Das Röslein (Löhr)

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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Das Röslein
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 28–50
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Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
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[28]
4. Das Röslein.

Es lebte ein reicher, reicher Kaufmann im Morgenlande, der ein recht sehr lieber und guter Mann war, und Hali hieß.

Der Kaufmann hatte drei schöne Töchter, die hießen Kadidja, Zemire und Sumi, Sumi war aber die jüngste und schönste [29] und auch die sanfteste und bescheidenste und offen und fröhlich, darum sie denn der Vater am liebsten hatte. Die beiden andern Mädchen aber waren über die maßen hochmüthig und herrschsüchtig und verachteten andere Mädchen die weniger Geld hatten als sie, und darum hatte sie im Hause kein Mensch lieb, und in der Stadt auch Keiner.

Der Kaufmann that alle Jahre mit seinen Knechten und Kameelen eine große Reise, wo er kostbare Waaren in andere Länder brachte, und kaufte dafür wieder andere herrliche Waaren ein, die selten und theuer waren, und an welchen er zu Hause sehr viel Gewinn hatte. Also wurde er immer noch reicher. Es dauerte aber solch eine Reise wohl ein halb Jahr und drüber; und wenn der Kaufmann dann wieder nach Hause gekommen war, legte er den Töchtern seine Waaren aus, damit sie sich Eins und das Andere Stück zum Geschenk aussuchen möchten. Da wählten sich die beiden Aeltesten allemal recht kostbare Dinge, Kleider und Schmuck, die recht in die Augen fielen und weithin schimmerten und glänzten, und sollten Neid erregen bei ihren Freundinnen; aber Sumi meinte, von solchen theuren Dingen würde man nicht froher und beßer, und bat sich meist nur ein Paar Kleinigkeiten aus, und die Schwestern dachten dann und sagten es ihr auch, sie sei ein recht dummes Ding, das nicht wiße, was schön sei, aber Sumi kehrte sich wenig daran und konnte wohl gar darüber lachen.

Als nun einsmals der Vater wieder fortreisen wollte, sagte er zu den Töchtern: „Von den Waaren, die ich zurückgebracht habe, ist Euch beiden Aeltesten immer keine gut genug gewesen, drum saget an, was ich Euch mitbringen soll und du Sumi sollst mir auch sagen, was du gern hättest.“

Da forderten die ersten Perlenhalsbänder und diamantene Ohrringe, und Kleider mit Gold und Silber durchwirkt und kostbare [30] rothe Schawls, wohl tausend Thaler an Werth, die weit hin flammten und leuchteten; Sumi aber sagte: „Du lieber Vater, so prächtige Dinge machen mich nicht froh; bring mir aber ein schönes, ein recht schönes Röslein mit, mit ein Paar Knospen daran.“ Mit Vaterfreuden sahe Hali auf sein bescheidenes Kind.

Er zog fort, zog dahin und dorthin, und was die ältesten Töchter sich gewünscht hatten, das hatte er leicht gefunden und hatte viel Gold dafür gegeben, und hätte gern dreimal so viel gegeben, wären sie nur dadurch innerlich recht glücklich geworden; aber das Röslein für Sumi konnt er so leicht nicht finden. Rosen waren überall genug da, aber so schön, so wunderschön, als er es so gern für seine liebe Sumi gehabt hätte, konnt er keins finden, und fand sich auch eins, so wußte er nun nicht, wie er es sollte bewahren, damit es ihm nicht auf dem langen Heimwege verwelke.

Als er auf dem Heimwege weiter und weiter kam, war die Rosenzeit lang schon vorüber, und der Vater war so betrübt darüber, daß ihn all das viele Geld nicht erfreuen konnte, welches er auf dieser Reise gewonnen hatte. Wo sollt er nun ein schönes Röslein für Sumi hernehmen, da es schon Herbst geworden war, und der Wind schon viel rothe und gelbe und bleiche Blätter von den Bäumen herabwehete und manche derselben schon kahl waren.

Hali zog weiter und weiter und fand keine Rosen, sondern immer mehr kahle Bäume und Hecken. Aber einmal eines Mittags, wo die Sonne sehr heiß brannte, kommt er in eine Gegend, wo alle Bäume und Hecken noch blüheten und grünten und klare, frische Quellen rieselten da und dort, und die ganze Gegend war ein großer Garten. Da verwunderte er sich und ließ die Kameele und Pferde und die Knechte ruhen, und er selbst wollte in dem Garten lustwandeln.

[31] „Wie ist denn hier, sagte er zu seinem treuesten und erfahrensten Diener Jusuf, wie ist denn hier Alles so anders, als überall, woher wir gekommen? „Hier sind ja Frühling und Sommer beisammen.“

„Ja Herr, antwortete Jusuf, das ist ja auch Herr Mordis Garten, und sagte das so leise und bedenklich, als könnt es gefährlich sein darüber zu sprechen.

„Wer ist Mordi?“ fragte der Herr; aber der Diener bat ihn gar sehr, jetzt nicht weiter zu fragen; es sei hier nicht an der Zeit und gar nicht geheuer. Wenn sie nur erst aus dem Garten wären, dann wolle er ihm Alles erzählen.

Hali lächelte, und indem er durch den Garten lustwandelte, sagte er: „Du treuer Alter hast gewiß einmal wieder Mährchen im Kopfe, und trägst Angst, wo es nicht noth ist;“ aber Jusuf bat ihn nochmals mit einer Art Heimlichkeit und Schüchternheit jetzt zu schweigen, und zeigt ihm hinten ein herrliches glänzendes Schloß, und sagte: „dort wohnt er!“

Viel schöne Blumen standen an den Wegen im Garten, aber kein Röslein. Endlich fand er doch ein, eben erst aufgeblühetes mit 2 schönen Knospen – es war das einzige im Garten, und so schön, als er noch keins gesehen hatte; das wollte er für Sumi brechen und in feuchtes Moos einpacken, damit es die zwei Tagereisen frisch bliebe, die er noch bis nach Hause hin hatte. Aber Jusuf fiel vor ihm auf die Knie und flehte: „brecht nicht, lieber Herr, brecht nicht! Ihr brecht Euch selber den Tod! Herr Mordi leidet es nicht, daß man ihm nur ein Gräslein abrupfe.“

„Narr! sagte Hali unwillig, ich kann die Rose mit Golde ja zehnfach aufwiegen.“ Er hörte nicht mehr auf das Flehen des treuen Dieners und brach die Rose, und ergötzte sich dran und freuete sich, [32] und als er sie einige Augenblicke in Händen gehabt, verwies er dem Jusuf seinen Glauben an Mährchen.

„Eilt aus dem Garten, Herr, eilt! eilt!“ bat Jusuf, und hatte kaum die Worte gesprochen, als die Diener und Knechte keuchend und mit Entsetzen von verschiedenen Seiten herbei liefen und schrien – „Es kommt! – Kommt, rettet Euch! – lange Ohren! – – Feueraugen! schrecklichen Rachen mit langen Zähen! – – stehn aus dem Maul weit hervor! – – Zunge hängt zum Halse hinaus! Rettet Euch!“

Jetzt brüllte es fürchterlich, und in Einem Augenblicke stand ein schwarz schuppigt Ungeheuer da, mit Schlangenschwanz und Drachenkrallen, und langen Zähnen und hervorhängender Zunge und Schlappohren[1] und mit Hörnern auf dem Kopf.

Jetzt wollte Hali sich retten, aber vor Entsetzen konnte er nicht von der Stelle. Im Augenblick hatte das Ungeheuer seinen Schwanz um den Kaufmann geschlungen und ihn mit zwei Krallen mörderisch bei den Achseln gepackt, und sahe ihm mit seinen Flammenaugen blutlechzend ins verblaßte Gesicht.

„Hast mir mein Röslein gebrochen, sagte es mit dumpfen Gebrülle, dafür brech ich dir den Hals!“

Was half dem Hali sein Jammern und Wimmern; was halfs, daß er dem Unthier erst zehn, dann zwanzig und zuletzt alle seine hundert Kameele mit ihrer Ladung zur Lösung anbot, das Ungeheuer wurde nur noch grimmiger und drückte ihm die Krallen noch schmerzlicher und tiefer ein, und sagte: deines Bettels bedarf ich nicht, ich hab deßen tausendmal mehr denn Du? Löse Dich beßer, und gib mir Sumi, deine Jüngste, zu eigen, für welche du das Röslein brachst. Und als der Kaufmann abermals bitten wollte, schlug ihm das böse Ungeheuer die Kralle in den Hals und knirschte mit den [33] Zähnen. Da sagte in der entsetzlichen Angst Hali sein liebes Töchterlein dem Unthiere zu, und mußte ihm schwören mit einem großen Schwur ihm daßelbe am dritten Tage zu geben, wo er es durch seine Diener werde abholen laßen.


Trauernd zog Hali nach Hause und der treue Jusuf trauerte mit ihm, denn er liebte seinen guten Herrn. Mit einem Gesicht voll des allertiefsten Jammers trat Hali in sein Haus ein und grüßte die Töchter und drückte Sumi zweimal an sein Herz. Sie sahen es wohl, daß den Vater Etwas tief bekümmere, aber die beiden ältesten Töchter kümmerte es wenig, denn sie waren nur gierig nach den Geschenken und konnten die Zeit nicht erwarten, bis sie dieselben in Händen hatten. Sie bekamen, was sie gewünscht hatten, und noch viel Schönes mehr, denn der Vater ließ sie noch aussuchen, was ihnen von seinen kostbaren Waaren gefiel. Darüber beachteten sie nicht, wie betrübt des Vaters Angesicht aussahe, und als sie sich mit den kostbaren prächtigen Dingen nun putzten, vergaßen sie es ganz und gar und sprachen nur davon, daß sie nun viel schönere Sachen hätten als die Töchter des Fürsten, und daß sich alle vornehmen Mädchen vor Neid über sie ärgern würden. Ja wohl! wenn man so gesinnt ist, denkt man an Vaters Kummer und Mutter Thränen nicht!

Sumi hatte ihr Röslein bekommen und war wohl kindlich froh darüber und dankbar, aber sie sahe des Vaters inneren Jammer und fragt ihn, was ihn betrübe? und bat ihn nicht traurig zu sein.

„Ach du armes Kind, sprach der Vater, „du wirst es noch früh genug erfahren, was mich bekümmert; aber hole doch jetzt deine Gespielin, dein liebes Besenstielchen. Sumi holte es gleich. Es [34] war ihre liebste Gespielin aus der Nachbarschaft, die nicht oft genug bei ihr sein konnte, obwohl sie nur das Kind eines Besenbinders war, denn es war ein gar sehr liebes Kind, welches der Sumi auch recht ähnlich sahe. Hali hatte, wie immer, auch dießmal dem Besenstielchen hübsche und nützliche Geschenke mitgebracht. Die gab er ihm, als es Sumi geholt hatte.

„Ach Vater! sagte Sumi, ich bin so froh, daß du mir das schöne Röschen gebracht, welches so lieblich riecht, als wären alle duftenden Blumen der Welt darin, und hast nun auch mein liebes Besenstielchen beschenkt. Aber nun sag auch, was dich so traurig macht, sonst kann ich ja auch nicht vergnügt sein.“

„Armes, armes Kind! einmal mußt du es doch erfahren!“ Da erzählt ihm der Vater Alles, was sich in dem Garten begeben hatte, und wie übermorgen Herr Mordi seine liebe Sumi würde holen laßen, gewiß um sie aufzufreßen!

Ach! sagte Besenstielchen, Ihr armer Herr Hali; dort in Mordis Garten habt ihr das Röslein gebrochen, wo die Blumen immerdar blühn? Ja, wer das thut, der ist ihm zu eigen verfallen, und wird von ihm gefreßen, wenn er sich vor ihm fürchtet. Nein, da soll die liebe Sumi nicht hin, denn die würde sich gewiß vor ihm fürchten.“

Als Hali fragte, woher es das wiße? antwortete Besenstielchen, es wiße das Alles von der Großmutter, deren Aeltern hätten nicht weit von Herr Mordis Garten gewohnt, und die Großmutter hätte ihm so viel davon erzählt, daß es ihm vorkäme, als sei es schon lange mit Herr Mordi bekannt. Es wolle hin zu ihm, und der würde viel davon wißen, ob es Sumi sei oder nicht.

„Ach gutes Kind, sprach Hali, das kann dein Vater nicht zugeben;“ aber Besenstielchen antwortete, daß der Vater ja noch zehn [35] Kinder und die alten Großältern zu ernähren habe, und sei oft kein Krümchen Brodt im Hause; der würde es gerne sehen, wenn er ein Eßmaul los würde.“

Besenstielchens Vater gab es zu, denn er meinte sein Kind würde sich mit Herr Mordi schon durchhelfen und könne bei ihm vielleicht sein Glück machen, und sie Alle einmal aus der Noth ziehen.

Das war nun Alles richtig und Herr Mordi gab Besenstielchens Vater viel Geld und Gut.


Als am dritten Tage in aller Frühe Besenstielchen wie Sumi angekleidet war worden, kam eine herrliche Kutsche mit prächtigen Pferden und mit Läufern und Dienern und einer jungen Kammerdienerin und holten Besenstielchen ab.

Herr Mordi wartete ihrer am Thore des Gartens, und seufzte: „Ach wenn sich nur das liebe Kind nicht fürchtet, sonst muß ich es ja zerreißen, weil mich die böse Mutter also verwünscht hat, daß ich muß. Darüber bin ich nun schon neunhundert Jahre ein Ungeheuer.“

Indem er so seufzte und klagte, kam die Kutsche an und Besenstielchen stieg aus; aber stracks waren die Menschen in Affen und Pudel verwandelt und die Kammerdienerin in ein schönes Misekätzchen. Da verwunderte sich Besenstielchen und fragte: „Seid Ihr denn nicht eben erst Menschen gewesen?“ und die Pudel bellten: Wau, wau! Das Kätzchen schrie: Miau; und die Affen wackelten mit den Köpfen und schnitten seltsame Gesichter, und alle nickten mit den Köpfen; das sollte denn heißen: Ja, ja!

Jetzt kam Herr Mordi. Besenstielchen überlief es mit heimlichen Grausen, indeßen hatte es sich ihn wohl tausendmal nach der [36] Beschreibung der Großmutter also vorgestellt, wie es ihn jetzt sahe und faßte sich desto leichter.

„Fürchtest dich doch nicht, Kind? fragte Herr Mordi; mußt dich ja nicht fürchten!“

„Ich fürchte mich auch gar nicht ein Bißchen. Was sollt ich denn fürchten?“ antwortete Besenstielchen.

„Aber wenn ich dich nun mit meinen großen Feueraugen ansehe, dann doch?“ „Gar nicht, antwortete Besenstielchen; deine Augen sind lange so groß und feurig nicht, als unser Heerdfeuer, oder als das Feuer in Nachbars Schmiedeeße.“

„Aber meine langen Schlappohren? meine großen Zähne?“ „O, sprach Besenstielchen, ich habe einen Elephanten gesehen, der hatte viel längere Schlappohren als du und viel größere Hauer.“

„Das ist ja sehr gut, Sumi, sagte Herr Mordi. Komm nun! ich will dir den Garten zeigen und das Schloß, da wirst du viel schöne Sachen sehen, die ich dir schenken will.“ Damit wollt er sie mit seiner Kralle anfaßen und führen. Sie aber sagte: Bleib mir ein Bißchen vom Leibe, Herr Mordi; fürchten thue ich mich gar nicht vor dir, aber du bist mir zu häßlich.“

Herr Mordi seufzte und blieb dem Mädchen einige Schritte vom Leibe, und zeigte ihm vielerlei Schönes.

„Aber ich sehe ja keine Menschen, sagte Besenstielchen. Hast du denn keine Kinder zum Spielen für mich?“

„Alles Schöne und Liebe sollst du haben, mein Kind, sagte traurig Herr Mordi, und Alles was dein Herz nur begehrt, aber Menschen nicht. Ach das ist es ja eben, du hast ja gesehen, was aus dem Menschen hier wird.“ – Thiere, die klug sind wie Menschen, und thun Alles, was du verlangst, aber sie haben keine Menschengestalt und Sprache.“

[37] Als er sie so umherführte, kamen sie in ein schönes kühles Birkenwäldchen. Da vergaß sich Besenstielchen und rief: „Ei was sind das für schöne Birken! Wie viel Besen könnte mein Vater binden, wenn er die hätte!“

„Wie? sagte Herr Mordi verwundert; du bist also Besenstielchen, des Besenbinders Tochter, aber nicht Sumi, des Halis Tochter?“

Die Kleine wollte sich herausreden, aber das ging nicht, denn sie hatte schon zu viel gesagt, und konnte gar nicht läugnen, wer sie sei, zumal da sie das Röslein nicht hatte, welches Hali für seine Sumi brach, und welches, wie Herr Mordi sagte, niemals verwelke.

Herr Mordi ließ seinen Wagen, seine Pferde und Diener kommen, und befahl Besenstielchen sogleich zurückzubringen.

„Besenstielchen, sagte er, hüte dich wieder zu kommen, denn das wäre dein Unglück; aber dießmal magst du frei zurückgehen, weil du aus Liebe zur Sumi mich hast wollen betrügen, und darum sollst du auch das Gold haben, welches du im Wagen wirst finden. Sage dem Hali, weil auch Er mich hat wollen betrügen, soll ers mit schwerer Krankheit büßen.“

Wie erschrak Hali, als Besenstielchen wieder kam, und einer von Mordis Dienern ins Haus trat und Sumi forderte, und mitnahm. Jammernd schrie ihr der Vater nach und streckte seine Hände nach ihr aus. Die ältern Schwestern aber machten sich nichts daraus, daß Sumi fort mußte, und auf des Vaters Jammern achteten sie nicht, wohl aber auf die schönen Pferde, die wie Pfeile dahinschoßen, und auf den Wagen, der wie von Gold und Edelstein schimmerte. Ja! meinten sie, wenn sie dergleichen einmal haben sollten, da wären sie vollkommen glücklich und wollten nach der ganzen Welt [38] nichts fragen. Aber um des Vaters Schmerz kümmerten sie sich wenig, und unter sich sagten sie: „Was heult denn der Vater nur um die dumme Gans? An der ist ja gar nichts gelegen. Wenn sie auch Mordi frißt, was machts denn?“ Und wenn der Vater ihnen klagte, wie unglücklich er sei, warfen sie ihm vor, er sei ja selbst Schuld daran, weil er die Rose für sein Herzblättchen durchaus habe abbrechen müßen.

Der Vater hätte diese Häßlichen aus dem Hause stoßen sollen, aber er war viel zu gütig und sanft. Doch klagte er den harten Herzen sein Leid nicht mehr, sondern nur noch dem treuen Jusuf, der mit ihm weinte.

Sumi, die sich von Besenstielchen hatte erzählen laßen, wie es ihm bei Mordi ergangen war, gewöhnte sich bald an Herr Mordi und fürchtete sich nicht vor ihm, und Herr Mordi war so gut gegen sie, und merkte auf Alles, was ihr Freude konnte machen. Das artige Misekätzchen war immer bei ihr, half ihr beim Anziehen, ging mit ihr in den Garten, haschte ihr schöne Vögel, biß sie aber nicht, sondern brachte sie der Herrin, welche die Vögelein besahe und nach ein Paar Augenblicken wieder frei ließ; die Pudelhunde aber und die Affen thaten gern und gleich, was Sumi nur wünschte, und brachten und trugen wieder fort, wie sie es verlangte.

Da hätte Sumi wohl können glücklich und froh sein, aber den Vater konnte sie ja nimmer vergeßen, das machte sie dann traurig, und an Mordi konnte sie sich auch nicht gewöhnen. Ja! sie war ihm im Herzen wohl gut, weil er so liebreich und sanft war, aber seine Gestalt war gar zu widrig und abschreckend, und wenn er sie zuweilen recht flehend bat, ihn nur ein wenig, ein ganz klein wenig zu streicheln, da überliefs ihr die Haut und sie vermocht es nicht.

[39] So hatte sie lange Zeit bei Herr Mordi gelebt, und da dachte sie einmal so recht innig daran, daß sie nun so gar nichts von dem herzlieben Vater wiße, nicht wie es ihm ergehe, und daß er sich gewiß um sein liebes Kind grämen werde, denn er werde wohl denken, es sei entweder gefreßen, oder es gehe ihm recht übel. Darüber weinte sie sehr.

Als sie nun so, betrübt bis in den Herzensgrund, weinte, trat Herr Mordi in ihr Zimmer und brachte ihr ein Körbchen voll der schönsten Blumen und Früchte, und sahe sie mitleidig an und fragte: „Was weint denn meine Sumi? Will dir es denn hier gar nicht gefallen?“

„Es gefiele mir Alles wohl recht gut, antwortete sie, aber ich weiß ja nicht, was der arme Vater macht; der hat sich vielleicht schon um mich zu Tode gegrämt?“

Da rief Herr Mordi einen Pudel, der mußt ihm seinen Spiegel bringen, den hielt er Sumi vor, und sagte: „denk nur an den lieben Vater, so wirst du sehen, was er macht.“

„Da sahe sie des Vaters Haus und kannte Alles wieder, und was im Hofe, Hause und Garten war, zog vor ihren Augen vorüber; der treue Hofhund; die Knechte, die in die Ställe gingen zu Pferden und Kameelen; die Diener, die den Handel besorgten mit allen Waaren, und viele andere Dinge. „Aber wo bist du denn, Vater?“ rief sie.

Da war er in einer Gartenlaube, wo er traurig saß, bleich und abgemattet, und nur Jusuf war bei ihm, der treue Knecht, und als er aufstehn wollte, mußte er an Krücken schleichen, und der treue Jusuf half ihm dabei.

„O! ist denn keine von den Schwestern da, den kranken Vater zu warten?“ rief sie; wo sind sie denn?“

[40] Da zeigte ihr der Spiegel die Schwestern. Sie waren an einem Badeorte, weit von des Vaters Wohnung, und tanzten im wilden Tanze durch lange beleuchtete Säle. Dann eilten sie zu Tische, wo sie sich mit vielen Andern drum herum setzten, und nahmen große Hände voll Gold und legten es auf den Tisch, und Einer hatte einen größern Haufen von Gold und einen großen Haufen Blätter mit wunderlichen Bildern, die vertheilte er unter die Uebrigen.

„Da spielen sie; sagte Herr Mordi, und deine Schwestern, die den armen Vater Vater sein laßen, sind mit dabei, denn sie sind überall, wo es Spiel und Tanz gibt und bekümmern sich um den Vater gar nicht. Er hat Niemand als den Arzt und den treuen Jusuf, die ihm aber doch nicht helfen können.“

„Ach! wär ich nur bei dir, du lieber kranker Vater, schluchzte Sumi überlaut, ich wollte dich warten und pflegen, und solltest du wohl wieder genesen! Ach wär ich nur bei dir, aber“ – – – –

„Diener laßt anspannen,“ rief plötzlich Herr Mordi seinen Pudeln, und Sumi sagte: „Willst du denn auch fort, Herr Mordi, und ich soll ganz allein sein, und Keinen haben, der mich tröstet?“

„Du gutes Kind! sagte Herr Mordi, Ich will nicht fort, und ich kann auch nicht, aber Du mußt ja fort; dich verlangts ja nach dem kranken Vater so sehr. Es ist im Wagen Alles, was du an Kleid und Schmuck, oder an Geschenken für Besenstielchen, oder für wenn du willst, etwa gern haben möchtest. Aber die Hauptsache ist dieses Fläschchen. Darin ist Thau von dem Lebensbaume, mit welchem du den Vater vom Tode erretten sollst, aber du sollst mich auch damit einmal erretten, darum verbrauch ihn nicht ganz, wenn ich dir werth bin. Grüße den Vater und vergiß mein nicht! Sechszig [41] Tage darfst du aus sein, aber komm lieber einen Tag früher wieder! Ich bitte dich vergiß mein nicht!“

Da gelobte Sumi, sie wollte ihn nimmer vergeßen, und könnt es auch nicht, da er gegen sie und gegen den Vater so gut sei.

„Halte Wort, Sumi, halte Wort! nimm den Zauberspiegel mit und sieh um den dritten Abend vor Schlafengehen hinein und siehe nach mir, und wenn du mich krank siehst, dann eile mit dem Balsamthau zu mir. Wiße; wenn du um den dritten Tag nicht nach mir siehst, so schrumpfe ich unter unaussprechlichen Schmerzen um Etwas zusammen, und wenn das zwanzigmal geschehen ist, so bin ich ganz hin. Ach, Sumi, vergiß mein nicht!“

Da gelobte ihm Sumi noch einmal, sie wollte ihn fürwahr nicht vergeßen, nahm den Zauberspiegel und stieg in den Wagen, und Misekätzchen sprang auch mit ein, und sie sagte Herrn Mordi: „Leb wohl!“ und sagte auch weinend: „Es thut mir recht leid, daß ich dich nun soll so allein laßen; aber ich will recht oft nach dir sehen. Damit gab sie ihm die Hand ein ganz klein wenig, denn Herr Mordi war ihr schon lange immer weniger häßlich vorgekommen, je mehr er so gut gegen sie war. – Das geht aber meistentheils fast immer so.


Aber wie wars indeßen dem armen Hali ergangen?

Wo seine ruchlosen Töchter waren, wußte er nicht, und um seine Sumi grämte er sich, und ward krank und elend, und wäre in seiner einsamen Bekümmerniß vergangen ohne Jusuf und den treuen Arzt. Auch die Diener bekümmerten sich wenig um ihn, weil sie dachten, lang könnts doch mit ihm nicht mehr dauern, und dann könnt er ihnen weiter nichts helfen.

[42] Alle Tage wurde es schlimmer mit Hali, und einstmals sagte derselbe, mich träumt immer von einem himmelblauen Balsam, der mir alle Glieder durchströmt, und von dem ich wie neu verjüngt würde, wenn ich nur ein wenig davon hätte; aber so einen Balsam gibts denn wohl nicht!“

„Freilich gibts einen solchen, sagte der Arzt, und möchte der Euch allein wohl helfen können, aber wie sollen wir ihn denn erlangen? Er fließt aus den Blättern eines Baums, der einzig und allein in Mordis Garten steht, und haben ihn viele holen wollen, aber das Leben dabei eingebüßt.“

Als Hali das hörte, wollte er verzweifeln, nicht weil er bald sterben müßte, sondern weil er so gern noch Gewißheit über Sumi gehabt hätte. Ihm war es immer, als müße sie noch leben, obwohl er sich so sehr grämte, als wäre sie schon gestorben.

Der Arzt rief alle Diener Halis zusammen, und fragte: „Euer lieber, guter Herr, der Euch viel Wohlthat hat gethan, ist nun recht sehr krank, und ich weiß nicht, ob ich ihn werde am Leben erhalten. Es gibt aber noch ein Mittel ihn gewiß zu erretten, wenn ich nur wüßte, wer ihn von Euch am allerliebsten hätte?“

Da wollte ihn Jeder am allerliebsten haben und sein Leben für ihn laßen, wenn es Noth hätte. Das sagten sie Alle, aber Jusuf schwieg. Noth hätte es denn eben, meinte der Arzt, und das Leben müße freilich gewagt werden. Er sagte ihnen, ihr lieber Herr sei nur durch den Thau vom Lebensbaume zu retten, der in Mordis Garten stehe, und fragte, wer ihn den holen wolle?

Da hatten sie tausend Ausreden. Der Eine meinte: Ja! wenn er nur gewiß wüßte, daß der Thau hülfe, wollt er denselben schon holen, und sein Leben dran wagen; aber als der Arzt sagte, der Thau helfe gewiß, sprach er, das könne er nicht glauben. Der [43] Andere hatte gar zu nöthig im Hause zu thun, und konnte nicht abkommen; der dritte sprach: Er wolle den Herrn wohl aus 20 und noch mehr Mördern und Räubern heraushauen, wenn es sein müßte, aber mit dem Mordi möge er nichts zu schaffen haben, das sei ein grauwaltiges Ungeheuer. So hatte ein Jeder eine andere Ausrede. Und als der Arzt ihnen nun recht beweglich wollte zureden, sagten sie zu ihm, er sei ein Narr, und sollte sie ungehudelt laßen; und möchte lieber selbst hingehen und den Thau holen, obwohl sie recht gut wußten, daß er den Herrn nicht durfte verlaßen, wenn der nicht stracks sollte sterben. Und da er nun nicht aufhörte zu bitten, wurden sie wild und drohten ihm die Jacke auszuklopfen, wenn er das dumme Maul nicht halte.

Da sahe der Arzt wohl, daß all sein Reden und Bitten nichts fruchte und ließ sie gehen. Jusuf aber war da geblieben und hatte immer geschwiegen.

Als die Andern nun weg waren, sagte er zum Arzte: „Herr, lehrt mich den Baum kennen und sagt, wie er aussieht und wie ich den Thau muß bekommen? – Ich will gehen und ihn bringen, wenn ichs vermag?“

„Du? du treue Seele du? rief der Arzt, du bist ja so alt und matt, und bist dem Herrn so nöthig; er hat ja Keinen als dich!“

Jusuf sagte, er wolle gehen und die Paar Jahre seines Lebens, die ihm noch möchten beschieden sein, für den Herrn gern dran setzen.

Derweil sie beide davon noch hin und her redeten und Jusuf sich unterweisen ließ, wie er den Thau für seinen Herrn erlangen möchte, raßelt eine Kutsche mit Leuten daher. Das war Sumi.

„Ach! rief Jusuf, du kommst eben recht, den guten Vater [44] noch einmal zu sehen; denn wer weiß, ob ich den Lebensthau erlange, den ich ihm holen will?“

„O! bleib nur, du treuer Jusuf, rief Sumi, den Lebensthau bring ich ja mit; den hat mir Herr Mordi gegeben!“

„Habt Ihr den Lebensthau? sagte der Arzt, o dann ist Alles gut! Zeigt ihn mir, ob er es ist? – Ja, er ists! er ists! sprach er, da er ihn gesehen und ein Paar Tropfen versucht hatte. Er ists! Bleibt aber jetzt hier Sumi, damit, wenn der Vater Euch sieht, er nicht vor Freuden sterbe.“

Ein neues Leben durchströmte Halis Adern, als er nach und nach ein Schälchen des himmelblauen Thaues genommen hatte. Er war wie verjüngt, und als nun Er und Sumi sich einander in den Armen lagen, da waren beide seelig!

Zwei Monate sollten die Feste dauern, die Hali in seiner Freude aller Welt geben wollte, und sollten so glänzend und herrlich sein, als sie kein Fürst geben konnte.

Sumi, in der Freude beim Vater zu sein und auch bei Besenstielchen, und in dem Rausche von Festen, die den Kopf betäuben und darum vergeßlich machen, hatte nicht daran gedacht in den Zauberspiegel zu schauen, wie es dem einsamen Mordi ergehe. Darüber waren viel Tage vergangen.

Da sagte eines Abends Käthchen, die Kammerdienerin, die in Mordis Garten nur das Misekätzchen war: „Nun ist es bald an der Zeit, daß wir zurückeilen, wenn wir Herr Mordi noch wollen am Leben finden.“

Da erschrack Sumi und rief: „O der arme, arme Mordi! o der undankbaren Vergeßlichkeit!“

Sie sahe in den Spiegel. Da lag Herr Mordi kläglich und elend im Garten und war fast zu einer bloßen Haut zusammengefallen, [45] und es war, als ob sie in seinem Gesichte lesen könnte, und stände darauf geschrieben: ach Sumi! du hast mein vergeßen; nun muß ich elend sterben!“

Das Mädchen erblaßte. „Käthchen nimm den Lebensthau; wir müßen gleich in der Nacht fort, ohne Abschied, der uns nur aufhielte. Mordis Leben ist in Gefahr!“

Da ging es gleich fort, denn die Pferde waren immer den Augenblick angespannt, wenn man es wünschte. Niemand aber wurde die Abreise inne, denn es lag Alles tief im ersten Schlaf.

Als nun Sumi wieder in den Garten war angekommen, suchte sie Herr Mordi, und konnt ihn nicht finden. Sie schrie in großer Angst: „Mordi! ach lieber Mordi, wo bist du?“ aber es antwortete keine Stimme. Da suchte sie wieder, da rief sie wieder, aber sie fand ihn nicht.

Da wollte Sumi verzweifeln und händeringend jammerte sie: „Ach er ist todt! Mordi ist todt! Nun bin ich auf immer untröstlich!“

Nach vielem Rufen und Suchen, sahe sie Etwas im Grase liegen, – sahe näher hin, und es war Herr Mordi, aber ganz klein geworden und zusammengeschrumpft und abgezehrt. Er lag, wie ohne Leben da. Sie aber kniete nieder zu ihm; da athmete er noch ein wenig und ächzte noch leise und sahe sie mit trüben traurigen Augen an.

„Armer! armer Mordi! sagte sie betrübt, stirb nicht! ich habe den Lebensthau; und indem sie es sagte, legte sie weinend die eine Hand an seinen Hals und streichelte ihn mit der andern den Kopf.

Da war aber Mordi plötzlich verschwunden, und es lag ein kranker Mensch da in Königskleidern.

Sumi fragte: „Was ist das? Wo ist Mordi?“

[46] „Ich bins; ächzte er schwach – Lebensthau!“

Jetzt füllte sie ihm etwas Lebensthau ein, und er erholte sich so, daß er die Flasche selbst nehmen und in kleinen Zügen trinken konnte, und als er Alles ausgetrunken, stand er da, ein schöner Jüngling gesund und blühend.

Jetzt waren beide glücklich, Sumi und Mordi. Mordi aber erzählte: seine Mutter habe viel böse Zaubereien getrieben, darüber hab er sie einmal gescholten, sie aber habe darauf einen Zauberspruch über ihn gesprochen, wodurch er zum Ungeheuer geworden. Da habe er die Menschen freßen müßen, die Etwas abgebrochen hätten in seinem Garten, und alle die Mädchen auch, die ihm zu eigen verfallen wären und sich vor ihm gefürchtet hätten. Nun sei er erlöst, weil sie ihn gestreichelt habe. „Ach liebe, schöne Sumi, ich will dir dankbar sein, so lang ich lebe. Ich bin nun ein Mensch, und alle meine Thiere sind auch wieder Menschen geworden. Aber ich bin auch ein König und habe ein großes Reich. O wenn du mich lieb haben und Königin werden wolltest, dann wäre ich erst recht glücklich. Dein Vater und Besenstielchen und der treue Jusuf müßten dann bei uns leben, und den bösen Schwestern möchte alles Geld und Gut des Vaters bleiben, sie würden doch nicht dabei froh; weil sie nicht gut sind. Wir aber wären glücklich.“

„O! antwortete Sumi, gut bin ich dir im Herzen schon lange gewesen, weil Du immer so gut und liebreich warst, nur deine Gestalt war gar zu sehr unhübsch. Nun aber will ich deine Königin gern werden, wenn es dich glücklich macht; denn du hast ja dem Vater das Leben erhalten!“

Da umarmte Mordi entzückt seine Sumi, und als die Diener daran wohl merkten, was vorging, machten sie vor Freuden einen greulichen Lärm in Schloß und Garten, und die, welche vorher Pudel [47] gewesen waren, bellten vor Lust mit drunter Wau! wau! und Kätzchen sagte vor Lust: Mau! Herr Mordi aber und Sumi hatten ihr großes Vergnügen daran.


Es war am andern Morgen sehr früh, als Hali erwachte und seine Sumi besuchen wollte, aber Sumi und Käthchen und Pferde, Wagen und Diener waren fort. „Ach! seufzte Hali, so hast du mich wieder verlaßen! aber wo bist du denn jetzt hin?“

Er suchte auf ihrem Zimmer und fand alle kostbaren Kleider und allen Schmuck, der Sumi gehörte, aber was half ihm das? sein liebstes Kind fand er doch nicht. Da fiel ihm aber ein wunderlicher Spiegel mit seltsamen Rahmen voll Bilder und unbekannter Zeichen in die Augen. Das war aber eben der Zauberspiegel, den Sumi in der Angst um Mordi vergeßen hatte.

„Ach, sagte Hali, könntest du mir zeigen, wo meine Sumi ist?“ und sahe in den Spiegel hinein. Da erblickte er sie, wie sie eben vogelschnell in den Garten einfuhr; er sahe sie angstvoll suchen; er sahe an ihrem Munde, daß sie Jemand riefe. Dann fand er sie bei dem abgezehrten Mordi und es war ihm, als ob er nun Alles verstehe, was sich begebe, und der gute Mordi dauerte ihn sehr. Aber als Sumi den armen Mordi streichelte und derselbe auf einmal ein Mensch ward und, nachdem er den Lebensthau getrunken, ein schöner blühender Jüngling da stand, und die Thiere auch zu Menschen geworden waren, da wußte er Alles.

„Ich muß hin, ich muß zu meinem Kinde hin!“ rief er, und erzählte dem Jusuf, was er im Spiegel gesehen hatte, und sagte, daß er bei Sumi bleiben und nimmer zu den bösen Töchtern wiederkehren wolle. Der treue Diener aber wollte auch mit und bei seinem [48] Herrn leben und sterben. Und Besenstielchen wurde geholt und gefragt, ob es auch mit wolle, und immer wolle bei Sumi bleiben? Das wollt es sehr gern, und sein Vater wollte es auch gern.

Da bestellte Hali einen treuen Wächter über sein Haus, und schrieb ein Paar Zeilen an seine ungerathenen Töchter, darin stand, sie möchten sich in Alles friedlich theilen; er käme nimmer mehr wieder.

Da fuhr er mit Sami und Besenstielchen und mit dem Zauberspiegel fort, und nahm sonst weiter nichts mit sich, und als sie in Mordis Garten ankamen, standen schon Mordis schnelle Pferde und Wagen bereit, alle drei zu holen. Das war nun aber nicht nöthig.

Da wars eine Freude! Da wars eine Seligkeit! die keines Menschen Mund aussprechen konnte. Sumi wurde Königin; Besenstielchen hatte auch ein Herz gefunden, das gut und treu war, und der alte Sami wurde von Allen geehrt und geliebt und sagte: „Ich lebe im Himmel!“ Darin lebten sie aber Alle, weil sie Alle gut waren.


Halis ältere Töchter schienen auch im Himmel zu leben, aber es war dennoch nicht wahr, sondern es schien nur so. Sie tanzten, sie spielten, sie saßen und aßen an herrlichen Tafeln, sie fuhren dahin und dorthin, sie konnten sich prächtig putzen und thaten das auch, aber sie waren nicht dabei vergnügt. Hatten sie im Spiel verloren, war ein anderes Mädchen öfter als sie zum Tanz aufgefordert, oder wurde als schön gelobt, oder hatte ein neues Kleid, das man hübsch nannte, das ärgerte sie heimlich sehr, und sie trugen [49] eitel Haß und Neid im Herzen. Das merkte Jedermann wohl und darum hatte sie Niemand lieb.

Sie erfuhren Sumi, die Schwester, sei wiedergekommen, herrlich und prächtig, und sei die Schönste im ganzen Lande. Da war es ihnen, als hätten sie Gift genommen; aber weil sie wußten, der Vater sei sterbenskrank, trösteten sie sich und sagten unter sich: der treibts nicht mehr lange, dann wollen wir das dumme Ding aus dem Hause werfen, und es soll nichts von der Erbschaft haben.

Als sie nun darauf hörten, der Vater sei wieder gesund und blühend wie ein Jüngling und gäbe herrliche Feste, wegen seiner Genesung und Sumis Wiederkunft, da erschraken sie, und wurden fast wüthend vor Grimm.

Da sie aber einen Boten bekamen, der Vater und Sumi seien fortgereist und wollten nimmermehr wiederkehren, und sie sollten sich theilen in all sein Gut; da freuten sie sich; aber es dachte schon Jede, wie sie es anfangen wollte das beste Theil zu erlangen und mehr als die Andere, und zankten sich auf dem Heimwege schon heftig, wer dieß oder das sollte haben.

Als sie nun zur Theilung kam, da ging das Elend erst recht an. Jede wollte haben, was die Andere begehrte, und da schimpften sie einander und wurden immer häßiger und feindseliger. Als aber Sumis köstliche Kleider und Juweelen zur Theilung kamen, die schöner waren, als sie auf Erden für alles Geld zu erkaufen standen, da brach die Wuth ganz aus. Keins wollte nur ein einziges Stück von den herrlichen Sachen laßen. Sie schimpften, sie schlugen sich und zerkratzten sich fluchend das Gesicht. Von nun an haßten sie sich tödtlich, verleumdeten sich und machten das Leben sich grundschwer.

Sie hatten, so lange der Vater lebte, Umgang gehabt mit den Töchtern des Fürsten, aber zu diesen durften sie nun nicht [50] mehr kommen, weil sie so schlecht sich betrugen. Man verachtete sie.

Da wollten sie nun zeigen, sie könnten wohl herrlicher leben als diese und hätten mehr Geld, und dazu wollte es die Aelteste der Jüngsten, und die Jüngste der Aeltesten an Pracht und Glanz zuvorthun, aber weil sie niemals etwas Nützliches gethan hatten, und hatten sich um keine Wirthschaft bekümmert und der Vater nicht mehr da war, der immer aufs neue erwarb, so waren sie in wenigen Jahren ganz zu Grunde gerichtet und wurden so arm, so sehr arm, daß sie ihre schönen Sachen verkaufen und hernach betteln gehen mußten.

Aber weil sie Jedermann verachtete und keiner bemitleidete, wollte man ihnen oft das Stückchen Brodt nicht einmal geben, und sie wären beinahe verhungert.

Da mußten sie aus Noth zum Lande hinausziehen in andere Länder, und bettelten herumwandernd vor den Thüren ihr Brodt.


  1. Verbeßerungen S. 471: st. Schlepohren l. Schlappohren