Das Heimweh der Thiere

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Autor: unbekannt
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Titel: Das Heimweh der Thiere
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 33–34
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Heimweh der Thiere.

Das Heimweh ist die schwärmerische Sehnsucht nach dem früheren, geliebten Aufenthalte. Doch ist sie auf diesen nicht immer allein beschränkt, sie erstreckt sich auch auf die Genossen und selbst auf die Beschäftigung und Lebensweise, und sie tritt um so eher und um so stärker hervor, wenn alle diese Beziehungen zugleich auf den Menschen wirken. Je größer der Kontrast des Früheren mit dem Gegenwärtigen ist, um so eher entsteht das Heimweh. Alle Menschen empfinden es nicht, denn nicht alle Menschen sind gleich leicht durch ihr Gefühl und ihre Phantasie zu erregen und nicht alle geben sich derselben auf gleiche Weise hin. Der Bergbewohner, der meist ein einfaches, mit der Natur noch eng verknüpftes Leben führt, den zieht es und treibt es zurück zu seinen Bergen, wenn er von ihnen fern ist, mit aller Gewalt; er sehnt sich nach ihnen, wenn es ihm auch in der Ferne besser ergeht, und vermag er dieses Sehnen nicht zu stillen, so wird es stärker und stärker, es wird zur Krankheit, zum Heimweh, das oft selbst den Tod herbeiführt. Das Heimweh ist also eine krankhafte Geistes- und Gefühlsstimmung und wirkt lähmend auf das ganze Seelenleben, selbst auf die Verrichtungen des Leibes.

Eben so wie bei den Menschen finden wir das Heimweh bei den Thieren, bei der einen Klasse mehr, bei der andern weniger, und am Deutlichsten sehen wir es bei den höheren Thierklassen hervortreten, z. B. bei Pferden, Affen, Hunden, Katzen, Tauben u. s. w. So werden viele Thiere und namentlich Vögel durch die Gefangenschaft so betrübt, daß sie alle Freßlust verlieren und sterben. Das schreiben nun zwar Manche der Macht der Gewohnheit zu; allein was ist denn die Gewohnheit oder das Gewöhntsein an irgend Etwas, an einen Aufenthalt, wenn es so stark hervortritt, daß es in steter Erinnerung an das Frühere, in stetem Vorführen der früheren, lieben Bilder die Phantasie, das ganze Seelen- und Geistesleben so sehr bewegt und erschöpft, daß diese in einen krankhaften Zustand gerathen, anders als das Heimweh? Der Vogel, dem die Freiheit genommen wird, der sich in wenig Tagen zu Tode grämt, der an dem Heimweh stirbt, auf den konnte doch nicht so schnell die veränderte Luft und Nahrung und Lebensweise einwirken; er hatte vielleicht dasselbe Futter wie in der Freiheit, konnte sich eben so viel Bewegung machen und doch starb er nach wenig Tagen, weil die Sehnsucht an seine Freiheit, an seine Bäume und Genossen, an den freien blauen Himmel ihm das Herz brach. Dies wird Manchem sonderbar klingen und doch ist es wahr. Weshalb überleben die Nachtigallen, wenn sie später im Jahre, wo sie bereits sich gepaart haben, gefangen werden, ihre Gefangenschaft seltener, als wenn sie im Frühjahre gefangen werden? Das Heimweh zu ihrem Weibe oder Manne und ihrem Neste tödtet sie. Ebenso verschmähen die Mandelkrähen in der Gefangenschaft meist alle Nahrung und überleben selten den dritten Tag, und jede alt eingefangene Trappe stirbt bald in Trotz, Gram, Angst und Heimweh dahin.

Der Cay-Affe ist, wenn er schon erwachsen eingefangen wird, traurig und still, er nimmt keine oder nur sehr wenig Nahrung zu sich und stirbt schon nach wenig Wochen, ebenso der gefangene Caguar. Ja Burdach führt uns in seinem Werke: „Blicke in’s Leben“, Fälle an, wo der Tod so schnell erfolgte, daß er nur durch eine mehr unmittelbare Einwirkung der Seele herbeigeführt sein konnte. Man kann dagegen nicht erwiedern, daß selbst bei dem Menschen, der nach seiner höheren Stufe des Geistes und Gefühls das Heimweh stärker und tiefer empfinde, nicht einmal so schnell der Tod einkehre, denn dagegen spricht, daß sich der Mensch nie so ganz und unumschränkt von augenblicklichen Leidenschaften und Erregungen beherrschen läßt, wie das Thier, welches gänzlich dem Eindrucke derselben hingegeben ist.

Was ist es anders als ein Sehnen nach der Heimath, das sich bei den Wandervögeln stets zur Zeit der Wanderung einstellt? Mag es auch nur als ein dunkles Streben, als ein mehr oder weniger vom Instinkt geleitetes Gefühl hervortreten, es läßt sich zum wenigsten nicht fortläugnen. Wenn die Wanderzeit nahet, so werden selbst die in der Gefangenschaft gehaltenen Wandervögel unruhig, ungeduldig und darauf still und eine Zeit lang traurig; und wenn die Vögel wieder zu uns kehren von ihrer Wanderschaft, dann zieht es sie zurück zu ihrem Heimathsorte und sie wissen ihr kleines Nest wieder aufzufinden, oder bauen sich doch in der Nähe desselben ein neues, wie auch die jüngeren Vögel stets in der Nähe ihres Geburtsortes ihren neuen Herd sich gründen. Der Storch sucht stets sein altes Nest wieder auf, er bewohnt es viele Sommer hindurch und ist er gestorben, so nehmen seine Nachkommen es ein. Ebenso ist es mit den Fischen. Zur Laichzeit kehren sie stets zu dem Orte zurück, an dem sie selbst geboren sind, und der Lachs macht vom Meere aus, wenn seine Laichzeit nahet, oft viele, viele Meilen, um seine Nachkommen in demselben kleinen Bache zwischen die Steine, wo er geboren, zu tragen, und stets macht er denselben Weg zurück, auf welchem er zuerst seine Wanderung aus dem Bache in den Fluß, aus ihm in das Meer angetreten. Er kann nicht in dem Bache bleiben, der ihm zu klein, es treibt ihn gleichsam fort, hinaus in die große, weite Welt, aber die Erinnerung an seine Heimath schwindet nicht; er trägt seine Brut zu ihr zurück. Wo aber einmal der Trieb, die Sehnsucht zur Heimath vorhanden ist, wo sie so große Schwierigkeiten zu überwinden vermag, da kann sie auch durch Umstände so gesteigert werden, daß sie zum Heimweh wird.

Wie namentlich bei unsern Hausthieren die Liebe zur Heimath, zu ihren heimathlichen Genossen, selbst zum Menschen oft so stark hervortritt, daß sie den Menschen in Erstaunen setzt, davon giebt es der Beispiele genug. Hunde und Katzen, wenn sie auch in einem Sacke fortgetragen oder des Nachts in Wagen fortgeschafft werden, kehren oft nach mehreren Wochen und oft viele Meilen bis in ihre Heimath zurück. Rennier erzählt von einem Esel, welcher in Gibraltar eingeschifft und am Point de Gat über Bord geworfen war, als dort das Schiff gestrandet, daß derselbe einige Tage darauf Morgens vor dem Thore von Gibraltar erschien, und als dasselbe geöffnet war, sogleich nach seinem alten Stalle lief. Er hatte einen Weg von mehr denn fünfzig Meilen zurückgelegt. Wie der Mensch die Liebe und Sehnsucht der Tauben zu ihrer Heimath sich zu Nutze gemacht, ist bekannt genug, und wir brauchen deshalb nicht bis zum Noah zurück zu gehen. Die Brieftauben finden von England bis Spanien ihren Weg und sind sie einmal auf dem Wege zu ihrer Heimath, sind sie unermüdlich, nehmen kaum etwas Nahrung zu sich, und die Sehnsucht nach der Heimath hat sie oft schon solche Anstrengungen machen lassen, daß sie endlich in der Heimath angekommen, kurze Zeit darauf an den Folgen der Anstrengungen gestorben sind. – Eine Schildkröte, welche man bei der Insel Ascension gefangen und der man am Bauchschilde Buchstaben und Ziffern eingebrannt hatte, wurde, als das Schiff in den britischen Kanal kam, über Bord geworfen, weil man ihren Tod nahe glaubte, und zwei Jahre darauf ward dieselbe Schildkröte in der Nähe der Insel Ascension wieder gefangen. Sie hatte den weiten Weg zu ihrer Heimath zurückgefunden.

Wie unsere Hausthiere, wenn man sie aus ihrer Heimath entfernt, in dem neuen Orte, selbst wenn sie es dort viel besser haben, niedergeschlagen und traurig sind, oft selbst ihr liebstes Futter verschmähen und gar zu gern nach dem alten Orte zurückkehren; wie sie von der herrlichsten Weide stets freudig und schneller nach ihrem Stalle zurückkehren, wie die Pferde unverdrossen und schneller sind, sobald der Weg sie zum heimathlichen Stalle zurückführt, wie sie, von ihren Genossen getrennt, traurig sind und [34] bei Krankheiten weit langsamer genesen, das ist zu bekannt, da es täglich vorkommt, um es hier noch weiter auszuführen.

Es ließen sich der Beispiele, bei denen wir eben so sehr die starke Liebe zur Heimath, als die Schärfe des Instinktes oder unbewußten Strebens, und die Ausdauer bei Erreichung des Zweckes, anführen; aber aus dem Angeführten wird schon hinreichend und sicher genug hervorgehen und deutlich genug einleuchten, daß die Thierseele ein der menschlichen Einbildungskraft ganz ähnliches Vermögen, ja dieselbe Einbildungskraft, nur in geringerem Grade besitzt, denn sie äußert sich eben so wie bei dem Menschen: in Bildern, in Träumen, im Spiele und als krankhafte Steigerung im Heimweh. Das Traumleben des Thieres ist wie ja selbst das des Menschen noch in großes Dunkel gehüllt, aber mehr und mehr wird es sich aufhellen und manchen Aufschluß mit sich führen, seitdem man von den Wilden Amerika’s erfahren bat, wie man sich von den Träumen der Thiere in Kenntniß setzt. Hängt man einem schlafenden und träumenden Hunde ein Tuch über und deckt man sich dasselbe darauf über den eigenen Kopf und schläft unter ihm, so träumt man denselben Traum, den der Hund gehabt, was mehrfache Versuche bereits außerhalb des Gebietes des Zweifels gesetzt haben. Wie weit man dieses zurück zu verfolgen vermag, ist noch nicht erforscht.

Ebenso leuchtet aus dem Gefühle der Sehnsucht nach der Heimath, aus dem Heimweh bei den Thieren die starke Erinnerungskraft und auch das Unterscheidungs- und Vergleichungsvermögen hervor, denn nur durch das Vergleichen des Früheren mit dem Gegenwärtigen geht das Heimweh hervor. – Daß bei dem Thiere alle diese Geistes- oder Seelenkräfte sich mehr oder weniger auf das Gefühl, die Empfindungskraft beschränken, daß sie unmittelbarer, stets nur subjektiv auf das Thier wirken, das wollen wir nicht bestreiten, denn die Kraft des Objectivirens und Abstrahirens ist allein dem Menschen vorbehalten, damit er sich durch sie in freier Kraft über den thierischen Standpunkt erhebt und in dem steten Ringen und Streben nach Fortbildung und höherer objectiver Vollendung sein ewiges Ziel suche und finde, damit er, wie Jean Paul sagt, „in dem Weltmeer wie ein Lebendiger durch Schwimmen aufsteige, aber nicht wie ein Ertrunkener durch Verwesung.“ –