Das Haar im gesunden und kranken Zustande

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Carl Ernst Bock
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Haar im gesunden und kranken Zustande
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 8–9
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[8]
Das Haar
im gesunden und kranken Zustande.

Warum ist wohl an so vielen Menschen kein gutes Haar? und warum stolziren trotz Eau de Lob und Klettenwurzelöl doch noch so viele junge Platto’s und Perrücklese in der Welt umher? und gleicht, der vielen Grau- und Kahlköpfe wegen, das gefüllte Parterre eines Theaters aus der Vogelschau nicht einer Schneelandschaft im Mondenscheine? Nur deshalb, weil die Haut- und Haarpflege noch sehr in Argen liegt und die Haare bei Vielen vorzeitig altern und absterben, grauwerden und ausfallen. Darum und weil man sich um die Haarverhältnisse gar nicht kümmert, können auch die vielen Beutelschneider mit angeblich haarwuchsfördernden Mitteln und Kuren so leicht ihr Pfeifchen schneiden. Zu spät, wie bei vielen andern Leiden fühlen die Meisten gewöhnlich erst beim Dünnwerden ihrer Haare die Verpflichtung, für diesen Schmuck Sorge zu tragen. Ich sage „Schmuck,“ trotzdem daß es heutzutage beim männlichen Geschlechte bald dahin gekommen sein wird, für altmodisch zu gelten, einen Kopf voll nichtergrauter Haare zu besitzen. Wer diese Ansicht theilt, braucht vorliegenden Aufsatz nicht zu lesen, wer aber sein Haar lieb hat, der lese und folge.

Ein Haar mit seinem Säckchen,
gegen 150mal vergrößert. a) Haarschaft. b) Haarwurzel. c) Haarknopf. d) Haarbalg. e) Haarkeim. f) Hornschicht und g) Schleimschicht der Oberhaut. h) Lederhaut. i) Einmündungen von Talgdrüsen. k) Zelliger Keimstoff des Haares. l) Marksubstanz, umgeben von der Rindensubstanz, welche außen mit Oberhäutchen überkleidet ist.

Am ganzen Körper, mit Ausnahme weniger Stellen (wie der Lippen, Hohlhand, Fußsohle, der beiden vorderen Finger- und Zehenglieder) wachsen Haare aus der Haut, meistens schief hervor, nur an verschiedenen Stellen und bei verschiedenen Personen, Altern, Geschlechtern und Raçen in verschiedener Menge, Farbe, Länge und Stärke. Man findet sie entweder lang und weich wie das Kopfhaar; oder kurz, dick und starr wie die Augenwimpern, Lider-, Nasen- und Ohrenhaare; oder kurz und äußerst fein wie die fast farblosen Wollhaare an den übrigen, scheinbar unbehaarten Körperstellen. Merkwürdig ist die Bartlosigkeit oder Bartarmuth der meisten mongolischen und amerikanischen Völker; der über den ganzen Körper stark verbreitete Haarwuchs bei den maldivischen Stämmen (unter denen die Ainos, die Bewohner der Kurilen, das haarigste Volk der Erde sind); die ungemeine Krausheit der Kopfhaare bei den Negern und die ungemeine Länge dieser Haare bei den Cafusos und Papuas. Unter den kaukasischen Völkern kommt ein starker Haarwuchs besonders den Juden und Südeuropäern, ein spärlicher den Nordländern zu. Bisweilen findet eine übermäßige Haarbildung, ebenso wie Kahlheit auch als angeborner Fehler statt, der sich entweder am ganzen Körper oder nur an einzelnen Stellen zeigt. – Was die Anzahl der Haare auf einer bestimmten Fläche betrifft, so findet sich nach der Farbe derselben keine unbedeutende Verschiedenheit, denn man fand auf einer Stelle von 1/4☐″ 147 schwarze, 162 braune und 182 blonde Haare. Bei einem mittelmäßig behaarten Manne standen auf 1/4☐″ am Scheitel 293, am Kinn 39, am Vorderarme 23, am Schenkel 13 Haare. v Interessant ist die Anordnung der Haare in gebogenen Linien, welche an verschiedenen Stellen verschieden entweder nach bestimmten Punkten oder Linien zu convergiren, oder von solchen nach zwei oder mehreren Richtungen divergiren, wodurch eine Menge Figuren (Ströme, Wirbel, Kreuze) gebildet werden.

Die Haare sind solide, runde oder etwas abgeplattete, gefäß- und nervenlose, ziemlich feste Fäden aus Hornstoff (von eiweißähnlichem Stoffe gebildet) und Fett mit etwas Eisen- und Manganoxyd, welche der Fäulniß Jahrtausende widerstehen (denn die Mumienhaare sind ganz unverändert) und eine sehr große Elasticität besitzen. Wenn sie trocken und warm sind, werden sie (im todten wie im lebenden Zustande) durch Reibung elektrisch, breiten sich aus und sprühen selbst beim Menschen unter Knistern Funken. Sie sind ferner sehr hygroscopisch (wasseranziehend), bald trocken und spröde, bald feucht und weich, je nachdem sie viel oder wenig Flüssigkeit aus der Haut und der Atmosphäre aufgenommen haben. Nach der verschiedenen Menge von Feuchtigkeit, welche sie enthalten, werden sie mehr oder weniger lang, worauf sich ihre Anwendung zu Hygrometern (Feuchtigkeitsmessern) gründet. Ihre Farbe, welche vorzugsweise an das Fett des Haares gebunden zu sein scheint, geht vom Weißen durch alle Nüançen des Weißgelben, Röthlichgelben, Braungelben bis in's Rothe, Tiefbraune und Schwarze. In der Regel zeigt sich eine Uebereinstimmung zwischen der Farbe der Haare und der der Augen und dem Teint der Haut. Im höheren Alter, doch auch schon in den mittlern Lebensjahren, werden die Haare weiß und zwar in der Regel die dunklen früher als die blonden. Bei Negern sind weiße Haare viel seltener als bei Europäern, während bei den Mandanan, einem nordamerikanischen Stamme, eine große Menge Individuen von Jugend an ein silbergraues oder ganz weißes Haar besitzen. Bei den weißhaarigen, unter allen Menschenraçen vorkommenden Kakerlaken (Albinos, Dondos, Blafards, weißen Negern), welche man früher für eine besondere Menschenraçe hielt, obschon sie nur von Geburt an Kranke (an Weißsucht, Leucopathie, Albinoismus Leidende) sind, fehlt der Farbstoff nicht nur im Haar, sondern auch in der Haut und im Auge. Der letztere Umstand bewirkt, daß die Kakerlaken gewöhnlich das Tageslicht nicht ertragen und nur im Dunkeln gut sehen können.

An jedem Haare unterscheidet man zwei Theile; einen aus der Haut hervorragenden Theil, den Haarschaft, welcher allmälig in ein immer dünner werdendes Ende (die Spitze) ausläuft, bei schlichten Haaren gerade und rundlich, bei gelockten wellenförmig gebogen und etwas abgeplattet, bei krausen und wolligen Haaren spiralig gedreht und ganz platt oder leicht gerinnt ist; und einen in der Haut steckenden, runden und geraden Theil, die Haarwurzel, welche nach unten zu immer weicher wird und in eine knopfförmige ausgehöhlte Anschwellung, die Haarzwiebel, den Haarknopf, endigt. Die ganze Haarwurzel wird von einem eignen 1–3‴ langen Sacke eng umschlossen, welcher aus einer flaschenförmigen Einstülpung der Leder- und [9] Oberhaut besteht und Haarbalg oder Haarsäckchen genannt wird. Auf dem geschlossenen Grunde dieses Säckchens, in welches gewöhnlich eine oder mehrere Talgdrüsen einmünden (s. Gartenl. 1854 Nr. 44), erhebt sich eine warzen- oder hügelförmige Hervorragung, der Haarkeim oder die Haarpapille, welche sehr gefäßreich und die eigentliche, das Wachsthum unterhaltende Bildnerin des Haares ist. Auf dieser Papille sitzt die Haarzwiebel mit ihrer Aushöhlung hutförmig auf. Aus dem Blute des feinmaschigen Haarröhrchennetzes des Haarkeimes wird der Haarstoff zuerst als flüssige Materie ausgeschieden, in welcher sich dann Bläschen (Zellen) bilden, die nach oben zu zum Theil allmälig zu Plättchen und Fasern umgewandelt werden und so endlich die Rinden- und Marksubstanz, sowie das Oberhäutchen des Haares bilden. – Die Rinden- oder Fasersubstanz bildet den äußeren, bedeutendsten und gefärbten Theil des Haares, ist längsgestreift und aus starren, platten, geraden, zugespitzten Fasern (Haarfasern), die aus spindelförmigen Haarplättchen zusammengesetzt sind, gebildet. An dieser Substanz, welche äußerlich mit dem dünnen, durchsichtigen und aus ganz platten, eckigen, dachziegelartig über einander liegenden Plättchen zusammengesetzten Oberhäutchen des Haares fest überzogen ist und durch dieses eine ringförmige Querstreifung erhält, – sieht man stets dunkle Flecken, Pünktchen und Streifen, welche theils von Häufchen aus Farbekörnchen (in den Haarplättchen), theils von winzig kleinen, mit Luft erfüllten ovalen Hohlräumen (Bacuolen) und spindelförmigen Kernen herrühren. Am untern Theile der Haarwurzel werden die hornigen Haarplättchen immer weicher und gehen endlich in längliche und rundliche Zellen über, die sich in dem flüssigen, vom Blute des Haarkeims ausgeschiedenen Haarstoffe bildeten. Die Spitze des Haares besteht nur aus Rindensubstanz mit seinem Oberhäutchen. Die Lufträume der Rinde finden sich erst am Schafte oder am oberen Theile der Wurzel. – Die Marksubstanz, welche die Mitte des Haares einnimmt und nicht selten stellenweise ganz fehlt, besteht aus reihenweise an einander gelagerten rundlichen, kernhaltigen Zellen (Markzellen), die mit Flüssigkeit oder Luftbläschen , sowie zum Theil mit Fett- und Farbstoffkörnchen erfüllt sind. In der Nähe der Zwiebel sind diese Zellen ohne Luft, die vielleicht erst später in Folge der theilweisen Verdunstung des flüssigen Inhaltes dieser Zellen eingenommen wird.

Einige Zeit nach der Geburt fallen die meisten, und in manchen Fällen sämmtliche Wollhaare aus und werden durch neue ersetzt. Dieser totale Haarwechsel kommt dadurch zu Stande, daß (wie bei den Milch- und bleibenden Zähnen) in den Haarbälgen der Wollhaare selbst neue Haare entstehen, die allmälig die alten verdrängen, so daß also zu dieser Zeit zwei Haare in einem Balge stecken, von denen das spätere das frühere von seinem ernährenden Boden abhebt und aus dem Balge herausdrängt. – Die einmal gebildeten Haare wachsen kürzere oder längere Zeit fort (und zwar vom Haarkeime aus durch Entwicklung neuer Zellen aus der vom Blute abgesetzten Ernährungsflüssigkeit, von welchen später die mittleren zu Markzellen, die äußeren in Rindenplättchen und Fasern, die äußersten zu Oberhautschüppchen sich umgestalten), erreichen eine, je nach Ort und Geschlecht bestimmte Länge und bleiben dann im Wachsthum stehen. Werden sie aber abgeschnitten, so wachsen sie wieder nach und treiben so lange fort, als man sie ihre bestimmte Größe nicht erreichen läßt. Die Haare besitzen sonach, wie alle Horngebilde, ein beschränktes Wachsthum. So kann bei einem Manne, der 60 Jahr alt und dessen Haupthaar, ohne abgeschnitten zu werden, etwa 21/2 Fuß lang wird, durch Abschneiden das Haar auf 21 Fuß Länge gebracht werden, wenn man nämlich die abgeschnittenen Portionen zusammenrechnet. – Das fertig gebildete Haar, obschon gefäßlos, ist doch kein todter Körper. Es ist von Flüssigkeit durchzogen und verwendet dieselbe zu seiner Ernährung. Diese Flüssigkeiten stammen aus den Gefäßen der Haarpapille und des Haarbalges, steigen wahrscheinlich vorzüglich von der Wurzel aus, ohne daß besondere Kanäle für sie da wären, durch die Rindensubstanz in die Höhe und kommen in alle Theile der Haare hinein. Haben diese Säfte zur Ernährung des Haares gedient, so dunsten sie höchst wahrscheinlich von der äußern Oberfläche desselben ab und werden durch neue ersetzt; die Einölung des Haares durch den Hauttalg verhindert wahrscheinlich die zu starke Verdunstung des Haarsaftes. Vielleicht nehmen die Haare auch von außen Flüssigkeiten in Dunstform auf. Die Bildung von Luft in der Marksubstanz und in der Rinde dürfte die Folge von einem Mißverhältnisse zwischen der Zufuhr von Flüssigkeit vom Haarbalge aus und dem, was abdunstet, sein, es ist gleichsam ein Austrocknen des Haares. Das Ausfallen der Haare beruht gewiß in vielen Fällen ebenfalls auf nichts anderem, als auf einem Mangel an der nöthigen Ernährungsfeuchtigkeit. Auch das Weißwerden, das vorzüglich von Entfärbung der Rinde, weniger des fast ungefärbten Markes abhängt, kommt gewiß in vielen Fällen durch eine solche Austrocknung zu Stande, weshalb auch weiße Haare, wenn sie abgeschnitten oder ausgerissen werden, ohne Farbe wieder wachsen. Man hat ebenso Fälle von schneller Ergrauung der Haare, wie auch von schneller Wiederfärbung grau gewordener Haare. Da die Bälge verloren gegangener Haare lange bestehen bleiben, so ist eine Neubildung von Haaren an kahlen Stellen auch noch nach längerer Zeit nicht unmöglich; es giebt Fälle, wo alsdann anders gefärbte Haare, als die verloren gegangenen, wieder wuchsen. – Aus Allem geht deutlich hervor, daß die Haarpapille auf dem Grunde des Haarsäckchens für das Leben und Wohlbefinden des Haares von der allergrößten Wichtigkeit ist und daß man nur von dieser aus auf das Haar einzuwirken vermag. Deshalb stehen die Haare aber auch weit mehr unter dem Einflusse des allgemeinen Gesundheitszustandes, als man gewöhnlich glaubt. Bei guter Gesundheit sind die Haare stark und sitzen fest in der Haut, bei geschwächter gehen sie leicht aus. (Ueber die Krankheiten und Pflege des Haares später.)
Bock.