Das Fürstenasyl und Künstlerheim am Traunsee

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Autor: Eduard Mautner
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Titel: Das Fürstenasyl und Künstlerheim am Traunsee
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 218–222
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Kurzbeschreibung: Gmunden
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Das Fürstenasyl und Künstlerheim am Traunsee.


Und ich schau’ des Sees Spiegel.
Seiner Wogen grünen Schwall,
Seine tannendunklen Hügel,
Seiner Alpen Mauerwall:
Hochlandschneeluft weht hernieder
Kühlend auf der Seele Gluth,
Und, gleich Möven, kreisen Lieder
Neu beschwingt hier um die Fluth.

Victor Scheffel („Frau Aventiure“).

Als mir die freundliche Einladung der „Gartenlaube“ zukam, den Text zu dem Bilde des lieblichen Seestädtchens zu liefern, welches diese Blätter heute seinen Lesern bieten, war ich anfangs in Zweifel, ob meine Feder zu dieser Aufgabe die berufene sei. Nicht als ob ich mit dem Gegenstande mich zu wenig vertraut fühlte; im Gegentheile kann ich ohne Unbescheidenheit behaupten, daß ich in dieser Beziehung wohl die erforderliche Eignung besitze. Ist doch seit einer langen Reihe von Jahren das herrliche Gmunden jeden Sommer das buen retiro, in dem ich Wochen und Monate hindurch Erholung und Stärkung suche und finde, dessen Natur und Gesellschaft ich, um einen landläufigen Ausdruck zu gebrauchen, wie meine Tasche kenne. Meine Zweifel bezogen sich auf meine Unbefangenheit. Gmunden hat nämlich die Eigenthümlichkeit, daß sein Zauber, je länger und genauer man es kennt, um so bestrickender und gewaltiger wirkt, und ich fühle mich von dem Banne dieses Zaubers so unlösbar umsponnen und in demselben gefangen, daß ich meine vollständige Objectivität nicht verbürgen möchte.

Aber meine Bedenken wurden durch die Erwägung beschwichtigt, daß es überhaupt eine vollständige Objectivität nicht giebt und daß – ob bewußt oder unbewußt – das subjective Urtheil sich immer und überall geltend macht. Und so möge denn das schwache Werkzeug des Wortes versuchen, mit der anschaulichen Leistung des Griffels Schritt zu halten.

Man wird mir gewiß gern die topographischen und ethnographischen Daten erlassen, die in jedem Reisehandbuche zu finden sind.

Wenn man sich dem Orte Lambach nähert, so erblickt man bei gutem Wetter bereits das Wahrzeichen von Gmunden, den schroffen kahlen Felsengrat des Traunsteins, der, sich scharf vom Horizonte abzeichnend, die Gegend beherrscht. Bis zur Eröffnung der Salzkammergutbahn im vorigen Herbste verließ man hier die Hauptstrecke der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn, um sich auf einer Zweigbahn, die ursprünglich ein Tramway war, später aber mit Miniaturlocomotiven, welche der Volkswitz spöttisch Kaffeemaschinen taufte, befahren wurde, nach Gmunden zu begeben. Ungefähr anderthalb Stunden lang fährt man durch fruchtbares wellenförmiges Land. Saatfelder wechseln mit Hopfengärten und dunklen Nadelwäldern ab; bei netten freundlichen Dörfern stehen die zierlichen im schweizer Stile gebauten hölzernen Stationshäuser. Mitten im Tannenwalde hält der Zug bei einem der selben – wir sind in der Station Traunfall, und zahlreiche Touristen, die von Gmunden aus den weitberühmten pittoresken Traunfall auf der Traun mittelst des Salzschiffes besucht haben und jetzt mittelst Eisenbahn zurückkehren, besteigen den Train. Bald nachdem der Zug den Wald verlassen hat, beginnt sich die Bahn mehr und mehr zu senken; das Gefälle wird stärker; die Bremsen arbeiten. Das Wahrzeichen der Gegend, der Traunstein, rückt näher und näher heran, und jetzt – da – hinter der Station Engelhofen blitzt es auf wie ein blaues feuriges Auge – das ist der Traunsee, „das steirische Meer“, wie ihn Heinrich von Ofterdingen in Meister Scheffel’s „Frau Aventiure“ geographisch und politisch wohl nicht ganz correct nennt.

Weiter und weiter rollt der Zug abwärts; das blaue, feurige Auge schlägt sich immer größer und voller auf. Im Halbkreise aber um den See gelagert hält den Blick das freundliche ansehnliche Städtchen Gmunden gefangen, eingerahmt links von dem bewaldeten Grünberge, dessen äußerste Spitze das „Hochgschirr“ heißt und dem sich die schroff aus dem See aufsteigenden, grauen, zerklüfteten Wände des Traunsteins anschließen, während rechts blühendes villen- und schlösserbedecktes Wald- und Hügelland sich ausbreitet, das sich mit den reizend gelegenen Orten Ebenzweier und Altmünster bis an das in blauem Dufte verschwimmende romantisch gelegene Dörfchen Traunkirchen erstreckt, und von dem, wie ein vorgeschobener Posten, das Seeschloß der kleinen Insel Ort, die mit dem Festlande durch eine Holzbrücke verbunden ist, in den See hinein vorspringt. Auf dem See ist es lebendig; die Schlote der Dampfer senden pustend und qualmend dicke Rauchsäulen zum wolkenlosen Sommerhimmel empor; ferne Segelboote ziehen majestätisch wie weißgefiederte Schwäne einher; rasche buntbewimpelte Barken, kleine Seefahrzeuge, in denen nur ein Mensch in liegender Stellung Platz hat, werden mit Doppelrudern von starken Armen getrieben und schwere Holzflöße und Salzschiffe schießen blitzschnell unter der Traunbrücke über die Wehre hinab.

Wenn man durch die Traunvorstadt über die erwähnte Brücke, unter welcher der grüne wilde Fluß schäumend und brausend über die Wehre tobt, in das Städtchen einfährt, so gelangt man zunächst durch ein alterthümliches Thor und durch die ziemlich enge Traungasse auf den stattlichen Platz, der im Hintergrunde durch das alte große und gut renommirte „Hôtel zum goldenen Schiff“, das gewöhnliche Absteigequartier des deutschen Kaisers auf seiner Durchreise durch Gmunden, abgeschlossen wird. Rechts bildet das ehemalige Salinengebäude, das jetzt als Rathhaus verwendet wird, links das Kaffeehaus nächst dem Landungsplatze der Dampfschiffe die Seitencoulisse. Den Vordergrund nimmt der See ein, den man von hier aus in seinem offenen Theile bis Traunkirchen, wo er zu einem Kesselsee wird, vollkommen überblickt. Vom Marktplatze führt der Weg an dem netten neugebauten Theater, in welchem

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Gmunden am Traunsee.
Gezeichnet von Adolf Neumann.

[220] in den Sommermonaten eine ganz erträgliche Gesellschaft Possen- und Operettenvorstellungen giebt, der massiv und geschmackvoll gebauten Sparcasse, dem neuerrichteten grandiosen Actienhôtel „Austria“, dem Casino mit seinen Lese-, Spiel-, Billard-, Speise-, Tanz- und Musiksalons und der in den See vorspringenden breiten Terrasse vorbei auf die Esplanade, eine lange zum Theil künstlich dem See abgerungene Allee; sie wird rechts von einer Häuserreihe, aus der die zierliche Miniaturvilla Meister Karl Laroche’s und das imposante „Hôtel Bellevue“ hervorzuheben sind, begrenzt, während sie links der See mit seinen zahlreichen Landungsplätzen und Treppen abschließt. Die Esplanade ist so recht eigentlich der Mittelpunkt des Gmundener Sommerlebens, da sie der einzige Ort in dem etwas sonnigen Städtchen ist, an dem zu jeder Tageszeit erquickender kühler Schatten zu finden, dessen Annehmlichkeit noch durch die Seeluft, die rauschend durch die Kronen der Bäume zieht, erhöht wird. Die der Sonne ziemlich ausgesetzte Lage des Ortes ist wohl der einzige wirkliche Uebelstand Gmundens. Auf der Esplanade, auf der sich eine Conditorei, eine Sodahütte und der Musikpavillon befinden, in dem während der Saison täglich Mittags und Abends das ziemlich gut geschulte Curorchester spielt, ist man sicher seine Bekannten zu treffen.

Dort steigt eine elegante Gesellschaft in eines der raschen und sicheren Kielboote, um nach einem der reizenden Punkte am rechten See-Ufer, an dem zahlreiche gut besuchte Caféwirthschaften sich angesiedelt haben, zu steuern. Eine Cavalcade sprengt vorüber: mehrere Herren und Damen auf anmuthigen Rennern, rothbefrackte Reitknechte mit weißgepuderten Perrücken im Gefolge. Allen voran reitet eine schlanke jugendliche Mädchengestalt in enganliegender dunkler Amazone, mit wehendem blauem Schleier auf dem runden Filzhütchen; es ist die reizende Prinzessin Mary von Hannover, welche ihrer Mutter, der Königin, in Gmunden Gesellschaft leistet, während Prinzessin Friederike ihren leidenden Vater in ein französisches Seebad begleitet hat. Ein schlanker junger Mann, der zu Fuß die Esplanade entlang schreitet, grüßt die Prinzessin mit ehrerbietiger, aber doch vertrauter Höflichkeit; er ist gleichfalls ein Depossedirter, der junge Prinz von Hanau, der Sohn des verstorbenen Kurfürsten von Hessen. Jetzt hält eine vornehme Equipage, ebenfalls mit rothberocktem und weißgepudertem Kutscher und gleichbekleidetem Diener; die Königin von Hannover, eine trotz des ergrauten Haares noch immer schöne Dame, steigt von einem Hoffräulein begleitet aus, um zu promeniren. Bei einem alten, aber noch kräftig und elastisch einherschreitenden und sorgfältig gekleideten Manne mit einem olympischen Goethe-Kopfe bleibt sie zu längerem freundlichem Gespräche stehen. Wir sehen Karl Laroche vor uns, den Altmeister des deutschen Schauspiels, den unübertroffenen Charakterdarsteller mit dem zündenden Humor um die Lippen, der ewigen Jugend im Auge. Nur wenige Schritte setzt die Königin, nachdem sie Laroche verabschiedet, ihren Weg fort, um wieder stehen zu bleiben, diesmal bei einem Ehepaare, einem jungen schlanken Manne und einer Dame von kaum mittlerer Größe, aber zierlichem Wuchse und einem unendlich belebten ausdrucksvollen Gesicht. Es ist Graf Prokesch-Osten, der Sohn des verstorbenen österreichischen Internuntius in Constantinopel; seine Gemahlin ist keine Geringere als Friederike Goßmann, einst die gefeiertste Naive der deutschen Bühne, die erste Interpretin der Sand-Bitch-Pfeiffer’schen Grille. Graf und Gräfin Prokesch-Osten zählen zu den Hausfreunden der königlich hannöverischen Familie, die den größten Theil des Jahres in einer dominirend auf einem Hügel gelegenen Villa Hof hält.

Ein reger Kunstsinn verschönt und lindert den Entthronten die schweren Tage des Exils. Der König wie die Königin beschäftigen sich mit Vorliebe mit Musik und Literatur. Kein Künstler oder Schriftsteller von einiger Bedeutung hält sich in Gmunden auf, der nicht zu dem hannöverischen Hofe in nähere oder fernere Beziehung träte. Häufig finden in der hannöverischen Villa musikalische oder literarische Abende statt, an denen zuweilen die Prinzessinnen, die sehr musikalisch sind, thätig Theil nehmen. Componisten haben hier ihre noch nicht veröffentlichten Compositionen vorgetragen, Dichter ihre noch im Manuscripte befindlichen Werke vorgelesen. Bei keinem Concert im Casino, bei keiner Wohlthätigkeitsvorstellung im Theater wird man die königliche Familie in der vordersten Sitzreihe oder in einer ersten Rangloge vermissen. Den Prinzen kann man oft im Lodenrock und gemsledernen Kniehosen, den grünen gemsbartgeschmückten Sturmhut auf dem Haupte und den Bergstock in der Hand, von einer Alpenpartie oder einem Jagdausfluge zurückkehrend, über die Esplanade schreiten sehen. Die öffentlichen und die Wohlthätigkeit-Bestrebungen des Städtchens finden bei den hannöverischen Gästen bereitwillige und reiche Unterstützung; so ist die Errichtung der neuen protestantischen Kirche dem werkthätigen Eingreifen der hannöverischen Königsfamilie hauptsächlich zu danken.

Wir setzen unseren Weg über die Esplanade fort und begrüßen auf dem Wege einige Bekannte, die ungarisch-deutsche Schauspielerin Lilla von Buljofsky, die am Ufer des Sees eine behagliche Villa besitzt, in der sie jeden Sommer von ihrer winterlichen Gastspielcampagne ausruht, Karl Goldmark, den Componisten der „Königin von Saba“, der in dem oberen ruhigeren Theile der Stadt an seiner neuen Oper arbeitet, den Dichter der „Sulamith“, F. Kaim – wenn ich nicht irre, ein geborenes Gmundener Kind – den Maler der Potentaten Angeli, den Capellmeister Proch, den Violinisten Josef Hellmesberger, den Schauspieler Adolf Sonnenthal … „Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?“ Gmunden übte von jeher eine merkwürdige Anziehungskraft auf das phantasievolle Künstlervolk aus. Abgesehen von der zauberhaften Lage, die nur mit der Luzerner verglichen werden kann, wie denn der Gmundener See unbestreitbar die meiste Aehnlichkeit mit dem Vierwaldstätter See besitzt, ist es wohl die Zwanglosigkeit des Lebens, was die Künstlerkreise an Gmunden fesselt. Bei aller geistig und social vornehmen Geselligkeit hat sich das Gmundener Leben gegen steifen Etiquettezwang anderer Badeorte und Sommerfrischen zu schützen gewußt. Man speist selbst bei dem Könige von Hannover im einfachen schwarzen Rocke. Der Frack und Cylinder sind in Gmunden seltene und belächelte Erscheinungen.

Nächst der Künstlerwelt stellen die Hof- und aristokratischen Kreise ein starkes Contingent zu den regelmäßigen Gästen Gmundens. Außer der hannöverischen Königsfamilie haben die Erzherzogin Elisabeth, die Wittwe des Erzherzogs Karl Ferdinand, mit ihrer Familie, der Großherzog und die Großherzogin von Toscana, der Herzog Philipp von Württemberg und seine Gemahlin, eine Tochter des Erzherzogs Albrecht, der frühere Minister Graf Belcredi, und viele andere Mitglieder der österreichischen Aristokratie hier ihre Villen, und manche dieser Familien verleben hier auch die Wintermonate. Die Villa der Erzherzogin Elisabeth ist im Schweizerstile gebaut, mit schönen sich gegen den See von einem Hügel herabziehenden Gartenanlagen. Die großherzogliche Familie von Toscana besitzt eine schöne Villa im italienischen Stile und ein neugebautes Jagdhaus in der Nähe von Traunkirchen, denn der Großherzog ist ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn. Herzog Philipp von Württemberg hat sich ein Schloß im schottischen Castlestile aus einem Hügel zwischen Ort und Altmünster erbaut, dessen rothe Backsteinzinnen aus dem üppigen Grün hervorleuchten und dessen innere Einrichtung durch Wunder von Reichthum und Geschmack überrascht. Die Folge dieser hocharistokratischen Ansiedelungen ist ein reger Verkehr mit Ischl, der Sommer-Villeggiatur des österreichischen Kaiserhofes. Die grünen, offenen Hofwagen mit den goldenen Wappen bringen fast täglich Mitglieder des Ischler Hofes zum Besuche nach Gmunden, und oft sieht man auf den Dampfern die kaiserliche Flagge aufgezogen, als Zeichen, daß der Kaiser oder die Kaiserin über den See fährt. Sind doch die den See einschließenden Berge das Jagdrevier des kaiserlichen Waidmannes. Auf den Höhen des Höllengebirges verfolgt der Kaiser, ein ebenso unermüdlicher und kühner Bergsteiger wie trefflicher Schütze, die flüchtige Gemse oder den mächtigen Gebirgshirsch, und oft bringt er mit dem Kronprinzen und einem kleinen Gefolge Tage in einem der kleinen, aber bequem eingerichteten Jagdhäuser auf dem Kranabittsattel oder nächst dem nahen Langbath- oder Offensee zu. Wir können die Esplanade, von der wir allerdings etwas weit abgeschweift sind, nicht verlassen, ohne der Schwimmschule zu gedenken, die das wichtigste Etablissement Gmundens ist.

Gmunden, obwohl seit 1859 zum Curorte erklärt und als solcher Cur- und Musiktaxen einhebend, hat kein eigentliches specifisches Mineralwasser. Man gebraucht Salz- und Fichtennadelbäder oder die Kaltwassercur, das eigentliche Heilelement [221] Gmundens ist aber die frische, nervenstärkende Gebirgsluft und der herrliche See mit seinem krystallklaren Wasser, das selten eine Temperatur von sechszehn bis siebenzehn Grad Réaumur überschreitet. Die Schwimmschule in Gmunden ist nun allerdings in einem etwas primitiven Zustande, und in dieser Beziehung sollte die Commune oder die Curcommission auf die Sommergäste mehr Rücksicht nehmen. Die Zahl der Cabinen, die mit etwas zu spartanischer Einfachheit eingerichtet sind, ist eine ganz ungenügende, zumal in den Mittagsstunden, in denen der Zudrang zum Bade der größte ist. Auch ist die Schwimmschule zu nahe am Ufer gelegen, gerade gegenüber dem Hôtel Bellevue, dessen Küchenabfälle sich in dem Bassin oft unangenehm genug bemerkbar machen, da die Abzugscanäle in den See münden. Man wird die hoffentlich bald erstehende neue Schwimmschule wohl weiter in den See rücken und durch eine Fähre oder Brücke mit dem Ufer verbinden müssen. Geübte Schwimmer und Schwimmerinnen vermeiden jetzt allerdings diese Uebelstände, indem sie aus dem umfriedeten Raum in den weiten, offenen See hinausschwimmen, und Schwimmtouren nach dem Seeschlosse Ort und zurück, ja selbst über die ganze Breite des Sees bis zum Grünberg gehören nicht zu den Seltenheiten, und an schönen Sommermittagen kann man von der Esplanade aus weit, weit draußen zahlreiche dunkle Punkte erblicken, die nichts anderes sind, als die meist durch breitkrämpige Strohhüte gegen die Sonnenstrahlen geschützten Köpfe von kühnen Schwimmern und Schwimmerinnen. Es giebt aber in der That auch nichts Herrlicheres, Genußreicheres und Erquickenderes, als so hinauszutreiben in das blaue endlose Element, sich wiegen zu lassen von den von leichtem Winde bewegten Wellen des Sees und mit allen Sinnen den Schönheitszauber in sich aufzunehmen, der aus Wasser, Luft und Erde fast überwältigend auf uns eindringt. Der Traunstein spiegelt seinen mächtigen Felsenfuß in dem krystallklaren Wasser, und das ferne Traunkirchen scheint in der hellen täuschenden Sonnenbeleuchtung so nahe, so erreichbar. Rechts erinnert das Seeschloß Ort an Chillon am Genfer See, das Byron’s Genius unsterblich gemacht hat. Und doch giebt es noch etwas Herrlicheres, und das ist eine Bootfahrt oder eine Schwimmtour in einer Mondnacht. Dann wird der Mittagszauber zum berauschenden Nachtmärchen, wenn bei jedem Ruderschlage oder jedem Tempo silberne Funken aus der dunklen Fluth aufblitzen und die Ferne geisterhaft in Duft und Dämmerung verschwimmt. Eine Mondnacht am Gmundener See, oder noch besser auf dem See gehört zu den poetischsten Erlebnissen und läßt eine unvergängliche Erinnerung zurück.

Hinter dem neuen Theile des Städtchens mit der Esplanade, der Schwimmschule, dem Casino, den Hôtels und den Dampfschiffslandungsplatze erhebt sich, hügelförmig aufsteigend, der ältere Theil, ein Gewirr von ziemlich engen, alterthümlich gebauten Gäßchen, das einen größeren Platz einschließt. Dieser Theil der Stadt, in dem sich die Pfarrkirche befindet, die einen von Schwanthaler 1656 geschnitzten Hochaltar besitzt, erstreckt sich bis zur sogenannten Wunderburg, einer Schloßruine aus dem 13. Jahrhundert, die in einen freundlichen Landsitz mit schönem Parke umgestaltet wurde. Gmunden, an dem Ausflusse der Traun aus dem See gelegen, zählt zwischen sechs- bis siebentausend Einwohner und besteht aus der eigentlichen Stadt und acht Vorstädten. Man behauptet, die römische Colonie Laciacum habe einst die Stätte des heutigen Gmundens eingenommen; in Documenten aus dem 13. Jahrhundert findet man die Stadt unter dem Namen Gamunda angeführt. Was die Geschichte betrifft, so war Gmunden schon im Jahre 1186 zur Salzniederlage bestimmt, kam als Salzstapelplatz zu Blüthe und Reichthum und hatte im Mittelalter durch die Bauernaufstände viel zu leiden. Nebst der Fremden-Industrie ist der Salztransport (die Soole wird von Ebensee hierher geleitet) die Haupterwerbsquelle der Gmundner. Das gewerbfleißige Städtchen, in dem alljährlich ein besuchter Jahrmarkt abgehalten wird, erzeugt aber auch hübsche Holzschnitzereien, Tischler- und Lederarbeiten und Töpfereiwaaren, von letzteren besonders gelungene Nachahmungen alter Majoliken. Auch betreibt es einen nicht ganz unerheblichen Handel mit Holz, Vieh und Getreide.

Der Fremdenzufluß ist in den Monaten Juli und August am lebhaftesten. Bis jetzt nahm der Verkehr nach Ischl seinen Weg über Gmunden, und obwohl eine herrliche, zum Theil dem Felsen abgerungene Chaussee mit Tunnels, Wetterdächern und berauschenden Fernblicken längs des Sees von Gmunden nach Ebensee führt, so bedienten sich die Reisenden doch zumeist der in der Saison täglich mehrmals im Anschlusse an die Eisenbahnzüge verkehrenden Dampfschiffe, um die Strecke Gmunden-Ebensee zurückzulegen. Das wird sich nun allerdings mit der Eröffnung der direct nach Ischl führenden Salzkammergutbahn wahrscheinlich ändern, und wohl kaum zum Vortheile Gmundens. Der Bahnhof Gmunden der Salzkammergutbahn befindet sich weit draußen bei Pinsdorf; man wird den reizenden Ort nicht mehr unmittelbar berühren, und so Mancher, der vielleicht, durch den Zauber der Natur und die anheimelnde Gemüthlichkeit des Städtchens gefesselt, hier Tage und Wochen verweilt hätte, wird nun achtlos dem großstädtischeren Ischl zudampfen.

Die Stammgäste Gmundens aber, die Künstler und Jagdlustigen, werden den Ufern des reizenden Traunsees treu bleiben. Sie werden nach wie vor die blauen Wogen des Sees auf allen Arten von Ruder- und Segelbooten durchfurchen, die Bergriesen, die ihn umsäumen, erklettern, den flüchtigen Gemsen auf den Gebirgsschroffen nachstellen oder die flinken rothgesprenkelten Forellen der grünen Traun an den Angelhaken locken. Und wenn der Traunstein seine Nebelkappe über die Ohren zieht, daß von dem Portraitkopfe Ludwig’s des Sechszehnten, den phantasievolle Reisende in seinem Profil erkennen wollen, nichts zu sehen ist, wenn die „schlafende Griechin“ nebenan sich in schwarze Wolkenschleier gehüllt und der Sturm mit Blitz und Donner aus der Viechtau sein wildes Lied singt, dann flüchtet man vor dem Zorne der Elemente in die heimlichen Räume des Casinos, um bei einem Glase Wein und einer Zeitung oder bei einer Whistpartie besseres Wetter abzuwarten. Wehe aber dem Unglücklichen, den das böse Wetter auf dem See überrascht!

Mit dem Traunsee ist durchaus nicht zu spaßen. So freundlich und zutraulich er bei Sonnenschein sich präsentirt, so furchtbar kann er plötzlich, fast ohne allen Uebergang, werden. Dann rast er und „will sein Opfer haben“. Unglücksfälle kommen trotzdem nur selten vor, da die Schiffsleute sehr vorsichtig und gewandt sind und aus für Andere kaum merkbaren Zeichen den Umschlag des Wetters erkennen. Nur wenn ein Boot an dem Fuße des in senkrechten, nirgends einen Landungsplatz bietenden Felsmauern in den See abfallenden Traunsteins vom Viechtauer Winde, der es gerade gegen dieselben treibt, überrascht wird, läuft es ernstliche Gefahr. Doch wer denkt daran in klaren Sommerabenden, wenn die Musik auf der Esplanade spielt und der See, so weit man blicken mag, von buntbewimpelten Fahrzeugen bedeckt ist! Die Sonne neigt sich zum Niedergange; der Traunstein beginnt in hellem Purpur aufzuflammen, und die leuchtende Mondsichel steigt langsam über seinem Scheitel empor. Die Musik hat die Esplanade verlassen, um in dem großen Saale des Casinos den Tanzlustigen aufzuspielen. Und wenn man spät Nachts über die monderhellte Esplanade nach Hause geht, dann begegnet man wohl einer mittelalterlichen Reminiscenz, dem in einen weißen Mantel gehüllten, mit Spieß und Horn ausgerüsteten Nachtwächter und hört sein eintöniges Lied: „Bewahrt das Feuer und das Licht, damit kein Unglück g’schicht!“ Draußen aus dem See aber ist noch eine kleine lustige Gesellschaft in schwankem Kahne und weckt mit fröhlichen Liedern, mit Waldhornklängen und Pistolenschüssen das vielstimmige Echo: das ist ein Abend in Gmunden.

Den geselligen Mittelpunkt der geistig und social hervorragenden Kreise Gmundens bilden, außer der hannöverischen Familie, die Häuser von Karl Laroche und Gräfin Prokesch-Osten (Friederike Goßmann). Das äußerst geschmackvolle Haus Laroche’s ist klein, mit fast schiffscabinenartig beschränkten Räumlichkeiten, aber die schrankenlose Gastfreundschaft des Hausherrn weiß das kleine Haus kautschukartig auszudehnen. Der Spruch: „kleines Haus, große Ruhe“ – hat hier keine Anwendung; es herrscht hier im Gegentheil ein sehr bewegtes Leben und Treiben. Weit eher paßt das Wort aus „Wilhelm Tell“:

„Stauffacher’s Haus verbirgt sich nicht, zu äußerst
Am offnen Heerweg steht’s, ein wirthlich Dach
Für alle Wand’rer, die des Weges fahren.“

Wenn es dunkelt, dann erhellen sich die Fenster des bescheidenen Salons, und Männer- und Frauengestalten schreiten [222] durch den kleinen, zierlich gehaltenen Vorgarten und die Treppe des erhöhten Parterre hinauf. Bauernfeld ist vielleicht von Ischl herübergekommen und liest einem kleinen gewählten Kreise sein neuestes Lustspiel vor; die Goßmann trägt, wenn sie gut gelaunt ist, mit unwiderstehlichem Feuer eine französische Chansonette vor, und Anton Ascher gießt die Lauge seines kaustischen Witzes über Alles und Alle. Laroche nimmt in Gmunden gleichsam die Stelle des Hausherrn ein; er macht die Honneurs des lieblichen Städtchens. Die Fremdenbücher in den Villen Laroche und Prokesch-Osten gleichen dem goldenen Buche der Republik Venedig, nur daß in denselben neben dem Adel der Geburt auch der des Geistes und Talentes seinen Platz gefunden hat.

Die Villa Prokesch-Osten ist geräumiger als die Villa Laroche und liegt außerhalb der Stadt auf dem Wege gegen Ort zu. Von der Seeseite gelangt man durch einen sanft aufsteigenden, wohlgepflegten Garten in dieselbe. Sie birgt seltene Kunstschätze. Der Vater des Besitzers, der verstorbene österreichische Internuntius in Constantinopel, war ein verständnißvoller Sammler von alten Münzen, geschnittenen Steinen und allen Gattungen von Alterthümlichkeiten; er hatte in seiner Stellung und bei seinen zahlreichen Reisen vielfach Gelegenheit, seltene Schätze dieser Art zu erwerben. Ein Theil dieser Schätze, die der Sohn erbte, wird hier pietätvoll aufbewahrt. Uebrigens ist auch Graf Prokesch-Osten junior selbst ein eifriger und glücklicher Sammler, und hat von seinen orientalischen Reisen nicht nur ein selbstgeschossenes Krokodil, das ausgestopft im Vorhause paradirt, sondern auch manches andere werthvolle Stück heimgebracht, das hier in dem türkischen Rauchzimmer oder in den Schränken des Studirzimmers seinen Platz gefunden hat. In diesem türkischen Rauchzimmer, mit seinen weichen, schwellenden Ottomanen, seinen blinkenden Waffen an den Wänden und seinen schweren Portièren aus bunten türkischen und persischen Stoffen, haben viele bedeutende Männer ihr Nargileh und viele schöne und geistreiche Frauen ihre Cigarette geraucht. Friederike Goßmann, die ihr bezauberndes Talent noch immer von Zeit zu Zeit einem wohlthätigen Zwecke zu Gute kommen läßt und die aus solchem Anlasse wiederholt im Gmundener Theater eine ihrer Lieblingsrollen gespielt hat, macht mit Geist und Liebenswürdigkeit die Honneurs ihres schönen Sommerheims und liebt es, den Besuchern das sogenannte Grillenzimmer zu zeigen, wo die Reliquien ihrer Künstlerlaufbahn, und namentlich die Erinnerungen an die Rolle, der sie ihre ersten und berauschendsten Erfolge verdankt, aufbewahrt werden. Da sieht man zwischen zahllosen Kränzen mit Bändern und Inschriften, zwischen Albums, Bildern etc. auch das Costüm, in dem die Künstlerin nicht weniger als hundert Mal die Grille spielte. Leider ist der bedeutende Mittelpunkt dieses Hauses, der alte Graf Prokesch-Osten, der hier so gern und glücklich im Kreise seiner Familie weilte, der sich so innig an seinen erblühenden Enkelkindern freute, im verflossenen Winter hochbetagt aus dem Leben geschieden. Wie interessant wäre es, den Mann, der so lange Oesterreich in Constantinopel vertreten hatte, der den Orient kannte und liebte wie Wenige, der so geistvoll und anregend zu erzählen wußte, über die gegenwärtige politische Lage sprechen zu hören. Vielleicht ist es aber besser für ihn, daß er heimgegangen; die Ereignisse der letzten Monate hätten ihm, der ein Freund der Türken war, das Herz gebrochen.

Der glänzendste Tag der Gmundener Saison ist der 18. August, der Geburtstag des Kaisers. Da leuchtet die menschenwimmelnde Esplanade von farbigen Ballons und Lampions; da ziehen auf dem See Fahrzeuge, deren Umrisse sich in Feuerlinien abzeichnen; da flammen auf allen Höhen die Freudenfeuer; da wird mitten auf dem See ein Feuerwerk abgebrannt, dessen Schlußeffect unter donnernden Kanonenschlägen die ganze Gegend in zauberhaft farbenwechselndes, elektrisches Licht taucht. Nach dem Feuerwerk findet im Casino ein großer Ball statt, zu dem alle Sommerfrischen der Umgegend ihr Contingent an schönen Tänzerinnen und flinken Tänzern stellen.

Indem ich im Begriffe bin zu schließen, bemerke ich erst, wie unvollständig meine Schilderung ausgefallen ist. Ich habe nicht von der herrlichen Umgebung Gmundens gesprochen, nicht von der reizenden Villa Sartori mit den herrlichen Parkanlagen und der Meierei, welche die Liberalität ihres Besitzers dem Besuche des Publicums geöffnet hat, nicht von dem Calvarienberge mit der entzückenden Aussicht, nicht von dem schattigen Spaziergange längs der Traun zur Altmühle, nicht von den weiteren Ausflügen zur Rabenmühle, an den Attersee, an die Langbathseen und den Offensee, nicht von den Bergpartien zum Laudachsee, auf den Kranabittsattel oder den Erlakogel. Inmitten all dieser Herrlichkeit liegt Gmunden mit seinem See, wie ein großer funkelnder Edelstein, gefaßt von kleineren, aber nicht minder werthvollen Steinen. Und so seien denn diese Zeilen, die ich mit Worten Victor Scheffel’s einleitete, mit den Versen desselben Meisters, die er Heinrich von Ofterdingen in der „Frau Aventiure“ über Gmunden in den Mund legt, geschlossen:

„Wie verklärt strahlt mir entgegen
Gottes Welt, wie groß, wie weit!
Steirisch Meer, ich fühl’ den Segen
Deiner keuschen Herrlichkeit;
Was gequält mich und gekränket,
Was des Denkers Folter war,
Tief zum Seegrund sei’s gesenket,
Sei vergessen immerdar!“

Eduard Mautner.