Denkt an den armen Müller!

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Titel: Denkt an den armen Müller!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 384
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Opfer von Fehlurteilen?
Blätter und Blüthen
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[384] „Denkt an den armen Müller!“ – Unsere Leser werden bei diesem Mahnruf unwillkürlich an den armen Deutschen, Namens Müller, denken, der im vorigen Jahre in England hingerichtet wurde wegen eines Mordes, von dessen Thäterschaft derselbe bis zum letzten Augenblick sich standhaft frei sprach und für welche später sogar der wahre Verbrecher an den Tag gekommen sein soll, aber nur um sofort wieder unter den sich überstürzenden Zeitereignissen zu verschwinden. Noch heute schwebt über jener Hinrichtung ein schwarzer Schatten, den am wenigsten die Aussage des Geistlichen, daß der Unglückliche ihm noch im Moment vor dem Tode seine Schuld gestanden, zu zerstreuen vermochte. Schaden wenigstens dürfte der englischen Justiz, wie überhaupt jeder, welche noch über die Todesstrafe verfügt, es nicht, wenn vor jedem Todesurtheil jene an die Spitze unserer Mittheilung gesetzte Mahnung auch an sie gerichtet würde. – Ehre den Richtern, welche diesen Spruch sich vor jeder solcher ernsten Handlung zurufen ließen, nicht nur als eine Mahnung an dasselbe Gericht, das einst einen Justizmord begangen hatte, sondern auch zur Sühne für den Armen, welchem diese das Leben geraubt und dessen Andenken in so erschütternder Weise erhalten wurde. Dies geschah im alten Venedig.

Ein Deutscher, welcher in den Jahren von 1790–1795, also in der letzten Zeit der Republik Venedig, hier lebte, hinterließ uns eine treffliche Schilderung von der milden und gewissenhaften Handhabung der Criminaljustiz in allen Fällen, die nicht Staatsverbrechen angingen und wo der Rechtsspruch auf Tod lauten mußte. Kein Verbrecher, sagt er, kann mit dem Tode bestraft werden, wenn er nicht seiner That vollkommen überwiesen ist. Sollte aber im äußersten Fall für den Schuldigen keine Rettung mehr übrig sein, so wird doch noch den Richtern, ehe sie das Todes-Urtheil aussprechen, zugerufen: „Denkt an den armen Müller!“ – Dieser Müller, ein Deutscher und seines Handwerks ein Bäcker, war einer Mordthat wegen angeklagt, und da ausnehmend viele Scheingründe, welche in Ansehung der Zeit, des Ortes, des Mordinstruments etc. das Gepräge der vollen Wahrheit an der Stirn zu tragen schienen, gegen ihn sprachen, wurde er zum Tode verurtheilt, der Galgen für ihn zwischen den beiden Säulen auf der Piazzetta erhöht und er mit dem Strang hingerichtet. Bald darnach aber kam seine Unschuld an den Tag, und seit dieser alten traurigen Begebenheit fällte das Criminalgericht kein Todesurtheil mehr, ohne daß es jene laute Mahnung gehört hätte: „Denkt an den armen Müller!“