Der Eisenbahnschwindel in Amerika

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: G. O.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Eisenbahnschwindel in Amerika
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 110–112
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[110]
Der Eisenbahnschwindel in Amerika.


Zur Warnung für meine Landsleute in Deutschland.


Es ist wohl zu erwarten, daß die Streiflichter, welche der jüngste Börsenkrach in New-York, durch die Zahlungseinstellung von Jay Cooke und Compagnie veranlaßt, auf das Eisenbahnwesen der Vereinigten Staaten geworfen, auch dem deutschen Volke sichtbar geworden und ihm künftig zur Lehre dienen werden. Gleichwohl sind die Anerbietungen der amerikanischen Eisenbahnmusterreiter so verlockend, und die Empfehlungen und Anpreisungen deutscher Geschäftshäuser, ihrer nach Procentsätzen des von ihnen angebrachten Capitales bezahlten Unterhändler, so verführerisch, daß es nicht eine unverdienstliche Aufgabe sein dürfte, durch ein Blatt wie die Gartenlaube, die allen Classen der Deutschen eine willkommene Lectüre ist, ein Bild von der Weise zu geben, wie hier Eisenbahnen zu Stande kommen. Es scheint dies um so dringender, als diese Weise so total verschieden von der deutschen ist und als kaum ein Zweifel besteht, daß dieses System binnen Kurzem wieder in voller Blüthe stehen wird.

Es ist hier nicht nöthig, auf die deutsche, oder ich kann wohl sagen europäische, Weise des Zusammenbringens des benöthigten Capitals und dessen Verwendung zu dem bestimmten Zwecke durch die aus der Wahl der Actionäre hervorgehenden Gesellschaftsbehörden einzugehen. Ich darf das wohl als meinen Lesern bekannt voraussetzen. Einigermaßen diesem System ähnlich war das, welches in den weitaus meisten Fällen in den Vereinigten Staaten vor Beginn des Secessionskrieges vorherrschte. Allerdings bedingten einerseits die ungeheure Ausdehnung des Landes und die mit reißender Schnelle nach Westen über neue Territorien sich hinwälzende Ansiedlung, sowie andrerseits der jedem neuen, allseitiger Verwendung und Speculation ein reiches Feld bietenden Staate anklebende Mangel an brach liegendem Capitale Abweichungen von dem Baarsysteme Europas. Ein Theil des nöthigen Capitales (meistens zwei Drittheile) wurde baar unterzeichnet und in Einzahlungen abgetragen, wie sie die Bedürfnisse des Baues erheischten. Für ein Drittheil wurden Schuldscheine (bonds) ausgestellt, welchen die Rechte erster Hypothekenschuld auf die ganze Bahn und alles Zubehör gegeben wurden, die also Aehnlichkeit mit den in Deutschland üblichen Prioritätsactien hatten.

Schon während des Krieges, besonders aber nach dessen Beendigung, trat eine vollständige Aenderung ein. Die Ueberfluthung des weitaus größten Theiles der Vereinigten Staaten mit über achthundert Millionen Dollars Papiergeld (greenbacks) (Texas, gestützt durch seinen Nachbar Mexico, und alle Staaten und Territorien westlich von Ogden am großen Salzsee haben Gold- und Silberwährung beibehalten) und Noten der Nationalbanken rief in der ganzen Nation einen wahren Speculationstaumel hervor, der um so gefährlicher werden mußte, als die großartigen Betrügereien, zu welchen der vierjährige Krieg gegen die Rebellion die schönste und nie verschmähte Gelegenheit geboten, die allgemeine Moralität tief unter das bisherige Niveau herabgedrückt hatte. Nach allen Richtungen hin entwickelte sich ein Unternehmungsfieber, das vor keiner Summe zurückschreckte, dem kein Hinderniß unüberwindlich erschien.

Als nun drei Jahre vor der durch Congreßacte vorgeschriebenen Zeit die Eisenbahn nach San Francisco fertig gestellt und es ruchbar wurde, daß dabei eine Anzahl Männer von fünf bis zu fünfzehn Millionen Jeder gewonnen hatte, da warf sich die Speculation mit wahrer Tollhauswuth auf den Eisenbahnbau. Schreiber Dieses wohnte damals – es war in den Jahren 1868 und 1869 – den Sitzungen des Congresses bei und hatte Gelegenheit, nicht nur die zahllose Menge der gewissenlosesten Mondscheinprojecte kennen zu lernen, sondern auch die Befriedigung, eine Zahl derselben hintertreiben zu helfen und damals schon – der Erste von Allen – auf die Gefahren der Land- und Geldverschleuderung durch den Congreß aufmerksam zu machen. Kein Stand, kein Alter, kein Geschlecht, das nicht dem rasenden Schwindel Opfer lieferte. Die Hallen des Congresses wurden der bevorzugte Tummelplatz desselben; fast schien es, als ob jedes Mitglied desselben seinen Preis hätte, und das amerikanische Volk mußte die tiefe, unvergeßliche Schmach erleben, Männer, die es zu seinen Besten gezählt und mit Ehren überhäuft hatte, der Verführung der Eisenbahnlobbyisten unterliegen zu sehen. Hunderte von Millionen von Aeckern Landes, das geheiligte Erbe kommender Generationen und die künftige Heimstätte von Hunderttausenden von Einwanderern aus der alten Welt, wurden dem Moloch des Eisenbahnschwindels in den nimmersatten Rachen geworfen und dazu noch als Würze über hundert Millionen Vereinigte-Staaten-Schuldscheine.

Aber auch mit den weitesten Länderstrecken und mit ganzen Schiffsladungen von Staatsschulden allein baut man noch keine Eisenbahnen, dazu bedarf man des baaren Geldes. Dieses zu beschaffen war also die Aufgabe, und mit dieser Aufgabe beschäftigten sich Tag und Nacht und Jahr um Jahr viele der tüchtigsten und ersten Geschäftsleute, aber mehr noch Tausende der gewitzigtsten, schlauesten und gewissenlosesten Schurken aller Nationalitäten.

In kaum glaublich kurzer Zeit entwickelte sich aus dem auf das Höchste gespannten Gährungsprocesse all dieser Elemente ein System, das an Vollkommenheit alles bisher in dieser Richtung Geleistete übertrifft, und mit geringen Abweichungen oder speciellen Verhältnissen Rechnung tragenden Zusätzen und Aufstutzungen bis zum Septemberkrach wunderbar arbeitete, eine und zwar die kühnste Verwirklichung jener Lehre, die ein Yankee einst seinem Sohne als Lebensregel empfohlen haben soll mit den Worten: „Gewinne Geld, auf ehrliche Weise, wenn Du kannst, aber auf alle Falle erwirb Geld!“

Kraft dieses neuen „amerikanischen“ Systems wurde der Bau von Eisenbahnen nunmehr, anstatt wie bisher das Ergebniß eines commerciellen Bedürfnisses, ein Geschäft, dem sich Contractoren und Speculanten widmeten, oft nicht mit Geld oder Credit genug, um eine einzige Schiene zu bezahlen. Das Verfahren ist folgendes:

Der Speculant sammelt um sich eine Anzahl Leute, welche einigermaßen auf der projectirten Linie bekannt, von gewandten, einschmeichelnden Manieren und der öffentlichen Rede, entweder für den Farmersconsum oder den feinen städtischen Gebrauch, mächtig sind. Diese – in Amerikanisch the ring, der Ring – unterzeichnen einige Actien und es ist ihre Aufgabe, bei ihren Freunden und Bekannten auf der Linie noch einige Unterschriften mehr zu erhalten, was denn auch leicht gelingt, denn wer wollte nicht mit einem kleinen Opfer sich eine Eisenbahnverbindung sichern? Es wird diesen Zeichnern zugleich zu verstehen gegeben, daß man es nicht wünsche, viele Actien genommen zu sehen, da ja dadurch der beabsichtigte Vortheil für die Ringleute geschmälert werde, und zugleich die Zusicherung, daß nur ein ganz kleiner Procentsatz des unterzeichneten Capitals eingefordert werden würde. Bis zu welchem kaum glaublichen Grade dies practicirt wurde, beweist zum Beispiel die St. Joseph- und Denver-City-Eisenbahn, die unter passender Behandlung über zwölf Millionen Dollars gekostet hat, noch nicht ausgebaut ist, keinen Verkehr hat, und blos mit vierzehnhundert Dollars Baarunterschrift begonnen wurde!!

Nunmehr beginnt Seitens der Unternehmer wie der Zeichner, denn sie sind nun „in einem Boote“, durch die Presse, deren Herausgeber mit Versprechungen geködert werden, und in Volksversammlungen die Bearbeitung der Bevölkerung, die regelmäßig bald auf Fiebertemperatur steht. Die Grafschaften, Städte, Städtchen und Dörfer werden um Schenkungen, nicht in Geld, bewahre, nein, blos in Schuldscheinen, meistens in zwanzig Jahren zahlbar mit Zinsen, angegangen. Warum sollte man sich weigern? Geld kostet es nicht; wenn’s zur Zahlung kommt, ist man durch die Bank reich geworden, oder fortgezogen, oder todt. Ja, es liegt ein gewisses Hochgefühl darin, zu wissen, daß die Stadt Abdera, die Grafschaft Münchhausen, von der bisher kaum Mitchell’s Atlas etwas wußte, auf den Londoner, Berliner oder Frankfurter Markt kommen sollen. Es entsteht ein Wetteifer, in dem sich die Grafschaften und Gemeinden überbieten. Fünfzigtausend, hunderttausend, ja fünfhunderttausend Dollars werden votirt. Es geht herrlich. Aber mit dem größten Schlage haben die aufopfernden Bürger, die sich der schweren [111] Aufgabe unterzogen haben, alle ihre Mitbürger reich zu machen, bis jetzt gewartet. Denn es steht nächstens eine Wahl von Abgeordneten nach der Staatslegislatur und nach dem Vereinigten-Staaten-Congresse bevor. Die Bahn aber ist für die Entwickelung des Staates, wenn nicht für seine Existenz unentbehrlich, und die Vereinigte-Staaten-Regierung würde auf irgend eine haarscharf nachgewiesene Weise durch den Bau derselben jährlich Millionen gewinnen. Man muß daher den Congreß und die Staatslegislatur wenigstens um Landschenkungen, womöglich aber um Unterstützung durch Bonds angehen. Es müssen deshalb blos Leute als Abgeordnete gewählt werden, die das Wohl des Staats im Auge haben und die ganze Bedeutung des Projects verstehen und zu würdigen wissen. Wer verstände dies aber besser als die Herren Scharf, Schneid etc., das heißt Mitglieder des Ringes oder der Actionäre. Gewöhnlich gelingt es diesen denn auch in der That – durch welche Mittel mag hier übergangen werden, da es mich zu weit führen würde und zu tief in den Schmutz, der die Hallen des Congresses und der Staatslegislaturen umgiebt.

Ist man so weit gelangt, so wird eine hübsche runde Summe erste Hypothekenbonds angefertigt (in dem oben angeführten Falle der St. Joseph- und Denver-City-Bahn mit eintausendvierhundert Dollars gezeichnete Actien nur für nahezu sieben Millionen), und nun reisen die Herren Speculanten, mit Hypothekenbonds, Staats-, Grafschafts-, Stadt- und Dorfschuldscheinen beladen, nach New-York. Sie reisen wie Prinzen und kehren in den ersten und theuersten Gasthöfen ein. Es wird dafür gesorgt, daß ihre persönliche und ihres Unternehmens Bedeutung in den sofortigen Ankündigungen eines oder mehrerer der ersten Tagesblätter nicht zu kurz kommen. Bald erfährt man, wenn nicht Grund vorhanden, es zu verheimlichen – und dies sind die bedenklichsten Fälle –, daß diese oder jene Bank, ein Banquier oder Stockjobber den Vertrieb jener Papiere übernommen. Im Anfange und so lange das Manöver dem Publicum weniger bekannt oder der damit beabsichtigte Betrug nicht so offenbar war, fanden dieselben in den Vereinigten Staaten willige Käufer. Farmer, Handwerker, Wittwen zeigten besonderes Vertrauen dazu und zogen es vor, ihre Ersparnisse in denselben statt in den blos sechs Procent Zinsen zahlenden Sparbanken anzulegen.

Allein bald bemächtigte sich ein sehr still wachsendes Mißtrauen der Masse Derjenigen, welche Geld in kleineren Beträgen anlegen. Das Manöver zog nicht mehr recht – es mußte ein anderes Feld gesucht werden. Da war ja ganz Europa, strotzend von Schätzen: England, das unerschöpfliche; Frankreich, das nach jedem Falle kräftiger sich wieder erhob; Deutschland, das, von der Wünschelruthe des Zauberers Chase vor einigen Jahren berührt, erst anfing zum Bewußtsein seiner Vermöglichkeit zu gelangen. Germany above all!! (Deutschland vor Allem) war der Traum und nicht selten der Spruch der verzweifelten Eisenbahnschwindler. Englisches Capital hatte bereits etwas unangenehme Erfahrungen hier (Erie-Eisenbahn), in Canada (Stille-Meer-Bahn), in Central-Amerika (Honduras- und Costarica-Bahn) gemacht. In Frankreich braute es etwas drohend. Aber die Deutschen, denen noch der Mund überlief von dem hübschen Geschäfte, das sie in Vereinigte-Staaten-Fünf-Zwanzigern gemacht, die keine amerikanischen Zeitungen lesen, die nichts von amerikanischen Verhältnissen wissen und verstehen und so ehrlich sind, daß sie solche Schwindeleien für unmöglich halten, ohne ein Einschreiten der Behörden zu veranlassen – das sind unsere Leute. Und wie leicht macht sich die Sache! Haben wir nicht Hunderte von deutschen Häusern ersten Ranges hier? und wenn diese die Sache nicht im rechten Lichte sehen wollen, so können ja einer oder mehrere unserer unternehmenden Unternehmer einen kurzen dreimonatlichen Ausflug nach Frankfurt und Berlin machen. Ja, so geschah es, und die Yankees hatten richtig gerechnet – Millionen und abermals Millionen Dollars befinden sich heute in den Händen von Deutschen in Actien, die nicht das Papier werth sind, auf das sie gedruckt wurden.

Es ist hier natürlich unmöglich, schon der Raum verbietet es, in jedem einzelnen Falle nachzuweisen, was aus den durch den Papierverkauf erzielten ungeheuren Summen geworden, doch will ich den Versuch machen, meinen Lesern wenigstens einen oberflächlichen Einblick zu geben. Dieselben muß ich vor Allem vor der altmodischen Idee warnen, als sei es die Absicht jener Leute, überhaupt Eisenbahnen zu bauen. Bewahre: sie wollen einfach stehlen; der Eisenbahnbau ist blos der Lockvogel, um Gimpel heranzuziehen, und der Vorwand wird blos so lange und so weit festgehalten und vorgeschoben, wie der Endzweck es dringlich erheischt. Die Gesetze und Gerichte kümmern sich so wenig oder so unvollständig darum, daß der Vereinigte-Staaten-Schatz selbst noch allhalbjährlich die ihm abgeschwindelten Zinsen der Eisenbahn nach dem Stillen Meere bezahlen muß, obwohl er schon weit über sechszig Millionen derselben für die zwei Gesellschaften vorgeschossen und nicht die entfernteste Aussicht auf Wiedererstattung hat. Und nun zu den versprochenen Andeutungen:

1) Es ist leicht begreiflich, daß ein Haus, welches sich mit einem derartigen Unternehmen abgiebt und seinen Namen damit in Verbindung bringt, dies nicht ohne eine hübsche runde Commission thut. Es ist ein ganz Anderes, die Schuldscheine eines Unternehmens gleichsam als Pflegevater auf den Markt zu bringen oder in den auf dem Markte befindlichen zu speculiren. Das Letztere thut Jeder, je nach den Constellationen und seinen Berechnungen; das Erstere führt eine gewisse moralische Verantwortlichkeit mit sich, die auf sich zu laden früher gute Häuser sehr zögerten. In dem mehrangeführten Falle der St. Joseph- etc. Bahn betrug der Verlust an Papieren zum Gesammtwerthe von sieben Millionen achthundertfünfzigtausend Dollars fast genau zwei und eine halbe Million, also etwa dreiunddreißig Procent. Dies ist so ziemlich ein durchschnittlicher Satz, manchmal etwas höher, ein anderes Mal etwas niedriger.

2) Der oben erzählte Gang des Unternehmens macht es unumgänglich, die active Hülfe einer großen Menge von Mittelspersonen zu gewinnen, entgegenstehende Interessen abzukaufen und principiellen oder speculativen Gegnern den Mund zu stopfen. Alle diese Elemente aber verstehen das Spiel vollständig, und da sie die Unternehmer auf Millionen Jagd machen sehen, so stellen sie ihre Forderungen demgemäß. Vom gewöhnlichen Wirthshauspolitiker und Wahlrowdy durch die Reihe der einflußreichen Männer, Stadträthe, Grafschaftscommissäre und Richter bis zum Abgeordneten in der Staatslegislatur und im Congreß und dem unentbehrlichen Lobbyisten hält Alles die Hände auf, und manches Hunderttausend wandert dahin, natürlich in Schuldscheinen oder auf die Realisirung des Projectes gestellten Versprechungen, damit alle diese Leute und ganz besonders die Presse mit den Unternehmern „in ihres Glückes Schiff steige“.

3) Der unverkäuflich bleibende Theil der Schuldscheine wird an in- und ausländische, besonders englische Lieferanten von Schienen, anderen Eisentheilen, Locomotiven, Wagen u. dgl. als Theilzahlung abgeliefert.

4) Wie sich aus dem oben über den Ursprung des Unternehmens Gesagten ergiebt, besteht eigentlich gar keine Eisenbahngesellschaft im deutschen Sinne mit den von den Actionären gewählten Collegien der Directoren und Verwaltungsräthe. Die „kühnen“ Unternehmer mit den wenigen oft blos euphemistisch so genannten Actionären haben das Ganze in’s Leben gerufen und betrachten sich also auch vollständig berechtigt, ohne alle Controle und ganz nach ihrem Gutdünken mit ihren zusammengebrachten Mitteln zu wirthschaften. Sehr natürlich und entschuldbar halten sie sich selbst und alle ihre Verwandten bis zum fernsten Grade berechtigt, zuerst jeden möglichen Privatvortheil zu ziehen. In dem vielseitigen Geschäftsbetriebe wird eine an’s Unglaubliche grenzende Verschwendung in Gehältern und Beamtenpersonal organisirt, und die Verschleuderung und das Raubsystem hat keine andere Grenze als blos die durch die Erwägung gezogene, es nicht zu toll zu treiben, damit man nicht die Gans schlachte, bevor sie noch Zeit gehabt, alle ihre goldenen Eier zu legen.

5) Mit dem Beginne des Baues und den fällig werdenden ersten Zinsen für die ersten Hypothekenscheine wird es nöthig, auf der Zinszahlung durch die Städte, Grafschaften etc. zu bestehen. Diese, denen mittlerweile einige Streiflichter aufgegangen, machen allerlei Einwendungen, weigern sich zuletzt. Die Folge sind zahlreiche, weitläufige und kostspielige Processe.

Man kann als ziemlich sicher annehmen, daß die ursprünglichen Unternehmer und Unterzeichner inzwischen die von ihnen genommenen oder unterschriebenen Antheile veräußert haben. Dies ist wohl meistens und namentlich dann der Fall, wenn das [112] Unternehmen nur darauf ausging, seinen „Gründern“ Gelegenheit zu geben, sich während der dem Baue selbst vorhergehenden Schritte zu bereichern. Die höheren Eisenbahnschwindler sehen aber auf Leute solchen Calibers als Stümper herab; denn da, wo diese sich befriedigt, fast beschämt und die Nemesis fürchtend, möglichst still zurückziehen, fängt das Talent und die eiserne Frechheit jener erst an sich zu entwickeln, und zwar in einem Manöver, das vorläufig als die höchste Blüthe der Eisenbahnwissenschaft bezeichnet zu werden verdient. Es ist dies das in den Vereinigten Staaten sogenannte Credit-Mobilier-System, dessen Erfinder Oakes Ames von Boston war. Er setzte es zuerst beim Baue der Union-Pacific-Eisenbahn (von Omaha am Missouri bis Ogden am Großen Salzsee) in’s Werk und hinterließ bei seinem vor einigen Monaten erfolgten Tode über fünfzehn Millionen Dollars als Lohn seiner Erfindung, bei deren Beginne er kaum so viele Tausende besaß. Es ist dies Derselbe, der, zum Durchsetzen seiner schönen Idee in den Congreß gewählt, die bedeutendsten Männer desselben mit seinen Credit-Mobilier-Actien bestach. Um meinen Lesern das System verständlicher zu machen, will ich den Fall einer solchen Bahn erzählen, bei dem es angewendet wurde.

Im Staate Illinois wurde von Gilman nach Springfield eine hundertzwanzig Meilen lange Bahn für ein und eine halbe Million Dollars erbaut. Sie zahlte die laufenden Ausgaben und einen bedeutenden Ueberschuß zur Deckung der Zinsen des Anlagecapitals, so daß nicht einzusehen war, weshalb es nicht eine gute Speculation sein sollte. Aber nun wollen wir einmal zusehen, wie manipulirt wurde. Die ersten Faiseurs unterzeichneten für dreißigtausend Dollars Actien und zahlten darauf zehn Procent oder dreitausend Dollars. Sie bewogen Grafschaften und Städte dazu, für fünfhundertachtundneunzigtausend Dollars Actien zu zeichnen, die mit Schuldscheinen bezahlt wurden. Dann gaben sie für drei Millionen Dollars (also das Doppelte der ganzen Kosten der Bahn) erste Hypothekenscheine (Prioritätsactien) aus. Die thatsächliche Folge hiervon war, daß der Werth aller früher unterzeichneten Actien auf Nichts reducirt wurde, und ihnen für weitere Operationen ein nettes Sümmchen zur Verfügung blieb. Wie sollte man es nun anfangen, um so viel wie möglich hiervon sich anzueignen? Die Directoren oder einige derselben begaben sich nach Philadelphia, woselbst sie unter Zuziehung einiger Andern ein „Credit-Mobilier“-Geschäftchen unter dem Namen die „Morgan-Verbesserungsgesellschaft“ organisirten. Diese letztere Gesellschaft, – d. h. die Directoren, als Credit-Mobilier organisirt, – übernahm nun von denselben Personen als Directoren der genannten Eisenbahngesellschaft den Bau der Bahn und erhielt als Zahlung 1) zwei Millionen der Prioritätsactien (die übrige Million blieb für Betriebsmaterial stehn), – 2) eine Million und vierhunderttausend Dollars in Actien, – 3) fünfhundertachtundneunzigtausend in Stadt- und Grafschaftsschuldscheinen (also im Ganzen drei Millionen neunhundertachtundneunzigtausend Dollars). Darauf verpachteten dieselben Directoren die Bahn auf ewige Zeiten an die Pennsylvanische Eisenbahngesellschaft, – so daß den Actionären absolut nichts übrig blieb. Aber damit noch nicht genug, machten der Präsident und zwei Directoren, als Zwei-Dritttheil-Eigenthümer einer Steinkohlenmine, mit sich selbst als Präsident und Directoren der Eisenbahn einen Vertrag, wodurch die Bahn verpflichtet wurde, alle ihre Kohlen zu einem festgesetzten Preise von jener Mine zu kaufen und die Kohlen derselben zu einem bestimmten Preise zu verfahren.

Ich habe diesen Fall so ausführlich beschrieben, weil er als Muster für ähnliche dienen kann und weil die Thatsachen gerichtlich festgestellt wurden in einem Verfahren, das die Actionäre gegen die Directoren anstrengten und dessen Ergebniß war, daß die Handlungsweise der Directoren für Vertrauensbruch erklärt und die Bahn einem vom Gerichte bestellten Dritten (Receiver) so lange zur Verwaltung übergeben wurde, bis sie den wahren Eigenthümern zurückerstattet werden könnte. Es würde mich zu weit führen, wollte ich alle die Bahnen aufzählen, die in dem erläuterten Systeme gebaut werden. Die Ausnahmen sind so wenige, daß ich mich für berechtigt halte zu sagen: alle.

Ich habe in Vorstehendem ängstlich vermieden, Namen von Personen zu nennen, obwohl mir die Hauptunternehmer und Schwindler ebenso gut bekannt sind, wie die hiesigen und deutschen Häuser, welche sich mit dem sauberen Geschäfte abgeben, das Vertrauen ihrer Mitbürger zu mißbrauchen und die Ersparnisse fleißiger Arbeiter, ja die von Wittwen und Waisen in den Strudel hiesigen Eisenbahnschwindels zu werfen, sie, die Millionäre, um ein paar Dollars Commission zu gewinnen. Ich habe es vermieden, nicht weil ich meiner Sache nicht gewiß wäre oder persönliche Unannehmlichkeiten scheute, sondern weil ich es für unpassend halte, ein Blatt wie die Gartenlaube zum Pranger zu benutzen. Ich schrieb nicht um Verbrechen zu strafen – dafür sind die Gerichte –, sondern um, getreu der Mission der Presse, die Unerfahrenen zu warnen, sie zu warnen nicht nur vor dem fremden Verführer, sondern auch vor der eigenen Geldgier, die jeder vernünftigen Ueberlegung spottet. Wenn wahr wäre, was ihnen vorgespiegelt wird, dann würden die Eisenbahnpapiere nicht den Deutschen angeboten werden, es würden sich Käufer genug hier finden, denn für jede wohlbegründete Speculation ist Geld genug hier. Die hölzernen Schinken und gedrechselten Muscatnüsse – eine hübsche Yankee-Erfindung – wurden nicht im eigenen Lande consumirt, sondern nach den spanischen Colonien vertrieben.

New-York, im Januar 1874.
G. O.