Der Einsiedler von Guernsey

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Einsiedler von Guernsey
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 223–224
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Buchempfehlung: Victor Hugos Les Travailleurs de la mer
Blätter und Blüthen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[223] Der Einsiedler von Guernsey. Victor Hugo’s neuester Roman, „Die Meeresarbeiter“ (Les Travailleurs de la mer), dessen erste Bände vor wenigen Wochen erschienen sind, ist das Tagesereigniß von Paris und hat die öffentliche Aufmerksamkeit wieder in höherem Maße auf den „Einsiedler von Guernsey“ – dies ist die gegenwärtig beliebte Bezeichnung für den Dichter – gerichtet. Es dürfte dem Leser daher wohl nicht unwillkommen sein, einen Blick in das Heiligthum zu werfen, in welchem der berühmte Schriftsteller den Musen huldigt und seine geistigen Schätze zu Tage fördert. Das Arbeitszimmer Victor Hugo’s liegt wie ein Nest, hoch oben auf den steilen Gestaden von Guernsey, einer der sogenannten Normannischen Inseln, die zu England gehören, und hat die freie Aussicht auf das Meer mit seinem fernen, endlosen Horizonte. Guernsey selbst und „Hauteville-House“, die Wohnung des gefeierten Mannes, sind schon öfter beschrieben worden, interessant ist es aber, den Dichter selbst einmal in seiner schweigsamen [224] Thätigkeit, in der poetischen Einsamkeit der frühesten Morgenstunden zu belauschen, denn Victor Hugo steht regelmäßig mit der Sonne auf und findet in den ersten Stunden des Tages eine schönsten Inspirationen.

Sein Zimmer ist beinahe eine Dachkammer zu nennen; sein Bett, eine Art von Schlafsopha, das mit alten Stickereien überzogen ist, dient während des Tages zum Sitz. Neben diesem Zimmer liegt das Arbeitscabinet, das eigentlich ein Belvedere heißen muß, ein „look out“, wie die Engländer sagen, oder ein „Lug’ in’s Land“, wie es die Schweizer bezeichnen; in diesem Raume, der mit Glas überdeckt ist, befindet sich ein kleiner, unscheinbarer Ofen; mehrere alterthümliche Sessel, und eine große Menge von Büchern stehen und liegen in bunter Unordnung umher. Neben diesem Cabinet führt ein schmaler Durchgang nach der Treppe; er ist mit einem alten Sopha und mit einem Tische meublirt und dient dem Dichter zum Zufluchtsort, wenn die Sonne zu heftig auf sein Glascabinet scheint. Victor Hugo arbeitet stehend; da er aber kein alterthümliches Stehpult nach seinem Geschmack hat finden können und eine ganz unüberwindliche Abneigung gegen alle modernen Meubles hegt, so schreibt er auf einer aus mehreren alten Sesseln und mächtigen Folianten sehr kunstvoll zusammengesetzten Erhöhung, die mit einem Teppich überdeckt ist – die Bibel und eine alte Nürnberger Chronik dienen gegenwärtig dem Dichter zur unmittelbaren Unterlage beim Schreiben. Er ist dem Cultus des „edlen Gänsekieles“ treu geblieben, seine Schrift aber ist kaum leserlich; er streicht viel aus und unterwirft sein Manuscript zahllosen Correcturen und Abänderungen. Zuweilen schleichen sich auch mitten in den Text kleine Zeichnungen und oberflächlich entworfene Skizzen ein; Victor Hugo ist bekanntlich auch ein sehr talentvoller Zeichner, und so geschieht es, daß nicht selten, und zwar zum schärferen Ausdruck eines Gedankens, der Zeichner dem Poeten zu Hülfe kommen muß. Wenn Victor Hugo seine gewohnte Tagesarbeit vollendet hat, schließt er die hieroglyphischen Blätter sorgfältig ein, ohne irgend Jemandem eine Mittheilung daraus zu Theil werden zu lassen; von dieser unbedingten Geheimhaltung seiner täglichen Productionen macht er nur dann eine Ausnahme, wenn er das betreffende Werk als vollendet und abgeschlossen betrachtet. Diese Ausnahmen werden für seine Familie und für seine nächsten und vertrautesten Freunde stets zum Feste.

Die Manuscripte, wie sie unter der Feder des Dichters hervorgegangen sind, verlassen jedoch niemals sein Haus. Sie werden mit der allergrößten Genauigkeit und Sorgfalt abgeschrieben und verglichen; ein vergessenes Wort, ein entstellter Gedanke, sogar ein falsch angebrachtes Interpunctionszeichen setzen den Dichter in die größte Verzweiflung, und erst wenn er sein Werk nochmals genau durchgelesen und sich überzeugt hat, daß Alles in der schönsten Ordnung ist, übersendet er es seinen Verlegern. In Paris hat er dann Freunde, welche bereitwilligst die Pflicht übernehmen, den Druck zu überwachen; so kommt es, daß sämmtliche Bücher Victor Hugo’s sich schon durch ihre elegante und sorgfältige Ausstattung sehr vortheilhaft auszeichnen.

Trotz seiner großen Productionsfähigkeit scheint Victor Hugo jene rasche schöpferische Kraft, die z. B. Lamartine in hohem Maße eigen ist, nicht zu besitzen. Lamartine schreibt mit Stahlfedern, in raschen, eleganten Zügen, seine Schrift scheint das Papier kaum zu berühren, er streicht nie aus, ändert keinen Satz und seine Manuscripte sehen aus wie kalligraphische Uebungen. Victor Hugo dagegen schreibt mit fester, schwerer Hand, prüft jedes Wort und ändert oft einen Satz zehn, ja hundert Mal, bevor er ihn gelten läßt. So wie er eine neue Arbeit beginnt, schließt er sich hermetisch von der Außenwelt ab; die unbedingteste Einsamkeit ist ihm Bedürfniß, und er bleibt so lange unnahbar, bis das unternommene Werk in seinem Geiste wenigstens vollendet dasteht.

Man hat dem Dichter oft vorgeworfen, daß er engherzig und eigennützig nur den materiellen Vortheil im Auge habe, den er aus seinen Schriften ziehen könne. Wie ungerecht diese Vorwürfe sind, hat Victor Hugo gerade jetzt dargethan. Es waren ihm von den Besitzern mehrerer hiesigen Journale die glänzendsten Anerbietungen gemacht worden, die „Travailleurs de la mer“ vor ihrem Erscheinen im Buchhandel capitelweise in den Feuilletons der betreffenden Zeitschriften zu veröffentlichen. Victor Hugo aber hat alle diese Anträge, die sich auf die Summe von einer halben Million beliefen, entschieden zurückgewiesen, da diese stückweise Veröffentlichung der künstlerischen Einheit seines Romanes nachtheilig sein müsse. Er verweist dagegen die Bittsteller an das Werk, welches er gegenwärtig bereits wieder unter der Feder hat: „1793“ – ein vielversprechender Titel! – das sich für die gewünschte Veröffentlichungsweise besser eignen werde.