Der Leichensee

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Textdaten
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Autor: Jodocus Donatus Hubertus Temme
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Titel: Der Leichensee
Untertitel:
aus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. S. 202–204
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1840
Verlag: Nicolaische Buchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[202]
160. Der Leichensee.

Nicht weit von dem Dorfe Retzin, welches ungefähr anderthalb Meilen von Pencun liegt, findet man einen hohen, langen Berg, und unterhalb desselben einen See, welcher der Leichensee genannt wird. Auf dem Berge, der [203] jetzt mit Buschwerk bewachsen ist, hat in früheren Zeiten ein Raubschloß gestanden, von welchem man noch hin und wieder Mauerwerk im Gebüsch auffindet. Der ganze Berg heißt deshalb auch noch der Burgwall. Die Räuber, die in diesem Raubschlosse gehauset, haben die Leichen der von ihnen Erschlagenen in den See geworfen, woher dieser auch den Namen erhalten haben soll. Die Ermordeten und die Mörder sollen noch jetzt in mancher Nacht um den See herumgehen, und es wagt sich in der Dunkelheit Niemand gern in die Gegend.

Vgl. Brüggemann, Beschreibung von Vor- und Hinterpommern, I. S. 230.


Eine andere Sage erzählt hierüber ausführlicher Folgendes: Der Leichensee liegt gerade in der Mitte von den Stellen, auf denen früher zwei Burgen gelegen haben, und wo noch jetzt die beiden Dörfer Lökenitz und Ramin sind. Diese beiden Burgen gehörten einem wüsten Raubritter, Namens Hans von Ramin. Der Randowfluß, der durch den See fließt, war damals noch schiffbar; es trug sich daher häufig zu, daß Schiffe durch den See kamen. Diesen paßte nun der Ritter mit seinem Raubgesindel von beiden Burgen aus auf, und er hatte eine sinnreiche Vorrichtung gemacht, wie er sie fangen könnte. Er hatte nämlich queer über den See zwei Ketten ziehen lassen, die ungefähr 50 Schritte von einander entfernt lagen, und zwei Zoll über dem Wasser ganz stramm angezogen waren. Wenn er nun ein Schiff von weitem ankommen sah, dann versteckte er sich mit seinen Leuten in dem Rohr und Schilfe am Ufer des Sees, und ließ die vordere Kette schlaff, so daß sie unter das Wasser ging. So wie aber das Schiff darüber weg war, zog er sie wieder straff an, und wie nun das Schiff zwischen den beiden Ketten festsaß und [204] nicht ein noch aus konnte, fiel er mit seinem Raubgesindel darüber her, erschlug die Mannschaft und nahm alles Gut für sich. Die Leichen wurden in den See geworfen, nach der Seite des langen Berges hin. Oft traf es sich, daß die Räuber auf dem Schiffe eine größere Mannschaft fanden, als sie erwartet hatten; dann läuteten sie eilig eine große Glocke, die sie eigends zu diesem Zwecke am Ufer aufgehangen hatten, worauf ihnen von den beiden Burgen Hülfe kam. Diese Glocke ist nach dem Tode des Ritters in den See gestürzt. Darin ist sie noch, und am Johannistage kann man sie des Mittags um zwölf Uhr darin läuten hören.

Mündlich.