Der Balksee im Amte Neuhaus an der Oste und seine Sagen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Hintze
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Balksee im Amte Neuhaus an der Oste und seine Sagen
Untertitel:
aus: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden: Noch lebende Volkssagen und Legenden, S. 233–238
Herausgeber: Friedrich Köster
Auflage: 2. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: In Commision bei A. Pockwitz
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stade
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung: Der Balksee und der Otterstedter See
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[233]
1. Der Balksee im Amte Neuhaus an der Oste und seine Sagen.
(Vom Herrn Assessor Hintze, in der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen. Jahrgang 1851. Heft 1.)

Der Balksee im südlichen Theile des Amts Neuhaus an der Oste, am Rande der Wingst, einer hohen waldigen Haidegegend, belegen und seine Fluthen zu Norden durch die Aue in die Oste entsendend, ist, seinem Flächen- und Wasserinhalte nach, etwa fünfhundert Wenden oder tausend Calenberger Morgen – bei einer mittleren Tiefe von 30 Fuß – der bedeutendste See des Bremischen.

Durch seine alljährlichen, im Frühlinge besonders zerstörenden Ueberfluthungen – welche gegenwärtig durch eine auf 60,000 Thaler veranschlagte Canalisirung beseitigt werden – war der See seit längeren Jahren ein Gegenstand beständiger Furcht seiner ackerbautreibenden Umgebung, deren Ernte fast nie ohne erheblichen Tribut an denselben zu Hause kam.

Dieser in der Gegenwart unheimliche Charakter des Sees scheint sich denn auch in den vereinzelt noch vorhandenen Volkssagen über seine Entstehung abzuspiegeln, deren folgende Mittheilung vielleicht einiges Interesse bietet.

1.

In alter Zeit stand an jetziger Stelle des Sees ein reiches Dorf, Balk mit Namen, dessen Bewohner ein dergestalt übermüthig üppiges Leben führten, daß sie ihre Hausräume, statt mit Sand, mit reinem Weizenmehl bestreuten, – „den edlen Weizen unter die Füße traten.“

Als nun, diesem vermessenen Treiben Einhalt zu thun, ein Mönch zu ihnen kam, Mäßigung und Buße predigend, widrigenfalls nahen Untergang durch Wasserfluth verkündend, ward seiner Ermahnungen nicht geachtet, vielmehr der Mönch unter Hohn und Fluchen aus dem Dorfe nach der nahen Wingst-Höhe gejagt. Kaum jedoch hatte er flüchtigen Fußes diese Höhe erreicht und sich umgewandt, [234] als mit Donnergetöse das Dorf vor seinen Augen in einen aufbrausenden See versank, Häuser und Bewohner in seinen Fluchen verschlingend.

2.

An der Stelle des jetzigen Balksee’s stand in der Vorzeit eine reiche Stadt, Balk geheißen, darin ein Kloster, dessen Bewohner den Gottesdienst nicht hielten, nicht läuteten, nicht beteten, mit den Bewohnern der Stadt im übermüthigen hartherzigen Lebenswandel wetteiferten.

Ein Pilger aus fernem Lande, auf seiner Wanderschaft zu ihnen kommend und um gastliche Aufnahme bittend, das Evangelium zu predigen, ward hier, wie vor den Thüren der Stadtbewohner, barsch und höhnisch abgewiesen, bis nach langem Umherirren eine ärmliche Frau ihn aufnahm in ihre Wohnung, und ihn sorgfältig gastlich dort bewirthete, seiner Lehre und Predigt ein aufmerksames williges Ohr leihend. Als nun bei seinem Abschiede die Frau einen Lohn ihrer gastlichen Aufnahme weder verlangte, noch annehmen wollte, bat der Pilger, sie möge statt dessen eine besondere Gunst sich auswählen, worin sie dann willigte, indem sie bat: „die erste Arbeit, die sie verrichte, möge kein Ende nehmen.“

Nachdem der Pilger ihr die Erfüllung dieser Bitte gewährt und sich damit verabschiedete, nahm die Frau ihr Leinenzeug aus der Truhe, fing an, solches zu recken, daß bald das Leinen unter ihren reckenden Händen zum großen Haufen anwuchs und kein Ende nahm, zum großen Neide ihrer herbeigekommenen Nachbarin.

Geraume Zeit später, um’s Osterfest, führte den Pilger seine Wanderschaft in die Stadt zurück. Hier ward er sofort von der neidischen Nachbarin erspäht, von dieser in ihr Haus zur Herberge geladen, dort überaus schlecht bewirthet, seinen Reden keine Beachtung irgend gewährt, dagegen ihm bei’m Aufbruche folgenden Tages die seiner ersten uneigennützigen, dienstwilligen Wirthin gewährte Gunst, als gleicher Lohn der jetzt erfahrenen Behandlung, gebieterisch abverlangt.

[235] Der Pilger, widerstrebend, gab seiner selbstsüchtigen Wirthin herrischem Verlangen zuletzt nach, jedoch mit dem warnenden Bemerken und Bevorworten, daß ihre trotzige unverdiente Forderung, ohne vorgängigen bußfertigen Sinn und Wandel, ihr kein Heil, sondern nur Verderben bringen werde, und entfernte sich mit dieser ernsten Mahnung seines Wegs. Die Wirthin, über diesen Ausspruch des Pilgers sofort heftig erbost, ergriff eilig in ihrem Zorne einen nahestehenden Eimer mit Wasser, solchen dem Fortwandelnden unter Verwünschungen und Flüchen nachgießend. Aber von Stund an nahm diese ihre erste Arbeit des Wassergießens kein Ende, der Eimer blieb in ihren Händen, das Wasser ergoß sich und entquoll demselben, bis Kloster und Stadt den Untergang gefunden, wo jetzt der See fluthet.

Als das geschah und sich begab, war es um die Osterzeit, bei deren wiederkehrendem Eintritte im Frühlinge der See stets besonders weithin zu sausen und mit den Wellen zu rauschen pflegt, weshalb man hauptsächlich in der Osternacht die Glocken des versunkenen Klosters, von den Wellen bewegt, aus der Tiefe des Sees dumpf vernehmbar ertönen glaubt.

3.

Bei den Bewohnern des reichen Dorfes Balk war vor Zeiten Uebermuth und Mißachtung von Gottes Wort im Wachsen; sie besuchten keinen Gottesdienst mehr, hielten bei ihrer Kirche keinen Prediger, und wenn dennoch ein benachbarter freiwillig zu ihnen kam, suchten sie durch Spott ihn zu vertreiben. So hatten jene Dorfleute, ihren Spott des Heiligen auf’s Höchste zu steigern, eines Tages den Geistlichen beschickt und aufgefordert, er möge zu ihnen kommen, einem bußfertigen Kranken das heilige Abendmahl zu ertheilen. Als nun der Geistliche, ihrer Botschaft willig folgend, herbeigekommen, ward er mit den Sacramenten an das Krankenbett geführt, fand jedoch hier alsbald zu seinem Entsetzen, unter höhnendem Jubel der Dorfbewohner, statt des bußfertigen Kranken ein als Mensch verkleidetes Schwein im Bette liegend. Nahen baldigen Untergang bei’m erfüllten Maaße ihrer Sünden prophezeiend, [236] wandte sich der Geistliche schleunig von dannen. Seine Verkündigung traf ein. Bereits folgenden Morgens früh wurden die Bewohner durch ungewöhnliches Rauschen aus dem Schlafe erweckt, aus ihren Aschen- und Feuerkuhlen krochen ihnen Aale entgegen, bald darauf entquoll aller Orten um sie herum Morast und Wasser, bis nach kurzem Verlauf ein See das ganze Dorf in sich verschlungen hatte.

4.

Im Grunde des Sees ruht ein riesenhafter weißer Stier, in der Umgegend der „Seebulle“ genannt. Den größten Theil des Jahres, so lange das Wasser offen, verhält er sich still; man merkt nur an den aufsteigenden Blasen und Wasserperlen, wo er liegt und Athem holt, oder am aufquillenden Grundwasser, wenn er sich rührt. Dagegen in der Winterzeit, sobald sich das Wasser mit Eis bedeckt, wird er unruhig, ihm entgeht die Luft, er steigt nach oben, sprengt durch sein heftiges, weithin vernehmbares, donnerähnliches Gebrüll die Eisdecke, daß lange Borsten sich darin bilden. Je stärker der Frost, desto heftiger wird sein Brüllen und Toben unter dem Eise, worin er nächtlicher Weile auch mit den Hörnern Löcher stößt, oder es mit seinem Athem aufthaut, so daß der Eisverkehr auf dem See stets ein gefährlicher ist.

5.

In unmittelbarer Nähe des Balksees befindet sich eine erhöhete Worth mit Spuren verwitterten Bauwerks, die Remper-Worth genannt; hier hausete in alter Zeit zum Schrecken der Umgegend ein Räuber, Namens Remper; derselbe pflegte unter anderen Raubanschlägen von den benachbarten reichen Marschbauern Weizen zu kaufen, sie bei dessen bedungener Lieferung unterwegs zu überfallen, zu berauben oder zu erschlagen, ohne daß es jemals möglich, ihn bei angestellten Verfolgungen in seinem Schlupfwinkel am See aufzufinden. Denn da er bei den Raubzügen, wie sich später ergab, eines Pferdes mit umgekehrten Hufeisen sich meistens bediente, gelang es ihm hierdurch, die Verfolger über seinen Aufenthalt stets zu täuschen.

[237] Als er nun einst wieder einen Wispel Weizen von einem Hadeler Bauern gekauft, letzterer gewarnt, zur verabredeten Lieferungszeit, statt des Weizens seine Knechte in die mit Kaff theilweise gefüllten Säcke gesteckt und zu Schiffe über den See an die Lieferungsstelle gefahren, trat ihm, gelandet am Ufer, der Räuber zur Empfangnahme, statt des Kaufgeldes gewohnter Weise seine geschwungene Keule zeigend und so auf ihn einschreitend, in’s Schiff entgegen. Allein kaum war diese übliche Bedrohung von dem Remper begonnen, als statt des Gnade flehenden Bauern dessen Säcke plötzlich sich bewegten, zerrissen, des Bauern Knechte daraus hervorsprangen und den nun eiligst nach seiner Raub-Worth entfliehenden Räuber dorthin verfolgten. Lange war hier vergebliches Suchen nach ihm; es fand sich in der dunkeln, mit Raubgut und Menschenknochen gefüllten Höhle kein lebendes Wesen, als ein Pferd mit umgekehrten Eisen und eine gezähmte Elster. Letztere, bei’m eifrigen Durchsuchen der Höhle von einem Knochenhaufen zufällig verjagt, flog zu einem in der Höhle befindlichen Holzpfeiler, begann daran mit dem Schnabel zu picken und zu hacken, wodurch sie einen derartig hohlschallenden Klang erregte, daß solcherweise aufmerksam gemacht, der Bauer mit seinen Knechten an jenen Pfeiler hinantrat, ihn zersprengte, worauf in dessen Höhlung der Räuber eingezwängt, versteckt gefunden und sofort erschlagen wurde.


Bemerkung.

In Lappenberg’s Geschichtsquellen des Erzstifts und der Stadt Bremen (1841) findet sich Seite 19 und 20 vom Erzbischof Giselbrecht um’s Jahr 1286: edificavit Castrum Rempempe, als Note der Zusatz: „Die Lage der Burg Rempempe ist unbekannt. Der Erzbischof Joh. Rohde erwähnt sie unter den zerstörten Burgen seiner Vorgänger unter dem Namen Rempe. Leibniz Script. Brunsv. T. II. Seite 267.“

Ich möchte nun dafür halten, daß jene zerstörte Burg, auf der in der Sage benannten, Spuren alten Bauwerks tragenden Remper-Worth, nahe am Einflusse des Remper Baches in den Balksee gelegen haben werde, wie es denn eines Theils sonst eine ähnliche Ortschaft oder Belegenheit im Bremischen nicht giebt, [238] andern Theils diese Burglage hier, als Stützpunkt für des Erzbischofs Giselbrechts Kriege mit dem nahen Kehdingen nicht ungeeignet erscheint. Diesemnach mag die Räubersage zu jener Burg in örtlicher Verbindung stehen, letztere, nach ihrer Zerstörung, als brauchbarer Schlupfwinkel für Räuber noch gedient haben. Eine dieser hier angenommenen Burglage von Rempe ziemlich ähnliche im Bremischen scheint die des Raubritters Heinrich des Eisernen von der Borgh, 1272–1327, auf einer Worth im Tannensee, Gerichts Delm, gewesen zu sein, deren Lage gegenwärtig kaum noch an einer geringen Erderhöhung erkennbar. Die alten Bremischen Burgen Kiek in de Elve, Schlickenburg, Ostenhagen (Pratje, Bremen und Verden, VI. S. 273), so wie mehrere am Osteflusse weiter hinaus belegene, sind ganz spurlos verschwunden; die Schlickenburg bezeichnet nur die Tradition als nahe bei Neuhaus belegen gewesen; die Lage der früheren Burgen Brobergen und Cranenburg an der Oste wird durch die gleichnamigen Ortschaften noch bezeichnet.