Das vierte Buch Esra/Kapitel 7

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Die arge Welt ist der notwendige Durchgang für die kommende gute.

7 1 Als ich diese Worte beendet, kam der Engel zu mir, der schon in den früheren Nächten zu mir gesandt war. 2 Der sprach zu mir: Stehe auf, Esra, und höre die Worte, die ich gekommen bin zu dir zu reden. 3 Ich sprach: Rede, Herr! Er sprach zu mir: Es giebt ein Meer, das liegt in der Weite, so daß es sich rings in die Breite erstreckt; 4 der Eingang aber dazu ’liegt‘[1] in der Enge, so daß er wie ein Fluß aussieht. 5 Wenn ’nun‘[2] jemand in das Meer kommen will, es zu besehen oder zu ’befahren‘[3], wie wird der die Weite erreichen, wenn er nicht vorher die Enge durchschifft hat? — 6 Oder ein anderes Gleichnis: Es giebt eine ’erbaute‘[4] Stadt, die ist in einer Ebene gelegen und ist alles Guten voll; 7 der Eingang aber dazu[5] ist eng und führt an Abgründen hin, wo rechts Feuer, links tiefes Wasser droht[6]; 8 und nur [369] einen einzigen Pfad giebt es zwischen beiden, zwischen Feuer und Wasser, und dieser Pfad ist so schmal, daß er nur eines Menschen Fußspur fassen kann. 9 Wenn nun jene Stadt jemandem zum Erbteil gegeben wird, wie wird der Erbe sein Erbteil in Besitz nehmen können, wenn er nicht vorher den gefährlichen Weg dahin durchschritten hat? — 10 Ich sprach: Gewiß, Herr! Er sprach zu mir: So ist auch Israels Teil: 11 ihrethalb habe ich zwar den Äon geschaffen; als aber Adam meine Gebote übertrat, ward die Schöpfung gerichtet[7]: 12 Da sind die ’Wege‘[8] in diesem Äon schmal und traurig und mühselig geworden, ’elend‘[9] und schlimm, voll von Gefahren und nahe[10] an großen Nöten; 13 die ’Wege‘[11] des großen[12] Äons aber sind breit und sicher und tragen die Früchte des Lebens. 14 Wenn die Lebenden also in diese Engen und Eitelkeiten[13] nicht eingegangen sind, können sie nicht erlangen, was ihnen aufbewahrt ist.

15 Warum betrübst du dich also, ’daß‘ du vergänglich bist?
warum erregst du dich, ’daß‘[14] du sterblich bist?

16 Warum nimmst du dir nicht die Zukunft zu Herzen, sondern nur die Gegenwart[15]?


Das Schicksal der Sünder.
Das Schicksal der Sünder ist traurig, aber wohlverdient.

17 Ich antwortete und sprach: Herr Gott, du hast ja in deinem Gesetze[16] bestimmt, nur die Gerechten würden dies Erbteil bekommen[17], aber die Gottlosen sollten ins Verderben gehen. 18 So können die Gerechten die Enge wohl ertragen, da sie die Weite hoffen; die Gottlosen aber haben die Enge erduldet und werden die Weite nicht sehen!

19 Er sprach zu mir:

’Du‘[18] bist doch kein Richter über Gott[19]
und kein Weiser über den Höchsten?

20 Mögen lieber die Meisten der Lebenden ins Verderben gehen, als ’daß‘[20] Gottes Gebot und Vorschrift verachtet werde! 21 Denn Gott hat den Lebenden, sobald sie zum Leben kamen, feierlich erklärt, was sie thun sollten, um das Leben zu erwerben, und was sie halten sollten, um nicht der Strafe zu verfallen. 22 Sie aber waren ungehorsam und widersprachen ihm; [370]

23 sie erdachten sich eitle Gedanken
und ersannen sich ruchlose Lügen;
dazu behaupteten sie, daß der Höchste nicht sei[21],
und kümmerten[22] sich um seine Wege nicht;
24 sein Gesetz verachteten sie,
seine Bündnisse leugneten sie;
seinen Geboten glaubten sie nicht,
seine Werke vollbrachten sie nicht.

25 Darum, o Esra,

Eitles den Eitlen,
Fülle den Volllommenen[23]!
Das Weltgericht.

26 Denn siehe, Tage kommen, wann die Zeichen, die ich dir früher gesagt, eintreffen,

da wird die ’unsichtbare‘[24] Stadt erscheinen
und das verborgene Land sich zeigen[25];

27 und jeder, der aus den Plagen, die ich dir vorausgesagt, gerettet ist, der wird meine Wunder schauen. 28 Denn mein Sohn, ’der Christus‘[26], wird sich offenbaren samt allen bei ihm[27] und wird den Übergebliebenen Freude geben, 400 Jahre lang[28]. 29 Nach diesen Jahren wird mein Sohn, der Christus, sterben[29] und alle, die Menschenodem haben. 30 Dann wird sich die Welt zum Schweigen der Urzeit wandeln, sieben Tage lang, wie im Uranfang[30], so daß niemand überbleibt. 31 Nach sieben Tagen aber wird der Äon, der jetzt schläft, erwachen und die Vergänglichkeit selber vergehen[31].

32 Die Erde giebt wieder, die darinnen ruhen,
der Staub ’läßt los‘, die darinnen schlafen,

die Kammern erstatten die Seelen zurück, die ihnen anvertraut sind[32]. — 33 Der Höchste erscheint auf dem Richterthron[33]:

[371]

’dann kommt das Ende‘[34],
und das Erbarmen vergeht,
’das Mitleid ist fern‘[35],
die Langmut verschwunden[36];
34 mein Gericht allein wird bleiben,
die Wahrheit bestehen,
der Glaube triumphieren[37];
35 der Lohn[38] folgt nach[39],
die Vergeltung erscheint:
die guten Thaten[40] erwachen,
die bösen schlafen[41] nicht mehr. —
36 Dann[42] erscheint die Grube[43] der Pein
und gegenüber[44] der Ort der Erquickung;
der Ofen der Gehenna[45] wird offenbar
und gegenüber das Paradies der Seligkeit[46].

37 Da wird der Höchste sprechen zu den Völkern, die erweckt sind:

Nun schaut und erkennet den, den ihr geleugnet,
dem ihr nicht gedient, dessen Gebote[47] ihr verachtet!
38 Schaut nun hinüber und herüber[48]:
hier Seligkeit und Erquickung,
dort Feuer und Pein!

Diese Worte ’wird er‘[49] zu ihnen am Tage des Gerichts sprechen. —

39 Jener Tag ist so,
daß er Sonne nicht hat, nicht Mond, nicht Sterne[50],
40 nicht Wolken, nicht Donner, nicht Blitz;
nicht Wind, nicht Regen[51], nicht Nebel[52];
nicht Dunkel, nicht Abend[53], nicht Morgen;
41 nicht Sommer, nicht Frühling, nicht Hitze;
nicht Winter, nicht Eis, nicht Frost;
nicht Hagel, nicht Wetter, nicht Tau;
42 nicht Mittag, nicht Nacht, nicht Dämmerung;
nicht Glanz, nicht Helle, nicht Leuchten[54],

[372] sondern ganz allein den Glanz der Herrlichkeit des Höchsten[55], wobei alle das schauen können, was ihnen bestimmt ist. 43 Jener Tag dauert eine Jahrwoche[56]. 44 So ist mein Gericht und seine Ordnung; dir allein habe ich dies kundgethan.

Traurig ist, daß der Geretteten so wenig sind; aber diese Wenigen sind um so kostbarer.

45 Ich[57] antwortete und sprach: Schon einmal[58], Herr, habe ich gesagt und sage nochmals: Selig sind, die in die Welt kommen und deine Gebote halten! 46 Aber worüber ich schon damals[59] flehte[60]: wer ist unter den Lebenden, der nicht gesündigt? wer unter den Weibgeborenen, der nicht deinen Bund gebrochen? 47 Jetzt erkenne ich, daß die zukünftige Welt Wenigen Erquickung bringen ’wird‘, Vielen aber Pein[61]. — 48 Denn erwachsen ist in uns[62] das böse Herz;

das hat uns diesem entfremdet
und der Vernichtung nahegebracht;
’es hat uns des Todes Wege gewiesen‘[63]
und des Verderbens Pfade gezeigt
und uns vom Leben fernegefürhrt;

und dies nicht etwa wenige, nein, fast alle, die geschaffen sind!

49 Er antwortete mir und sprach: Höre mir zu, so will ich dich belehren und dich nochmals zurechtweisen[64]. 50 Ebendeshalb hat der Höchste nicht einen Äon geschaffen, sondern zwei. — 51 Nun[65] hast du geklagt, der Gerechten seien nicht viele, sondern wenige; der Gottlosen aber seien viele. So höre dagegen: 52 Nimm an, du besäßest ganz wenige kostbare Steine, würdest du sie dir ’mit Blei und Thon‘[66] zusammenlegen ? Des Bleis aber und Thones ist viel. 53 Ich sprach: Herr, wie ginge das? 54 Er sprach zu mir: Und weiter,

frage auch die Erde, die kann dir’s sagen;
gieb ihr gute Worte[67], sie wird es dir künden.

55 Sprich zu ihr: Du bringst Gold und Silber und Erz hervor, aber auch Eisen, Blei und Thon; 56 Silber aber giebt es mehr als Gold, Erz mehr als Silber, Eisen mehr als Erz, Blei mehr als Eisen, Thon mehr als Blei. 57 So erwäge nun du selber, was kostbar und wertvoll sei: wovon es viel giebt, oder was selten ’vorkommt‘[68]? 58 Ich sprach: Herr, mein Gebieter, das Häufige ist weniger wert, das Seltene[69] ist kostbarer[70]. 59 Er antwortete mir und sprach: Nun schließe aber weiter aus deinen eigenen Gedanken: Wer das Seltene[71] besitzt, hat [373] größere Freude als der, der die Fülle hat. 60 So wird es auch in dem ’Gerichte‘[72] sein, das ich verheißen: ich will an den Wenigen, die gerettet werden, meine Freude haben – sie sind es ja, die auch schon jetzt meinen Ruhm befestigen[73], durch die auch schon jetzt mein Name [mit Preis] genannt wird — 61 und will keine Trauer hegen über die Menge derer, die verloren gehn, – sie sind es ja, die auch schon jetzt

dem Dampfe vergleichbar sind,
dem Feuer ’ähnlich‘[74],
wie Rauch geachtet:
sie haben gebrannt, geglüht, sind erloschen[75]!
Qual und Verantwortlichkeit der Vernunft.

62 Ich antwortete und sprach: O Erde, was hast du gezeugt, wenn die Vernunft[76] aus dem Staub entstanden ist wie jede andere Kreatur! 63 Besser wäre es gewesen, der Staub selber wäre niemals entstanden, daß die Vernunft nicht daraus gekommen wäre. 64 Nun aber wächst die Vernunft mit uns auf[77], und dadurch leiden wir Pein, daß wir mit Bewußtsein ins Verderben gehen[78].

65 So traure[79] der Menschen Geschlecht,
die Tiere des Feldes mögen sich freuen!
Mögen alle Weibgeborenen jammern[79],
das Vieh aber und Wild soll frohlocken[80]!

66 Ihnen ergeht’s ja viel[81] besser als uns; denn sie haben kein Gericht zu erwarten[82], sie wissen nichts von einer Pein, noch von einer Seligkeit, die ihnen nach dem Tode verheißen wäre. 67 Wir aber, was nützt es uns[83], daß wir einst zur Seligkeit kommen können, aber [in Wirklichkeit] in Martern fallen? 68 Denn alle, die geboren sind,

sind von Gottlosigkeiten ’entstellt‘[84],
voll von Sünden,
mit Schuld beladen.

69 Und viel besser wäre es für uns, wenn wir nach dem Tode nicht ins Gericht müßten[85]!

70 Er antwortete mir und sprach: Ehe der Höchste die Welt schuf, Adam und alle seine Nachkommen, hat er vorher das Gericht, und was zum Gerichte gehört, bereitet[86]. 71 Nun aber lerne aus deinen eigenen Worten. Du sagtest ja: die Vernunft wachse mit euch auf. 72 Ebendeshalb verfallen, die auf Erden weilen, der Pein, weil sie trotz der Vernunft, die sie doch [374] besaßen[87], gottlos gehandelt, weil sie die Gebote, die sie doch erhalten, nicht beobachtet und das Gesetz, das ihnen doch gegeben, trotzdem sie es empfangen, gebrochen[88] haben[89]. 73 Was werden sie beim Gericht zu sagen vermögen? Was werden sie am jüngsten Tag erwidern können? 74 Lange genug hat doch der Höchste Langmut gehabt mit den Bewohnern der Welt — freilich nicht um ihretwillen, sondern der Zeiten wegen, die er festgesetzt hatte[90]!

Über die siebenfältige Pein und die siebenfältige Freude des Zwischenzustands.'

75 Ich antwortete und sprach: Wenn ich Gnade vor dir, Herr[91], gefunden, so zeige deinem Knecht auch dies: ob wir nach unserem Tode, wenn wir unsere Seele zurückgeben müssen, einstweilen in Frieden bewahrt werden, bis jene Zeiten kommen, in denen du die Schöpfung erneuern[92] wirst, oder ob wir sofort der Pein verfallen? 76 Er antwortete mir und sprach: Ich will dir auch dies offenbaren. Du aber vermenge dich nicht selbst mit den Verächtern, noch rechne dich zu denen, die gepeinigt werden. 77 Denn du hast einen Schatz guter Werke, der dir beim Höchsten aufbewahrt bleibt[93]; der soll dir freilich erst am jüngsten Tag offenbar werden.

78 Über den Tod aber habe ich dir zu sagen: wenn der entscheidende Spruch von dem Höchsten ergeht, daß der Mensch sterben soll,

wo sich der Geist vom Körper trennt[94]
und zu dem zurückkehrt[95], der ihn gegeben hat[96],

um zunächst vor der Herrlichkeit des Höchsten anzubeten[97]: 79 hat er nun zu den Verächtern gehört,

die die Wege des Höchsten nicht bewahrt,
die sein Gesetz verschmäht
und die Gottesfürchtigen gehaßt,

80 solche[98] Seelen gehen nicht in die Ruhekammern ein, sondern müssen sogleich qualvoll umherschweifen, unter ständigem Seufzen und Trauern, in siebenfältiger Pein[99].

81 Die erste Pein ist, daß sie des Höchsten Gesetz verachtet; 82 die zweite, daß sie die wahre Buße[100] zum Leben nicht mehr thun können; 83 die dritte, daß sie den Lohn sehen, der [375] denen aufbewahrt ist, die des Höchsten Zeugnissen geglaubt haben; 84 die vierte, daß sie die Pein schauen, die ihnen selbst für die letzte Zeit ’bevorsteht‘[101]; 85 die fünfte, daß sie sehen, wie Engel die Wohnungen der anderen ’Seelen‘[102] in tiefem Frieden bewachen; 86 die sechste, daß sie sehen, daß sie schon jetzt in die Pein hinüber müssen[103]; 87 die siebente, schlimmer als alle genannten Martern,

daß sie vor Scham vergehen[104],
’vor Angst‘[105] sich verzehren
und vor Furcht erschlaffen,

daß sie die Herrlichkeit des Höchsten schauen müssen, vor dem sie im Leben gesündigt, und von dem sie am jüngsten Tage gerichtet werden sollen!

88 Denen aber[106], die des Höchsten Wege bewahrt haben, gilt diese Ordnung, wenn sie sich trennen dürfen von diesem sterblichen Gefäß[107]. 89 Damals, als sie noch darinnen lebten[108], haben sie dem Höchsten unter Mühsalen gedient und haben stündlich Gefahren erduldet, um das Gesetz dessen, der es gegeben, vollkommen zu halten. 90 Deshalb gilt ihnen diese Verheißung: 91 Zuerst schauen sie mit lautem Frohlocken die Herrlichkeit dessen, der sie zu sich nimmt; dann[109] gehen sie in die Ruhe ein zu siebenfacher Freude[110]. 92 Die erste Freude ist, daß sie in schwerem Streite gekämpft[111] haben, den ihnen anerschaffenen bösen Sinn[112] zu besiegen, daß er sie nicht vom Leben zum Tode verführe; 93 die zweite, daß sie die wirren Wege[113] schauen, auf denen die Seelen der Gottlosen umherirren müssen, und die Strafe, die ’jener‘[114] harrt. 94 Die dritte, daß sie das Zeugnis sehen, das ihr Schöpfer ihnen bezeugt hat, daß sie im Leben das Gesetz, das ihnen anvertraut war[115], gehütet haben; 95 die vierte, daß sie die Ruhe kennen, die sie schon jetzt, in ihren Kammern versammelt, unter dem Schutze von Engeln in tiefem Frieden genießen dürfen, und die Herrlichkeit, die ihrer zuletzt noch[116] wartet. 96 Die fünfte, daß sie frohlocken, jetzt der Vergänglichkeit entflohen zu sein[117] und die Zukunft zu ererben[118]; ferner, daß sie auf die Enge und die vielen Mühsale hinblicken, wovon sie erlöst sind, und auf die Weite, ’die‘[119] sie ererben sollen in seliger Unsterblichkeit. 97 Die sechste, daß ihnen gezeigt wird, wie ihr Antlitz einst wie die Sonne leuchten soll[120], und wie sie dem Sternenlichte gleichen [376] sollen, von nun an [wie diese] nicht mehr vergänglich. 98 Die siebente Freude, höher als alle genannten, ist die, daß

sie zuversichtlich frohlocken,
sicher vertrauen[121]
und furchtlos sich freuen;

denn sie eilen herzu, das Antlitz dessen zu schauen[122], dem sie im Leben gedient, und von dem sie Lob[123] und Lohn empfangen sollen. 99 Das sind die Freuden der Seelen der Gerechten, die[124] ihnen schon für jetzt verheißen sind; die Martern aber[125], von denen ich sprach, sind es, denen die Sünder[126] schon jetzt verfallen. —

100 Ich antwortete und sprach: Es wird also den Seelen, nachdem sie sich von ihren Leibern getrennt haben, eine Frist verstattet, das zu schauen, was du mir geschildert hast? 101 Er sprach zu mir: Sieben Tage haben sie Freiheit[127], um sich in diesen sieben Tagen das, wovon ich gesprochen[128], zu betrachten; darnach werden sie in ihre Kammern versammelt.

Giebt es Fürbitte beim jüngsten Gericht?[129]

102 Ich antwortete und sprach: Wenn ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, so zeige mir, deinem Knechte, noch dies: ob die Gerechten am Tage des Gerichts für die Gottlosen eintreten und beim Höchsten für sie bitten dürfen[130]: 103 Väter für Söhne, Söhne für die Eltern, Brüder für Brüder, Verwandte für ihre Vettern, Freunde[131] für ihre Genossen? 104 Er antwortete mir und sprach: Weil du Gnade vor meinen Augen gefunden hast, so will ich dir auch dies zeigen. Der Tag der Entscheidung ist ’wie der Gerichtsbote‘[132] und zeigt allen das Siegel der Wahrheit[133]. Wie schon jetzt kein Vater den Sohn, kein Sohn den Vater, kein Herr den Knecht, kein Freund den Genossen senden kann, daß er für ihn ’krank sei‘[134], schlafe, esse oder sich heilen lasse, 105 so wird ’auch dann‘[135] keineswegs jemand für irgend wen bitten ’noch jemanden anklagen‘[136] dürfen; dann trägt ein jeder ganz allein seine Ungerechtigkeit oder Gerechtigkeit[137].

106 Ich antwortete und sprach: Wie finden wir aber jetzt geschrieben, daß schon[138] Abraham für die Leute von Sodom gebetet hat, Mose für unsere Väter, als sie in der Wüste sündigten, 107 Josua nach ihm für Israel in den Tagen Achans[139], 108 Samuel ’in den Tagen Sauls‘[140],

[377] David wegen der Plage[141], Salomo für die, die am Heiligtume [beten][142], 109 Elias für die, die den Regen empfingen[143], und für den Toten, daß er lebe[144], 110 Hiskia für das Volk in den Tagen Sanheribs[145] und viele andere für viele? 111 Wenn also jetzt, da die Verderbnis gewachsen und der Ungerechtigkeit viel geworden ist, Gerechte für Sünder gebetet haben, warum kann das nicht auch dann geschehen? — 112 Er antwortete mir und sprach: Die gegenwärtige Welt ist nicht das Ende, ihre[146] Herrlichkeit bleibt ’nicht‘ beständig[147]; deshalb haben Starke für Schwache beten dürfen. 113 Der Tag des Gerichts aber ist das Ende dieser Welt und ’der Anfang‘ der kommenden ewigen Welt; darinnen ist

die Verderbnis vorüber,
114 die Zuchtlosigkeit ausgetrieben,
der Unglaube vertilgt[148];
die Gerechtigkeit aber erwachsen
und die Wahrheit entsprossen.

115 Dann also wird sich niemand dessen erbarmen dürfen, der im Gericht unterlegen ist[149], noch den stürzen[150] können, der dann obgesiegt hat.

Was nützt den Sündern die Verheißung? Aber sie haben ihr Geschick verdient.

116 Ich antwortete und sprach: Dies bleibt mein erstes und letztes Wort[151]: Besser wäre es, die Erde hätte Adam nie hervorgebracht, oder sie hätte ihn wenigstens von der Sünde ferngehalten. 117 Denn was hilft es uns allen, daß wir jetzt in Trübsal leben müssen und nach dem Tode noch auf Strafe zu warten haben? 118 Ach Adam, was hast du gethan! Als du sündigtest, kam dein Fall nicht nur auf dich, sondern auch auf uns, deine Nachkommen! 119 Denn was hilft es uns[152], daß uns die Ewigkeit versprochen ist, wenn wir Werke des Todes[153] gethan haben? 120 daß uns eine unvergängliche Hoffnung[154] verheißen ist, wenn wir so traurig der Eitelkeit verfallen sind? 121 daß uns Stätten voll Genesung und Frieden bereitet sind, wenn wir im Elend dahingegangen sind? 122 daß einst des Höchsten Herrlichkeit die beschirmen soll, die sich rein erhalten haben[155], wenn wir auf schändlichen Wegen gewandelt haben? 123 daß das Paradies erscheinen soll, dessen Früchte ewig bleiben, die[156] Sättigung und Heilung[157] verleihen, 124 wenn wir doch niemals hineinkommen, weil wir an scheußlichen[158] Orten verweilt haben? 125 daß das Antlitz der Reinen[159] heller als Sonnenglanz strahlen wird, wenn unser eigenes Antlitz finsterer sein wird als die Nacht[160]? 126 Denn ach, wir haben im Leben, da wir Sünde thaten, der Leiden nicht gedacht, die uns nach dem Tode bevorstehen!

127 Er antwortete und sprach: Das ist der Sinn des Kampfes, den[161] jeder kämpfen muß, der auf Erden als Mensch geboren ist, 128 daß er, wenn besiegt, zu leiden [378] hat, wovon du gesprochen; siegt er aber, so empfängt er, was ich dir ’verkündet‘[162]. 129 Denn das ist der Weg, von dem schon Mose, als er noch lebte, zum Volke gesagt hat: Wähle dir das Leben, daß du Leben habest[163]! 130 Sie glaubten ihm aber nicht, noch den Propheten nach ihm, noch auch mir selber, der ich zu ihnen gesprochen[164]. 131 Deshalb ’wird‘[165] keine Trauer sein über ihren Untergang, sowie Freude herrschen wird über ’das Heil der Gläubigen‘[166].


Bedenken gegen die Verdammnis so vieler, vom Gottesbegriff aus.
Wie verträgt sich die Verdammnis so vieler Menschen mit Gottes Erbarmen?

132 Ich antwortete und sprach: Herr, ich weiß doch, daß der Höchste gegenwärtig der Barmherzige heißt, weil er sich derer erbarmt, die noch nicht in die Welt gekommen sind, 133 der Gütige, weil er gegen die, die nach seinem Gesetze wandeln[167], gütig ist; 134 der Langmütige, weil er den Sündern als seinen Geschöpfen Langmut erweist; 135 der Mildthätige, weil er lieber schenken als fordern will; 136 der Gnadenreiche, weil er gegen Lebende, Vergangene und Zukünftige an Gnaden so reich[168] ist; 137 und wäre er es nicht, so käme die Welt samt ihren Bewohnern niemals zum Leben[169]; 138 der Freundliche, denn wenn er nicht freundlich verstattete, daß die Sünder ihrer Sünden los und ledig würden, so könnte nicht der zehntausendste Teil der Menschen zum Leben[170] gelangen; 139 und der ’Verzeihende‘[171], ’denn‘[172] wenn er nicht den Geschöpfen seines Wortes verziehe und die Fülle ihrer Übertretungen[173] tilgte, so würden vielleicht aus der unzählbaren Menge überbleiben nur ganz wenige!


  1. Der Sinn verlangt est; Lat hat ἔσται gelesen (Hilg.).
  2. Vgl. zu 6,8.
  3. Verwechselung von לָרֶדֶת und לׅרְדֹּת?
  4. Dies scheint besser zu sein als die Fassung: eine Stadt, erbaut und gelegen. Man lese: πόλις ἔστιν ᾠκοδομημένη, καὶ κειμένη κτλ.; vgl. 5,25. 10,44.
  5. Ein ähnliches Bild Hermas, Simil. 9,12,5.
  6. Dieses Bild ist nicht ganz der Wirklichkeit entnommen, sondern es ist auch Phantastisches benutzt. Es scheint das Bild von der Hadesfahrt nachzuwirken, das vielleicht auch schon bei dem ersten Gleichnis im Hintergrunde liegt.
  7. Diese jammervolle Welt ist nicht mehr die Welt, die aus der Hand des guten und gnädigen Gottes urspr. hervorgegangen ist, von der Gen. 1 sagt: siehe, es war alles gut. So entsteht die Lehre vom Falle der Schöpfung, die auch Paulus Röm. 8,20 voraussetzt. Letztlich bedeutet dies Dogma einen Kompromiß der alten optimistischen Weltbetrachtung, die nur für die Urzeit anerkannt wird, und der modernen jüdisch-pessimistischen, die für die Gegenwart Recht bekommt.
  8. Der Text des Lat und Syr ist in Verwirrung. Jedenfalls soll der Sinn sein, daß dieser Äon der beschwerliche Zugang zu jenem Äon ist (so paraphrasiert richtig Ar²). Aeth übersetzt V. 12f. viae, dagegen V. 4 und 7 via introitus, ebenso Ar¹, wonach oben. — Die „Wege dieses Äons“ sind die Wege, auf denen wir Menschen in diesem Leben hienieden wandeln.
  9. Syr cum infirmitatibus; vgl. Ar¹.
  10. μόχθων πολλῶν ἐχόμεναι (Hilg.) ἔχεσθαι = אֵצֶל.
  11. WS: Siehe die drittletzte Anmerkung.
  12. D. h. des gewaltigen, kommenden Äon; dem Sinne nach richtig Syr saeculi futuri, Aeth istius mundi; für den Ausdruck עוֹלָם הָרַב‎ vgl. Slav. Hen. 61,2. 66,7.
  13. κενά Volkmar = רֵיקׅים.
  14. Arm quod mortalis es – quod corrumperis. Esra soll nicht über Tod und Sterben nachdenken, weil das nur — freilich notwendige — Durchgangsstadien sind.
  15. Diese Worte sind wichtig für den Zusammenhang des Buchs; mit ihnen wendet sich der Verf. von der Betrachtung der Gegenwart ab zu der der Zukunft; vgl. die Einleitung S. 337.
  16. Gemeint ist etwa Dt. 8,1.
  17. Diese Antwort ist die allgemeine des Judentums und auch von Paulus acceptiert. Wodurch man aber gerecht werde, untersucht das Judentum nicht weiter, weil ihm selbstverständlich ist, man werde dadurch gerecht, daß man Gottes Gebote hält; vgl. V. 21.
  18. Syr Aeth Ar¹ Arm betonen tu.
  19. Apoc. Pauli 33 μὴ σὺ ἐλεήμων ὑπάρχεις ὑπὲρ τὸν θεόν;
  20. Lat pereant enim multi praesentes quam neglegatur, quae anteposita est dei lex = ἀπολλύσθωσαν γὰρ πολλοὶ παρόντες ἦ ἀμελείσθω ὁ προκείμενος τοῦ θεοῦ νόμος v. Wilamowitz.
  21. Ps. 14,1.
  22. לאׁ יָדְעוּ.
  23. Vgl. Jer. 2,5; dem Sinne nach = „Böses den Bösen, Gutes den Guten“. Der Form nach eine ähnliche Paradoxie wie Matth. 13,12.
  24. Arm manifestabitur urbs quae nunc non apparet; ebenso Ar¹ (Aeth); das erste Glied ist ganz dem zweiten parallel. καὶ φανήσεται ἡ νῦν μὴ φαινομένη πόλις, verschrieben zu ἡ νύμφη φαινομένη πόλις, so Lat et apparebit sponsa apparens (C M) civitas, Syr et revelabitur sponsa apparescens ut civitas und Ar² et cognosces coronatam (i. e. sponsam) quae exsistit.
  25. Paradies und Gottesstadt werden auch sonst nebeneinander genannt; Ap. Bar. 4. Offenb. Joh. 22,2.
  26. Syr Ar¹ filius meus Messias, Aeth Messias meus, Arm Messias dei, Ar² Messias, Lar Jesus ist christliche Korrektur.
  27. 1 Thess. 3,13. 2 Thess. 1,7.
  28. Die Zahl ist eine Kombination von Ps. 90,15 und Gen. 15,13. Das Dogma vom „Chiliasmus“ ist ein Kompromiß zwischen der alten diesseitigen Hoffnung der Propheten und der modern-jüdischen transcendentalen Hoffnung; auf die letztere fällt dabei der Accent.
  29. Diese Erwartung, der Messias werde am Ende seiner Regierung sterben, ist höchst bemerkenswert; mit christlichen Gedanken, wonach Jesus, bevor er das Reich als Christus angetreten hat, gestorben ist, hat diese Erwartung nichts zu schaffen; vgl. aber 1 Kor. 15,28. In anderen Religionen ist das Sterben der Götter nicht auffällig, sondern spielt dort ev. eine große Rolle; so der Tod des Osiris, des Herkules, des Zeus in Kreta u. a.
  30. Dies Schweigen im Uranfang dauerte von der Weltschöpfung an bis zur Entstehung der Menschen und ihrer Sprache, vgl. 6,39; auch hier ist die Voraussetzung: Urzeit = Endzeit.
  31. Geistreich. Vgl. 1 Kor. 15,26.
  32. Die Herkunft und Entstehung dieses Glaubens an die Auferstehung aus den Toten ist noch immer eine ungelöste Frage. Deutlich aber ist uns die ungeheure Bedeutung, die dieser Glaube in der Geschichte der Religion hat: er hat die ganze Religion des Judentums umgestaltet; dieser Glaube macht so sehr Epoche, daß darnach die ganze Religionsgeschichte Israels in zwei Teile zerfällt: vorher und nachher.
  33. Der Thron des Weltenrichters eine apokalyptische Tradition, Dan. 7,9. Offenb. Joh. 20,11 u. a.
  34. Syr et veniet consummatio; vgl. Ar².
  35. Syr et misericordia elongabitur; auch Aeth hat den Passus gelesen.
  36. נֶאֱסַף versammelt werden, verschwinden.
  37. Syr exsultabit, Hilg. κατισχύσει.
  38. Opus ist nach Wellh. Hebraismus; פְעֻלָּה = „Werk, Lohn“, vgl. Ps 109,20 ἔργον.
  39. Offenb. Joh. 14,13. 1 Tim. 5,24.
  40. δικαιοσύναι צְדָקוֹת.
  41. Zur Form vgl. Bensly S. 16.
  42. Hier beginnt „die Lücke“ im Sangermanensis und seinen Tochterhandschriften.
  43. λάκκος, Syr גובא (Bensly) fovea, Aeth Ar¹.²; vgl. Bensly, Missing Fragment S. 55 und 1 Clemens 45. Tert. De spectaculis 30. Zur Vorstellung vgl. Offenb. Joh 9,2. Die Anschauung von der Grube der Hölle ist sicher urspr. mytholog. Art und ins Judentum aus der Fremde, genauer aus dem Orient gekommen. Weiteres ist einstweilen unbekannt.
  44. Luk. 16,23.
  45. Offenb. Joh. 9,2.
  46. ὁ τῆς τρυφῆς παράδεισος = גַּן עֵדֶן Bensly.
  47. Vgl. zu 3,7.
  48. in contra wie 14,45 in palam (Rönsch, S. 235).
  49. Syr Aeth Ar¹ loquetur.
  50. In der nachfolgenden Aufzählung gehören je drei Worte zusammen, wie oft in hebräischen Versen; vgl. darüber die Einl. S. 349.
  51. ὕδωρ.
  52. ἀήρ.
  53. Über die Form sero vgl. Bensly S. 57.
  54. Eine ähnliche Aufzählung für die Endzeit Sibyll. 3,89-92. Gegenstücke solcher Schilderungen für die Urzeit sind 4 Esra 6,1ff. und die zu dieser Stelle notierten Stellen. Auch hier liegt der Satz im Hintergrunde: τὰ ἔσχατα ὡς τὰ πρῶτα.
  55. Vgl. Jes. 60,19f. Offenb. Joh. 21,23. Der Abschnitt atmet die Stimmung des Mystikers, dem Alles vor Gott verschwindet.
  56. Wie die Welt in einer Woche geschaffen worden ist; wiederum nach dem Dogma, daß die Endzeit der Urzeit gleich sei. Der Stelle liegt eine Tradition zu Grunde, die der von 7,30 verwandt, aber auch von ihr verschieden ist.
  57. 7,45-115 hält Hilg. (mit Unrecht) für späteren Einsatz; vgl. oben S. 350.
  58. 7,17.
  59. 7,18.
  60. ἀλλὰ περὶ ὧν ἡ δέησίς μου (Bensly).
  61. Syr quia paucis futurum est, ut saeculum venturum ferat iucunditatem, multis vero tormentum = ὁτι ὀλίγοις μὲν μελλήσει ὁ αἰὼν ὁ ἐρχόμενος εὐφροσύνην ποιεῖν, πολλοῖς δὲ βασάνους· Lat hat für μελλήσει (incipiet) μελήσει (pertinebit) gelesen (Bensly).
  62. Über diesen Gebrauch des Accusativ vgl. Bensly.
  63. Syr et vias moris demonstravit nobis.
  64. καὶ ἐκ δευτέρου νουθετήσω σε (Bensly).
  65. enim. vgl. zu 6,8.
  66. Ar.¹ si pretiosos lapides, uniones, habes paucos numero eorum, num iis addes plumbum et fictile? Darnach ist Lat (Syr) ad numerum eorum wohl εἰς ἀριθμὸν αὐτῶν = לְמׅסְפָּרָם (an ihrer Zahl). In Lat ist hinter compones eos tibi weggefallen plumbum et fictile. Andererseits ist in Syr Aeth Ar.¹ der Schlußsatz plumbum autem et fictile abundat ausgefallen. Also etwa λίθους ἐκλεκτοὺς ἐὰν ἔχῃς ὀλίγους πάνυ εἰς ἀριθμὸν αὐτῶν, συνθήσεις σοι μόλυβδον καὶ κέραμον; μόλυβδος δὲ καὶ κέραμος ἄφθονοί εἰσιν v. Wilamowitz.
  67. Etwa הֶהֱלׅיק אֶל.
  68. γίγνεται.
  69. Zu enim vgl. zu 6,8.
  70. Für die Geschichte nationalökonomischer Anschauungen ist es interessant, zu beobachten, wie der Verf. hier den Satz aufstellt, das Seltene sei zugleich kostbar; den Lesern ist, wie es scheint, dieser Gedanke etwas Neues.
  71. Aeth rariora vgl. Ar¹ Syr ὁ ἔχων τὸ δυσπόριστον χαίρει ὑπὲρ τὸν ἔχοντα ἀφθονίαν v. Wilamowitz.
  72. Lat creatura κτίσις, verschrieben aus κρίσις (so Syr Ar¹) Bensly.
  73. Syr Ar² confirmant, Lat dominatiorem (Benslys Konjektur) = κυριωτέραν (Bensly).
  74. Syr et pares flammae facti sunt.
  75. Jes. 43,17.
  76. νοῦς.
  77. Wenn wir selber (aus Kindern) heranwachsen.
  78. Syr quia cum sciamus perimus. Der Sinn ist: uns Menschen gereicht die Vernunft nur zur Pein, weil es unsere ewigen Qualen noch verschärfen wird, daß wir mit vollem Bewußtsein leiden!
  79. a b Syr (Aeth Arm) lugeant — lamententur, Wechsel im Ausdruck.
  80. Dies ist nach antiker Anschauung ein ganz erschütternder Ausdruck der Verzweiflung; vgl. als Gegenstück Gen. 1. Ps. 8: die Antike zeigt sonst den Menschen als hocherhaben und als Herrn über die Tiere.
  81. multum = multo (Bensly S. 62).
  82. Ap. Esdrae (ed. Tischendorf) S. 25: τὰ ἄλογα κάλλιόν εἰσιν παρὰ τὸν ἄνθρωπον, ὅτι κόλασιν οὐκ ἔχουσιν· ἡμᾶς δὲ ἔλαβες καὶ εἰς κρίσιν παρέδωκας.
  83. Man beachte, daß der Verfasser hier und im Folgenden sich mit unter die Sünder rechnet; vgl. die Einleitung S. 338.
  84. συμπεφυρμένοι (Bensly).
  85. Zu diesem höchst beachtenswerten vollständigen Stimmungsumschwung des Buchs vgl. die Einleitung S. 338.
  86. Nach den Lehren des Judentums sind Paradies und Gehenna, die „Orte des Gerichts“, vor der Welt geschaffen. Der Verfasser nimmt diese Lehre auf, um zu zeigen, daß das Gericht ein Verhängnis ist, älter als die Menschen selbst, unter dem sie von vornherein stehen, dem zu entrinnen für sie schlechterdings unmöglich ist.
  87. Der Gedanke, der Mensch besitze die Vernunft V. 64, wird in geistvoller Weise umgedreht, um die Verantwortlichkeit des Menschen zu beweisen.
  88. ἠθέτησαν (Bensly).
  89. Man beachte den großen Ernst des Vergeltungsgedankens.
  90. 4,37.
  91. Lat domine, Syr dominator domine; dieselbe Abweichung auch 6,38.55. 7,45; die anderen Versionen stehen, soweit sie an dieser Stelle überhaupt ein Äquivalent haben, aus Seite des Lat. Zu einer Änderung des Lat nur an dieser Stelle (7,75) liegt also kein Grund vor (gegen Bensly-James).
  92. Vgl. den Terminus καινὴ κτίσις.
  93. Die Anschauung von den im Himmel aufbewahrten Schätzen (Matth. 6,20. Luk. 12,33. 1 Tim. 6,17ff.) ist urspr. gewiß im eigentlichen, später im übertragenen Sinne gemeint.
  94. Derselbe Ausdruck Ap. Sedrach 11.
  95. Syr mittatur, Aeth Ar¹ revertatur.
  96. Pred. 12,7; vgl. auch Ap. Mosis (ed. Tischendorf) 31.
  97. Diese Näherbestimmung (adorare etc.) ist als eine Exegese des vorhergehenden Satzes gedacht. Pred. 12,7, der hier citiert wird, hat noch die alte Psychologie, wonach der Geist des Menschen zu Gott zurückgeht (und in ihm verschwindet); im 4 Esra dagegen gilt die neue Lehre, wonach die Seele des Menschen in Ewigkeit ihr selbständiges Wesen behält. Der Satz Pred. 12,7 kann daher von 4 Esra nur in dem Sinne verstanden werden, daß die Seele des Menschen nach dem Tod auf bestimmte Zeit und zu einem bestimmten Zwecke vor Gott tritt.
  98. Über die Form haec vgl. Bensly S. 64.
  99. Wörtlich: in 7 Arten (דֶרֶך). — Die folgende Disposition des Stoffes zu 7 Martern und 7 Seligkeiten, die nach unserem Begriffe die Wirkung der Gedanken etwas stört, gehört dennoch von Anfang an zum Stoffe; sie stammt aus der urspr. babylonischen im Judentum allgemeinen Tradition, daß es 7 Himmel und 7 Höllen gebe, in denen die Verstorbenen nach altjüd. Tradition 7 Stufen der Seligkeit und Pein unterliegen. Diese Beschreibung der 7 Seligkeiten und 7 Martern zeichnet sich vor anderen derartigen, gewöhnlich sehr krassen Schilderungen durch ihre hohe Spiritualisierung aus.
  100. Syr converti et facere bona, nach Bensly S. 87 vielleicht das Ursprüngliche. Aber Lat reversio bona = תּשׁוּבָה טוֹבָה.
  101. Syr Aeth Ar¹ haben Wechsel im Ausdruck.
  102. Syr animarum aliarum; vgl. Aeth Ar¹.
  103. Der Text des Lat, mit dem Syr (quod vident supplicium, quod ex hoc nunc paratum est eis) Ar² und Arm im Ganzen stimmen, wiederholt nicht etwa die vierte Pein: die vierte Marter ist das Wissen um die zukünftige, ewige Pein, die sechste das um die sofort bevorstehende Pein. Die sechste Marter entspricht also dem ersten Teile der vierten Seligkeit. — de eis = ἐκ τούτων.
  104. Über das Verbum detabesco vgl. Bensly S. 65f.
  105. Syr Aeth in pudore = αἰσχύνη (Bensly).
  106. Über nam vgl. zu 4,34.
  107. Über vasum Bensly S. 66. — Man beachte die Anthropologie: der Leib ist der Kerker der Seele.
  108. Syr in illo enim tempore, quo habitaverunt in eo (d. h. im Körper); vgl. Aeth. (Arm). Nach Bensly S. 88 ist Lat commoratae wohl =·commorationis.
  109. Syr et requiescunt.
  110. Lat ordines = τάξεις (Bensly).
  111. Über das Deponens certor vgl. Bensly S. 67.
  112. Syr sensum. Man beachte die Anthropologie; der böse Sinn = יֵצֶר הָרַע.
  113. συμπλοκή, Syr conversionem.
  114. Syr (Aeth) et supplicium reservatum illis; zum Lat in eis vgl. Bensly.
  115. per fidem = ἐν πίστει oder εἰς πίστιν auf Treu und Glauben; Syr legem creditam; vielleicht gehört aber ἐν πίστει zu ἐτήρησαν (servaverunt); vgl. Bensly zur Stelle. Dies wäre wohl für das Hebräische vorzuziehen.
  116. eorum gehört zu in novissimis; vgl. 12,23.
  117. Es liegt der Eindruck zu Grunde, daß die Vergänglichkeit nicht zum Wesen des Menschen gehört, sondern ihm etwas Fremdes, Feindliches ist.
  118. futurum = τὸ μέλλον, haereditatem possidere = κληρονομεῖν (Bensly).
  119. Syr et recreationes, quas futurum est ut accipiant.
  120. Daß die „verklärten“ Seligen glänzen werden wie die Sterne des Himmels, ist ein dem Judentum und Christentum wohlbekannter Glaube, Dan. 12,3. Matth. 13,43. Ap. Bar. 51,3.10. Äth. Henoch 39,7. 51,5. 104,2 u. s. w. Auch Paulus vergleicht das σῶμα πνευματικὸν mit den Sternen 1 Kor. 15,41. Parallel ist charakteristischerweise, daß die Seligen den Engeln gleichen werden, Matth. 22,30. Äth. Henoch 51,4f. 104,6. Ap. Bar. 51,10. Beides ist urspr. identisch denn die Sterne des Himmels sind urspr. Engel. Diese Beobachtung ist wichtig, weil wir daraus erkennen [376] können, aus welchen Kreisen der Auferstehungsglaube urspr. stammt. Er stammt aus einer Religion, deren Götter Sterne waren, und in der das Ideal der Gläubigen war, der Sterblichkeit der Menschenkinder entrückt und zu unsterblichen Göttern, zu ewigen Sternen zu werden. Dies also ist der älteste Sinn des Wortes „in den Himmel kommen“; vgl. Äth. Henoch 104,2.
  121. Zur Form vgl. Bensly S. 16.
  122. Matth. 5,8.
  123. ἔνδοξος Bensly.
  124. αὕτη ἡ τάξις τῶν ψυχῶν τῶν δικαίων ὡς ἐκ τοῦ νῦν ἐπαγγέλλεται v. Wilamowitz.
  125. Die Konstr. des Lat scheint zu sein praedictae [sunt] viae cruciatus (Bensly).
  126. negligere =·πλημμελεῖν.
  127. Warum gerade sieben Tage, wird hier nicht gesagt; man hat allen Grund, hierin eine Tradition zu sehen, deren Herkunft einstweilen dunkel ist. Ähnliches bei Plato.
  128. Sermo = λόγος דָּבָר‎; ebenso 10,5.
  129. Der Zusammenhang des folgenden Abschnitts mit dem Vorhergehenden ist folgender. Die Frage dieses Abschnitts: ist im Gericht kein Durchschlüpfen möglich? und die Frage des vorigen: giebt es nicht vielleicht wenigstens Ruhe bis zum Gericht? haben denselben verschwiegenen Hintergrund: hat der Sünder denn gar keine Möglichkeit mehr, wenn auch nur für eine bestimmte Zeit, dem Verderben zu entgehen? Der Verf. weist alle Ausflüchte mit Energie zurück.
  130. poterint = poterunt (Bensly).
  131. φίλοι Bensly.
  132. Syr lictor.
  133. D. h. das Siegel des Richters, das die Wahrheit (des Urteils) bezeugt.
  134. Syr Aeth (Arm) infirmetur, Lat (Ar²) intellegat (Verwechselung von νοσέω und νοέω, Bensly).
  135. Syr etiam tunc; vgl. Ar¹.
  136. Syr neque ut gravet aliquis aliquem: vgl. Aeth.
  137. Diese Entscheidung macht dem Verf. alle Ehre, da er sich selbst damit einen vielleicht möglichen Trost abschneidet. Die Forderung der Gerechtigkeit will er nicht abschwächen, sondern sie vertiefen; vgl. oben S. 339.
  138. Hier setzt der Sangermaneusis wieder ein.
  139. Jos. 7,7ff. LXX Ἀχαρ.
  140. 1 Sam. 7,9. 12,23.
  141. confractio = θραῦσις 2 Sam. 24,15. θραῦσις = מַגֵּפָה‎. Dem Sinne nach richtig Aeth pro pestilentia; 2 Sam. 24,17.
  142. 1 Kön. 8,22ff.30ff. Lat A in sanctificationem = מׅקְדָּשׁ. Vgl. Amos 7,9; vgl. Rönsch S. 77.
  143. 1 Kön. 18,42.
  144. 1 Kön. 17,20f.
  145. 2 Kön. 19,15ff.
  146. So Ar¹; nach Syr Aeth: Gottes Herrlichkeit bleibt darin nicht beständig.
  147. Syr non constanter manet.
  148. Etwa נׅכְרַת.
  149. ἡττήθη schuldig gesprochen ist.
  150. Zum Ausdruck vgl. Ap. Bar. 14,7.
  151. Vgl. 7,63.
  152. Ähnlich Ap. Sedrach 7.
  153. νεκρὰ ἔργα Hebr. 6,1.
  154. ἐλπὶς ζῶσα 1 Petr. 1,3.
  155. Jes. 4,4.5ff.
  156. in quo ist (gegen die anderen Versionen) auf fructus zu beziehen, vgl. Hes. 47,12. καρπὸς = פְּרׅי ist Kollektivum.
  157. Sättigung und Heilung vgl. Hes. 47,12. Offenb. Joh. 22,2.
  158. ἀχάριστος; vgl. Weish. 5,7.
  159. abstinentiam habere = ἐγκρατεύεσθαι Hilg.
  160. Die Erwartung, daß die Sünder in Nacht und Finsternis gequält werden sollen, geht neben der anderen her, daß die Hölle voll Feuers ist. Nach genauerer Tradition giebt es mehrere Straforte mit verschiedenen Arten von Qualen.
  161. quem bezieht sich auf ἀγῶνος = certaminis.
  162. Ar¹ Syr dixi. Esra redet im Vorhergehenden beständig vom Schicksal der Sünder, der Engel dagegen von dem der Gerechten.
  163. Dt. 30,19. — Man beachte, wie das Judentum solche Worte in tieferem Sinne auffaßt. Die antike Betrachtung hätte vom Leben als der Güter höchstem gesprochen; die Apokalyptik versteht unter dem „Leben“ das ewige, unsterbliche, selige Leben im Himmel. Vgl. V. 137f.
  164. Nachgeahmt in Ap. Sedrach 14.
  165. Syr erit.
  166. Lat super eos quibus persuasa est salus, Syr de salute eorum qui credunt, Aeth in eorurn vita qui credunt = ἐπὶ τῶν πεισθέντων σωτερίᾳ (Hilg.).
  167. τοῖς ἀναστροφὴν ποιουμένοις ἐν τῷ νόμῳ αὐτοῦ (Volkmar) oder τοῖς ἐπιστρεφομένοις εἰς τὸν νόμον αὐτοῦ (die sich zu seinem Gesetz bekehren) Hilg.
  168. ἐπειδὴ πλέον αὔξει τοῖς ἐλέους τοῖς παροῦσι κτλ. — πλέον verstärkt das Verbum, v. Wilamowitz.
  169. D. h. zu wahrem (ewigem) Leben; anders Ar².
  170. Vgl. die vorige Anm.
  171. Lat Syr Aeth Ar¹ Arm iudex. Dies Wort ist sicher falsch: vielmehr ist nach Analogie sämtlicher vorhergegangener Sätze ein Nomen zu erwarten, das dem Verbum ignoverit entspricht; iudex = שׁׂפֵט; man lese שׁׂמֵט der „Erlassende“.
  172. Syr Aeth quoniam.
  173. ἀθετήματα (Hilg.).
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