Der Kranz am Marterl

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Herman Schmid
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Kranz am Marterl
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1–5, S. 1–4; 29–31; 33–36; 62–64; 65–68
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[1]
Der Kranz am Marterl.
Eine Geschichte aus dem bairischen Hochland.
Von Herman Schmid. [1]


1.

In der engen Felsenschlucht am Fuße der „langen Wand“ war es trotz des ungewöhnlich heißen Mittags im Spätherbst schattig und kühl, denn die Sonnenstrahlen, die nur Morgens ein Viertelstündchen in dieselbe einzudringen vermochten, fielen schon lange nur schräg auf den Saum des Gesteins. Der Boden war mit Felsblöcken, Trümmern und Geröll bedeckt, unter welchem der schmale Wasserfaden einer Quelle fortsickerte, die manchmal, angeschwellt durch die Regengüsse eines Gewitters, die ganze Kluft wie eine Klamm tobend und schäumend ausfüllt und ihr Gewässer in die noch wildere Obernach stürzt, welche tiefer unten zwischen finstern Wäldern dem schwermüthig ernsten Walchensee zustürmt. Erst in halber Höhe der Felswände hatten einige Birken und Fichten sich in den Spalten kümmerlich angehängt und spannten ihre Wurzeln wie Klammern darüber hin; in der Schlucht selbst grünte nichts, denn die thurmhohen Wände drängten sich allmählich so schroff zusammen, daß sie sich oben fast aneinander schlossen und zu der Kühle auch die Dämmerung kam.

Nur an der einen Seite der Schlucht, am Eingange derselben, lag ein kleiner Fleck von kurzem kümmerlichem Rasen. Ueber ihm war an der Wand ein Holztäfelchen angebracht, mit einem kleinen Wetterdach zum Schutze des darauf befindlichen Gemäldes. Es stellte in rohen Umrissen ein nicht zu verkennendes Conterfei der Felsschlucht vor und zeigte im Vorgrunde einen jungen Mann in grauem Rock mit grünem Aufschlag und Kragen, knieend, die Hände zum Gebete faltend und auf dem Kopf ein rothes Kreuz tragend. Eine Büchse lag neben dem Knieenden. Im Hintergrunde sah man dieselbe Gestalt in verkleinertem Maßstabe über die steile lange Wand herabstürzen. Zwischen dem Bilde und den an einem Drahte aufgereihten „Beterln“ oder Rosenkranz-Perlen war eine Inschrift [2] angebracht, noch lesbar, doch etwas verwaschen, denn die Wirkung des kleinen Schutzdaches reichte nicht so weit und hinderte den Regen nicht, unter demselben hereinzuschlagen.

Die Inschrift lautete:

„Am 10. Juni 1806, Sankt Margarethen-Tag, seines Alters
im 24 igisten Jahr, ist hier der ehr- und tugendgeachte Jüngling,
Gotthard Recht, Jagdgehilf, durch einen Sturz von der langen
Wand verunglückt und hat sich erfallen.
 Bedenk’ es wohl, mein lieber Christ:
 Weißt nie, wie nah das Sterben ist.“

Das Volk im bairischen Hochgebirge liebt es, auf diese Weise die Stellen zu bezeichnen, an welchen ein Unglück, ein besonderes Naturereigniß sich zutrug oder auch ein Verbrechen begangen wurde, und dadurch noch nach Jahren den frommen Wanderer, der daran vorüberzieht, zum Gebete zu mahnen. Die Täfelchen werden je nach Gelegenheit an den Wänden der Häuser, an Bäumen oder auch an eigenen kleinen Säulchen angebracht, welche Martersäulen, kürzer auch „Marterln“ genannt werden.

In die Felsschlucht führte von dem tief unten am Rande der Obernach vorbeiziehenden schmalen Waldsträßchen ein schwieriger, mühevoller Fußpfad herauf, zwischen Gestrüpp und Blöcken hindurch und mehrmals das steinige, jetzt weißgebleichte Rinnsal des Wildbaches kreuzend. Schon eine beträchtliche Strecke vor der eigentlichen Verengerung der Schlucht schwenkte der Weg nach rechts ab und bog in den Hochwald ein, dessen Wand durch einen Zaun von langen Stangen verwahrt war, damit das Vieh sich nicht in die Schlucht verlaufen konnte, wenn es sich von den Alm-Weideplätzen verloren, welche hoch oben über Felsen und Bäumen sich sonnten und grünten, schimmernd und duftend von saftigem Gras und Bergkräutern und mit mancher freundlichen Sennhütte bestreut.

Diesen Pfad kam jetzt ein Mädchen herab, in der bäurischen Tracht der nahen Jachenau, welche damals – vor vierundfünfzig Jahren – noch allgemein und unverfälscht getragen wurde. Ein langer rothbrauner Rock fiel bis auf die Knöchel und die weit ausgeschnittenen niedrigen Schuhe herab und ward wieder auf der Brust als Unterleibchen sichtbar, mit blanken Knöpfen besetzt und mit einer schmalen Spitzenkrause den Hals umschließend. Darüber trug sie eine kaum bis an die Schultern und unter die Brust reichende hellgrüne Jacke mit kurzen Aermeln, deren ebenfalls mit einer Krause abschließende Enden die kräftigen, gebräunten Arme ungehindert hervortreten ließen. Den Raum zwischen Jacke und Leibchen füllte ein leicht umgeschlungenes blaßgelbes Tuch; den grünen Hut mit den breiten aufgebogenen Krampen und den darüber gespannten goldbefranzten, hellgrünen Bändern trug das Mädchen in der Hand. Dadurch wurde das blonde Haar sichtbar, das sie in dichte Zöpfe geflochten und über den Kopf geschlungen trug, auch die meist durch den Hutrand geschützte und darum auffallend weiße, wohlgeformte Stirne und das etwas schmale Angesicht, das trotz seiner fast kränklichen Blässe erkennen ließ, wie schön es gewesen sein mochte, in den Tagen, als noch der Frohsinn der Gefährte der Jugend war. Die Augen hatte sie meist zu Boden gesenkt, als suche sie etwas Verlornes emsig vor sich hin, wenn sie dieselben aber aufschlug, war der Eindruck der ganzen Erscheinung verändert, denn sie waren von dunklem, fast in Schwarz übergehendem Braun und bildeten durch das düstere Feuer, das in ihnen loderte, einen befremdlichen Gegensatz zu der weichen, fast leidend ergebenen Miene. Nur der fein geschnittene Mund, von der Farbe einer blassen Rose, stimmte dazu, denn er war fest, beinahe herb geschlossen, und der Zug um ihn verkündete einen starken, trotzigen Sinn.

In der Hand, neben dem Hute, trug sie einen Kranz, aus solchen Almkräutern und Gewächsen gebunden, welche am längsten zu dauern versprachen, aus den krausen, dorngeränderten Blättern der Stechpalme, den dunklen Ranken des schmalblättrigen Waldepheus, den graubefiederten Blüthendolden der hochhinankletternden Zaunrübe, den tiefgrünen Zweiglein von Scheibenblatt und Immergrün – ein einziger mattweißer Stern von Edelweiß vorn an der Kranzspitze war der ganze lichte Farbenschmuck des Gewindes.

Beinahe ohne aufzublicken war das Mädchen an den Eingang der Klamm gekommen und wandte sich gegen dieselbe, als sie plötzlich stille stand und den überraschten, fragenden Blick auf das Martertäfelchen heftete.

Der Schmuck, den sie mitgebracht hatte, war überflüssig, über dem Schutzdache des Gemäldes hing bereits ein Kranz, aus Tannenreisern und Aesten der zunächst stehenden Gesträuche geflochten.

„Was ist denn das?“ sagte sie halblaut vor sich hin. „Wer hat den Kranz da her gehängt? … Es kommt doch das ganze Jahr fast Niemand in den abgelegenen Winkel – Niemand als ich! Und auch die Betkorallen sind gerückt – ich weiß es ganz genau, wie ich sie vorgestern gelassen hab’ … Wer ist dagewesen?“

Begreiflicher Weise kam in der Oede keine Erwiderung auf die Frage. Einen Augenblick stand sie noch zögernd, dann trat sie rasch vor und streckte die Hand nach dem Kranze aus, eine zornige Empfindung war in ihr aufgewallt und hieß sie, den Kranz wegzuwerfen und zu zerstören – Wer, außer ihr, hatte ein Recht, hier zu trauern? Wer durfte sich anmaßen, ein Zeichen liebender Erinnerung an die Unglücksstätte zu tragen? … Im Begriffe den Kranz zu erfassen, ließ sie jedoch die Hand wieder sinken, hob dann den eigenen Kranz in die Höhe und hängte ihn über den andern. Eine weichere, dankbare Regung war ihr mit einem wohlthuenden, lang entbehrten Gefühle der Wärme zum Herzen geströmt und hatte den Zorn übermannt. In den ersten Wochen nach dem unglücklichen Ereigniß war das Gerede über dasselbe verstummt, der Jäger und sein Geschick waren vergessen, mehr als drei Jahre lang war sie mit ihrer steten Trauer um den Todten allein gewesen – jetzt war es ihr ein unsäglich erfreuender Gedanke, daß es außer ihr noch ein Menschengeschöpf gab, das, wie sie, den Dahingeschiedenen nicht vergessen hatte. Damit kehrten die frühern Gedanken zurück und die Frage nach dem Spender des Kranzes. Der Jäger war fremd gewesen; er hatte in der Gegend weder Befreundete noch Verwandte, die seiner gedenken konnten – sie mußte das vergebliche Nachsinnen aufgeben und kniete in das Gras zu den Füßen der Felswand, um ein brünstiges Gebet für das Heil der armen Seele zu sprechen, die so plötzlich und furchtbar abgerufen worden war aus dem irdischen Leben und Leibe.

Wie sie so in Andacht versank, versank auch bald die Gegenwart um sie her, sie vergaß die drei Jahre des Grams, und die zurückgewendete Seele sah sehnsüchtig in die Tage des Glücks hinüber, welche den Jahren vorangegangen. Sie hörte und beachtete darüber nicht mehr, was um sie vorging, und bemerkte auch die beiden Männer nicht, welche von der Straße her durch das Steingeröll heraufgestiegen kamen. Der Eine davon, in kurzen Lederhosen, Wadenstrümpfen und derb benagelten Bergschuhen, trug die Jacke zusammengeschlagen über der Schulter und dem schneeweißen, durch die Gurten des grünen Hosenträgers noch gehobenen Hemd. Er hatte den Hut abgenommen und trocknete sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von dem gefurchten Angesicht und von dem kahlen, nur von einem silberweißen Haarkränzchen eingefaßten Kopf.

Sein Begleiter war beträchtlich jünger, eine schlanke und doch gedrungene Gestalt mit grünem, schmalkrämpigem Spitzhut, in schwarzen Lederhosen und weiten, bis über die Kniee heraufgezogenen Wasserstiefeln. Um den Leib hing lose eine blaue Weste mit Silberzwanzigern als Knöpfen, ein leichtes dunkles Flortuch um den Hals, und um die Mitte ein wohlgefüllter breiter Ledergurt, eine sogenannte Geldkatze. Auf der Schulter trug der Bursche eine langstielige Axt, über welcher die graue Joppe hing – es war nicht zu verkennen, daß er zu den Flößern gehörte, welche – damals noch viel häufiger als jetzt – in den Wäldern an der Isar hinauf große Bäume fällten, zu Flößen verbanden und damit nach München und weit darüber hinaus in die Donau nach Wien fuhren und bis tief nach Ungarn hinab. Dort wurde das Fahrzeug verkauft, und der Fährmann, den Kaufpreis im Gurt und das Beil auf der Achsel, ließ sich die weite Fußwanderung in die Heimath nicht verdrießen, um unmittelbar nach seiner Ankunft Alles zu neuer Fahrt zu bereiten. Das Gesicht des Burschen trug den offenen markigen Schnitt, der die Züge der Isarthaler von Tölz und Laupgries kennzeichnet, aber es war etwas Wüstes und Fremdes darin, ein höhnischer, fast roh unheimlicher Zug um den Mund, der durch den dichten Schnurrbart unter der gebogenen, etwas seitwärts gedrückten Nase keineswegs verdeckt wurde.

„Hab’ ich mir’s nit eingebildet!“ rief, stehen bleibend, der Alte, als er das Mädchen knieen und beten sah. „Da ist sie richtig wieder herunten vor dem verflixten Marterl und laßt die Alm Alm sein! … Aber Binl,“ fuhr er lauter fort, als sie ihn nicht gleich bemerkte, „sage nur, was Du treibst? Ist das eine Zeit, wo man von der Alm weggeht und das Vieh allein laßt? Jetzt, wo schon bald abgetrieben wird und das Vieh am weitesten geht und sucht?“

Das Mädchen hatte sich gelassen erhoben, bekreuzte sich zum [3] Schlusse seines Gebets, warf noch einen traurig sehnsüchtigen Blick auf das Täfelchen und schritt den Kommenden entgegen. „Grüß’ Gott, Vetter!“ sagte sie; „brauchst keine Sorg’ zu haben. Es ist Alles verwahrt auf der Alm: der Bub’ ist bei den Geißen, und die Zwerger-Klar’l ist in der Hütten statt meiner.

„Aber was thust denn schon wieder da herunten in der Kluft?“ entgegnete etwas milder der Alte; „willst denn niemals gescheidt werden, Binl?“

„Gescheidt ist, wer thut was Recht ist!“ erwiderte das Mädchen und schritt neben den Männern her in den Wald; „und ich mein’, wenn ich für einen Abgestorbenen bet’, thu’ ich nur, was Recht ist …“

„Das thust nit! Alles hat sein Maß und Ziel!“ eiferte der Alte. „Das ewige Geflenn ist völlig sündhaft! Es macht den Todten … der Herr geb’ ihm die ewige Ruh! … nit wieder lebendig, und Du versitzest Dich drüber und wirst eine alte Jungfer!“

Das Mädchen schwieg und sah vor sich nieder in das Moos des Waldweges.

„Das muß ein End’ haben!“ rief der Alte weiter. „Und das Gescheiteste ist, Du kommst weg von dem Ort, wo Dich Alles an den Verstorbenen mahnt …“

„Der Ort macht’s nit aus!“ sagte sie traurig; „ich werd’ an den Gotthard denken, auch wenn mich gar nichts mahnen thät’ an ihn!“

„Was soll aber daraus werden? Schau, Binl, Du bist doch sonst so ein richtiges Leut – folg mir und mach’ ein End’! Wie ich Dich als ein kleines Dirnl herausgeholt hab’ aus Deiner Heimath in der Jachenau, da hab’ ich’s Deiner Mutter, meiner Schwester, versprochen, daß ich Dich halten wollt’ wie ein Vater sein Kind …“

„O – Du hast es gethan, Vetter!“ rief das Mädchen rasch mit einem dankbaren Seitenblick auf den Alten. „Du hast es wohl gethan – vergelt’s Gott tausendmal dafür!“

„So zeig’ mir’s auch und folg’ mir wie ein Kind! Ich hab’ Dir alleweil’ viel nachgegeben, vielleicht ein Bissel zu viel! Hätt’ ich nur gleich darein gezecht, wie das Gethu und das Gespenzel angegangen ist mit dem Jager – hab’s all meiner Lebtag gehört „Jagerblut und Bauernblut – thut niemals nicht beisammen gut!“ Aber der Gotthard war so weit ein ordentlicher Bursch’, gegen den sich nichts hat einwenden lassen, und Du bist vernarrt gewesen in ihn … wenn Du ihn nit bekommen hätt’st, ich glaub’, es wär’ Dir an’s Leben gegangen …“

Ein tiefer Seufzer hob die Brust Sabinens. „Das weiß unser Herrgott!“ flüsterte sie kaum hörbar; „es ist mir an’s Leben gegangen!“

„Ich hab’ also nachgegeben, hab’ Ja gesagt, die Hochzeit war schon vor der Thür … da macht der Tapp, der sonst auf den Bergen daheim gewesen ist, wie ich in meiner Taschen, einen Fehltritt, fallt über die lange Wand herunter und erstürzt sich! Du hast ihn seither betrauert wie eine rechtschaffene Wittib – aber Alles muß ein End’ haben, und weil ich ein alter Kerl bin, mit dem es auch bald und geschwind zu End’ gehen kann, so möcht’ ich meine Sachen alle in Ordnung wissen. Meinem Buben will ich das Gut übergeben, und Du sollst heirathen, und wenn Du mir folgen willst, brauchst Du nit lang’ zu suchen um einen Hochzeiter … Na, warum red’st nichts?“ fuhr er fort, als er einige Augenblicke auf eine Erwiderung gewartet hatte. „Bist doch sonst nit auf’s Maul gefallen, und fallt Dir jetzt kein Sterbenswörtl ein?“

„Davon wollen wir ein andresmal reden, wenn wir allein sind, Vetter …“

„Ah was! Vor dem Lipp brauchst’ Dich nit zu scheuen, den geht’s so nahe an wie mich und Dich … der ist Deinetwegen da!“

„Wegen meiner?“ erwiderte das Mädchen erstaunt und ließ einen ihrer finstern Feuerblicke nach dem Burschen hinüberblitzen, daß dieser, sonst reisegewandt und welterfahren, davon betroffen ward und nur mühsam hervorbrachte, daß er den weiten Umweg nicht gescheut habe, nur allein um sie zu sehen.

„Kurz und gut!“ fiel der Alte ein. „Er ist wieder von Wien zurück, hat ein schönes Geldl erlöst und auch sonst schon was Schönes zusammengebracht. Er will nit mehr Floßknecht bleiben, sondern einen eigenen Breterhandel einrichten, drüben in Walgau. Du gefallst ihm; was Du von mir mitkriegst, reicht gerad, daß Ihr recht schön anfangen könnt mit der Haushaltung und mit der Handelschaft – er ist also da und will um Dich anhalten, wie’s Brauch ist, und will Dich heirathen …“

„Ich dank’ schön für die Ehr’ und für die gute Meinung,“ erwiderte das Mädchen gelassen, „aber ich heirath’ nit!“

Der Alte war eben im Begriff, sich sein kurzes Pfeifchen anzuzünden, aber er vergaß das vor Staunen über des Mädchens Rede und stand wie unbeweglich, in der einen Hand das Pfeifchen, in der andern den glühenden Schwamm. „Nit heirathen?“ brachte, er endlich hervor. „Ja, Madel, was willst denn sonst?“

„… Ledig bleiben …“

Jetzt legte der Alte, wie sich besinnend, den Schwamm auf’s Pfeifchen, that ein paar tüchtig qualmende Züge und klappte dann kräftig das Deckelchen zu. „Ich geh’ da einen Seitenweg,“ sagte er paffend, „will im Buchenschlag ein Bissel nachschaun … Geh’ Du mit dem Madel, Lipp, red’ selber mit ihr, wirst wohl keinen Procurator brauchen dazu … mir ist das Gered’ zu dumm!“

Brummend verschwand er im Wald, das Paar ging eine Weile stumm nebeneinander her. Feierliche Stille waltete in dem grünen Dunkel, das oben an den Wipfeln sich in ein wiederscheinendes Abendroth verlor.

„Du hast es vom Vetter gehört, wie ich gesinnt bin mit Dir,“ sagte endlich der Bursche, etwas unsicher. „Was giebst mir für einen Bescheid, Binl?“

„… Ich hab’ ihn Dir schon gegeben,“ war die gleichgültige Antwort. „Ich heirath’ nit, Dich nit und keinen Andern nit.“

„Das ist aber doch übertrieben! Ich glaub’s wohl, daß Du den Jager so recht von Herzen gern gehabt hast … aber was nutzt es ihm, wenn Du Dich so hinunterkränkst wegen seiner? Er ist einmal todt.“

„Für mich nit, Lipp, er hat mein Herz mitgenommen und meine Hand! Wie er mir das Ringel da an den Finger gesteckt hat, hab’ ich’s ihm versprochen, daß ich nur ihn allein gern haben will mein Leben lang … er hat mein Wort mitgenommen unter die Erd’ … ich will’s ihm halten!“

„Du bist nit gescheidt! Das sind überspannte Sachen, die Du Dir selber einred’st … Das ist einmal nit anders in der Welt, als daß Eins dem Andern Platz machen muß! Und was wolltest denn lediger Weis anfangen in der Welt? Als ein alter Dienstbot’ herumfahren, wenn der Vetter einmal die Augen zumacht? Du könntest eine gemachte Frau sein, könntest es gut haben und glücklich sein.“

„Das ist Alles vorbei,“ unterbrach sie ihn rasch, „der Gotthard hat mein Glück mitgenommen und mein Herz und die Lieb’ dazu! Ich kann keinem Mannsbild mehr versprechen, daß ich ihn gern haben wollt’ … das ist nit mehr in mir … und lügen will ich nit am Altar, und will Keinen betrügen …“

„Einbildungen! Das giebt sich Alles mit der Zeit, wenn Du nur erst verheirathet bist!“

„Es ist unmöglich, Lipp – ich kann nit, es wär’ Dein und mein Unglück! Ich weiß wohl, Du verstehst mich nit, und der Vetter nit und Niemand nit! Es weiß ja kein Mensch außer mir, was das für eine Lieb’ gewesen ist zwischen dem Gotthard und mir – eine Lieb’ für die ganze Ewigkeit; so eine reine schöne gottgefällige Lieb’, wie von den Engeln im Himmel droben! Kein Mensch außer mir weiß, wie glücklich ich gewesen bin … selbigesmal am letzten Abend, wo er mir das Ringel gegeben hat und nur noch vierzehn Tag’ hin waren bis zu der Hochzeit … Drum weiß auch außer mir kein Mensch, was ich verloren hab’ … und was ich ausgestanden hab’, wie sie hereinkommen sind, Alle käsbleich … mit der Botschaft, der Gotthard hätt’ sich erstürzt … wie ich mich losgerissen hab’, weil sie mich haben halten wollen – wie ich hinaus bin und hab’ ihn liegen sehn vor mir … maustodt … in seinem Blut … zerschmettert … kaum mehr zum Erkennen …“

Von der Wucht der Erinnerung überwältigt, mußte sie innehalten, Thränen erstickten ihre Stimme.

„Ich glaub’s wohl,“ sagte Lipp nach einer beklommenen Pause, „daß es Dich hart getroffen hat … aber die Zeit ist das beste Pflaster … Es ist am besten, man vergißt, was doch nit mehr zu ändern ist …“

„Vergessen!“ rief das Mädchen mit wildem Hohne. „Als wenn man sich das nur so anschaffen und die Erinnerung wegwischen [4] könnt’, wie die Buchstaben auf der Tafel! … Ich hab’ Dir schon gesagt, Lipp, daß Du das nit verstehst!“

„Warum sollt’ ich’s nit verstehn? Meinst, ich wüßt’ gar nit, wie’s Einem um’s Herz ist bei der Lieb’?“

„Du?“ fragte Sabine und warf ihm einen Seitenblick zu, der ihm durch die Seele ging.

„Was fragst so besonders?“ rief er verwundert.

„Es ist nur …“sagte sie wie nach einigem Besinnen, „weil mir just eine Geschichte durch den Kopf geht – auch eine alte, eine vergessene Geschichte … von einem armen Weibsbild, das vor fünf Jahren in die Isar gesprungen ist, drüben in Walgau … Ein Flößer hat sie verführt gehabt und sich dann von ihr weggeleugnet … Willst wohl gehört haben von der Geschicht’? Hast ihn vielleicht selber gekannt, den schlechten Burschen, den Flößer?“

Lipp zuckte zusammen, biß die Zähne übereinander und erfaßte, daß es ungeachtet des immer tiefern Waldschattens sichtbar war. „Was weiß ich?“ sagte er barsch und doch unsicher. „Die Leut’ reden viel, wenn der Tag lang ist! Lassen wir die alten Geschichten ruhen, Du und ich – es ist Gras drüber gewachsen! Gieb dummer Einbildung nit nach – es könnt’ eine reuende Zeit kommen!“

„Niemals!“

„Ueberleg’ Dir’s doch! Ich hab’ mein’ ordentliches Sach’l bei einander – ich hab’s gut mit Dir im Sinn … Ueberleg’ Dir’s, Binl, und schlag’ ein!“

Er stand still und streckte die Hand aus; mit einer Gebehrde des Abscheus wies sie dieselbe zurück. „Ich hab’s schon gesagt!“ rief sie unwillig. „Ich nehm’ Dich nit und keinen Andern nit!“

„So, so …“ sagte er nach kurzem Schweigen. „Ich verstehe! Das heißt auf Deutsch … mich magst Du nit, Du hast was gegen mich … denn daß Du auch keinen Andern nehmen solltest … das ist ein Gered’! Das machst Du mir nit weiß! Es ist wohl schon öfter vorgekommen, daß sich Einer erstürzt oder daß ein Madel seinen Schatz verloren hat … deswegen aber ist die Welt nit ausgestorben, und noch eine Jede hat sich getröst’! . .. Wer kann für’s Unglück?“

„… Wenn’s aber mehr wär’, als ein Unglück?“

„Wie ist das gemeint?“

Die Beiden hatten nahezu die Höhe erreicht; der Wald ging zu Ende, und durch die letzten Bäume sah man die grüne Matte der Alm liegen und hörte das Glockenbimmeln der weidenden Rinder. „Wir wollen anhalten und ein wen’gel ausschnaufen,“ sagte das Mädchen. „Setz’ Dich dort auf den Marchstein hin … Ich will Dir Alles sagen, damit Du siehst, es ist mir Ernst … Es ist kein Unglück gewesen,“ setzte sie nach einer Weile leiser hinzu, „sondern ein Mord: der Gotthard ist nit hinuntergefallen über den Felsen … ein Anderer hat ihn hinuntergestürzt …“

Sie schwieg; auch der überraschte Zuhörer fand nicht gleich ein Wort der Erwiderung. „Aber woher weißt Du das?“ rief er dann verwundert. „Wer sollt’s gethan haben?“

„Der Gotthard,“ fuhr Sabine stockend fort, „hat sich das Kreuz gebrochen bei dem Sturz und das Genick … der Kopf ist fast unbeschädigt gewesen, und am Schlaf war ein kleines blutiges Mal … rundlich, fast nit größer als ein Groschen … ich hab’s dem Bader wohl gewiesen; er hat gesagt, das käm’ von einem zackigen Stein, an dem er sich aufgeschlagen hätt’ … Ich hab’s glauben müssen, aber es hat mir nit aus dem Sinn gewollt, als müßt’ das Wundmal von einem Schlagring sein, wie ihn die Burschen tragen … Es hat mir keine Ruh’ gelassen, und wie der Auswärts ’kommen ist und es ist aber (schneefrei) ’worden auf der Höh’ … wo er muß hinuntergestürzt sein, – da hab’ ich gesucht und gesucht … und hab’ im Gras, fast hart am Gewänd’, einen Schlagring gefunden … einen zerbrochenen…der Gotthard muß gerungen haben mit seinem Mörder … da muß ihm der einen Streich an den Schlaf gegeben haben … der Ring ist zersprungen von dem Streich … und der Gotthard ist damisch (betäubt) ’worden … und …“

Sie hielt inne, schluchzend und von einem wilden Schauder geschüttelt.

„Das ist verwunderlich,“ sagte Lipp; „aber wenn Du eine solche Vermuthung hast, warum hast Du’s nit lang schon angesagt am Landgericht?“

„Weil’s nichts nützen that … es wär’ ihnen nit genug, den Herrn, und wenn sie was thäten, das Ringel bringt den Mörder nit auf … unser Herrgott allein hat ihm zugeschaut in der unglückseligen Stund’, unser Herrgott allein kann ihn finden!“

„Was soll’s aber hernach mit dem ganzen Verdacht?“

„… Daß ich’s nit verwinden kann, daß er umgebracht worden sein soll … und der’s gethan hat und ihn auf dem Gewissen hat und mich dazu, der sollt’ herum geh’n unterm blauen Himmel und sollt’ frei ausgeh’n und nichts haben dafür? … Ich hab’ einmal gehört, ein Ermordeter hat keine Ruh’ im Grab’ und seine Seel’ kann nit fort von der Erden, bis der Mörder auch drunten liegt bei ihm … Mir ist immer, als wär’ der Gotthard um mich herum und thät mich mahnen, daß er nicht eingeh’n kann in die ewige Glückseligkeit … und ich mein’, ich müßt’ es noch erleben, daß ich ihm die Ruh verschaffen könnt’ … und drum will ich allein und ledig bleiben mein Leben lang …“

Der Bursche schwieg eine Weile wie überlegend; dann erhob er sich rasch. „Das ist mir zu rund!“ rief er. „Ich begreif’ nit, warum Du deswegen nit heirathen sollst … ein Mann könnt’ Dir doch helfen, wenn’s einmal wirklich auf was ankäm’ …

Also gerad’ heraus … Du willst wirklich nit heirathen, Binl?“

„Ich hab’s gelobt – weder Dich, noch einen Andern!“

„Und nochmal gerad’ heraus … ich glaub’s nit, Binl! Aber ich sag’ kein Wörtl mehr zu Dir … mit uns Zwei’ soll’s aus sein; aber merk’ Dir wohl, was ich sag … ich will Dir helfen, Deine Gelöbniß halten! Mich brauchst nit zu haben, Madel, aber daß Du auch keinen Andern nehmen sollst, dafür wird der Lipp sorgen – verlaß Dich darauf!“

Er schritt voraus die grasige Anhöhe hinan und der Hütte zu, um welche er einen Trupp Männer versammelt sah. Sabine folgte langsam und blieb, oben angekommen, steh’n, um einen Blick in die wundervolle Abendlandschaft zu werfen, die sich vor ihr aufthat. Im Westen, über die Möser und das Flachland hin, war die Sonne schon untergegangen; ein rothblauer Duft wogte wie Nebel auf der fernen Ebene. Näher heran, schwarz und schweigend stiegen die Bergrücken des Herzogenstands und der Jocheralm empor, den dunklen Walchensee umrahmend, der nur noch vom Wiederschein des Alpenglühens erglänzte, in das rückwärts der Karwendel die breite Felsenstirn emporstreckte. Die Röthe gemahnte das Mädchen wie Blut und das einbrechende Dunkel wie Grabestrauer: ihre Gedanken waren blutig und nächtlich.

[29] Auf der Alm herrschte übrigens keineswegs die feierliche Stille, welche sonst dort ihren liebsten Wohnplatz zu suchen pflegt. Die Männer standen an der Hütte in lautem, eifrigem Gespräch bei einander und beachteten die Sennerin kaum, als sie näher kam und in die Hütte trat. Es war eine bäurische und doch bunte Versammlung, denn die Männer waren des verschiedensten Alters und Standes und aus allen nahe liegenden Bergdörfern zusammengeströmt. Neben dem Posthalter, dem Revierförster und den Bauern von Walchensee standen die Besitzer der in einsamer Seebucht verborgenen Zwergerhöfe; der Fischer von Urfarn war herübergerudert und hatte die Bewohner der Häuser mitgebracht, welche am Sachenbach und am Anfang der Jachenau stehen. Alle waren bewaffnet, wie eben das Haus ihnen eine Wehre zu bieten vermocht hatte, und neben dem wohlgeschäfteten Scheiben- und Pirsch-Stutzen prangte auch manche alte Flinte, mancher noch ältere, verrostete Pallasch und manch anderes Mordgewehr bis zu Dreschflegel und Sense.

„Ich kann’s halt immer noch nicht recht glauben,“ sagte der Besitzer der Alm, „daß die Tiroler sich untersteh’n sollten, zu uns heraus zu brechen!“

„Warum doch!“ rief der Förster. „Haben sie’s doch auf andern Punkten schon gethan! Nicht sechs Wochen ist es, daß sie über Partenkirchen heraus sind bis nach Murnau und hätten den ganzen Markt angezündet und geplündert, wenn ihnen der Herr Pfarrer nicht mit Kreuz und Fahnen in Procession entgegen gegangen wär’ … sie haben eine Brandschatzung von dreißigtausend Gulden mitgenommen, das ist das Wenigste!“

„Ich mein’ halt, es ist am besten, man sorgt vor!“ rief der Eine von den Zwergerhofbesitzern. „Ich hab’ ein altes Evangeli’ daheim, da hat mein Urahnl auf die letzte Seit’ allerhand hineingeschrieben, was Merkwürdiges gescheh’n ist zu seiner Zeit. Da steht’s drinnen … Zu Kurfürst Max Emanuel’s Zeiten, es werden jetzt gerade so ein fünfzig Jahrl’n sein, da ist auch Krieg gewesen mit den Tirolern, und die sind auch zu uns heraus gestreift in ihrer übermüthigen Weis’. Die Walchenseeer aber haben in der Eng’ am Katzenkopf einen Verhau gemacht von Bäumen [30] und Trümmern und haben sich dahinter gestellt mit ihren Büchsen … da sind die Tiroler umgekehrt und ist kein einziger Schuß gefallen! Wir wollen’s auch so machen!“

„Bin nit dagegen,“ sagte Sabinens Vetter; „aber wundern thut’s mich doch! Hat’s doch geheißen, der Lefèvbre käm’ anmarschirt mit hunderttausend Mann, und die Tiroler wären geschlagen auf allen Seiten?“

„Und der Kaiser Franz hab’ das Tirol aufgegeben?“ fragte ein Anderer. „Und es soll doch bei Baiern bleiben?“

„Hab’s auch nit anders gehört,“ setzte ein Dritter hinzu.

„Und der Sandwirth, der in Innsbruck regiert hat wie ein König, soll flüchtig geworden und auf und davon gegangen sein?“

„Das ist Alles wahr,“ erklärte der Posthalter; „aber die Tiroler sind einmal verblendet und glauben’s nicht. Der Husarenwirth von Mittenwald hat mir Post heraus gethan; die Tiroler, die in der Scharnitz liegen, rühren sich und wollen einen Einfall zu uns machen. Er hat’s von einem Fuhrmann, den sie angehalten haben und der ihnen ausgekommen ist und ist bei der Nacht über die Grenze herüber …“

„Gut also!“ rief der Vetter wieder; „so wollen wir vorsorgen und auch einen Verhau machen. Kannst gleich auch mitgeh’n, Lipp, mit Deinem Beil!“

„Gewiß!“ erwiderte dieser, die Axt lüpfend, in rohem Ton; „sie rührt sich schon nach einem Tiroler-Schädel! Wir wollen’s ihnen machen, wie sie’s den Unsern gemacht haben … ich hab’ auch einen Bruder dabei unter denen Vierhundert, die sie am Iselberg mit den Büchsenkolben erschlagen haben, wie die wüthigen Hund’!“

„Und ich einen Buben!“ sagte der Sachenbacher grimmig.

„Es ist mein Jüngster gewesen und mein Liebster … er ist mit dem Burscheidt gewesen an der Pontlatzer-Brucken und liegt unter den Felsentrümmern begraben! Jetzt wollen wir Alten es ihnen heimzahlen und wollen ihnen zeigen, daß der baierische Bauer mit dem Stutzen gerad’ so gut umgeh’n kann, wie der Tiroler!“

„Es ist doch immer schade und ein’ Schande dazu!“ sagte der Posthalter, indem er mit den Männern den Weg waldabwärts einschlug. „Die Tiroler sind alleweil’ gute Nachbarn gewesen und sind deutsche Leut’, wie wir … ich wollt’, wir könnten einmal miteinander über die Franzosen her, anstatt daß sie uns immer übereinander bringen und hetzen!“

Die Männer gingen, und bald war es still auf der Almweide, nur von unten herauf aus weiter Entfernung dröhnten manchmal Beilhiebe und das Stürzen der Bäume, welche den Verhau bilden sollten.

Sabine stand noch eine Weile unter der Thür und sah in die Sternennacht empor, die sich kühl und klar aufgethan hatte über Bergen und Wald. Sie hatte das Vorgehende nur halb vernommen; dringendere, eigenste Sorgen lagen ihr am Herzen, und auch als sie in die Hütte zurücktrat und die Thür schloß, um das Küchen- und Milch-Geschirr am Heerde zu ordnen und zu reinigen, waren ihre Gedanken nicht bei ihrer Beschäftigung, sondern schweiften hinab in die Felsschlucht mit dem Taferl und schwebten um den Kranz an demselben und dessen räthselhaften Spender. Als sie fertig war, saß sie noch lange auf dem Heerdrande, die Hände in den Schooß gelegt, beim Scheine des erlöschenden Feuers, und selige Träume von vergangenem Liebesglück umschwebten ihre Seele.

Einmal horchte sie auf, denn es war ihr gewesen, als hätte sie Schritte nahen gehört; aber Alles blieb still, und sie versank wieder in ihre Träumerei.

So erschrak sie wirklich, als mit einmal vor der Thür eine Stimme laut wurde – eine Stimme, die ihr so bekannt war, daß sie davor erbebte, und über die sie sich nicht täuschen konnte!

Und doch – dem diese Stimme gehörte, lag ja lange zerschmettert im Grab und konnte nicht wiederkommen … Sie glaubte, geträumt zu haben … es mochte die Macht ihrer Einbildung sein, was ihr die Erinnerung als Wirklichkeit erscheinen ließ.

Da klopfte es fest an das kleine klirrende Fenster, und die Stimme rief so deutlich, daß kein Zweifel, keine Täuschung mehr möglich war: „Sennerin, mach’ auf …“

Halb ohnmächtig, die eine Hand auf den Heerd stützend, die andere an das hochschlagende Herz gepreßt, stand Sabine… „Alle guten Geister …“ stammelte sie mit stockendem Athem. „Wer ist draußen?“

„Einer, der den Weg verloren hat,“ klang es herein, „der nicht mehr weiter kann vor Hunger und Müdigkeit … Sennerin, mach’ auf …“

Das war deutlich Gotthard’s Stimme … konnte es eine solche Aehnlichkeit geben? Wie oft hatte sie auf diesen Ton gelauscht … wie oft hatte er ihr diese Worte scherzend zugerufen, wenn ihn der Weg Nachts aus dem Walde noch heimführte und er sich die Mühe nicht reuen ließ, ihr mindestens durch’s Fenster einen Nachtgruß zu bringen! … „Es ist schon spät,“ brachte sie endlich mühsam hervor … „ich mach’ nit mehr auf …“

„So gieb mir eine Schüssel Milch und ein Stück Brod durch’s Fenster heraus,“ rief es entgegen. „Ich will Dir’s zahlen … aber ich kann nit mehr fort vor Ermattung …“

„Wer ist’s denn nachher?“ fragte sie gefaßter und ermutigter. „Wo kommst’ her?“

„Ein Teppichhändler bin ich,“ war die Antwort, „aus dem Innthal … Ich komm’ von Walgau und hab’ einen kürzern Weg über die Berge gehen wollen und bin irr gegangen …“

Furcht und Neugier kämpften in dem Mädchen; die Furcht, noch so spät und allein einen unbekannten Menschen einzulassen, die Neugier, denjenigen von Angesicht zu sehen, dessen Stimme so sehr jener des todten Geliebten glich. Sie war noch unentschlossen, was sie thun wollte, als ihre Hand schon an den Thürriegel rührte und ihn zurückzog. Dann trat sie an den Heerd und störte die Gluth, daß sie aufflackerte.

In der Thür stand ein großer, schön gewachsener Bursche in Tirolertracht von kühnem Aussehen und einem entschlossenen Wesen, das zu dem friedlichen Handel mit Teppichen gar nicht zu passen schien, von denen er einige über den Arm hängen hatte und einen größern Pack in Riemen über den Schultern trug.

„Grüß’ Dich Gott, Sennerin,“ sagte er, „es ist woltern brav von Dir und fein, daß Du mich noch hereinlass’st – brauchst Dich aber nit zu fürchten vor mir!“

„Ich fürcht’ mich auch kein Brösel,“ erwiderte Sabine kurz, stellte Milchschüssel und Brodlaib vom Gesims auf den Heerdrand und schob das Geldstück zurück, das der Bursche dafür hinlegte.

„Steck’s ein,“ sagte sie, „wirst es etwan schon noch brauchen können – ’s ist nit der Brauch da heroben, daß man ’was nimmt von Einem, der hungrig ist …“

„Dann sag’ ich halt, ’gelt’s Gott tausendmal …“

„Gesegn’s Gott auch so viel …“

Damit war das Gespräch zu Ende; der Fremde aß, doch nicht mit jenem Eifer, der nach seinem angeblichen Hunger zu erwarten gewesen wäre: er fand immerhin Zeit, über die Schüssel weg seiner Wirthin in’s Gesicht zu blicken. Bei ihr war es die Neugierde, weshalb sie öfter auch nach ihm sah – sie mußte doch wissen, wie ein Mensch aussah, der dieselbe Stimme hatte wie Gotthard. Vieles erinnerte sie auch in der Erscheinung des Fremden an ihn: es waren zwar ganz andere Züge, und doch lag etwas in seiner Haltung und seinem ganzen Wesen, wodurch sie sich unerklärlich angezogen fühlte. Sie wandte die Augen ab oder schlug sie zu Boden, wenn sie dem forschenden Blicke desselben begegnete. Dies Anstarren war ihr zuwider und verletzend, und doch regte sich ein Zug des Wohlwollens in ihr, wegen dessen sie sich grollte und den sie nicht mehr für möglich gehalten hatte in ihrem Leben.

Sie mußte sich aufraffen und dem Ding ein Ende machen.

„Was gaffst’ mich so in einem fort an?“ sagte sie unwillig. „Hast noch nie eine Sennerin gesehn?“

„Eine solche, wie Du bist, noch nie!“ entgegnete der Fremde unbefangen und geradezu. „Du gefällst mir so viel gut – daß ich’s gar nit sagen kann. Hast schon einmal von den saligen Fräulein gehört?“

„Niemals,“ erwiderte sie mit beklommener Verwunderung.

„Das sind Weiß-Alben,“ fuhr er fort, „gute Geister, die bei mir daheim in Tirol auf den höchsten Bergen oben in den Felsen drin hausen – stille, fromme Geschöpf’, freundlich und schön wie der Mondschein. Es ist wunderselten, daß Einer sie singen hört, oder gar, daß Einer sie sitzen sieht vor ihrer Höhl’ und schaut ihr zu von fern, wie sie an einer goldenen Spindel spinnt … Wenn sie aber einen Menschen finden, der’s werth ist und der ihnen gefallt, den führen sie in den Berg hinein in ihr unterirdisches Reich, und wer einmal da drinn’ gewesen ist, der kann’s nimmer erleiden auf der Welt und kränkt sich hinunter, bis ihm die Sehnsucht das Herz abstoßt …“

[31] „Das sind Fabeln,“ sagte sie und wandte sich ab.

„Freilich wohl – wie ich aber jetzt so dasitz’ vor Dir, ist mir, als wär’ es doch wahr und als hätt’ mich ein saliges Fräulein hereingeführt in sein Reich.“

Ein schwaches Roth überflog die bleiche Wange des Mädchens. Geräusch von außen entriß sie der Verlegenheit und ersparte ihr die Antwort. Auch der Fremde vernahm das Geräusch und sprang auf, aber nicht mit der Haltung eines erschrockenen Händlers, sondern mit der eines Mannes, der sich zu vertheidigen entschlossen ist. „Ich hör’ Fußtritt’,“ sagte er mit eigenthümlicher Betonung. „Gilt’s Dir, Sennerin? Ist das Dein Schatz, der an’s Fenster kommen will …?“

„Ich hab’ keinen Schatz,“ rief sie unwillig und mit tiefer Gluth übergossen, „die Bauern werden’s sein, die drunten einen Verhack machen … Die rebellischen Tiroler sind uns angesagt worden … Mach’, daß Du fortkommst!“

Er zögerte. „Warum?“ sagt er. „Ich fürcht’ sie nit, Alle miteinander …“

„Fort, sag’ ich, fort!“ rief sie wieder, ängstlich durch’s Fenster spähend. „Ich will nit, daß sie Dich bei mir antreffen, und Du als Tiroler hast auch nit Ursach’, daß Du auf sie wartest … Geh’, sag’ ich … Dieweil sie vorn herein kommen, kannst Du hinten durch den Stall hinausschlupfen! … Aber halt’ Dich rechts … gegen die große Buchen zu … links geht’s hinunter über die lange Wand …“

Der Fremde schrak zusammen. „Sorg’ Dich nit um mich, Sennerin,“ sagte er, „ich kenn’ mich wohl aus … bin nit ganz zum allerersten Mal in der Gegend … Aber meinetwegen, ich geh’, weil Du’s so haben willst … aber wenn’s nit heut’ Nacht noch zu End’ ist mit mir, so komm’ ich wieder …“

Er schlüpfte hinaus. Beinahe gleichzeitig erschien Lipp mit einigen von den bewaffneten Bauern in der Hüttenthür. Er blieb stehen und sah spähend in allen Winkeln umher. „Bist allein, Sennerin?“ sagte er mit lauerndem Hohn.

„Du siehst es wohl,“ antwortete sie barsch. „Hast noch keine Sennhütten gesehen, weil Du so herumsuchst?“

„Wie man sich doch irren kann!“ fuhr er wie zuvor fort. „Ich hätt’ darauf schwören mögen, ich hätt’ reden hören in der Hütten …“

„Ich werd’ wohl mit mir selber gered’t haben,“ entgegnete sie trotzig und ebenfalls nicht ohne Spott. „Aber was willst Du mit den Männern noch heroben bei mir?“

„Wir machen eine Streif’,“ antwortete Lipp, „der Hiesenfranz ist Posten gestanden an der Obernach hinauf und hat gesagt, er hat ein Mannsbild daherkommen sehn, und wie er ihn angerufen hat, ist er umgeschlagen wie ein Fuchs und hinauf in den Wald … Den suchen wir und haben nur fragen wollen, ob Niemand zu Dir ’kommen ist …“

„Schaut selber,“ sagte sie, „aber macht, daß Ihr weiterkomm t…’s ist Zeit, ich will schlafen gehn …“

Zögernd und unwillig trat Lipp aus der Thüre, die sogleich hinter ihm geschlossen wurde. Auch das Licht erlosch unmittelbar: das Mädchen, von einer Fluth neuer, gewaltiger, unklarer Gefühle bestürmt, verlangte Dunkel und Einsamkeit – angekleidet warf sie sich auf’s Lager, barg das glühende Gesicht in dem Heukissen und weinte bitterlich.




2.

Der Flüchtling hatte sich, als er aus der Hütte getreten war, auf den Boden in’s Gras niedergeduckt und war unhörbar und unsichtbar bis an den Waldrand vorgekrochen, wo Haselstauden und Schlehengebüsch ein finsteres Dickicht bildeten und ihn verbargen. Keiner der Streifer hatte ihn bemerkt; die Bauern waren voll Eifer, aber zu ungeübt in solchen Dingen; den Wald und alle Waldwege hielten sie so genau bewacht, daß kein lebendiges Geschöpf unentdeckt durchzuschlüpfen vermocht hätte – daß man auch durch’s Gras gleiten könne, wie eine Natter, dachten sie nicht.

In dem Gebüsche blieb der Teppichhändler liegen und wartete athemlos, bis die Männer alle sich gesammelt hatten, die Sennhütte wieder verließen und abzogen. Wenige Schritte von ihm tappten sie sich in den ziemlich steil absinkenden Waldpfad hinein, er konnte beinahe die Gesichter unterscheiden, er hörte und verstand jedes Wort, das sie sprachen – sie dagegen konnten sein Blätterversteck nicht durchdringen, denn es war ziemlich dunkel, und dichte Wolkenmassen, von einer hochgehenden Windströmung gejagt, zogen an der schwachen Sichel des abnehmenden Mondes vorüber.

Bald war Alles verschwunden und nichts mehr zu hören, als das Rauschen der Büsche am Waldrande, welche der Windstrich noch erreichte, da erhob sich der Tiroler und blickte vorsichtig über die Almblöße und nach der Sennhütte hinüber. Dann huschte er längs des Gebüschsaumes der großen Buche zu, welche nach rechts hin die mächtige Krone schwarz in die Nacht emporhob. Unter dem beinahe völlig finstern Laubgewölbe angelangt, hielt er wieder an, blickte nochmal nach der Hütte zurück und starrte einige Augenblicke nach der gegenüberliegenden Seite hin, wo die Linie des Berges sich scharf vom grauschwarzen Nachthimmel abhob – es war die Stelle, von wo die lange Wand in die Tiefe stürzte. Er nahm den Hut ab, hielt ihn zwischen den gefalteten Händen vor die Brust und murmelte unverständliche Worte in sich hinein. Dann schien er sich aufzuraffen und trat unter dem Baume vor, aber wieder nur, um neuerdings sich besinnend stille zu stehn. Er dachte noch ein Versteck aufzufinden, wo er die Nacht unentdeckt zubringen konnte, denn es schien ihm nicht rathsam, seinen Weg weiter zu nehmen, da die Bauern der Gegend einmal beunruhigt waren und leicht durch irgend einen Anlaß dazu gebracht werden konnten, ihre Streiferei nochmal zu beginnen. Bei Tag konnte er jeden Feind eher gewahr werden und durfte dann hoffen, unangefochten die Mündung des Jachenauerthals zu erreichen und von dort über den Kesselberg in die Ebene zu gelangen, zumal wenn er sich nicht an die bewohnte Seite des Sees hielt, sondern ihn an dem einsamen rechten Gestade, wo keine menschlichen Ansiedelungen waren, im weiten Bogen umging. In dem Sinnen und Umherspähen fiel ihm nach rückwärts ein kleiner weißgrauer Fleck in’s Auge, der sich mit verschwimmenden Umrissen aus dem umgebenden Walddunkel erhob. „Das muß die alte Lienhardi-Capellen sein,“ sagte er vor sich hin, „da hab’ ich schon manche Nachtstund’ verpaßt, bis die Jäger daheim gewesen und auf den Ohren gelegen sind – die Thür’ laßt sich aufheben mit einem tüchtigen Ruck … ich will hin … von dort ist auch nicht weit nach der Alm herüber … denn so kann ich nicht fort, das spür’ ich wohl, einmal muß ich noch herkommen, muß die Hütte wiedersehen, und …“

Das Weitere verhallte im Nachtwind, und der Wald nahm den Flüchtling in seinen schützenden Schooß.

Die streifenden Bauern waren unterdessen längst bei dem Verhau angelangt, hinter welchem die Mehrzahl verschanzt lag und Wache hielt. An einer besonders schmalen Stelle des Thalsträßchens, wo die Felsen zu beiden Seiten enger herantreten, waren einige der größten Fichtenbäume niedergehauen und lagen mit dem Gewirr ihrer Aeste quer über den Weg; der Platz war passend und mit unverkennbarem kriegerischem Geschick gewählt, vermuthlich lebte es in der Ueberlieferung fort, daß er schon öfter zu ähnlichem Zweck mit Erfolg verwendet worden war. Einige saßen und lehnten halbschlafend auf der grünen Brustwehr, während die meisten um ein weiter rückwärts angezündetes Wachtfeuer saßen, dessen Schein das Vordach einer alten, verlassenen Köhlerhütte beleuchtete. Nach vorn zu, das Sträßchen entlang, waren auf hervorragenden Stellen Schildwachen ausgestellt, um Alles, was etwa des Weges kam, zu melden und anzuhalten. Der Revierförster, ein alter, ausgedienter Soldat, der mit den bairischen Reichstruppen den siebenjährigen Krieg mitgemacht, hatte die alte Kenntniß hervorgesucht und mit Geschick angewendet.

[33] Lipp hatte eben seinen Bericht über die Erfolglosigkeit des Zuges beendet, aber weislich den Gedanken für sich behalten, wie sonderbar ihm Sabinens Benehmen erschienen war und welche Vermuthungen sich ihm dabei aufgedrängt hatten. Er fürchtete die Spottlust der Bauern, wenn sie ihm nicht geglaubt und in seinen Reden nur die Regungen argwöhnischer Eifersucht gesehen hätten, er wollte seine Beobachtung für sich behalten, um vielleicht damit eine Waffe zu haben gegen des Mädchens thörichten Eigensinn. „Der Hiesenfranz,“ rief lachend einer der Bauern, „hat falsch geseh’n! Wer weiß was er für einen Tiroler angeschaut hat!“

„Etwa einen alten Baumstock!“ lachte ein Anderer.

Der Bursche, der die Meldung gemacht und dadurch den vergeblichen Streifzug veranlaßt hatte, stand am Feuer und drehte ärgerlich seine Büchse in der Hand. „Wenn Du unterwegs gewesen wärst, Kohlentoni,“ sagte er gereizt, „dann hätt’s wohl sein können, daß ich einen Stock für einen Menschen angeschaut hätt’.“

Lautes Gelächter begleitete die derbe Abfertigung. „Ich weiß es besser,“ sagte dann der Förster, „wenn man ungewohnter Weise bei Nacht im Walde ist, kommt Einem Manches ganz ungewohnt vor … Es ist ein Hirsch gewesen, was der Hiesenfranz gesehn hat, und das Geweih’ kann ihn irrgeführt haben in dem Zwielicht …“

„Sagt, was Ihr wollt,“ sagte der beleidigte Bursche und warf seinen Stutzen auf die Schulter. „Ich bleibe dabei, es war ein Mensch – ich bin nit so blind, daß ich einen Hirsch auf vierzig Schritt für ein Mannsbild und sein Geweih für einen Tirolerhut halten sollt’! Ich hab’ ihn so deutlich gesehn, wie ich Euch vor mir seh’, und hab’ den Pack unterscheiden können, den er auf der Achsel gehabt hat …“ Damit ging er und wandte sich seitwärts in den Wald.

„Einen Pack?“ sagte ein Bauer. „Am End’ ist es Niemand gewesen, als ein unschuldiger Teppich- oder Handschuhhändler, wie sie oft herauskommen aus dem Tirol!“

„Ist eine schlechte Zeit jetzt zu solcher Handelschaft!“ sagte der Förster. „Verdächtig bleibt es immerhin. Wenn es wirklich ein Teppichhändler war, was hätt’ er sich zu fürchten und zu verstecken gebraucht? Drum ist es wohl möglich, daß er den Handel nur zum Schein treibt …“

„Und daß er sich einschleichen und spioniren will!“

„Es kann auch ein Flüchtling sein,“ entgegnete der Förster. „Der Förster von Walgau hat mir sagen lassen, der Marschall Lefèvbre habe alle Tiroler Anführer für vogelfrei erklärt. Die meisten seien fort, und auch der Commandant der Unterinnthaler, welche die Scharnitz besetzt halten, habe sich aus dem Staub’ gemacht. Das ist Einer von den Allerwildesten – darum ist auch ein Extrapreis auf den Kopf des Vomper-Hans gesetzt!“

„Vomper-Hans?“ sagte der Sachenbacher, bedächtig den Kopf schüttelnd. „Ich weiß nit, warum mir der Nam’ so bekannt vorkommt!“

„Das ist leicht möglich! Er hat einmal in hiesiger Gegend gedient – als Fuhrknecht beim Wirth im Krinn. Er ist oft durchgekommen mit seinem Frachtwagen … ein großer, schöner Bursch’, verwegen wie der Teufel und ein Wildschütz erster Classe. Drum hat mich’s der Walgauer Förster wissen lassen, denn wenn der Rebeller zu uns herüber ist und sich auf’s Wildschießen verlegt, könnt’ er sich lang in den Bergen verstecken und die Revier’ sauber zurichten!“

„Und wie lang’ ist das her?“

„Daß der Vomper-Hans im Bairischen gedient hat? Das mag etwas über drei Jahre sein … es war um dieselbe Zeit, zu welcher mein Jagdgehülfe, der Gotthard Recht, sich erstürzt hat über die lange Wand, wenn Ihr Euch noch daran erinnert.“

„Als wenn’s gestern gewesen wär’! Der arme Mensch! Es ist recht schad’ gewesen um den braven Burschen. Man hat’s nie so recht erfahren, wie er eigentlich zu Grund’ gegangen ist!“

„Was ist da viel zu erfahren! Auf den Jäger lauert der Tod bei jedem Schritt … er muß sich eben, Gott weiß warum, zu weit hinausgewagt haben an die Wand und hat den Schwindel bekommen, oder es ist ein Stein’l losgegangen und hat ihn mit hinunter genommen …“

Lipp, auf einem Stumpf im Schatten sitzend, hatte aufmerksam zugehört. „Ich weiß nit,“ sagte er, anscheinend ganz gleichgültig, „mir ist, als wenn ich es geträumt hätt’ … hat es denn nit geheißen, der Jagdgehülf’ sei nit verunglückt, sondern umgebracht und hinuntergestürzt worden?“

„Ganz unmöglich wäre es nicht,“ sagte der Förster nach einigem Besinnen. „Ein Jäger kommt oft mit einem Wildschützen auf gar sonderbare und ernsthafte Art zusammen … aber es hat sich gar keine Spur, nicht das mindeste Anzeichen gefunden für einen solchen Verdacht, und wenn heut’ noch etwas aufkäme, würde es nicht mehr viel fruchten … der wackere Bursch’ liegt im Grab und ist vergessen!“

[34] „Doch nicht so ganz,“ sagte der Sachenbacher. „So oft ich hereinkomm’ und von Weitem an dem Martel vorbeikomm’, hängt ein Kranzel dran …“

„Ja, ja,“ erwiderte der Förster, „das Binl ist ein wackeres, kreuzbraves Mädel, das seinen Schatz nicht so leicht vergißt, wie manche Andere – die bleibt ihm auch noch im Grabe treu. Die Kränze kommen von ihr …“

„Nit allemal, Herr,“ sagte hinzutretend ein Bursche, der auf dem Verhau geschlafen und erst den letzten Theil des Gesprächs mit angehört hatte. „Ich bin heut’ früh mit einer Fuhr’ Bäume hinein auf die Schneidemühl’ … es ist mir zuerst gar nit besonders aufgefallen, aber weil jetzt die Red’ davon ist, kommt’s mir hinterher absonderlich vor … da hab’ ich meine Pferd’ ausschnaufen lassen über der Anhöh’, wo’s hineingeht in die Klamm an der langen Wand – da ist mir ein Tiroler begegnet …“

„Was? Ein Tiroler?“ riefen[WS 1] Alle durcheinander. „Und das sagst Du jetzt erst?“

„Wann hätt’ ich’s denn sagen sollen?“ fragte der Bursche verwundert. „Ist ja noch keine Stund’, daß ich zurück bin und ausgespannt hab’ …!“

„Wie sah der Mensch aus?“ fragte der Förster.

„Nun, wie halt ein Tiroler ausschaut! Ein großer, starker Bursch’ mit einem sakrischen Schnurrbart und auf den Achseln hat er einen Pack Teppich’ getragen – er wird wohl handeln damit!“

„Wirklich?“ rief der Förster. „Also hat der Hiesenfranz doch recht gesehn! Ein Teppichhändler! Und das war schon in der Früh’?“

„Zu Morgens – um ein Zehne herum.“

„Und Abends war er noch hier! Also schleicht er offenbar herum und ist entweder ein Spion oder ein Flüchtling! Aber geschwind – erzähle weiter – was war’s mit dem Tiroler?“

„… Er hat mich gegrüßt und ist rasch an mir vorbeigegangen; ich hab’ ihm so nachgeschaut und hab’ gesehn, daß er in die Klamm hinein ist. Was hat nur der Tiroler in der Klamm zu thun? hab’ ich mir ’denkt, solltest ihm doch Wunders halber nachgehn und schaun, was er macht … Meine Ross sind gestanden wie die Lampeln – also bin ich ihm die paar Büchsenschuß nach und da hab’ ich gesehn, er hat sich vor dem Marterl an der Wand hingekniet und hat eine Weil’ gebet’t – dann ist er zu dem Strauchwerk hin, hat was abgerissen und hat ein Kranzel daraus gemacht – das hat er dann über das Gemäl’ gehängt …“

Alle horchten mit gespannter Aufmerksamkeit, besonders Lipp. „Weiter, weiter!“ drängte der Förster.

„Ich bin in meiner Verwunderung noch dagestanden, wie er wieder heraus ist aus der Klamm,“ fuhr der Bursche fort. „Er ist verhofft, wie er mich erblickt hat, und es ist mir vor’kommen, als wenn’s ihm nit recht wär’ und wann er Handel wollt’ anfangen mit mir. Er hat sich aber besonnen, hat „Gelobt sei Jesus Christus“ gesagt und ist an mir vorbei. „In Ewigkeit,“ hab’ ich geantwortet … und „hast den Jager wohl ’kennt, weil Du ihm gar ein Kranzel bringst?“ … Da hat er mich fuchsteufelswild und doch wieder so gewiß traurig angeschaut … „Ja,“ hat er gesagt – „ich hab’ damals gedient in der Gegend – ich hab’ an den Margarethentag zu denken, so lang’ ich leb’ …“ Damit ist er fort, und ich bin meiner Weg’ gefahren …“

„Höchst merkwürdig und auffallend in der That!“ rief der Förster. „Es ist kein Zweifel mehr, daß hier ein verdächtiger Zusammenhang besteht: gewiß aber ist, daß wir unsern Teppichhändler haben und daß es Niemand anders ist, als der Wildschütz und Rebellencommandant, der Vomper-Hans! Wir müssen unsere Wachsamkeit verdoppeln und eine neue Streife aussenden – er darf uns nicht entgehn!“

Beistimmend und berathend traten die Bauern zusammen. „Und ich mein’,“ murmelte Lipp, bei Seite tretend, vor sich hin, „ich weiß jetzt auch, wer den Jäger hinuntergestürzt hat über die lange Wand … Das kann ich brauchen bei dem starrsinnigen Mädel! Wenn sie ihre Rach’ auslassen kann an dem Mörder, wird sie ruhiger werden … wird ihn vergessen, und dann will ich sie schon erinnern, wer ihr dazu verholfen hat …“

Er wollte unbeachtet fort und den Waldweg zur Alm einschlagen, das Rufen des Hiesenfranz, der athemlos herangelaufen kam, veranlaßte ihn, noch einen Augenblick zu verweilen. „Jetzt sagt noch einmal, daß ich nit recht gesehn hab’!“ keuchte der Bursche. „Ich hab’ ihn wieder aufgegangen – ich weiß, wo er steckt!“

„Wer? Der Tiroler? Der Teppichhändler?“ rief Alles durcheinander.

„Ja … wie ich vorhin weg bin in meinem Aerger,“ fuhr der Hiesenfranz fort, „da hab’ ich mir gedacht, ich wollt’ es Euch zeigen, daß ich meine Augen nicht umsonst im Kopf stecken hab’… ich hab’ gewiß gewußt, daß er da sein muß, ich hab’ ihn ja gar zu bestimmt gesehn – gefunden haben wir ihn nit – also muß er versteckt sein! Aber wo kann das sein? Ich hab’ hin und her studirt – hab’ alle Plätz’ und Winkel durchgemustert, da ist mir die alte Feldkapellen eingefallen! Wie der Wind bin ich hinübergestrichen und bin am Fenster hinaufgeklettert … es war hell genug, daß ich es hab’ sehen können … ein Mannsbild ist der Läng’ nach auf dem Betstuhl gelegen … es muß der Tiroler sein …“

Allgemeiner Beifall wurde dem aufmerksamen Wächter, und die zuvor am meisten gelacht hatten, wetteiferten nun in Lobeserhebungen. Eine neue, noch genauere Streife wurde verabredet und auch sogleich in’s Werk gesetzt; alle möglichen Richtungen und Wege wurden bedacht und mit einer Kette von Streifern versehen. Wie bei einem Treibjagen sollte von allen Seiten an die Kapelle vorgedrungen und der Bogen gegen die Almhütte und die lange Wand hin abgeschlossen werden, über welche hinab es kein Entrinnen gab. Lipp, seine besondere Bekanntschaft mit der Oertlichkeit vorschützend, wußte es so einzuleiten, daß er an die Spitze der linken Flanke kam und also jedenfalls vor allen Andern an der Sennhütte ankommen mußte. Die Büchsen wurden geladen und untersucht; dann zerstreute sich der Zug nach allen Seiten.

Mitternacht war vorüber.

Sabine war indessen, ermüdet vom Sinnen und Weinen, eingeschlafen, um in unruhigem Schlummer durch Träume gequält zu werden, die noch ängstlicher waren, als die Ereignisse des Wachens. Sie glaubte, Gotthard zu hören, der Einlaß verlangte … dann war es wieder nicht er, sondern der Fremde mit der trügerischen Stimme, und wie sie zu öffnen zauderte, war es doch Gotthard’s blutige Gestalt, die durch die verschlossene Thüre schwebte, vor sie hintrat und sie mit drohenden Blicken ansah. Dazwischen kam es ihr wieder vor, als sähen die Nachbarn alle durch die Stube und nickten und lachten ihr zu und riefen: „Gieb dir keine Müh’, es zu verbergen, wir wissen es doch, daß du dein Gelöbniß gebrochen hast,“ und Lipp verzog das höhnische Gesicht und schrie über Alle hinaus, daß er ihr helfen wolle, es zu halten …

In Schweiß gebadet, fuhr sie empor und glaubte noch zu träumen, als sie um sich blickte. Das Fenster der Hütte ging nach Osten, wo ein bleicher Streifen am Himmel verrieth, daß die Nacht sich zum Abzuge rüste. In der Kammer war es düster und unheimlich, und noch unheimlicher tönte von außen der Schall einiger rasch nacheinander fallenden Schüsse herein. „Heilige Mutter,“ rief sie aufspringend, „was bedeutet das? Sind die Bauern noch unterwegs? Sollten sie ihn etwa gar aufgefunden haben?“

Hastig riß sie das Fenster aus und horchte hinaus, es war wieder still geworden; nichts war zu sehen – um ihr brennendes Gesicht strich die Morgenluft frisch und scharf, wie sie den Reifnächten vorausgeht. Die Kühle war ihr Erquickung.

Plötzlich stieß sie einen leichten Schrei aus … durch das Dämmergrau eilte ein Mann auf die Hütte zu …

Es war der flüchtige Tiroler.

Im nächsten Augenblick hatte sie, ohne selbst zu wissen, wie, die Thür geöffnet, und der Fremde stand vor ihr, ohne seinen Pack, ohne Hut, athemlos und abgehetzt, den rechten Hemdärmel mit Blut bedeckt.

„Ich bin’s, Sennerin,“ sagte er zu der sprachlos ihn Anstarrenden, „… ich muß schon wieder bitten, daß Du mich einlaß’st …“

„Aber was ist’s denn mit Dir?“ fragte sie beklommen. „Hat denn das Schießen Dir gegolten? Haben’s Dich wohl gar getroffen?“ Sie gab sich alle Mühe, unbefangen und ruhig zu erscheinen – aber die Hast, mit welcher sie die Worte herausstieß, verrieth nur zu deutlich die Aufregung und Sorge, der sie entsprangen.

„Die Bauern haben mich verfolgt und auf mich geschossen,“ antwortete der Tiroler, indem er wie erschöpft sich am Heerde niederließ, während sie in ängstlicher Schnelligkeit die Thür schloß [35] und verriegelte. „Sie werden mich wohl für den Unrechten gehalten haben …“

„Aber warum bist nit fort, am Abend, wie Du’s im Sinn gehabt hast? Da wärst Du jetzt schon weit, und die Bauern könnten Dir nichts mehr anhaben …“

Der Mann sah einen Augenblick scheu zu Boden. „Es hat mich nit fortgelassen,“ sagte er dann düster, „es war, als wenn mich was unsichtbar festhalten that … und dann, glaubst, ich hatt’ so leicht fortgekönnt, Sennerin, nachdem ich Dich einmal gesehn hab’? Ich hab’ gedacht, ich wollt’ den Tag abwarten und dann nochmal zu Dir heraufkommen …“

„Du blutest ja noch!“ sagte die Sennerin ausweichend, „laß Dich doch verbinden … ich hab’ die Blutwurzel zur Hand, die das Blut stillt …“

Der Mann streifte den Aermel über den kräftigen Arm hinauf; oberhalb des Ellbogens hatte die Kugel gestreift und scharf gefleischt, die Wunde war nicht gefährlich, aber schmerzhaft. Die Sennerin wusch das Blut weg, legte ein Stück der heilenden Wurzel darauf und schlang ein Tuch um den Arm. Sie war eine zu starke Natur, um Scheu vor Wunden zu haben; dennoch zitterte ihre Hand, als sie die Binde anzog.

„Du bist wohl eingericht’t,“ sagte der Bursche zutraulich, „und hast eine gar sanfte Hand – man spürt Dich kaum …“

„Auf der Alm ist man allein,“ erwiderte sie und legte die Blutwurzel wieder auf das Sims, „da kann Einem allerhand zustoßen – da muß man sich vorsehn und muß sich zu helfen wissen …“

„Es ist nit das allein,“ sagte der Bursche und ließ die männlichen Augen so fest auf ihrem Antlitz ruhen, daß sie sich erröthend noch weiter abwandte. „Du hast so eine eigene Weis’, wie Du Alles machst … so ganz anders, wie andere Madeln … ich kann die Augen schier nimmer loskriegen von Dir … und mein Herz … du lieber Gott, das kann eh’ nimmer fort von Dir!“

Sabine erröthete noch tiefer. Sie war unwillig über diese Reden, und doch mischte sich eine verzeihende Regung in den Groll – konnte der Fremde denn wissen, wie sie gesinnt und entschlossen war? „Laß das Gered’ gut sein,“ sagte sie. „Sag’ mir lieber, wer Du bist – wenn die Bauern Dich verfolgen, kann’s leicht sein, daß sie Dich auch in meiner Hütten suchen …“

„Das glaub’ ich auch. Aber ich glaub’ auch, daß Du mich verbergen, daß Du mich nit verrathen wirst! Deswegen bin ich getrost auf Deine Hütten zu …“

„Also hast Dich doch zu scheuen vor den Leuten und bist kein bloßer Teppichhändler, wie Du Dich ausgiebst? … Wer bist also – wenn ich Dir helfen soll, muß ich vor Allem wissen, wem ich hilf’ … Sie haben Dich also nit für den Unrechten gehalten?“

Der Fremde sah sie noch einmal lange an, als wollte er ihre Züge erforschen, ob sie im Stande sein könne, sein Vertrauen zu täuschen. „Nein,“ sagte er dann fest, „ich bin schon der, den sie suchen …“

„Und wer bist nachher?“

„Ein armer, elendiger Mensch,“ rief der Mann schmerzlich aus, „der kein’ Heimath mehr hat, keinen befreundeten Menschen, kein Vaterland … und nit einmal ein Fleck, auf dem er ruhig sterben könnt’ … ich bin der Vomper-Hans, wenn Du etwa von mir gehört hast, einer von den Bauerncommandanten aus dem Tirol .. . bin vogelfrei und muß flüchten …“

„Ein Rebeller also – ich hab’ mir’s gedacht!“ sagte das Mädchen sichtlich erleichtert. „Wie ist es nur möglich – unser König Max ist der beste Herr von der Welt, wie habt Ihr Euch so gegen das Bairisch-Werden spreizen und ihm so einen großen Verdruß machen können?“

Der Bursche machte eine unwillige Bewegung. „Das verstehst Du nit, Madel,“ rief er rasch, dann aber fuhr er, wie sich besinnend, etwas milder fort: „Und dennoch – warum solltest Du’s nit verstehn? Du am allerersten, Du hast das Herz in Allem auf dem rechten Fleck: Wir Tiroler haben unsern Kaiser nit weniger gern, als Ihr Euren guten König … wenn jetzt die Franzosen kämen und wollten Euch zwingen und sagen, Ihr sollt nit mehr Eurem guten König gehören, sondern einem andern, der Euch wildfremd ist … was würden Deine Landsleute, was thatst Du selber dazu sagen?“

Das Mädchen sah sinnend zu Boden.

„Ich brauch’ das auch gar nit fragen,“ fuhr er fort, „Deine Landsleut’ haben es ja schon einmal bewiesen, es ist ja schon einmal so gewesen bei Euch! Vor hundert Jahren hat unser Kaiser Baiern besetzt und hat den Kurfürsten Max Emanuel vertrieben. Was habt Ihr gethan selbiges Mal? Aufgestanden ist das ganze Land und hat sich todtschlagen lassen für seinen Landesherrn – ich weiß es noch gar wohl, wie mein Ahnl erzählt hat, was er alles gehört hat von der großen Sendlinger Bauernschlacht … Sollten wir Tiroler weniger thun für unsern Kaiser?“

„Ich kann nit nein sagen,“ flüsterte das Mädchen, und sah noch immer vor sich nieder.

„Und ich hab’s doch über’s Herz gebracht,“ begann Hans wieder, „und bin ruhig daheim geblieben, wie Alles schon den Stutzen auf dem Buckel gehabt hat! Ich hab’ nur ein kleines Gütl gehabt, ein gering’s – ich hab’ woltern viel arbeiten müssen, damit es so viel ertragen hat, daß es genug war für meine arme alte Mutter und für mich. Das alte Weibl hat keinen Menschen gehabt, als wie mich, und so hab’ ich’s verschoben von einem Tag aus den andern und hab’ immer gedacht, den andern Morgen wollt’ ich’s machen wie meine Cameraden alle und auch gegen die Baiern ausziehn und die Franzosen. Da kam der Wrede wüthig auf die Stadt Schwaz losmarschirt und ließ sie an allen vier Ecken anzünden, zur Rache für Alles, was die Tiroler den Baiern angethan … Das Dorf Vomp, wo ich daheim bin, ist nicht weit davon entfernt und ich hab’ mich hinausgeschlichen auf Kundschaft … Auf einmal hab’ ich auch hinter mir Schießen und Schreien gehört, und wie ich zurückgelaufen bin …“

Der Erzähler hielt inne, die Erinnerung des Erlebten hatte ihn zu sehr erschüttert und benahm ihm die Stimme. Mit ängstlich erwartenden Frageblicken sah ihn das Mädchen an.

„Wie ich zurückgekommen bin,“ fuhr er dann langsamer fort, „habe ich nit mehr hineingekonnt in’s Dorf. Die Baiern haben es umstellt gehabt in einem weiten Kreis und haben angezündet überall, und die türkische Musik hat müssen dazu aufspielen … Ich hab’ das Gepolter von den Trommeln und das Pfeifen noch in den Ohren – und dazu das Klingen von den Glocken, die auf dem brennenden Kirchthurm von selber zu läuten angefangen haben, und das Schreien und Heulen von denen, die im Dorfe waren und all ihr Hab und Gut verbrennen sahen und nit herauskonnten, weil die Baiern Alles niederschossen, was entfliehen wollte .. . und dabeistehn und ruhig zuschauen müssen und nit helfen können … es hätt’ Einem die Haar’ grau machen können in einer Viertelstund’ …“

Sabine schauderte und barg das Gesicht in den Händen.

„Ich hab’s zuletzt nit mehr ausgehalten,“ begann er wieder, „ich hab’ wissen müssen, wie’s mit der Mutter steht, und hab’ mich hineingestürzt zwischen die brennenden Häuser … ich war schon ganz nah’ an dem unsrigen … da seh’ ich die Mutter vor mir, wie sie in dem Grasgarten fortgetappt ist, unter den Obstbäumen, die schon zu brennen anfingen und von denen die Funken niedertropften … sie war nit mehr weit von dem Zaun, und außer demselben standen die Baiern und lachten und schrieen durcheinander … Ich schrie auch … ich schrie der Mutter zu, sie solle anhalten, ich lief ihr nach … sie immer vor mir her … da krachte es über den Zaun herein … mit einem schwachen Schrei drehte es die alte Frau zusammen, und wie ich zu ihr hinkam, war sie todt … sie hat nit mehr viel Leben zuzusetzen gehabt … die arme, arme, gute Frau … Ich bin bei ihr liegen geblieben bis in die Früh … Da sind die Baiern abgezogen gewesen … ich hab’ zugeschaut, wie mein gutes Mutterl ist eingegraben worden mit den andern Todten, die sie herbeigetragen haben von allen Seiten … dann bin ich noch ’mal auf den Platz, wo unser niedergebrennt’s Haus gestanden ist, und hab’ mir eine Hand voll Aschen mitgenommen von dem Platz – und bin auch zu den Landesvertheidigern … Es ist wahr, ich bin einer von den Wildesten gewesen, und wenn sie einen Preis ausgesetzt haben auf meinen Kopf, so wissen sie wenigstens, warum sie es gethan haben …“

Eine ernste, langdauernde Stille trat ein. „Und jetzt?“ fragte die Sennerin so leise, als fürchtete sie, dieselbe zu unterbrechen. „Was ist es jetzt mit Dir?“

„Jetzt … jetzt ist mein Herzleid vollständig! Jetzt hat uns der Kaiser aufgegeben – er giebt seine eigene Tochter an unsern Erbfeind, an Napoleon … wir haben uns umsonst aufgeopfert … der Sandwirth ist fort, der Speckbacher von Rinn, der Peter [36] Aschbacher, der Pater Haspinger auch … da hab’ ich auch den Boden unter die Füß’ nehmen müssen …“

„Aber warum gerade da heraus?“ fragte Sabine beklommen.

„Warum gerade den allergefährlichsten Weg?“

„Die Franzosen sind uns in den Rücken gekommen … von Zirl und Seefeld her … es gab keinen andern Ausweg. Es ist mir auch einerlei, wenn sie mich erwischen – ich wollt’, die Kugel vorhin wär’ um ein paar Zoll seitwärts gegangen … da wär’ Alles schon überstanden …“

„Das ist nit recht, das ist nit christlich gered’t!“ erwiderte das Mädchen mit zitternder Stimme und einer Thräne im Auge, die sie vergebens zu verbergen strebte. „Man muß Gott danken für jede Viertelstund’ und sie benutzen … vielleicht will er Dir Zeit lassen, gut zu machen, was Du auf dem Gewissen hast …“

„Vielleicht!“ sagte Hans verdüstert. „Wer weiß aber, ob ich das kann, und wenn ich noch so lang’ leb? Aber möglich ist es ja doch, nit wahr? Es ist möglich, daß mich das Leben noch einmal wieder freuen kann? Daß mir noch etwas Gutes aufgehoben ist … Wenn es nit so wär’, hätt’ ich sonst den Weg gefunden zu Dir herauf auf Deine Alm? Ist mir nit schon das ganze Herz verkehrt, seit ich Dich gesehn hab’?“

„Ich hab’ Dir schon gesagt, daß Du solche Reden lassen sollst,“ rief Sabine finster und mit sichtlich strengem Tone. „Sie helfen Dir nichts und verfangen nimmer bei mir … ich hab’s gelobt, daß ich will ledig bleiben …“

„Ledig bleiben?“ sagte Hans und sah das Mädchen durchdringend an. „Hast also wohl auch schon Deinen Theil auszustehn gehabt in der Welt … wie solltest sonst zu der Verlobniß gekommen sein … Und darf ich’s nit wissen, was Dir begegnet ist …?“

Sabine nickte traurig und schickte sich zu erzählen an – augenblicklich jedoch sprang sie auf, das Wort erstarb ihr auf den Lippen, und mit ängstlicher Gebehrde den einen Finger an den Mund legend, deutete sie nach dem Fenster hin. Auch der Tiroler sprang auf.

Es war draußen heller geworden – man sah in der Ferne am Rande des Waldes und Bergabhangs verschiedene zerstreute Männergestalten. Sie riefen einander zu, sie bückten sich nach dem Boden nieder, es war unverkennbar, daß sie eine im Grase aufgefundene Spur verfolgten.

„Sie sind’s,“ flüsterte Sabine mit stockendem Athem, „sie deuten auf die Hütte her – sie werden Dich hier suchen … geschwind hinunter in den Keller …“

Sie hatte rasch die Fallthüre aufgerissen, daß die Kellerstufen sichtbar wurden. Der Tiroler war ihr nicht gefolgt, sondern stand noch immer spähend und wie unschlüssig am Fenster. „In den Keller?“ sagte er. „Verstecken soll ich mich?“

„Aber was willst Du sonst?“ rief Sabine und bemühte sich nicht mehr, ihre unverkennbare Angst zu verbergen. „Wenn sie Dich finden …“

„Dann liefern sie mich an die Franzosen aus … sieben Kugeln, die machen ein geschwindes End’ – mir ist’s recht, denn meine letzte Freud’ ist auch dahin …“

„Aber sie sollen Dich nicht finden!“ rief sie eifrig. „Ich will nit, daß sie Dich bei mir finden … Der Gedanke thät mich noch elender machen, als ich schon bin …“

„So thät’s Dir leid um mich?“ fragte Hans, der, von ganz andern Gefühlen bewältigt, aller Gefahr zu vergessen schien.

„Thät’s Dir leid, wenn sie mich finden und niederschießen?“

„Sie sollen nicht!“ rief sie immer angstvoller. „Fort in den Keller … sie sind schon in der Näh’ …“

„Antwort’ mir erst auf meine Frag’ …“ sagte Hans und wagte es, ihre Hand zu fassen. „Ich geh’ nit vom Fleck, eh’ Du mir Antwort giebst … vor Deinen Augen sollen sie mich fangen und binden und niederschießen … Sag’ mir, thät’ es Dir leid, wenn sie mich finden … wenn ich zu Grund geh’n muß … bist Du mir gut?“

„… Ja …“ stammelte und zwängte sie aus der widerstrebenden Kehle.

„Jetzt geh’ ich!“ rief er jubelnd und drückte ihre Hand noch fester. „Jetzt will ich in den Keller … jetzt kann mich das Leben wieder freuen, und so lang ich mich rühren kann, soll Keiner sagen, daß er den Vomper-Hans gefangen hat …“

Er verschwand in den Keller, und die Fallthüre klappte zu über ihm.

Sabine war in grenzenloser Verwirrung mitten in der Hütte stehen geblieben; ihr Athem flog, ihre Wangen glühten – sie wußte kaum, was geschehen, und noch minder, wie es gekommen war. Das Blut drängte ihr an die Schläfe und stürzte zum Herzen, als wollte es fragen, ob ein solches Geständniß möglich, ob sie es gewesen, die ein solches Wort ausgesprochen. Sie hielt die Hände an die Stirn gepreßt, die es ihr fast zu sprengen drohte, über der Antwort, die sie auf diese Frage geben mußte. Die Sinne vergingen ihr fast, denn sie vermochte nicht mehr, vor sich selber zu leugnen, daß der Fremde Eindruck auf ihr Herz gemacht, in welchem nach ihrem Gelübde nur das Bild des Todten wohnen sollte.

In diesem Zustande überraschte sie Lipp, der den Uebrigen weit vorangeeilt war, getrieben von der Begierde, seinen Verdacht auszusprechen und das Verdienst der Entdeckung auszubeuten.

Sie schien ihn nicht kommen zu hören; die Hände in den Schooß gelegt und vor sich hinstarrend, saß sie auf dem Kellergemäuer, um den Zugang zur Thüre zu decken und zu verwahren. Verwundert stand er vor ihr, als sie auf sein wiederholtes Rufen und Pochen die Hütte geöffnet hatte und dann gleich wieder an ihren Sitz zurückgekehrt war. Er beobachtete sie schweigend und scharf; war ihr Benehmen ihm schon Abends befremdlich vorgekommen, so war es jetzt noch auffallender. Es war nicht zu verkennen, daß mit dem Mädchen eine große Veränderung vorgegangen sein mußte. Das war nicht mehr dasselbe kalte, strenge Mädchen, das alle Gedanken an Liebe und Ehe so verachtend von sich wies, sie glich eher einer glücklichen Braut, die in glühender Verwirrung des geliebten Bräutigams wartet. Sie war nur noch schöner in diesem Zustande der Erregung, und in den Augen des Burschen stieg das Verlangen nach ihrem Besitze nur noch feuriger empor. Aber es galt vor Allem, die Ursache dieser Umwandlung zu erforschen. Wie wenn sie ein neues, geheimes Liebesverhältniß zu verbergen hätte? Wenn sie Abends, als sie ihn fortgewiesen, doch nicht allein gewesen? Wenn der gegen ihn gebrauchte Vorwand einem Andern gegenüber seine Kraft verloren hätte? Aber wer konnte der Glückliche sein? Wäre es Einer aus der Gegend, so hätte es nicht verborgen bleiben können, und ein Fremder …

Er hielt in seinen Gedanken inne; ein Blitz zuckte in ihm auf, und ein grinsendes Lächeln des bittersten Hohnes umzog seinen Mund.

Jetzt fuhr auch Sabine aus ihrem Brüten empor; sie schien die Nähe der Streifer ganz vergessen zu haben und fuhr erschreckend zusammen, wie Jemand plötzlich aus dem Schlafe auffährt.

„Nun, Du erschrickst ja völlig, Binl?“ sagte er spöttisch. „Hast wohl nit einmal das Schießen gehört?“

„Ich hab’ geschlafen,“ entgegnete sie unsicher, „aber das Schießen hab’ ich wohl gehört … Was giebt’s denn? Wem hat’s denn gegolten?“

„Einem Hauptspitzbuben,“ sagte er, Sabinen unvermerkt betrachtend, um die Bestätigung seines Argwohns in ihren Mienen zu lesen, „einem von den Tiroler-Rebellen, der sich zu uns heraus geflüchtet hat …“

Das Gespräch mit Lipp gab dem Mädchen allmählich seine Fassung wieder. „Wenn er schon flüchtig ist,“ sagte sie kalt, „so hättet Ihr ihn sollen laufen lassen … was kann er Euch thun?“

„Nichts – wir wollen aber verhindern, daß er uns was thut! Daß er uns ausspionirt und dann seine Cameraden herführt, daß sie uns das Vieh wegtreiben und die Häuser anzünden! Es ist schon hinuntergeschickt nach Kochel zu, wo die französischen Vorposten stehen, damit sie kommen und ihn holen …“

„Wenn Ihr ihn habt – nicht wahr?“

„Wir werden ihn bald haben … wir haben ihn von allen Seiten eingegangen wie in ein Jagdnetz … er kann nur auf der Alm – oder gar da in Deiner Hütten sein …“

„Und Ihr wollt ihn wirklich ausliefern?“

„Gewiß …“

„Und Ihr wißt, was ihm geschieht, wenn ihn die Franzosen erwischen …“

„Er wird wohl erschossen werden …“

„Und Du hilfst mit bei so was? Einer, der sich einmal eingebildet hat, die Binl könnt’ ihn mögen, giebt sich zum Schergenknecht für die Franzosen her? Geh … wenn Du Dich Deiner Lebtag noch nie geschämt hast, so geh jetzt und mach daß Du’s lernst!“

[62] Bei den Vorwürfen, die das Mädchen dem Lipp machte, erröthete er und kaute an seinem Bart. „Stell’ Dich an, wie Du willst, Binl," sagte er, „und wenn Du Dich noch so krautig machst, ich weiß doch, was dahinter steckt. Du stellst Dich nur so an, damit man’s nicht merken soll! Aber ich seh’ Dir’s doch an es ist Dir nichts Neu’s, was ich Dir gesagt hab’ … Du kennst den Burschen und weißt, wo er steckt!"

„Und wenn’s so wär?" sagte sie, stolz vor ihn hintretend. „Wenn Du so gut lesen kannst in meinem Gesicht, dann steht’s gewiß auch drinn’ geschrieben, daß dafür gesorgt ist, daß Du ihn nit findest!"

„Das glaub’ ich kaum! Fort kann er nit sein … wir haben ihn eingekreist! Wenn er also nit hinunter ist über die lange Wand … so muß er in Deiner Hütten versteckt sein!"

„Probir’s halt, ob Du ihn find’st!"

„Das ist just nit schwer … Du sitzest nit umsonst wie angenagelt da vor der Kellerthür! … Und was ist denn da am Boden? Ein Blutstropfen! – Richtig – unser Wild ist angeschossen und hat geschweißt … die Fährt’ geht bis daher, willst Du es leugnen, daß der Fuchs im Keller sitzt?"

„Ich sag’ nichts, als was ich Dir heut schon einmal gesagt hab!" rief sie zornig. „Mach, daß Du Deine Weg’ weiter kommst … in meiner Hütten hat mir Niemand was einzureden – da bin ich Herr! … Geh!"

Lipp zuckte die Achseln und wich nicht von der Stelle. „Wenn ich auch gehn wollte," sagte er, „was thät’s nützen? Die Andern gingen doch nicht, die sind nicht so weichherzig … Und was meinst Du, wenn der Vetter mitkommt, ob der nit glaubt, er wär der eigentliche Herr in der Hütten?"

Als sie schwieg, trat er zutraulich näher. „Schau, Binl, ich mein’s gut mit Dir," sagte er einschmeichelnd, „sag mir’s, ob er da ist – sag’s, eh die Andern kommen, ich will Dir helfen … es ist schön von Dir, wenn Du den armen Menschen retten willst … es ist mir völlig schwer auf’s Herz gefallen, was Du vorhin gesagt hast vom Schergenknecht …"

„Wenn ich Dir glauben dürft’ …" sagte Sabine unsicher und sah ihn mit den großen, flammenden Augen zweifelnd und fragend an.

„Du darfst mir glauben," sagte er noch treuherziger, aber mit lauerndem Blick, der nach der Blöße des Gegners späht, um den Dolch in die schutzlose Stelle zu bohren. „Mir thut der Rebeller auch leid … und wenn sie ihn noch erschießen thäten, das wär’ das Wenigste – das wär’ ein leichter und ein geschwinder Tod, aber mich schaudert, wenn ich daran denk, was ihm Anderes bevorstehen kann!"

„Und was?" flüsterte sie ängstlich überrascht. „Was wär’ das?"

„… Es ist herausgekommen," erwiderte er eben so leise, aber mit Nachdruck … „er ist nicht blos ein Rebeller gewesen … er hat auch einen Mord begangen …"

„Einen Mord!" rief Sabine und sprang entsetzt auf.

„Still, nit so laut!" beschwichtigte er. „Nicht jetzt … schon vor Jahren ist das geschehn! … Mich wundert, daß Du’s nit errathst, und hast mir doch erst gestern selber erzählt von Deinem Verdacht …"

„Heilige Mutter …" schrie sie auf, stürzte auf Lipp zu, faßte seine Hand und sah ihm starr in die Augen. „Das ist nit wahr, Lipp! Sag nein … das kann ja nit wahr sein!"

„Gewiß ist’s freilich nit — aber es wird doch kaum anders [63] sein … Es ist der Vomper-Hans und hat zur selbigen Zeit beim Wirth in Krinn gedient …“

„Ja, ja – das ist wahr …“ stammelte sie und ließ ihn nicht los, als wollte sie jede Sylbe vorher von Mund und Auge des Erzählers lesen. „Er ist in der Gegend bekannt, das trifft zu …“

„Es trifft wohl noch mehr zu … er ist ein verwegener Wildschütz gewesen, der wohl mit dem Jäger zusammengetroffen sein kann!“

„Ja, ja,“ sagte sie finster, „war er darum so traurig, als ich ihm sagte, er solle gut machen, was er auf der Seel’ habe …“

„Das schlechte Gewissen wird ihn wohl traurig machen. – Aber es kommt noch mehr … Der Müllerknecht hat ihn angetroffen heut früh, wie er einen Kranz an das Marterl gehängt hat …“

„Einen Kranz? Also von ihm?“ keuchte das Mädchen mit immer wilder sprühenden Augen. „Ich hab’ ihn gesehen, den Kranz …“

„Er ist niedergekniet an dem Marterl und hat gebet’t …“

„… Und wenn es sein letzter Stoßseufzer wär’, er betet nit weg, was er gethan hat!“

„Warum sollt’ er das gethan haben, wenn ihn nit das Gewissen dazu treibt? Bei Dir thut’s die Lieb’ … bei ihm das Gewissen …“

Bine hatte sich wieder gesetzt, sie rang die Hände und fuhr sich in das Haar. „Es ist schrecklich,“ murmelte sie … „o, es ist mehr als schrecklich …“

Lipp trat näher. „Er hat’s sogar eingestanden, so halb und halb,“ flüsterte er, „wie ihn der Knecht gefragt hat, hat er geseufzt und hat gesagt … an den Margarethentag hab’ ich zu denken, mein Leben lang! … Kann da noch ein Zweifel sein?“

„Keiner – keiner!“

„… So sag’, wo er ist, eh’ die Andern kommen … wenn Du ihm forthelfen willst, so sag’s .. . wir thun’s miteinander …“

„Forthelfen!“ rief Sabine in fessellos ausbrechendem Grimm.

„Ich hab’ mich nach dem Augenblick gesehnt, wie eine arme Seel’ im Fegfeuer nach einem Tropfen Wasser … ich hab’ ihn mir erbet’t und soll ihn jetzt aus meiner Hand lassen? Nein, der arme Gotthard soll einmal Ruh haben im Grab – seinem Mörder soll gescheh’n, was ihm gehört … Heb’ die Fallthür’ auf, Lipp – dort im Keller ist er versteckt!“

Erschüttert von dem Kampf ihrer Seele taumelte sie gegen den Heerd, während Lipp die Fallthüre aufriß. Im selben Augenblick erschienen die übrigen Streifer an der Thür der Hütte. „Wir haben ihn,“ rief Lipp ihnen jubelnd entgegen – „nur herein, Cameraden, und bandelt ihn …“

Die Hütte füllte sich mit bewaffneten Bauern; auf den obern Kellerstufen stand der Vomper-Hans.

„Gieb Dich, Tiroler,“ rief ihm Lipp zu, „widersetz Dich nit … Du siehst, daß wir Dir überlegen sind!“

„Das müßten wir erst sehen,“ war die kaltblütige Antwort, „wenn ich’s darauf ankommen lassen wollt … aber ich will mich nit wehren, es ist mir recht so ..., nur Eins möcht’ ich wissen, sagt’s mir nur das Einzige, wie Ihr mich gefunden habt?“

„Die Sennerin dort hat Dich verrathen!“ rief Lipp, während Einige hinzuträten; und dem Gefangenen, der es ruhig geschehen ließ, die Hände auf dem Rücken zusammenschnürten.

Er machte einen Schritt gegen die Thür, blieb aber vor dem Mädchen stehen und sah sie mit einem Blicke an, in dem Wuth, Liebe und Verachtung sich mischten. „Du hast gesagt, Du willst ledig bleiben,“ sagte er, „thu’s, Sennerin – thu’s ja! Mach’ Keinen mehr unglücklich – Du grundschlechte Seel’!“

Mit flammenden Augen sprang Sabine auf und hielt den sich Abwendenden zurück. „So willst Du mit mir reden?“ stammelte sie. „Kannst Du sagen, daß Dir Unrecht geschieht?“

„Ich hab’ für meinen Kaiser gefochten und für’s Land Tirol,“ erwiderte er fest, „ob mich die Franzosenkugeln am Iselberg getroffen hätten oder ob sie mich jetzt treffen – das ist Eins!“

„Nein!“ rief das Mädchen wie außer sich, „eine ehrliche Soldatenkugel ist zu gut für Dich … Du gehörst auf’s Blutgerüst und Dein Kopf dem Scharfrichter! Denk’ an die lange Wand und an den Margarethentag – Du Mörder!“

Hans zuckte schmerzvoll zusammen und senkte den Kopf – er fand kein Wort der Erwiderung.

„Du kannst nit Nein sagen,“ fuhr Sabine fort, … „der Jäger ist mein Schatz gewesen und mein Bräutigam … Du hast mir mein ganzes Glück zernicht’t, hast mir das Brautkranzl aus den Haaren gerissen und hast gemeint, Du machst es gut, wenn Du ein’s an das Marterl hängst! Mach mit unserm Herrgott aus, was noch kommt – wir zwei sind fertig mit einander … und ich bin’s und bin stolz darauf, daß ich Dich verrathen hab’!“

In finsterem Schweigen folgte Hans den ihn umringenden Bewaffneten; triumphirend blickte Sabine ihnen nach … über den Bergrand der langen Wand blitzte in ruhiger Größe der erste Sonnenstrahl empor.




3.

Schon lange waren die Bauern mit ihrem Gefangenen im Waldsaume verschwunden, und nur von ferne tönte manchmal noch ein Juhschrei, durch welchen der Eine oder der Andere seine Freude über den glücklichen Erfolg des Unternehmens ausdrückte und zugleich den unten harrenden Genossen das Gelingen anzeigte.

Obwohl längst nichts mehr zu sehen war, stand Sabine doch noch unter der Thüre der Almhütte und blickte nach der Stelle, wo die Streifer sich entfernt hatten, in den klaren Morgen hinaus.

Es war, als habe sie sich nicht satt gesehen an dem Anblick des Gefangenen, als wolle sich ihr Gemüth noch länger an der Gewißheit weiden, daß der so lang und heiß ersehnte Augenblick der Vergeltung für den Verhaßten gekommen war, der das theuerste Leben und mit ihm das Glück ihres eigenen Lebens vernichtet hatte. Hoch aufgerichtet stand sie da, und aus den entschlossen blickenden Augen strahlte eine stolze, kühne Freude, hell und entschieden, wie die Sonne immer höher und leuchtender in das klare Blau emporstieg. Sie schien in ihrem sieghaften Glänze des Gewölkes zu spotten, das über Nacht der Mond von Berg, See und Moor gesogen und emporgehoben hatte, und woraus nun am östlichen Himmel ein dichter, düsterer Streifen wie eine undurchdringliche Wand aufgebaut stand, als wenn es gälte, das emporschwebende Gestirn des Tages in seinem Laufe anzuhalten.

Zum ersten Male in den vielen Jahren, in welchen Sabine die Alm bezogen hatte, vergaß sie darauf, das Vieh, das in den kalten Nächten schon in den Ställen sich einfand, am Morgen auszulassen; in ihrer Aufregung, in dem Widerstreit ihrer Gedanken überhörte sie, wie die Thiere blökend nach der frischen Weide verlangten, mit den Ketten klirrten und die Halsglocken schwenkten, daß es bimmelte und dröhnte.

Trotz Stolz, Genugthuung und Freude lag ein Etwas in ihrer Seele, dunkel wie der Wolkenstreifen über der steigenden Sonne.

Der wachsende Lärmen schreckte sie endlich auf und der Zuruf des Geiß-Buben, der mit seinen Ziegen schon ausgezogen war und von dem Felsen, um welchen seine Schützlinge kletternd weideten, herunterjuchzte, mit der einen Hand das alte zerlumpte Hütel, mit der andern die Peitsche schwingend, daß Knall auf Knall sich folgte. Sie trat in den Stall und löste den Kühen die Ketten vom Futterbarren, sie stieß die Stallthüre auf und ließ die Thiere sich hinausdrängen, aber sie dachte nicht daran, wie sie sonst niemals unterließ, sie mit allerlei Schmeichelnamen zu begrüßen, und auch ihr Liebling, eine schöne Falbenkuh, drängte sich vergeblich an sie, um, wie sie gewohnt war, von der Sennerin getätschelt und zwischen dem zierlich gewundenen Gehörne gekraut zu werden.

Als sie in sich gekehrt vom Stalle weg um die Hütte ging und an der Vorderseite auf den sogenannten Gräd ankam, blieb sie überrascht stehen – die Sonne hatte die Wolkenwand erreicht, und da sie dieselbe nur unvollständig zu durchdringen vermochte, brachen sich die schräg ausfallenden Strahlen zu einem eigenthümlichen Roth, das wie der Widerschein einer fernen ungeheuren Feuersgluth den ganzen Himmel und die Berghöhen überfluthete.

Es war etwas Unheimliches in dieser Beleuchtung, und dem Mädchen kam es wieder vor, als wäre das Roth von Blut, als wären ihre eigenen Gedanken vor sie herausgetreten und wirklich geworden, denn sie hatte im Geiste immer Gotthard’s blutbedeckte Leiche vor sich und sah, wie das Blut seines Mörders, von dem rächenden Schwerte vergossen, auf ihn niederströmte. Wie oft hatte sie solche Vorstellungen und Bilder in sich hervorgerufen und festgehalten, sie waren ihr nicht neu – und dennoch waren sie anders geworden, und vor ihrem Erscheinen rieselte es ihr wie kalter Schauder über den Leib.

[64] Sie eilte in die Hütte, um sich durch die gewohnte Arbeit zu zerstreuen, aber sie erkannte bald, daß das nicht der geeignete Ort für dies Vorhaben war, denn Alles erinnerte hier an ihn und an das Geschehene. Dort vor der Fallthür zum Keller war der Entsetzliche gestanden … sie sah ihn vor sich, sie fühlte, wie sein durchbohrender Blick voll der unsäglichsten Verachtung auf ihr lag … sie hörte ihn mit Gotthard's Stimme die vernichtenden Worte sprechen „Du grundschlechte Seel’!“ … Aber sie hatte ihm dafür vergolten! Sie hatte ihn bis in’s Tiefste getroffen! Mit dem einzigen Worte „Mörder“ hatte sie seinen Hochmuth geknickt, seine Verachtung entwaffnet … wie gebrochen, wie so ganz nach außen und innen vernichtet war er dahingegangen — dem baldigen sichern Tode entgegen! Gotthard und sie selbst war an ihm gerächt … und doch, wenn sie ihn in Gedanken so dahinschreiten sah, dem Tode zu, nicht mit dem wilden Trotze des Verbrechens, sondern mit einer Erschütterung, die fast aussah, wie die tiefste Reue — dann wich die Strenge, und ein Strahl von Mitleiden dämmerte auf in der Nacht ihres Gemüths.

Hastig raffte sie sich dann auf und fuhr mit der Hand über die Stirne, als wären diese Gedanken etwas Aeußeres, das sich wegnehmen und lüften ließe, wie ein drückendes Band. „Wie kommt mir so was in den Sinn!“ murmelte sie vorwurfsvoll vor sich hin. „Geschieht ihm denn nicht recht? Und wenn sie ihm das Härteste anthun, ist es mehr, als er verdient hat? Nein — und wenn ich es nochmal zu thun hätte — ich würde mich keinen Augenblick besinnen und es wieder ebenso machen! Ich glaube, ich könnte zusehn, wie sie ihm den Kopf …“

Sie vollendete den Gedanken nicht – denn im Augenblick sah sie diesen Kopf vor sich, so männlich kühn und doch so gutmüthig, daß seine Schuld wie eine Unbegreiflichkeit erschien; sie empfand diese braunen, tiefdringenden Augen auf sich gerichtet, wie damals, als er neben ihr, am Hüttenfenster stehend, ihre Hand gefaßt hatte … und immer wieder tönte ihr die leise trauliche Frage in’s Ohr: … „Thät’ es Dir leid? … Bist Du mir gut?“ … Und jene Hand, die so vertraulich in der ihrigen gelegen, hatte Gotthard über den Felsen gestürzt — was hatte sie auf diese Fragen geantwortet und wem? Und wenn diese Fragen noch einmal an sie gerichtet würden … und sie wollte wahr sein gegen sich selbst, was konnte sie noch jetzt darauf antworten? War nicht etwas in ihr, was trotz alles Geschehenen sich nicht beschwichtigen ließ und dem Manne zu Gunsten sprach, den sie haßte und verfolgte als Mörder und Verbrecher?

Die Hütte ward ihr zu eng: sie füllte sich immer mehr mit sie umdrängenden Gestalten und Bildern der letzten und früherer Vergangenheit, die sie wegängstigten und vertrieben. Sie mußte fort und sie wußte, wohin sie sollte … sie konnte nicht zweifeln über den Ort, an welchem dieses wilde Gewirr von Empfindungen sich lösen und aller Zwiespalt in Ruhe verhallen mußte.

Vor die Hütte tretend, wandte sie sich gegen eine höhere grüne Berghalde zu, von welcher, eingerahmt von Wald und Gebirg, eine andere Sennhütte heruntersah, und stieß eine Art Juhschrei aus: es war das Zeichen, das die Sennerinnen sich zurufen, wenn sie der Hülfe der Nachbarinnen bedürfen. Es währte nicht lange, so ging oben die Thüre der Almhütte auf, die Sennerin trat heraus, schaute umher und erwiderte den Ruf. Als Sabine geantwortet, sah man, wie die Sennerin oben die Hütte schloß und eilig die Berghalde herunterkam. Es dauerte nicht lange, so kam sie an Sabinens Alm heran und hörte gläubig und theilnehmend deren Bericht, wie sie von einem besonderen Wehthun befallen worden sei, daß sie es nicht mehr auszuhalten vermöge und unten im Dorf Hülfe suchen müsse. Das war auch in anderem Sinne nicht unwahr und mochte der Sennerin, einer ältlichen, gutmüthigen Person, um so glaublicher sein, wenn sie das verstörte Wesen der Nachbarin sah und wie die „Hitz’ und die Kält’“ in ihrem Gesicht wechselten und der Athem ihr vom Munde ging, „so brennend heiß, zum Anzünden“.

Sie versprach, bis zu ihrer Wiederkehr oder Ablösung Hütte und Heerde wie die eigene zu besorgen, und Sabine flog bald durch den morgenduftenden Bergwald dahin. Es war vergebens, daß im thaufrischen Gebüsch die Amsel sang, daß die tropfenden Tannenzweige sich perlschimmernd im leichten Morgenwind wiegten und die Sonne goldgrün durch die hellen Buchenkronen brach — die Sennerin schritt heute hastig und tiefsinnend vorüber, ihr Auge war blind für die Schönheit, ihr Herz unempfindlich für den Frieden um sie her. Als sie in die kühle Schlucht am Fuße der langen Wand ankam und gegen das Marterl einbog, hielt sie erst den eilenden Schritt etwas an und athmete auf, als wolle sie die zwischen den Felsen herrschende Kühle wie eine Erfrischung in sich schlürfen.

Vor dem Täfelchen mit dem Doppelkranze angelangt, brach sie wie erschöpft in die Kniee, schlug beide Hände vor das Gesicht und ließ ihren Thränen freien Lauf, die nun erst sich die Bahn zu brechen vermochten und erleichternd von Herz und Auge strömten. Sie fand bald Stimmung und Worte zum Gebet, und so inbrünstig, wie vielleicht noch nie, flossen die frommen Sprüche und Segenswünsche für die Ruhe des Todten von ihren Lippen. Wenn etwas Wahres war an der Sage, daß der Gemordete unruhig an die Erde gebannt sei und in die Freuden des Himmels erst dann eingehen dürfe, wenn der Mörder durch das eigene Blut das fremde gesühnt habe, so stand ja bald nichts mehr im Wege, die arme Seele durfte bald zum ewigen Frieden eingehen und zum Leuchten des ewigen Lichts, denn die Sühne seines Blutes war nahe.

In der Innigkeit ihres Flehens falteten sich die Finger in einander, und die Hände sanken vor dem Antlitz der Betenden herab, die Augen hoben sich empor zu dem Morgenhimmel, der über dem Felsenspalt blaute, und blieben dann an dem Martertäfelchen haften. Im Augenblick brach Sabine das Gebet ab und sprang empor, wie erschrocken über einen unvermutheten fürchterlichen Anblick; dann ergriff sie den Kranz aus Tannenreisig, riß ihn von dem Bilde und schleuderte ihn weithin in’s Gestein, wie man etwas von sich wirft, was man vor Abscheu kaum zu berühren wagt. Es dünkte ihr wie eine frevelhafte Entheiligung, wie ein neues Verbrechen, daß der Mörder es gewagt, den Schauplatz seiner entsetzlichen That wieder zu betreten und gleichsam wie mit einem Siegeszeichen zu schmücken!

[65] Durch das Abnehmen des Kranzes war die Malerei und die Schrift auf dem Täfelchen mehr sichtbar geworden, und unwillkürlich las Sabine den am Ende angebrachten frommen Spruch:

„Bedenk’ es wohl, mein lieber Christ,
Weißt nie, wie nah’ das Sterben ist!“

Sie hatte diese Worte wohl schon unzählige Male gelesen, ohne davon einen besonderen Eindruck zu erhalten; diesmal aber dröhnten sie ihr in Ohr und Herz wie ein in nächster Nähe vernommener unvermutheter Glockenschlag. Welch’ furchtbare Mahnung lag in diesen einfachen Zeilen, zumal an diesem Orte, wo sie durch den Sturz des Jägers schon einmal eine so schreckliche Bestätigung gefunden und sich heute wieder erprobt hatten, denn auch dem Gefangenen war der Tod nahe und war unerwartet an ihn herangekommen, wie ein Fall aus heiterer, sonniger Höhe.

Wie nahe mochte vielleicht ihr selbst das eigene Ende sein?

Und wenn es unvermuthet – vielleicht noch in dieser Stunde an sie herantrat, wie war sie auf den ernsten Augenblick bereitet? Konnte sie dem Knochenmanne unerschrocken in die leeren Knochenhöhlen der Augen sehen, und nicht erzittern vor dem Schwung seiner Sense? Wenn sie in dieser Zeit abgerufen wurde, hinzutreten vor den Thron Gottes, vor das Sonnenauge des allwissenden Richters, vor dem die Falten aller Geheimnisse sich auseinander legen – zu dem sie so oft gebetet hatte um Gnade „jetzt – und in der Stunde des Absterbens“ … konnte sie vor ihm den Blick erheben? Konnte sie auf Gnade hoffen mit ihrem Herzen, erfüllt von Gedanken des Hasses und der Rache? … Wehe, wenn der ewige Richter ihr zumaß mit dem Maße, mit dem sie ausgemessen hatte … wehe, wenn er ihr vergab, wie sie vergeben hatte ihren Schuldigern!

Mit ungeheurer Angst überfiel sie das Bewußtsein, daß sie von nun auch den Tod eines Menschen auf sich haben werde – eines Menschen, der, wenn auch für sich schuldbeladen, ihr nur Liebe gezeigt, nur Vertrauen erwiesen hatte, und den sie dafür mit Verrath belohnt, ihm einen Stein gegeben hatte statt des Brodes!

Sie kam zu keinem Entschlusse, aber von innerer Unruhe gegeißelt, eilte sie aus der Schlucht, zur Straße hinab – sie mußte wissen, wie es um den Verrathenen und Gefangenen stand.

Die Straßenbeugung, wo der Verhau angebracht war, war schnell erreicht, durch ein Gebüsch an der Anhöhe verdeckt, konnte sie das ganze Bollwerk überblicken. Es war dicht mit Bewaffneten besetzt, denn wenn auch die ersten Vertheidiger sich ermüdet zurückgezogen hatten, waren sie durch doppelt so viele Neuangekommene ersetzt; hatte sich doch der Lärm verbreitet und die ganze Burschenschaft der Gegend in Waffen herbeigeführt. Der eisgraue Kopf [66] des Vetters war nicht sichtbar; Lipp aber stand mit Einigen beisammen, in eifrigem Gespräch und unverkennbar die Ereignisse der Nacht erzählend.

Der Gefangene war nirgends zu erblicken, er mußte also schon fortgeführt worden sein oder war in der Kohlhütte untergebracht, es gab sonst keinen Platz ihn zu verwahren.

Behutsam schlich das Mädchen näher und hatte auf einem Umwege durch den Wald rasch die Hinterseite der Hütte erreicht, an welcher, gegen den Wald ausmündend und abgewendet von dem Verhau und seiner Besatzung, eine Hinterthüre und neben dieser eine kleine Fensterluke angebracht war.

Sie rollte ein Baumstück herbei und stieg hinauf, um hinein sehen zu können.

Es war beinahe dunkel in dem engen, modrigen Raume – nur in schwachen Umrissen war in der Ecke ein Haufe dürrer Blätter zu erkennen, die als Laubstreu für den kommenden Winter zusammengerecht waren. Auf demselben lag die stattliche Gestalt des Vomper-Hans, zusammengekauert und mühselig, denn die noch immer auf den Rücken gebundenen Hände hinderten ihn eben so an freier Bewegung, als an bequemer Ruhe und Lagerung. Hastig und gewaltsam warf er sich hin und her, einzelne Laute, die er dabei ausstieß, ließen es unklar, ob er nur unverständlich vor sich hinmurmelte, oder ob es die Erregung des Fiebers war, welche unklar aus ihm sprach. Das Letztere war nicht unmöglich, denn die durch das Binden wieder gereizte und blutende Armwunde mochte wohl die Schmerzen bis zur Betäubung gesteigert haben.

Mit angehaltenem Athem lauschte Sabine den Reden des Gefangenen; was sie davon vernahm und verstehen konnte, waren nur einzelne Worte – Worte der Ergebung und des Gebets, um so ergreifender, je kräftiger die Persönlichkeit des Klagenden, und je hülfloser die Lage war, in der er sich befand. „… Nein!“ rief er jetzt vernehmlicher, „… ich will mir die Augen nit verbinden lassen – ich will selbst Feuer commandiren! …“ Eine Pause trat ein, nur von schweren Athemzügen unterbrochen. „… Eine letzte Bitte?“ flüsterte er dann wieder, als ob er eine nur von ihm vernommene Frage beantwortete … „Ich hab’ keine … laßt mich noch ein Vaterunser beten – für meine Mutter selig … Nein, die ist lang im Himmel, die braucht mein Beten nimmer … ein Vaterunser für mich selbst … und für den Jäger … und für …“

Das Weitere verlor sich in unverständliches Gemurmel.

Sabine vermochte nicht länger an sich zu halten. Die ganze trotzige Kraft ihres Wesens war gebrochen und erweicht, wie der Schnee im Frühling, den die innere Erdwärme mürbe macht, noch ehe die senkrechte Sonne seine schimmernde Decke schmilzt. Sie wollte weinen, aber sie konnte nicht, es kamen keine Thränen mehr, nur ein wildes, schmerzliches Schluchzen erschütterte hörbar ihre Brust.

Der Gefangene richtete sich etwas auf und horchte.

„Ist Jemand da?“ rief er, und als keine Antwort kam, fuhr er fort: „Wenn Jemand da ist … bitt’ ich um einen Trunk Wasser … ich muß verschmachten sonst …“

Sabine antwortete wieder nichts – aber sie eilte zum Lagerplatz, wo sie im Rücken des Landsturms einen großen, irdenen Krug stehen sah, ergriff ihn und eilte damit zur Thüre. Sie war nicht mit einem Schlosse versehen, und daher nur die Klinke mit Stricken festgebunden. Sie löste dieselben, öffnete und die Thüre wieder hinter sich anziehend, wankte sie, kaum ihrer Sinne mächtig, in den dunklen Raum. Hans hatte sich aufgesetzt, mit beiden Händen, das Gesicht abgewendet, hielt sie ihm wortlos den Krug an den Mund.

Er trank gierig und athmete tief auf.

„Wer’s auch ist … vergelt’s Gott tausendmal …“ sagte er und wollte sich wieder auf das Lager zurücklegen, aber die Bewegung brachte in der Wunde einen stärkeren Schmerz hervor, daß er zusammenzuckte und unwillkürlich einen Laut des Schmerzes ausstieß.

Sabine gab keinen Laut von sich, mit fliegendem Athem und glühendem Gesicht kniete sie hinter seinem Rücken nieder und löste die Stricke von seinen Händen. „Vergelt’s Gott noch einmal,“ sagte er, während sie mit bebenden Händen die Einschnitte der Stricke befühlte, die Schürze abriß und sie mit Wasser befeuchtet um die geschwollenen Hände und den wunden Arm schlang. „Ich versprech’ Dir heilig, daß ich nit davon laufen will – es hat nit Noth, daß man mich gebunden wie ein Kalb zur Schlachtbank führt … aber wer ist es denn,“ fuhr er, sich umwendend, fort, „der sich so annimmt um mich …“

„Du?“ rief er, Sabinen erblickend und erkennend, die mit gesenktem Blick in ihrer knieenden Stellung verblieb, aus der sie vor Zittern sich nicht zu erheben vermochte. Er fuhr etwas zurück und sah sie dann lange schweigend mit einem durchdringenden Blicke an, in welchem Staunen und Entrüstung mit einem mildern Gefühle rang. „Du bist’s?“ wiederholte er. „Du kommst zu mir? Das muß ich sagen, Du bist ein unbegreifliches Geschöpf! Erst bist Du gut mit mir und freundlich – dann verräthst Du mich, und jetzt kommst Du wieder zu mir und thust, als ob Du mir gut wärst und als wenn’s Dir leid thät’ um mich … Du hast zwei Gesichter, Madel … welches davon ist das falsche?“

„Das kommt,“ sagte sie halblaut, „weil Du zuerst ein doppeltes Gesicht gezeigt hast … ein redliches, dem man wohl trauen möcht’ … und ein schreckliches, vor dem einen schaudert!“

„Schaudern? Wer weiß!“ erwiderte er. „Vielleicht thätst eher weinen und mich bedauern, wenn Du Alles wissen thätst … Und Du sollst es auch wissen! Ich hätt’ Dir schon oben auf der Alm Alles gesagt, aber es hat nit heraus gewollt aus mir, vor den vielen Leuten … Ich mein’, es müßt’ mir leichter werden, wenn ich’s Jemanden sagen kann – und vor Allen Dir …“

Sabine kauerte seitab im Dunkel auf der Laubstreu, während er begann.

„Ich bin ein wilder Bursch gewesen selbige Zeit … meine Mutter selig hat mir wohl oft zugeredt, aber es hat nichts geholfen, ich hab’ das Wildschießen nit lassen können, und das Herumsteigen auf den Bergen war mir lieber, als daheim die Arbeit und die Kümmerniß in der engen, rauchigen Hütten. In Tirol drinnen war nit mehr viel zu machen mit der Jagerei – dafür hat’s herüben in Baiern desto mehr Hirschen gegeben und Gams, das hat mich verlockt, und ich hab’ mich herüber verdingt in’s Bairische. Da war ich in mein’ Element, und wenn ich frei gewesen bin, sind wohl wenig Nächt’ gewesen, in denen ich nit draußen war im Wald und bin dem Wildpret nachgestiegen. Ich hab’s verwegen ’trieben, die Jäger haben mich bald gespürt und sind mir wie wüthig auf die Eisen ’gangen von allen Seiten – aber der Vomper-Hans ist schlauer gewesen als sie, und wenn es unten geknallt hat und sie haben ihn unten gesucht, ist er wie der Wind schon zu höchst über ihnen gewesen und hat sie ausgelacht! Einmal …“

Er hielt inne, und es war, als ob er eines Anlaufs bedürfe, um fortzufahren.

„Einmal …“ sagte er dann mit gedämpftem Ton, „… Du weißt ja den Tag – bin ich im Zwielicht herüber auf Deine Alm – ich hab’ einen Hirsch gespürt gehabt, einen prächtigen Sechzehnender, der hat vom Wald herunter gewechselt, und auf den hab’ ich mich anpirschen wollen. Ich bin drum am Gewand’, oben an der Schneid’ von der langen Wand herum, weil ich ihm den Wind abgeh’n wollt’ – ich bin ganz sicher gewesen, denn ich hab’ den Forstner mit seinen Leuten schon lang zuvor heimgeh’n seh’n … Auf einmal, wie wenn er aus der Erden herausgewachsen wär’, ist der Jäger vor mir gestanden … ich begreif’s jetzt freilich wohl, was ihn hergeführt hat … „Halt’, Kerl – oder ich schieß …“ hat er mich angeschrieen und ist da gestanden vor mir, mit der Büchs im Anschlag; ich hab’ mich besonnen, einen Augenblick … zum Auffahren mit meinem eigenen Stutzen war’s zu spät … bis ich ihn an die Backen gebracht hätt’, hätt’s schon lang geschnallt bei dem Jäger – wir sind keine zwanzig Gäng’ von einander gewesen … ich resolvir’ mich also kurz, duck’ mich nieder, mach’ zugleich einen Sprung … unterlauf’ ihm das Gewehr und pack’ ihn um die Mitt’ …“

Sabine machte eine Bewegung, er hielt, selbst ergriffen, inne.

„… Ich hab’ ihm nichts zu leid thun wollen,“ sagte er dann, „ich wollt’ ihn nur verhindern, daß er mich nit niederschießen oder fangen kann … Ich hab’ oft nit an mei’ Mutter gedenkt, in dem Augenblick aber ist sie mir eingefallen, und was sie sagen und aussteh’n thät, wenn sie hören thät’, daß ihr einziger Bub erschossen worden ist oder im Zuchthaus steckt … Ich hab’ nichts gewollt, als den Jäger niederwerfen und dann davonspringen – aber der Jäger ist stärker gewesen, als ich gemeint hab’, er hat sich tüchtig gewehrt, und so haben wir miteinander herum gewürgt, daß es mir schon schwarz und roth geworden ist vor den Augen … Die Knie’ sind mir eingebrochen, in ein paar Augenblicken … ich hab’s gespürt … hätt’ er mich am Boden gehabt … da hab’ ich meinen rechten Arm frei gekriegt und hab’ [67] dem Jäger einen Schlag gegeben … wohin, weiß ich nit … aber er hat meinen Hals losgelassen im Augenblick, hat als wie damisch (betäubt) ein paar Torkeler gemacht und ist rücklings hinuntergetaumelt über’s Gewänd …“

Erzähler und Hörerin schwiegen … „Du sieh’st,“ begann er nach einer Weile wieder, „mein Willen ist es nit gewesen … und wenn ich auch nit auf rechten Wegen gegangen bin … ich hab’s in der Verzweiflung gethan … ich hab’ mich nur wehren wollen …“

Sabine weinte und winkte ihm mit der Hand, zu schweigen; er aber fuhr fort. „Du meinst, es wär’ schon genug?“ sagte er, „aber nein – Du mußt jetzt Alles hören … Du weißt wohl, wie’s geschehen ist, aber nit, was ich ausgestanden hab’ dafür! – Am andern Morgen hab’ ich mein’ Dienst aufgesagt und bin zurück nach Tirol … ich hab’ keinen Stutzen mehr angerührt, sondern Tag und Nacht als Bauernknecht gearbeit’ … bei meiner alten Mutter und für sie … ich hab’ es mir selber aufgethan als Buß … Aber es hat nit geholfen! Ich hab’ keine Ruh’ mehr gehabt – und keine rechte Freud’ … jede Nacht hab’ ich den Jäger im Schlaf geseh’n – ich hab’s geseh’n, wie er stürzt, und hab’ ihn aufhalten wollen und hab’s nit gekonnt – und wie ich hab’ müssen flüchtig geh’n, bin ich diesen Weg herauf … ich hab’ beten wollen an dem Ort … es ist mir gewesen, als wenn mich was bei den Haaren hätt’ und hätt’ mich hergezogen … ich hab’ gehofft, ich könnt’ meine Ruh wieder finden – und ich hab’ mich ja auch nit geirrt: ich hab’ ja Alles gefunden, was ich gewollt hab’ … und noch mehr dazu …“

Sabine weinte still … „Mir ist das Herz zum Zerspringen schwer und voll,“ seufzte sie, „und doch ist es mir ein Trost, daß Du nit so schuldig bist, wie’s den Anschein gehabt hat!“

„Der Schein betrügt,“ erwiderte Hans, „ich hab’s ja auch an Dir erfahren, Madel – Du bist auch nit so hart vom Gemüth, wie Du Dich angestellt hast, und wenn Du mich auch verrathen und ausgeliefert hast … jetzt, wo Du so neben mir sitzest in meinem Gefängniß und bist so gut und herzig mit mir, jetzt weiß ich doch, daß Du nit die Unwahrheit geredt hast, wie ich Dich gefragt hab’, ob Du mir gut wärst – und ob es Dir leid that, wenn sie mich fangen und fortführen zum Erschießen …“

Das Mädchen erwiderte nichts; aber sie duldete, daß er näher rückte, und als er ihre Hand ergriff, entzog sie ihm dieselbe nicht, nachdem ein schwacher Versuch dazu an seinem Widerstande gescheitert war.

„Laß mir Deine Hand …“ sagte er innig . .. „Der arme Bursch, der durch mich hat zu Grund gehen müssen, wird Dir nit bös sein, wenn er vom Himmel herunter schaut und sieht Deine Hand in der meinigen liegen – er wird nit bös sein, wenn Du mir verzeihst, und wiederholst, was Du mir doch schon einmal gesagt hast … Der Todte wird nit eifern mit dem Lebendigen, der ihm bald nachfolgen wird … Thu’s, Madel, Du machst mir den letzten Gang noch einmal so leicht …“

Wie sich plötzlich besinnend sprang Sabine auf. „Nein,“ rief sie, „nein – Du sollst nit sterben – ich will Deinen Tod nicht auf meinem Gewissen haben, unser Herrgott allein soll richten unter uns … Du mußt fort …“

„Fort? Wie wär’ das möglich? Bin ich nicht gefangen und von allen Seiten bewacht?“

Geräusch von Fußtritten und Stimmen tönte herein und unterbrach das Gespräch.

„Du mußt fort,“ flüsterte Sabine, „ich mach’ daß es möglich wird … Sei still … ich komm’ wieder … in einer Viertelstund …“

Sie schlüpfte aus der Hütte und war eilig daran, die Stricke an der Thüre zum Scheine wieder zu verknüpfen. Eben war sie damit zu Ende, als Lipp um die Ecke trat und vor ihr stand, sie mit finstern Blicken musternd und messend. „Du bist da?“ sagte er, „hat’s Dich gar nimmer gelitten droben auf Deiner Alm?

Schaust nach, ob Dein Arrestant wohl verwahrt ist? Sorg’ Dich nit, Binl – der kommt nimmer aus, dafür laß mich sorgen – Du weißt ja, ich hab’s versprochen, daß ich Dir helfen will! … Aber was ist denn das?“ fuhr er auf, als er näher tretend einen Blick auf den Verband an der Thüre geworfen hatte. „Der Strick ist ja wie aufgezogen! … Hoho Madel, steht’s so? Jetzt weiß ich, wie viel’s bei Dir geschlagen hat … Du hast hinein gewollt zu dem Mörder? Es reut Dich wohl gar, was Du gethan hast, und Du willst ihm durchhelfen?“

„Und wenn ich’s wollt’?“ erwiderte sie, sich zusammenraffend und fest. „Ich leugne nichts … ja, ich war bei ihm in der Hütten – ich hab’s hören müssen, wie’s genau zugegangen ist, selbiges Mal am Margarethentag …“

„So? Und jetzt weißt Du’s?“ fragte Lipp lauernd. „Und bist wohl noch wüthiger wie zuvor?“

„Nein,“ sagte sie mit einigem Zögern, „mein Sinn ist mir umgewendt … ich will nit mehr haben, daß er zu Grund geh’n soll …“

Lipp lachte auf; der Zug von Rohheit in seinem Gesichte trat immer unverhohlener hervor. „Was man nit Alles erlebt!“ rief er. „Und warum denn, wenn man fragen darf? Wie ist denn das so schnell ’kommen?“

„… Es ist unchristlich … ich will Alles unserm Herrgott anheim geben – ich will sein Leben nit auf meinem Gewissen haben!“

„Bah … ich nehm’s auf das meinige!“

„Ich will nit, sag’ ich, es ist mein Gefangener – ich hab’ ihn Dir übergeben!“

„Nu ja – eben weil Du ihn mir übergeben hast, ist er mein und soll’s bleiben! Frag’ die Bauern, ob sie den Spion, den Rebellen, den Mörder laufen lassen wollen. Und wenn sie wollten … er soll nit fort, er soll keinen Fuß aus der Hütten, setzen, bis die Franzosen da sind und ihn abholen! So will ich’s haben, und ich weiß warum!“

„Und warum? Rede!“

Lipp sah die Entrüstete höhnisch an. „Warum?“ entgegnete er. „Weil ich besser als Du selber weiß, was in Dir vorgeht … weil ich Deine Gedanken errath’, als wenn Du ein gläsernes Fensterl auf der Brust hätt’st! Weil Du Deinem Verlöbniß untreu geworden bist – weil der fremde Landfahrer Dir gefallen hat, wenn Du auch gesagt hast, Du kannst kein Mannsbild mehr gern haben, das wär’ gar nimmer in Dir! … Du hast gesagt, Du willst mich nit und auch keinen Andern nit … Du hast Dein Wort nit gehalten, desto besser will ich das meinige halten und sorgen, daß kein Anderer Dich kriegt!“

Sabine hatte die Hände vor das erröthende Antlitz geschlagen „Gern haben?“ murmelte sie. „Ich? Den Mörder von meinem …“

„Von Deinem Schatz!“ ergänzte Lipp. „Es ist freilich sonderbar, aber Du hast in Allem eine besondere Weis’ … bei Dir schlagt die Hitz leicht um wie die Kält’ …“

„… So ist es nit …“ stammelte sie, „ich hab’ nur Erbarmniß mit ihm …“

„Erbarmniß?“ rief Lipp noch höhnischer und schwieg, die Blicke fest auf das Mädchen geheftet und unverkennbar über einem Gedanken brütend. „Zeig’ mir, daß es nur das ist,“ sagte er dann rasch – „beweis mir’s, und ich will Dir beisteh’n und will ihm mit Dir forthelfen …“

„Aber wie? wie?“ fragte sie hastig.

„Wie? – Wenn’s wirklich nur das Erbarmen ist, was Dich treibt … wenn Du sonst keine Absicht hast, als den da drinnen vom Tod zu erretten … so mach’ der ganzen Geschicht’ ein End’, gieb Dein Jawort und nimm einen Andern.

Sie machte eine stumme Gebehrde des Abscheus und des Schreckens.

„Thu’s!“ fuhr er näher und dringender fort. „Gieb Dein Gelöbniß auf – ein Loch ist doch schon hineingerissen … nimm einen Andern, Binl … nimm mich …“

Sabine schauderte. „Es wär’ Dein Unglück wie mein’s … flüsterte sie tonlos; „… Du solltest so was nit sagen …“

„Ich wag’s auf das Unglück hin! Geschwind – entschließ’ Dich, Binl! Du hörst, die Bauern kommen näher – Du hast die Wahl, entweder Du sagst Ja … oder ich verrath’s ihnen, daß Du den Rebeller und Mörder willst entwischen lassen, dann ist es gewiß, daß er ihnen nimmer auskommt …“

„Heilige Mutter …“ stammelte Sabine schwankend … „Ist es denn möglich … so weit soll’s kommen mit mir! … Und wenn ich Ja sagen that …“ setzte sie stockend hinzu.

„Dann will ich schweigen und Dir helfen – ich geb’ Dir mein heiliges Ehrenwort darauf! In einer halben Stunde soll er über alle Berge sein … Besinn’ Dich nit lange mehr – da sind die Bauern schon … Sag’ Ja, – sie müssen’s Alle hören, damit Du nicht mehr zurück kannst …“

Die Bauern kamen näher. Es galt eine neue Berathung, ob es nicht geeignet sei, eine Streife gegen den Feind vorzuschicken, [68] um zu erfahren, ob er wirklich im Anzuge sei; das zwecklose Wachestehen am Verhau und die Versäumniß dringender Arbeit war den Leuten verleidet. Der alte Vetter kam vom Dorfe her mit der Nachricht, das französische Piket sei schon im Anmarsch, den Walchensee entlang – das entschied, denn die Verstärkung und Ablösung war damit nahe.

„Ich hab’ auch eine Neuigkeit, Ihr Leut’,“ rief jetzt Lipp, indem er das schweigende, nicht widerstrebende Mädchen an sich zog, „… ich lad’ Euch zum Stuhlfest ein – da steht meine Hochzeiterin!“

„Ist’s wahr?“ rief der alte Vetter freudig und trat zu Sabine, indeß auch unter den Bauern sich eine allgemeine Bewegung der Theilnahme kund gab. „Ist’s wirklich wahr? Nun schau, das ist ein gescheidter Gedanke, daß Du die Flausen und die Faxen aufgegeben hast vom Ledigbleiben! Aber wie ist denn das nur so ’kommen in der Geschwindigkeit?“

„Wie wird’s gegangen sein!“ rief Lipp, dem daran lag, das todesbleich in seinen Armen bebende Mädchen nicht zum Worte kommen zu lassen. „Wie so was halt allemal geht! Die Madel zieren sich Alle am Anfang – jetzt ist sie doch eigens herunter von der Alm, um mir zu sagen, daß sie nit leben kann ohne mich …“

Ein Schuß krachte vom Verhau herüber, und wildes Geschrei begleitete ihn. „Sie kommen!“ hieß es. „Sie sind da! Die Tiroler kommen!“ Auch von der Straße hörte man Büchsenknall und das wirre Geschrei einer anrückenden Menge. Mit wildem Sausen stürmten die Bauern auf den Verhau, nur Lipp sah ihnen, ruhig stehen bleibend, nach.

„Was wartest Du?“ rief ihm Sabine zu. „Gehst Du nit mit den Andern in’s Gefecht?“

„Eilt mir nit,“ antwortete er. „Die Andern werden mit den Tirolern wohl auch ohne mich fertig … ich geh’ mit Dir zurück in’s Dorf …“

„Mit mir? Ich will nit in’s Dorf – hier ist mein Geschäft!“

„Nichts da!“ rief Lipp und faßte sie am Arm. „Nichts hast Du hier zu schaffen – Du gehst mit mir – und das auf der Stelle!“

„Ich geh’ nit,“ rief Sabine, indem sie sich loszumachen suchte … „nit eher, bis ich ihn befreit habe! Jetzt, in dem Getümmel, ist der beste Augenblick dazu! … Lipp, laß mich los!“ schrie sie auf, als er nicht abließ, sie fortzuziehn und sie sogar um die Mitte faßte. „… Bedenk’, was Du mir versprochen hast!“

„Wer weiß was davon?“ rief er mit höhnischem Lachen. „Wer will mich zwingen, daß ich’s halt’? Du bist jetzt doch mein vor allen Leuten, Du kannst nit mehr zurück ohne Schand’ und Spott …“

„Ich kann’s und ich will’s …“ rief die verzweifelt, doch umsonst Widerstrebende. Er aber zerrte sie fort. „Das wollen wir doch sehn, Du Wildfang, Du unbändiger …“ schrie er, „ich will Dich schon zahm machen …!“

Da krachten die Breter der Kohlhüttenthüre zertrümmert zu Boden, und auf der Schwelle stand der Vomper-Hans, – einen Prügel in dem hochgehobenen Arm, sprang er den Beiden mit einem Satze nach und ließ ihn auf den Kopf des Burschen niedersausen, daß dieser lautlos und plump zusammenstürzte.

Sabine stand verwirrt, als faßte sie nicht, was geschehen.

„Ich bin frei,“ rief ihr Hans zu, „frei, Madel – und ich bin’s durch Dich! Ich sag’ Dir Vergelt’s-Gott und Behüt’-Gott zu gleicher Zeit! … O, Madel,“ fuhr er nähertretend mit herzlichem Tone fort … „vielleicht wär’s besser gewesen, wenn ich Dich niemals gesehn hätt’ – aber ich kann’s nit wünschen, ich hab’ Dich ja so gern – so gern wie ich noch Niemand gehabt hab’, so lang’ ich leb’ … und ich muß Dir’s sagen, gerad’ jetzt, in dem Augenblick, wo wir auseinandergehn auf Nimmerwiedersehn …“

Das Mädchen fand hochaufathmend noch immer kein Wort der Erwiderung, aber sie widerstrebte nicht, als er sie in seine Arme zog und fest an sich preßte.

Ihre Lippen vereinigten sich wie willenlos zum langen, innigen Kusse.

Jetzt ließ er sie los, raffte Lipp’s Gewehr vom Boden auf und entsprang gegen den Wald.

„Nit dort hinaus!“ rief Sabine ihm angstvoll nach. „Dort ist die Straße … rechts in das Dickicht …“

„B’hüt’ Dich Gott tausendmal!“ rief er zurück. „Dort sind meine Landsleut’ … dort ist mein Platz!“

Er verschwand. Sabine sank an einem Baumstamme nieder, hinter dem Lipp, noch immer ohne Lebenszeichen, lag. Wie aus weiter Entfernung, mit einer Ohnmacht ringend, vernahm sie das Geschrei der Streitenden und das Krachen der Gewehre, denn drüben am Verhau war ein wüthender Kampf entbrannt. Ein Gebet auf den Lippen, knickte sie zusammen – ein Gebet, das mehr dem Feinde galt, als den Landsleuten und dem einst so geliebten Todten.

Als sie zu sich kam, war das Kampfgetümmel verstummt: als ob, wie sonst, nur die heimischen Bewohner des Waldes in sorgloser Lust unter ihnen gespielt hätten, so friedlich und grün hoben die Tannen über ihr die Wipfel in das Himmelsblau – um sie herum blühten Blumen und duftete das Moos, als habe es frischen Thau und nicht eben Blut getrunken.

Das Gefecht hatte sich rasch entschieden: die zuerst wüthend anstürmenden Tiroler mußten sich zurückziehen, als die erwartete Abtheilung französischer Soldaten eintraf, welche zu beiden Seiten des Verhaus mit gefälltem Bajonnet vordrangen und sie im Rücken zu fassen suchten. Die Bauern waren mit einigen Verwundungen davongekommen – die Tiroler hatten nur einen Todten zurückgelassen. Es war der Vomper-Hans.

Muthig hatte er sich zwischen die Streitenden geworfen, und in dem Bestreben, Frieden zu stiften, war ihm eine Kugel mitten durch’s Herz gegangen.

Der Körper blieb unbeachtet im Grase des Waldrandes liegen, bis Abends Leute kamen und ihn nach Walchensee hinuntertrugen, um ihn neben dem kleinen Kirchlein hart an der Kirchhofwand zu verscharren.

Lange kniete Sabine stumm und thränenlos neben dem Todten. Seitwärts am Walde saß der alte Vetter, ohne sie zu stören, zu fragen oder anzureden: in dem warmen Herzen des Greises dämmerte die Ahnung dessen, was in ihr vorging. Abends trat er hinzu und forderte sie mit liebevollen Worten auf, ihm in das Dorf zu folgen. Sie folgte schweigend.

Am Eingange der Schlucht hielt sie an. „Ich hab’ noch ein kleines Geschäft, Vetter,“ sagte sie, „wart’t auf mich, nur einen Augenblick …“ Sie ging tief in das Gestein, suchte den verschleuderten Tannenkranz und hängte ihn über das Gemälde. –

Lipp kam wieder auf, aber er mied die Gegend am Walchensee und ist im fernen Ungarn verschollen.

Dreiundfünfzig Jahre haben dort die Erinnerung an diese Ereignisse vollständig ausgelöscht. – Sabine blieb bei dem Alten, bis er starb, dann bei seinem Sohne und dessen Kindern, ein stiller, nützlicher, von Allen geliebter Hausgenosse; kaum den Lebenden angehörig, mit Gedanken und Wunsch den Todten zugeneigt, für deren Heil sie betete ohne Unterlaß.

Als die Greisin zu ihnen versammelt wurde, prangte auf ihrem Sarge das Ehrenkränzlein der Jungfräulichkeit. – Auf ihre Bitte ward er ihr nicht mit in die Grube gegeben, sondern von freundlicher Hand über dem Täfelchen aufgehangen.

Er ist lange verdorrt und zerstäubt – auch das Marterl ist verwittert und unkenntlich geworden – nur unter den Betkorallen hat sich der fromme Spruch erhalten und mahnt den Vorübergehenden, wie flüchtig die Stunde ist.



  1. Verfasser der „Huberbäurin“, „Almenrausch und Edelweiß“ etc. etc.
    D. Red. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: riefe