Der Reiz der Korrespondenz

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Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Der Reiz der Korrespondenz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 35
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[035] Der Reiz der Korrespondenz. Unter die bezeichnendsten Merkmale unserer Zeit gehört die große Scheu vor dem Briefschreiben, welche fast allen hervorragenden Geistern gemeinsam ist. Ein bekannter Autor, der zu seinem Vergnügen korrespondirt, dürfte heut zu Tage eine große Seltenheit sein. Wie anders war dies im vorigen Jahrhundert! Rousseau erzählt zur Illustration seiner ungemessenen Schreibelust, daß, als er eines Tages von einem Menschen las, welcher sich manchmal absichtlich von seiner Geliebten entfernte, nur um ihr schreiben zu können, er selbst bei dieser Lektüre, im Innersten getroffen, ausrief. Aber das bin ja ich!

Noch viel komischer für uns klingt aber eine Erzählung der Frau v. Staël, welche von einem Landaufenthalt im Freundeskreise unmittelbar vor ihrer Verbannung 1804 Folgendes berichtet:

„Wir hatten die Erfindung gemacht, uns nach dem Diner an einen grünen Tisch zu setzen und, statt zu plaudern, uns gegenseitig Briefe zu schreiben. Diese vielfachen, veränderlichen tête-à-tête amüsirten uns so herrlich, daß wir kaum das Aufstehen vom Tisch erwarten konnten, wo wir mit einander sprachen, nur um uns wieder schreiben zu können.

Kamen zufällig Fremde, so standen wir deßhalb von der liebgewordenen Gewohnheit nicht ab, sie mußten mitthun, und unsere „kleine Post“, wie wir sie nannten, ging unaufhaltsam ihren Gang weiter.“

Sie erzählt dann, wie sich die geistreiche Gesellschaft an einem zufällig herein gekommenen dicken Landjunker ergötzte, der zu ihrem Treiben große Augen machte und darauf hin von der liebenswürdigen Madame Recamier sofort mit einem graziösen Billett bedacht wurde, dasselbe aber zurückschob, indem er sich verlegen entschuldigte, „bei Licht nichts Geschriebenes lesen zu können“. Die Billetts der so berühmt schönen und bezaubernden Frau standen freilich anderwärts höher im Preise, und die Gesellschaft hatte wohl Ursache, über eine solche Abweisung Thränen zu lachen.

Bekanntlich hat Frau von Staël ihr „Exil“ an den Ufern des Genfer Sees, im Genuß eines großen Vermögens, nur deßhalb so unerträglich gefunden, weil es sie von dem Reiz jener unermüdlichen Pariser Konversation ausschloß, die heute auch den Geistreichsten mehr Last als Vergnügen sein würde. Diese sitzen heute erholungsbedürftig und voll seliger Andacht im Anschauen derselben wundervollen Seeufer verloren, über welche Frau von Staël unmuthig ausrief: „Ach, wie viel schöner war doch der Rinnstein in der Rue du Bac!“ So ändern sich die Zeiten und Menschen in hundert Jahren. –