Der geheimnißvolle Doctor

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Autor: Moritz Alsberg
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Titel: Der geheimnißvolle Doctor
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 823–825
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: James Barry
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Der geheimnißvolle Doctor.[1]


Vor etwa zwei Jahren starb in England ein Dr. James Barry. Ein halbes Jahrhundert mag etwa verstrichen sein, seitdem derselbe in der Capstadt landete, wo er die Stelle eines Assistenz-Wundarztes (assistent-surgeon) bei den am Cap stationirten englischen Truppen bekleidete. Seine äußere Erscheinung hatte wenig Einnehmendes, er war von kleiner schmächtiger, selbst unproportionirter Figur und hatte ein sehr junges, man konnte fast sagen jungenhaftes Aussehen. Er brachte einen Empfehlungsbrief von einem der bekanntesten schottischen Adeligen an den Gouverneur der Colonie, Lord Charles Somerset, mit, wodurch ihm von vornherein eine freundliche Aufnahme zugesichert war. Sein Diplom bewies, daß er in Edinburgh promovirt war und zwar in dem außergewöhnlich frühen Alter von fünfzehn Jahren. Diese Altersangabe verdient übrigens wenig Glauben, da ein Taufschein unseres Wissens nicht vorhanden war. Die niedrigen Grade der ärztlichen Militärcarriere, so hieß es, habe er nicht durchgemacht, sondern sei abweichend von Reglement und Brauch sofort zu der Stelle, die er jetzt inne hielt, befördert worden. Wenn dies sich so verhält, so würde dies freilich kein günstiges Licht auf die Bildung der englischen Militärärzte – wie sie vor fünfzig Jahren war – werfen. Sei dem aber wie da wolle, Dr. Barry wurde einstimmig in Capetown (wie noch jetzt lebende Zeitgenossen des Doctors versichern) für einen geschickten und in jedem Zweige seines Fachs tüchtigen Arzt erklärt, der mit Liebe an seinem Berufe hing und sich das Vertrauen seiner Patienten in hohem Grade zu erwerben wußte.

Hierbei kam ihm auch ein selbstbewußtes, man konnte fast sagen, anmaßendes Benehmen zu Statten, das bei Vielen Vertrauen erwecken mochte; sagt doch Mephistopheles:

„Wenn Ihr Euch nur selbst vertraut,
Vertrauen Euch die andern Seelen.“

Wenn Dr. James – so pflegte man ihn kurzweg in Capetown zu nennen – zu einem Kranken gerufen wurde und dieser der Krankheit erlag, so lautete das allgemeine Urtheil: Dr. James wurde zu spät hinzu gezogen; kam der Patient davon, so hatte Barry das Verdienst, ihn gerettet zu haben, und die Dankbarkeit der Angehörigen war ihm sicher.

Er sprach nie von seinen Verwandten und Freunden; daß er aber solche und zwar einflußreiche besaß, darüber herrschte kein Zweifel. Denn einige räthselhafte Umstände, die schon damals den Bekannten des jungen Arztes viel Kopfzerbrechen machten, wiesen darauf hin, so vor Allem seine kostspielige Lebensweise, die zu bestreiten sein Gehalt als Assistenzarzt nicht ausgereicht haben würde. Er hielt sich ein Pferd und besoldete einen Bedienten. In den Speisen, die er genoß, war er wählerisch und zugleich ein Sonderling. Er berührte niemals Fleisch, sondern lebte fast ausschließlich von Pflanzenkost. Kartoffeln und Aepfel durften nie auf seiner Tafel erscheinen, dagegen mußte man ihm stets die besten Gemüse und seltensten Früchte, Pfirsiche, Melonen, Ananas und dergleichen mehr, verschaffen. Von Getränken genoß er außer Wasser nur Kaffee und bei Unwohlsein bisweilen einen Schluck Champagner. Uebrigens machte er, trotz dieser kostspieligen Lebensweise und obwohl er – wie man ihn selbst hat sagen hören – kein eigenes Vermögen besaß, doch niemals Schulden.

Viele Umstände vereinigten sich, um die gesellschaftliche Stellung des jungen Arztes zu einer sehr angenehmen zu gestalten. Seine Empfehlungsbriefe führten ihn in die höchsten Kreise der an Officieren, Beamten und begüterten Handelsherren reichen Capstadt ein. Bald wurde er selbst Hausarzt des Gouverneurs, welcher ihn in jeder Weise begünstigte, ja mehr noch, der ihn verwöhnte. Ob der Letztere geheime Instructionen bekommen hat, wissen wir nicht; doch es steht fest, daß er den jungen Doctor von allem anstrengenden Dienst entband und ihm jedmögliche Freiheit gewährte, die das Reglement zuließ; auch hätte James seiner schwächlichen Constitution halber keinerlei Strapazen ertragen können.

Der junge Arzt, welcher auf seine bevorzugte Stellung pochte, nahm sich übrigens Manches heraus, was ihm zu Zeiten eine wohlverdiente Lection zuzog. So machte er eines Tages im Arbeitscabinet des Gouverneurs – in das er unangemeldet Zutritt hatte – einige satirische Bemerkungen über ein dort liegendes Actenstück, und seine spöttische Zunge ruhte nicht eher, als bis der Gouverneur in gerechtem Zorn den kleinen Mann am Kragen der Uniform faßte, zum Fenster hinaushob – dasselbe befand sich nur einige Fuß hoch über dem Erdboden – und ihn in freier Luft schwebend nach Leibeskräften schüttelte. Jetzt bat James natürlich um Verzeihung, die ihm auch zu Theil wurde. Doch hatte dieses Abenteuer ein anderes zur Folge, das leicht seiner Carriere ein frühes Ziel hätte setzen können. Die Züchtigung, die James erlitten, wurde bald bekannt und Neckereien und spöttische Bemerkungen konnten nicht ausbleiben. Wenige Tage nach diesem Vorfall begegnete er auf einem der öffentlichen Spaziergänge der Capstadt einem Officier, der vor Allen sarkastische Bemerkungen über den Liebling des Gouverneurs gemacht hatte. In gereizter Stimmung stellte er [824] denselben zur Rede und es erfolgte ein heftiger Wortwechsel, worin der junge Doctor mit seiner schrillenden Stimme keineswegs den Kürzeren zog. Das Resultat war eine Herausforderung zum Duell, welches auch am folgenden Tage stattfand, doch ohne erhebliche Verwundung endete. Dann versöhnten sich die Duellanten und blieben treue Freunde auf Lebenszeit. Der Gouverneur, dem dieser Vorgang nicht verborgen blieb, zog es vor, über diese wie über so manche andere Thorheit seines Günstlings ein Auge zuzudrücken.

Nach einigen Jahren wurde James zum Posten eines Stabsarztes (surgeon at the staff) befördert. Dabei nahm seine Praxis immer mehr zu und er wurde bald einer der gesuchtesten Aerzte der Capstadt. Sein von Selbstbewußtsein getragenes Benehmen, ein gewisser Grad von Charlatanerie, ja sogar sein erregbares Temperament und seine Sonderlingseigenschaften wirkten bei Vielen als Anziehungsmittel. Obwohl er sich gegen seine Collegen ziemlich rücksichtslos benahm (so ließ er z. B., sobald er die Behandlung eines Patienten übernahm, alle vorher angewandten Arzeneien aus dem Krankenzimmer schaffen), so hielten ihm diese doch Vieles zu Gute und er stand meistens mit denselben in gutem Einvernehmen. Eines seiner beliebtesten und ein in vielen Fällen heilsames Mittel war ein Bad in dem feurigen, kräftigenden Capwein. Auf seinem Pony, von dem schwarzen Diener und einem kleinen Hund – Psyche mit Namen – begleitet, ritt er in der Stadt von Haus zu Haus und in der malerischen Umgebung der Capstadt umher, wohin ihn eben sein Beruf führte. Jedes Kind kannte das vierblättrige Kleeblatt, welches als Wahrzeichen der Stadt hätte dienen können.

Nach mehrjährigem Aufenthalte am Cap kehrte Barry nach England zurück, um von da sogleich zur Armeestation auf Malta befördert zu werden. Dort jedoch – sei es, daß ihm das Klima nicht zusagte, oder daß man sein Verdienst nicht genügend zu würdigen wußte – gefiel es ihm nicht und er traf plötzlich, ohne nur einmal um Urlaub nachgesucht zu haben, in England wieder ein. Er pflegte herzlich zu lachen, wenn er sein unerwartetes Erscheinen vor dem Generalarzt in London beschrieb. „Mein Herr,“ sagte dieser, „ich begreife nicht, wie Sie sich in solcher Art und Weise bei mir melden können; Sie gestehen ein, daß Sie ohne Urlaub hierher zurückgekehrt sind. Darf ich Sie fragen, wie sich dies verhält?“

„Gewiß,“ antwortete James, indem er mit seinen langen, dünnen Fingern durch sein lockiges Haar fuhr, „ich bin zurückgekommen, um mir mein Haar schneiden zu lassen.“

Wie schon oft zuvor, ging er auch dieses Mal straflos aus. Zu wiederholten Malen überschritt er die Dienstordnung, ohne sich je eine ernstere Strafe als die Rüge seiner Vorgesetzten zuzuziehen. Ja, er rühmte sich selbst, daß ihm die Wahl des Ortes, wo er stationirt sein wolle, freistehe. Dies war wirklich der Fall und erregte nicht wenig den Neid seiner Cameraden, die sich in allerlei Vermuthungen erschöpften.

Sein nächster Garnisonsplatz war auf St. Helena. Man sollte von vornherein nicht glauben, daß er sich freiwillig diese öde Klippe zum Wohnort auserkoren haben würde; doch verhielt sich dies so: Das Klima der Insel sagte ihm zu und die vorzüglichen Früchte, welche dieselbe hervorbringt, fielen bei seiner Wahl schwer in’s Gewicht. Auch hier führten ihn seine Empfehlungsbriefe in die besten Kreise ein. Er miethete ein Haus, nicht weit von jener denkwürdigen Stätte, wo zwanzig Jahre vorher der große Verbannte seinen Riesengeist ausgehaucht hatte.

Dr. James war hier oberster Arzt der Garnison, und obwohl er bereits vierundzwanzig Jahre lang prakticirt hatte, so hätte man ihn seiner äußeren Erscheinung nach kaum für mehr als einen Dreißiger halten können. Sein Gang war freilich etwas schwankend, dagegen gaben ihm sein glattes Gesicht, sein blondes Haar, seine helltönende Stimme und eine Reihe glänzender Zähne ein noch jugendliches Aussehen. Seine kostspielige Lebensweise setzte er auch hier fort, nebenbei aber war er, wie seine nächsten Bekannten versichern, sehr mildherzig gegen Hülfsbedürftige und im Stillen ein Wohlthäter der Armen. Seine Erscheinung wird als sehr auffallend, in Uniform selbst caricaturenhaft-lächerlich geschildert. Er trug zwei Zoll hohe Absätze und dabei noch drei Zoll dicke Sohlen in den Stiefeln, an denen ein paar mächtige Sporen klirrten. Man denke sich hierzu einen gewaltigen Dreimaster keck auf den blonden Lockentopf gestülpt und einen schweren Dragonersäbel an der Seite, und die seltsamste aller Figuren ist fertig. Auch auf St. Helena erschien Dr. Barry gewöhnlich auf dem Rücken seines Pony; ob desselben, dessen er sich am Cap bediente, wissen wir nicht. Das Rößlein war vorsorglich vom Kopf bis zum Schweif mit einem großen Musquitonetze bedeckt, während der Doctor selbst zum Schutze gegen die sengenden Strahlen der Tropensonne einen Regenschirm von gewaltigen Dimensionen im Reiten über seinem Kopfe balancirte. Beiläufig sei hier noch seines Sattels gedacht, der, wie sein Besitzer, ein Unicum war. Weichgepolstert und vorn und hinten mit hoher Vor- und Rücklehne versehen, glich er mehr einer Kinderwiege, als einem Sattel, und obwohl es mühsam sein mochte, sich in denselben hineinzuzwängen, so war dagegen ein Herabfallen fast unmöglich.

Auch auf St. Helena erwarb sich James einen großen ärztlichen Ruf und soll einige bedeutende Curen, darunter mehrere größere Operationen, gemacht haben. Die Soldaten mochten ihn gut leiden und hatten großes Vertrauen in seine Geschicklichkeit, obschon er im Dienste streng war. Wenn er im Hospitale erschien, so mußte jeder auf seinem Posten sein, und wehe dem Untergebenen, der im Geringsten von den ertheilten Instructionen abwich. Auch bildete der Gouverneur und dessen Familie James’ Hauptumgang. Jener war ihm gewogen, zog ihn in Krankheitsfällen zu Rathe und hörte geduldig zu, wenn der Doctor von vergangenen Zeiten und von seinen Bekannten unter der englischen Aristokratie sprach, wobei er häufig die hochgestelltesten Personen einer scharfen Kritik unterwarf. Wenngleich sich James in Wort und Handlung sehr viel herausnahm, so ließ sich der Gouverneur doch eine Zeit lang dies Alles ruhig gefallen, bis endlich der folgende Anlaß ihn zum Einschreiten nöthigte.

Eines Tages fing der Doctor in mißgelaunter Stimmung Streit an mit einem Officier der Garnison. Es folgte eine Herausforderung, die aber James dieses Mal, und zwar in höchst unziemlicher Weise, ablehnte. Dies hatte zur Folge, daß er nicht nur aus dem Officiers-Club (garrison-mess), dem er bisher als Ehrenmitglied angehörte, ausgestoßen, sondern auch, daß eine Untersuchungscommission niedergesetzt wurde. Dieselbe erkannte, daß er sofort als Arrestant nach England transportirt werde.

So sagte er denn der Insel Lebewohl, auf der er etwas über ein Jahr gelebt hatte. Ein Augenzeuge, der seinem Abschiede beiwohnte, schildert denselben folgendermaßen: „Es war an einem jener drückend schwülen Morgen, wie sie den Tropengegenden eigen sind, als Dr. Barry die steile, von Jamestown zur Meeresküste führende Straße herabgeritten kam. Der Hufschlag seines Pony, verstärkt durch das Echo der steil überhängenden Felsenwände, unterbrach den tiefen Schlaf, in dem die ganze Insel begraben lag. Der Doctor erschien heute ausnahmsweise in Civilkleidung und sah sehr abgemagert und verfallen aus. Eine blaue Jacke bedeckte lose den Oberkörper, während seine Beine in einer weißen Hose, die dreimal zu groß für ihn war, umherschlotterten. Von seinem breiträndrigen Strohhut wehte ein dichter Schleier, der sein Gesicht den Blicken der Neugierigen entzog. In den Händen trug er auch dieses Mal den unvermeidlichen Regenschirm. Heute präsentirte keine Schildwache das Gewehr, als er vorbeiritt, doch schaute manches Auge theilnahmsvoll ihm nach, als er nun in Begleitung des treuen Dieners, des Pferdes und des Hundes das seiner harrende Boot bestieg.“

Auch jetzt nahm ihn eine geheimnißvolle Macht in ihren Schutz, denn, in England angekommen, wurde er sofort in Freiheit gesetzt. Ueber seine späteren Lebensereignisse will ich kurz hinweggehen, da ich ohnehin die Geduld des Lesers zu ermüden befürchte. Er verbrachte eine Reihe von Jahren in verschiedenen anderen britischen Colonien, bereiste Griechenland, durchkreuzte das mittelländische Meer und besuchte zu zwei verschiedenen Malen die westindischen Inseln. Hier war es, wo er einem Freunde den Eid abnehmen wollte, ihn nach seinem Tode in den Kleidern, in denen er stürbe, zu begraben. Dieser weigerte sich indessen, den Schwur zu leisten; auch fing James deshalb keinen Streit an, da er mit den Jahren versöhnlicher gestimmt und weniger abstoßend wurde. Seine zweite Reise nach Westindien machte er als Freiwilliger, um der Kälte des nordischen Winters zu entgehen. Dabei behauptete er jedoch, daß Liebesgram und financielle Bedrängnisse ihm das Vaterland verleidet hätten. Seine Angaben klingen allerdings nicht sehr glaubhaft. Ein Verhältniß zu einem jungen, reizenden Mädchen – so erzählte er – sei von deren Verwandten abgebrochen worden, [825] während seine Papiere, Werthgegenstände und dergleichen sich an Bord eines Schiffes befunden hätten, welches untergegangen sei.

Im Sommer 1865 kehrte er in Begleitung seines schwarzen Dieners John nach England heim. Zu dieser Zeit muß er wenigstens siebenzig Jahre alt gewesen sein. Er war jetzt sehr schwach und kränklich, doch standen seine Freunde aus früheren Jahren ihm treulich zur Seite. Damen, deren Bekanntschaft er am Cap gemacht hatte, holten ihn zu Spazierfahrten ab und luden ihn zu Diners ein, wobei die Tafel meist mit den seltensten Südfrüchten und Leckerbissen beladen war. Wie man sagt, machte er sich selbst Hoffnung auf den Bathorden und hatte sich eine ganz neue Uniform bestellt, um beim nächsten Lever der Königin vorgestellt zu werden.

Allein das Schicksal wollte es anders. Fiebernd und vor Kälte bebend kam er eines Abends von einer Spazierfahrt in seine Wohnung zurück und legte sich sogleich zu Bette. Am andern Morgen trat John in das Schlafzimmer seines Herrn, um, wie gewohnt, dessen Leibwäsche herauszulegen. Sechs Handtücher durften bei James’ Toilette niemals fehlen, und obwohl der Bediente nie im Zimmer geduldet wurde, während sein Herr sich wusch und ankleidete, so hatte John doch so viel bemerkt, daß der Doctor seine hagere, abgezehrte Figur beim Waschen in diese Tücher zu wickeln pflegte. Nebenbei sei hier noch bemerkt, daß James sich an regelmäßige Blutentziehungen (bald durch Aderlaß, bald durch Blutegel) gewöhnt hatte oder wenigstens solche in periodischen Zwischenräumen zu wiederholen vorgab.

Am besagten Morgen – es war ein Sonntag – fand John seinen Herrn sehr schwach und angegriffen. Er wollte einen Collegen und Freund des Doctors herbeiholen, aber dieser duldete es nicht. Den ganzen Tag über lag der „General“ (eine Abkürzung für General-Arzt, mit welcher der Bediente seinen Herrn zu tituliren pflegte) in Fieberphantasien da. Gegen Mitternacht kam er zu sich und trank auf John’s inständige Bitten einen Schluck Champagner mit Wasser verdünnt – sein gewöhnliches Zufluchtsmittel in Krankheitsfällen –, dann nöthigte er den Bedienten, für den er eine außergewöhnliche Zärtlichkeit an den Tag legte, selbst eine Stärkung zu sich zu nehmen. Es war, als ob Dr. Barry heute mehr als sonst das Bedürfniß fühlte, sein Herz auszuschütten. So sagte er unter Anderem: „Ich führe jetzt ein einsames Leben; die Freunde meiner Jugend sind längst dahin geschieden; doch habe ich immer noch Freunde, die, wenn ich nicht mehr bin, Deine treuen Dienste belohnen werden. Nun aber,“ fuhr er fort, „lege Dich im Nebenzimmer hin, Du hast selbst Ruhe nöthig. Ich bedarf Deiner Hülfe jetzt nicht, denn ich bin sehr schläfrig.“

Und der ersehnte Schlaf kam, aber es war der Schlaf, aus dem es kein Erwachen giebt. Als John bei Tagesanbruch das Krankenzimmer betrat und die Bettvorhänge von einander schlug, fand er den „General“ todt; die Augen waren geschlossen, die Gesichtszüge ruhig; der Tod war offenbar ohne Schmerzen eingetreten. John deckte die Leiche zu und stieg hinab in die Küche, wo er eine Krankenwärterin traf, welche er bat, dem todten „General“ sein Sterbekleid anzuziehen. Dann zog er sich in sein eigenes Zimmer zurück und legte sich, erschöpft vom Wachen, zum Schlafen nieder. Kaum aber hatte er die Augen geschlossen, als die Wärterin herein eilte und zu ihm sagte: „Was soll das heißen? Sie fordern mich auf, die Leiche eines Generals anzukleiden, und ich finde die Leiche einer Frau vor!“

Die allgemeine Ueberraschung, welche dieser Entdeckung folgte, möge der Leser sich selbst ausmalen. Der General-Registrator ordnete, als er diese Nachricht erhielt, sogleich eine gerichtsärztliche Untersuchung der Leiche an, welche denn als unzweifelhaft herausstellte, daß der verstorbene Dr. James Barry, der nahezu fünfzig Jahre im Dienste der englischen Regierung gestanden, nicht nur ein Weib, sondern auch Mutter gewesen sei.

Auch unsern John überraschte diese Entdeckung auf’s Höchste. Es war ihm freilich bisweilen ein Verdacht aufgestiegen, daß es mit dem Doctor nicht ganz richtig sei, doch hatte er sich solche Gedanken immer rasch wieder aus dem Sinne geschlagen. Ebenso mochte es den meisten Bekannten Dr. Barry’s ergangen sein; allerlei Gerüchte in Betreff seiner waren in Umlauf gewesen, den wahren Sachverhalt jedoch hatte keiner gewußt.

Ich habe nur noch wenig hinzuzufügen. Dr. James Barry wurde im Juli 1865 zu Kensal Green, einer Vorstadt Londons, begraben. Ein Testament war nicht vorhanden; auch war ein solches unnöthig, denn obwohl er – oder vielmehr sie – während ihrer nahezu fünfzigjährigen Praxis bedeutende Summen verdient haben muß, so hinterließ sie doch keinen Penny. Ihre wenigen Effecten wurden bevollmächtigten Agenten eingehändigt und am Tage nach ihrer Beerdigung erschien ein Livrée-Bedienter, um den werthvollsten Nachlaß der Verstorbenen, den treuen Hund, in Empfang zu nehmen. Derselbe Bediente händigte dem treuen John eine nicht unbedeutende Geldsumme ein, die mehr als genügend war, um dessen Rückkehr in seine Heimath – eine von den westindischen Inseln – zu bestreiten. Von wem aber das Geld kam, welches er erhielt, ist unbekannt geblieben. Der Schleier des Geheimnisses, der das Leben der merkwürdigen Frau bedeckte, ist auch nach ihrem Tode nicht gelüftet worden. Bis jetzt hat man weder gehört, ob ihr Kind noch am Leben ist, noch ob andere Verwandte von ihr existiren. Sollte die Zukunft hierüber irgend welche Aufklärungen bringen – und vielleicht geschieht dies eben mit Hülfe der ja auch in England so viel gelesenen Gartenlaube – so werde ich nicht verfehlen, die Leser derselben hiervon in Kenntniß zu setzen.[2]




  1. Ich erlaube mir den Lesern der „Gartenlaube“ in nachfolgender Skizze die Biographie einer Persönlichkeit zu geben, die in der Capcolonie ihre Laufbahn begonnen hat. Die eigenthümliche Entdeckung, die nach ihrem Tod stattfand, hat mit Recht in zweien Welttheilen großes Aufsehen erregt und eine Zeitlang das Tagesgespräch gebildet. – Möge diese Erzählung nur halb das Interesse erregen, mit dem wir Deutschen in diesem entfernten Winkel der Erde die Aufsätze der Gartenlaube verfolgen, die uns regelmäßig aus der lieben Heimath zukommt.
    Dr. M. Alsberg, Graaff-Reinet (Cap der guten Hoffnung).
  2. Wir bitten ausdrücklich darum und würden auch andere Beiträge aus der Feder des deutschen Landsmanns am Cap der guten Hoffnung gern und dankbar entgegennehmen.
    D. Red.