Das Wasser

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Emil Adolf Roßmäßler
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus der Menschenheimath. Sechster Brief. Das Wasser
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 71–73
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Teil 6 der Artikelreihe Aus der Menschenheimath.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[71]

Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Sechster Brief.
Das Wasser.

Es mag wohl sein, daß Du, mein lieber Freund, es für einen argen Sprung hältst, von den Gallwespen, von welchen ich Dir in meinem letzten Briefe Einiges erzählte, heute auf das Wasser zu kommen. Dagegen fürchte ich nicht, daß Du Dich über die Wahl meines heutigen Stoffes wunderst. Du kennst ja meine Weise, alltäglichen Dingen und Erscheinungen eine mehr als alltägliche Aufmerksamkeit zu schenken. Du hast es früher schon erfahren, daß dabei das Gewöhnlichste für mich und für die, welchen ich dann meine Betrachtungen mittheile, einen neuen ungewöhnlichen Reiz gewinnt.

Laß Dir also heute einmal gefallen, daß ich Dir in meinem Briefe Wasser vorsetze, ein sauberes Glas voll hellen, klaren Wassers. Geh hinaus an den klaren Quell hinter Deinem Hof und laß Dir ein Glas davon voll laufen und trink es aus. Auswendig die frische Winterluft und inwendig das kühlende Naß – kommt nicht ein Gefühl über Dich, als schwebtest Du zwischen den beiden mächtigen Elementen in der Mitte, von ihnen getragen wie ein Schifflein auf einem spiegelhellen norwegischen See?

Was wäre die Erde ohne Wasser? Was mag der Mond sein, der ja bekanntlich kein Wasser hat!

Und dennoch sind in der Urzeit unserer Erdbildung viele Jahrtausende vergangen, während welcher wohl ein ungeheurer Dunstkreis von Wasserdampf den glühendheißen Erdkörper umgab, aber kein Tropfen Wasser sich auf ihm fand; ebensowenig, wie wir Wasser in ein glühendes Gefäß von Eisen gießen können, ohne daß es sogleich in zischenden Dampf verwandelt und als solcher in die Luft verjagt wird. Damals war unsere Erde aber auch noch kein Wohnplatz für Thiere und Pflanzen. Es mag lange gedauert haben, bis sich ihre Oberfläche so weit abkühlte, daß sich tropfbares Wasser auf ihr erhalten konnte; und abermals mag es lange gedauert haben, bis dieses tief genug unter den Siedepunkt herab gesunken war, so daß sich die ersten Thier- und Pflanzenwesen in ihm bilden konnten.

Jedoch ich will heute nicht von der gewaltigen, in großen Erscheinungen sich kund gebenden Macht des Wassers sprechen. Ich habe mir im Gegentheil vorgenommen, Dir Einiges von den kleinen, verborgenen Werken des Wassers zu erzählen, die allerdings in ihren Wirkungen dennoch nicht minder Großartiges leisten, weil sie unzählig und ununterbrochen in Thätigkeit sind.

Du bist ja auf dem Schwarzwalde bekannt. Denke Dich einmal an seinen westlichen Abhang. Ich weiß, daß Du ihn zweimal von Rastatt bis hinauf an die südliche Grenze von Baden bereist hast. Besinnst Du Dich noch auf die zahllosen Bäche und Bächlein, die alle vom Schwarzwalde [72] herab kommen und dem Vater Rhein zueilen, um in seinem Schooße ihren kleinen Beitrag auszuschütten? Das läuft, das rennt! wie die geschäftigen Menschen in den Gassen einer großen Stadt. Oben auf dem Schwarzwalde stehen die alten, ehrwürdigen Tannen, und um ihre Füße herum breiten sich die feuchten, schwellenden Moospolster aus. Das ist die Werkstatt, wo die lebensspendende Wassergöttin alle die tausend Bäche und Bächlein macht, mit ihren dienstfertigen Gehülfen, den Sonnenstrahlen.

Denke Dir alle Wälder und Moose von dem Schwarzwalde hinweg – und in wenigen Jahren würde der Rhein um ein Bedeutendes wasserärmer unten in den Niederlanden ankommen.

Das weiß zwar Jedermann. Aber ich glaube doch, daß es Dich unterhalten wird, wenn ich Dir erzähle, wie es bei dieser so überaus wichtigen Quellenspeisung hergeht. Das ist’s ja eben, was ich allen meinen Mitmenschen wünschen möchte, und darin erblicke ich die edle Aufgabe der Naturwissenschaft, daß Alle in ihrer schönen mütterlichen Heimath heimisch werden sollen. Freude an der Natur – das ist der Balsam auf die Wunden, welche sich die Menschen in Unbrüderlichkeit täglich schlagen.

Die Bäume und überhaupt die Gewächse unserer Ströme entsendenden Waldgebirge sind die Wohlthäter, denen wir großenteils den Wasserreichthum unserer Quellen, Bäche, Flüsse und Ströme verdanken.

Nun magst Du meine heutigen Zeichnungen zur Hand nehmen. Figur 1 zeigt Dir den Bau eines feinen Wurzelspitzchens, wie deren ein Baum viele Tausende hat. Versuche es einmal zu denken, wie unendlich groß die Zahl solcher Wurzelspitzchen im Erdboden eines Waldgebirges sein mag! Sie sind vor Allem bei der Erhaltung des Wasserreichthums der Erdoberfläche thätig. Das Figürchen links (wie auch an Fig. 3 und 4) zeigt Dir die natürliche Größe. Die Wurzelspitzchen, die man gewöhnlich Thau- oder Saugwürzelchen nennt, bestehen aus kleinen Zellen. Du mußt Dir eine einzelne junge Pflanzenzelle (alle und jede Pflanzenmasse besteht aus Zellen und daraus sich bildenden, oft überaus zierlich beschaffenen zarten Schläuchen) als eine kleine Blase vorstellen, welche von einer sehr dünnen und zarten Haut, der Zellenhaut, umschlossen ist, und inwendig einen wässrigen Saft, den Zellsaft, enthält. Die Haut der jungen Zellen hat niemals Löcher, und dennoch nehmen die zarten Wurzelzellen das Wasser aus dem Boden auf. Um Dir das begreiflich zu machen, muß ich Dich mit einem sehr wichtigen Naturgesetze bekannt machen. Es ist die sogenannte Endosmose oder wie man es deutsch ausdrücken kann, die Durchschwitzung. Fig. 2. stellt ein mit Wasser gefülltes Gefäß dar, in welchem eine oben und unten offene Glasröhre, welche zum Theil mit Zuckerwasser oder dünnem Gummischleim oder Essig oder etwas dergl. gefüllt ist, steht. Unten ist sie mit Darmhaut fest zugebunden. Diese Darmhaut trennt also das Wasser im Gefäße von dem Zuckerwasser in der Röhre. Obgleich die Darmhaut auch ganz dicht ist und nicht die kleinsten Löcher hat, so fangen beide Flüssigkeiten doch bald an, durch sie zu einander hindurch zu dringen. Die Röhre wird nach und nach voll, bis sie überläuft. Dies dauert so lange, bis der Unterschied zwischen beiden Flüssigkeiten durch gegenseitiges Ueberdringen zu und in einander aufgehört hat. Hätten wir auch in die Röhre reines Wasser gegossen, so würde die Endosmose nicht statt gefunden haben. Sie tritt blos dann ein, wenn zwei Flüssigkeiten von verschiedener Dichtigkeit durch eine thierische oder pflanzliche Haut getrennt sind; und findet so lange ununterbrochen statt, bis diese Dichtigkeitsverschiedenheit in beiden Flüssigkeiten aufgehört hat, ausgeglichen worden ist. Nun denke Dir, der Erdboden sei das Gefäß mit Wasser, und jedes Wurzelchen ein mit dem etwas dichtigern Zellsaft gefülltes Röhrchen – und Du wirst leicht begreifen, welche Kraft es ist, welche das Bodenwasser durch die dichte Haut der Wurzelzellen in die Wurzel hinein treibt: die Endosmose ist es. Dieselbe Kraft leitet nun das Wasser von Zelle zu Zelle, bis in den Mittelpunkt der Wurzel, wo gestreckte fadenförmige Zellen dasselbe aufnehmen und nun immer höher in die dicken Wurzeläste, in den Stamm, in die Zweige leiten. Der Holzkörper dieser letzteren leitet es nun – es ist aber unterwegs von dem Verdauungsproceß der Pflanze bereits verändert worden – nach den Knospen und den sich daraus entfaltenden Blättern. Im Holze sind deswegen die meisten Zellen lang gestreckt und wie bei den sogenannten Gefäßen hat ihre Haut kleine Löcher, wodurch das Wasser leicht weiter dringen kann. Du siehst das an Fig. 3, welche ein Stückchen Eichenholz ebenfalls in sehr starker Vergrößerung darstellt. In der Mitte sehen wir ein Stück eines punktirten Gefäßes der Länge nach gespalten, welche auf dem Querschnitte die bekannten großen Poren des Eichenholzes bilden.

Jetzt wenden wir uns zu den Blättern. Sie geben aus, was die Wurzeln eingenommen haben. Daß die Blätter unter Umständen auch Feuchtigkeit aus der Luft einfangen können, sei hier blos beiläufig erwähnt. Aushauchung [73] des größten Theiles des von den Wurzeln aufgesogenen Wassers ist aber ihr Hauptgeschäft. Du fragst, wozu die Pflanzen so sehr viel Wasser aufsaugen, wenn sie es großentheils durch die Blätter wieder aushauchen? Ich könnte Dir hierauf antworten: damit zur Wolkenbildung und durch diese zur Regenbildung fortwährend Wasserdämpfe in die Luft kommen. Ich sage dies aber nicht, weil dadurch die Pflanzen und namentlich die Waldungen

zu sichaufopfernden Handlangern der Natur herabsänken. Nein; es geschieht aus einem Grunde, der mit dem Leben der Pflanze selbst im engsten Zusammenhang steht. Die Pflanze braucht zu ihrem Leben ganz nothwendig auch mehrere erdige Stoffe, z. B. Kalk und Kieselerde. Da sie nun keine Oeffnungen an der Wurzel hat, um solche Stoffe als kleine feste Theilchen in sich aufnehmen zu können, so kann sie dieselben nur in flüssiger Gestalt, in Wasser gelöst, aufnehmen. Da aber z. B., um 1 Theil Kalk aufzulösen, 1000 Theile Wasser erforderlich sind, so muß sie, um jenes einen Theiles Kalk habhaft zu werden, wohl oder übel 1000 Theile Wasser aufsaugen, in denen jener aufgelöst enthalten ist. Auf diese Weise werden fort und fort ungeheure Mengen Wasser aus dem Erdboden durch die Pflanze hindurch getrieben, um oben als Wasserdampf, mit Zurückbehaltung der darin aufgelöst enthalten gewesenen Stoffe, von den Blättern wieder ausgehaucht zu werden, um dann als Regen aus der Luft wieder nieder zu fallen. Man kann also buchstäblich sagen, ein großer Theil des auf der Erdoberfläche vorhandenen Wassers ist in einem fortwährenden Kreislaufe durch die Pflanzenleiber hindurch begriffen. Ueberschaue noch einmal mit einem Blicke diesen gesetzmäßigen Hergang; worauf beruht also die nachhaltige Speisung unseres Erdbodens mit Wasser? – auf der geringen Löslichkeit von Kalk und Kieselerde und noch einigen andern Stoffen, die den Pflanzen zur Nahrung dienen! So dient in der Natur Eins dem Andern!

Ich muß Dich noch auf Fig. 4 und 5 aufmerksam machen. Ersteres stellt ein kleines Stückchen Oberhaut eines Blattes dar, auf welchem Du vier sogenannte Spaltöffnungen siehst. Das sind je zwei halbmondförmige Zellen, welche so aneinander gelegt sind, daß zwischen ihnen eine kleine spaltförmige Oeffnung bleibt (F. 5). Durch sie hauchen die Blätter wahrscheinlich vorzugsweise die Wasserdämpfe aus.

Zum Schlusse hebe ich nochmals die am Boden der Waldungen wachsenden niederen Pflanzen, namentlich die Moose als wesentliche Erhalter der Bodenfeuchtigkeit und somit der Quellen hervor. Fig. 6 stellt ein Stämmchen des großblättrigen Torfmooses vor, welches namentlich die Wasserbehälter der Bergplateaus, die sogenannten Moose, überzieht. Die eigenthümlich eingerichteten Zellen seiner Blätter (F. 7 zeigt Dir ein Stück eines solchen) haben deutliche Löcher, um Wasser in großer Menge aufsaugen zu können.

Sieh Freund, hier hast Du ein Bild von einer in zahllosen kleinen Einzelheiten vorgehenden, aber durch ihre Gesammtwirkung dennoch mächtigen Thätigkeit des Wassers.

Die Pflanzen sind die Vermittler, die, indem sie sich selbst erhalten, das Ganze erhalten helfen. Welch beherzigenswerther Ruf an uns, es ebenso zu machen! –