes, gleichviel, ob dieser von äußeren Einflüssen oder innerer Erregung herrührt. Ueber Färbung und Zeichnung eines sich wohlbefindenden Chamäleons läßt sich im Allgemeinen nur soviel sagen, daß der grüne Grund mit helleren oder dunkleren Längsstreifen und regellosen Flecken von sehr verschiedener Färbung geziert ist und daß diese bald deutlicher, bald undeutlicher hervortreten. Dieses Kleid geht oft allmählich in ein düstergraues über, anscheinend dann, wenn das Thier geistig unthätig ist oder schläft, während es bei besonderer Erregung nach und nach lebhafter wird und allgemach die verschiedensten Schattirungen durchlaufen kann. Jenes grauliche Gelb oder Lederfarb, welches ich bei den verschmachteten Chamäleons beobachtete, deutet stets auf Unbehagen oder Krankheit des Thieres, während sehr lichte Färbung sich wiederum gerade bei der höchsten Erregung, gelegentlich der Paarung, bemerklich macht. Licht und Dunkel, Wärme und Kälte äußern einen entschiedenen Einfluß auf den Wechsel, weil sie das Behagen oder Unbehagen des Thieres hervorrufen. Uebrigens ändert sich die Färbung unter gleichen Umständen keineswegs bei allen Stücken in derselben Weise, so daß man also von einer Regel nicht sprechen darf, eine solche mindestens noch nicht hat feststellen können. Ein vom Kinn längs der Bauchseite verlaufender lichter Streifen und die Innenseite der Beine behalten ihre Färbung unter allen Umständen bei.

In Andalusien hält man Chamäleons als Hausthiere behufs Vertilgung der lästigen Fliegen. So leicht die Thiere dort, in dem heimathlichen Klima, die Freiheit verschmerzen, so schwierig ist es, sie bei uns zu Lande vor den verderblichen Einflüssen des Winters zu schützen. Abgesehen von der Nothwendigkeit, ihnen die erste Bedingung zum Wohlsein, eine gleichmäßige Wärme von mindestens achtzehn Graden, zu gewähren, hat man seine liebe Noth, ihnen zusagendes Futter zu verschaffen. Mehlwürmer sind und bleiben immer nur ein Nothbehelf: ihr Verlangen richtet sich auf fliegende Kerbthiere, unter denen sie Fliegen aller Arten den Vorzug geben.

Der Anfang der späteren Herbsttage ist der Beginn ihres Mißbehagens. Sie hören auf zu fressen, welken und sterben dahin. Dazu kommt, daß viele der gesundesten und kräftigsten Weibchen über dem Eierlegen zu Grunde gehen – ein Beweis, daß ihnen auch sorgsame Pflege die Freiheit mit allen ihren Freuden nicht ersetzen kann. Am besten halten sie sich in Gewächshäusern, deren gleichmäßige feuchte Wärme ihnen selbst eine längere Fastenzeit überstehen hilft; im Zimmer dagegen bringt man sie nur in seltenen Ausnahmefällen durch den bösen Winter. Auch wir haben fast alle verloren und dürfen erst nach Beendigung der für sie bestimmten, auf behagliches Leben der Kriechthiere überhaupt berechneten Wohnräume erwarten, sie vor den Unbilden unseres Winters genügend zu schützen.