Der Donnerbart

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Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Der Donnerbart
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 9, S. 236–238
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Walther Kabel arbeitete diesen Artikel teilweise wörtlich am Anfang des Artikels Donnerbart und Tamarinde, zwei bemerkenswerte Pflanzen ein. Erschienen unter dem Pseudonym W. Bekal in: Deutscher Hausschatz, Illustrierte Familienzeitschrift, 37. Jahrgang Oktober 1910 – Oktober 1911, Seite 1031
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[236] Der Donnerbart, jenes üppig wuchernde Kraut mit dickfleischigen, länglich eiförmigen, in eine Stachelspitze endigenden Blättern und rosenroten Blüten, hat einst in Süd- und Mitteldeutschland eine eigenartige, bedeutsame Rolle gespielt. Karl der Große entdeckte es zuerst bei seinen Zügen nach Italien auf den Strohdächern in den Alpentälern. Da es ihm unbekannt war, fragte er die Gebirgsbewohner nach seiner Bedeutung. Die Älpler nannten es Jupiterkraut und behaupteten, es schütze [237] vor Feuers- und Blitzgefahr. Der aufgeklärte Kaiser wollte von solchen Aberglauben nichts wissen, ließ aber die Sache näher untersuchen und fand so heraus, daß auch in dieser abergläubischen Vorstellung ein Körnchen Wahrheit ruhte. Denn das grüne Kräutlein, das die Neigung hat, auf den Dächern große, stets feuchte Polster zu bilden, beseitigte tatsächlich den größten Teil der Feuersgefährlichkeit der Strohdächer dadurch, daß es jeden darauf fallenden glimmenden Funken in seinen saftreichen Blättern erstickte.

Nach dieser Feststellung erließ Karl der Große eine Verordnung, in der sämtlichen Besitzern von mit Stroh eingedeckten Häusern unter Androhung einer hohen Geldstrafe für den Fall der Nichtausführung anbefohlen wurde, den Donnerbart auf den Dächern anzupflanzen. Mit dem Samen der nun plötzlich so vielbegehrten Pflanze trieb der Staat selbst einen schwunghaften Handel.

Es konnte nicht ausbleiben, daß dem Donnerbart nach diesem kaiserlichen Erlaß bald auch in Deutschland von dem unwissenden Volke alle möglichen übernatürlichen Eigenschaften angedichtet wurden. So sollten Tiere unter einem mit Donnerbart überzogenen Dach gegen jede Krankheit, besonders aber gegen den bösen Blick gefeit sein, während die zerquetschten Blätter Brandwunden heilen und Warzen vertreiben sollten. Ein Aufguß von den getrockneten Blüten galt als Mittel gegen die Auszehrung, wurde auch in Pestzeiten von Wunderdoktoren vielfach verordnet.

Auch aus späteren Jahrhunderten finden sich viele Erlasse von Fürsten und Städten, die die Anpflanzung des Donnerbarts zur Pflicht machen. Unter diesen alten Urkunden zeichnet sich eine durch ihre ausführliche Begründung der Absichten dieser Verordnung vorteilhaft aus. Sie wurde unter dem Grafen Eberhard V. von Württemberg am 14. Dezember 1482 bekannt gegeben, an jenem für die Geschichte Württembergs insofern äußerst wichtigen Tage, weil an ihm durch den Münsinger Vertrag die Unteilbarkeit des württembergischen Landes und die Erbfolge nach dem Rechte der Erstgeburt festgesetzt wurde.

[238] Aus demselben Jahre stammt eine ähnliche Verordnung für die Mark Brandenburg, die jedoch weniger streng wie in Süddeutschland durchgeführt worden zu sein scheint, denn während man dem Donnerbart im Süden und Westen Deutschlands noch häufig begegnet, findet man ihn in Mitteldeutschland nur sehr vereinzelt. Die Zeit ist überhaupt nicht fern, wo er seine feuerlöschende Kraft nicht mehr wird beweisen können, denn die moderne Zeit hat wie mit so vielem auch mit den behaglichen Strohdächern aufgeräumt. Unsere Enkel dürften jedenfalls kaum noch Gelegenheit haben, den grünen Dachteppich des Donnerbartkrautes irgendwo bewundern zu können.

W. K.