Der Aberglaube der Aviatiker

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Aberglaube der Aviatiker
Untertitel:
aus: Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Jahrgang 1912, Heft 5, S. 121
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Der Artikel ist teilweise identisch mit Luftschiffer-Aberglaube von W. K. Abel erschienen in: Die Burg. Illustrierte Zeitschrift für die studierende Jugend, 2. Jahrgang, S. 188–189.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]
Editionsrichtlinien:


[121] Der Aberglaube der Aviatiker. – Die Aviatik steht heutzutage im Vordergrunde des allgemeinen Interesses, ist doch der Flugsport eine der modernsten Sportarten. Natürlich sind die meisten seiner Vertreter ebensowenig frei von Aberglauben wie ihre Kollegen von der Rennbahn, von der Jagd und so weiter. Manche geben dies unumwunden zu, andere streiten es mit überlegenem Achselzucken ab.

Zu diesen letzteren gehörte auch der französische Aviatiker Michelin. Es war seinen Bekannten schon immer aufgefallen, daß Michelin, bevor er seine Maschine zu einem Fluge bestieg, diese regelmäßig erst dreimal nach der einen Seite, dann wieder dreimal nach der entgegengesetzten Richtung in langsamen Schritt umkreiste. Als es ihm dann eines Tages auf den Kopf zugesagt wurde, daß er sich dadurch doch offenbar nur gegen einen Unfall zu sichern hoffte, lachte er den Betreffenden aus. Nichtsdestoweniger vergaß er es aber nie, vor einer Fahrt diese Umkreisung seines Flugzeuges vorzunehmen. Nur bei seinem letzten Aufstieg in Lyon unterließ er die fraglos auf einem Aberglauben beruhende Handlung, da er es bei einer Schnelligkeitskonkurrenz nach anfänglichem Versagen seines Motors sehr eilig hatte. Und wirklich – der Zufall wollte es, daß er bereits nach der dritten Runde gegen einen der Ecktürme des Flugplatzes anrannte und tödlich verunglückte.

Der Österreicher W. steigt nie auf, ohne vorher mit dem rechten Stiefelabsatz ein Kreuz in die Erde dicht vor seiner Maschine einzukratzen. Der Petersburger Aviatiker Tuchitzki spukt – mit Verlaub zu sagen – dreimal vor sich auf den Boden, wenn er den Führersitz seines Farman-Doppeldeckers eingenommen hat. Und der Spanier Milano, der sich in Madrid die ersten Preise bei einer nationalen Flugwoche holte, läßt den Motor seines Apparates stets nur von seiner jungen Gattin ankurbeln.

Wieder andere Aviatiker beweisen ihren Aberglauben dadurch, daß sie bei jeder Fahrt einen Talisman mit sich führen. Graham White, der sich durch seinen Flug um die Freiheitsstatue im Hafen von New York einen Namen gemacht hat, erzählte einem amerikanischen Reporter über die Art und Weise, wie er zu seinem Talisman kam, folgendes: „Es war während der Flugwoche in St. Louis. An einem ziemlich stürmischen Tage sollte der Schnelligkeitspreis bestritten werden. Drei meiner Konkurrenten befanden sich bereits in der Luft, als auch ich mich zum Aufstieg fertig machte. Ich hatte schon auf dem Führersitz meines Apparats Platz genommen, als das Söhnchen des Senators Harper, seinen Vater an der Hand mit sich ziehend, sich vordrängte und mir eine einen Polizisten darstellende Stoffpuppe mit der Bitte entgegenstreckte, ich möchte seinen Konstabler doch als Passagier mitnehmen. Die Umstehenden lachten, der Senator suchte dem Kinde die Sache auszureden, aber der kleine Mann blieb hartnäckig dabei, sein Polizist solle mitfahren. Schließlich nahm ich auch wirklich die Puppe und befestigte sie links neben mir an eine der Stangen meiner Maschine. Dann stieg ich auf. Wenige Minuten später erhob sich ein Wirbelwind, der die Flugzeuge meiner drei Kollegen zum Kippen brachte. Die drei Maschinen wurden zertrümmert und zwei der Lenker bei dem Absturz schwer verletzt. Nur ich allein hielt mich in der Luft. Seither begleitet mich die Puppe, die mir der kleine Harper geschenkt hat, regelmäßig bei jedem Fluge.“

Der Flieger Moisant gelangte auf ähnliche Art in den Besitz seiner glückbringenden Katze, die sich bei jeder Fahrt in einem kleinen, mit Seide gefütterten Körbchen hinter dem Führersitz auf dem Aeroplan befindet. Moisant war einmal während seiner Ausbildungszeit auf dem Flugplatz in Paris gerade im Begriff aufzusteigen, als eine graue Katze in voller Flucht vor einem Hunde über das Feld jagte und in ihrer Angst auf dem Flugzeug Schutz suchte, wo sie sich an den Stützen der Tragflächen festhielt. In demselben Augenblick ließen die Arbeiter die Maschine los, und Moisant, der von dem sich hinter seinem Rücken abspielenden Vorgang nichts gemerkt hatte und die Zurufe der Leute infolge des Surrens der Schraube überhörte, erhob sich mit dem vierbeinigen Passagier zu dem Übungsfluge, der ihm auch sehr gut gelang. Die Katze hatte während der Flugdauer regungslos und sicherlich in fürchterlicher Angst dagesessen und mußte nach der Landung von dem Apparat herabgenommen werden, da sie halb erstarrt war. Jetzt fliegt Moisant nie ohne seine Katze, die sich inzwischen an die Luftreisen vollständig gewöhnt hat und keine Zeichen von Furcht mehr verrät.

Schließlich sei noch der Talisman des italienischen Aviatikers Bervetto aus Mailand erwähnt. Bervetto befand sich mit seiner Maschine einst in ziemlicher Höhe und versuchte sich im langsamen Gleitflug niederzulassen, als eine offenbar von einem Raubvogel verwundete Taube auf die obere Tragfläche herabstürzte und sich dort an einer der Querleisten mit letzter Kraft festklammerte. Nach der Landung lebte das Tierchen noch, war aber äußerst schwach. Leutnant Bervetto nahm sich seiner an, pflegte es gesund und führte es fortan bei allen Aufstiegen in einem kleinen Käfig gerade so wie Moissant seine Katze mit sich.

W. K.