Der Jahde-Busen im Großherzogthum Oldenburg

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Autor: unbekannt
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Titel: Der Jahde-Busen im Großherzogthum Oldenburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 359–362
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Jahde-Busen im Großherzogthum Oldenburg.

An der nordwestlichen Seite der Jahde, außerhalb des Schaudeiches, liegt eine Strecke Landes, Dauensfeld genannt, dessen Spitze südöstlich in die Jahde hinausragt. Hier standen ehemals sieben gesegnete Kirchspiele: Bredum, Oldebrugge, Havermönniken, Dauens oder Douvens, Bandt, Seedyk und Ahme, welche in der großen Antonifluth von 1511 theils ganz, theils mehrentheils von den Wellen verschlungen wurden. Der in dieser Katastrophe noch übrig gebliebene Theil von Dauens ging durch die Stürme von 1683 und 1754 unter den Meereswogen verloren.

Gegenwärtig sehen wir noch die oberahmischen Groden, welche durch Eindeichung der Jahde abgewonnen, das größte Gut in Jeverland, vielleicht im ganzen Großherzogthum, bilden. Ferner zeigt sich uns der Bandter Kirchhof, welcher von den Wellen seit 1511 bespült, längst aufgehört hat zur Ruhestätte Entschlafener zu dienen, wo jedoch noch jetzt menschliche Gebeine und von zerstörten Gebäuden früherer Zeiten herrührende Ziegelsteine gefunden werden. Bandt wird als das größte der verunglückten Kirchspiele angesehen. Hier, oder vielmehr in dem benachbarten Neuende (Nyende) stand ehemals die vom jeverschen Häuptling Edo Wynenken dem Aelteren 1380 erbaute Burg Siebethsburg, die wegen der vielen, von dieser Feste aus getriebenen Seeräubereien im Jahre 1433 von den Hamburgern zerstört wurde. Jetzt deuten nur noch Spuren zweier Wälle das frühere Dasein des gefürchteten Häuptlingssitzes auf der Anhöhe an.

An der nördlichen Seite von Dauensfeld, unmittelbar am Deich, liegt die französische Schanze; sie ward in den Jahren 1811–12 unter Napoleon’s Gewaltherrschaft als Schutzwehr der Jahde gebaut, um den Briten das Einlaufen in dieselbe zu erschweren und besonders, um dem damaligen Schmuggelhandel von Helgoland aus Einhalt zu thun. Noch sieht man einen Theil des Erdwalles und eine Reihe von Pfählen, die als mahnendes Denkmal der Vergänglichkeit irdischer Hoheit und Gewalt aus dem Wasser emporragen.

Vom Deich aus eröffnet sich eine vortreffliche Aussicht auf die ganze Jahde mit ihren fernen Ufern: Schräg gegenüber von Dauensfeld und östlich von Heppens erblickt man Eckwarden, weiter südlich treten die Ober-Ahmfelder hervor, und den südlichsten Hintergrund bildet endlich das Seebad Dangast, welches Jedem, der eine ländliche, nicht sehr kostspielige Seebadeanstalt besuchen möchte, sehr zu empfehlen ist, zumal wenn die Gebrechen und körperlichen Uebel keinen zu heftigen Wellenschlag und ein nicht zu stark mit Salztheilen geschwängertes Wasser erfordern.

Ein vorzüglich anziehendes Seegemälde bietet die Jahde dem Beschauer noch besonders durch die verschiedenartigen Segel- und Dampfschiffe, welche, einen beständigen Verkehr zwischen England und Varel unterhaltend, den Meerbusen beleben und den wachsenden Geschäftsbetrieb wie den Alles bewältigenden Unternehmungsgeist des rasch zu Wohlstand gekommenen Varel bekunden.

Die Jahde (Jadua, Jada, in alten Urkunden auch Eddenriad, Riede, Ried genannt), welche jetzt, so weit sie den Meerbusen bildet, von den größten Kauffarthei- und Kriegsschiffen befahren werden kann, in alten Zeiten aber bis fast an ihre Mündung so schmal gewesen sein soll, daß sie nur für kleinere Schiffe fahrbar war, entspringt aus dem Zusammenfluß mehrerer Bäche (Bäken genannt) in den Kirchspielen Rastede und Jahde, und bekommt ihren Namen Jahde erst, nachdem sie die Hahner Bäke noch aufgenommen hat; sie geht dann weiter durch das Kirchspiel Jahde, nimmt daselbst das aus dem Moore hinter Bollenhagen kommende Flüßchen, die Dornebbe auf, und vereinigt sich dann hinter Jahder-Altendeich mit der Wapel. Von dieser trennt sie sich nahe vor dem jahder oder wapeler Siele, fließt aber außerhalb Deiches bei dem ruter Sieltief, wo sie die Grenze des Amtes oder der Herrschaft Varel gegen das Amt Rastede macht, wieder zusammen und fällt dann als ein beträchtlicher Meerbusen in die Nordsee.

Von großem Interesse für die Neuzeit und wichtig für Deutschlands Zukunft wird dieser Meerbusen durch den preußischen Kriegshafen, zu dessen Anlage die Arbeiten bereits begonnen und von wo aus in Kurzem der Kanonendonner dem deutschen Volke die Grundsteinlegung seines ersten Bollwerks zum bewaffneten Schutze seiner Handelsinteressen verkünden wird.

Nachdem Preußen am 20. Juli 1853 den Vertrag der Gebietsabtretung mit Oldenburg abgeschlossen, fand am 23. November 1854 bei der französischen Schanze auf Dauensfeld die Uebergabe von Heppens und des Jahdegebietes durch Oldenburg an Preußens König unter großer Feierlichkeit statt.

Den neuesten Mittheilungen zufolge sollen in diesem Jahre die Arbeiten zur Herstellung des preußischen Kriegshafens an der Jahde in bedeutend größerm Umfange als seither betrieben werden. Bereits sind zur kräftigen Förderung der Bauten zahlreiche Maschinen, namentlich Bagger- und Rammmaschinen, von großer Leistungsfähigkeit am Jahdeufer bei Heppens aufgestellt. Seit dem 15. April befinden sich die Arbeiten wieder im Gange.

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Dauensfeld an der Jahde, Stelle des preußischen Kriegshafens

Es sollen dabei in diesem Augenblick etwa 1000 Menschen beschäftigt sein. Man beabsichtigt aber, die Zahl der Arbeiter binnen Kurzem auf 3000 zu steigern. Zur Unterbringung derselben in dem nur spärlich mit Wohnungen besetzten Landstrich wird in der Nähe der Hafenanlage eine Anzahl von Häusern gebaut, welche so eingerichtet werden sollen, daß sie später die Marinemannschaften aufnehmen können. Eben so trägt man für die zur Verpflegung der Arbeiter nöthigen Einrichtungen Sorge. Die Ausführung aller dieser Anlagen ist Privatunternehmern contractlich in die Hände gegeben. Ganz unabhängig davon werden die Hafenarbeiten betrieben. Die zu denselben gedungenen Mannschaften sind gegenwärtig besonders mit Ausgrabungen an dem großentheils aus tiefem Moorboden (Schlick) bestehenden Ufer beschäftigt. Später sollen hier mächtige Roste eingetrieben werden, um für die Bauten des eigentlichen Marineetablissements einen festern Untergrund zu gewinnen. Die Sicherung des Ufers gegen die Einwirkungen des Wassers erfolgt meist durch Senkmauern, die auf kolossalen Felsblöcken ruhen. Die Arbeiten werden nach wie vor durch die Hafenbaucommission geleitet, an deren Spitze der Geh. Oberbaurath Hagen steht, und von welcher die Bauplane unter Mitwirkung des englischen Hafenbaumeisters Rendel und des hamburgischen Wasserbaudirectors Hübbe aufgestellt wurden. Zur Entwerfung derselben fanden im vorigen Jahre an Ort und Stelle mehrfache Konferenzen der Sachverständigen statt, wobei es sich vorerst um die Herstellung eines sogenannten Nothhafens handelte. Es soll zur Anlage desselben ein in der Nähe von Heppens noch aus früherer Zeit vorhandener Molo benutzt werden, an dessen Ausbesserung und Vergrößerung man arbeitet. Nach der Vollendung dieses Werks wird zur Anlegung des eigentlichen Kriegshafens geschritten, für welchen man ein auch zur Aufnahme der schwersten Schiffe trefflich geeignetes Wassergebiet ausersehen. Die schon im vorigen Jahre von mehreren Marineoffizieren [361] im ganzen Hafenbereich vorgenommenen Peilungen ergaben eine Tiefe des Wassers von 32 bis 80 Fuß. Die Vermessungen werden in diesem Jahre zur gründlichen Regulirung des Fahrwassers bis in die Nordsee fortgesetzt und haben mit dem 1. Mai bereits wieder ihren Anfang genommen. Auch die Landvermessungen, mit denen Ingenieuroffiziere unter der Leitung des Generals v. Bayer beauftragt sind, erhalten in diesem Jahre eine weitere Ausdehnung. Befestigungen dürften für jetzt an der Jahde noch nicht angelegt werden, man scheint im Gegentheil damit warten zu wollen, bis die nothwendigsten Land- und Wasserbauten zur Begründung des Marineetablissements ausgeführt sind.

Nordwestlich von Dauensfeld, eine Viertelstunde vom Deich, erblickt man mit seiner auf einer kleinen Anhöhe liegenden Kirche das Dorf Heppens, welches in der Geschichte des preußischen Kriegshafens gewiß keine unbedeutende Rolle übernehmen wird. Es hat nur 350 Bewohner, deren Häuser in der Mehrzahl um den Hügel zerstreut liegen. Ein Bauernhaus macht, seinem Aeußern nach, auf jeden Fremden einen komischen Eindruck, welchen jedoch die innere Einrichtung sehr bald vortheilhaft zu verwischen vermag. Ein unförmiges, großes Dach ruht auf einer zwei bis drei Fuß hohen Mauer, an die Scheune stößt das Bienerende oder Wohnhaus, welches kleine, unterm Dach angehende Fenster hat, und unmittelbar vor der Scheune liegt der Zinsenbringer, d. h. der Dünger, dessen fast mit mathematischer Genauigkeit aufgeschichtetes Viereck den Fremden beinahe zu dem Glauben verleitet, man habe hier eine Terrasse anzubringen beabsichtigt. Was den meisten Häusern dagegen ein sehr reizendes Ansehen giebt und die Wohnlichkeit derselben erhöht, sind die kleinen Gebüsche von Eschen, schönen großen Linden und Pappeln, welche an die englischen Gartenanlagen, die wir in Britannien so sehr bewundern, erinnern. Tritt man in die Scheune, so [362] wird man durch die ganze Anordnung derselben angenehm überrascht. In der Mitte erheben sich zwei parallel laufende Reihen von säulenartigen Ständern, worauf das große Dach ruht und in deren Zwischenräumen die mannigfaltig reichen Gaben der Ceres aufgethürmt sind; an der vordem Seite deutet ein freigelassener Platz die Stelle an, wo die Früchte, statt mit dem früher üblichen Flegel, mit gewaltigen Dreschwalzen vermittelst Pferden ausgehülst werden. Unter dem Giebel erblickt man fünf bis sechs muthige Pferde, deren Zucht einen bedeutenden Erwerbszweig des Landmannes bildet, während an einer Seite der Wand zwanzig bis dreißig wohlbeleibte schwarzbunte Kühe und Ochsen sich in behaglicher Gemüthlichkeit des Lebens zu freuen scheinen. An der entgegengesetzten Seite reihen sich dann in gewissen Abtheilungen die übrigen Hausthiere an, die Schafe ausgenommen, deren ein hiesiger Landmann nur höchstens drei bis vier aufzieht, um durch dieselben so viel an Wolle zu erhalten, als er zum Hausbedarf nöthig hat. Die Marsch-Schafe sind besonders groß und liefern nur grobe Wolle, feinere schlesische und sächsische Arten gedeihen hier nicht, weil sie das Klima und den Boden nicht vertragen können. Da sich in der Scheune Alles unter einem Dache befindet, so wird die Temperatur durch die animalische Ausdünstung sehr gehoben und eine angenehme Wärme im ganzen vermittelst eines Fensters dämmerig beleuchteten Raume verbreitet.

Nachdem wir diese große Vorrathskammer durchwandelt, werden wir durch eine am hintern Ende angebrachte Thür in das Wohnhaus eingeführt, woselbst uns zunächst die höchst freundlich einladende Küche aufnimmt. Alles ist hier im wahren Sinne comfortable. Der mit stets sauber gehaltenen, blau bemalten holländischen, sogenannten Estern rings ausgelegte Kamin, in welchem sich der zwei Fuß hohe Feuerherd befindet, über dessen nie erlöschendem Torffeuer der stets brodelnde Kessel an einer Kette hängt, die durch einen Mechanismus aufgezogen und herabgelassen werden kann, ist ganz geeignet, in dem Gaste die Vorempfindungen der angenehmsten Genüsse, welche seiner warten, zu erwecken; den Kaminsims schmücken glänzend polirte Zinnschüsseln, Teller, große und kleine Kaffeekannen und gewaltige Messingschüsseln in getriebener Arbeit, alte von den Voreltern herstammende Erbstücke. Von substantiellem Wesen und Gewicht für den Gaumen auch des leckersten Gourmand sind die prächtigen Schinken, Speckseiten, Nagelhölzer und Metwürste, welche von der Decke in dichten Reihen herabwinken und mit Recht den Stolz der sorgsamen Hausfrau ausmachen. Dem Herde gegenüber stehen an den Wänden massive mit Schnitzwerken gezierte Glasschränke (Buddeleien), wo in reicher Fülle Porzellangeschirre, Silberzeug und andere werthvolle Sachen, die nur bei besondern Gelegenheiten benutzt zu werden pflegen, des Beschauers Blicke auf sich ziehen. Noch macht sich in dem weiten Raum der Küche, welche wenigstens drei Mal so groß ist, als die Wohnstube, ein gewaltiger, auf pfostenartigen Beinen ruhender Tisch bemerkbar, an welchem die gewöhnlichen Mahlzeiten, besonders des Gesindes, gehalten werden. Wie bei den Briten, dient auch hier die gemüthliche Kaminecke im Winter zum gemeinschaftlichen Sammelplatz der Hausgenossen.

Eine höchst rühmliche Eigenschaft, welche den Charakter des Landmanns sehr vortheilhaft auszeichnet, ist die Gastlichkeit, die er sich gegen jeden Fremden oder Besucher zur Pflicht macht und welche unwillkürlich an die patriarchalischen Festmahle der Vorzeit erinnert, vielleicht nur mit dem Unterschiede, daß Kultur und Mode, welche durch die den Fruchtpreisen günstigen Zeiten auch hier Eingang gefunden, die ländliche Einfachheit verdrängt haben.

Der Vorwurf, welchen man der Gegend um Heppens wegen ihrer Abgeschlossenheit und Ungeselligkeit macht, ist unbegründet. Werden in der rauhen Jahreszeit die Straßen zuweilen auch unwegsam, so erleidet das trauliche Zusammenkommen der Nachbarn doch keine Störung, und während es draußen tobt und stürmt, sieht man den Landmann gesellig sich die Zeit vertreiben oder in behaglicher Wohnung behäbig sich des Lebens freuen.