Der Herr Commandant

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Titel: Der Herr Commandant
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 767–768
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[767] Der Herr Commandant. In dem lärmenden, meist von Arbeitern bewohnten Pariser Stadtviertel Popincourt, wo Hammer und Ambos gewaltig in Bewegung gesetzt werden, erblickt man am Ende eines schmalen, düstern Durchganges, der in einen großen Garten ausmündet, ein kleines, altes Haus aus dem vorigen Jahrhundert. Dieses Haus, das ehemals der berühmten und galanten Tänzerin Duthé angehört hat, wird heute von einen, alten, braven Soldaten, einem Officier der Ehrenlegion, bewohnt.

Dieser alte Officier, der Herr Commandant, wie die Nachbarn ihn nennen, ist ein höchst sonderbarer Kauz, ein Original, wie man deren heutzutage nur selten noch findet. Er hat weder Kind noch Kegel, und um der traurigen Vereinsamung, mit welcher die Vorsehung ihn heimgesucht hat, einigermaßen abzuhelfen, ist er auf den sonderbaren Einfall gerathen, sich mit sämmtlichen herumirrenden Hunden zu umgeben, die der Zufall auf seinen Weg führte. Sowie er eines dieser armen, magern, ausgehungerten Thiere ansichtig wird, nimmt er es auf, pflegt es, giebt ihm zu fressen und erringt sich sehr bald sein Vertrauen und seine Freundschaft. Von diesem Augenblicke an ist das Schicksal des Vierfüßlers gesichert, er wird als Hausgenosse betrachtet, gehört zur Familie, hat Wohnung und Kost bis an’s Ende seiner Tage und kann somit getrost der Zukunft entgegenblicken.

Die Erscheinung des alten Commandanten hat etwas höchst Eigenthümliches und Charakteristisches. Er ist ein langer, hagerer Mann; sein starker, grauer Schnurrbart verleiht seinem scharf ausgeprägten Gesicht einen noch markigeren Ausdruck; seine spärlichen, schlohweißen Haare sind sorgfältig über die Schläfe gebürstet; er trägt einen langen, eng anliegenden blauen Ueberrock, der bis an den Hals zugeknöpft ist, und in der rechten Hand schwingt er ein spanisches Rohr, das die Stelle des Säbels vertritt, den er einst mit Ehren geführt hat. So schreitet er dahin, immer reinlich und nett, geschniegelt und gebügelt, umgeben von seiner Schwadron keuchender und hinkender Hunde, und kümmert sich weder um das laute Gelächter der Straßenbuben, denen sein Erscheinen ein Fest ist, noch um das Geflüster der erstaunten Spaziergänger.

Des Morgens, Punkt fünf Uhr im Sommer und Punkt sechs Uhr während des Winters, schlägt der Commandant die Reveille und mustert seine Truppe, die aus vierzig Hunden besteht, in allen Größen und allen Farben, und von denen der eine immer häßlicher ist, als der andere. Nach beendeter Musterung stellt sich die Schwadron in zwei Gliedern auf und wird vom Commandanten an den benachbarten Canal geführt, wo die tägliche Morgenwaschung vorgenommen wird. Die beiden ältesten Hunde galoppiren an der Spitze und springen zuerst in’s Wasser, um den Uebrigen ein gutes Beispiel zu geben; etwaige Widerspenstige oder Wasserscheue werden vom Commandanten eigenhändig in die reinigenden Fluthen geschleudert. Der Befehl besagt, daß dreimal nach einem Stück Holz geschwommen werden [768] muß; nach dem dritten Male apportirt der älteste Hund das corpus delicti, und diese Handlung, die stets mit großer Präcision ausgeführt wird, bildet den Schluß des allgemeinen Bades. Hierauf begiebt sich die Truppe nach dem Exercirplatze, der außerhalb der Barrière gelegen ist, und es lohnt sich wahrlich der Mühe, ihr dahin zu folgen. Ich glaube, daß selbst auf den berühmtesten Affen- oder Hundetheatern jener Grad von Dressur und Gewandtheit niemals erreicht worden ist, den der Commandant seinen Untergebenen beizubringen verstanden hat. Seine Hunde manövriren wie eine Schwadron Husaren; sie formiren sich in Pelotons und in Divisionen, führen Angriffe aus, rücken vor, ziehen sich zurück, galoppiren, traben, gehen im Schritt, bleiben stehen etc. und alles dies mit der größten Präcision und genau nach dem Commando. Der Commandant leitet die Uebungen mit dem höchsten Ernst und mit unerschütterlicher Ruhe; er lobt, tadelt, eifert an, muntert auf. „Bravo, Caro!“ ruft er z. B., „das war sehr gut gemacht!“ oder „Cartouche, wenn du mir noch einmal aus der Richtung kommst, so wirst du bestraft!“ oder „das war ein schlechter Angriff, sehr schlecht! wir müssen das Manoeuvre noch einmal machen und ich bitte mir aus, daß Ihr Euch besser zusammennehmt!“ So wird weiter manövrirt, bis Alles zur vollkommenen Zufriedenheit des Commandanten ausgeführt ist. Nach beendeter Uebung werden diejenigen Hunde, die sich besonders ungeschickt gezeigt und zu wiederholtem Tadel Veranlassung gegeben haben, bestraft. Die Strafe besteht darin, daß die Inculpaten mit den beiden Hinterpfoten in die Luft und gegen eine Mauer angestemmt aufgestellt werden und eine kürzere oder längere Zeit, nach Maßgabe ihres Vergehens, in dieser höchst unbehaglichen Lage verharren müssen. Zwei alte Pudel, Bataillon und Musketon, werden als Schildwachen bei den Sträflingen aufgestellt und haben streng darauf zu sehen, daß die verhängten Strafen richtig ausgehalten werden. Das ganze Exercitium, inclusive der Strafzeit, dauert in der Regel mindestens zwei bis drei Stunden; hierauf marschirt die Schwadron in der größten Ordnung in ihr Quartier zurück, wo alsbald ein angemessenes Frühstück aufgetragen und, wie sich leicht denken läßt, mit sehr gesundem Appetit verzehrt wird.

Nach dem Frühstück begeben sich sämmtliche Hunde in den Garten und dürfen nach Belieben ihren verschiedeuen kleinen Geschäften oder Zerstreuungen nachgehen. Diese Ruhezeit dauert bis Nachmittags zwei Uhr, das heißt bis eine Stunde vor dem Mittagsessen, und dann wieder bis fünf Uhr, also eine Stunde vor dem Abendbrod, wo regelmäßig die Uebungen wieder beginnen, die demnach täglich drei Mal vorgenommen werden. Indessen verläßt die Truppe ihr Quartier alle Tage nur ein Mal, weil die Nachbarn sich beklagt und schändlicher Weise behauptet haben, daß der allzu häufige Vorbeimarsch dieses Hunde-Regimentes ihre Frauen und Kinder beunruhige und erschrecke. Der Polizeicommissär des Stadtviertels hatte demnach für gut befunden, die militärischen Promenaden des Herrn Commandanten auf das Minimum zu reduciren. Diese Maßregel war aber den garstigen Nachbarn noch keinesweges genügend gewesen, so daß auf ihre erneute Klage der Polizeicommissär sich endlich veranlaßt gesehen hatte, den Herrn Commandanten zu sich entbieten zu lassen und ihm zu eröffnen, daß, wenn er sich nicht freiwillig dazu verstehen wolle, einen Theil seiner Schwadron zu entlassen, die Auflösung des ganzen Corps von Polizeiwegen erfolgen werde.

Auf diese kategorische Erklärung, die ihn an seiner empfindlichsten Stelle und zwar sehr schmerzlich berührte, erwiderte der alte Soldat nach einigem Bedenken mit bewegter Stimme: „Herr Commissär, ich habe meinem Vaterlande vierzig Jahre hindurch treu gedient; habe die letzten Feldzüge des ersten Kaiserreiches mitgemacht, sodann in Algier gefochten und mich überall ehrenvoll betragen –“ hier warf er einen stolzen Blick auf das Kreuz der Ehrenlegion an seiner Brust und fuhr dann fort, indem seine Stimme einen immer weicheren Ausdruck annahm: „meine besten Freunde, das heißt Alles was ich liebte und was mich wieder liebte, habe ich auf den Schlachtfeldern verloren, so daß ich nun auf meine alten Tage ganz einsam und verlassen in der Welt dastehe; ich habe nur noch meine Hunde, und wenn Sie mir diese armen Thiere wegnehmen, so rauben Sie mir den einzigen Trost, der mir noch bleibt!“

Als der Herr Commandant seine Rede geendet hatte, gab ihm der Polizeicommissär keine Antwort, und die Schreiber, die in seiner Kanzlei beschäftigt sind, erzählen, daß ihrem Chef in jenem Augenblicke vermuthlich eine Mücke in’s Auge geflogen sei, so daß er sich die Augen mehrmals habe wischen müssen. Um jedoch etwas zu thun, habe er dem Herrn Commandanten die Hand gedrückt, worauf dieser die Kanzlei wieder verlassen habe. Seit jener Stunde ist die Hundefrage als erledigt betrachtet und der alte Soldat in seinen Lieblingsneigungen nie wieder behelligt worden.

Ursprünglich bestand das Corps des Commandanten nur aus zehn, höchstens zwölf Hunden; mit der Zeit hat sich aber dieses Contingent natürlich ganz bedeutend vermehrt. Jedoch der Commandant, dieser tapfere Soldat, der den Tod so oft in der Nähe gesehen, Kanonendonner und Schlachtenrufe gehört und vor den ärgsten Gefahren nicht gezittert hat – dieser alte tapfere Soldat hatte nicht das Herz auch nur einen einzigen von den jungen Sprößlingen seiner großen Hundefamilie umzubringen. Er behält sie alle, und wenn der liebe Gott den alten Mann noch einige Jahre leben läßt, so wird dieser schließlich buchstäblich von einem ganzen Regimente von Hunden umgeben sein. Schon jetzt reicht seine kleine Pension kaum hin, um den Unterhalt der Hundeschwadron zu bestreiten, und ich frage mich zuweilen nicht ohne Besorgniß, wie der Commandant es anfangen wird, um die fernern jungen Rekruten seines Corps auch noch zu ernähren.