Der Gottesbegriff in der Geschichte

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Autor: Carus Sterne
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Titel: Der Gottesbegriff in der Geschichte
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Gottesbegriff in der Geschichte.[1]

Bald nachdem in einem Kinde das Organ für die innere Sammlung und Anschauung der äußeren Eindrücke durch die Sprache zu einem Hinausgehen über die unmittelbarsten derselben befähigt ist, sobald es anfängt, abgeleitete Vorstellungen zu bilden, beginnt es seine Eltern mit den kindlichen Fragen zu belästigen: wer Abends den Mond anzünde, und wer die Bäume gemacht habe etc. Geweckte Kinder setzen die Eltern mit ihre ewigen Fragen in Verlegenheit, und die Wenigsten unter den Letzteren denken daran, daß sich auch in diesem Vorgange der Menschenentwickelung nur ein altes Naturgeheimniß wiederholt, jene ersten Versuche des Wunderkindes dieser Welt, sich klar zu werden über sein Verhältniß zu den Außendingen, über den Ursprung und Zusammenhalt der Dinge. Und da Niemand da war, der dem Urmenschen auf seine naheliegenden Fragen irgend eine beruhigende Antwort ertheilen konnte, so machte er sich selber eine Weltanschauung nach seinem Zuschnitte, wie sich im Grunde auch heute Jeder die seinem Verstande entsprechende Weltanschauung, die nach einem Durchschnittsmaße in den Schulen geliefert wird, wie einen Schuh „austritt“. Darnach müßte es so viel Weltanschauungen wie Menschen geben, doch da sich diejenigen der beieinander lebenden Personen ausgleichen, so gab es naturgemäß ebenso viele grundverschiedene, wie es Sprachstämme giebt, bis Einzelne, die weiter gekommen zu sein glaubten, die ihrigen Andern mit sanfter oder stürmischer Gewalt aufzwängten. Allein die Weltspiegelbilder der verschiedensten Stämme haben, wenn man auf eine gleiche Bildungsstufe zurückgeht, eine erstaunliche Aehnlichkeit, und sicherlich wiesen diejenigen der Steinmenschen ehemals dieselbe allgemeine Uebereinstimmung in allen Welttheilen, wie später diejenigen der Bronzemenschen und schließlich die des Eisenalters. Denn Dasjenige, was wir für die freieste, zügellos schaffende Macht in der Welt ansehen möchten, ist die menschliche Phantasie; sie folgt in ihren Schöpfungen bestimmten Naturgesetzen, die wir Denkgesetze nennen, und der Gedanke erhebt sich in demselben Schritte zu einer höhern Stufe, wie der Denker.

Wo wir immer Nachfrage halten mögen bei Völkern, die heute gewaltsam aus der Steinzeit herausgerissen werden, immer finden wir dieselben in einer Weltanschauung begriffen, die man als den höchsten Grad des Spiritualismus bezeichnen muß. Dem Naturmenschen ist die gesammte Welt ohne Ausnahme durchseelt, Sonne, Mond und Sterne, Luft, Feuer und Wasser, Mensch, Thier, Pflanze und Stein. Versuchen wir es, uns über den Grund dieser die Wahrheit unter rohen Bildern verbergenden Anschauung Rechenschaft zu geben, so finden wir ihre Veranlassung in einem sehr einfachen Denkvorgange, der an die tiefgeheime Wunde der Menschheit anknüpft, an ihre Sterblichkeit. Was ist für ein Unterschied zwischen jenem Menschen, der vor einer Stunde lebte in aller Kraft, und nun daliegt, kalt, bewegungslos und starr? Mit einem letzten, langen Athemzuge ist die Kraft und die Wärme plötzlich von ihm gegangen, sollte da ein Etwas ihn verlassen haben, was den Körper sonst bewegte? Solche Eindrücke und Fragen waren es, die, durch Wahrnehmungen an den Thieren, die der Urmensch täglich in ihrem Todeskampfe beobachtete, unterstützt, die erste leicht umrissene Skizze des Begriffs einer lebenverleihenden Seele bildete, um durch das Traumleben ihre dunkle Schattirung zu erhalten. Der im festverschlossenen Steingrabe beigesetzte Vater tritt Nachts munter wie je an das Lager des Sohnes, spricht wie sonst zu ihm und zerfließt beim Erwachen langsam in Luft. Es bestätigt sich also, daß dieses vom Körper getrennte, seine Gestalt erborgende Etwas unsterblich war und für sich weiter lebt, der Manendienst (Todtendienst) tritt unmittelbar in’s Leben, während der Götterdienst erst fern am Horizonte auftaucht.

Ich glaube nicht, daß man den zwingenden Einfluß des Traumlebens auf den grübelnden Verstand des Urmenschen und seinen ersten Cultus bisher genügend in Rechnung gezogen hat. Der Verstorbene lebt also weiter, er bedarf seiner Kleider, Waffen, seines Rosses und seiner Diener. Denn da er in seinen Kleidern und mit seinen Waffe erschien, so haben auch diese Dinge etwas von ihnen ausgehendes Geistiges, und man muß Roß und Diener dem Herrn an seinem Grabe opfern, damit er sich frei ihrer Geister, wie vordem der Leiber, bedienen möge; man muß die Gattin mitverbrennen, damit er in seinem neuen Zustande nicht ohne ihre Hülfe sei. Schon in den Grabstätten der ältesten europäischen Steinzeit begegnet man den unverkenbarsten Spuren dieser naheliegenden Anschauung, wenn dieselbe auch nicht überall zu Menschenopfern geführt haben wird. Aber die Waffen des Verstorbenen, so werth sie den Ueberlebenden sein mußten, die Bärenkeule, von deren Geist er sich zunächst nähren konnte, finden sich in ihren Spuren überall im Grabe. Sogar die Wohnung überließen viele Völker den Gestorbenen.

Und das Naturkind fragt sich weiter: sollte der Vater, der seine fortdauernde Liebe durch die Traumbesuche zeigt, nicht auch in seiner von den Fesseln des Leibes befreiten Gestalt mehr Macht gewonnen haben, uns zu schützen und zu helfen? Sollte der Häuptling, der so tapfer und so besorgt im Leben [711] für uns alle handelte, nicht mit verdoppelten Kräften fortfahren, dies zu thun? Man richtet Bitten und Gebete an die Todten; der Manen- und Heroen-Cultus gewinnt bestimmtere Formen.

Unmittelbar darauf wird dieses bewegende Etwas in allen umgebenden Dingen gesucht, in dem Wasser, welches läuft, als ob es Beine hätte, im Feuer, welches brennt, als ob es mit tausend Nadeln stäche, in dem Blitz, der den Menschen erschlägt, plötzlich wie der Kämpfer mit seiner Streitaxt. Und da der Urbegriff von der Menschenseele als etwas Persönlichem ausgeht, so führt er von der einfachen Beseelung aller Dinge schnell zur Personification der in ihnen wirkenden Naturkräfte. Der Mensch glaubt zu finden, daß diese Seelen der andern Dinge viel mächtiger sind als die eigene; er bittet sie Alle, ihm gnädig zu sein, und wählt einen todten Gegenstand, eine Pflanze oder ein Thier, auf dessen Kraft er besonderes Vertrauen setzt, zu seinem höchsten Fetisch oder Totem. Es ist dieser Fetischismus und die Totem-Wählerei eine gemeinsame niederste Religionsstufe der ungebildeten Steinzeit-Völker, bei welcher die Unterordnung der eigenen Kraft unter die der andern Seelen überaus charakteristisch für die Schwäche ihres Schlußvermögens ist.

Eine Stufe höher, und aus der allgemeinen unheimlichen Besessenheit der gesammten Naturdinge im Einzelnen steigt gleichzeitig mit der Ausbildung des Heroen-Cultus die Vielgötterei (Polytheismus), die Religion der Bronzezeit, empor. Man kann sie eine Abstraction, eine Läuterung der vorigen nennen. Von nun an herrscht nicht in jedem Stein, in jedem Wässerchen und jeder Pflanze ein besonderer Geist als unumschränkte Macht, sondern diese Geister ordnen sich, wenn nicht gänzlich abgeschafft, allgemeinen Gottheiten der Erde, des Himmels, der Blumen, des Wassers, Feuers etc. unter. Die Naturgegenstände selbst sinken gleichzeitig auf den Werth von Symbolen der betreffenden Gottheiten herab, besonders das vordem an sich verehrte Feuer als das reine, leuchtende, nach oben strebende Symbol aller Gottheit. Nur die Thiere in ihrer stark ausgeprägten Individualität widerstrebten, ebeso wie die halb unsterblichen Bäume, so lange der Unterordnung unter eine abgeleitete Gottheit der Thiere oder Bäume, bis die Zeit dieser Götterschöpfungen vorüber war, und wurden dann nach einer langen Periode selbstständiger Verehrung den verschiedenen Göttern als Diener zuertheilt. Was die einzelnen Gestalten anbetrifft, so konnte der Mensch, wie er in diesem ganzen geistige Proceß von sich selber ausging, die Götter natürlich nur nach seinem eigenen Ebenbilde formen, und daher die bekannte Thatsache, daß die Götter Griechenlands schöne, aber in mancher Beziehung sehr menschliche Griechen waren, die Götter des Nordes kampf- und trinklustige Zechbrüder, und die Götter der Indianer vollkommene Wilde.

Allein weil sich der Mensch fortwährend umwandelte, durften die Götter nicht zurückbleiben, denn sonst wären sie ihm fremd geworden, und wie sich aus dem Chaos der allgemeinen Vergötterung der Natur begriffliche Göttertypen abgesondert hatten, so mußte diese durch Vergleichung in dem zunehmenden Verstande endlich zu dem Gottesbegriffe in seiner Reinheit führen. Man kann die Vorbereitung dieser dritten Abstraction am besten verfolgen, wenn man den Gestirndienst der zweiten Periode in’s Auge faßt. Alle irgend durch Besonderheit in’s Auge fallenden Himmelslichter, Sonne, Mond, Planeten und Fixsterne, wurden als Gottheiten betrachtet, die ersten Beiden den Andern natürlich voran. Zwischen diesen Beiden findet insofern eine Rangstreitigkeit statt, als in den heißesten Ländern, in denen die Sonne in ihrer Stärke das Land versengt und somit schadet, sie dem Monde, als dem milden Freunde der Menschen, den Platz des am meisten verehrten Gestirnes hier und da abtreten mußte. Bei der bei Weitem größeren Ueberzahl der Völker nimmt aber die Sonne den ihr gebührenden ersten Rang unter den Erscheinungen ein, welche die Phantasie anregen.

Je mehr der Mensch die Natur verstehen lernte, um so bestimmter mußte er sich sagen, daß ja alles Leben auf der Erde von den Strahlen der Sonne abhängt, und ebenso tief wie wahr lautet deshalb die Inschrift der vielbrüstigen Personification der nährenden Erde im Tempel der ephesischen Diana. „Tiefes Dunkel ist mein Dunkel – zur Sonne blick auf, die allein Leben giebt, strahlend!“ Ihr Kommen und Gehen mußte daher den Menschen der nicht, wie wir, in engen Straßen, sondern mehr in der Natur nach der Natur lebte, mächtig aufregen, er feierte sie in allen Erdtheilen als die vornehmste aller Gottheiten, als die wahre Wohlthäterin und Erhalterin der Erde wie des Menschen, und beging den Tag ihrer Wiedergeburt und Neuerstarkung (25. December) überall als das größte aller Jahresfeste. Und wenn wir aufrichtig sein wollen, so müssen wir sagen, daß nie ein Cultus gerechtfertigter war, als derjenige der Sonne, in deren Strahlen alle Kraft enthalten ist, welche die Erde von außen empfängt, durch die allein das Erdleben seine hohe Stufe erringen konnte und mit deren Verschwinden dieses gesammte Leben einem schleunigen Untergange zueilen würde, wie es jeden Winter theilweise geschieht. Wir können es fast schrittweise verfolgen, wie bei den meisten Völkern die Mitbewerbung anderer Phantasiebeherrscher um den Thron des Weltalls von der Sonne überwunden wird, so bei den Assyrern, Medern und Persern, den alten Aegyptern, Phöniciern und den nördlich wohnenden Indogermanen, den Peruanern und vielen anderen Völkern.

Den letztgenannten galt die Sonne denn auch folgerichtig als Weltschöpferin, und wahrscheinlich ist es in anderen Religionssystemen früher ähnlich gewesen. Allein nachdem nur überhaupt die Idee eines unumschränkten Götterkönigs, nach dem Bilde eines wohlwollenden, aber unbedingten Gehorsam verlangenden und über Leben und Tod gebietenden Häuptlings, aus dem Chaos der Vielgötterei hervorgetreten war – und dies scheint überall erst mit dem Beginne der Eisencultur geschehen zu sein – mußte auch die Sonne ihren Platz einem persönlichen Beherrscher der Götter und Menschen räumen und sich selber mit dem Range eines Symboles desselben begnügen. Wie aus dem ungeordneten Fetischismus der Steinzeit die übersichtlichere Vielgötterei der Bronzezeit, so ging durch fernere Begriffsverfeinerung aus dieser die Idee eines alleinigen und höchsten Gottes hervor, neben welchem die anderen Herrschaften nur noch wie Hofleute oder Fachminister fortbestehen konnten. Diese Thronbesteigung können wir bei den alten Indern, Aegyptern, Griechen, Römern und Germanen sehr gut verfolgen, bei den Chaldäern und Juden scheint die Unterdrückung der Mitbewerber am frühesten und vollständigsten stattgefunden zu haben. Natürlich wird dieses höchste Wesen nunmehr erst zur alleinigen Weltursache, zum Schöpfer, Erhalter und Regierer des Himmels und der Erde, und dem „ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht“.

Aus unbestimmten, oft rohen und grotesken Mythen etwickelt sich ein immer mehr gereinigtes kosmogonisches (Weltentstehungs-) System. Während die älteren Versuche nicht über eine dem thierischen Zeugungsvorgange nachgebildeten Mythus einer Entstehung aus dem Weltei hinauskamen oder die Welt wie einen Kuchen einrühren und fertig backen ließen, auch die erforderliche Materie als ewig und vorhanden betrachteten, schritt die jüdische Lehre zu einer in ihrer durchgreifenden Weise annehmbareren Form voran und ließ die Welt aus Nichts und ausschließlich für den Menschen erschaffen. Die Erde ist als Mittelpunkt der Welt gedacht, Sonne, Mond und Sterne werden ihr als Zeittheilungs- und Beleuchtungskörper beigeordnet. An verschiedenen Schöpfungstagen wird der Luft, dem Wasser und der Erde aufgegeben, Pflanzen und Thiere hervorzubringen, wobei es als eine Unbedachtsamkeit des mosaischen Berichtes bezeichnet werden muß, daß er die Pflanzen, welche mehr als die Thiere des Lichtes bedürfen, vor den Himmelslichtern hervorkeimen läßt. Die Worte, mit denen der mosaische Schöpfungsbericht den Menschen auf die Bühne führt, sind nicht weniger bezeichnend für den Dünkel dieses Volkes, welches sich das auserwählte nannte, als für die anthropomorphische (den Gott vermenschlichende) Natur der Religion überhaupt. Denn nicht nur läßt er mit vollem Rechte die Krone der Schöpfung nach Gottes Ebenbilde schaffen, sondern mit der ausdrücklichen Bestimmung, über die Thiere und Pflanzen zu herrschen. Man glaubt zwischen den Zeilen zu lesen, auch über die anderen Menschen, die sich etwa einfinden könnten. „Aber mußte dieser gottähnliche Adam und seine nacherschaffene Gehülfin nunmehr nicht vollkommen unsterblich und sündlos wie Gott selbst sein?“, so grübelte der im Unterscheiden immer mehr fortgeschrittene Bildner der Schöpfungsmythe weiter, und nicht weniger tiefgehende Zweifel erregten die Unvollkommenheiten des Daseins, die giftige Pflanzen und schädlichen Thiere und vor Allem die [712] Neigung des Menschen zur Sünde. So wenig wie alles dies, konnte er die Erdbeben, Wirbelwinde, Ueberschwemmungen, Seuchen etc. einem allgütigen und allmächtigen Wesen zuschreiben; er findet auch im Monotheismus (Lehre von Einem Gott) keine Beruhigung; logische Nothwendigkeiten treiben ihn zur Annahme einer dem gütigen Lichtwesen und seinen Schöpfungen feindlich gegenüberstehenden Macht der Finsterniß. Die Personification der Letzteren, welche wieder recht auffallend auf die Sonnennatur des Urmonotheismus zurückweist, dieser Teufel also war ein nothwendiger Lückenbüßer, um den Weltschöpfer von dem Vorwurfe zu befreien, auch solche ekle Wesen wie die Schlangen und ähnliches Gewürm, die Fliegen und überhaupt das Böse in der Welt erschaffen zu haben. In ihrer rohesten Gestalt findet sich diese dualistische (zweiheitliche) Weltauffassung, bei welcher der gute Gott für stärker, der böse aber für listiger und gefährlicher gilt, schon bei vielen Naturvölkern, und nicht wenige unter ihnen theilen die Ansicht der Hottentotten, daß man dem „Capitain von Oben“, wie sie die wohlwollende Macht nennen, keine Verehrung und Opfer schulde, weil er aus eigenem Antriebe den Menschen nur Gutes erweise, und dafür doppelte Anstrengungen machen sollte, den „Capitain von Unten“, der stets aufgelegt sei, dem Menschen zu schaden, mit allen Mitteln zu versöhnen.

Die durchgebildeteren Religionsgebäude der Inder, Perser, Aegypter, Juden, Skandinavier etc. faßten diesen Gegensatz schließlich mehr und mehr als die Empörung einer abgefallenen Gottheit auf, die mit dem Herrscher der Welt um den Besitz kämpft und ihm seine eigenen Geschöpfe abwendig zu machen sucht, um sie endlich als Heerschaaren gegen ihn in’s Feld führen zu können. Und so wurde denn unter Mithülfe der Eva gleich bei dem ersten Menschen der Anfang gemacht, und so verlor dieser seine Unschuld, Unsterblichkeit und alle die Vorzüge, welche ihm das unmittelbare Hervorgehen aus der Hand des Schöpfers sicherten. Die Sünde und das Elend kamen damit auf die Welt, ohne daß den Schöpfer ein anderer Vorwurf träfe, als der, den Menschen nicht stark genug gemacht zu haben. Und die alte Ueberlieferung verfährt ganz den neueren Anschauungen gemäß, indem sie diese Neigung zur Sünde alsbald erblich werden ließ. Die ganze Menschheit scheint verloren.

Bei dem Suchen nach einem Auswege führen die Denkgesetze auch hier bei den Indern, Persern, Aegyptern, Juden etc. zu demselben Ergebnisse. Um das Werk des Bösen zu vernichten, sendet Gott seinen eigenen Sohn zum Kampfe aus, läßt ihn dabei leiden, sterben, in die Unterwelt gehen und durch dieses Selbstopfer die Macht des Bösen vernichten. Confutse, Buddah, Osiris, Zoroaster, Mithras, Hercules, Dionysos, Balder, alle diese hochverehrten Namen deuten immer wieder auf den alten Naturmythus zurück, auf den Kampf des Lichtes mit der Finsterniß, bei welchem ersteres in den vom Aequator entfernten Ländern zeitweise mehr oder weniger vollkommen unterliegt, aber Weihnachten wieder neu geboren wird, im Frühlinge seine Auferstehung und im Sommer seinen Sieg feiert. Alle die genannten Sonnenkämpfer gelten zum großen Theile übereinstimmend als lange verkündete Jungfrauensöhne, mehr als einen von ihnen läßt die Mythe von einem durch den bösen Feind veranstalteten allgemeinen Kindermord wunderbar errettet werden; die meisten werden vom Teufel versucht, fallen dann einem Verrathe zum Opfer, erstehen aber neu verherrlicht und fahren zum Himmel. Doch gehören diese oft bis in’s Einzelne übereinstimmenden Messiassagen der sonst verschiedenartigsten Religionssysteme vorzugsweise nur der altweltlichen Cultur an und scheinen daher eine in den übrigen Welttheilen noch nicht erreichte Gipfelstufe des religiösen Processes zu bezeichnen. Das Christenthum, dessen Hauptfeste und Symbole bekanntlich ebenfalls auf den Sonnencultus zurückzuführen sind, nahm den schönsten Anlauf, die religiösen Gefühle des Menschen weiter zu veredeln, scheint aber seine Kraft erschöpft zu haben, denn es ist seit Jahrhunderten auf einem bedenklichen Rückzuge zu der tiefern Stufe der Vielgötterei begriffen und dürfte, wenn den Riesenschritten der letzten Zeit nicht ein wirksamer Damm entgegengesetzt wird, bald wieder bei dem Fetischismus der Steinzeit angekommen sein.

Carus Sterne.

  1. Obigen Artikel entnehmen wir einem in den nächsten Wochen bei Gebrüder Bornträger in Berlin unter dem Titel „Werden und Vergehen“ erscheinenden Buche unseres Bewährten Mitarbeiters Carus Sterne. Er bildet den Eingang des „Religionen und Weltanschauungen“ betitelten zwanzigsten Capitels dieses geistvollen Werkes, welches die Hauptergebnisse der neueren auf Natur- und Weltanschauung bezüglichen Forschungen zu einem knappen, aber in sich abgeschlossenen Gesammtbilde zusammenfaßt und dabei einen zugleich natur- und culturgeschichtlichen Weg einschlägt. Der denkende Leser wird dieses Buch freudig begrüßen und mit Enthusiasmus lesen; enthält es doch hochinteressante und durch Form und Inhalt gleich ausgezeichnete Beiträge zur Natur- und Religionsgeschichte, was namentlich von den Capiteln „Die Jugendzeit der Thierwelt“, „Die Entwicklung der Sprache“ und dem oben im Auszuge mitgetheilten Abschnitte gilt.