Der Pfadfinder des Meeres

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Autor: M. M. v. Weber
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Titel: Der Pfadfinder des Meeres
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49–50, S. 765–766 und 783–785
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Matthew Fontaine Maury, „Pathfinder of the Seas“
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Der Pfadfinder des Meeres.
Von M. M. v. Weber.


Wer das Wissen liebt, der liebt auch die Menschheit. Jede große Entdeckung, jedes Auffinden neuer Naturkräfte, neuer Gesetze ist auch das Aufschließen neuer Pfade der Humanität. Wie ein Strahlennetz gehen sie aus vom Wirken großer Männer, die Welt immer dichter mit den Wegen einspinnend, die zur Entlastung von Sclavenarbeit, zur Milderung der Gefahr bei redlicher Thätigkeit, zur Verbreitung des erlösenden Gedankens führen. Die schaumigen Furchen, die unsere Dampfer im Meere ziehen, unsere Eisenstraßen, unsere Telegraphenkabel sind nur Verkörperungen der Wege, welche echte Liebe zur Menschheit geht.

Wenn der Blitz an der Wetterstange herabgeschmettert ist; wenn aus dem nächtigen, sturmaufgewühlten Meere die zitternden Wechsellichter der Leuchtthürme am Horizonte auftauchen; wenn in der beängstigenden Luft des tiefen Kohlenschachtes die bläuliche Flamme der schlagenden Wetter harmlos das Drahtnetz der Davy’schen Sicherheitslampe füllt: da fühlen wir uns von der Nähe des Geistes der Humanität gewaltig erschüttert. Denker und Entdecker erscheinen uns als die wahren Apostel des erquickenden Glaubens an den Fortschritt der Welt nach oben.

Von jeher hat sich im Verkehre mit dem völkerverknüpfenden wie völkerscheidenden Meere und dem damit untrennbar verbundenen Ocean der Luft die naturbesiegende Menschenkraft am weidlichsten geübt. Bisher aber beschäftigte uns fast ausschließlich die Beschaffenheit der Oberfläche und der Untiefen und Küsten des Meeres, jetzt bedürfen wir auch der Kenntniß des tiefen Grundes desselben, auf dem wir unsere Telegraphenkabel führen wollen. Der Pfade sind überall für Wohlfahrt und Freiheit, in den Strömungen des Meeres, in den Winden des Himmels, in den dunkeln Tiefen der Gewässer, aber die, welche sie fanden und ebneten, haben jederzeit zu den besten und stärksten der Menschen gehört. Der Blick auf einen solchen soll uns heut beschäftigen.

Jedem Gebildeten, der mit einiger Aufmerksamkeit die Entwickelungsstadien der größten technischen That unserer Zeit verfolgt hat, durch die dem Gedanken unter den Strömen des Oceans, unter dem Gewimmel seines Lebens hindurch, auf der ruhigen todesstillen Fläche seines Grundes hin, ein Pfad gebahnt worden ist, auf welchem er in Augenblicken den Raum zwischen Continenten überspringt, deren einen der Tag umleuchtet, während den andern tiefe Nacht deckt, ist der Name des Lieutenant Maury von der amerikanischen Marine gegenwärtig. Er war es, dessen jahrelange, mühselige und gefährliche Arbeiten das Terrain, fast meilentief unter der spiegelnden, brausenden Oberfläche des Meeres, erforschten, auf dem der neue Weg des Geistes gebettet werden konnte. Fünfzehn Jahre lang rollte, während unzähliger Kreuz- und Querfahrten auf dem gefährlichsten, aber auch für die Culturwelt wichtigsten der Oceane, dem atlantischen, sein rastloses Senkblei in die Tiefe, die Formation und Beschaffenheit von dessen Boden erforschend. Wer die unzähligen, auch die zäheste Geduld ermattenden Schwierigkeiten kennt, die sich mit Sondirungen im tiefen Meere verknüpfen, wird das Verdienst der Arbeiten ermessen, die ein vollständiges Reliefbild des ewig unsichtbaren Oceangrundes vor das Auge der Welt legten. Bei den hier in’s Spiel kommenden Tiefen, in deren grüne Nacht das leuchtende Gebilde des Montblanc, das uns den Himmel zu tragen scheint, scheitelrecht eingesenkt werden könnte, dauert es stundenlang, ehe das centnerschwere Senkblei, seine Leine nach sich spinnend, den Grund erreicht, halbe Tage lang, ehe es wieder eingewunden werden kann. Die Theilchen des Meeresgrundes, die in der untern, halb mit Talg gefüllten Höhlung des Senkbleies hängen geblieben sind, deuten mit Muschel- und Korallenbröckchen, mit Kieselsandkörnern und Schlammparcellen auf die physische Natur des Grundes hin. Eine unbekannte Strömung, ein aufspringender Windstoß vereitelt das mühselige Experiment, um dessen willen man tage- und wochenlang auf derselben Stelle gekreuzt hat, und läßt oft durch Reißen der sorgsam eingetheilten Leine den ganzen Apparat der Forschung verloren gehen. Oder bei sehr großen Tiefen beginnt die Schwimmkraft der meilenlangen Schnur das Senkblei zu tragen, oder dieses sinkt in Hunderte von Fußen tiefen Schlamm, aus dem die dünne Leine es nicht wieder herauszuziehen vermag, oder die scharfe Kante eines Korallenriffes schneidet diese durch – und was der unzähligen Schwierigkeiten mehr sind. Selten gelingt es, mehr als Eine Sondirung des Tages im tiefen Meere zu machen; wochenlang muß im stürmischen atlantischen Ocean auf einen dem Expertmentiren günstigen Tag gewartet werden.

Der zähe anglo-germanische Geist Maury’s triumphirte über Alles, selbst über die Indolenz derjenigen, zu deren Frommen die unsägliche Arbeit gemacht wurde und die sie freilich auch bezahlen.

Vor dem Lichte, das in seiner Hand Blei, Talg und Schnur auf die Formation des Oceangrundes warfen, zerstreuten sich die Besorgnisse der Gesellschaft des transatlantischen Telegraphen vor der Rauhheit des Bettes, aus dem der verhältnißmäßig so unendlich zarte Faden des leitenden Kabels gelegt werden mußte. Die Schluchten, über die es sich hinzuspannen hatte, die schroffen Felsgrate, die es zerschneiden, die raschen Strömungen, die es zerreiben, die Thiere, die es schädigen, die Eisberge, die es zerquetschen sollten, verschwanden vor Maury’s Blei. Statt ihrer zeigte sich in der Tiefe ein weit nordwärts von den schroffen Bildungen der Korallenthiere gelegenes, größtentheils in langen, sanften Wellen gehobenes und gesenktes, mit aus Muschelbrocken und runden Kieselkörnern gebildetem Sande bedecktes Hochplateau in der unermeßlichen Tiefe. Von der Westküste Irlands aus bis nach Trinity-Bay in Newfoundland, vierhundertachtundzwanzig deutsche Meilen weit, zog es sich mit einer schwachen Krümmung nach Norden in fast ununterbrochener Hebung hin, nirgend tiefer als vierzehntausend fünfhundert und zwanzig Fuß unter den Meeresspiegel herabsinkend, im Ganzen aber sich in einer Durchschnittshöhe von achttausend Fuß unter demselben haltend.

Auf die Ermittelung dieses Hochplateaus begründete die atlantische Telegraphen-Gesellschaft ihre Hoffnungen, die ihre Beharrlichkeit nun auch in der That verwirklicht hat, so daß jetzt die Kabel, welche den Blitz des Gedankens, tausend Mal schneller als den Erdumschwung selbst, von Hemisphäre zu Hemisphäre tragen und die von Valentia ausgehende Botschaft fast um fünf Stunden astronomischer Zeit früher nach New-York bringen, als sie abgesandt wurden, verhältnißmäßig sicher gebettet im Sand und Schlamm des Meeres liegen.

Wenn aber auch diese an die gewaltige Erscheinung der transatlantischen Telegraphie geknüpften Arbeiten Maury’s, die allerdings wohl ausreichten, die ganze Thätigkeit eines hervorragenden Menschen zu umfassen, seinen Namen beim großen, gebildeten Publicum populär machten, so sind sie doch weder die größten, noch die für den Fortschritt der Wissenschaft und des Weltverkehrs bedeutendsten, mit denen sich dieser Geist, rastlos, tief, klar und umfassend wie die Oceane des Wassers und der Luft, in deren Geheimnisse er eindrang, bis zur Erschöpfung beschäftigte.

Unter der heißen Sonne Tennessee’s geboren, behielt Maury’s feuriger Geist immer die dem Kinde in Fleisch und Blut gegangene Sympathie für das Cavalierleben der Südstaaten, die später so verhängnißvoll für ihn werden sollte. Als Midshipman trat er in die Flotte der Vereinigten Staaten. Niemals ist ein Beruf mit mehr tiefinnerster Berechtigung gewählt worden! Maury’s Wesen war ein Theil jener Welt, die Wellen schlägt und Wolken trägt, und kehrte gleichsam nur in ihr heimisches Bereich zurück, als er Seemann wurde. Vom Augenblicke an, wo er das Meer mit Segeln befuhr, war seine gesammte Thätigkeit der Erforschung des eigensten Lebens von Wasser und Luft gewidmet, zunächst in rein physikalisch-wissenschaftlicher Beziehung, dann auch im Hinblick auf die Straßen des Verkehrs in dieser beweglichen Welt.

In einem alternden Staate, der von seinen Functionären nur Dienste, nicht Thaten verlangt, wäre Maury’s Wirksamkeit vielleicht, als nicht genau der Geschäftsroutine der Marine entsprechend, gleichgültig oder sogar mißfällig bemerkt worden; nicht so im Lande der personificirten Jugendkraft, das bei seinem Alexandermarsche an die Spitze der zukünftigen Civilisation noch keine Zeit hat, geniale Kräfte im Schlamme ersticken zu lassen. Maury’s außerordentliche Leistungen erweckten die Aufmerksamkeit der Regierung, und kaum in den Rang eines Schiffslieutenants getreten, wurde er zum Director des National-Observatoriums zu Washington ernannt. Diese wissenschaftlich hochbedeutungsvolle [766] Stellung führte die Fäden seiner Forschungen in immer mächtigeren Gebinden in seiner Hand zusammen. Die Beobachtungen von allen meteorologischen Stationen der civilisirten Welt, die in Europa hauptsächlich durch Talent und Mühe unseres großen Landsmanns Professor Dove in Berlin eine so weite Verbreitung und bewundernswürdige Organisation gefunden haben und jetzt mit mehreren Hundert über die ganze Erdkugel ausgestreuten Observatorien wie mit eben so vielen klugen Augen, die Erscheinungen des uns umgebenden Luftmeeres betrachten, die Mittheilungen der gesammten wissenschaftlichen Schifffahrt aus allen Bereichen der Höhe und Tiefe des Oceans, gehörten zu den Materialien der großen wissenschaftlichen Anstalt, der Maury nun vorstand. Von der amerikanischen Regierung veranstaltete Expeditionen, die theils von Maury Instructionen empfingen, theils von ihm selbst begleitet wurden, ergänzten, nebst den Beobachtungen, welche eine Anzahl auf eigene Kosten unternommene Reisen lieferten, das Material zu den großen, auf die Findung allgemeiner, auch für die Praxis nützlicher Gesetze in diesen wechselvollen Regionen gerichteten, mühevollen Arbeiten des rastlosen Mannes.

Aus der Compilation, Sichtung und Ordnung von mehr als einer Million von Beobachtungen und Thatsachen entstanden so, als Frucht eines fast unerhörten Fleißes und einer Arbeitsthätigkeit, die beinahe über das dem einzelnen Menschen Mögliche hinauszugehen scheint, jene achtundsechszig großen (drei Fuß langen, zwei Fuß breiten) Karten, die graphisch das gesammte Leben des Meeres und der Luft und die aus der Kenntniß desselben herzuleitenden, praktischen Vorschriften für die Schifffahrt darstellen. Auf siebenundvierzig dieser Karten erscheinen die constanten und periodischen Strömungen im Meere und in der Atmosphäre, deren Gesetz, Form, Ausdehnung und Bedeutung man mit mehr oder minder Sicherheit zu erkennen im Stande gewesen ist, in Verbindung mit Darstellung einer großen Zahl wirklich ausgeführter Seefahrten durch zweckmäßige Benutzung von Farben, Zeichen, Linien und Ziffern so klar und übersichtlich niedergelegt, daß sie sich nicht nur zum Eintragen neuer Beobachtungen auf neuen Reisen eignen, sondern auch dem Schiffer die Füglichkeit gewähren, seinen Cours im Voraus so einzurichten, daß hier sein Schiff in der dem Auge in der Unendlichkeit des Meeres unsichtbaren Strömung treibe, dort der muthmaßlich um gewisse Zeit wehende Wind seine Segel füllen möge. Sechszehn andere Karten lehren durch Windsterne und eingeschriebene Ziffern sich in Häfen pilotiren; zwei Sturm- und Regenkarten fixiren die Erfahrungen über Richtung und Stärke der Stürme und die Massen der Niederschläge, so daß Maury’s achtundsechszig graphische Darstellungen so zu sagen, einen Post- und Reiseatlas über alle flüssigen Theile der Erdkugel bilden, der Straßen und Stationen im pfadlosen Ocean vorzeichnet und Kunde giebt, wo die lustigen Rosse des Aethers angeschirrt stehen.

„Ein Gesammtbild der Forschungen Maury’s ist in seinem berühmten Werke „Die physische Geographie des Meeres“ gegeben, das den Bereich von Wasser und Luft mit ähnlicher Tiefe und, wo es erforderlich ist, mit derselben Größe des sprachlichen Ausdrucks schildert, wie Humboldt’s Kosmos die Gesammtheit des Weltalls.

Das praktische Resultat dieser wissenschaftlichen und literarischen That Maury’s ist von kaum zu übersehendem Werthe und überragt an solchem die Wirksamkeit der meisten Männer der That.

Sir John Pakington gab in einer Rede zum Lobe Maury’s vor einem englischen Publicum diesem Werthe den Ausdruck, der ihn diesem am begreiflichsten machte, er rechnete ihn nach Geld aus. „Die Erfahrung hat gelehrt,“ sagte er, „daß seit dem Erscheinen des Maury’schen Kartenwerks gebildete Schiffer, durch geschickte Benutzung der ihnen dadurch bezeichneten Strömungen und Windbewegungen, im Stande sind, ihre Reisen beträchtlich abzukürzen, ja sogar die Bemannung der Schiffe zu vermindern und Havarien zu vermeiden, so daß z. B. durchschnittlich an jeder Reise der großen Segelschiffe von eintausend bis eintausend fünfhundert Tonnen Gehalt, die zwischen England und Indien verkehren, zweihundert und fünfzig Pfund Sterling erspart werden. Da aber nun ungefähr jährlich zweitausend solche Reisen gemacht werden, so giebt das einen Nettogewinn von einer halben Million Pfund Sterling (oder drei und eine Viertelmillion Thaler) jährlich, der, gleichsam durch die Folien von Maury’s Werk hindurch, von einer einzigen Oceanroute aus in die Taschen der englischen Handelswelt fließt.“

So groß diese Summe auch ist, so drückt sie doch nur einen sehr kleinen Theil der pecuniären Resultate des Maury’schen Bienenfleißes aus.

Keinem Hydrographen oder Meteorologen konnte es eindrücklicher sein, als Maury, der, unablässig mit dem Finden von Gesetzen und Gesammterscheinungen aus der Zahllosigkeit der Thatsachen beschäftigt, fortwährend das Ganze der Kräftewirkungen im Wasser- und Luftmeere vor Augen haben mußte, daß die Punkte, auf denen meteorologische Studien gemacht werden, bei weitem noch nicht dicht genug auf dem Erdballe gesäet seien, die Beobachtungen noch bei weitem nicht übereinstimmend genug nach Formen, welche Vergleichung und Herleitung von Schlüssen zulassen, angestellt würden, um das Leben in den elastisch-flüssigen und tropfbar-flüssigen Oceanen, welche die Erde umgeben, in seinem Gesammtorganismus begreifen zu lehren. Er wendete daher die ganze Energie und Zähigkeit seines Strebens auf den großen Zweck der Schöpfung einer „internationalen Meteorologie“, durch einen internationalen meteorologischen Congreß. Seine Bestrebungen wurden allenthalben, und auch von der Regierung der Vereinigten Staaten, mit großer Lauigkeit aufgenommen, so lange sie allgemein wissenschaftliche Tendenzen verfolgten. Plötzlich erhielten sie aber durch ein Ereigniß von großer dramatischer Kraft einen Nachdruck von so unwiderstehlicher praktischer Gewalt, daß seine Ideen, wenigstens in einer Richtung hin, schnell ihrer Realisirung zugeführt wurden.

[783] Bereits im Jahre 1801 hatte ein Oberst Capper in einem Werke „Ueber Winde und Monsoons“ die Vermuthung ausgesprochen, daß Stürme sich nach gewissen Gesetzen bilden und bewegen, und dieser Vermuthung auch gewisse Formen gegeben. E. W. Radfield in New-York veröffentlichte 1831 die weitere Verfolgung dieser Idee auf Grund einer großen Anzahl von in den Vereinigten Staaten gemachten Sturmbeobachtungen. In dieser Arbeit zeigen diese Gesetze zuerst jeden Sturm in Gestalt eines großartigen Wirbelwindes, dessen Durchmesser von wenigen bis auf Hunderte von Meilen steigen kann, in dessen Mitte verhältnißmäßige Windstille herrscht, während an seinem Außenringe die wildeste Luftbewegung tobt. Dieser ganze riesige Hexentanz erscheint als in seiner Gesammtheit nach einer Richtung fortschreitend, die auf beiden Hemisphären fast stets vom Aequator nach den Polen hin liegt. Die Beobachtungen von Marsden und Capitän Beecher beleuchteten auf englischen Observatorien diese Gesetze näher, Major Reid verfolgte sie in Westindien; die Pfade einer großen Anzahl solcher Luftcharybden wurden ermittelt und der Golf von Mexico als der Hauptheerd dieser Revolutionen für den atlantischen Ocean gefunden, die mit denen im Völkerleben das schwindelnde Drehen gemein haben. Sie erhielten den Namen „Cyclonen“.

Die tiefste wissenschaftliche Consolidirung, die besten Grundlagen von fruchtbringenden Ideen erhielt die Vorstellung von diesen gewaltigen Erscheinungen durch einen der größten, vielleicht den ersten Meteorologen aller Zeiten, unsern schon genannten Landsmann Dove, der seine Forschungen in einem berühmten Werke: „Das Gesetz der Stürme“, niederlegte. Jeden „Cyclon“ umgeben nun gewisse Erscheinungen am Barometer, die ihn gleichsam mit sichtlichen Signalen eingrenzen, so daß man jeden Cyclon auf der Weltkarte wandelnd erblicken könnte, wenn es möglich wäre, die Quecksilbersäule in allen Barometern eines großen Landstrichs gleichzeitig spielen zu sehen.

Da man nun die Richtung der Drehung und des Fortschreitens der Cyclonen im Allgemeinen erkennen kann, so bedarf es nur der Bestimmung seines Durchmessers und der Schnelligkeit seiner Bewegung, mittels einiger an verschiedenen Orten angestellter, einem Observatorium rapportirter Beobachtungen, um einige Zeit, die sich auf mehrere Stunden, ja zuweilen noch länger ausdehnt, voraussagen zu können: „Die und die Orte werden um die oder jene Zeit Sturm von der oder jener Richtung und Gewalt haben.“ Das Barometer liefert diese Beobachtungen, die Telegraphie trägt sie in dem meteorologischen Observatorium zusammen. Von diesem aus fliegt aber sogleich die Kunde, daß Sturm naht, diesem weit voraus nach den bedrohten Hafenplätzen und Küstenstrichen und sofort werden an diesen Signale aufgehißt oder Fanale entzündet, welche den Schiffen befehlen, Maßregeln zu ihrer Sicherung zu treffen. Wie in den hochpoetischen Thüringer Waldmärchen der getreue Eckhardt, die stillen Schläfer in grünumhegten Waldhäusern warnend, vor dem „Wilden Heere“ herzieht, so fliegt in unserer Zeit die wissenschaftliche Idee der wilden Jagd der Natur voraus und befiehlt den Schiffern, ihre Segel zu falten, die Anker fest in den Grund zu schlagen, oder, die gefährlichen Küsten fliehend, das hohe Meer zu suchen.

Maury’s Bestrebungen gingen dahin, diesen „getreuen Eckhardt des Meeres“ auf jeder gefährlichen Klippe der Küsten zu postiren; die Nachrichten von der „wilden Jagd“ sollte ihm ein großes System correspondirender meteorologischer Observatorien liefern. Sie wurden, wie gesagt, von den Regierungen wenig unterstützt.

Da meldeten im Jahre 1852 zwei Schiffe, die, arg beschädigt, im Hafen von New-York einliefen, daß sie zwei Tage vorher einen der schönsten Dampfer der nordamerikanischen Flotte, den „San Francisco“, der Truppen nach Californien führte, mit seiner reichen Ladung an Menschenleben in großer Noth gesehen hätten. Ein mächtiger Orcan hätte die Gewässer des Golfstromes [784] an der Ostküste von Florida zu bergeshohen Wellen aufgewühlt, auf denen das schöne Schiff, entmastet, mit beschädigter Maschine, hülflos, aber pfeilschnell vor dem Sturme hingetrieben sei.

Es galt dem Schiffe Hülfe zu senden. Wie aber vor Allem es zu finden?! Maury war zugegen. Fast zur selben Stunde lieferte ihm das Observatorium zu Washington die Thatsachen, die den Lauf des in Frage befindlichen Orcans bestimmten. In sicheren Streichen wurde er auf eine Karte eingetragen, mit der ausgerüstet zwei Dampfavisos in See gingen. Zwei Tage später lief in New-York die frohe Botschaft ein, die Avisos hätten, den vorgeschriebenen Cours haltend, fast genau auf der von Maury in der Unendlichkeit des Weltmeers bezeichneten Stelle, das Schiff im Augenblicke des Sinkens getroffen und wären glücklich genug gewesen, alles Lebende an Bord zu retten.

Einige Stunden Unsicherheit des Suchens hätten über fünfhundert Menschen das Leben gekostet! Die Thatsache machte ungeheures Aufsehen unter den seefahrenden Nationen und öffnete mit Einem Schlage alle Gemüther den Ideen Maury’s. Das Resultat war das Zusammenbringen des „Internationalen meteorologischen Congresses“ zu Brüssel im Jahre 1853, auf dem durch Feststellung eines allgemeinen Logbuchs den sämmtlichen meteorologischen Beobachtungen zur See auf der ganzen Welt vergleichbare Form gegeben wurde. Auch die Auspostirung des „getreuen Eckhardt“ wurde beschlossen, aber nur die Regierungen von Nordamerika und von England (und von Frankreich zum Theil) haben den Beschluß bis jetzt ausgeführt.

In den Händen des energischen, gelehrten und geistvollen Admiral Fitzroy erhielt das System von Sturmsignalen, durch welche England seine Küsten warnend umgiebt, einen bewunderungswürdigen Organismus. Sobald eine der ungefähr hundert meteorologischen Observationsstellen in England die Anzeichen eines Sturmes empfängt, hat sie davon telegraphische Nachricht an das Central-Observatorium zu Greenwich zu geben. Diese Depeschen gehen allen andern, selbst den Staatsdepeschen, im Range vor. Das Greenwicher Observatorium construirt aus den verschiedenen Beobachtungen, die ihm zufließen, sofort den ungefähren Lauf des Cyclon, und wenig Minuten darauf erheben sich, telegraphisch angewiesen, an den bedrohten Küstenstellen die sorgfältig dafür construirten, fern hinaus in’s Meer sichtbaren Tag- und Nachtsignale. Ein mit der Spitze nach oben aufgehißter großer Konus bedeutet „Sturm aus Nord“, in umgekehrter Lage „Sturm aus Süd“ u. s. w., ein Cylinder zeigt „Symptome der Sturmbildung“ an. Bei Nacht ersetzen Constellationen von Lichtern diese Zeichen.

Nicht immer folgt den Indicien ein heftiger Sturm, nicht immer berührt er genau die bezeichneten Stellen, aber besser, daß zehn Mal umsonst Vorsichtsmaßregeln getroffen werden, als daß ein Mal der rasende Windgeist die Schiffe im Schlafe überfalle.

Leverrier proponirte 1855 ein ähnliches System der Küstensicherung dem Kaiser Napoleon und 1860 wurden die Sicherheitssignale zu Dünkirchen, Havre, St. Malo, Dieppe, Cherbourg, Brest, Nantes u. s. w. vom Pariser Observatorium aus dirigirt. Es konnte nicht fehlen, daß, besonders im Anfange, die alten „Meerwölfe“, die ein Gran Praxis für schwerer erklären als ein Pfund Wissenschaft, zu des alten Admiral Fitzroy’s curiosen Zeichen lachend die Köpfe schüttelten. Auch hier sollte ein finstres Ereigniß der Aufklärung mehr Jünger schaffen, als viele Jahre Weisheitsprediger. Im Juli 1858 verkündeten die Fitzroy’schen Signale an einem klaren, ruhigen Morgen in der Nähe von Newcastle die Bildung eines Cyclons. Keine der gewöhnlichen praktischen Wetterregeln bestätigte die Prophezeiung und von über hundert Fischerbarken, die zu Tynemouth lagen, verließen mehr als achtzig, der Signale spottend, den Hafen. – Am Abend war die Küste meilenweit mit ihren Trümmern und mit Leichen bedeckt und nur die zehn bis zwölf Barken, die, den Signalen gehorchend, sich hatten verhöhnen lassen, waren gerettet.

In diesem Augenblicke stehen außer den einheimischen etwa hundert internationale Observatorien mit Paris und Greenwich in Rapport, die jeden Tag früh acht Uhr ihre Berichte erstatten, aus denen die nützlichen Schlüsse gezogen und an die betheiligten Orte telegraphirt werden.

Den Segen, den die Inslebenführung dieser Ideen, zu deren Hauptträgern Maury gehört, hervorbrachte, in Millionen von Pfunden Sterling ausdrücken zu wollen, wäre vergebliches Bemühen. Nur eine Ahnung davon, von welch’ unermeßlichem Einflusse jede sichernde Maßnahme dieser Art sein muß, soll es gewähren, wenn wir hier nach den officiellen Quellen des englischen Schiffbruch-Register mittheilen, daß ungefähr dreimalhunderttausend Schiffe das Meer befahren und die Verfrachtungen von und nach England allein jährlich 1400 Millionen Centner, im Werth von 3500 Millionen Thaler betragen. Jährlich scheitern durchschnittlich eintausendfünfhundert Schiffe an der englischen Küste allein, von denen fünfhundert total verloren gehen! Vier- bis fünftausend Menschen gerathen dabei in entschiedene Lebensgefahr und achthundert bis eintausend Menschen kamen bis vor Kurzem elend dabei um.

Nun wohlan! Es darf ein leuchtendes Resultat kräftigen Strebens genannt werden, daß, seitdem die Fitzroy’schen Sturmsignale, in Verbindung mit der frei aus der Thatkraft der englischen Nation heraus geschaffenen edelsten aller Flotten, der der Lebensrettungsboote, bestehen, dieser Verlust an Menschenleben fast auf die Hälfte herabgedrückt worden ist! Der in stillem Gemache grübelnde Geist der Wissenschaft, das Wirken hinter der bleichen, in tiefer Nacht über das schweigende Blatt gebeugten Denkerstirn, giebt aus dem offenen Grabe des brüllenden Oceans fünfhundert Gatten, Väter, Brüder jährlich, an der Küste Englands allein, der Liebe und dem Vaterlande zurück!! –

„Nichts Heiliges giebt’s für den Sapeur,“ sagt das französische Sprüchwort, das sich auch mit: „Der politische Fanatismus kennt keine Propheten“ übersetzen läßt. Der treue Herr Helfer in Meeresnöthen, der Erkenner der Stürme des Himmels, verechnete sich im Laufe des großen politischen Orcans, der Amerika durchtobte. In den Südstaaten geboren, in südstaatlichen Ideen aufgezogen, neigte der Bekämpfer der Elemente stark auf die Seite der Sclavenbarone und verlor demzufolge nicht allein seine einträgliche und, was ihm wichtiger war, hülfsquellenreiche Stellung am Observatorium in Washington, sondern auch Hab’ und Gut und den Rest seiner durch rastlose Thätigkeit untergrabenen Gesundheit, so daß er, fast vom Nöthigen entblößt, nach England kam.

Die siegreichen amerikanischen Freistaaten kannten auch kein Dankgefühl für ihren berühmten Mitbürger, der ihr politischer Gegner gewesen war. Zum Glück und zu ihrer Ehre ließen sich die anderen seefahrenden Nationen die Gelegenheit nicht entgehen, wirksam Maury’s segensreiches Schaffen anzuerkennen.

Französische und englische Blätter forderten laut auf, ihm die Mittel zu neuem Wirken zu gewähren. Am offensten aber reichte ihm ein Fürst von klarem Blick und offenem Herzen für die Anerkenntniß geistiger That, der Großfürst Constantin, Großadmiral von Rußland, die Helferhand, indem er ihm am 27. Juli 1861 von Petersburg aus schrieb:

„Mein theurer Capitän Maury! Die Nachricht, daß Sie einen Dienst verlassen haben, der Ihren großen und erfolgreichen Arbeiten so viel verdankt, hat auf mich und meine Waffengefährten einen sehr peinlichen Eindruck gemacht. Ihre unermüdlichen Forschungen haben die großen Gesetze enthüllt, welche die Strömungen in Luft und Ocean regieren, und Ihr Name ist durch sie unter diejenigen gereiht worden, die zu allen Zeiten nicht allein die Männer von Fach, sondern Alle, die ein Herz für große menschliche Bestrebungen haben, mit Dankbarkeit und Ehrfurcht nennen werden!

Es ist kaum nöthig, daß ich erwähne, wie wohlbekannt Ihr Name in Rußland ist, und obwohl wir noch oft genug Barbaren genannt werden, so verstehen wir doch in Ihrer Person edle und uneigennützige, der Wissenschaft und der Menschheit geleistete Dienste zu ehren. Aufrichtig die Unthätigkeit bedauernd, zu der Sie das politische Wirrsal in Ihrem Vaterlande verurtheilt hat, fühle ich mich getrieben, Sie zu zeitweiliger Uebersiedelung hierher dringend einzuladen, wo Sie Ihren so nützlichen Lieblingsbeschäftigungen in Frieden nachgehen können. Ihre Stellung hier soll eine vollkommen unabhängige sein, keine Bedingungen oder Verträge sollen Sie binden und es soll Ihnen freistehen, jeden Augenblick über den Ocean heimzusteuern, wenn Sie es nicht vorziehen sollten, in diesem Winkel der baltischen See Anker zu werfen. Es würde mir ein besonderes Genügen gewähren, für Ihr materielles Wohlergehen hier zu sorgen und Ihnen Ihre neue Heimath so comfortable als möglich zu machen. Es versteht sich, daß Ihnen die Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen, die Ihnen gestatten, Ihre Forschungen in gewohnter Weise fortzusetzen. [785] Ich erhoffe nun Antwort von Ihnen, und das Vergnügen, bald hier einen so berühmten Seeofficier zu begrüßen, dessen persönliche Bekanntschaft zu machen ich begierig bin und den Rußland mit Stolz auf seinem Boden willkommen heißen wird. Glauben Sie, theurer Capitän Maury, daß Ihnen alles Gute wünscht Ihr ergebener Constantin, Großadmiral von Rußland.“

Was Maury veranlaßte, auf dies prächtige Document fürstlichen Respectes vor selbstgeschaffener Größe ablehnend zu antworten, ist unbekannt geblieben; gewiß ist, daß dies den Großfürsten nicht abhielt, vier Jahre später tausend Guineen zu einem Ehrengeschenke für Maury zu steuern. Auch Frankreich richtete durch den Prinzen Napoleon eine ähnliche, aber ebenfalls abgelehnte Einladung an Maury, der fortfährt als freier Privatmann von seiner Thätigkeit in London zu leben. Das erwähnte Ehrengeschenk, zu dessen Ansammlung Holland aufgefordert hatte, wurde, dreitausend Guineen an Werth, Maury am 5. Juni dieses Jahres durch den Präsidenten des Institutes von England, Sir John Pakington, bei einer zu seiner Ehre veranstalteten Festlichkeit überreicht. Nicht Epaulette und Ordensstern glänzten hier, aber alle Fächer des Wissens, alle Arten des Ruhmes hatten sich beeifert, ihre Sterne um die Tafel zu gesellen, an der des mittellosen von Amt und Würden vertriebenen Maury bescheidene Gestalt präsidirte. Die Fürsten im Reiche des Wissens und Kennens tagten, um einem Ebenbürtigen, einem jener wahrhaft von Gottes Gnaden der Welt Gegebenen zu zeigen, daß er ihrem Herzen lieb sei, wie ihrem Kopfe werth, ein echter Finder der Pfade der Humanität.