Der überlistete Einbrecher

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Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Der überlistete Einbrecher
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 7, S. 234–237
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[234] Der überlistete Einbrecher. – In Paris wurden vor zwei Jahren kurz hintereinander zwei Einbruchdiebstähle verübt, bei denen den Verbrechern große Summen Bargeld in die Finger fielen. Nach monatelangen Forschungen gelang es endlich der Polizei, einen alten Einbrecher namens Divinaux zu verhaften, gegen den man reichliches Belastungsmaterial gesammelt hatte. Aber dieses Belastungsmaterial langte nur dazu hin, Divinaux des ersten Einbruchdiebstahls zu überführen. Hinsichtlich des anderen, der die Montmartregenossenschaft [235] um eine große Summe gebracht hatte, leugnete der schlaue Verbrecher jede Täterschaft ab, und dabei war gerade dieser zweite Fall den Herren von der Polizei deswegen so interessant, weil dabei ein Geldschrank in einer Weise geöffnet worden war, die keinerlei Zeichen einer äußeren Gewaltanwendung zurückließ. Die bestohlene Genossenschaft hatte außerdem eine große Belohnung auf Ergreifung des Täters ausgesetzt, um dann gegen den Fabrikanten des betreffenden Geldschrankes, der diesen als absolut diebessicher verkauft hatte, vorgehen zu können. Doch, wie gesagt, Divinaux blieb dabei, er habe nur den einen Diebstahl auf dem Gewissen, und so mußte man sich vorläufig damit zufrieden geben.

Der bereits mehrfach vorbestrafte Einbrecher wurde zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt und verbüßte seine Strafzeit in der bei Paris gelegenen Anstalt Etampes.

Nach etwa einem Jahre wurde Divinaux eines Vormittags in das Zimmer des Zuchthausdirektors gerufen, wo ihm dieser einen Herrn zeigte, der ein besonderes Anliegen an ihn hatte.

„Ich bin der Gutsbesitzer Melville,“ begann der Fremde. „Meine Besitzung liegt dort drüben jenseits der Seine. Ich führe zurzeit mit einem Nachbarn einen Prozeß um ein Wiesengrundstück und habe in dieser Sache heute nachmittag in Paris auf dem Gericht einen Termin, in dem ich wichtige Dokumente vorlegen soll, die mein Anrecht auf das wertvolle Wiesenland beweisen. Als ich nun vor einer halben Stunde diese Dokumente aus meinem Geldschrank herausnehmen will, kann ich mein Schlüsselbund nicht finden. Es ist spurlos verschwunden. Da höchste Eile not tut – ich verliere den Prozeß, falls ich die Papiere heute nicht dem Gericht überreiche –, bitte ich Sie, den Versuch zu machen, meinen Geldschrank auf irgend eine Art zu öffnen. Der Herr Direktor hier, ein alter Bekannter von mir, hat mir nämlich unlängst erzählt, daß seine Anstalt einen Spezialisten auf dem Gebiete des Einbrechertums beherbergt. In meiner argen Verlegenheit fiel mir dies ein. So bin ich auf Ihre Person gekommen. Vielleicht gelingt es Ihnen, mir zu helfen. Es soll Ihr Schade nicht sein.“

[236] Der alte Einbrecher lächelte selbstgefällig und erklärte sich gern bereit, den Versuch zu machen. Unter sicherer Bedeckung fuhr er dann dem Gutshause des Herrn Melville zu.

Der Geldschrank, der seine Schätze so hartnäckig hütete, stand in dem hellen Arbeitszimmer. Divinaux warf nur einen einzigen Blick auf die Fabrikmarke, die an der Tür des stählernen Schrankes angebracht war, und verlangte sofort ohne nähere Besichtigung des Schlosses einen langen, biegsamen Draht. Diesen bog er zu einer Schlinge, die er in die Schlüsselöffnung einführte. Sehr bald schon hörten die Anwesenden ein leises Schnappen. Divinaux hatte die erste Hemmung zurückgezogen. Nach weiteren fünf Minuten war der Schrank geöffnet.

Triumphierend schaute der große Einbrecherspezialist seinen Auftraggeber an.

Aber dessen Antwort ließ dieses Lächeln urplötzlich wieder verschwinden. „Divinaux,“ sagte der angebliche Gutsbesitzer ironisch, „Sie sind wirklich ein Künstler! Aber Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, daß Sie zum ersten Male einen solchen Schrank unter den Fingern gehabt haben? Denken Sie nur an den Einbruch in das Kassengewölbe der Montmartregenossenschaft. Dabei wurde ganz derselbe Schrank seines Inhalts beraubt, nachdem er auf eine unerklärliche Weise geöffnet worden war. Sie haben bisher von dieser Sache nie etwas wissen wollen. Aber jetzt eben erbrachten Sie uns den Beweis, daß Sie doch der Täter sind. Oder – können Sie mir eine glaubwürdige Erklärung dafür abgeben, wie es kommt, daß Sie sich mit der Konstruktion dieses Schlosses hier so sehr vertraut zeigten?“

Divinaux versuchte es in der ersten Überraschung mit allerlei Ausreden, verwickelte sich aber immer mehr in Widersprüche und mußte endlich doch die Waffen strecken.

Der angebliche Gutsbesitzer Melville war kein anderer als ein Geheimpolizist, der schon längst den Plan gefaßt hatte, den Einbrecher zu überlisten. Auf seine Veranlassung war ein Geldschrank genau derselben Konstruktion wie der, welcher der auf so geheimnisvolle Weise bestohlenen Montmartregenossenschaft gehörte, in das Gutshaus geschafft, und auch die ganze [237] weitere Komödie gespielt worden. Der Fabrikant jener Geldschränke, die eine geübte Hand so leicht auch ohne den passenden Schlüssel und ohne Stahlbohrer und Sauerstoffgebläse zu öffnen verstand, mußte sich von der bestohlenen Genossenschaft eine Schadenersatzklage gefallen lassen.

W. K.