Das October-Jubiläum auf der Wartburg

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Autor: Robert Keil
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Titel: Das October-Jubiläum auf der Wartburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30 und 31, S. 473–475, 478 und 487–489
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: 50 Jahre Wartburgfest (18. Oktober 1867)
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[473]
Das October-Jubiläum auf der Wartburg.
Von Robert Keil.


Der Zug unserer Zeit ist der nationale. Gilt dies von den Völkern der Gegenwart überhaupt, so gilt es insbesondere und vor Allem von dem deutschen Volke. Jung und alt, arm und reich, hoch und niedrig, – Alle streben und ringen, bewußt oder unbewußt, nach dem einen hohen heiligen Ziele: nach einer wahren freiheitlichen Einigung des gesammten deutschen Vaterlandes. Mögen auch die Hoffnungen der Patrioten von Neuem vielfach getäuscht und vor endlicher Erreichung des Ziels mannigfache Hindernisse, welche der eitelste Egoismus und der engherzigste Particularismus wieder und wieder in den Weg legen, zu überwinden sein, immer und allezeit haben wir doch mit wärmstem Dankgefühle der Männer zu gedenken, die jene hohen Ideen zuerst erfaßt und in jugendlich-feuriger Begeisterung durch ihr erstes deutsches Nationalfest da droben auf der Wartburg den ersten gewaltigen Anstoß zur Verbreitung und Befestigung des deutschen Einheitsgedankens in allen deutschen Stämmen und Ständen gegeben haben.

In der That, das berühmte oder berüchtigte Fest, welches in den Octobertagen des Jahres 1817 die deutschen Studenten auf der Wartburg begingen und das demnach im kommenden October seinen fünfzigsten Jahrestag feiert, war das erste wahre deutsche Nationalfest. Hören wir, was uns nach fünfzig Jahren einer der Theilnehmer des Festes, der um die Sache der Humanität und Freiheit so hochverdiente schweizerische Präsident Karl Völker (auf Schloß Herbrugg im Canton St. Gallen, gebürtig aus Eisenach), über die Entstehung des Festes aus dem reichen Schatze seiner Erinnerungen mittheilt. Es bedarf übrigens kaum der besondern Bemerkung, wie bedeutsame Streiflichter von dieser Ideenentwickelung der Jahre 1815 und 1817 zugleich auf die politische Lage der Gegenwart fallen.

„Unter Napoleon’s Herrschaft,“ schreibt er mir, „war nicht nur die Unabhängigkeit fast aller Staaten Europas, sondern auch die innere Freiheit Frankreichs vernichtet worden, und hier wie dort regte sich Unwille: dort, weil die von ihm gemachten Eroberungen dem französischen Volk keinen Ersatz für die verlorene Freiheit gewährten, hier, weil man trotz der eigentlich besseren Staatseinrichtungen doch den Druck der Fremdherrschaft und die Schmach der verlorenen Selbstständigkeit zu stark fühlte. England, von Anfang an der erbittertste Feind Napoleon’s, unterstützte den spanischen Aufstand, und als der Zug gegen Rußland durch Moskau’s Brand fehlschlug und Preußen sich erhob, da wurde auch dieses mit Rath, Geld, und Macht unterstützt. Der Tugendbund, namentlich aber auch ein Jahn, Arndt, Fichte, Luden, Fries und andere Erzieher und Lehrer hatten die deutsche Jugend zu einem Kampf für die Zerstörung der Fremdherrschaft begeistert, zugleich aber waren auch die Schriften eines Voltaire, Helvetius und Rousseau, welche die französische Revolution vorbereitet hatten, mit ihren Ideen von Menschenrechten unter die deutsche studirende Jugend gedrungen, und Amerika’s Beispiel, das Studium der englischen Verfassung und Schiller’sWilhelm Tell“ hatten Gedanken und Verlangen erweckt, welche Befriedigung anstrebten. Darum hoffte man auch mit der äußern Befreiung die innere zu erlangen und um nicht stets der Gefahr der Unterjochung durch eine fremde Nation ausgesetzt zu sein, sondern als eine starke unangreifbare Macht dazustehen, ersehnte man ein alle deutschen Staaten und Stäätchen fest umschließendes politisches Band, das man sich in einem deutschen Kaiser idealisirte. Die deutschen Fürsten durften daher nur mit Inaussichtstellung der Gewährung jener Verlangen das deutsche Volk zu Ergreifung der Waffen, zu Befreiung des Vaterlandes auffordern. So geschah es denn auch, und nach den großen Opfern, welche das deutsche Volk an Geld und Blut zur Vertreibung der fremden Dränger gebracht, nach den mörderischen Schlachten, an denen auch die begeisterte studirende Jugend theilgenommen hatte, nach der Transportation Napoleon’s und der Wiederherstellung des Throns der Bourbonen versammelten sich die Bevollmächtigten und Vertreter der verschiedenen Staaten zum Congreß in Wien.

Das deutsche Volk harrte mit Sehnsucht auf dessen Beschlüsse, die seine künftigen Zustände entscheiden sollten. Aber von Monat zu Monat verzögerte sich zuerst die Versammlung und als sie endlich im October beisammen war, ging Alles so geheimnißvoll und doch resultatlos zu, daß die gehegten Hoffnungen in bittere Gleichgültigkeit umschlugen; namentlich wurden die Unterhandlungen über die deutsche Verfassung nach einem fruchtlosen Versuch gänzlich unterbrochen und dafür das Volk durch die Zeitungen mit den endlosen Festen regalirt, die der gastliche Wiener Wirth seinen Gästen täglich zum Besten gab, während seine fünfzigtausend Invaliden, die den Sieg mit errungen hatten, darben mußten und der kurz vorher erfolgte Staatsbankerott eine große Zahl von Unterthanen in Noth und Armuth gestürzt hatte. Metternich, der Präsident des Congresses, machte sich zum Förderer der Begehren Englands und Rußlands und zum Werkzeug der Ränke eines Talleyrand und Montgelas. Wie geheim aber auch Alles zuging, so gab es doch horchende Mäuschen, welche mit den Unterhandlungen hinausschlüpften. Von vaterländischer Gesinnung zeigte sich unter den Vertretern der deutschen Höfe kaum eine Spur mehr; jeder Fürst und jedes Fürstlein dachte nur an seine Vergrößerung oder an seine Selbsterhaltung, und von Aufgeben von Souveränetätsrechten und Unterordnen unter ein gemeinsames deutsches Oberhaupt war nun gar keine Rede mehr. Ja, so weit ging die Schmach, daß der intriguante und nach allen Seiten Lug und Trug spielende Metternich (den man damals nur Mitternacht nannte) an einem Kriegsbündniß zwischen Oesterreich, Baiern und Frankreich gegenüber Preußen und den norddeutschen Staaten arbeitete. – Nun war im Jahr 1815, besonders von dem Theil der Studirenden, welche den Befreiungskrieg (viele unter Lützow) mitgemacht hatten, die Jenaische Burschenschaft gegründet worden. Der nächste Zweck derselben war kein anderer, als der schon früher von Fichte und Jahn angestrebte, nämlich der Zerrissenheit Deutschlands, die sich auch auf den Universitäten durch die Landsmannschaften und ihre ewigen Händel und Feindschaften kundgab, sowie auch dem wüsten Treiben auf den Universitäten entgegen zu arbeiten. Man hoffte auf diese Weise nicht nur ein besonneneres Leben und Streben unter der Jugend zu wecken, sondern auch das Gefühl der deutschen Zusammengehörigkeit fest zu gründen, in der Hoffnung, [474] daß es im späteren Berufsleben nachhaltig wirken werde. Als nun aber das schändliche Treiben in Wien offenkundig wurde, da nahm auch die Jenaische Burschenschaft, wie schon in Gießen und Berlin der Fall gewesen war, einen mehr politischen Charakter an. Man begann sich laut über all’ die Treulosigkeit der Diplomatie auszusprechen, und es war kein Wunder, wenn unter der früher so begeisterten und nun so getäuschten Jugend ein vergrimmter Ernst Platz griff und der Entschluß immer entschiedener wurde, für die Einheit Deutschlands und für verfassungsmäßige bürgerliche Freiheit dann einzustehen, wenn die Einzelnen in das praktische Leben treten würden. Aber um dies Ziel zu erreichen, war die Burschenschaft in Jena allein nicht ausreichend; diese Vereinigung mußte auf allen deutschen Hochschulen in gleichem Sinne und Geist eingeführt werden. So entstand unter den Jenensern die Idee einer allgemeinen deutschen Burschenschaft, und um sich allseitig zu verständigen, wurde das Wartburgfest ausgeschrieben. Es sollte ein dreifaches Fest gefeiert werden: das Jubiläum der Reformation als der Befreiung aus geistiger Knechtschaft, der Sieg in der Leipziger Schlacht als der Befreiungsmoment von der Fremdherrschaft und endlich die Gründung einer allgemeinen deutschen Burschenschaft.“

Soweit der greise Burschenschafter mit dem treuen, jugendlichen Herzen.

Die Studirenden Hans Ferdinand Maßmann, Candidat der Theologie aus Berlin, und Karl Hoffmann aus Rödelheim bei Frankfurt a. M. waren es, welche, als sie sich im Herbste 1816 in der Nähe Rödelheims, der Eine um nach Jena, der Andere um nach Gießen zurückzukehren, trennten, zunächst in Erinnerung des auf das nächste Jahr fallenden Reformationsfestes den Grundgedanken des Wartburgfestes zuerst faßten und in Jena und Gießen anzuregen sich das Wort gaben. Hier in Jena, der kleinen Stadt, welche Böckh bei Begrüßung der Universität an deren Jubiläum im Namen aller Universitäten so treffend „eine Metropole der tieferen und höheren Erkenntniß und Wissenschaft, eine Weltstadt“ genannt hat, in Jena, wo von jeher und vollends unter Karl August und Goethe der Geist die freieste Bewegung hatte und die Burschenschaft in Begeisterung für die heilige nationale Einheitsidee bereits entstanden war, fand jener Festgedanke, welchen Maßmann, als er Ostern 1817 nach Berlin zurückkehrte, in Jena hinterlassen und sein Landsmann Eduard Dürre besonders lebendig erhalten hatte, lebhaften Anklang. Von hier aus erließ unterm 11. August 1817 Robert Wesselhöft im Namen der Burschenschaft die Einladung an die andern Hochschulen, um das Fest „in drei schönen Beziehungen, nämlich der Reformation, des Sieges bei Leipzig und der ersten freudigen und freundschaftlichen Zusammenkunft deutscher Burschen von den meisten vaterländischen Hochschulen, am dritten großen Jubiläum der Reformation zu begehen“. Trotz allen Verdächtigungen, die ihm von außen her über beabsichtigte Umtriebe in der deutschen Jugend- und Burschenwelt zugetragen wurden, ertheilte der wahrhaft patriotisch gesinnte Fürst Weimars zum Fest die Erlaubniß, veranlaßte selbst die gastliche Aufnahme der Studirenden in den Eisenacher Bürgerhäusern, übergab ihnen die Wartburg, ließ zum dortigen Mahl die Fischteiche öffnen und sorgte für die Illumination der Wartburg und für das Holz zum Siegesfeuer.

Es war am Morgen des 18. Oct. 1817, als die aus Berlin, Erlangen, Gießen, Göttingen, Heidelberg, Jena, Kiel, Leipzig, Marburg, Rostock, Tübingen und Würzburg erschienenen Festtheilnehmer, gegen fünfhundert an Zahl, in feierlichem Zuge zur Wartburg hinaufzogen. Es war ein frischer, klarer Herbstmorgen. Die Festmusik erklang, die Glocken tönten dazwischen. Scheidler, der Jenaer Burschenschafter, der zum Burgvoigt und Oberanführer des Ganzen gewählt worden, schritt mit entblößtem Jenaischem Burschenschwert voran; Lauteren von Heidelberg, Binzer von Kiel, Lynstedt von Leipzig und Sartorius von Gießen folgten ihm als Burgmannen. Eduard Graf v. Keller aus Jena trug die jenaische schwarz-roth-goldene Burschenfahne, der sich alle willig untergeordnet hatten; ihn umgaben Aegidi von Berlin, Karl Ludwig Sand von Erlangen, Heinrich von Marburg und Crome von Göttingen als gewählte Fahnenbegleiter mit Burschenschwertern. Ihnen folgten die Studenten Jahn und Bauer von Berlin, Schneider und Ebermayer von Erlangen, Buri und Kümmel von Gießen, Krüger und Bortning von Göttingen, Carové und Kohl von Heidelberg, Riemann und Siewerssen von Jena, Förster und Olshausen von Kiel, Hoffmann und Trenner von Leipzig, Sallmann und Claus von Marburg und Michelsen, Wokrow und Johnsen von Rostock als die übrigen Mitglieder des Festausschusses, dann die übrigen Studenten, meist in schwarzem deutschen Rock, die Mützen mit Eichenlaub geschmückt, das ihnen Maßmann vorauseilend von den Eichen gebrochen hatte.

So zogen die frischen, blühenden Jünglinge ernst und feierlich in die alte Wartburg und in den mit Laubgewinden gezierten Rittersaal ein. Dort hatten sich bereits vier jenaische Professoren eingefunden: Schweitzer, der Redacteur der weimarischen und sonach ersten Verfassung in Deutschland und nachheriger Minister des Großherzogthums, Kieser, der, schon Professor, den Befreiungskrieg als freiwilliger Jäger mit durchgekämpft hatte, der nachherige Historiograph des Wartburgfestes, Oken, der geistvolle Naturforscher und Patriot, welcher, wie sein großer College Luden, „ein Vaterland, innerlich stark, mit den nöthigen Bürgschaften der Sicherheit nach außen und einer vernünftigen, gesetzlich geordneten Freiheit im Innern“ erstrebte, endlich der Philosoph Fries, der die studirenden Jünglinge zum Bündniß angeregt hatte, „daß im Geiste eins und einig werde das deutsche Vaterland, daß es im regen Gemeingeist gedeihe zum öffentlichen Leben.“ Sie Alle erblickten in dem Feste den Keim eines großen, fruchtreichen Baumes. Dort, im Rittersaal war es, wo H. Riemann (aus Ratzeburg), der als Lützower in tobender Schlacht sich das eiserne Kreuz erworben hatte, in kräftig wackerer Rede die Reformation als die Wiedergeburt des freien Gedankens und das Gedächtniß der Leipziger Schlacht als die Errettung des Vaterlandes aus schmählichem Sclavenjoche feierte, der treulos getäuschten Hoffnungen des deutschen Volkes gedachte und begeistert ausrief: „In den Zeiten der Noth haben wir Gottes Willen erkannt und sind ihm gefolgt. An dem, was wir erkannt haben, wollen wir aber auch nun halten, so lange ein Tropfen Bluts in unsern Adern rinnt: der Geist, der uns hier zusammengeführt, der Geist der Wahrheit und Gerechtigkeit, soll uns leiten durch unser ganzes Leben, daß wir, alle Brüder, alle Söhne eines und desselben Vaterlandes, eine eherne Mauer bilden gegen jegliche äußere und innere Feinde dieses Vaterlandes, daß uns in offener Schlacht der brüllende Tod nicht schrecken soll, den heißesten Kampf zu bestehen, wenn der Eroberer droht; daß uns nicht blenden soll der Glanz des Herrscherthrons, zu reden das starke, freie Wort, wenn es Wahrheit und Recht gilt; – daß nimmer in uns erlösche das Streben nach Erkenntniß der Wahrheit, das Streben nach jeglicher menschlichen und vaterländischen Tugend! Mit solchen Grundsätzen wollen wir einst zurücktreten in’s bürgerliche Leben, fest und unverrückt vor den Augen als Ziel das Gemeinwohl, tief und unvertilgbar im Herzen die Liebe zum einigen deutschen Vaterlande!

Alle Anwesende waren tief ergriffen, den Jünglingen, selbst den Männern, traten Thränen in die Augen und in der Stille der eigenen Brust wurden heilige Schwüre für das ganze Leben geleistet. Eine kurze warme Ansprache von Hofrath Fries und der kirchliche Segen, welchen E. Dürre, vom Augenblick hingerissen, aussprach, schloß diesen erhebenden Theil der Feier.

Damit waren die Ideen des Festes klar ausgesprochen, sie bildeten bei dem nachherigen fröhlichen Zusammensein auf dem Burghof das Thema der Gespräche der einzelnen Gruppen, und lustig erscholl hier das so äußerst bezeichnende Festlied des Dr. Friedrich Förster in Berlin:

Frisch auf! frisch auf zur Burschenfahrt,
Ihr Jungen und ihr Alten!
Wir wollen hier nach unsrer Art
Den großen Festtag halten.

5
Heut ist des Doctor Luther’s Tag,

Zuerst ein Jeder singen mag:
„Hoch lebe Doctor Luther!“

Zum zweiten leb’ im deutschen Land
Jetzt und zu allen Zeiten

10
Ein jeder wackre Protestant,

Der nimmer scheut zu streiten.
Dreht uns der Papst die Nase nicht,
So giebt’s noch manchen Lumpenwicht,
Den wir darniederschlagen.

15
Das dritte Hoch! wir rufen’s frei

Dir, Herzog, hier zu Lande,
Der Du Dein Wort gelöset treu,

[475]

Wie Du es gabst zum Pfande.
Verfassung heißt das Eine Wort,

20
Des Volkes und des Thrones Hort!

„Herzog August soll leben!“

Nun sei ein Lebehoch gebracht
Den Lebenden und Todten,
Die mit Gesang und Schwert zur Schlacht

25
Einst Deutschland aufgeboten.

Schill, Blücher, Oels und Gneisenau,
Arndt, Körner, Jahn – wer kann genau
Die Heldennamen zählen?

Auch hat auf diesem alten Thurm

30
Manch flotter Bursch gesessen,

Weil gegen den Magnificum
Er sich zu hoch vermessen.
War’s aber ein fideles Haus,
Und zog er für die Freiheit aus,

35
So sei ihm Hoch gerufen!


Zuletzt nun rufet Pereat
Den schuft’gen Schmalzgesellen
Und dreimal Pere – Pereat
So fahren sie zur Höllen!

40
Auf! auf! mein deutsches Vaterland,

Ihr Brüder, reichet euch die Hand
Und schwört: „so woll’n wir’s halten!“

Es folgten das Festmahl im Minnesängersaal mit edlen, patriotischen Toasten auf das Andenken Luther’s, auf den Großherzog von Weimar, auf die Sieger bei Leipzig, auf alle deutschen Hochschulen und ihre Bursche, auf „die versammelte deutsche Burschenschaft und den edeln Geist, der sie vereinigt hat“ etc., dann der Festgottesdienst in der Stadtkirche und fröhliche Turnspiele auf dem Markte Eisenachs. Inzwischen wurden die Siegesfeuer vorbereitet.


Der Wartburg gegenüber, etwa eine halbe Stunde von der Stadt Eisenach entfernt, liegt der Wartenberg, gewöhnlich Wadenberg genannt, vielleicht der schönste Aussichtspunkt der ganzen romantischen Umgegend. Unter sich erblickt man die freundliche Stadt, darüber die in mittelalterlicher Schöne wieder erstehende Burg und weithin die Kette des Thüringer Waldes mit dem ragenden Inselsberg. Dort loderten am Abend des 18. October 1817 achtzehn Feuer und dahin wallten die Studenten in langem Fackelzuge, unter Begleitung der Musik. Am hochflammenden Feuer sprach hier Rödiger von Jena (gebürtig von Worms) seine begeisterte Rede voll glühender Vaterlandsliebe. „In der Noth,“ rief er unter Anderm, von den Fackeln umgeben, der Versammlung zu, „in der Noth versprach man uns, ein Vaterland zu geben, ein einiges Vaterland der Gerechtigkeit, aber der theuer erkaufte Bundestag ist noch nicht angebrochen, und fast will es scheinen, als sei das Volk glühend erwacht, die Herrlichen gefallen, damit hochmüthige Ideelosigkeit ein Freudenmahl halte von dem letzten Bissen des Landes und näher in seinem Herzen hafte der Stachel launiger Gewaltthätigkeit und der Dolch tückischer Erbärmlichkeit für jetzt und die Zukunft, als verstehe sich das von selbst. Nur ein Fürst hat fürstlich sein Wort gelöst, allen andern ein Vorbild, allen Deutschen ein wahrhaft deutscher Mann; derselbe, dessen Ahnen immer voran waren, wo es galt, das Heldenschwert zu ziehen für die Reinigkeit des Glaubens und die Gerechtigkeit, und die dem großen Luther hier eine Zuflucht öffneten, von wo aus er deutsch den Deutschen das Wort predigte und ergründete das Licht der weltdurchflammenden Wahrheit. Unter seinem Schutze sind auch wir zusammengetreten, um auf dem freiesten deutschen Boden ein freies deutsches Wort zu wechseln. Mögen ihm die andern nachkommen und bald! Denn Eins hat das deutsche Volk gewonnen, die Kraft des Selbstvertrauens – es will sich nicht wiederum wiegen lassen in den ehrlosen Schlaf, es kann nicht vergessen seine Schmach und sein jauchzendes brüderliches Erwachen zum Kampf für seinen Gott und seine Gerechtigkeit!“ – –

Der Festausschuß hatte bestimmt, daß an den Feuern reden solle, wer sich dazu getrieben fühle, der heftige Wind hielt aber mehrere dazu Vorbereitete ab. Nachdem noch einige Burschenlieder gesungen worden und damit die Reihe der vorher beschlossenen Feierlichkeiten beendigt war, zerstreute sich die Burschenversammlung an die auf dem Wartenberg vertheilten Feuer; man unterhielt sich mit dem dort gleichfalls vereinigten Landsturme beim fröhlich kreisenden Becher, und die Meisten kehrten zur Stadt zurück. Da erschienen plötzlich an dem am meisten lodernden Holzstoß, wo Rödiger gesprochen hatte, einige Bursche, der eine mit einer Heugabel, ein anderer mit einem großen Korbe voll Bücher, ein Dritter mit großen schwarzen Zetteln, auf welchen mit fernscheinenden Buchstaben die Namen solcher Männer zu lesen waren, die bei allen Vaterlandsfreunden durch ihre Schriften Verachtung und Entrüstung erregt hatten. Maßmann war es und seine Freunde – Maßmann, der die von ihm, Wilhelm Wesselhöft, Heinrich Leo u. A.[1] vorbereitete Kundgebung gegen Alles, was der Achtung des Vaterlandes, was deutscher Selbstständigkeit und Einheit zuwider war, jetzt zur Ausführung bringen wollte.

Mit seinen Vertrauten hatte er bei Buchhändler Bärecke in Eisenach mehrere Ries Maculatur (Ritterromane, alte Predigten etc.) gekauft und daraus Pakete gebildet, welche die Originalwerke der zum Feuer verdammten Schriftsteller vorstellen sollten. Hier auf dem Wartenberg sollte das Flammengericht über die verfehmten Bücher gehalten werden. Die neue und unerwartete Erscheinung zog die Menge heran, und in dem dichten Kreis, welchen sie um die Opfernden bildete, erinnerte Maßmann in kurzer kerniger Rede an Luther’s Bullen-Verbrennung und fuhr fort: „So wollen auch wir durch die Flamme verzehren lassen das Andenken Derer, so das Vaterland geschändet haben durch ihre Rede und That und die Freiheit geknechtet und die Wahrheit und Tugend verleugnet haben in Leben und Schriften. Darum soll’s geschehen, daß alle deutsche Welt wisse, weß sie dereinst von uns sich zu verhoffen habe. Wahrlich, wir hätten des Zeugs überlang zu brennen und brandmarken, auch anderer Völker Schriften, so die ganze Welt verdorben haben, wenn wir allen schlechten und bösen Machwerken ihr Recht und Gericht geschehen ließen. Aber diese Feuerbrände hier mögen als die Vertreter und Reigenführer der ganzen Sippschaft büßen! So tretet denn heran zu dem zehrenden Fegfeuer und schauet, wie Gericht gehalten wird über die Schandschriften des Vaterlandes. Möge das höllische Feuer sie alle verzehren und vernichten, wie arge Tücke oder die Jämmerlichkeit und Erbärmlichkeit sie eingab!“ Er las von einem großen Bogen die verdammten Schriften ab, bei jedem Namen zeigte ein anderer Vertrauter den Titel, der groß auf schwarzem Zettel (oder, um mit Maßmann zu reden, auf „einerseits nacht-, tod- und höllenschwarzes Papier“) geschrieben war, den Umstehenden zur Ansicht vor, die Eingeweihten riefen: „In’s Feuer!“ – Die Menge stimmte in den Ruf ein, Einzelne riefen dazwischen: „Wer kennt den Gesellen nicht und sein Geschmier?“ oder: „Fahre hin, du böser Feind und Widersacher der edeln Jugendfreiheit!“ „Der Kerl muß brühwarm gepfeffert und gesalzen werden!“ „Gänse-, Schwein- und Hundeschmalz, alles aber ohne Salz!“ „In’s Feuer mit den Wichten! In’s Feuer!“ und unter diesen Zurufen wurden von einem dritten Vertrauten Bücher (oder vielmehr die sie darstellenden Pakete) von Ancillon, von Cölle, Crome, Dabelow, von Haller, Janke, Kotzebue, von Kamptz, Schmalz, Werner und Andern mit der Heugabel in das Feuer geworfen, zuletzt auch zum Zeichen des lebhaften Widerwillens gegen den Gamaschendienst bei den Heeren noch ein Schnürleib, ein „Pracht-, Prahl- und Patentzopf“ und „ein großmächtiger Corporalstock“ verbrannt. Jubelnd erscholl von Allen noch die obige Strophe:

„Zuletzt nun rufet Pereat
Den schuft’gen Schmalzgesellen!“ etc.

Dann zogen die Burschen mit dem Landsturm zur Stadt zurück und schlossen mit einem begeisterten Hoch auf den Großherzog den festlichen Tag.

Nach dem Beschlusse des Festausschusses reihte sich, von dem Grundgedanken des Festes hervorgerufen, dem ersten Festtage am 19. October eine „freie Burschengemeinde“ auf der Wartburg an, worin die vaterländische, burschenschaftliche Reform des Studentenlebens berathen wurde. In gediegener, besonnener Rede geißelte Carové von Heidelberg das landsmannschaftliche Unwesen auf den deutschen Universitäten, widerlegte die falschen Vorstellungen [478] von Burschenehre und Burschenfreiheit, entwickelte die neue burschenschaftliche Idee und schloß mit den begeisterten Worten: „Erkoren haben wir eine neue Oriflamme: Volksehre und Freiheit! und geschlossen im Geiste und Herzen einen öffentlich-geheimen Bund zur Wiederherstellung und Erhöhung unserer wahren Würde. Denn treulich und wahrhaftig wollen wir dieses Fest damit gefeiert haben, daß wir nach geistiger Freiheit ringen, wie Luther, und nach Verdrängung des Unrechts, wie die Sieger zu Leipzig, und wie diese und jener wollen wir nicht nur für den selbsteignen Heerd und die selbsteigne Freiheit kämpfen und sterben, sondern gleich ihnen für alle unsere Brüder. Ja, alle soll nur Ein Band umschließen, das Band der Ehre und der Liebe; und nur wenn wir mit allen unsern besten Kräften an diesem Bande weben, nimmer, nimmer davon ablassen und auf Gott vertrauen, nur dann wird unser Werk gelingen, nur dann dürfen wir mit Stolz und ohne zu erröthen, einst wieder diesen Saal betreten und uns mit höherer Freude in’s Auge schauen und sagen: Wir haben den Geist unseres Volks verstanden und, was er damals von uns gefordert, soviel an uns war, erstrebt und vollbracht!“ Es war vor Allen noch Rödiger, der beim Mißton einzelner Gegenreden und gegenseitiger Anschuldigungen verschiedener älterer Verbindungen von einzelnen Hochschulen mit unnachahmlicher und unwiderstehlicher Beredsamkeit die Gemüther mit sich fortriß. Auf Scheidler’s besondere Mahnung versöhnten und vereinten sich die streitenden Parteien, und wie einst die Schweizer Männer auf dem Rütli umarmten sich in patriotischer Begeisterung die Jünglinge der verschiedensten Universitäten und Verbindungen auf der Wartburg mit Bruderhand und Bruderkuß. Diesen Bruderbund besiegelten noch die Meisten, vorzüglich auf Sand’s Drängen, in der Kirche zu Eisenach mit dem Genuß des Abendmahls. Dann kehrten die Festtheilnehmer vom gastlichen Eisenach nach ihren Hochschulen zurück, nicht zu Wagen, nicht mit dem modernen Dampfroß, – den Stab in der Hand, den Eichenzweig an der Mütze, das Ränzel auf dem Rücken, wanderten sie fröhlich heim, und die Burschenfahne wurde bei Sturm und Regen, über Berg und Thal, (von Eisenach bis Weimar in einem Tag!) von den Jenenser Studenten Stark aus Weimar und Tömlich aus Altenburg auf den Schultern nach Jena zurückgetragen. Konnte Tömlich damals ahnen, daß nach wenigen Jahren diese Burschenfahne als das verfolgte Symbol des Einheits- und Freiheitsgedankens sich in seinen, des nunmehr wohlbestallten Pfarrers geheimen Schutz und unter den Altar seiner Dorfkirche flüchten würde?

[487] Kaum waren die Festtheilnehmer von der Wartburg heimgekehrt, als sich falsche Nachrichten über das Fest und Verleumdungen desselben durch die sich überall wieder regende Reaction verbreiteten. Leider fanden dieselben in der kurz darauf erschienenen kleinen Festbeschreibung von Maßmann mit ihrer ausführlichen Darstellung der Verbrennungsgeschichte und ihren derben Ausfällen gegen die Verfasser der verbrannten Bücher reichhaltige Nahrung, und gegen dieses offene Hervortreten richteten sich vor Allem die Angriffe.

Diese Verbrennungsgeschichte war kein Theil der officiellen Feier, sie stand nicht mit auf dem Programm, geschah auch ohne Genehmigung, ja ganz ohne Vorwissen des Festausschusses. Wohl wußte, wie er selbst später offen erklärt hat, Professor Fries davon und hatte den Plan und das Bücherverzeichniß gebilligt, das Ganze war und blieb aber ein besonderes Vorhaben Maßmann’s, das er mit wenigen Eingeweihten vorbereitete und plötzlich ausführte. Von der überraschten Menge wurde die Demonstration lediglich als ein Studentenwitz aufgenommen und jubelnd mitgemacht. Schon in Eisenach erhoben sich aber bedenkliche Stimmen dagegen, mehr noch in Jena im Schooße der Burschenschaft selbst, und Maßmann hatte mancherlei Anfechtungen muthig und männlich mit dem Schwerte zu bekämpfen. Selbst Professor Kieser in seiner dem Feste gewidmeten Schrift nannte den ganzen Vorgang einen jugendlichen Muthwillen, und in der erst neuerdings erschienenen Biographie von Fries bedient sich dessen Schwiegersohn ebenfalls dieser Bezeichnung. Muthwillen – „ein schönes Wort, wer’s recht verstünde!“ Muthwillen – warum nicht Willensmuth? Lebensmuth? – Wer die Zeit nach den Freiheitskriegen recht geisteswach mit durchlebt hat oder jetzt nach fünfzig Jahren in anschaulichen Schilderungen nachlebt, mit allen ihren gräßlichen Verfolgungen, ja Hetzjagden; wer die damalige Erregtheit der Gemüther sich vergegenwärtigt, wird sich da, wo die Gegner der Burschenschaft und des Turnwesens an Unbesonnenheit und Unsinnigkeit sich überboten und wo das gesetzte und gesetzliche Alter eines königlich preußischen Ministers wie Herrn v. Kamptz in so wahrhaft entsetzlichen Schmähungen sich erging, über die ja stets wärmer schlagenden Herzen der Jugend nicht wundern können.

Die von den Jünglingen von 1817 verbrannten Schriften, [488] was waren es für Werke? Es waren die Werke eines Ancillon, der die Aeußerung gethan, „das Volk habe das Bedürfniß, wie Kinder regiert zu werden,“ – eines Haller, der als Grundsätze des Staatsrechts gepredigt: „das Volk oder die Nation sei keine freie Bürgerschaft, sondern blos ein Aggregat von Untergebenen, ein Aggregat dienstbarer oder verpflichteter Menschen, der Souverain sei vor dem Volke wie der Stamm vor den Aesten, er sei von Formen unabhängig und über die von ihm gemachten positiven Gesetze und Einrichtungen erhaben,“ – eines Janke, der einen Arndt, Jahn, Fichte und andere Patrioten bei der preußischen Regierung als Volksaufwiegler verdächtigt hatte, – eines Kamptz, der durch seinen Codex der Gensd’armerie seine freiheitsfeindliche Gesinnung deutlich genug offenbart hatte, sowie durch seine kurz darauf erschienene Schmähschrift über das Fest das Beginnen der Jugend selbst rechtfertigte, – eines Schmalz, der frech genug die Erhebung des deutschen Volkes gegen die Franzosen nur als das Loslassen einer Koppel Jagdhunde durch die Fürsten und wie ein Commandiren zur Löschspritze darstellte, mit Kotzebue das elende Geschäft des Auflauerers, des Spions und Denuncianten trieb und damit das Schimpfwort „Schmalzgesell“, „Schmalziade“ als den Ausdruck äußerster Gemeinheit und Niederträchtigkeit, sowie den Spottvers veranlaßte:

Nun auf, ihr Burschen frei und schnell,
Ihr Brüder Du und Du,
Noch bellt der Kamptz- und Schmalzgesell,
Der Beel- und Kot-zebue!

Es waren die Werke von Anhängern und Schmeichlern Bonaparte’s, von Theoretikern des Despotismus, von Verräthern an deutschem Volksrecht und deutscher Freiheit. Warum sollte eine Schaar für Recht, Freiheit und Vaterland begeisterter junger Männer, denen der Bart schon gewachsen war, – die großentheils schon vor vier Jahren ihr Blut mit eingesetzt und mit geholfen hatten, die fremden Dränger zu vertreiben, – die ebenso gut wie das gesammte deutsche Volk erwarten durften, daß von den Fürsten das so feierlich gegebene Fürstenwort freier Verfassungen und Gründung eines einigen und starken Deutschlands gelöst werde – die durch ihre Studien des Rechts und der Geschichte mit den politischen Verhältnissen der Völker älterer und neuerer Zeit bekannt geworden, – die in den philosophischen Vorlesungen ihrer hochgeschätzten akademischen Lehrer ganz andere Begriffe vom Staat erhalten hatten, als die Diplomaten jetzt hineinlegten, – die noch von keinen Amtsinteressen befangen, noch unter keinen bureaukratischen Zwang gestellt waren und sich als freie Männer fühlten und fühlen durften, – warum sollten sie nicht auch das Recht besitzen, gegen das Treiben jener Personen, von denen es bekannt war, daß sie nicht nur die Hemmschuhe jener Erfüllungen, sondern die erklärten Feinde aller Freiheits- und Einigungsbestrebungen des deutschen Volkes waren, ihre Entrüstung zu äußern? Mag es auch unklug gewesen sein, „in ein Wespennest zu stören, in welchem eine Hornisse sich mit befand,“ – die Motive, welche Maßmann und seine Vertrauten bei ihrer improvisirten Demonstration leiteten, waren ebenso berechtigt wie edel.

Indem nun aber die Maßmann’sche Festbeschreibung die Einzelnheiten zu allgemeiner Kenntniß brachte und Oken in seiner „Isis“ das Verzeichniß der verbrannten Schriften mit bezeichnenden maliciösen Bildchen, z. B. einem Paar Eselsohren, einem Schafkopf, einem Fuchsschwanz, einer Knute etc. versah, wurden die beleidigten Schriftsteller auf das Aeußerste aufgebracht. Die Wespen flogen aus, ihnen voran die Hornisse. Mit der Gehässigkeit und Denunciationswuth, die ihre verbrannten Schriften athmeten, erhoben Kamptz und Consorten lautes Geschrei über den „Haufen verwilderter Professoren und verführter Studenten“, über „Vandalismus demagogischer Intoleranz“, über „Jacobinisches Complot“ etc. und denuncirten das Fest in leidenschaftlichster Weise. Die Jenenser Liberalen, ein Fries, Kieser, Oken, Luden, blieben die energischste Antwort nicht schuldig und die akademische Jugend antwortete in ihrer Weise. Nach den aufreizenden Holzschnitten in Oken’s Isis erschienen zur nächstfolgenden Fastnacht die sämmtlichen Thiergestalten und Persönlichkeiten verkleidet auf dem schönen offenen Markte zu Jena, widmeten dem Teufel, der zufällig aus Fries’ Hause hervorging, ihre sämmtlichen auf dem Wartenberg verbrannten Schriften und umtanzten ihn. Während dessen stand ein großer langhalsiger Vogel (der Vogel Ibis aus der Isis, zur Kennzeichnung Kotzebue’s) da, unbeweglich, fast von Niemandem beachtet, bis er endlich den langen Hals erhob, zwischen seinen Storchbeinen nach hinten fuhr, etc. Jedermann verstand die Geste, ein schallendes Gelächter lief an allen den dicht besetzten Fenstern des Marktes herum. Dicht neben dem Vogel, den Karl Ludwig Sand aus Wunsiedel darstellte, stand aber gleichfalls durch Zufall der Sohn Kotzebue’s. Er forderte Sand sofort auf Pistolen, wurde aber noch an demselben Abend spät von seinem Vater nach Weimar abberufen.

Die Reaction benutzte die Wartburgsgeschichte als Vorwand zu den heftigsten Angriffen auf die verhaßte freie Verfassung und freie Presse des kleinen Weimar. Ja selbst ein Niebuhr sprach von „kaum mannbaren Burschen, welche die Gesetzgeber machen wollten,“ ein Stein nannte in einem Brief an den Staatsminister von Gersdorff vom 10. Dec. 1817 in unbegreiflicher Verblendung Fries und Oken „ganz unreife, hohle, haltungslose Schwätzer,“ denen der Lehrstuhl zu verbieten sei, „sansculottische Schriftsteller, welche Mord und Aufruhr predigten,“ „Thoren, von denen der eine durch mystischen, anarchischen Unsinn und der andere durch demokratische Scurrilitäten die jungen Gemüther irre leite“!! Wenn selbst Männer wie Niebuhr und Stein zu solchen Ausfällen sich hinreißen ließen, wie kann es befremden, daß die Männer der Reaction – und leider Preußen voran – den Moment zur Eröffnung der Hetzjagd auf den erwachten Volksgeist und Liberalismus gekommen glaubten? Wer kennt sie nicht, die Jugend-Hetzereien, welche damals begannen und denen auch Sand’s That sowie die spätern geheimen Jugendbünde zur Last fallen? die nichtswürdigen „Demagogen“-Verfolgungen, die hochnothpeinlichen Untersuchungen gegen Männer wie Arndt etc. und das schmähliche Verfahren gegen den Mann, der vielleicht nur den einen Fehler hatte, sein Herz zu offen auf der Zunge zu tragen, gegen Friedrich Ludwig Jahn? Ihm, dem die berüchtigte Mainzer Untersuchungs-Commission unseligen Andenkens zum Vorwurfe, ja zum Verbrechen machte, daß er von Jugend auf die Einheit Deutschlands gewollt und angestrebt habe, wie hat ihm und seinen Bestrebungen die Entwickelung der Zeit Gerechtigkeit widerfahren lassen müssen! Wahrlich, man könnte am Vaterlande, an der Menschheit verzweifeln, wenn man nicht zugeben müßte, daß eben nur durch Kampf und Druck das Gute und Bessere, gereinigt und bewährt, veredelt und inzwischen Gemeingut, Gemeinkenntniß geworden, endlich doch zu Tage, zum Siege käme. Zunächst aber galten damals die Angriffe der Reaction dem mit Metternich’scher Staatsweisheit unvereinbaren liberalen Regierungssystem des Weimarischen Fürsten. Jene und seine freisinnigen Lehrer oder vielmehr der kleine freisinnige Großstaat Weimar selbst wurden gemaßregelt; über Fries und Oken wurden Criminal-Untersuchungen verhängt, Luden’s „Nemesis“ unterdrückt, Oken’s „Isis“ aus dem Weimarischen verdrängt. Was Maßmann selbst betrifft, so ging das Gerücht, daß preußische Soldaten von Erfurt herüber ihn festnehmen würden. Als Robert Wesselhöft ihn eines Tages frug, was er zu thun gedenke, entgegnete er ruhig: ich werde Jena nicht verlassen. Die Soldaten kamen nicht, aber ohne Untersuchung kam auch er nicht davon. Durch Kamptz wurde er in Weimar und Jena verklagt. Bei Bearbeitung seiner Vertheidigungsschrift ging ihm aber selbst der Professor und Geheime Hofrath, späterer Minister Schweitzer mit Rath und That zur Hand und forderte ihn sogar geradezu auf: „Schlagen Sie nur recht scharf und derb darauf!“ Maßmann wurde, wie er in seinem Traum „Die hohe Schule“ 1858 mitgetheilt, dafür, daß er sich bei Eisenach die Finger verbrannt hatte, zu einer Carcerstrafe von acht Tagen verurtheilt, deren letzten er dem Pedell „abkaufte“. Die Maßregler Weimars, die deutschen Großmächte, schickten sogar ihren Fürsten von Hardenberg und Grafen von Zichy eigens zur Revision nach Jena. Die Herren kamen und sahen sich um. Es war ein merkwürdiger Abend, als die beiden Herren am Markte am Fenster lagen und die gesammte Studentenschaft mit ruhig ernstem Gesange vor ihnen auf dem Markte auf- und abwogte. Kein rohes Wort, keine Ausgelassenheit wurde vernommen; – sie ahnten Alle, was es galt. Die Gesandten aber reisten wieder ab und berichteten, „daß die Sache nicht so sei, wie man sie dargestellt habe.“

Ja, die Sache war in der That nicht so, wie die Reaction sie dargestellt hatte. Das Wartburgfest war, wie die Liberalen schon im Jahr 1817 anerkannten, eine hehre Versammlung der edelsten, deutschen Jugend, ein Silberblick deutscher Geschichte nach jahrhundertelangem wüsten Treiben auf den Hochschulen, ein endlicher [489] Blüthendurchbruch der Zeit. Das Fest der deutschen Jugend war das erste deutsche Bruderfest und zugleich, um mit Fries zu reden, das helle Morgenroth eines schönen Tages, der über unser[WS 1] schönes Vaterland heraufkam. Indem der deutsche Jünglingsgeist von der alten Lutherburg aus über die deutschen Universitäten sich verbreitete, zunächst die allgemeine deutsche Burschenschaft schuf, bald aber auch darüber hinaus alle Stände, alle Kreise unseres Volks durchdrang und überall deutschen Gemeingeist und Begeisterung für ein einiges freies Vaterland wirkte, wurde das Wartburgfest fürwahr zu dem größten, edelsten Fruchtbaum! Sind seine Früchte schon zum vollen schönen Tage geworden? O nein, noch sind wir nicht am Ziele, „untröstlich ist’s noch allerwärts“; aber eben diese gegenwärtige Zerrissenheit unseres Vaterlandes und der heiße unermüdliche Kampf seiner treuesten Freunde für die endliche Vollendung einer freiheitlichen Einigung unseres deutschen Vaterlandes muß uns doppelt und dringend mahnen, des großen Wartburgtages und seiner deutschen Jünglinge ehrend zu gedenken. Sollte denn wirklich, wie schon im Jahre 1857 ein deutsches Blatt frug, über solche Erinnerung erst Gras, erst Bäume aus dem Felsen gewachsen sein müssen? „Meine Herren, ich höre schon Gras wachsen,“ sagte L. Uhland auf dem Germanistencongreß zu Frankfurt am Main. –

Als bei der Eisenacher Abendmahlsfeier alle die Jünglinge den Worten des Geistlichen in Andacht lauschten, stampfte Robert Wesselhöft, in sich gekehrt dastehend, plötzlich mit dem rechten Fuße heftig auf; später darüber gefragt, gab er die Erläuterung, er habe daran gedacht, wie viel später dem freiwillig und feierlich gegebenen Worte durch Erschlaffung untreu werden würden. Er irrte. Die weitaus meisten der Männer von 1817 sind dem Geiste, in dem sie dort vereinigt standen, im Leben, das ihnen wahrlich nicht leicht gemacht worden ist, treu geblieben. Ihnen, die in den Herzen der deutschen Jugend die Liebe zum gemeinsamen Vaterland wirken und pflegen und unter den künftigen Führern, Lehrern, Richtern und Vertretern des Volkes ein Vorbild der Einheit und Einigkeit des theuern Vaterlandes aufstellen wollten, schlägt für die hohe patriotische Idee das Herz im Greisenalter noch ebenso warm wie einst in der Jugendgluth. Wie haben sie ihre Jugendbegeisterung, die vielleicht über die Schnur hieb, durch jugendliche Frische bis in’s Greisenalter bewährt! Das Jenaer Universitäts-Jubiläum 1858 wie das fünfzigjährige Jubelfest der deutschen Burschenschaft 1865 hat es bewiesen. Und als am 12. Juni 1865 ein kleines Häuflein Mitbegründer der deutschen Burschenschaft, unter ihnen Scheidler, im deutschen Haus zu Jena bei der Vorfeier ihres Burschenfestes zusammensaß, gedachten sie auch des Wartburgfestes als der eigentlichen That der Burschenschaft und beschlossen eine Gedächtnißfeier desselben am fünfzigsten Jahrestage; und als sie am Abend jenes erhebenden August-Festtags im „Paradies“ zu Jena mitten unter dem Jubel der jüngern Geschlechter und gegenüber dem Hausberg, wo der burschenschaftliche Wahlspruch: „Freiheit, Ehren, Vaterland“ in strahlendstem Glanze leuchtete, am Ufer der rauschenden Saale standen, schlossen sie, die Jünglinge mit dem Schneehaar, gleichwie zu neuer Besiegelung des alten Bundes die Hände in einander und sangen leise und innig (nach Binzer’s schönem Liede):

„Bis die Welt vergeht am jüngsten Tag,
Seid treu, ihr Burschen und singet uns nach:
     Frei ist der Bursch!

Mit dem 18. October 1867 nun vollenden sich fünfzig Jahre seit dem Wartburgfest von 1817. Möge es den Bestrebungen des Burschenschafts-Comités in Jena gelingen, eine würdige Erinnerungsfeier zu veranstalten; möge auch die gastliche Stadt Eisenach dazu freundlich einladen! Zwar haben sich inzwischen die Reihen der damaligen Festgenossen gar sehr gelichtet, auch Scheidler, der Burgvoigt von 1817, der Fahnenträger beim Burschenschaftsjubiläum, der „eifrige, ewige Jüngling von Jena“, der sein ganzes Leben der vaterländischen und volksthümlichen Bildung der deutschen Jugend gewidmet hat, ist vor Kurzem abgeschieden, ohne daß ihm vergönnt gewesen wäre, das Burschenschwert zum zweiten Mal zu führen. Noch leben aber zahlreiche Festgenossen des Wartburgfestes in Nord- und Süddeutschland, in der Schweiz und jenseit des Meeres. Freudig werden sie sich bei der Erinnerungsfeier nach langer Trennung wieder in die Arme sinken und jener goldenen Jugendzeit, jener erhebenden Festtage gedenken. Mit Stolz und ohne zu erröthen dürfen sie den Rittersaal wieder betreten, sich mit höherer Freude in’s Auge schauen und mit Carové sagen: „Wir hatten den Geist unsers Volks verstanden und, was er damals von uns gefordert, soviel an uns war, erstrebt und vollbracht!“

Und nur die Alten allein? Nein! neben ihnen erscheine am festlichen Tage die lebensfrische, fröhliche akademische Jugend von all’ den deutschen Universitäten. Im Jahre 1857 schrieb das Morgenblatt über die Zahmheit und Lahmheit der jetzigen Studirenden: „O Wartburg, Wartburg, auf deren Höhen die Väter einst ein Feuer geschürt, daß die Lohe davon weithin den deutschen Himmel röthete, in deren Hallen sie ein deutsches Wort geredet, daß davor die Fürsten erschraken, von deren mächtigem Feste der Dämon des Wahnsinns ausging, der Vaterlandsverräther suchte und eine sonst treue Hand zum Morde trieb, wie wirst du dich freuen, wenn die Musensöhne unserer Tage zu dir kommen![WS 2] Sie werden harmlos und heiter deine Gastlichkeit und deine schöne Fernsicht genießen; sie werden dein restaurirtes Alterthum mit Kunstsinn bewundern; sie werden artig französisch sprechen mit den Franzosen, und keinem wird es gelüsten, die Hand eigenmächtig gegen Vaterlandsfeinde zu erheben! O Deutschland, wie viel hast du einst von der Kraft und Begeisterung deiner Jugend gehofft, – und wie viel von ihr gefürchtet! Du hast jetzt nichts mehr zu fürchten!“

Nun wohl, ihr deutschen Studirenden, zeigt denn beim Erinnerungsfeste 1867, wie unbegründet die spöttischen Urtheile über die Richtung und Denkart der jetzigen akademischen Jugend sind, zeigt, wie auch ihr von Vaterlandsbegeisterung durchglüht und den Vätern nachzueifern bestrebt seid, und daß von euch, der jungen, frischen Kraft, das Vaterland die endliche volle Ernte des vor fünfzig Jahren ausgestreuten Samens erwarten darf!

Und nur die alten Burschenschaften? nur ihre jungen Epigonen? O nein, nein! Jene Zeit, die bloß das Samenkorn barg, hat schon bis jetzt reiche Frucht getragen und verspricht für die kommenden Tage noch reichere Frucht. Wir leben bereits inmitten einer großen deutschen Burschenschaft. Jeder deutsche Mann, jeder Bürger, dessen Herz für die große Sache der Einheit und Freiheit des noch immer ungeeinten, jetzt in drei Theile zerrissenen Vaterlandes schlägt – weß Standes und Berufs er auch sei – sei herzlich willkommen, auf daß das Erinnerungsfest eine wahre, würdige Erinnerungsfeier des ersten deutschen Nationalfestes, selbst ein wahres Nationalfest werde! Ihre Betheiligung sei uns Bürgschaft für die endliche Erreichung des großen nationalen Ziels. Möge dies dem Vaterland und der Menschheit gewidmete Blatt ihnen, wie vor zwei Jahren beim großen Burschenfeste, so auch heute bis weithin an den Rhein und zu den Alpen, durch den „norddeutschen Bund“ wie durch Süddeutschland und Deutsch-Oesterreich hin bis an das Meer und über das Meer den Gruß bringen, zum Feste echt brüderlicher, deutscher Einigung, und mögen sie dem freundlichen Ruf fröhlich Folge leisten! Frisch auf denn!

Frisch auf! frisch auf zur Burschenfahrt,
Ihr Jungen und ihr Alten,
Wir wollen dort nach unsrer Art
Den großen Festtag halten!




  1. Es entstand bald nach dem Feste in Jena ein Steindruck, auf welchem von einem geschickten Künstler der Augenblick aufgefaßt worden war, wo Rödiger am Feuer und beim Fackelschein seine Rede hielt. Hier war die Mehrzahl der Hauptgestalten äußerst glücklich und erkennbar wiedergegeben: Rödiger, Ed. Dürre, Riemann, Scheidler, Maßmann, Binzer u. A., im Hintergrunde auf jenem oben erwähnten Korbe mit einer Flasche Wein in der Rechten der jugendliche Heinrich Leo. – Sollte sich nicht irgendwo ein Exemplar des Bildes erhalten haben?

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: unter
  2. Vorlage: kommdn