Des Capitains Frau

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Titel: Des Capitains Frau
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[75]

Des Capitains Frau.

Eine amerikanische Geschichte.

Nach mehrjähriger Abwesenheit von meiner Vaterstadt, hatte ich kürzlich die Freude sie einmal besuchen zu können, und war nach einigen Tagen Aufenthalt dort, die ich auf das Angenehmste mit meinen Freunden verbracht, eben wieder im Begriff die stillen wohnlichen Straßen Philadelphias zu verlassen.

Noch vor der Morgendämmerung stand ich, zitternd von Frost, in meinen dicken Rock eingeknöpft an der Thür der Postoffice, während der Kutscher meinen Mantelsack oben auf dem Fuhrwerk festmachte.

Die Straßen lagen stumm und todt – kein Schritt war zu hören, als meine eigenen – Alles schlief – selbst die Nachtwächter, und sogar die Lampen schienen von der allgemeinen Schläfrigkeit angesteckt zu sein. Es war ein eignes wohlthuendes, ja ich möchte sagen stolzes Gefühl, in diesem Augenblick einen solchen Vorzug vor all meinen Mitbürgern zu besitzen – denn diese lagen sämmtlich besinnungs- und bewußtlos wie Schwalben im Winter oder Mumien in einem Catacomb, während ich allein Vernunft, Bewußtsein, Kraft und Energie besaß. Alle anderen waren perdu – eingeschlossen wie die gefangenen Genien, die Salomo auf Flaschen gezogen und in die See geworfen hatte. Ich aber konnte sie in einem Augenblick erwecken, – ich konnte sie im Nu aus ihrem Zauberschlaf erlösen oder – konnte sie auch eben so ruhig liegen lassen, bis ihre Stunde der Auferstehung von selber herannahte. Alles schlief – der Bürgermeister und die Eltermänner, der Rath, Civil und Militair, die Gelehrten, die Schönen, die Beredtsamen; Hausknechte, Hunde und Lastkarren – Dampf- und Patentmaschinen – selbst die Elemente schliefen.

Wär’ es nicht so verwünscht kalt gewesen, so hätte ich über die todtenähnliche Stille die über der Stadt lag förmlich philosophiren können; selbst jetzt aber konnte ich doch nicht umhin, diese wunderbar zweckmäßige Einrichtung der Natur zu bewundern, die solcher Art periodisch die sämmtlichen physischen Kräfte eines ganzen Volkes ruhen läßt. Nichts ist so wohlthuend als das geschäftige Treiben einer fröhlichen Menschenmenge – nichts so unheimlich, als ihre Ruhe. Wenn wir das erste beobachten, drängt sich uns ungefährt ein Gefühl auf, als ob wir auf eine stürmische wogende See hinausschauen – wir fühlen, daß keine menschliche Kraft im Stande wäre diese drängenden Massen zu hemmen; wenn der Schlaf aber seine Mohnkörner darüber streut, ist es als ob Oel auf die Wogen gegossen würde.

Ich hatte eben nur Zeit diese Bemerkung zu machen, als sich mir zwei Gestalten rasch näherten – zwei von Salomon’s Genien, ihrer Gefangenschaft entschlüpft, und [76] wäre ihre äußere Erscheinung nicht so ungemein friedlich gewesen, ich hätte sie wohl, in dem Düster aus dem sie vortauchten, für ein paar böse Geister halten mögen, die mich zu irgend einem Hexentanz abzuholen kämen. - Aber Gott bewahre!

Es war ein alter würdiger Quäker, der eine Laterne an dem einen und eine Dame an dem andern Arm hängen hatte, so daß seine Lasten, obgleich er doppelt trug, beide leicht waren. Sobald sie den Platz erreichten wo ich stand, hob der Quäker seine Laterne zu meinem Angesicht auf und betrachtete sich dieses, wenige Secunden, aufmerksam.

Ich fing schon an zu fürchten, daß es möglicher Weise ein Policeiofficiant sein möchte, der sich irgendwo einen Canditaten für die Tretmühle aufgelesen habe, und nun einen Begleiter für diesen suche. Es war dies aber ein ungerechter Verdacht, denn der würdige Obadiah studirte nur Physiognomie und als er sich von der Ehrlichkeit meiner Gesichtszüge überzeugt hatte, sagte er: „Bitte Freund, möchte es Dir wohl gefallen den Schutz einer Dame zu übernehmen?“ Was für eine Frage, noch nie hat wohl mein ganzes Nervensystem einen so plötzlichen und unerwarteten Stoß bekommen. Nicht etwa daß etwas Beunruhigendes, Gefährliches in der Frage gelegen hätte, nein wahrhaftig nicht, aber es kam so plötzlich, so direct, so unerwartet, den Schutz einer Dame übernehmen? lieber Gott, ich war seit Jahren ein Canditat eben dieses selben Ehrenpostens, aber noch nie so glücklich gewesen eine zu finden, die sich demselben anvertrauen wollte. Uebrigens gab es keine willigere Seele dazu auf der weiten Welt und jetzt gerade, wo ich es am allerwenigsten erwartet hatte, kam eine holde Freiwillige, sich mir gewissermaßen mit dem Segen des Vaters, in die Arme zu werfen. Ich gedachte in der That in dem Augenblick an das Land, wo die kleinen Schweinchen gebraten herumlaufen und rufen - wer will mich essen? und an Aladdins[WS 1] Lampe - ja ich wußte in dem Augenblick kaum, ob ich nicht zufälliger Weise vielleicht irgendwo einen geheimen Talisman berührt habe, der diese substantielle Personificirung meiner Tagträume heraufbeschworen hatte.

Da stand aber Obadiah, über dessen Sterblichkeit kein Zweifel herrschen konnte, und hier war auch der Koffer der Dame, kein imaginärer Koffer, sondern ein breites geräumiges Meubel, das bald freundlich seinen Platz neben dem meinigen einnehmen sollte. Welch ein Preis für einen reisenden Junggesellen, eine Dame schon eingeschrieben und wohlverwahrt mit Koffer gepackt und Passage bezahlt, aber ach, es ist ja nur für kurze Zeit, nachher übernimmt wieder ein Glücklicher den Schutz der Dame und ich kann in einzelner Trostlosigkeit weiter ziehen.

Diese Gedanken zuckten mir, während einer Pause die der Quäker in seiner Rede machte, wie Blitze durch’s Hirn und ehe ich nur etwas auf seine erste Aufforderung erwiedern konnte, fuhr er fort: „Meine Tochter hat gerade von dem Unwohlsein ihres Gatten, Capitain Johnson von den Scharfschützen gehört, und wünscht heute nach Baltimore zu fahren, ihn dort zu treffen. Das Eis hat die Dampfbootfahrt unterbrochen und sie muß zu Lande gehen“.

Glücklicher Weise hatte ich mich bis dahin von der ersten Ueberraschung wenigstens so weit erholt, daß ich ihm antworten konnte, es würde mir sehr viel Vergnügen machen, Mrs. Johnson jeden nur möglichen Dienst unterwegs zu leisten, und ich sprach mit wirklicher Aufrichtigkeit, denn jedes ritterliche Gefühl meiner Brust regte sich zu Gunsten dieser jungen schüchternen und jedenfalls schönen Dame, die auf den Flügeln der Liebe dem Krankenbett eines theuern Gatten entgegenflog. Ich war ordentlich stolz darauf meinen Schutz einem solchen Muster ehelicher Zärtlichkeit gewähren zu können, und dem würdigen Obadiah meine Hand reichend, fügte ich hinzu: „Ich danke Ihnen, mein Herr, für diesen Beweis von Vertrauen und werde Alles thun was in meinen Kräften steht, Madame Johnson’s Reise sicher, wenn nicht angenehm zu machen.“

Ein herzliches „Danke Dir Freund, ich dachte mir das Deinem Gesicht nach“, war die ganze Antwort, die Kutsche aber, so weit in Stand gesetzt, wartete auf uns, wir stiegen ein und fort ging’s.

Als der Wagen über das Pflaster rasselte, kehrten meine Gedanken natürlich zu meiner schönen Schutzbefohlenen zurück. - „Ach“ dachte ich, „was für ein glücklicher Mensch doch dieser Capitain Johnson von den Scharfschützen ist, er hat das große Loos in der Lebenslotterie gezogen, welch’ seliges Gefühl muß es sein, solch ein treues besorgtes Weib zu haben. Hier saß ich dagegen, ein einsamer Junggesell, ja vielleicht zu ewiger Junggesellenschaft verdammt, wie waren unsere beiden Schicksale doch himmelweit von einander verschieden, und wie zu meinem Nachtheil; wurd’ ich krank, flog da solch ein Engel an die Seite meines Bettes mich zu trösten und mir zu helfen? Es fiel keinem ein, ich konnte liegen so lange ich wollte, ja und sterben, ehe sich eine von ihnen um mich bekümmert hätte. Aber dieser glückliche Johnson steht kaum auf der Krankenliste, als auch schon seine liebenswürdige Gattin ihr väterliches Dach verläßt, sich dem ersten besten Fremden anvertraut, ja ihr Leben in diese holprigen Postkutschen, ihre Gesundheit in der Nachtluft wagt und an die Seite des Invaliden fliegt.“

„Ich möchte wissen was ihm eigentlich fehlt,“ simulirte ich weiter, „Influenza vielleicht, scheint ja auch jetzt eine Modekrankheit. Krankheit überhaupt ist meist ein unwillkommner, ja oft bedenklicher Gast; er bringt stets den Doktor mit seinen schrecklichen Recepten und schrecklicheren Rechnungen und öffnet auch manchmal des Dokters Nachfolge im Dienst, dem Tod, die Thür. Krankheit aber, wenn sie ein geliebtes Weib an unsere Seite zurückruft, uns ihre Liebe, ihren Muth bewährt, und ihre leichte Hand unsere Schmerzen zu lindern vermag, o Krankheit selber muß unter solchen Verhältnissen jenem glücklichen Capitain Johnson von den Scharfschützen willkommen sein!“

„Armer Teufel, am Ende ist er aber sehr krank, liegt vielleicht gar im Sterben, dann würde die Dame hier eine Wittwe, und eine Capitainsstelle offen in der Compagnie, merkwürdig, daß ich nie von ihm gehört habe, - Johnson - Johnson - ich kenne doch sonst fast alle Officiere - was für eine Art Mann es nur sein mag - ein famoses Regiment das - das Scharfschützencorps - hat sich vortrefflich[WS 2] im letzten Kriege gehalten - meist lauter Leute aus dem Westen - gute Schützen, die ein Eichhörnchen vom Baum mit der Kugel herunterholen und das Auge eines Grenadiers trafen. War gewiß ein Backwoodsman, sechs Fuß sechs Zoll[WS 3] mit rothem Backenbart und Adleraugen. Seine Uniform wird ihr Herz wohl gewonnen haben, die holden Wesen leiden einmal an [77] einem Vorurtheil für Uniformen. Die Dame hat auch wohl gethan unter dies Regiment zu gehen, sie ist sicherlich selber ein Scharfschütze und konnte sich, wenn sie Lust hatte, irgend einen Officier auf’s Korn nehmen und herausholen. Was für ein Auge sie haben muß, hol’ der Henker doch Capitain Johnson, was den hier mit seinem Schwarz und Grün nach Philadelphia zwischen die Quäkermädchen bringen muß; weshalb können sich die Scharfschützen-Officiere nicht ihre Frauen anderswo aufsuchen, daß sie hier andern Leuten in die Reviere pirschen müssen, oder wenn denn Philadelphia solcher Art heimgesucht werden mußte, warum konnte ich da nicht Capitain Johnson sein?“

Wenn ein Mann über etwas anfängt nachzudenken, wo er überhaupt Nichts davon weiß, so findet er kein Ende, denn seine Gedanken, die keine ordentliche Straße haben, auf der sie fortmarschiren können, schießen links und rechts in alle Nebenpfade aus. So kam ich von dem Capitain auf die Frau, von der Frau auf den Vater. „Was für eine ehrliche, vertrauungsvolle Seele dieser Obadiah sein muß,“ fuhr ich zu mir selber fort, „seine Tochter, vielleicht sein einziges Kind, dem Schutz eines vollkommen fremden Mannes zu übergeben. Er ist jedenfalls ein Physionomist und ich trage diese beste aller Empfehlungen, ein gutes Gesicht. Vielleicht ist er auch Phrenolog, das kann aber kaum sein, denn meine „bumps“ für gut oder böse waren sämmtlich dicht eingewickelt. Der gute Mann hätte aber doch bei alle dem einen entsetzlichen Mißgriff machen können, ich konnte eben so gut ein Vagabund als ein Senator, ein Gesandter oder ein Taschendieb, ja Rowland Stevenson oder Washington Irving sein, oder Sir Humphrey Dery oder, ja der ewige Jude, wußte er ob ich ein Vampyr oder ein Bauchredner war? ja ich konnte selbst Cooper, der Romanschreiber sein, auch er ist manchmal ein „wandernder Junggeselle.“ Ich konnte Capitain Symmes sein, der gerade nach dem Mittelpunkt der Welt wollte, ja ich konnte Miß Wright - nein Miß Wright konnte ich allerdings nicht sein, und wenn ich’s gewesen, wäre es wohl Niemandem eingefallen, eine junge Dame unter den Schutz von Miß Wright zu stellen, da Miß Wright ja der Meinung ist, daß sich junge Damen selber schützen können. Aber wie konnte Obadiah wissen, ob ich nicht vielleicht gar der Präsident der Vereinigten Staaten sei, und wie hätte die oberste Gerichtsperson so vieler souverainen Republiken aufhorchen sollen, wenn sie Jemand gefragt hätte: „Bitte Freund, möchte es Dir wohl gefallen den Schutz einer Dame zu übernehmen?“

Der Leser darf aber nicht glauben, daß ich diese Selbstgespräche auf Kosten der Artigkeit gegen die Dame hielt. Nicht im mindesten, es war überhaupt noch viel zu früh am Tage eine Dame in ihren Betrachtungen zu stören. Ueberdies nahmen alle diese Gedanken, die hier auf dem Papier voluminös genug aussehen nur wenige Minuten für sich selber in Anspruch, denn selbst Perkins hat noch nie eine Dampfkraft geschaffen, die halb so mächtig wäre, als das menschliche Gehirn. Endlich brach aber der Tag an, und damit hielt ich es auch zugleich für passend, unser bisheriges Stillschweigen zu brechen.

„Das ist ein unfreundlicher Morgen, Madame,“ sagte ich.

„Sehr unfreundlich,“ sagte sie, und unsere Unterhaltung war kurz abgeknickt.

„Die Straßen scheinen in bösem Zustand“ bemerkte ich, mit einem neuen Anlauf.

„Sehr böse“ erwiederte die Dame.

Wieder ein Ende zu jedem Gespräch.

„Sind Sie schon früher in einer Postkutsche gefahren?“ frug ich wieder.

„Ja.“ -

„Aber vielleicht nie eine so weite Strecke?“

„Nein - nie so weit.“

Es war wieder rein alle.

Aha, dachte ich, die Dame ist ein Blaustrumpf und lacht jetzt hinter ihrem Schleier über deine faden Alltagsphrasen, ich muß andere Saiten aufziehn, und als der Wagen über die Schuylkillbrücke rollte, sagte ich:

„Wir haben den Rubicon überschritten, und ich hoffe, daß wir nicht, wie der römische Eroberer unsere Kühnheit zu bereuen haben. Der Tag verspricht schön zu werden, und unsere Omen sind alle günstig.“

„Was sagten Sie von Herrn Rubikom?“ frug Madame Johnson.

Ich wiederholte es, und die Dame erwiederte:

„O ja, das ist wohl möglich,“ und damit war ich wieder fertig. Jetzt dacht’ ich aber bei mir selber, wenn die Dame nicht reden will, so erfordert es die Höflichkeit, daß ich ebenfalls schweige, und die nächste Stunde hindurch wurde kein Wort gesprochen.

Ich war aber indessen auch einmal im Stande gewesen, einen Blick auf die Züge meiner schönen Begleiterin zu werfen, und ich muß aufrichtig gestehen, sie kamen mir nicht so vollkommen schön vor, wie ich sie mir im Anfang gedacht hatte. Ihr Teint ließ etwas zu wünschen übrig, ihre Auge war nicht schwärmerisch, ihre Nase nicht wie ich sie an einer griechischen Statue wünschen würde, und ihre Lippen schienen mir etwas blaß und dünn. Ich machte diese Beobachtungen aber nur unter Furcht und Zittern, denn die Dame begegnete meinem forschenden Blick mit einem solchen herausfordernden Trotz, daß ich meine Augen rasch wieder niederschlug. Hu! dachte ich dabei so zu mir selber, das war ein ächter Scharfschützencapitainsblick - glücklicher Mann, dessen Weib den Stolz und Muth eines Kriegers eingesogen, und mit einem einzigen Zornesblick im Stande ist zudringliche Neugier zurückzuweisen.

Beim Frühstück entwickelte sich ihr Charakter aber etwas deutlicher - wenn ihre Zunge vorher auf Urlaub gewesen, so fand sie sich jetzt wieder zu aktivem Dienst zurückgerufen. Sie schien überzeugt, daß im Hause nichts Ordentliches zu essen, und empört, daß der Wirth ein Deutscher war.

„Wie heißt Ihr?“ frug sie die Wirthin.

„Rothkalb, Ma’am.“

„Oh, schrecklich, - seid Ihr das, von denen das Berpetuummofile ist?“

„Nein, Ma’am.“

Dann setzte sie sich zu Tische und rümpfte ihr niedliches Näschen gegen Alles was darauf stand. Die Butter war zu streng, der Thee zu schwach, das Brod zu hart, der Speck zu weich, der Pfannkuchen zu schwer.

„Möchten Sie nicht eins dieser Eier versuchen?“ frug ich.

„Ich mag keine Eier.“

[78] „Darf ich Ihnen einen Flügel dieses Huhns vorlegen?“

„Ich kann gerade nicht sagen, daß ich den Flügel am liebsten mag.“

„Ein Stück von der Brust also, Madame?“

„Es ist wohl sehr zäh, wie?“

„Nein, es scheint sehr zart zu sein.“

„Wahrscheinlich zu Faden gekocht.“

„Im Gegentheil, der Saft folgt dem Messer -“

„Oh, gräßlich - es ist noch roh!“

„Wirklich nicht - darf ich Ihnen dieses Stück? -“

„Ich esse nicht gern Geflügel, ausgenommen kalt.“

„Ach, dann ist hier ein allerliebstes kaltes Huhn - wenn Sie mir vielleicht erlauben -“

„Ich danke vielmals, ich mache mir Nichts aus Fleisch Morgens.“

Abgeblitzt.

Ihre Frau Gemahlin zieht vielleicht etwas geräuchertes Fleisch vor - oder Zunge oder -

„Diese Dame ist nicht meine Frau Gemahlin, Madame Rothkalb“ unterbrach ich jedoch die Wirthin, aus Furcht, daß die Bemerkung vielleicht von der andern Seite sonst kräftiger zurückgewiesen würde.

„O Jemine, bitte um Entschuldigung - aber Sie wissen wohl, wenn ein Herr und eine Dame zusammen reisen - es ist so natürlich -“

„Vollkommen natürlich, Madame Rothkalb.“

„Vielleicht wünscht die Madame ein Bischen Käse, oder ein Stückchen Apfeltorte, oder etwas eingekochte Früchte oder -“

Ich weiß nicht, wie die etwas krittliche Dame dies Alles aufgenommen haben würde, glücklicher Weise bließ aber der Postillon, ehe sie ein Wort darauf erwiedern konnte, und ich half ihr wieder in den Wagen. Gerade als sie einstieg, wagte ich einen andern Blick und es kam mir fast so vor, als ob sie ein wenig - vielleicht nur ein ganz klein wenig ordinair aussähe - aber lieber Gott, wer konnte das entscheiden. Napoleon hat gesagt, es sei nur ein Schritt von dem Sublimen zum Lächerlichen, und wir alle wissen, daß es zwischen dem wirklichen Weltton und förmlicher Gemeinheit oft weniger als das ist, und doch liegen Bildung und gesunder Menschenverstand dazwischen. Die Dame hielt sich also jedenfalls zu einem der Extreme, und es wäre unartig gewesen zu genau nachzuforschen zu welchem; dies ging überdies weit mehr Capitain Johnson von den Scharfschützen an, der sich darauf auch wahrscheinlich besser verstand als ich.

Indessen war die Dame ihrer früheren Schweigsamkeit müde, und redselig geworden. Sie sprach in einem fort, besonders von ihrem „Pa“ - und von sich. Ihr „Pa“ war ein Quäker - sie war aber kein Quäker. Sie hatten sie aus der Gemeinde, wegen ihrer Heirath mit Capitain Johnson, gestoßen. - Ihr „Pa“ war ein Kaufmann etc. etc. -

Lieber Leser, ich will Dir die Erzählung alles dessen, was ich an dem Tage litt, ersparen. - Das Temperament der Dame war keines der sanftmüthigsten, und Fahren schien ihr nur höchst mittelmäßig zuzusagen. Wenn wir anhielten, saß sie wie auf Kohlen, daß wir wieder abführen, wenn wir fuhren, wollte sie überall anhalten; wo wir zu essen bekommen konnten, hatte sie keinen Appetit und unterwegs fortwährend einen schmählichen Hunger. Hundert Mal mußte ich wenigstens absteigen und ihr Taschentuch aufheben, oder nach ihrem Gepäck sehn, und hundert Mal wenigstens wünschte ich sie in die Arme des Capitain Johnson von den Scharfschützen. Ich ertrug aber Alles mit einem wahrhaft stoischen Gleichmuth und rechne mir es noch bis auf den heutigen Tag zu einem nicht geringen Verdienst von damals, ohne die Geduld zu verlieren, Nichts versäumt zu haben was Pflicht und Artigkeit von mir verlangten.

Meine Begleiterin schien das allerdings kaum verdient zu haben, es war aber eine Frau, und ich würde schon deshalb manche kleine Eigenthümlichkeiten, so unbequem sie mir auch manchmal vorkamen, haben übersehn müssen, wäre ihr Gatte selbst nicht Capitain in der Armee gewesen. - Die Frau eines wackeren Officiers aber, der seinem Vaterland zu Land oder See dient, hat doppelte Ansprüche auf die Achtung und den Schutz ihrer Landsleute.

Endlich erreichten wir Baltimore; ich rief augenblicklich eine Droschke und erkundigte mich nun, wohin ich das Vergnügen haben könnte meine schöne Begleiterin zu führen.

„Zum Anker, - Straße, Fells Point“ lautete die Antwort.

Nach dem was ich den Tag erlebt über nichts mehr erstaunt, nannte ich dem Kutscher den Ort unserer Bestimmung und stieg nach ihr ein.

„Liegt ein Theil des Scharfschützen-Regiments an Fell’s Point im Quartier?“ frug ich.

„Ich weiß nicht“ sagte die Dame.

„Gehört Ihr Gemahl nicht zu diesem Regiment?“

„Mein Mann? - i bewahre, Capitain Johnson ist kein Soldat.“

„Ich habe mich dann verhört; ich glaubte verstanden zu haben, daß er Capitain bei den Scharfschützen sei.“

„Von dem Scharfschützen, Sir, er ist Capitän vom „Scharfschützen,“ ein Schoner der zwischen Baltimore und Nord-Carolina läuft und Theer, Terpentin und dergleichen Dinge herauf bringt. „Dort ist das Haus“ fuhr sie fort - „und wie ich sehe - da ist auch Mr. Johnson auf und wohl.“

Die bedeutete Person war ein kleiner untersetzter kräftig gebauter und gemein genug aussehender Seemann, halb angetrunken, mit einem Wachstuchhut auf dem Kopf, und einem furchtbaren Priemchen in der einen Backe.

„Wie geht's, Polly?“ rief er, als er seiner Frau aus dem Wagen half und ihr einen Schmatz gab, den man über die ganze Straße hinüber hören konnte - „wer ist der Herr da? - ein Schiffskamerad von Dir?“

„Das ist der Herr, dem mich Pa zu Hause anempfohlen?“

„Der Supercargo, ah? - kommen Sie, Mister, steigen Sie ab, und lassen Sie uns einen kleinen nehmen.“

Ich dankte dem Capitain und rief dem Kutscher zu weiter zu fahren, war aber fest entschlossen, welche Thorheiten ich auch sonst noch ausführen möge, mir doch nie wieder, so ich es irgend vermeiden könnte, „eine Dame anempfehlen zu lassen.“




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Aladdius
  2. Vorlage: vor trefflich
  3. 1,98 m