Das erste Ständchen

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Autor: Carus Sterne
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Titel: Das erste Ständchen
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das erste Ständchen.

Mit den classischen Worten: „Schon die Alten kannten die Liebe“ begann, wie erzählt wird, ein zerstreuter Schulmann seine Abhandlung über die Lyrik der Griechen und Römer. Aber schon eine ansehnliche Reihe von Jahrtausenden vor Pindar und Ovid blühte die Kunst der Troubadoure auf Erden, und schon unter den allerersten Festlandthieren hat Dr. Scudder die Ueberreste eines ältesten Spielmannes entdeckt, welcher der jungen Welt, wahrscheinlich zum ersten Male, etwas vorgeigte.

In jenen grauen Zeiten, in denen noch ein allgemeines Meer das Erdenrund umfluthete, hatte die Natur außer dem Heulen der Winde, dem Brausen der Wellen und dem Donner der Wolken keine vernehmliche Stimme. Die Meerpflanzen flüstern nicht miteinander, und sollten auch einige Muscheln castagnettenartig mit ihren Schalen geklappert, einige Urkrebse drohend mit ihren Panzern gerasselt haben, das waren nur Geräusche, die mit der allgemeinen Wellensymphonie verschmolzen, keine Klänge, denen man mit Behagen hätte lauschen mögen. Selbst heute noch begnügen sich die meisten echten Wasserwesen – den „musikliebenden“ Delphin und die übrigen Wassersäuger rechnen wir zu den Luftthieren – mit einfachen, unmusikalischen Gehörswerkzeugen, denn noch immer ist die krystallene Fluth ein schweigender Schooß, in welchem sich Freud’ und Leid nicht mit hellem Lachen oder lautem Schmerzensschrei äußern, in welchem kein Ständchen gebracht und auch nicht nach Musik getanzt wird, wie uns „Flick und Flock“ glauben machen möchten.

Erst als Inseln und Festland emporgestiegen waren, Wasserthiere und Pflanzen einen ersten Versuch überstanden hatten, an Stelle der in Wasser aufgelösten Luft das reine Element zu athmen und in der dünneren Flüssigkeit zu schwimmen, da begannen die Blätter im Winde zu flüstern und die Thiere wurden inne, daß doch in dieser lichten Oberwelt Alles ganz anders schalle, als in dem blaugrünen Schooße, in dem sie ihre Jugendzeit verbracht hatten. Die Stammältesten der Insectenwelt waren die ersten Thiere, welche sich dem Luftleben vollkommen anzupassen [788] vermochten. Während das junge Wirbelthier nach kurzem Aufenthalte am Ufer immer von Neuem dem Wasser zueilte, hatten sich die Vettern der Urkrebse kaum überzeugt, daß sie mit ihrem harten Panzerkleide den austrocknenden Einflüssen der Luft prächtig widerstehen könnten, und daß die Landpflanzen einen reineren Geschmack hätten, als die Meeresalgen, als sie für immer dem mütterlichen Elemente Lebewohl sagten und zwei Paar Ruder in Schwingen umwandelten, um als vorläufige Alleinherrscher der Luft, vor verfolgenden Vögeln noch lange sicher, die Landschaft zu beleben. Diese Erstlinge waren Insecten, die zwischen Termiten und Heimchen ungefähr in der Mitte standen, sogenannte Urflügler, deren Kindeskinder ihr Ringelwurmdasein noch heute im Wasser beginnen, um mit später wachsenden Flügeln die Lüfte zu besuchen.

Die Wiesen und Felder jener Tage, deren Ernte ihnen Niemand streitig machte, das Jugendkleid der Erde, dessen Ueberreste wir Steinkohle nennen, zeigte ein einfacheres Aussehen, als das Prachtgewand, welches sich jetzt, in den Tropen mit einem farbenschimmernden Gürtel eingefaßt, um ihre Glieder legt. Es war noch nicht, wie heute, mit Blumen gestickt; Moose und moosartige Bärlapppflanzen bildeten den einförmig grünen Teppich der Wiesen, und riesenhaften Moosen glichen auch die höchsten Bäume der Steinkohlenwälder. Unter diese sogenannten Siegel- und Schuppenbäume mischten sich jene Pflanzen, welche heute unsere unfruchtbarsten Felder kennzeichnen, Farnkräuter und Schafthalme, zum großen Theile ebenfalls von baumartigem Wuchse. Wenn es erlaubt ist, jenen Riesenschafthalmen des jungen Insellandes ebenso rauhe Zweige zuzuschreiben, wie sie ihre Abkömmlinge besitzen und welche deshalb von den Hausfrauen in den guten alten Zeiten des Zinngeschirres zum Putzen desselben benutzt wurden, so glichen sie ohne Zweifel, wie wenige Pflanzen, jenem singenden Baume der Scheherazade, und der Steinkohlenwald muß im Winde eine wunderbare Musik entwickelt haben.

Und gar früh haben die Bewohner des Ton-Elementes dieses melodische Säuseln der Schafthalmbäume mit eigener ähnlich erzeugter Instrumentalmusik zu begleiten gewußt. Das hornartig harte Familiengewand dieser Thiere verführte, wenn es irgend rauhe Stellen darbot, zum Musiciren, wie ein Seidenkleid seine Trägerin zum durch die Säle Rauschen verführt. Und nirgends konnte ein Ruf oder Lockton erwünschter sein, als unter diesen im Naturbilde verschwindenden Wesen, die, in der Vorwelt nicht größer als heute, im Laube versteckt bleiben, so daß die Geschlechter einander kaum finden können, und nächtlich schwärmende Arten , z. B. die Johanniskäfer, sogar die Vorsicht gebrauchen müssen, wie Hero ein Licht anzuzünden, um ihrem Leander den Weg zu zeigen. Man kann sich daher mit Dariwn leicht vorstellen, wie sich die Anfänge eines musikalischen Apparates bei den Insecten durch natürliche Zuchtwahl bald vervollkommnen mußten, da nur die besseren Musikanten Aussicht hatten, eine Familie zu gründen.

Was nun die Entstehung der ältesten Musik anbetrifft, so wolle sich der geneigte Leser zunächst erinnern, daß an sich schwache Geräusche leicht zu einem hellen Tone anschwellen, wenn sie einander mit großer Schnelligkeit folgen. Wenn wir mit der Spitze einer Gänsefeder langsam über eine Feile oder über sehr fein chagrinirtes Papier hinwegfahren, so hören wir das Rasseln der einzelnen Töne, welches bei beschleunigter Bewegung erst in einen zirpenden, dann in einen schrillenden und endlich, wenn die Feile recht fein ist, in einen unerträglich gellenden Ton übergeht. Von ähnlicher Einfachheit war das Instrument der ältesten Musikanten. Betrachten wir eine der auf unseren Feldern und Wiesen während des Sommers in ungeheurer Masse musicirenden grauen oder grünen Feldheuschrecken, so bemerken wir mit der Loupe an der Innenseite der aufgestützten Hinterschenkel, da wo sie den Flügeldecken anliegen, eine Reihe sehr dichtstehender, zahnförmiger Erhöhungen, welche die sogenannte „Schrillader“ bilden, die, gegen eine erhabene Leiste der Flügeldecken gerieben, beim lebenden und todten Insecte den bekannten schnarrenden Ton hervorbringt. Es ist also ein echtes Geigenspiel auf zwei Instrumenten, mit dem sie das Weibchen locken. Die bald abwechselnd, bald gleichzeitig über die einzelne Saite geführten Schenkel entsprechen dem mit Colophonium rauh gemachten Bogen. Die näheren Verwandten der Feldheuschrecken, die Feldgryllen und die Heimchen unserer Wohnungen, besitzen ganz ähnlich gebaute Schrilladern auf der Unterseite der Flügeldecken, während die erhabene Leiste auf der Oberseite derselben liegt. Ihre beim Zirpen etwas emporgehobenen Flügeldecken dienen hierbei zugleich als Resonanzboden, indem sie wie die in der Luft geschwungene Guitarre den Ton verstärken. Bei den lautere Töne hervorbringenden Laubheuschrecken, zu denen der bekannte Liebling der Jugend, das große Heupferd gehört, kommt ein besonderer schallverstärkender Apparat hinzu, zur Geige gesellt sich das Tambourin. Die rechte Flügeldecke, welche bei ihnen stets unter der linken liegt, zeigt nämlich dicht an der Flügelwurzel ein zartes leicht schwingendes Häutchen, den sogenannten Spiegel, welcher von einem fünfeckigen Rahmen eingefaßt wird. Auf den Leisten dieses Rahmens geigt nun die Schrillader der darüber liegenden linken Flügeldecke und bringt so den durch das Tambourin verstärkten Ton hervor.

Schon jenes in den devonischen Schichten Neubraunschweigs von Scudder entdeckte Urinsect besaß diesen verbesserten Tonapparat, und wenn wir also im Frühlinge die Gryllen und Heimchen zum ersten Male vernehmen, so klingt in unserem Ohre das älteste Concertstück der Erde, eine vorweltliche Symphonie, wieder. Mit derselben noch etwas eintönigen Streichmusik wurden die jungen Fluren eingeweiht; bei ihrem Klange wuchsen später die Steinkohlenwälder, lange bevor das Lied der Singvögel die Fluren belebte. Es war kein seelenvoller aus froher Kehle erschallender Gesang, aber doch immerhin eine Aeußerung der Sehnsucht nach gleichgestimmten Seelen, das erste Ständchen der Natur. Die Weibchen dieser Thiere haben entweder gar keine, oder doch nur eine wenig ausgebildete Schrillader, die sie nie gebrauchen: so weit läßt sich die von den Singvögeln wie vom Menschen beobachtete Sitte zurückverfolgen, daß nur das starke Geschlecht Ständchen bringen geht, während das zartere den Tönen der Sehnsucht lauscht, um den guten Musikanten endlich zu erhören. Und dieser Ton, der in seiner unermüdlichen Andauer unserem Ohre zuletzt unerträglich wird, übt eine bestrickende Gewalt über die Weibchen, noch mit dem todten und künstlich zum Tönen gebrachten Männchen kann man sie locken, und Scudder betrog das Weibchen des an seinem Herde eingemietheten Heimchens sogar durch ein rohes, mit einer Feder auf einer Feile abgeraspeltes Liebesgezirp. Die Höhe des Schrilltones hängt von der Zahl der in einem bestimmten Zeitabschnitte an der Tonleiste vorbeigeführten Hervorragungen der Schrillader ab, also einerseits und hauptsächlich von der Dichtigkeit der letzteren, andererseits aber auch von der Geschwindigkeit des Anspielens. Da diese Spielgewandtheit bei den Urinsecten in gewissen Grenzen bleibt, obwohl die jüngeren und feurigeren Liebhaber sich in etwas höheren Tönen ausseufzen, so bleibt doch die Zahl der auf eine bestimmte Ausdehnung kommenden Rillen der Schrillleiste zunächst maßgebend, und aus ihr kann man deshalb, wenigstens annähernd, die Höhe des Liebesgezirps eines vorweltlichen Insects feststellen.

Bei Musikliebhabern setzt man selbstverständlich auch ein geschultes Ohr voraus, und neuere Naturforscher, wie Leydig, Siebold und Ranke haben daraufhin die Gehörorgane der ersten Musikanten untersucht. Wirklich konnten sie bereits in dem kleinen Kreise der Heuschrecken eine Fortbildung des Insectenohres nachweisen. Bei den Feldheuschrecken, welche nur schnarrende Töne mit ermüdender Ausdauer hervorbringen, fanden sie, ihrer Erwartung entsprechend, einen einfacheren, aus gleichlangen Schwingstäbchen gebildeten Apparat, der nur eine einfache Tonempfindung vermitteln kann, während die Laubheuschrecken, die mehrere und musikalischere Töne erzeugen, auch ein zusammengesetzteres Gehörsorgan mit ungleichlangen Schwingstäbchen aufweisen. Die Lage der Gehörsorgane ist übrigens eine ungewöhnliche und verschiedene, sofern sie bei den Feldheuschrecken über dem Ursprunge des letzten Fußpaares, bei Gryllen, Heimchen und Laubheuschrecken hingegen dicht unter dem Kniegelenke der Vorderbeine liegen.

Es ist übrigens wahrscheinlich, daß diese Erfinder der Streichmusik nicht nur jenes auch unter den Menschen beliebte Gesellschaftsspiel „Nach der Musik suchen“ üben, sondern auch durch ihr Geigenspiel einander vor drohender Gefahr warnen und andere Empfindungen mittheilen. Rösel von Rosenhof, der [789] Verfasser der „Insectenbelustigungen“, welcher uns die bissigen Feldgryllen mit Strohhalmen aus ihren Löchern zu ziehen gelehrt hat, erzählt, wie dieselben einst in seiner Schachtel, beim Nachhausetragen, ein so gellendes Angstconcert vollführten, daß er eiligst laufen mußte, um nicht der lieben Straßenjugend zum Gespötte zu werden. Aber dieser getreue Naturbeobachter erkannte bereits, daß es doch meistens Liebeslieder seien, welche diese kleinen Geiger zum Besten geben, und dieser Gedanke ist uns auch viel sympathischer, als wenn wir einen Musikanten uns vorstellen sollen, der, wie jener in die Bärengrube gefallene Baßspieler, die ganze Nacht aus purer Angst geigt.

Die ersten Verwandten der Gradflügler, welche in das Naturconcert mit einstimmten, dürften ihre muthmaßlichen Leibeserben, die Käfer gewesen sein, von denen einzelne ebenfalls ziemlich laute Streichmusik hervorbringen. Doch ist die Lage der Geige bei diesen Thieren meist eine andere; die Schrillader befindet sich gewöhnlich auf einem der Querringel des Hinterleibes oder der Brust, die sich, wie die Auszüge eines Fernrohres, auseinander- und zusammenschieben, wobei die Musik durch die Reibung gegen Brust- oder Flügeldecken hervorgebracht wird. Die bekannten Todtengräberkäfer tragen zwei solcher Schrillleisten auf dem fünften, breiteren Hinterleibsringe und benutzen dieselben vermuthlich, um ihre Brüderschaft zum Begräbnisse der kleinen Feldleichen, dessen sie sich mit so vielem Eifer unterziehen, herbeizurufen.

Am bekanntesten unter den zirpenden Käfern sind wohl die kleinen Lilienhähnchen und die oft sehr ansehnlichen Bockkäfer, die mit ihren langen, hörnerartig zurückgebogenen Fühlern, einem Steinbocke gleich, paradiren. Da bei ihnen Männchen und Weibchen besonders laut zirpen, wenn man sie angreift, so ist es wahrscheinlich, daß sie durch dieses sanfte Gebrüll den Angreifer in Schrecken zu setzen und in die Flucht zu jagen hoffen, ähnlich wie zankende Menschen einander durch Schreien den „Marsch blasen“. Merkwürdig erschien es nun, daß die kleinsten Bockkäferarten, wenn man sie angreift, genau dieselben, bei ihren großen Vettern das Zirpen hervorrufenden Auf- und Abwärtsbewegungen mit Kopf und Vorderbrust machen, ohne daß man den geringsten Laut vernähme. Prof. Dr. H. Landois in Münster, welcher die Untersuchung der Tonapparate bei Insecten und anderen Thieren zu seinem Specialstudium gemacht hat, und dessen unlängst erschienenem, jedem Naturfreunde dringend zu empfehlenden Buche über die „Thierstimmen[1] wir mancherlei Belehrung und Anregung zu dieser Schilderung verdanken, untersuchte nun einige dieser kleinen Bockkäfer genauer und fand sie nichtsdestoweniger ebenfalls mit Schrilladern begabt. Allein während der bekannte große Eichenholzbock (Cerambyx heros) auf seiner viertehalb Millimeter langen Schrillader zweihundertachtunddreißig Rillen besaß, zeigte der kleine rothhörnige Blüthenbock (Grammoptera ruficornis) auf einer wenig über den neunten Theil so langen Leiste bereits einhundertdreizehn Rillen, also auf eine gleiche Ausdehnung hin etwa viermal so viel als jener. In Folge dessen mag der Ton, welchen der kleine Bockkäfer hervorbringt, mehrmals so hoch sein, wie der des Eichenbocks, und das geht weit über unsern Horizont; wir hören die Drohungen des kleinen Schmähers nicht – es ist stumme Musik für unser Ohr.

Es mag gar viele Naturtöne geben, welche uns in ähnlicher Weise wegen ihrer Höhe entgehen. Das menschliche Gehör umfaßt die Töne von dreißig Doppelschwingungen auf die Secunde als tiefste, und bis zu fünfundzwanzigtausend Doppelschwingungen als höchste Töne. Aber nicht bei allen Menschen reicht die Empfänglichkeit des Gehörorgans so hoch hinauf, und wenn in einer Gesellschaft älterer Personen eine Stufenleiter immer höherer Töne hervorgebracht wird, so tritt endlich der Fall ein, daß sich Einzelne über das ohrschmerzende Gellen derselben beklagen, während Andere sie verwundert anblicken, da sie gar nichts mehr von denselben vernehmen. Ich selbst habe einen alten feinhörigen Herrn gekannt, der, wenn wir an Sommerabenden zusammen im Garten saßen und über das unerträgliche Geschrill der Laubheuschrecke sprachen, uns auslachte, da für sein Ohr eine vollständige Abendstille herrschte, ein Verhältniß, welches übrigens nach Wollaston’s Beobachtungen sehr häufig vorkommen soll. Die vor vielen Jahrzehnten ausgesprochene Vermuthung dieses Physikers, daß es Thiere geben könne, deren Lautäußerungen für immer dem Wahrnehmungsvermögen des menschlichen Ohres entrückt seien, hat Prof. Landois, wie wir sehen, auf das Glänzendste an den Bockkäferchen bestätigen können, und auch bei den Bienen-Ameisen (Mutilla) fand dieser Forscher Tonapparate, deren Schallwellen unser Ohr offenbar nicht mehr anregen können. So mögen vielerlei Naturstimmen dem Menschen, dessen Sinnen nur eine mittlere Empfindungssphäre zukommt, ebenso entgehen, wie die schnelleren Lichtwellen, die man dunkle oder chemische Strahlen nennt.

Zu den Geigern aus der Classe der Gradflügler hatten sich bereits im Steinkohlenwalde in den zu den Netzflüglern gehörigen Termiten und deren gefräßigen Verwandten Trommler und Tactschläger gesellt, die noch heute mit regelmäßigem Aufschlagen ihrer Kiefer einander Zeichen geben und sich locken. Der Todtenuhrkäfer, welcher mit seinem Ticktack schon so manches abergläubische Gemüth in Schrecken gesetzt hat, benützt also nur ein Verständigungsmittel, welches bereits die Insecten des Steinkohlenwaldes ausprobirt haben und welches von ihm wiederum die Klopfgeister gelernt zu haben scheinen. Statt uns zu erschrecken, ist die Todtenuhr vielmehr höchlichst geeignet, uns die Langeweile schlafloser Nächte zu verkürzen, sobald wir uns erinnern, daß der in unsern Möbeln klopfende Bursche ein liebebedürftiges Wesen ist, der eine Freundin bittet, ihm ein Zeichen zu geben, um sie in den dunkeln Gängen finden zu können, und sein Liebesgetrommnel fortsetzt, bis er Erhörung gefunden. Da die Weibchen Antwort klopfen, so können wir mit diesen Thieren leicht ein Gespräch anknüpfen, indem wir mit dem Zeigefingernagel abwechselnd mit ihnen auf das Holzwerk pochen und so durch ein Klopfduett ihrer Sehnsucht Nahrung geben. Gar mancher unserer modernen Spiritisten, der sich mit einem Geiste zu unterhalten glaubte, dürfte mit einem verliebten Käfer zu thun gehabt haben, und dieselbe Beobachtung ist es wohl, welche den alten Wahrsager Melampus in den Ruf gebracht hatte, die Sprache der Holzwürmer zu verstehen und sich mit ihnen unterhalten zu können.

Die ersten geflügelten Wesen, welche die junge Vegetation umschwirrten, scheinen durchweg nur Instrumental-, aber keine Vocalmusik geübt zu haben. Unter denn Patriarchen der Insectenwelt, den Gradflüglern, Netzflüglern und Holzkäfern, giebt es selbst heute kaum mit einer wirklichen Bruststimme musicirende Vertreter. Die Flötisten und Posaunisten im Naturconcerte, die Pfeifer und Fagottisten erschienen erst später. Wir wissen nicht, ob die Amphibien, welche als Erstlinge des Wirbelthierreiches die Gewässer der Steinkohlenwälder belebten, vielleicht diesem Mangel abgeholfen haben, es ist aber nicht wahrscheinlich, denn sie näherten sich mehr dem schweigsamen Geschlecht der Molche und Salamander, als demjenigen der geschwätzigen Frösche. Und gerade deshalb hat das Gezirp der Heimchen und Gryllen, der Feld- und Laubheuschrecken für den Naturkundigen einen so entschieden urweltlichen Charakter, und wir sind entschuldigt, daß wir uns von denselben auf ein Stündchen in vorsündfluthliche Träumereien einlullen ließen.

Carus Sterne.


  1. Freiburg im Breisgau 1874, Herder’sche Buchhandlung.