Das Freitagsgebet des Sultans

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Titel: Das Freitagsgebet des Sultans
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 648–651
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das Freitagsgebet des Sultans.

Auf jeder Culturstufe und unter jeder Zone ist es ein und dieselbe Erscheinung, daß die Gekrönten dieser Welt die öffentlichen Acte ihres Cultus mit der ausgesuchtesten Pracht umgeben, im grellsten Widerstreit mit dem schönen Winke: „Und wenn Du beten willst, so gehe in Dein Kämmerlein einsam und schließ die Thür hinter Dir zu etc.“ – Die Geschlechter der Gekrönten beharren auf dieser vereinten Schaustellung ihres irdischen Glanzes und ihrer kirchlichen Frömmigkeit wie auf einem ganz besondern Recht und Vorzug der Krone, ja mit einer Pünktlichkeit, als ob ein geheimnißvoller Glaube an ein geheimes Bündniß der himmlischen und der irdischen Weltregierung darüber walte, als ob eine Garantie der Throne mit ihr verbunden sei. So ist’s im Abendlande, und so zeigt uns dasselbe bunte Religions-Ceremonienbild auch das Morgenland.

Der Koran schreibt den Gläubigen nicht nur vor, an jedem Tage zu den festgesetzten Stunden die üblichen Gebete zu verrichten, sondern gebietet ihnen auch, an jedem Freitage in einem Gotteshause öffentlich zu beten. Diesem Gebote gewissenhaft nachzukommen, lassen sich die Sultane – schon des Beispiels halber – ganz besonders angelegen sein. Die Geschichte erzählt, daß Sultan Mahmud I. auf dem Rückwege von der Moschee nach dem Serail gestorben sei. Goethe’s Mutter antwortete auf eine Einladung, die sie kurz vor ihrem Tode erhielt, sie bedaure recht sehr, nicht kommen zu können, „sie habe zu sterben“. Sultan Mahmud hatte zwar ebenfalls zu sterben, als der Muezzin an jenem Freitag vom Minaret zum Gebete rief; aber er nahm seine letzten Kräfte zusammen, ließ die Todtenblässe seines Gesichtes mit rother Schminke bedecken und sich auf’s Pferd heben.

Was der Sultan die Woche über thut und treibt, erfährt in Constantinopel Niemand; in welche Moschee er aber am Freitag reitet, um öffentlich sein Gebet zu verrichten, und zu welcher Stunde dies geschieht, das weiß jedes Kind. Vielleicht ist die Reihenfolge der Moscheen eine festgesetzte, die sich regelmäßig wiederholt, oder die Kunde wird absichtlich vom Serail aus verbreitet; denn der Sultan, der sonst unerreichbar ist, muß einmal in der Woche ein Lebenszeichen von sich geben und den Glanz seiner Majestät vor den Augen der Muselmänner leuchten lassen. Der Fremde erhält dadurch Gelegenheit, den Beherrscher der Gläubigen von Angesicht zu Angesicht zu schauen, was sonst sehr schwierig ist.

Während unsers Aufenthaltes in Constantinopel – im Juni dieses Jahres – bewohnte der Sultan seinen Kiosk, d. h. sein Landhaus, „an dem süßen Gewässer von Europa“. Mit dieser Benennung wird ein von Bäumen beschattetes Flüßchen bezeichnet, das durch einen von grünen Hügeln eingefaßten Wiesengrund dem salzigen Wasser des „goldenen Horns“ zufließt und zwar so, daß das goldene Horn das Delta des Flüßchens bildet. In nächster Nähe von jenem Kiosk liegt eine Moschee, die „Moschee des süßen Gewässers“. Da wir nun am ersten Freitage unsers Aufenthaltes in Constantinopel von den Lohndienern erfuhren, daß der Sultan „um sechs Uhr türkisch“ in diese Moschee zum Gebet gehen werde, und außerdem wußten, daß die Türkinnen – die bei ihren Ausfahrten niemals von ihren Gebietern begleitet werden – an den Freitagen im Monat Juni das süße Gewässer von Europa zu Tausenden besuchen, um dort spazieren – zu sitzen, so beschlossen wir, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und uns zur Schau des Padischas und seiner schönen Unterthaninnen um zwölf Uhr dort einzufinden. Der Weg dahin ist ein ziemlich langer und wird im Kaik zurückgelegt.

Das Kaik ist ein sehr elegantes, hinten und vorn spitz zulaufendes behendes Boot, das braun gebeizt, mit Schnitzwerk und vergoldeten Schnörkeln verziert und so schmal ist, daß es umschlägt, wenn man beim Einsteigen nicht genau in die Mitte tritt oder beim Aussteigen es nicht von der Mitte aus verläßt. Der Fahrgast sitzt auf dem Boden, mit dem Gesicht nach der Spitze gewendet. Hat man Platz genommen, so muß man sich ganz still halten, denn das Kaik ist empfindlich wie eine Goldwage und geräth bei der geringsten Bewegung in’s Schwanken. Die ruhige, gravitätische Haltung der Türken, welche an die starre Bewegungslosigkeit heidnischer Götzenbilder streift, paßt also vortrefflich zu den Eigenschaften des Kaiks.

Hinter dem Herrn oder Fahrgast auf einer Erhöhung kauert der Diener mit untergeschlagenen Beinen; vor ihm auf Querbänken sitzen die Ruderer, in der Regel einer hinter dem andern, Jeder zwei Ruder führend. Hohe Würdenträger bedienen sich breiterer Kaiken, in denen immer zwei Ruderer, jeder ein Ruder führend, nebeneinander Platz haben; doch ist es nicht einem Jeden erlaubt, dergleichen größere Fahrzeuge zu halten, da die Schildwachen an den Ufern vor solchen Kaiken „Honneurs“ machen müssen.

Je mehr sich das goldene Horn verengte, je näher rückten die Kaiks, die zahllos durch das Wasser stechen, aneinander. Das war für uns höchst willkommen; setzte es uns doch in den Stand, die bunten Gestalten in ihnen recht genau in Augenschein zu nehmen. Da fuhren Minister und Paschas in den mit reicher Goldstickerei verzierten schwarzen Reform-Ueberröcken. Ein buntes Zeltdach, ehemals ausschließliches Privilegium der Kaiken des Sultans, schützt sie gegen die Sonnenstrahlen. Hinter ihnen kauert der Pfeifenstopfer, stets ein junger, schöner und sehr vertrauter Diener, um dessen Gunst sich ein Jeder bewirbt, der vom Herrn irgend etwas zu erringen wünscht. Die zahlreichen Ruderer, sonnverbrannte Anmuten von herkulischer Kraft und Gestalt, je zwei und zwei auf einer Bank, tragen Hemden von einem dünnen Seidenzeuge mit Atlasstreifen, und weite, bis an’s Knie reichende Leinwandhosen. Der Pascha, den rothen Fez auf dem Kopf, raucht gravitätisch die lange Pfeife, mit dem Mundstück von undurchsichtigem Bernstein. Einer von ihnen, in militärischer Uniform, dictirte seinen Secretairen, die ehrerbietig vor ihm hockten und eifrig schrieben. Alle Spitzen der Militär- und Civil-Verwaltung müssen den Sultan in die Moschee begleiten.

Aber die Kaiken waren es nicht allein, welche dem süßen Gewässer Schaulustige zuführten; an den Ufern entlang plätscherten kleine Dampfschiffe und pfiffen sich Passagiere zusammen, während große Barken schwerfällig einherkrochen wie Schildkröten auf dem Lande. Eine stattliche Fregatte, in der Mitte des goldenen Horns beim Marine-Ministerium vor Anker liegend, beherrschte mit ihren drei Reihen Kanonen das Gewimmel um sie her, und ihr rother Wimpel mit dem Halbmond und dem darüber schwebenden Stern schien ein dem Bilde aufgedrücktes Fürstensiegel.

Endlich zeigt sich im blauen Seewasser ein trüber grauer Streifen; es ist das „süße Gewässer von Europa“, ein zahmes Flüßchen, in dessen Mündung wir einbiegen und unsere Fahrt stromauf fortsetzen bis in die Nähe einer Brücke, bei welcher wir an’s Land steigen.

An beiden Ufern dieses süßen Gewässers herrscht das regste Leben. Im Schatten der Bäume breiten Sklavinnen Teppiche aus, und die vornehmen Türkinnen lassen sich darauf nieder, während ihre Kinder umherspringen. Wo der Schatten nicht ausreicht, werden bunte Stoffe über die Zweige der Bäume geworfen; denn die Sonne meint es nur zu gut, und die Türkinnen lieben es nicht, ihren Teint zu exponiren. Je näher der Brücke, je enger rücken die Gruppen aneinander, zuletzt sitzen die Schönen in mehreren Reihen fast Schulter an Schulter gedrängt. Wagen von grauen, wunderlich aufgeschirrten Ochsen gezogen – sogenannte Arabas – führen Bewohnerinnen der Umgegend heran, ihre Gebieter folgen ihnen zu Pferde, deren Zügel, wenn sie absteigen, nachkeuchende Diener in Empfang nehmen. Damit es aber an nichts mangele, erscheinen auch noch vier bulgarische Musikanten in Schafpelzen, die ein wunderliches Concert aufführen. Der eine spielt den Dudelsack, der andere die Flöte und der dritte die Gusla, eine Art Geige mit drei Saiten, während der vierte eine kleine dumpfklingende Trommel schlägt. Was sie vortragen, hat weder Melodie noch Rhythmus; die Türkinnen scheinen aber dennoch davon erbaut, denn die Kinder werden fleißig mit kleinen Gaben an die Bulgaren abgeschickt?

Doch wir hatten nicht Zeit, das vor uns entfaltete und immer reicher werdende Bild lange zu betrachten; es galt zur Moschee zu gelangen und den Sultan zu sehen. Wir gingen daher über die Brücke und gelangten, einer hohen Mauer folgend und uns durch ein zahlreich versammeltes männliches Publicum drängend, an ein geöffnetes, von Soldaten besetztes Portal. Es führte in einen großen Hofraum, in dessen Mitten wir die Moschee, viele fränkische [649] Zuschauer und Zuschauerinnen und eine starke Cavallerie- und Infanterie-Abtheilung, sowie eine Menge kostbar aufgezäumter Pferde erblickten, auf denen vornehme Würdenträger hergeritten waren. Die Schildwachen in Constantinopel halten Niemand auf, der – ohne sie eines Blickes zu würdigen – mit der Miene der Sicherheit einherschreitet. Diese Miene nahmen wir an, drangen glücklich vor bis zur Moschee und erreichten einen sehr günstigen, freilich aber auch äußerst sonnigen Standpunkt.

Vor uns lag ein breites Thor, welches in den Garten und zum Kiosk des Sultans führte. Durch dieses Thor mußte der Beherrscher der Gläubigen eintreten und den ganzen Raum bis zum Eingange in die Moschee durchschreiten. Da wir kaum zwanzig Schritt von dem Eingange entfernt standen, so konnten wir darauf rechnen, unsere Schaulust gehörig befriedigt zu sehen.

Die Moschee an dem süßen Gewässer ist ein kleines, weiß abgetünchtes, viereckiges Gebäude mit zwei ziemlich niedrigen Minarets. Der Eingang für den Sultan besteht aus einem bescheidenen, von zwei Säulen getragenen Porticus aus weißem Marmor, von dessen Fußboden zu beiden Seiten Stufen hinabführen und der so hoch ist, daß er einem Reiter bis an den Steigbügel reicht. Ein schwarzer „Läufer“, d. h. ein schmaler Teppich, kreuzte die weiße Marmorplatte des Porticus und war bestimmt, den Fuß des Sultans gegen die Berührung mit dem kalten Stein zu schützen; aber nur den Fuß des Sultans, keines Andern, denn er allein hat als Groß-Khan der Tatarei das Vorrecht des schwarzen Teppichs.

Es war zwölf Uhr, die Sonne brannte heftig, die Zuschauer mehrten sich; viele wohlbeleibte Türken mit Fez und großen goldenen Epaulettes fanden sich ein; der Sultan erschien nicht. Da spannten unsere Damen, um sich vor den glühenden Sonnenstrahlen zu schützen, die Sonnenschirme auf. Sogleich wurde ihnen aber von den Türken bedeutet, in der Nähe des Sultans dürfe Niemand einen Sonnenschirm öffnen, ja es müsse sogar ein Jeder, der an einem Kiosk des Sultans vorübergeht, den Schirm schließen, selbst wenn sich der Beherrscher der Gläubigen auch nicht in dem Kiosk befinde; denn der Sonnenschirm sei ein ausschließliches Privilegium des Sultans.

Endlich ertönten Commandowörter, die Truppen präsentirten, die Musik schmetterte und in dem Portal uns gegenüber erschien der Sultan, er allein zu Pferde, seine Begleiter sämmtlich zu Fuß. Will der Sultan ausreiten, so werden ihm stets drei Pferde vorgeführt, von denen er sich eins aussucht. Diesmal war seine Wahl auf einen mehr stark als elegant gebauten Grauschimmel gefallen, der unter seiner vornehmen Last gemessen einherschritt.

Der Sultan Abdul Asis, ein schwarzbärtiger Herr in rothem Fez, trug die türkische Generals-Uniform, auf welcher zwei Diamantsterne blitzten. Er zählt dreißig und einige Jahre und ist der Bruder des vorigen Beherrschers der Gläubigen; denn es succedirt in Constantinopel nicht unbedingt der Sohn dem Vater, sondern stets der älteste Prinz des Hauses. Die Stirnen der anwesenden Türken neigten sich vor dem „Schatten Gottes“ bis zur Erde; aber weder von diesen Ehrfurchtsbezeigungen, noch von dem militärischen Gruße der Truppen nahm der Sultan auch nur die allergeringste Notiz. Er blickte weder rechts noch links und schien weder zu hören, noch zu sehen. Er achtete so wenig auf die ihn umgebende Menge, wie Jemand auf die Bäume achtet, der in tiefen Gedanken durch einen Wald reitet.

Sein Gefolge bildeten die Paschas, die Minister und die sonstigen höchsten Würdenträger des Reichs, lauter wohlgenährte Gestalten im Reform-Ueberrock, mit mehr oder minder Goldstickerei auf den Aermeln. Diener sah man nicht; sie stehen zu niedrig, um sich bei solchen Anlässen zeigen zu dürfen. Der ganze Zug war zu beiden Seiten von einer wandelnden Hecke, der Leibwache des Sultans, eingefaßt. Sie besteht aus je zehn schönen Jünglingen der reichsten und angesehensten Familien der verschiedenen Völker, welche unter dem türkischen Scepter leben. Wir bemerkten Aethiopier, Nubier, Aegypter, Beduinen, Araber, Drusen, Kurden, Arnauten, Bulgaren, Montenegriner etc. sämmtlich in ihren mit Gold, Silber, Sammet und Seide prangenden, buntfarbigen Nationaltrachten und mit den kostbarsten Waffen ausgerüstet. Nur die Edlen der Moldau und Walachei, sowie diejenigen Serbiens haben sich noch nicht dazu verstehen wollen, ihre Söhne zu Leibgardisten herzugeben; vielleicht werden aber die Wünsche des Sultans – wenigstens was die Moldau und die Walachei betrifft – durch Vermittelung des Fürsten Cusa erfüllt werden, den man bei seinem Aufenthalt in Constantinopel mit Aufmerksamkeiten überschüttet hat.

In der That, die jetzige Leibwache des Sultans ist allein eine Reise nach Constantinopel werth, denn wo fände man eine ähnliche Musterkarte von Menschenracen, Costümen und Waffen! Die Mannigfaltigkeit der Turbane, die Schneepracht der weißen Burnusse, die Wunderlichkeit der Fußbekleidungen lassen sich ebensowenig beschreiben, wie die vornehmen, unbekümmerten Mienen, die fremden dunklen Augen und die schlanken Urgestalten der edlen Jünglinge. Während wir diese Leibwache mit den Blicken verschlangen, ritt der Sultan langsam an uns vorüber, trat aus dem Bügel auf den schwarzen „Läufer“ und verschwand in der Moschee. Die hohen Würdenträger erstiegen die Stufen zu beiden Seiten des Porticus und folgten dem Sultan, das Betreten des schwarzen Teppichstreifens sorgfältig vermeidend. Zu gleicher Zeit formirten mehrere von den mit goldenen Epaulettes geschmückten Türken vor der Moschee einen Kreis und erhoben ein infernalisches Geheul, welches sie drei Mal wiederholten. Es war dies, wie man uns sagte, das übliche Lebehoch auf den Sultan. Kaum war es verhallt, so rief der Muezzin vom Minaret herab zum Gebet. Auf diesen Ruf begaben sich alle Rechtgläubigen in die Moschee, während es den Ungläubigen überlassen blieb, sich die Zeit bis zur Beendigung des Gebets zu vertreiben. Und es gebrach keineswegs an Unterhaltung. Die Moschee war nämlich so klein, daß sie die Zahl der anwesenden Türken nicht zu fassen vermochte. Die Ausgeschlossenen versammelten sich nun in Reihen vor den geöffneten Thüren, zogen Schuhe und Röcke aus, knieten auf diesen nieder und verrichteten darauf ihr Gebet mit dem üblichen Neigen und Beugen. Zu den Ausgeschlossenen gehörte beinahe die ganze Leibwache. Aber da das Sprüchwort „Jugend hat nicht Tugend“ im Orient eben so wahr ist wie im Occident, so fiel es fast keinem der schönen Jünglinge ein, sich in die Reihen der Knieenden zu drängen. Sie zogen es vor, unter den Zuschauern umherzulungern und sich die fremden Damen anzusehen, denen dies eben recht war. Die Ceremonie in der Moschee hatte ihr Ende erreicht, aber der Sultan blieb gleichwohl in derselben.

„Was zögert der Sultan?“ fragten wir.

„Er zieht sich um,“ lautete die Antwort.

„Für die kurze Strecke von der Moschee zum Kiosk?“

„Er kehrt nicht nach dem Kiosk zurück.“

„Wohin begiebt er sich?“

„Das wird sich finden.“

Wenn der Sultan seinen Aufenthalt wechselt, was gewöhnlich des Freitags nach dem Gebet zu geschehen pflegt, so bezeichnet er den neuen Kiosk nicht eher, als bis er zu Pferde steigt. Bei so bewandten Umständen kann von Vorbereitungen zum Empfange des Sultans nicht die Rede sein, ja der Beherrscher der Gläubigen findet in der neuen Residenz weder etwas zu essen, noch etwas zu trinken. Gleichwohl darf es ihm an nichts von dem gebrechen, woran er gewöhnt ist, sei es in Bezug auf Personen oder Sachen. Es bleibt daher für das lebende und todte Inventar eines aufgegebenen Landhauses nichts übrig, als dem Sultan in das neue zu folgen.

Nichts war uns erwünschter, als zu erfahren, daß Abdul Asis nach dem Gebet den Kiosk an dem süßen Gewässer verlassen und sich nach einem anderen, am Bosporus gelegenen Sommersitze begeben werde; da stand uns der Genuß bevor, sein ganzes Haus, den Harem nicht ausgenommen, an uns vorüberziehen zu sehen. Kein Gläubiger befand sich mehr in der Moschee, der Sultan aber kam nicht und kam nicht.

„Was macht der Sultan?“ fragten wir.

„Er trinkt Kaffee und raucht,“ lautete die Antwort.

Jetzt zeigte sich auf dem süßen Gewässer das reich vergoldete Kaik des Padischa. Es war mit dreißig Ruderern bemannt. Sie trugen den rothen Fez, das weißgelbliche, vorn offene Hemde von durchsichtigem Seidenzeuge, schneeweiße Pumphosen bis an’s Knie und rothe Schärpen um den Leib. Hinter dem Polstersitz des Sultans kauerte ein Neger mit einem großen Sonnenschirm von rothem Sammet.

Gleich darauf erschien Abdul Asis im Fez und dunklem Paletot, ohne jegliches Zeichen seiner hohen Würde, auf dem schwarzen Teppich in der Thür der Moschee. Die Paschas und Minister, unter ihnen auch Omer Pascha, welche sich nach dem Gebet der Thür gegenüber, abgesondert von den Zuschauern, aufgestellt hatten, [650] senkten die Stirn in den Staub; der Sultan aber nahm wiederum von nichts Notiz, was vor ihm geschah. Er stieg die wenigen Marmorstufen nach der Wasserseite hinab und ging gemessenen Schrittes auf das Kaik zu, ohne daß Jemand ihn begleitete. Als er einstieg, hielt ein Bootsmann das Kaik mit einem Haken, damit es nicht schwankte oder gar umschlüge; Niemand aber war ihm behilflich, denn die geheiligte Person des Beherrschers der Gläubigen darf nur von den höchsten Würdenträgern des ottomanischen Reiches – und zwar an der Fußspitze – berührt werden. Es geschieht dies alljährlich am Bairams Fest bei der Ceremonie des Fußkusses, nach welcher der Sultan einem Jeden, der ihm die Lippen auf den Fuß gedrückt hat, ein schönes Mädchen zum Geschenk macht.

Sobald der Sultan Platz genommen hatte, spannte der Neger den großen Sonnenschirm auf, die Ruderer tauchten die unten mit einem halbmondförmigen Einschnitt versehenen Ruder in’s süße Gewässer, und fort schoß das goldene Kaik dem goldenen Horne zu.

Kaum hatte der Sultan den Rücken gewendet, so trat die unbefangenste Gemüthlichkeit an die Stelle der strengen Etiquette. Aus der Moschee kommend, erschienen auf dem schwarzen, geheiligten Teppich plappernde Diener des Sultans, die seine Parade-Kleidungsstücke, Uniform, Weste, Hosen, Stiefeln und allerlei Cartons in äußerst nachlässiger Weise über und unter den Armen oder in den Händen trugen. Sie ließen die sämmtlichen Sachen auf die Erde fallen, nahmen sodann die Epaulettes und Brillantsterne von der Uniform und warfen sie in die Cartons, als wäre es altes Eisen, – endlich banden sie den ganzen Kram in Schnupftücher und gingen, die Bündel nachlässig schwenkend, in aller Heiterkeit davon.

Wir standen im Begriff, in ein höchst unmuselmännisches Gelächter über diese Naivetät auszubrechen, als unsere Aufmerksamkeit auf andere Dinge gelenkt wurde. Ein langer Zug von eleganten Wagen kam aus dem zum Kiosk des Sultans führenden Portale auf uns zu; – es waren die Damen des Harems, welche ihrem Gebieter zu Lande folgten.

Man kann sich denken, wie schnell wir der Moschee den Rücken wendeten und wie sehr wir uns durchdrängten, um so nahe wie möglich an die Wagenreihe zu kommen; denn wie wir bemerkten, fuhren die Schönen sämmtlich mit heruntergelassenen Fenstern.

In dem ersten, prächtig mit Silber beschlagenen und oben herum mit einer silbernen Galerie verzierten Wagen, der wie alle übrigen nur mit zwei Pferden bespannt war, saß die Sultanin. Zu dieser Würde und zu allen damit in Verbindung stehenden Vorrechten avancirt eine jede Harem-Schöne, die den Beherrscher der Gläubigen mit einem Kinde beschenkt, sei dies ein Knabe oder ein Mädchen. Sultan Abdul Asis besitzt an Kindern nur einen Sohn, folglich hat er auch nur eine Sultanin.

Der Wagen der Sultanin war von vielen schwarzen Harem-Wächtern umgeben, während die übrigen Wagen nur je von einem escortirt wurden. Die Wächter hielten sich jedoch so dicht um den Wagen, daß die Zuschauer auf beiden Seiten kaum vier Schritt von ihm entfernt standen. Wir konnten daher sowohl die Sultanin, als auch alle übrigen Damen so genau sehen, wie der Yachmak, jene Verhüllung, die vom Gesicht nur die Augen freiläßt, dies nur irgend gestattet.

Gewöhnlich besteht der Yachmak nur aus Musselin in mehreren Lagen übereinander, so daß der Blick nicht hindurchzudringen vermag; die Haremdamen trugen ihn aber von Flor, der – obwohl doppelt und dreifach – ihre Reize nicht nur nicht verbarg, sondern im Gegentheil noch erhöhte. Diese Flor-Yachmake sind eine Neuerung, welche sich unter der Regierung des vorigen Sultans eingeschlichen hat.

Abdul Medjid’s Herz war nämlich so groß, daß fünf- bis sechshundert Schöne Platz darin fanden. Wer die Hauptstadt erobert hat, der beherrscht das Land und er kann darin nach Belieben schalten und walten. Das Herz ist aber für den Menschen das, was die Hauptstadt für ein Land ist. Im unumschränkten Besitze des Herzens ihres Gebieters emancipirten sich die Haremschönen auf eine bisher unerhörte Weise. Sie legten sogar den Yachmak von doppeltem Musselin ab und vertauschten ihn gegen eine durchsichtige Umhüllung von einfachem Flor. In diesem Aufzuge – für die Rechtgläubigen ein unerhörter – fuhren sie in Constantinopel und Pera von einem Laden zum andern, um Einkäufe zu machen. Es stellte sich dabei heraus, daß sie diejenigen Artikel, welche sie suchten, immer nur bei schönen und jungen Kaufleuten, ganz besonders bei böhmischen Glashändlern, fanden.

Aber nicht nur in den unteren Schichten des Harems fanden die Neuerungen Anklang, sogar eine der Sultaninnen trat zur Fortschrittspartei über. Kein Tag verging, an welchem sie nicht einen schönen schlanken armenischen Kaufmann, der mit Seidenstoffen handelte, im Bazar besucht hätte und mit reichen Einkäufen in das Serail zurückgekehrt wäre.

In den Bazar, der aus lauter überwölbten Passagen besteht, kann man nicht hineinfahren; Wagen und Diener mußten daher vor der Thür warten, während die schöne Sultanin ihre Einkäufe machte. Die kostbarsten Waaren befinden sich aber nicht in den Läden des Bazars selbst, sondern hinter ihnen in kleinen traulichen Zimmern, zu welchen man durch ein dunkles Treppchen gelangt. Der Kaufmann läßt nun keinen Kunden von Distinction vor dem Ladentisch, im Bazar stehen, sondern nöthigt ihn stets in das kleine verschwiegene Hinterzimmer. Bei einer Sultanin verstand sich diese Auszeichnung von selbst. Sie wurde nicht müde, sich im Bazar einzufinden, – der Kaufmann ermangelte nicht, ihr beim Ersteigen des Treppchens behülflich zu sein; Beide waren völlig miteinander zufrieden. Aber –

„Befindet sich Einer vortrefflich und wohl,
Gleich will ihn der Nachbar peinigen.“

Eines Tages, als die schöne Sultanin wieder in den Bazar kommt, findet sie den Laden des schönen Armeniers zugenagelt. Sie fragt seine Nachbarn, diese senken statt der Antwort die Augen zur Erde. Eine bange Ahnung sagt ihr, daß sich hier etwas Entsetzliches zugetragen und daß der Sultan dem nicht fremd sein könne. Den Tod im Herzen, kehrt sie in das Serail zurück und flüchtet sich, des Aergsten gewärtig, mit einer getreuen Dienerin in den nächsten Kiosk.

Wer sie erwartet hatte, war Abdul Medjid. Er erscheint an der Thür des Kiosks und findet sie verschlossen.

„Mach’ auf!“ ruft er.

Keine Antwort.

„Fürchte nichts, ich bin von Deiner Unschuld überzeugt. Du hast nur unüberlegt gehandelt und wirst künftig auch den bösen Schein vermeiden.“

Die Sultanin begriff die Situation. Was mit dem schönen Armenier geschehen war, ließ sich nicht ändern. Nach seinem Schicksal forschen durfte sie nicht; war ihr doch überdies bekannt genug, in welcher Weise man die Bande zerreißt, die der Harem zuweilen trotz aller Wachsamkeit der Eunuchen mit der Außenwelt anknüpft. Sie schmollte viele Tage mit dem Sultan, weinte viele Nächte hindurch und ließ sich endlich durch dringendes Zureden ihrer Verwandten dahin bewegen, ihren Herrn und Gebieter wieder zu Gnaden anzunehmen.

Der Harem des gegenwärtigen Sultans ist bedeutend kleiner, als der seines Vorgängers, denn er füllte nur acht bis zehn Wagen, deren jeder vier Schöne enthielt. Der Sultan hat ihn aber nicht nur beschränkt in der Zahl, sondern auch in den usurpirten Freiheiten. Vor allen Dingen wurde den Damen verboten, Yachmaks von einfachem Flor zu tragen; sie haben den Flor daher verdoppelt. Hierdurch sind sie dem Befehle ihres Gebieters einigermaßen nachgekommen, ohne ihr Licht unter den Scheffel zu setzen.

Hinter dem Harem erschien der Sohn des Sultans in einem offenen Wagen, und ihm folgte der ganze Marstall seines Vaters. Die lange Reihe schöner Pferde wäre ein Götteranblick für den Kenner gewesen; aber auch der Nichtkenner fand seine Rechnung, ja sogar die Damen unserer Gesellschaft waren entzückt von dem, was wir sahen. Berittene Neger in den wunderbarsten Trachten führten jeder ein vollständig aufgezäumtes und gesatteltes Roß des Sultans als Handpferd. Theils mochten die edlen Thiere bei dem guten Futter zu ihrer geringen Arbeit schon an und für sich stallmuthig genug sein, theils wollte ein jeder Neger sich und seine Rosse vor den vielen Zuschauern so vortheilhaft wie möglich produciren, – genug, alle schnaubten und courbettirten, warfen die Köpfe und wieherten, daß es eine Lust war. Dabei setzte uns das mit Gold und Silber beschlagene und mit bunten Edelsteinen besetzte Zaumzeug nicht weniger in Erstaunen.

Nur selten befanden sich die Neger allein im Sattel; fast ein Jeder von ihnen war der glückliche Beschützer irgend eines animalischen Lieblings der Damen vor ihnen. Sie transportirten, ihnen sicher von den Sklavinnen auf die schwarze Seele gebunden, bunte [651] Vögel in Käfigen, kleine Affen an silbernen Kettchen, Eichhörnchen in Drehrollen, Hündchen von allen Racen. Der Sultan ist ein großer Liebhaber von Thieren, besonders von Katzen; wie sollten es da seine Damen nicht ebenfalls sein?

Doch wer malt unser Erstaunen, als sich aus dem mehrerwähnten Portal eine lange Procession von wohlgenährten Männern in weißleinenen Anzügen entwickelte, von denen ein jeder eine große, oben zugeschnürte, braunlederne Wulst auf dem Kopfe trug! Es waren die Köche und Zuckerbäcker des Sultans, die in runden, in der angegebenen Weise verpackten Körben die Speisen und Leckereien transportirten, die sie für den Sultan und sein ganzes Haus bereitet hatten und die nun, anstatt an dem süßen Gewässer, am Bosporus verzehrt werden sollten.

Gravitätisch und im Gefühl seiner Küchenwürde ging ein Koch und ein Zuckerbäcker hinter dem andern, und die Reihe wollte kein Ende nehmen, denn die Tafel eines Sultans will reich und mannigfaltig besetzt sein. Bald aber bog der Vorderste von dem Wege ab, den Harem und Marstall genommen hatten, um sich der Stelle zuzuwenden, wo der Sultan in das Kaik gestiegen war.

Hier hatten sich inzwischen viele Barken versammelt, in denen die weißen Männer Platz nahmen. Wir folgten ihnen zum Ufer und gewannen einen Blick auf den Fluß nach der Seite des Kiosk hinauf, wo es nicht minder Interessantes zu schauen gab, als auf dem Hofe der Moschee. Man war nämlich hier beschäftigt, alle Möbel und Einrichtungsgegenstände, an welche der Sultan und seine Schönen gewöhnt sind, in Barken zu schaffen und nachzutransportiren. Da leuchtete es von Polstern in Sammt und Seide, da blitzte es von vergoldeten Truhen und abenteuerlichen Koffern mit Email-Verzierungen, da funkelten Leibwaffen mit kostbaren Edelsteinen incrustirt; es leuchtete, blitzte und funkelte, bis die Barkenführer die ihnen anvertrauten Kostbarkeiten mit großen Wachstüchern überdeckten und den Blicken der Neugierigen entzogen.

Wir aber waren nach dem, was wir gesehen hatten, dergestalt blasirt, daß wir uns schwerlich gewundert hätten, wenn zum Finale auch noch die Moschee und der Kiosk des Sultans eingepackt und ihm nachgeschickt worden wären. Auch das wird kommen. Für die Sultane wären keine andern Häuser zweckmäßiger, als transportable.

So endete „das Freitagsgebet des Sultans“ für uns und wohl für die meisten der hier „Gläubigen“ mit einem sehr weltlichen Schauspiel. Und mehr ist ja das Ganze nicht, dort wie anderwärts. Ob Tempel, ob Moschee – der Vorsehung imponirt kein Paradedienst der Frömmigkeit, ob die Mächtigen ihn nur befehlen oder selber aufführen. Die goldenen Vorhänge am Kirchenthron von Byzanz zerriß der siegende Türke – trotz byzantinischer Andachtspracht – das Reich Osman’s wird nicht erhalten durch des Sultans Freitagsgebet, und keine Kirchenparade macht Dynastien unsterblich, deren Untergang von der ewigen Gerechtigkeit beschlossen ist.